D-1053/2015 - Abteilung IV - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren) - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dubl...
Karar Dilini Çevir:
D-1053/2015 - Abteilung IV - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren) - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dubl...
B u n d e s v e rw a l t u ng s g e r i ch t
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i f f éd é r a l
T r i b u n a l e am m in i s t r a t i vo f e d e r a l e
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i v fe d e r a l








Abteilung IV
D-1053/2015/mel



Ur t e i l vom 2 1 . Ap r i l 2 0 1 5
Besetzung
Richterin Nina Spälti Giannakitsas (Vorsitz),
Richterin Claudia Cotting-Schalch, Richter Hans Schürch,
Gerichtsschreiber Lorenz Mauerhofer.

Parteien

A._______, geboren (…),
und ihre Kinder
B._______, geboren (…), und
C._______, geboren (…),
Kosovo,
vertreten durch MLaw Armend Maleta, Rechtsanwalt,
(…),
Beschwerdeführende,


gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM;
zuvor Bundesamt für Migration, BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.

Gegenstand

Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung
(Dublin-Verfahren);
Verfügung des SEM vom 3. Februar 2015 / N (…).



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Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest,
dass A._______ (die Beschwerdeführerin) mit ihren Kindern und ihrer jün-
geren Schwester D._______ (N …) am 23. Dezember 2014 – in einem Zug
von Österreich kommend – von der schweizerischen Grenzwacht angehal-
ten wurden,
dass sie und ihre Schwester bei dieser Gelegenheit vorbrachten, sie woll-
ten in der Schweiz verbleiben, worauf sie von der Grenzwacht über die
[örtlich zuständige] Kantonspolizei (…) dem nächstgelegenen Empfangs-
und Verfahrenszentrum des BFM (heute: SEM) zugeführt wurden,
dass dort sowohl die Beschwerdeführerin mit ihren Kindern als auch ihre
Schwester am 24. Dezember 2014 Asylgesuche einreichten,
dass noch am gleichen Tag aufgrund einer Abfrage der Eurodac-Daten-
bank festgestellt wurde, dass die Beschwerdeführerin und ihre Schwester
am Tag vor ihrer Einreise in die Schweiz bereits in Ungarn Asylanträge ge-
stellt hatten (sowohl illegale Einreise als auch Asylanträge in Ungarn ver-
zeichnet per 22. Dezember 2014),
dass die Beschwerdeführerin vom SEM am 6. Januar 2015 zu ihrer Person,
zum Verbleib ihrer Reise- und Identitätspapiere, zu ihrem Reiseweg und
summarisch zu ihren Gesuchsgründen befragt wurde (vgl. act. A6: Proto-
koll der Befragung zur Person),
dass sie dabei angab, sie sei eine Staatsangehörige von Kosovo albani-
scher Ethnie, sie habe während der letzten sechs Jahre mit ihrer Schwester
in der Ortschaft X._______ bei Y._______ in einer Mietwohnung gewohnt
und sie habe den Kosovo mit ihren Kindern verlassen, weil sie in der Hei-
mat ganz alleine für ihre Kinder aufkommen müsse und sie wirtschaftliche
Probleme habe, zumal sie seit Ende 2013 keine Sozialhilfe mehr erhalte,
und weil sie darüber hinaus an Tuberkulose leide, was im Kosovo längere
Zeit nicht erkannt worden sei,
dass sie ausserdem über vormals bestehende Probleme mit ihrem Ex-Ehe-
mann und dessen Familie respektive dessen Schwester berichtete, mit
welcher sie jetzt aber eigentlich "keine Probleme mehr" habe,
dass sie zu ihrem Reiseweg vorbrachte, sie habe den Kosovo am 19. De-
zember 2014 verlassen, indem sie mit ihren Kindern und ihrer Schwester
per Bus über Belgrad nach Subotica an die serbisch-ungarische Grenze
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gereist seien, wo sie die Grenze zu Ungarn mit Hilfe eines Schleppers und
im Verlauf eines fünfstündigen Fussmarsches überschritten hätten,
dass sie in Ungarn jedoch von der Polizei aufgegriffen worden seien, wo-
rauf sie von der ungarischen Polizei erst zu einem Zelt und danach – zu-
