C-4877/2013 - Abteilung III - Einreiseverbot - Einreiseverbot
Karar Dilini Çevir:
C-4877/2013 - Abteilung III - Einreiseverbot - Einreiseverbot
B u n d e s v e rw a l t u ng s g e r i ch t
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i f f éd é r a l
T r i b u n a l e am m in i s t r a t i vo f e d e r a l e
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i v fe d e r a l








Abteilung III
C-4877/2013


U r t e i l v o m 1 2 . J u n i 2 0 1 4
Besetzung

Richterin Marianne Teuscher (Vorsitz),
Richter Andreas Trommer, Richterin Ruth Beutler,
Gerichtsschreiberin Giulia Santangelo.



Parteien

H._______,
vertreten durch Daniel A. Böhm, Rechtsanwalt,
Beschwerdeführer,



gegen


Bundesamt für Migration (BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.

Gegenstand

Einreiseverbot.


C-4877/2013
Seite 2
Sachverhalt:
A.
Die Polizei in Mailand ermittelte Ende 2008 gegen eine Tätergruppierung
wegen Verdachts auf Planung und Begehung von Raubüberfällen. Die
Auswertung der Ermittlungen ergab, dass fünf, meist einschlägig vorbe-
strafte Verdächtige einen Raub mit allfälliger Geiselnahme von Bankan-
gestellten im Raum Olten planten. Nachdem die schweizerischen Behör-
den über diesen Sachverhalt orientiert worden waren, wurde seitens der
Schweiz ein Ermittlungsverfahren eröffnet. Als sich die Hinweise verdich-
teten, dass am Morgen des 2. März 2009 ein Raubüberfall auf eine
Bankfiliale in Schönenwerd geplant war, wurden am Abend zuvor fünf
mutmassliche Beteiligte, darunter der Beschwerdeführer (geb. 1943), ita-
lienischer Staatsangehöriger, angehalten und verhaftet.
B.
In der Folge wurde der Beschwerdeführer am 1. April 2011 wegen straf-
baren Vorbereitungshandlungen zu Raub und Geiselnahme zu einer
Freiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt (bestätigt durch das Urteil des
Obergerichts des Kantons Solothurn vom 16. November 2011).
C.
Im Rahmen einer Einvernahme vom 4. Juli 2013 wurde dem Beschwer-
deführer im Sinne des rechtlichen Gehörs Gelegenheit gegeben, sich zur
allfälligen Verhängung eines Einreiseverbots für die Schweiz zu äussern.
Hierauf verfügte das Departement des Inneren des Kantons Solothurn am
5. August 2013 die Wegweisung des Beschwerdeführers nach Art. 64
AuG (SR 142.20), entzog einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende
Wirkung und beantragte bei der Vorinstanz den Erlass einer Fernhalte-
massnahme. Diese verhängte über den Beschwerdeführer am 6. August
2013 ein bis 7. August 2017 befristetes Einreiseverbot und entzog einer
allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung. Am 7. August 2013
wurde dem Beschwerdeführer das Einreiseverbot eröffnet, er wurde glei-
chentags bedingt aus dem Strafvollzug entlassen und am 8. August 2013
den italienischen Behörden übergeben.
D.
Mit Rechtsmitteleingabe vom 30. August 2013 beantragt der Beschwerde-
führer beim Bundesverwaltungsgericht die ersatzlose Aufhebung des Ein-
reiseverbots, eventualiter die Reduktion auf ein Jahr, subeventualiter eine
auf das Gebiet des Kantons Tessin beschränkte Einreiseerlaubnis sowie
die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung.
C-4877/2013
Seite 3
E.
Mit Zwischenverfügung vom 18. September 2013 wurde das Gesuch um
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde abge-
wiesen.
F.
Die Vorinstanz beantragt in ihrer Vernehmlassung vom 29. Oktober 2013
die Abweisung der Beschwerde.
G.
Das dem Beschwerdeführer am 11. November 2013 gewährte Replikrecht
blieb ungenutzt.
H.
Auf den weiteren Akteninhalt wird, soweit erheblich, in den nachfolgenden
Erwägungen eingegangen.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Be-
schwerden gegen Verfügungen im Sinne von Art. 5 VwVG, sofern keine
Ausnahme nach Art. 32 VGG vorliegt. Als Vorinstanzen gelten die in
Art. 33 VGG genannten Behörden. Dazu gehört auch das BFM, das mit
der Anordnung eines Einreiseverbots eine Verfügung im erwähnten Sinne
und daher ein zulässiges Anfechtungsobjekt erlassen hat.
1.2 Das Rechtsmittelverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht richtet
sich nach dem VwVG, soweit das Verwaltungsgerichtsgesetz nichts an-
deres bestimmt (Art. 37 VGG).
