D-1892/2011 - Abteilung IV - Nichteintreten auf Asylgesuch (sicherer Drittstaat) und Wegweisung - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung; Verf...
Karar Dilini Çevir:
D-1892/2011 - Abteilung IV - Nichteintreten auf Asylgesuch (sicherer Drittstaat) und Wegweisung - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung; Verf...
Bundesverwaltungsgericht
Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal
Abteilung IV
D-1892/2011
Urteil vom 6. April 2011
Besetzung Einzelrichter Bendicht Tellenbach,
mit Zustimmung von Richter Bruno Huber;
Gerichtsschreiberin Milva Franceschi.
Parteien A._______, geboren am (…),
dessen Lebenspartnerin B._______,
geboren am (…), und deren Tochter
C._______, geboren am (…),
Serbien,
Beschwerdeführende,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM), Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Gegenstand Vollzug der Wegweisung;
Verfügung des BFM vom 22. März 2011 / N (…).
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Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest,
dass die Beschwerdeführenden eigenen Angaben zufolge ihr Heimatland
am 17. Februar 2011 verlassen haben und mit dem Auto via Ungarn am
18. Februar 2011 in die Schweiz reisten, wo sie gleichentags um Asyl
nachsuchten,
dass sie am 1. März 2011 summarisch befragt und am 15. März 2011 zu
ihren Fluchtgründen angehört wurden (vgl. Art. 26 Abs. 2 und Art. 29
Abs. 1 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 [AsylG, SR 142.31]),
dass die Beschwerdeführenden – Roma aus Bujanovac – zur
Begründung ihrer Asylgesuche im Wesentlichen geltend machten, sie
seien arm und hätten Serbien aus wirtschaftlichen Gründen verlassen,
dass er (der Beschwerdeführer) seine Familie nicht mehr habe versorgen
können,
dass sie (die Beschwerdeführenden) keine finanzielle Unterstützung
durch die Gemeinde erhalten hätten, weil sie (die Beschwerdeführerin)
offiziell noch in D._______ und nicht in Bujanovac angemeldet sei,
dass die Verletzung, welche ihm (dem Beschwerdeführer) von einer
unbekannten Person zugefügt worden sei, medizinisch nicht habe
versorgt werden können, da dies von einem Polizisten verhindert worden
sei,
dass er seinen Traktor für die Reise in die Schweiz verkauft habe,
weshalb sie nun keine Lebensgrundlage mehr in Serbien hätten,
dass das BFM mit Verfügung vom 22. März 2011 – eröffnet am
24. März 2011 – in Anwendung von Art. 34 Abs. 1 i.V.m. Art. 6a Abs. 2
Bst. a AsylG auf das Asylgesuch nicht eintrat und die Wegweisung aus
der Schweiz sowie den Vollzug anordnete,
dass das BFM zur Begründung im Wesentlichen anführte, der Bundesrat
habe Serbien mit Beschluss vom 6. März 2009 als verfolgungssicheren
Staat (safe country) im Sinne von Art. 6a Abs. 2 Bst. a AsylG bezeichnet,
weshalb das BFM auf Asylgesuche serbischer Staatsbürger nicht
eintrete, ausser es gebe Hinweise auf Verfolgung,
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dass derartige Hinweise, welche die widerlegbare Vermutung der
Verfolgungssicherheit gemäss Art. 6a Abs. 2 Bst. a AsylG umstossen
könnten, im vorliegenden Fall aus den Akten jedoch nicht ersichtlich
seien,
dass der Wegweisungsvollzug zulässig, zumutbar, möglich und praktisch
durchführbar sei,
dass die Beschwerdeführenden mit Eingabe vom 29. März 2011 gegen
diesen Entscheid beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde erhoben
und dabei beantragten, die vorinstanzliche Verfügung vom 22. März 2011
sei im Wegweisungspunkt aufzuheben und aufgrund der Unzumutbarkeit
des Wegweisungsvollzuges sei ihnen die vorläufige Aufnahme zu
gewähren,
dass sie zudem das Gesuch stellten, es sei auf die Erhebung eines
Kostenvorschusses beziehungsweise der Verfahrenskosten zu
verzichten,
dass sie zur Begründung ausführten, es hätte von Amtes wegen eine
Einzelfallabklärung betreffend der Reintegrationsmöglichkeit der Familie
in ihrem Herkunftsland inklusive der Berücksichtigung des Kindeswohls
durchgeführt werden müssen,
dass die vorinstanzlichen Akten am 31. März 2011 beim
Bundesverwaltungsgericht eintrafen (Art. 109 Abs. 2 AsylG),
und zieht in Erwägung,
dass das Bundesverwaltungsgericht auf dem Gebiet des Asyls endgültig
über Beschwerden gegen Verfügungen (Art. 5 des Bundesgesetzes vom
20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren [VwVG,
SR 172.021]) des BFM entscheidet, ausser bei Vorliegen eines
Auslieferungsersuchens des Staates, vor welchem die
beschwerdeführende Person Schutz sucht (Art. 105 AsylG i. V. m.