sammen mit zwei- bis dreihundert anderen Personen – nach einer fünf-
stündigen Busfahrt zu einem Gefängnis gebracht worden seien (gemäss
Verzeichnung in der Eurodac-Datenbank das Flüchtlingszentrum
Z._______ im Osten des Landes), wo sie registriert worden seien und man
ihre Fingerabdrücke abgenommen habe,
dass sie im Anschluss daran um ein Uhr nachts von den ungarischen Be-
hörden auf die Strasse gestellt worden seien, verbunden mit der Aufforde-
rung, das Land innert 24 Stunden wieder zu verlassen, worauf sie sich zum
nächsten Bahnhof begeben hätten und über Budapest und Wien in die
Schweiz weitergereist seien,
dass sich die Beschwerdeführerin auf Nachfrage hin gegen eine Rückkehr
nach Ungarn oder Österreich aussprach indem sie geltend machte, in Un-
garn habe sie kein Asylgesuch gestellt und in Österreich sei sie nur auf der
Durchreise gewesen (vgl. act. A6 Ziff. 8.01),
dass sie auf Nachfrage betreffend ihren Gesundheitszustand angab, phy-
sisch und psychisch gehe es ihr eher gut, sie vergesse aber viel, weil sie
psychisch belastet sei (vgl. act. A6 Ziff. 8.02),
dass sich in den Akten zwei kurze Arztberichte vom 5. und 29. Januar 2015
finden, worin über eine von Juni bis November 2014 durchgeführte und
damit abgeschlossene Behandlung wegen einer linksseitigen Lungen-Tu-
berkulose berichtet wird, welche aktuell keiner weiteren Behandlung be-
darf, jedoch einer Nachkontrolle mit Gewichtskontrolle in rund einem Monat
(vgl. dazu act. A18),
dass das SEM am 13. Januar 2015 – gestützt auf die Verordnung (EU)
Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni
2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mit-
gliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen
oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internatio-
nalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-VO) – ein Ersuchen um Wiederauf-
nahme der Beschwerdeführenden an Ungarn richtete,
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dass diesem Ersuchen von Ungarn mir Erklärung vom 19. Januar 2015
ausdrücklich entsprochen wurde,
dass das SEM in der Folge mit Verfügung vom 3. Februar 2015 (eröffnet
am 11. Februar 2015) in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b Asylgesetz
(AsylG, SR 142.31) auf das Asylgesuch der Beschwerdeführerin und ihrer
Kinder nicht eintrat und deren Wegweisung aus der Schweiz nach Ungarn
anordnete, wobei das Staatsekretariat in seinem Entscheid – unter Verweis
auf die einschlägigen Bestimmungen zum Dublin-Verfahren, die Verzeich-
nung der Beschwerdeführerin in der Eurodac-Datenbank als Asylantrag-
stellerin in Ungarn und die aus Ungarn eingegangene Erklärung betreffend
ihre Wiederaufnahme – festhielt, Ungarn sei für das Asylverfahren der Be-
schwerdeführenden zuständig und gegen eine Überstellung seien keine
rechtserheblichen Gründe vorgebracht worden,
dass sich das Staatssekretariat dabei insbesondere zu den in Ungarn seit
Sommer 2013 umgesetzten, massgeblichen Verbesserungen des Asylsys-
tems, dem seit Januar 2014 gesicherten Zugang zum ordentlichen Asylver-
fahren auch für Dublin-Rückkehrer, der mittlerweile hinreichenden Versor-
gung von Asylsuchenden und zur Frage der Unterbringung von Familien
und alleinerziehenden Frauen mit Kindern äusserte,
dass das SEM in seinem Entscheid sodann eine Ausreisefrist auf den Tag
nach Ablauf der Beschwerdefrist ansetzte, den Kanton Thurgau mit dem
Vollzug der Wegweisung beauftragte, zur Sicherstellung des Wegwei-
sungsvollzuges für höchstens 30 Tage Ausschaffungshaft anordnete, den
Kanton Thurgau mit dem Vollzug der Haft beauftragte, der Beschwerdefüh-
rerin die editionspflichtigen Akten aushändigte und festhielt, einer allfälligen
Beschwerde gegen diesen Entscheid komme keine aufschiebende Wir-
kung zu (vgl. dazu im Einzelnen die Akten),
dass gemäss Aktenlage das SEM am 4. Februar 2015 einen entsprechen-
