C-790/2006 - Abteilung III - Einreise - Verweigerung der Einreisebewilligung
Karar Dilini Çevir:
C-790/2006 - Abteilung III - Einreise - Verweigerung der Einreisebewilligung
Abtei lung II I
C-790/2006
{T 0/2}
U r t e i l v o m 2 0 . N o v e m b e r 2 0 0 7
Richter Antonio Imoberdorf (Kammerpräsident),
Richter Blaise Vuille, Richterin Ruth Beutler,
Gerichtsschreiber Rudolf Grun.
A._______,
Beschwerdeführer,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM), Quellenweg 6,
3003 Bern,
Vorinstanz.
Verweigerung der Einreisebewilligung in Bezug auf
N._______.
B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l
T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l
Besetzung
Parteien
Gegenstand
C-790/2006
Sachverhalt:
A.
Der 1985 im Kosovo geborene N._______ beantragte am 7. März
2006 beim Schweizerischen Verbindungsbüro in Pristina ein Visum für
einen einmonatigen Besuchsaufenthalt bei seinem im Kanton Luzern
wohnhaften Bruder A._______ (Beschwerdeführer) und dessen Fami-
lie. Nach formloser Verweigerung übermittelte die Schweizerische Ver-
tretung das Gesuch zur Prüfung und zum Entscheid an die Vorinstanz.
B.
Nachdem das Migrationsamt des Kantons Luzern beim Beschwerde-
führer ergänzende Auskünfte eingeholt hatte, wies die Vorinstanz mit
Verfügung vom 12. Mai 2006 das Einreisegesuch mit der Begründung
ab, der Gesuchsteller stamme aus einer Region, aus welcher der Zu-
wanderungsdruck als Folge der dort herrschenden wirtschaftlichen
und soziokulturellen Verhältnisse bekannterweise nach wie vor stark
anhalte. Viele seiner Landsleute versuchten, ihren Aufenthalt in der
Schweiz durch Ausschöpfung sämtlicher rechtlicher Mittel zu verlän-
gern, um sich so in Umgehung der bundesrätlichen Begrenzungs-
massnahmen eine vermeintlich bessere Zukunft aufzubauen. Im Wei-
tern oblägen dem Eingeladenen in seinem Ursprungsland weder zwin-
gende gesellschaftliche Verpflichtungen noch familiäre Verantwortlich-
keiten, die gegebenenfalls Gewähr für eine fristgerechte Rückkehr bie-
ten könnten.
C.
Mit Verwaltungsbeschwerde an das Eidgenössische Justiz- und Poli-
zeidepartement (EJPD) vom 14. Juni 2006 beantragt der Beschwerde-
führer sinngemäss die Aufhebung der vorinstanzlichen Verfügung und
die Erteilung des gewünschten Besuchervisums und versichert, dass
sein Bruder nach dem Besuchsaufenthalt fristgerecht an seinen Ar-
beitsplatz in seinem Heimatland zurückkehren werde.
D.
In ihrer Vernehmlassung vom 17. August 2006 spricht sich die Vorin-
stanz für die Abweisung der Beschwerde aus. Ergänzend führt sie da-
bei aus, dass der Gesuchsteller jung und unverheiratet sei. Aufgrund
des eingereichten Arbeitsvertrages, welcher nur eine befristete Anstel-
lung vom 1. Mai 2005 bis 30. Dezember 2005 belege, sei davon auszu-
gehen, dass er auch keine beruflichen Verpflichtungen habe.
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E.
