D-2238/2008 - Abteilung IV - Aufhebung vorläufige Aufnahme (Asyl) - Aufhebung der vorläufigen Aufnahme; Verfügung des ...
Karar Dilini Çevir:
D-2238/2008 - Abteilung IV - Aufhebung vorläufige Aufnahme (Asyl) - Aufhebung der vorläufigen Aufnahme; Verfügung des ...
Bundesverwaltungsgericht
Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal
Abteilung IV
D-2238/2008
Urteil vom 12. Januar 2011
Besetzung Richter Thomas Wespi (Vorsitz),
Richterin Muriel Beck Kadima, Richter Gérald Scherrer,
Gerichtsschreiber Stefan Weber.
Parteien A._______, geboren X._______,
Irak,
vertreten durch lic. iur. Yassin Abu-Ied, Rechtsanwalt,
Beschwerdeführer,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM), Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Gegenstand Aufhebung der vorläufigen Aufnahme; Verfügung des BFM
vom 5. März 2008 / N_______.
D-2238/2008
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Sachverhalt:
A.
Der Beschwerdeführer, ein aus dem Dorf B._______, Provinz C._______,
stammender irakischer Staatsangehöriger kurdischer
Volkszugehörig￿keit und sunnitischen Glaubens mit letztem Wohnsitz in
D._______, Provinz C._______, verliess eigenen Anga￿ben zufolge
seinen Hei￿matstaat am 5. Juli 2004 auf dem Land￿weg. Über
E._______ und weitere, ihm unbekannte Länder gelangte der
Beschwerdeführer am 13. August 2004 unter Umgehung der
Grenz￿kontrolle in die Schweiz. Gleichentags suchte er in der F._______
um Asyl nach und wurde anschliessend ins G._______ transferiert. Am
26. August 2004 wurde er dort erstmals befragt und am 16. September
2004 durch G._______zu den Asylgründen an￿gehört.
Zur Begründung seines Asylgesuchs machte der Beschwerdeführer im We￿sentlichen geltend, er habe
seit dem Jahre (...) Kontakte zu einem Mädchen aus der Nachbarschaft gepflegt und sich öfters bei ihr zu
Hause aufgehalten. Am (...) sei es im Haus der Freundin erstmals zum Ge￿schlechtsverkehr gekommen,
wobei sie von der Mutter seiner Freundin ertappt worden seien. In der Folge habe sich die Mutter mit seiner
Freun￿din gestritten, so dass ihm die Flucht aus dem Haus gelungen sei. Er selber habe sich unverzüglich
zu seinem Onkel nach C._______ begeben und ihm die Geschichte erzählt. Daraufhin sei er nach
H._______ zu einem Freund seines Onkels gebracht worden, wo er bis zur Ausreise geblieben sei. Am
nächsten Tag habe ihm sein Onkel die Nachricht überbracht, dass seine Freundin von ihren
Familien￿angehörigen umgebracht worden sei. Wäre er in seiner Heimat ge￿blieben, hätte er das gleiche
Schicksal erlitten.
Das BFM unterzog die vom Beschwerdeführer eingereichte Identitätskarte einer internen
Dokumentenprüfung und gelangte zur Erkenntnis, bei diesem Identitätsausweis handle es sich um eine
Fälschung. Das Bundesamt gewährte dem Beschwerdeführer dazu am 31. Januar 2006 das rechtliche
Gehör. Dieser reichte seine Stellungnahme am 10. Februar 2006 ein.
B.
Mit Verfügung vom 16. Februar 2006 stellte das BFM fest, der
Beschwerde￿führer er￿fülle die Flüchtlings￿eigenschaft nicht, und
lehnte das Asylge￿such ab. Gleichzeitig ord￿nete es die Weg￿weisung
des Beschwerdeführers an, nahm diesen in￿des wegen
Unzu￿mutbarkeit des Wegweisungsvollzugs vorläufig in der Schweiz auf.
Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die gel￿tend
ge￿machten Vor￿bringen würden den Anforderungen an die
Glaubhaftigkeit gemäss Art. 7 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998
(AsylG, SR 142.31) nicht standhalten, da sie widersprüchlich sowie wenig
konkret ausgefallen seien und die Handlungsweisen des
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Beschwerdeführers als nicht nachvollziehbar erachtet werden könnten.