den Entscheid auch im Falle der jüngeren Schwester der Beschwerdefüh-
rerin erliess, wobei dieser Nichteintretensentscheid (eröffnet am 10. Feb-
ruar 2015) unangefochten in Rechtskraft erwachsen ist,
dass die Beschwerdeführerin gegen den sie und ihre Kinder betreffenden
Nichteintretensentscheid am 18. Februar 2015 – handelnd durch ihren
Rechtsvertreter – Beschwerde erhob,
dass sie in ihrer Eingabe die Aufhebung der angefochtenen Verfügung [1],
die Festlegung der Zuständigkeit der Schweiz für ihr Asylverfahren [2], die
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Feststellung der Flüchtlingseigenschaft und die Gewährung von Asyl [3],
den Verzicht auf den Vollzug der Wegweisung [4], eventualiter die Rück-
weisung der Sache an die Vorinstanz zwecks ergänzender Untersuchun-
gen und neuem Entscheid [6] beantragte und um Erteilung der aufschie-
benden Wirkung der Beschwerde [5] ersuchte,
dass sie in einer separaten Rechtsschrift um Gewährung der unentgeltli-
chen Rechtspflege und Beiordnung ihres Rechtsvertreters als unentgeltli-
cher Rechtsbeistand ersuchte,
dass sie im Rahmen der Beschwerdebegründung vorab über angeblich in
der Heimat erlittene und für die Zukunft befürchtete Nachstellungen von-
seiten der Familie ihres Ex-Ehemannes berichtete, welche sie als asylrele-
vant erklärte, zumal ihr das kosovarische Justiz- und Polizeisystem keinen
adäquaten Schutz vor der geltend gemachten nichtstaatlichen Verfolgung
und Gefährdung biete, wobei sie zugleich geltend machte, zu ihren tatsäch-
lichen Gesuchsgründen sei sie vom SEM nicht hinreichend befragt worden,
dass sie im Folgenden namentlich vorbrachte, entgegen den vorinstanzli-
chen Erwägungen habe sie in Ungarn zu keinem Zeitpunkt ein Asylgesuch
gestellt, sondern sie habe sich dort nach ihrer Ergreifung an der Grenze
lediglich aus Angst und unter Zwang der ungarischen Polizei ihre Finger-
abdrücke abnehmen lassen und ein Blatt unterschrieben,
dass sie und ihre Kinder nach der Registrierung von der ungarischen Poli-
zei mitten in der Nacht auf die Strasse gestellt worden seien, worauf sie
umgehend in die Schweiz weitergereist sei, zumal sie von Beginn weg ih-
ren Asylantrag hier habe einreichen wollen, was durch ihre rasche Weiter-
reise von Ungarn in die Schweiz untermauert werde,
dass vor diesem Hintergrund von einer erstmaligen Asylantragstellung
nicht in Ungarn, sondern in der Schweiz auszugehen sei, wäre doch ein
allfälliger Antrag in Ungarn als nichtig zu betrachten, da ihr dort ihre Fin-
gerabdrücke nur unter Zwang und zudem ohne Kenntnis der Rechtsfolgen
abgenommen worden seien,
dass die Beschwerdeführerin im Anschluss daran gegen eine Überstellung
nach Ungarn einwendete, die dort für Asylsuchende herrschenden Verhält-
nisse würden sich massiv schlechter darstellen, als in der angefochtenen
Verfügung erwogen, zumal die Feststellungen des SEM betreffend eine bis
zum Frühjahr 2014 erfolgte Verbesserung der Verhältnisse in Ungarn durch
die jüngsten Entwicklungen, mithin durch den Zustrom von über 50'000
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Menschen alleine aus dem Kosovo, welche in den letzten Monaten über
Serbien nach Ungarn gelangt seien, längst überholt seien,
dass in Anbetracht ihrer persönlichen Erlebnisse in Ungarn und vor dem
Hintergrund der Berichte zu Ungarn in albanischen Medien davon ausge-
gangen werden müsse, aufgrund der dort herrschenden Verhältnisse
werde sie in Ungarn in ihren Grundrechten verletzt werden,
dass eine Rückführung ohne individuelle Garantien im Sinne der Recht-
sprechung des EGMR in Sachen Tarakhel gegen die Schweiz (Application
No. 29217/12, Urteil vom 4. November 2014) nicht akzeptabel wäre, mithin
es der Garantie bedürfte, dass sie und ihre Kinder eine dem Alter der Kin-
der entsprechende Betreuung erhalten und als Familie gemeinsam unter-