1.3 Der Beschwerdeführer ist als Verfügungsadressat legitimiert (Art. 48
Abs. 1 VwVG). Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist
daher einzutreten (Art. 50 und 52 VwVG).
2.
Mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht kann die Verletzung
von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtser-
heblichen Sachverhaltes sowie – soweit nicht eine kantonale Behörde als
C-4877/2013
Seite 4
Beschwerdeinstanz verfügt hat – die Unangemessenheit gerügt werden
(Art. 49 VwVG). Das Bundesverwaltungsgericht wendet das Bundesrecht
von Amtes wegen an. Es ist gemäss Art. 62 Abs. 4 VwVG an die Begrün-
dung der Begehren nicht gebunden und kann die Beschwerde auch aus
anderen als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder abweisen.
Massgebend ist grundsätzlich sie Sachlage zum Zeitpunkt seines Ent-
scheides (vgl. BVGE 2012/21 E. 5.1 und BVGE 2011/1 E. 2 mit Hinweis).
3.
Der Beschwerdeführer macht in formeller Hinsicht geltend, die Begrün-
dung des Einreiseverbots ermögliche es weder die Gründe für den Erlass
der angefochtenen Verfügung nachzuvollziehen noch erlaube sie eine
sachgerechte Anfechtung, weshalb das BFM das rechtliche Gehör ver-
letzt habe. Dem ist entgegenzuhalten, dass es dem Beschwerdeführer
ohne Weiteres möglich war, eine substantiierte Beschwerde einzureichen
und auf sämtliche relevanten Punkte einzugehen. Hat er doch in der Fol-
ge – trotz ausführlicher Vernehmlassung der Vorinstanz – auf das ihm
gewährte Replikrecht nicht reagiert und damit auf die Ergänzung seiner
Beschwerde stillschweigend verzichtet. Die wenig konsequent vorgetra-
gene Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist daher unbegründet.
4.
Der Beschwerdeführer ist italienischer Staatsangehöriger und als soge-
nannter Vertragsausländer aus dem Freizügigkeitsabkommen (FZA, SR
0.142.112.681) begünstigt. Die ordentliche Ausländergesetzgebung in
Gestalt des AuG und seiner Ausführungsverordnungen gelangt daher nur
soweit zur Anwendung, als das FZA keine abweichende Regelung kennt
oder die ordentliche Ausländergesetzgebung ihm eine vorteilhaftere
Rechtsstellung vermittelt (Art. 2 Abs. 2 AuG; Urteil des Bundesverwal-
tungsgerichts C-2196/2008 vom 17. März 2011 E. 4).
5.
5.1 Landesrechtliche Grundlage der angefochtenen Verfügung bildet
Art. 67 AuG. Nach dessen Abs. 2 Bst. a kann gegen Ausländerinnen und
Ausländer, die gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der
Schweiz oder im Ausland verstossen haben oder diese gefährden, ein
Einreiseverbot verfügt werden. Das Einreiseverbot wird für eine Dauer
von höchstens fünf Jahren verhängt. Es kann für eine längere Dauer ver-
fügt werden, wenn die betroffene Person eine schwerwiegende Gefahr für
die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt (Art. 67 Abs. 3 AuG).
Schliesslich kann die verfügende Behörde aus humanitären oder anderen
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Seite 5
wichtigen Gründen von der Verhängung eines Einreiseverbots absehen
oder ein Einreiseverbot vollständig oder vorübergehend aufheben (Art. 67
Abs. 5 AuG).
5.2 Das Einreiseverbot will seiner Natur nach nicht vergangenes Fehlver-
halten sanktionieren, sondern der Gefahr einer künftigen Störung der öf-
fentlichen Sicherheit und Ordnung vorbeugen (Botschaft zum Ausländer-
gesetz vom 8. März 2002, BBl 2002 3813). Die Feststellung einer solchen
Gefahr ist ein Wahrscheinlichkeitsurteil, das sich naturgemäss auf ver-
gangenes Verhalten der betroffenen ausländischen Person abstützen
muss. Stellt bereits dieses vergangene Verhalten eine Störung der öffent-
lichen Sicherheit und Ordnung dar, wird die Gefahr künftiger Störungen
von Gesetzes wegen vermutet (BBl 2002 3760; vgl. auch NÄGE-
LI/SCHOCH, Ausländische Personen als Straftäter und Straftäterinnen, in:
Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], Ausländerrecht, Handbücher für
die Anwaltspraxis, Band VIII, 2. Aufl. 2009, Rz. 22.177; a.M.
GOOD/SUTTER, Einreiseverbot als Sanktion für vergangenes Verhalten
oder Mittel zur Gefahrenabwehr?, in: Sicherheit & Recht 3/2010, S. 199
ff.; zur relativierten Bedeutung der Rückfallgefahr bei auslän-
derrechtlichen Administrativmassnahmen gemäss nationalem Recht vgl.