Der Voll￿zug der Wegweisung sei aufgrund der allgemeinen
Sicherheitslage im Irak und unter Berücksichtigung der Aktenlage nicht
zumutbar.
Diese Verfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
C.
Mit Schreiben vom 28. Januar 2008 teilte das BFM dem
Beschwerde￿füh￿rer mit, gemäss Art. 84 Abs. 2 des Bundesgesetzes
vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG,
SR 142.20) sei die vorläufige Aufnahme aufzuheben und der Vollzug der
Weg- oder Ausweisung anzuordnen, wenn die Voraussetzungen, welche
zur Anordnung der vor￿läufigen Aufnahme geführt hätten, nicht mehr
gegeben seien. Aufgrund der Sicherheits- und Menschenrechts￿lage in
den drei von der kurdischen Regionalregierung kontrollierten Provin￿zen
Dohuk, Erbil und Sulaymanyia herrsche in diesen Provinzen keine
Situation allgemeiner Gewalt. Der Wegweisungsvollzug sei daher
grundsätzlich zumutbar. Dies gel￿te insbesondere für aus dieser Region
stammende Männer, welche sich alleine in der Schweiz aufhielten. Es sei
festzustellen, dass er in der Provinz C._______ geboren und
auf￿gewachsen sei und sich noch Familienangehörige von ihm dort
auf￿halten würden. Zudem würden in seinem Fall auch keine
individuellen Gründe gegen die Zumutbarkeit des Wegweisungs￿vollzugs
sprechen. Das BFM erwäge ange￿sichts dessen die Aufhebung der
verfügten vor￿läufigen Aufnahme. Dazu wurde dem Beschwerdeführer
eine Frist zur Stel￿lungnahme ge￿setzt.
D.
Mit Eingabe vom 14. Februar 2008 reichte der Beschwerdeführer seine
Stellungnahme zu den Akten.
E.
Mit Verfügung vom 5. März 2008 – eröffnet am 8. März 2008 – hob das
BFM die vorläufige Aufnahme des Beschwerdeführers auf und setzte ihm
eine Frist bis zum 9. Mai 2008, um die Schweiz zu verlassen. Zur
Be￿grün￿dung wurde im Wesentlichen ausge￿führt, ein Vollzug der
Weg￿weisung in die drei nordirakischen Provinzen sei im heutigen
Zeitpunkt für den aus C._______ stammenden Beschwerdeführer als
zulässig, zu￿mutbar und möglich zu erachten.
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F.
Mit Beschwerde vom 4. April 2008 (Poststempel: 7. April 2008) an das
Bundesverwaltungsge￿richt be￿antragte der Be￿schwerdeführer, es sei
der Entscheid des BFM vom 5. März 2008 auf￿zuheben und ihm sei Asyl
zu gewähren, und ersuchte in prozessualer Hinsicht um Ge￿währung der
unentgeltlichen Rechtspflege ge￿mäss Art. 65 Abs. 1 und 2 des
Bundesgeset￿zes vom 20. Dezember 1968 über das
Ver￿waltungsverfahren (VwVG, SR 172.021). Auf die Be￿gründung wird,
soweit für den Entscheid wesentlich, in den Erwägun￿gen
einge￿gangen.
G.
Mit Zwischenverfügung des Instruktionsrichters vom 22. April 2008 wurde
dem Beschwerde￿führer mitgeteilt, dass er den Ausgang des Verfahrens
in der Schweiz abwarten könne. Die Ge￿suche um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne von Art. 65 Abs. 1 und 2 VwVG
wurden wegen Aussichtslosigkeit der gestellten Begehren abgewiesen
und der Beschwerdeführer wurde gleichzeitig auf￿gefordert, bis zum
7. Mai 2008 einen Kostenvorschuss in der Höhe von Fr. 600.--
einzuzahlen, unter Androhung des Nichteintretens im Unter￿lassungsfall.
Am 25. April 2008 wurde der Kostenvorschuss geleistet.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1. Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005
(VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsge￿richt endgültig
Beschwerden gegen Verfügungen des BFM in Sachen Aufhebung der
vorläufigen Aufnahme von Ausländerinnen und Ausländern in der
Schweiz (Art. 84 Abs. 2 und 3 des Bundesgesetzes vom 16. De￿zember
2005 über die Ausländerinnen und Ausländer [AuG, SR 142.20] i.V.m.