gebracht werden, was mangels detaillierter und glaubwürdiger Informatio-
nen über die Betreuung von Flüchtlingen jedoch nicht sichergestellt sei,
zumal das ungarische Asylwesen mit der aktuellen Flüchtlingswelle aus
dem Balkan überfordert sei,
dass für die weiteren Beschwerdevorbringen – soweit nicht nachfolgend
darauf eingegangen wird – auf die Akten zu verweisen ist,
dass nach Eingang der Beschwerde der Vollzug der Wegweisung mittels
Telefax vom 20. Februar 2015 einstweilen ausgesetzt wurde,
dass mit Zwischenverfügung vom 26. Februar 2015 den Gesuchen um Er-
teilung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde und um Erlass der
Verfahrenskosten entsprochen wurde, wogegen das Gesuch um unentgelt-
liche Rechtsverbeiständung abgewiesen wurde,
dass das SEM in seiner Vernehmlassung vom 3. März 2015 an der ange-
fochtenen Verfügung festhielt und die Abweisung der Beschwerde bean-
tragte, wobei das Staatssekretariat seine bisherigen Erwägungen betref-
fend die ordnungsgemässe Zuständigkeit Ungarns für die Behandlung der
Asylanträge der Beschwerdeführenden und betreffend die grundsätzliche
Verlässlichkeit des ungarischen Asylsystems bekräftigte,
dass das Staatsekretariat den Wegweisungsvollzug nach Ungarn noch-
mals als zulässig und zumutbar erklärte, zumal die früheren Mängel des
ungarischen Asylsystems weitgehend ausgeräumt worden seien, wobei
das Staatssekretariat im Rahmen seiner diesbezüglichen Ausführungen
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nochmals bekräftigte, zum heutigen Zeitpunkt könne die Beschwerdefüh-
rerin als alleinstehende Frau mit Kindern in Ungarn mit einer gebührenden
Unterbringung rechnen,
dass für die weiteren Ausführungen des SEM – soweit nicht nachfolgend
darauf eingegangen wird – auf die Akten zu verweisen ist,
dass die Beschwerdeführerin mit Zwischenverfügung vom 5. März 2015
zur Stellungnahme eingeladen wurde, sie die ihr angesetzte Frist zur Rep-
lik jedoch unbenutzt verstreichen liess,

und zieht in Erwägung,
dass das Bundesverwaltungsgericht auf dem Gebiet des Asyls endgültig
über Beschwerden gegen Verfügungen des SEM entscheidet, ausser
– was vorliegend nicht der Fall ist – bei Vorliegen eines Auslieferungsge-
suches des Staates, vor welchem die beschwerdeführende Person Schutz
sucht (vgl. Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 31 und 33 Verwaltungsgerichtsgesetz
[VGG, SR 173.32] sowie Art. 83 Bst. d Ziff. 1 Bundesgerichtsgesetz [BGG,
SR 173.110]),
dass sich das Verfahren nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG,
SR 172.021) richtet, soweit das VGG oder das AsylG nichts anderes be-
stimmen (Art. 37 VGG; Art. 6 und 105 ff. AsylG),
dass im asylrechtlichen Beschwerdeverfahren die Verletzung von Bundes-
recht (einschliesslich Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) und
die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen
Sachverhalts gerügt werden kann (Art. 106 Abs. 1 AsylG),
dass die Beschwerdeführerin legitimiert ist (Art. 48 Abs. 1 VwVG) und sich
ihre Eingabe als frist- und formgerecht erweist (Art. 108 Abs. 2 AsylG;
Art. 52 Abs. 1 VwVG), womit auf die Beschwerde – unter Vorbehalt der
nachfolgenden Erwägungen – einzutreten ist,
dass die Beurteilung von Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide,
mit denen es das SEM ablehnt, ein Asylgesuch auf seine materielle Be-
gründetheit hin zu überprüfen, grundsätzlich auf die Überprüfung der Frage
beschränkt ist, ob das Staatssekretariat zu Recht auf das Gesuch nicht
eingetreten ist, weshalb sich das Bundesverwaltungsgericht – sofern es
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den Nichteintretensentscheid als unrechtmässig erachtet – einer selbstän-
digen materiellen Prüfung enthält, die angefochtene Verfügung aufhebt
und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückweist (vgl.