Der Beschwerdeführer hält in seiner Replik vom 19. September 2006
(Datum des Poststempels) unter Hinweis auf die gleichzeitig einge-
reichte Übersetzung einer Arbeitsbescheinigung vom "20. September
2006" an seiner Beschwerde fest.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Verfügungen des BFM betreffend Verweigerung der Einreisebewilli-
gung unterliegen der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht
(Art. 20 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufent-
halt und Niederlassung der Ausländer [ANAG, SR 142.20] i.V.m. 31
und Art. 33 Bst. d des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005
[VGG, SR 173.32]. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Verwaltungs-
gerichts bereits beim EJPD hängige Rechtsmittelverfahren werden
vom Bundesverwaltungsgericht übernommen. Die Beurteilung erfolgt
nach neuem Verfahrensrecht (Art. 53 Abs. 2 VGG). Das Urteil ist end-
gültig (Art. 1 Abs. 2 VGG i.V.m. Art. 83 Bst. c Ziff. 1 des Bundesge-
richtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]). Gemäss Art. 37
VGG richtet sich das Verfahren nach dem Bundesgesetz vom 20. De-
zember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021).
2.
Der Beschwerdeführer ist als "Mitbeteiligter" (Bruder und zugleich
Gastgeber) gemäss Art. 20 Abs. 2 ANAG zur Beschwerde legitimiert;
auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten
(Art. 48 ff. VwVG).
3.
Ausländer/-innen sind zur Anwesenheit in der Schweiz berechtigt,
wenn sie eine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung besitzen
oder wenn sie keiner solchen bedürfen (vgl. Art. 1a ANAG). Die Behör-
de entscheidet, im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Ver-
träge mit dem Ausland, nach freiem Ermessen über die Bewilligung
von Aufenthalt oder Niederlassung (Art. 4 ANAG). Daher räumt das
schweizerische Recht weder einen Anspruch auf Einreise noch auf Er-
teilung eines Visums ein (vgl. PETER UEBERSAX, Einreise und Anwesen-
heit, in: PETER UEBERSAX/PETER MÜNCH/THOMAS GEISER/MARTIN ARNOLD
(Hrsg.), Ausländerrecht, Ausländerinnen und Ausländer im öffentlichen
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Recht, Privatrecht, Steuerrecht und Sozialrecht der Schweiz,
Basel/Genf/München 2002, S. 143). Dem behördlichen Ermessen steht
somit im Falle der Erteilung einer Einreisebewilligung ein weiterer
Spielraum offen als beispielsweise bei der Verlängerung einer allmäh-
lich den Vertrauensschutz verfestigenden Anwesenheitserlaubnis.
4.
4.1 Ausländerinnen und Ausländer benötigen zur Einreise in die
Schweiz neben einem Pass ein Visum, sofern sie nicht aufgrund be-
sonderer Regelung von diesem Erfordernis ausgenommen sind (vgl.
Art. 1, Art. 3 und Art. 4 der Verordnung vom 14. Januar 1998 über Ein-
reise und Anmeldung von Ausländerinnen und Ausländern [VEA, SR
142.211]). Der Gesuchsteller kann sich auf keine Ausnahmeregelung
berufen; er ist aufgrund seiner Staatsangehörigkeit visumpflichtig.
4.2 Das Visum kann erteilt werden, wenn die Ausländerin oder der
Ausländer die Einreisevoraussetzungen nach Art. 1 VEA erfüllt (vgl.
Art. 9 Abs. 1 VEA, Art. 14 Abs. 1 VEA e contrario). So müssen Perso-
nen, die in die Schweiz reisen möchten, unter anderem Gewähr bie-
ten, dass sie fristgerecht wieder ausreisen werden (Art. 1 Abs. 2 Bst. c.
VEA). Dazu lassen sich jedoch, da ein künftiges Verhalten zu beurtei-
len ist, in der Regel keine gesicherten Feststellungen, sondern ledig-
lich Voraussagen machen. Dabei sind sämtliche Umstände des kon-
kreten Einzelfalles zu würdigen.
5.