Art. 31 und 33 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005
[VGG, SR 173.32]; Art. 83 Bst. c Ziff. 3 des Bundes￿gerichtsgesetzes
vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]).
1.2. Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht. Der
Be￿schwer￿de￿führer ist durch die angefochtene Verfügung besonders
be￿rührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung
be￿ziehungsweise Änderung. Er ist daher zur Einreichung der
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Be￿schwerde legitimiert (Art. 37 VGG i.V.m. Art. 112 AuG und Art. 48
Abs. 1, Art. 50 und 52 VwVG). Auf die Be￿schwerde ist – unter Vorbehalt
der nachfolgenden Erwägungen – einzutreten.
1.3. Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die
unrich￿tige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen
Sachver￿halts und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 49
VwVG).
1.4. Gestützt auf Art. 57 Abs. 1 VwVG (e contrario) wurde vorliegend auf
einen Schriftenwechsel verzichtet, da sich die Beschwerde, wie in den
nach￿folgenden Erwägungen darzulegen ist, als aussichtslos und damit
als von vornherein unbegründet im Sinne der erwähnten Bestimmung
erweist.
2.
2.1. Der Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist auf die
Frage beschränkt, ob die Vorinstanz die am 16. Februar 2006 verfügte
vorläufige Aufnahme des Beschwerdeführers mit Verfügung vom 5. März
2008 zu Recht aufgehoben hat. Auf den in der Beschwerde gestellten
Antrag auf Gewährung von Asyl ist deshalb nicht einzutreten.
2.2. Die Voraussetzungen für die Aufhebung der vorläufigen Aufnahme
werden seit dem 1. Januar 2008 in Art. 84 Abs. 2 AuG umschrieben. Vor
dem 1. Januar 2008 wurde die Aufhebung der vorläufigen Auf￿nahme
durch Art. 14b Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über
Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG, BS 1 121) geregelt,
welches zeitgleich mit dem Inkrafttreten des AuG aufgehoben wurde (vgl.
Art. 125 AuG i.V.m. Ziff. I Anhang zum AuG). Inhaltlich hat sich an den
Voraussetzungen für die Aufhebung der vorläufigen Auf￿nahme durch
die Gesetzesände￿rung nichts geändert.
3.
3.1. Die Vorinstanz führte zur Begründung ihres
Aufhebungsent￿scheides im Wesentlichen an, mit der Verfügung vom
16. Februar 2006 sei festgestellt wor￿den, dass der Beschwerdefüh￿rer
die Flüchtlingseigenschaft nicht erfül￿le. Diese Verfügung sei, soweit sie
die Verneinung der Flüchtlingsei￿genschaft und die Verweigerung des
Asyls betreffe, in Rechtskraft erwach￿sen. Da er die
Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle, könne der Grundsatz der
Nicht￿rückschiebung nicht angewendet werden. Ferner würden sich aus
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den Akten keine Anhaltspunkte da￿für ergeben, dass ihm bei einer
Rückkehr in den Heimatstaat mit be￿achtlicher Wahrscheinlichkeit eine
durch Art. 3 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfrei￿heiten (EMRK, SR 0.101) verbotene
Strafe oder Behandlung drohe. Die als stabil zu erachtende
Sicherheitslage in den drei nordiraki￿schen Provinzen Dohuk, Erbil und
Sulaymanyia lasse den Wegwei￿sungsvollzug zum heutigen Zeitpunkt
grundsätzlich nicht als unzulässig oder als unzumutbar erscheinen. Diese
Einschätzung werde auch von anderen europäischen Staaten geteilt und
es sei festzustellen, dass sich auch das UNHCR nicht grundsätzlich
gegen den Vollzug von Wegweisungen in die genannten Provinzen stelle.