dazu BVGE 2012/4 E. 2.2 m.w.H.),
dass demzufolge auf die Begehren um Feststellung der Flüchtlingseigen-
schaft und die Gewährung von Asyl nicht einzutreten ist,
dass im vorliegenden Verfahren wie erwähnt die Frage der materiellen Be-
gründetheit des Asylgesuches nicht zu überprüfen ist, sondern lediglich, ob
der angefochtene Nichteintretensentscheid den massgeblichen Bestim-
mungen zum Dublin-Verfahren genügt, womit es betreffend die von der Be-
schwerdeführerin vorgebrachten Gesuchsgründen keiner weiteren Abklä-
rungen bedarf,
dass es – wie nachfolgend aufgezeigt – auch keiner einzelfallspezifischer
Abklärungen betreffend Ungarn bedarf, respektive der Einholung von Ga-
rantien aus diesem Dublin-Vertragsstaat, sondern der entscheidrelevante
Sachverhalt in dieser Hinsicht aufgrund der bestehenden Aktenlage als
hinreichend erstellt zu erkennen ist, womit die beantragte Rückweisung der
Sache an die Vorinstanz ausser Betracht fällt,
dass auf Asylgesuche in der Regel nicht eingetreten wird, wenn Asylsu-
chende in einen Drittstaat ausreisen können, welcher für die Durchführung
des Asyl- und Wegweisungsverfahrens staatsvertraglich zuständig ist
(Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG),
dass die Beschwerdeführerin aktenkundig am 22. Dezember 2014 in Un-
garn zuerst wegen illegaler Einreise und anschliessend wegen der Stellung
eines Asylantrages registriert worden ist und sie nur einen Tag später von
Österreich kommend in die Schweiz gelangt ist,
dass bei dieser Sachlage – gemäss der vom SEM erwähnten Bestimmung
von 18 Abs. 1 Bst. b Dublin-III-VO – Ungarn für die Prüfung ihres Asylan-
trages zuständig ist, was von Ungarn mit Abgabe der Erklärung vom 19.
Januar 2015 betreffend die Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin und
ihrer Kinder ausdrücklich anerkannt worden ist,
dass bei dieser Sachlage die Grundlage für einen Nichteintretensentscheid
in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG gegeben ist,
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dass die anders lautenden Beschwerdevorbringen vor dem Hintergrund
der massgeblichen Bestimmungen zum Dublin-Verfahren nicht überzeu-
gen können,
dass die Beschwerdeführerin zwar einwendet, sie habe in Ungarn gar nie
ein Asylgesuch eingereicht respektive dort gar nie ein Asylgesuch einrei-
chen wollen, zumal von Beginn weg die Schweiz ihr Ziel gewesen sei,
dass ihr in dieser Hinsicht jedoch mit der Vorinstanz entgegenzuhalten ist,
dass es nicht die Sache der asylsuchenden Person ist, den für ihr Asylver-
fahren zuständigen Staat selbst zu bestimmen, sondern die Bestimmung
des zuständigen Staates nach der Dublin-III-VO erfolgt und alleine den be-
teiligten Dublin-Vertragsstaaten obliegt (vgl. dazu BVGE 2010/45 E. 8.3),
dass aufgrund der Aktenlage, mithin der entsprechenden Verzeichnung in
der Eurodac-Datenbank, kein Zweifel daran bestehen kann, dass die Be-
schwerdeführerin in Ungarn einen Asylantrag gestellt hat, wobei anzumer-
ken bleibt, dass sie in ihren anderslautenden Ausführungen ohnehin ver-
kennt, dass für die Bestimmung des zuständigen Staates die Frage nach
einer vorgängigen Asylantragstellung von vornherein nicht alleine aus-
schlaggebend ist, sondern bereits ihre illegale Einreise nach Ungarn die
Zuständigkeit dieses Dublin-Vertragsstaates begründet hat (vgl. dazu
Art. 13 Abs. 1 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Bst. a Dublin-III-VO),
dass die Beschwerdeführerin gegen eine Rückführung in ihr Erstasylland
zur Hauptsache einwendet, die in Ungarn für Asylsuchende herrschenden
Verhältnisse seien aufgrund einer völligen Überlastung des dortigen Asyl-
systems untragbar,