Anhaltspunkte zur Beurteilung der fristgerechten Wiederausreise kön-
nen sich aus der allgemeinen Lage im Herkunftsland der Besucherin
oder des Besuchers ergeben. Dabei rechtfertigt es sich durchaus, Ein-
reisegesuchen von Bürgerinnen und Bürgern aus Staaten oder Regio-
nen mit politisch respektive wirtschaftlich vergleichsweise ungünstigen
Verhältnissen zum Vornherein mit Zurückhaltung zu begegnen, da die
persönliche Interessenlage in solchen Fällen häufig nicht mit dem Ziel
und Zweck einer zeitlich befristeten Einreisebewilligung in Einklang
steht. Daneben sind aber auch sämtliche Gesichtspunkte des konkre-
ten Einzelfalles zu berücksichtigen. Obliegt einem Gesuchsteller bzw.
einer Gesuchstellerin im Heimatstaat beispielsweise eine besondere
berufliche, gesellschaftliche oder familiäre Verantwortung, kann dieser
Umstand durchaus die Prognose für eine anstandslose
Wiederausreise begünstigen. Umgekehrt muss bei Gesuchstellern und
Gesuchstellerinnen, die in ihrer Heimat keine der erwähnten
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Verpflichtungen haben, die sie von einer möglichen Emigration
abhalten könnten, aufgrund entsprechender Erfahrungen das Risiko
eines fremdenpolizeilich nicht vorschriftsgemässen Verhaltens (nach
bewilligter Einreise zu einem Besuchsaufenthalt) hoch eingeschätzt
werden.
5.1 Die politische und wirtschaftliche Situation in Serbien und in der
von der UNMIK verwalteten Provinz Kosovo ist weiterhin schwierig. Die
Arbeitslosigkeit ist hoch (2005: Serbien rund 20 %, Provinz Kosovo
mehr als 40 %) und 37 % der Bevölkerung der Provinz Kosovo lebten
gemäss den Zahlen der Weltbank für das Jahr 2006 unter der Armuts-
grenze (vgl. Country Brief 2006, auf der Website der Weltbank > Coun-
tries > Kosovo > Overview > Economy, ,
besucht am 5. November 2007). Der Zuwanderungsdruck ist daher
hoch, was sich auch in der schweizerischen Asylstatistik widerspiegelt,
in der Serbien im Jahre 2006 mit 11.6 % die grösste Gruppe von Asyl-
suchenden stellte. Dabei sind insbesondere die jüngeren Generatio-
nen von der schwierigen Wirtschaftslage betroffen.
5.2 Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung, dass die Be-
reitschaft auszuwandern, erfahrungsgemäss dort begünstigt wird, wo
bereits Verwandte oder Bekannte im Ausland leben, ist die Beurteilung
der Vorinstanz, die das Risiko einer nicht fristgerechten Wiederausrei-
se als relativ hoch einschätzte, nicht zu beanstanden. Es wäre jedoch
zu schematisch und nicht haltbar, generell und ohne spezifische An-
haltspunkte ausschliesslich aufgrund der allgemeinen Lage im Her-
kunftsland auf eine nicht hinreichend gesicherte Wiederausreise zu
schliessen.