An dieser Einschätzung vermöge auch der vom Beschwerdeführer
erwähnte Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) nichts zu
ändern, zumal deren La￿gebeurteilung das BFM in keiner Weise zu
binden vermöge. Zudem wür￿den vorlie￿gend auch keine individuellen
Gründe gegen die Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs sprechen. Der
Beschwerdeführer habe bis zu seiner Ausreise in der Provinz C._______
gelebt und verfüge dort eigenen Angaben zufolge auch heute noch über
ein familiäres Beziehungsnetz. Dem Einwand in seiner Stellungnahme,
wonach er sich dort keine Existenz aufbauen und auch nicht mit der
Unterstützung seiner Familienangehörigen rechnen könne, sei
festzustellen, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen
alleinstehenden, jungen und gemäss Aktenlage auch gesunden Mann
ohne familiäre Verpflichtungen handle. Diese Voraussetzungen sollten es
ihm ermöglichen, auch wenn er keine eigentliche Berufsausbildung
ausweisen könne, aus eigener Kraft eine wirtschaftliche
Existenzgrundlage im Heimatland aufbauen zu können. Ihm stehe es
zudem offen, vom Angebot der Rückkehrhilfe Gebrauch zu machen,
welche ihm die Reintegration in seinem Heimatland erleichtern dürfte. Der
Beschwerdeführer sei erst im Alter von (...) Jahren in die Schweiz
ge￿reist und habe die prä￿genden Jahre in seinem Heimatland
verbracht. Mithin sei er mit Sprache, Kultur, Lebens- und Arbeitsweise in
seiner Herkunftsregion bestens vertraut. Auch wenn er mittlerweile über
(...) Jahre in der Schweiz wohnhaft sei und geltend mache, er sei hier gut
integriert, sei nicht von einer über das übliche Mass hinausgehenden
Verwurzelung auszugehen. Sodann sei der Wegweisungsvollzug auch
als möglich zu erachten, zumal einerseits Flugverbindungen von Europa
in den Nordirak bestehen würden und es dem Beschwerdeführer obliege,
sich bei der zuständigen Vertretung seines Heimatlandes die für eine
Rückkehr notwendigen Reisedokumente zu beschaffen.
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3.2. In seiner Rechtsmitteleingabe zeigt sich der Beschwerdeführer mit
der Lageanalyse des BFM betreffend die drei nordirakischen Provinzen
nicht einverstanden und verweist diesbezüglich auf Offensivaktionen der
türkischen Armee gegen die kurdische Arbeiter￿partei (PKK), die sich vor
allem auf das grenznahe irakische Gebiet konzentriert hätten, wo sein
Wohnort gewesen sei und wo sich seine Familie nach wie vor aufhalte.
Solche Angriffe würden andauern und seine Familienangehörigen seien
diesen unmittelbar ausgesetzt. Ferner verweist der Beschwerdeführer auf
die weiterhin unsichere Lage in den drei nordirakischen Pro￿vinzen
Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Im Dezember 2006 hätten sunnitische
Extremisten in Mosul das Islamische Emirat Irak ausgerufen. Seither
habe der Terror in Mosul signifikant zugenommen. Die Bewohner des
Nordiraks seien seit Jahren immer wieder willkürlichen Bombardierungen
ausgesetzt, bei welchen zahlreiche Zivilisten ihr Leben und andere ihre
Existenz verloren hätten. Da es keine inländische Fluchtalternative gebe,
würden die vielen Flüchtlinge die Infrastruktur der weniger bedrohten
Gebiete belasten, bis es zu Zusammenbrüchen in der Versorgung
komme. Auch komme es zu Entführungen und schweren Anschlägen,
weshalb der Nordirak immer noch als ein gefährliches Gebiet ein￿gestuft
werden müsse. Diese Schlussfolgerung werde nicht nur durch
Medienberichte, sondern auch durch persönliche Berichte von
Botschaftern und Reportern gestützt. Insgesamt sei festzuhalten, dass
die Situation im Nordirak zu instabil sei, um eine Minimalsicherheit
gewährleisten zu können. Auch in individueller Hinsicht sei eine Rückkehr
in den Irak nicht durchführbar, da ihm die Familie seiner Freundin zur
Wiederherstellung der Familienehre nach dem Leben trachte. Aus diesen
Gründen sei der Wegweisungs￿vollzug unzulässig und un￿zumutbar.
4.
4.1. Das Bundesamt regelt gemäss Art. 44 Abs. 2 AsylG das
Anwesen￿heitsverhältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die
vorläufi￿ge Aufnahme nach dem AuG, wenn der Vollzug der
Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar oder nicht möglich ist.