dass in diesem Zusammenhang zunächst festzuhalten bleibt, dass Ungarn
Signatarstaat der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101), des Überein-
kommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame,
unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (FoK,
SR 0.105) und des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung
der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30) sowie des Zusatzprotokolls der FK vom
31. Januar 1967 (SR 0.142.301) ist,
dass sich das Bundesverwaltungsgericht in einem Leiturteil eingehend mit
der aktuellen Lageentwicklung für Asylsuchende in Ungarn auseinander-
gesetzt (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts E-2093/2012 vom
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9. Oktober 2013) und mit Blick auf die Situation von Asylsuchenden in Un-
garn festgestellt hat, es sei nicht vom Vorhandensein systemischer Mängel
auszugehen,
dass an dieser Einschätzung auch der Zustrom von Gesuchstellern aus
dem Kosovo, mit welchem sich Ungarn konfrontiert sieht, nichts zu ändern
vermag,
dass diese Bewegungen gemäss den erwähnten Berichten in der Mehrzahl
nicht vor dem Hintergrund einer aktuellen Bedrohungslage erfolgen, son-
dern – schon fünfzehn Jahre nach Ende des Kosovo-Krieges und bald sie-
ben Jahre nach Erreichen der Eigenstaatlichkeit des Kosovo – vorab aus
wirtschaftlichen Gründen, worauf zumindest in den Grundzügen auch von
der Beschwerdeführerin verwiesen wurde (vgl. act. A6 Ziff. 7.01, insbeson-
dere ihre Zusammenfassung am Ende dieser Ziffer),
dass sich daher aus diesen Bewegungen für das ungarische Asylsystem
soweit ersichtlich keine untragbare Mehrbelastung ergeben hat, zumal Un-
garn von der genannten Personengruppe gemäss den in diesem Punkt
übereinstimmenden Berichten weit überwiegend bloss als Transitland ge-
nutzt wird, wobei Asylanträge sehr oft nur eingereicht werden dürften, um
nach einer Anhaltung an der ungarischen Grenze einer sofortigen Rück-
weisung nach Serbien zu entgehen,
dass die Beschwerdeführerin demnach aus der Bestimmung von Art. 3
Abs. 2 (zweiter Untersatz) Dublin-III-VO nichts für sich ableiten kann,
dass sodann in Abweichung der erwähnten Zuständigkeitskriterien die
Schweiz ein Asylgesuch in Anwendung von Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO
materiell prüfen kann, auch wenn nach den in der Verordnung vorgesehe-
nen Kriterien ein anderer Staat zuständig ist (sog. Selbsteintrittsrecht), wo-
bei diese Bestimmung nicht direkt anwendbar ist, sondern nur in Verbin-
dung mit einer anderen Norm des nationalen oder internationalen Rechts
angerufen werden kann (vgl. BVGE 2010/45 E. 5 S. 635 f.),
dass Art. 29a Abs. 3 AsylV 1 in diesem Sinne vorsieht, dass das SEM auch
aus humanitären Gründen ein Gesuch behandeln kann, auch wenn nach
den Kriterien der Dublin-III-Verordnung ein anderer Staat zuständig ist, wo-
bei diese Bestimmung den Behörden einen gewissen Ermessensspielraum
lässt und restriktiv auszulegen ist (vgl. BVGE 2011/9 E. 4.1 S. 114 f., BVGE
2010/45 E. 8.2.2 S. 643 f.),
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dass hingegen bei drohendem Verstoss gegen Normen des Völkerrechts,
wie insbesondere das flüchtlingsrechtliche Refoulement-Verbot nach
Art. 33 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der
Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30), die Konvention vom 4. November 1950 zum
Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101), den
Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II,
SR 0.103.2) oder das Übereinkommen vom 10. Dezember 1984 gegen
Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behand-