Art. 31 – 33 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [VGG,
SR 173.32]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes vom
17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]),
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dass die Beschwerdeführenden am Verfahren vor der Vorinstanz
teilgenommen haben, durch die angefochtene Verfügung besonders
berührt sind, ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung
beziehungsweise Änderung haben und daher zur Einreichung der
Beschwerde legitimiert sind (Art. 105 AsylG und Art. 48 Abs. 1 VwVG),
dass somit auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde
einzutreten ist (Art. 108 Abs. 1 AsylG und Art. 52 VwVG),
dass mit Beschwerde die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige
oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und
die Unangemessenheit gerügt werden können (Art. 106 Abs. 1 AsylG),
dass über offensichtlich unbegründete Beschwerden in einzelrichterlicher
Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters entschieden wird
(Art. 111 Bst. e AsylG) und es sich vorliegend, wie nachfolgend
aufgezeigt, um eine solche handelt, weshalb der Beschwerdeentscheid
nur summarisch zu begründen ist (Art. 111a Abs. 2 AsylG),
dass gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG vorliegend auf einen
Schriftenwechsel verzichtet wurde,
dass die Ziffer 1 des Dispositivs der vorinstanzlichen Verfügung vom
22. März 2011 (die Frage des Nichteintretens) nicht angefochten worden
ist,
dass auch die Wegweisung als solche (Ziff. 2 des Dispositivs) mangels
entsprechenden Anspruchs auf Aufenthaltsbewilligung (vgl. dazu
Entscheidungen und Mitteilungen der [vormaligen] Schweizerischen
Asylrekurskommission [EMARK] 2001 Nr. 21) nicht zu überprüfen ist,
dass Gegenstand des Beschwerdeverfahrens somit einzig die Frage
bildet, ob das BFM den Wegweisungsvollzug zu Recht angeordnet hat
oder ob anstelle des Vollzugs die vorläufige Aufnahme anzuordnen ist
(Art. 44 Abs. 2 AsylG i.V.m. Art. 83 des Bundesgesetzes vom
16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG,
SR 142.20),
dass das Bundesamt das Anwesenheitsverhältnis nach den gesetzlichen
Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme von Ausländern regelt,
wenn der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar oder
nicht möglich ist (Art. 44 Abs. 2 AsylG; Art. 83 Abs. 1 AuG),
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dass bezüglich der Geltendmachung von Wegweisungshindernissen
gemäss ständiger Praxis des Bundesverwaltungsgerichts und der
vormaligen ARK der gleiche Beweisstandard wie bei der
Flüchtlingseigenschaft gilt, das heisst, sie sind zu beweisen, wenn der
strikte Beweis möglich ist und andernfalls wenigstens glaubhaft zu
machen (vgl. WALTER STÖCKLI, Asyl, in: Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser
[Hrsg.], Ausländerrecht, 2. Aufl., Basel 2009, Rz. 11.148),
dass der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig ist, wenn
völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise der
Ausländerin oder des Ausländers in den Heimat-, Herkunfts- oder einen
Drittstaat entgegenstehen (Art. 83 Abs. 3 AuG),
dass keine Person in irgendeiner Form zur Ausreise in ein Land
gezwungen werden darf, in dem ihr Leib, ihr Leben oder ihre Freiheit aus
einem Grund nach Art. 3 Abs. 1 AsylG gefährdet ist oder in dem sie
Gefahr läuft, zur Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden
(Art. 5 Abs. 1 AsylG; vgl. ebenso Art. 33 Abs. 1 des Abkommens vom
28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge [FK, SR 0.142.30]),
dass der Vollzug der Wegweisung vorliegend in Beachtung dieser
massgeblichen völker- und landesrechtlichen Bestimmungen zulässig ist,
da es den Beschwerdeführenden nicht gelungen ist, eine asylrechtlich
erhebliche Gefährdung nachzuweisen oder glaubhaft zu machen,
weshalb das in Art. 5 AsylG verankerte Prinzip des flüchtlingsrechtlichen
Non-Refoulement im vorliegenden Verfahren keine Anwendung findet
und keine Anhaltspunkte für eine menschenrechtswidrige Behandlung im
Sinne von Art. 25 Abs. 3 der Bundesverfassung der Schweizerischen
Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101), von Art. 3 des
Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere
grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe
(FoK, SR 0.105) und der Praxis zu Art. 3 der Konvention vom
4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101) ersichtlich sind, die den
Beschwerdeführenden im Heimat- oder Herkunftsland droht,
dass der Bundesrat mit Beschluss vom 19. März 2009 Serbien zum
sogenannten verfolgungssicheren Herkunftsstaat (safe country) im Sinne
von Art. 6a Abs. 2 AsylG erklärt hat und bisher von dieser Einschätzung
im Rahmen der periodischen Prüfung (vgl. Art. 6a Abs. 3 AsylG) nicht