Gemäss Art. 84 Abs. 1 AuG überprüft das Bundesamt nach erfolgter
Anordnung einer vorläufi￿gen Aufnahme periodisch, ob die
Voraussetzungen dafür noch gege￿ben sind. Es hebt die vorläufige
Aufnahme auf und ordnet den Vollzug der Weg- oder Ausweisung an,
wenn die Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind (Art. 84 Abs. 2
AuG).
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4.2.
4.2.1. Der Vollzug der Wegweisung ist nicht zulässig, wenn
völkerrechtli￿che Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise der
Ausländerin oder des Ausländers in den Heimat-, Herkunfts- oder in
einen Dritt￿staat entgegenstehen (Art. 83 Abs. 3 AuG).
4.2.2. Keine Person darf in irgendeiner Form zur Ausreise in ein Land
gezwungen werden, in dem ihr Leib, ihr Leben oder ihre Freiheit aus
einem Grund nach Art. 3 Abs. 1 AsylG gefährdet sind oder in dem sie
Gefahr läuft, zur Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden (Art.
5 Abs. 1 AsylG; vgl. ebenso Art. 33 Abs. 1 des Abkommens vom 28. Juli
1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge [FK, SR 0.142.30]).
Dieses flüchtlingsrechtliche Rückschiebungsverbot schützt nur Perso￿nen, welche die
Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Art. 3 AsylG res￿pektive Art. 1A FK erfüllen. Nachdem das BFM in
seiner Verfügung vom 16. Februar 2006 rechtskräftig festgestellt hat, dass der Be￿schwerdeführer die
Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllt, kann das Prin￿zip des flüchtlingsrechtlichen Rückschiebungsverbots
vorliegend nicht zur An￿wendung gelangen. Der Vollzug der Wegweisung des Beschwer￿deführers in den
kurdisch verwalteten Nordirak ist daher unter dem As￿pekt von Art. 5 AsylG rechtmässig.
4.2.3. Gemäss Art. 25 Abs. 3 der Bundesverfassung der
Schweizeri￿schen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101),
Art. 3 des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und
andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder
Strafe (FoK, SR 0.105) und der Praxis zu Art. 3 EMRK darf niemand in
einen Staat ausgeschafft wer￿den, in dem ihm Folter oder eine andere
Art un￿menschlicher oder er￿niedrigender Strafe oder Behandlung
droht.
Weder aus den Aussagen des Beschwerdeführers noch aus den Akten ergeben sich Anhaltspunkte dafür,
dass er für den Fall einer Ausschaf￿fung in den Irak dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer nach
Art. 3 EMRK oder Art. 1 FoK verbotenen Strafe oder Behandlung aus￿gesetzt wäre. Gemäss Praxis des
Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sowie jener des UN-Anti-Folterausschusses
müsste der Beschwerdeführer eine konkrete Gefahr ("real risk") nach￿weisen oder glaubhaft machen,
dass ihm im Fall der Rückschiebung Folter oder unmenschliche Behandlung drohen würde (vgl. EGMR
[Grosse Kammer] Saadi gegen Italien, Urteil vom 28. Februar 2008 Beschwerde Nr. 37201/06, §§ 124 bis
127, mit weiteren Hinweisen). Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall, zumal der der befürchteten Tötung
durch Dritte zugrunde liegende Sachverhalt nicht glaubhaft gemacht wurde.
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Weiter lässt nach Praxis des Bundesverwaltungsgerichts auch die all￿gemeine Sicherheits- und
Menschenrechtslage in den drei kurdischen Pro￿vinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya (vgl. hierzu die
nachfolgende Er￿wägung 4.3) den Wegweisungsvollzug nicht als un￿zulässig er￿scheinen.
4.2.4. Nach dem Gesagten ist der Vollzug der Wegweisung sowohl im
Sinne der asyl- als auch der völkerrechtlichen Bestimmungen zulässig.
4.3.
4.3.1. Gemäss Art. 83 Abs. 4 AuG kann der Vollzug der Wegweisung für
Ausländerinnen oder Ausländer unzumutbar sein, wenn sie im Heimat-
oder Herkunftsstaat auf Grund von Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg,
allgemeiner Gewalt und medizinischer Notlage konkret gefährdet sind.
Wird eine konkrete Gefährdung festgestellt, ist – unter Vorbehalt von
Art. 83 Abs. 7 AuG – die vorläufige Aufnahme zu gewähren (vgl.