lung oder Strafe (FoK, SR 0.105), ein einklagbarer Anspruch auf Ausübung
des Selbsteintrittsrechts besteht (vgl. BVGE 2010/45 E. 7.2 S. 636 f.),
dass sich gemäss Praxis des Bundesverwaltungsgerichts die Vermutung,
Ungarn beachte die den betroffenen Personen im Gemeinsamen Europäi-
schen Asylsystem zustehenden Grundrechte in angemessener Weise,
nicht mehr ohne weiteres aufrechterhalten lässt und im Einzelfall geprüft
werden muss, ob eine Überstellung dorthin zulässig ist, wobei der Zure-
chenbarkeit der Beschwerdeführenden zu einer besonders verletzlichen
Personengruppe Rechnung zu tragen sei (vgl. Urteil E-2093/2012 E. 9 ff.),
dass jedoch die Einschätzung des SEM, im vorliegenden Fall müsse nicht
von einer drohenden Gefährdung im Sinne einer völkerrechtswidrigen Be-
handlung ausgegangen werden, vorliegend geschützt werden kann,
dass der Kommissar für Menschenrechte des europäischen Rates, in sei-
nem Bericht zu Ungarn vom 16. Dezember 2014 (Report by Nils Muižnieks,
Commissioner for Human Rights of the Council of Europe, Following his
visit to Hungary from 1 to 4 July 2014) festgestellt hat, dass sich die Ver-
hältnisse in Ungarn seit Sommer 2013 grundsätzlich verbessert hätten, und
zwar insbesondere für Familien mit Kindern und für alleinstehende Frauen,
indem diese auch nicht mehr in Asylhaftzentren interniert würden (vgl.
a.a.O. Rz. 160),
dass demnach nicht davon ausgegangen werden muss, der Beschwerde-
führerin drohe in Ungarn Haft,
dass das SEM in seinem Entscheid weiter in detaillierter und insgesamt
überzeugender Weise aufgezeigt hat, dass davon auszugehen ist, Ungarn
werde vorliegend seinen Verpflichtungen nachkommen, indem der Zugang
zum ordentlichen Asylverfahren auch im Falle von Dublin-Rückkehrern ga-
rantiert ist und von Ungarn grundsätzlich auch eine hinreichende Versor-
gung (Unterkunft, Verpflegung und medizinische Behandlung) zur Verfü-
gung gestellt werde,
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dass das SEM dabei ausdrücklich auf die Praxis der ungarischen Behör-
den, die Familien bei der Unterbringung nicht zu trennen, wie auch auf die
Möglichkeit medizinischer Versorgung hinweist,
dass die Beschwerdeführerin zwar als alleinerziehende Mutter zweier Kin-
der im Alter von sechs und zehn Jahren grundsätzlich einer verletzlichen
Personengruppe zuzurechnen ist,
dass aber aufgrund der Aktenlage mit der Vorinstanz davon ausgegangen
werden darf, nach ihrer Überstellung nach Ungarn könne die Beschwerde-
führerin dennoch gegenüber den dort zuständigen Behörden ihre Rechte
wahrnehmen und vor Ort werde ihr und ihren Kindern eine hinreichende
Lebensgrundlage zur Verfügung gestellt,
dass in diesem Zusammenhang insbesondere zu beachten ist, dass die
Beschwerdeführenden keine gesundheitlichen Probleme haben und sich
auch keinerlei Anzeichen auf eine Traumatisierung oder besonders belas-
tende Erlebnisse ergeben,
dass zudem auch die jüngere Schwester beziehungsweise Tante, mit der
die Beschwerdeführenden die Reise in die Schweiz angetreten haben,
nach Ungarn zurückkehren muss,
dass aufgrund der Aktenlage immerhin festzuhalten bleibt, dass die Vor-
instanz und die für den Vollzug der Wegweisung zuständige kantonale Be-
hörde der ausgeheilten Tuberkulose-Erkrankungen der Beschwerdeführe-
rin, insofern Rechnung zu tragen haben, als die Beschwerdeführerin vor
ihrer Überstellung bei den zuständigen ungarischen Behörden als soge-
nannter Medizinalfall anzumelden ist, da damit in der Praxis sichergestellt
wird, dass eine andauernde Behandlung nicht durch die Umsetzung des
Wegweisungsvollzuges unterbrochen wird, respektive im vorliegenden