abgewichen ist,
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dass sich der Vollzug für Ausländerinnen und Ausländer als unzumutbar
erweist, wenn sie im Heimat- oder Herkunftsstaat auf Grund von
Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizinischer
Notlage konkret gefährdet sind (Art. 83 Abs. 4 AuG),
dass angesichts der heutigen Lage in Serbien nicht von einer Situation
allgemeiner Gewalt oder kriegerischen respektive bürgerkriegsähnlichen
Verhältnissen gesprochen werden kann,
dass zwar Übergriffe von Privatpersonen auf Angehörige der Roma und
teilweise behördliche Schikanen sowie Diskriminierungen nicht völlig
ausgeschlossen werden können, indessen diese im Allgemeinen nicht ein
Ausmass erreichen, das den Wegweisungsvollzug in jedem Fall als
unzumutbar erscheinen liesse,
dass somit die Rückkehr der zur Volksgruppe der Roma zugehörigen
Beschwerdeführenden nach Serbien grundsätzlich zumutbar ist,
dass die allgemeine Lage für Roma aus Serbien in wirtschaftlicher und
sozialer Sicht zwar schwierig ist,
dass der Beschwerdeführer zusammen mit seinem volljährigen Sohn
(N …) jedoch bis einen Tag vor seiner Ausreise aus Serbien als Holzfäller
in der Landwirtschaft gearbeitet hat (Akte B1 S. 2),
dass die Beschwerdeführenden aussagten, sie seien ab und zu nach
Belgrad gereist und hätten dort gearbeitet (Akte B4 S. 6),
dass sie entsprechend über ein gewisses Einkommen verfügten,
dass der volljährige Sohn, der mit einer Niederlassungsbewilligung in der
Schweiz lebt (Akte B3 S. 3), und die drei Brüder des Beschwerdeführers,
die in der Region Bujanovac (Akte B3 S. 3) beziehungsweise die drei
Geschwister der Beschwerdeführerin, die in Serbien wohnhaft sind (Akte
B4 S. 3), die Beschwerdeführenden zumindest am Anfang nach ihrer
Rückkehr bei Bedarf unterstützen können, was sie im Übrigen teilweise
bereits getan hatten (Akte B4 S. 6),
dass die Familie bis ungefähr im Jahre 2003 mit einem Bruder des
Beschwerdeführers in einem eigenen Haus in Bujanovac gewohnt habe
(vgl. BFM-Akten des Sohnes N …, Akte A6 S. 2 F6),
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dass sie zwischenzeitlich bei den Eltern der Beschwerdeführerin gewohnt
hätten (Akte B7 S. 5 F29, Akte B8 S. 2 und S. 3 F6),
dass somit grundsätzlich eine Wohngelegenheit in ihrem Herkunftsort
existiert,
dass die Beschwerdeführenden demnach in der Lage sein dürften, sich
an ihrem bisherigen Wohnort wiederum eine Existenz aufzubauen, zumal
den Akten auch keine Hinweise auf aktuell behandlungsbedürftige
Krankheiten entnommen werden können,
dass entsprechend nicht davon auszugehen ist, sie würden im
Herkunftsort in eine existenzbedrohende Situation geraten, die als
konkrete Gefährdung im Sinne der zu beachtenden Bestimmung zu
werten wäre (Art. 83 Abs. 4 AuG),
dass nach dem Gesagten sich der Wegweisungsvollzug als zumutbar
erweist,
dass der Vollzug der Wegweisung den Beschwerdeführenden in den
Heimatstaat schliesslich möglich ist, da keine Vollzugshindernisse
bestehen (Art. 83 Abs. 2 AuG), und es den Beschwerdeführenden obliegt,
bei der Beschaffung gültiger Reisepapiere mitzuwirken (vgl. Art. 8 Abs. 4
AsylG und dazu auch BVGE 2008/34 E. 12 S. 513 - 515),
dass nach dem Gesagten der vom Bundesamt verfügte Vollzug der
Wegweisung zu bestätigen ist,
dass es den Beschwerdeführenden demnach nicht gelungen ist darzutun,
inwiefern die angefochtene Verfügung Bundesrecht verletzt, den
rechtserheblichen Sachverhalt unrichtig oder unvollständig feststellt oder
unangemessen ist (Art. 106 AsylG), weshalb die Beschwerde abzuweisen
ist,
dass aufgrund der Aussichtslosigkeit der Beschwerde auch das
sinngemässe Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege
gemäss Art. 65 Abs. 1 VwVG abzuweisen ist,
dass kein anderer besonderer Grund besteht, der es rechtfertigen würde,
ganz oder teilweise auf die Erhebung der Verfahrenskosten zu verzichten
(Art. 63 Abs. 1 VwVG in fine),
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dass bei diesem Ausgang des Verfahrens die Kosten von Fr. 600.--
(Art. 1 – 3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und
Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE,
SR 173.320.2]) den Beschwerdeführenden aufzuerlegen sind (Art. 63
Abs. 1 VwVG).
(Dispositiv nächste Seite)
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gemäss
Art. 65 Abs. 1 VwVG wird abgewiesen.
3.
Die Verfahrenskosten von Fr. 600.-- werden den Beschwerdeführenden
auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zu
Gunsten der Gerichtskasse zu überweisen.
4.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführenden, das BFM und die
zuständige kantonale Behörde.
Der Einzelrichter: Die Gerichtsschreiberin:
Bendicht Tellenbach Milva Franceschi
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