Bot￿schaft zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer
vom 8. März 2002, BBl 2002 3818).
4.3.2. Das Bundesverwaltungsgericht ist in dem in BVGE 2008/5
publi￿zierten Urteil vom 14. März 2008 auf￿grund einer umfassenden
Beurtei￿lung der aktuellen Situation in den nordirakischen Provinzen
Dohuk, Erbil und Sulaymaniya zum Schluss gekommen, dass in diesen
drei kurdischen Provinzen keine Situation all￿gemeiner Ge￿walt herrscht
und die dortige Lage nicht dermassen ange￿spannt ist, als dass eine
Rück￿führung dorthin als generell unzumutbar betrachtet werden
müsste. Die Region ist zudem mit Direktflügen aus Europa und aus den
Nach￿barstaaten erreichbar. Damit entfällt das Ele￿ment der
un￿zumutbaren Rückreise via Bagdad und anschliessend auf dem
Land￿weg durch den von Gewalt heimgesuchten Zentralirak.
Zusammenfas￿send wurde im erwähnten Entscheid festgehalten, dass
die Anordnung des Wegwei￿sungsvollzugs in der Regel für
alleinstehende, gesunde und junge kur￿dische Männer, die ursprünglich
aus einer der drei Pro￿vinzen stammen und dort nach wie vor über ein
soziales Netz oder Parteibeziehungen verfügen, zumutbar ist. Für
alleinstehende Frauen und für Familien mit Kindern, sowie für Kranke und
Betagte ist bei der Feststellung der Zu￿mutbarkeit des
Wegweisungsvollzugs demgegenüber grosse Zurück￿haltung
angebracht (vgl. a.a.O. E. 7.5 und insbesondere E. 7.5.8).
Die Sicherheitslage in den drei kurdischen Provinzen hat sich seit Publikation des erwähnten Urteils nicht
verschlechtert, im Gegen￿teil. In der überwiegenden Mehrheit der Berichte von Regierungs- und
Nicht￿re￿gie￿rungsorganisationen sowie des UN-Sicherheitsrats wird eine insgesamt stabile Situation
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beschrieben (vgl. statt vieler: AMT DES HOHEN FLÜCHTLINGSKOMMISSARS DER VEREINTEN NATIONEN [UNHCR],
Note on the Continued Applicability of the April 2009 UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the
International Protection Needs of Iraqi Asylum-See￿kers, Juli 2010, S. 2 ff.).
4.3.3. Die ursprünglich vom Beschwerdeführer geltend gemachten
Asylgründe wurden vom BFM in der rechtskräftig gewordenen
Asylver￿fügung vom 16. Februar 2006 als vollumfänglich unglaubhaft
quali￿fiziert.
Weiter ist vorweg auf die Erwägungen in der Zwischenverfügung des Instruktionsrichters vom 22. April
2008 zu verweisen, in welcher fest￿ge￿hal￿ten wurde, dass weder die allgemeine Sicherheitslage in den
drei kurdischen Nordprovinzen noch individuelle Gründe gegen die Auf￿hebung der vorläufigen Aufnahme
sprechen würden. An den dort ge￿troffenen Schlussfolgerungen ist in casu – angesichts der unverändert
gebliebenen Sachlage – vollumfänglich festzuhalten (vgl. nach￿stehende Ausführungen).