Fall, dass eine gegebenenfalls notwendige Nachkontrolle nicht unterbleibt,
dass diesen Erwägungen gemäss für die Behandlung des Asylantrages der
Beschwerdeführerin und ihrer Kinder Ungarn zuständig ist und aufgrund
der Akten keine Gründe ersichtlich sind, welche zu einem Selbsteintritt auf
das Gesuch in Anwendung der Ermessensklausel gemäss Art. 17 Abs. 1
Dublin-III-VO führen würden, indem die Schweiz aus völkerrechtlichen
Gründen geradezu verpflichtet wäre, sich für das Gesuch als zuständig zu
erklären (vgl. dazu BVGE 2010/45 E. 5),
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dass die Beschwerdeführenden auch aus der Bestimmung von Art. 29a
Abs. 3 Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 (AsylV 1, SR 142.311)
nichts für sich ableiten können, zumal die Bestimmung von Art. 29a Abs. 3
AsylV1 (i.V.m. Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO) dem SEM einen Ermessens-
spielraum einräumt und vor dem Hintergrund der persönlichen Situation
der Beschwerdeführenden und der genügenden Auseinandersetzung des
Staatssekretariats mit dieser kein Anlass zur Annahme besteht, das Staats-
sekretariat hätte seinen Ermessensspielraum nicht ordnungsgemäss ge-
nutzt, womit jedenfalls keine Rechtsverletzung (im Sinne von Art. 106 Abs.
1 AsylG) ersichtlich ist,
dass diesen Erwägungen gemäss auch keine Situation vorliegt, die es er-
fordern würde, dass von Ungarn eine Einzelfallgarantie einzuverlangen
wäre, womit das Beschwerdevorbringen betreffend einen angeblich weite-
ren Abklärungsbedarf im Sinne des EGMR-Urteils Tarakhel gegen die
Schweiz vom 4. November 2014, worin sich der EGMR tatsächlich nicht zu
Ungarn, sondern zu Italien ausgesprochen hat, ins Leere zielen,
dass nach dem Gesagten der Nichteintretensentscheid des SEM in An-
wendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG zu bestätigen ist,
dass die Anordnung der Wegweisung nach Ungarn der Systematik des
Dublin-Verfahrens entspricht, im Einklang mit der Bestimmung von Art. 44
AsylG steht und ebenfalls zu bestätigen ist,
dass in diesem Zusammenhang festzuhalten bleibt, dass im Rahmen des
Dublin-Verfahrens – einem Überstellungsverfahren in den für die Behand-
lung des Asylgesuches zuständigen Staat – systembedingt kein Raum
bleibt für eine Ersatzmassnahme für den Wegweisungsvollzug im Sinne
von Art. 44 AsylG in Verbindung mit Art. 83 Abs. 1-4 Ausländergesetz (AuG,
SR 142.20), sondern eine entsprechende Prüfung soweit notwendig be-
reits im Rahmen des Nichteintretensentscheides stattfinden muss (vgl.
dazu vorstehende Erwägungen),
dass in diesem Sinne das SEM den Vollzug der Wegweisung nach Ungarn
zu Recht als zulässig, zumutbar und möglich erklärt hat,
dass nach vorstehenden Erwägungen die angefochtene Verfügung zu be-
stätigen und die eingereichte Beschwerde abzuweisen ist,
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dass bei diesem Ausgang des Verfahrens der Beschwerdeführerin grund-
sätzlich Kosten aufzuerlegen wären (Art. 63 Abs. 1 VwVG), von einer Kos-
tenauflage jedoch abzusehen ist, da ihrem Gesuch um Erlass der Verfah-
renskosten (im Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG) im Rahmen der Zwischen-
verfügung vom 26. Februar 2015 entsprochen wurde.


(Dispositiv nächste Seite)
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird – soweit darauf einzutreten ist – abgewiesen.
2.
Es werden keine Verfahrenskosten auferlegt.
3.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführenden, das SEM und die zustän-
dige kantonale Behörde.

Die vorsitzende Richterin: Der Gerichtsschreiber:

Nina Spälti Giannakitsas Lorenz Mauerhofer


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