5.3 Beim Gesuchsteller handelt es sich um einen 22-jährigen, ledigen
und kinderlosen Mann, der in seiner Heimat offensichtlich keine
familiären und gesellschaftlichen Verpflichtungen hat. Auch geht er
noch nicht lange einer Erwerbstätigkeit nach. Aus den Akten ergibt
sich diesbezüglich, dass er vom 1. Mai 2005 bis 30. Dezember 2005
beim Unternehmen X._______ in Prizren als "Arbeiter" mit einem mo-
natlichen Einkommen von 210 Euro beschäftigt war. Seit dem 11. Ja-
nuar 2006 soll er als Maurer beim Unternehmen Y._______ in Korish-
Prizren angestellt sein und dabei monatlich 800 Euro verdienen. Dies-
bezüglich bestehen aber erhebliche Zweifel. Einerseits beträgt das
monatliche Durchschnittseinkommen in Serbien  auch für einen Bau-
arbeiter  netto 200 bis 250 Euro. Andererseits wurde lediglich eine
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Kopie einer Übersetzung der Arbeitsbescheinigung zu den Akten ge-
legt. Nach dieser Übersetzung ist die Arbeitsbescheinigung am
20. September 2006 ausgestellt worden, die Übersetzung selbst ist je-
doch mit dem 13. September 2006 datiert. Hinzu kommt, dass der Be-
schwerdeführer noch im April 2006 gegenüber dem Amt für Migration
des Kantons Luzern angegeben hat, der Gesuchsteller arbeite bei der
Firma Z._______ in Prizren (vgl. Fragebogen der kantonalen Migra-
tionsbehörde vom 27. März 2006 mit den entsprechenden Antworten
des Beschwerdeführers vom 3. April 2006). Letztlich kann aber die
Frage, bei welcher Firma und zu welchem Lohn der Gesuchsteller zur
Zeit angestellt ist, offen gelassen werden. Von einer beruflichen Festi-
gung und somit von einem gesicherten wirtschaftlichen Fortkommen
im Heimatland kann beim Gesuchsteller angesichts der relativ kurzen
Zeit seiner Erwerbstätigkeit auf jeden Fall (noch) keine Rede sein. Da-
mit sind keine persönlichen Verhältnisse auszumachen, die geeignet
wären, ihn von einer Emigration abzuhalten.
5.4 Der Beschwerdeführer versichert ferner persönlich, dass der Ge-
suchsteller das Vertrauen nicht missbrauchen und die Schweiz wieder
rechtzeitig verlassen werde. Die Integrität des Beschwerdeführers in
seiner Eigenschaft als Gastgeber wird in keiner Art und Weise in Zwei-
fel gezogen. Indessen sind bei der Abwägung des Risikos einer nicht
fristgerechten Wiederausreise nicht so sehr die Einstellung oder die
Absichten des Gastgebers, sondern in erster Linie das mögliche Ver-
halten des Gastes selbst von Bedeutung. Nur Letzterer ist in der Lage,
hinreichend Gewähr für eine fristgerechte Wiederausreise zu bieten.
Der Gastgeber kann zwar für gewisse finanzielle Risiken Garantie leis-
ten, nicht aber  mangels rechtlicher und faktischer Durchsetzbarkeit 
für ein bestimmtes Verhalten des Gastes.
6.
Nach Gesagten durfte die Vorinstanz davon ausgehen, die fristgerech-
te Wiederausreise sei nicht gewährleistet (vgl. Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Art.
1 Abs. 2 Bst. c. VEA). Zwar lässt sich diese Prognose nicht zu einer
gesicherten Feststellung verdichten; sie reicht aber aus, um die Ertei-
lung einer Einreisebewilligung  auf welche wie bereits erwähnt ohne-
hin kein Rechtsanspruch besteht  abzulehnen. Daraus folgt, dass die
angefochtene Verfügung rechtmässig ist (Art. 49 VwVG). Die
Beschwerde ist daher abzuweisen.
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7.
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens sind dem Beschwerdefüh-
rer die Kosten aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Diese sind auf
Fr. 600.- festzusetzen (Art. 1, Art. 2 und Art. 3 Bst. b des Reglements
vom 11. Dezember 2006 über die Kosten und Entschädigungen vor
dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]).
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Verfahrenskosten von Fr. 600.- werden dem Beschwerdeführer auf-
erlegt. Sie sind durch den am 29. Juli 2006 geleisteten Kostenvor-
schuss gleicher Höhe gedeckt.
3.
Dieses Urteil geht an:
- den Beschwerdeführer (Einschreiben)
- die Vorinstanz (Akten Ref-Nr. [...] zurück)
Der Kammerpräsident: Der Gerichtsschreiber:
Antonio Imoberdorf Rudolf Grun
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