4.3.4. Der Beschwerdeführer, der keine gesundheitlichen
Beeinträchti￿gungen geltend macht, stammt aus der nordirakischen
Provinz C._______, wo er bis zu seiner Ausreise im Alter von (...) Jahren
lebte, die Schule besuchte und in der (...) arbeitete (vgl. act. A9/19, S. 6
f.). Er ist somit mit den dortigen Verhältnissen bestens vertraut. Weiter
verfügt er in seiner Herkunftsregion über familiäre Kontakte (Eltern und
Geschwister) und dürfte überdies über weiter￿gehende, vorbestehende
Beziehungen verfügen, da er bis zur Aus￿reise sein bisheriges ganzes
Leben in der Heimatprovinz verbracht haben und dort auch die Schule
be￿sucht sowie gearbeitet haben will (vgl. act. A9/19, S. 4 und 6 f.). Vor
diesem Hintergrund kann davon ausgegangen werden, dass der
Beschwerdeführer nach seiner Rück￿kehr in den Nordirak in der Lage
sein wird, sich wiederum eine trag￿fähi￿ge Existenz aufzu￿bauen. Es ist
demnach nicht davon auszugehen, dass er bei seiner Rückkehr in die
Heimatstadt aus individuellen Gründen wirtschaftlicher, sozialer oder
gesund￿heit￿li￿cher Natur in eine existenzbedrohende Situation geraten
würde. Eine allfäl￿lige Rückkehrhilfe der Schweiz dürfte ihm den
Wie￿dereinstieg in seiner Heimat ebenfalls erleichtern. Auch wenn er
angibt, er sei hier mittlerweile gut integriert und sehe die Schweiz als
seine Heimat an, lässt alleine der mittlerweile über sechsjährige
Auf￿enthalt des Beschwerdeführers in hiesigen Landen noch nicht auf
eine über das übliche Mass hinausgehende, fortgeschrittene Integration
schliessen. Der Beschwerdeführer hat weder seine prägenden Jahre in
der Schweiz verbracht noch sind aus den Akten besondere
An￿strengungen in beruflicher, sozialer oder familiärer Hinsicht
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ersichtlich, welche für eine fortgeschrittene Verwurzelung in der Schweiz
sprechen.
Sodann sind keine weiteren individuellen Gründe ersichtlich, auf￿grund derer allenfalls geschlossen
werden könnte, der Beschwerde￿führer gerate im Falle der Rückkehr in die Heimat in eine
existenzbe￿drohende Situation. Insbesondere lässt sich auch aus der türkischen Militärpräsenz im
Grenzgebiet, welche die Aktivitäten der dortigen PKK-Kämpfer und nicht die nordirakischen Kurden im
Visier hat, keine individuelle Gefährdung ableiten. Auch legt der Beschwerdeführer nicht näher dar,
inwiefern er von den religiös begründeten Aus￿einandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten
konkret betroffen sein könnte, und machte auch im Verlaufe des ordentlichen Asylver￿fahrens in diesem
Zusammenhang keinerlei religiösen oder politischen Probleme geltend.
4.3.5. Gestützt auf die vorstehenden Erwägungen ist der Vollzug der
Wegweisung im heutigen Zeitpunkt sowohl in genereller als auch in
in￿dividueller Hinsicht als zumutbar zu erachten.
4.4. Schliesslich bleibt gemäss Art. 83 Abs. 2 AuG zu prüfen, ob der
Vollzug der Wegweisung möglich ist. Es bestehen gemäss
Erkenntnis￿sen des Bundesverwaltungsgerichts direkte
Flugverbindungen zwi￿schen Europa und dem Nordirak. Die
Beschaffung der für die Rück￿kehr notwendigen Reisedokumente obliegt
dem Beschwerdeführer (Art. 8 Abs. 4 AsylG). Der Vollzug der
Wegweisung ist somit auch als möglich zu bezeichnen.
5.
Nach vorstehenden Erwägungen hat das BFM den Vollzug der
Weg￿weisung zu Recht als zulässig, zumutbar und möglich erklärt,
weshalb die Aufhebung der vorläufigen Aufnahme zu bestätigen ist.
Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht nicht verletzt, den
rechtserheblichen Sachverhalt richtig und vollständig feststellt und angemessen ist (Art. 49 VwVG). Die
Be￿schwerde ist daher abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
6.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten in Höhe von
ins￿ge￿samt Fr. 600.-- dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63
Abs. 1 und 5 VwVG; Art. 1-3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über
die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht
[VGKE, SR 173.320.2]) und mit dem am 25. April 2008 in glei￿cher Höhe
geleisteten Kostenvorschuss zu verrechnen.
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(Dispositiv nächste Seite)
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
2.
Die Verfahrenskosten von Fr. 600.-- werden dem Beschwerdeführer
auferlegt und mit dem in gleicher Höhe geleisteten Kostenvorschuss
verrechnet.
3.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das BFM und die
zuständige kantonale Behörde.
Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:
Thomas Wespi Stefan Weber
Versand:
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Seite 14
Zustellung erfolgt an:
– den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers (Einschreiben)
– das BFM, Asyl und Rückkehr, Zentrale Verfahren und Rückkehr, mit
den Akten N_______ (per Kurier; in Kopie)
– G._______ (in Kopie)