BGE 136 II 5 E. 4.2 S. 20 mit Hinweisen). Das Gesetz lässt deshalb einen
Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung als Anlass für ein
Einreiseverbot genügen, ohne dass die Gefahr einer Störung nachgewie-
sen werden müsste. Ist die Vermutungsbasis dagegen nicht erfüllt, ver-
langt Art. 80 Abs. 2 der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulas-
sung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE, SR 142.201) konkrete An-
haltspunkte, dass der Aufenthalt der betreffenden Person in der Schweiz
mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einem Verstoss gegen die öffentli-
che Sicherheit und Ordnung führt.
5.3 Der Begriff der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gemäss Art. 67
Abs. 2 Bst. a AuG umfasst die Gesamtheit der polizeilichen Schutzgüter.
Eingeschlossen ist die Unverletzlichkeit der objektiven Rechtsordnung
und der Rechtsgüter Einzelner (BBl 2002 3809; vgl. auch SCHWEIZER/
SUTTER/WIDMER, Grundbegriffe, in: Rainer J. Schweizer [Hrsg.], Si-
cherheits- und Ordnungsrecht des Bundes, SBVR Bd. III/1, 2008, Teil B:
Grundbegriffe, Rz. 13 mit Hinweisen). Folgerichtig bezeichnet Art. 80 Abs.
1 Bst. a VZAE die Missachtung gesetzlicher Vorschriften beispielhaft als
eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.
C-4877/2013
Seite 6
5.4 Das FZA vermittelt Vertragsausländern eine Reihe von Freizügigkeits-
rechten, unter anderem das Recht auf Einreise (Art. 3 FZA i.V.m. Art. 1
Abs. 1 Anhang I FZA). Die Zulässigkeit nationaler Massnahmen, die – wie
das Einreiseverbot nach Art. 67 AuG – die Ausübung eines Freizügig-
keitsrechts behindern, macht das FZA von einer Rechtfertigung durch
Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit abhängig
(Ordre-Public-Vorbehalt, vgl. Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA). Im Interesse ei-
ner einheitlichen Anwendung und Auslegung des Ordre-Public-Vorbehal-
tes auf der Grundlage des Gemeinschaftsrechts verweist das FZA auf die
Richtlinien 64/221/EWG, 72/194/EWG und 75/35/EWG in ihrer Fassung
zum Zeitpunkt der Unterzeichnung (Art. 5 Abs. 2 Anhang I FZA), und auf
die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen
Gemeinschaften (nachfolgend Gerichtshof oder EuGH) vor dem Zeitpunkt
der Unterzeichnung (Art. 16 Abs. 2 FZA). In diesem Sinne schränkt das
FZA die ausländerrechtlichen Befugnisse nationaler Behörden bei der
Handhabung landesrechtlicher Massnahmen wie des Einreiseverbots ein.
6.
Der Beschwerdeführer wurde am 1. April 2011 wegen strafbaren Vorbe-
reitungshandlungen zu Raub und Geiselnahme zu einer Freiheitsstrafe
von 14 Monaten verurteilt. Dieses Urteil wurde am 16. November 2011
bestätigt und erwuchs in der Folge in Rechtskraft. Aus landesrechtlicher
Sicht ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer mit der abgeurteilten
Verhaltensweise den Fernhaltegrund der Verletzung der öffentlichen Si-
cherheit und Ordnung im Sinne von Art. 67 Abs. 2 Bst. a AuG zweifellos
gesetzt hat. Um die Massnahme vor dem Freizügigkeitsabkommen be-
stehen zu lassen, muss dargetan werden, dass vom Beschwerdeführer
eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der
öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausgeht, die ein Grundinteresse der
Gesellschaft berührt. Nachfolgend ist zu prüfen, ob die Eingriffsvoraus-
setzungen im Lichte des Freizügigkeitsabkommens erfüllt sind.
7.
7.1 Der Gerichtshof betont in seiner Rechtsprechung regelmässig, dass
Ausnahmen vom freien Personenverkehr restriktiv auszulegen sind. Die
Berufung einer nationalen Behörde auf den Begriff der öffentlichen Ord-
nung setzt, wenn er Beschränkungen der Freizügigkeitsrechte rechtferti-
gen soll, jedenfalls voraus, dass ausser der Störung der öffentlichen Ord-
nung, wie sie jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und
hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Ge-
sellschaft berührt (BGE 136 II 5 E. 4.2 S. 20, 131 II 352 E. 3.2 S. 357 f.,
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130 II 493 E. 3.2 S. 498 f., 130 II 176 E. 3.4.1 S. 182 ff., 129 II 215 E. 7.3
S. 222; Urteile des EuGH vom 19. Januar 1999 in der Rechtssache
C-348/96, Calfa, Slg. 1999, I-11, Randnr. 23 und 25, und vom 27. Oktober
1977 in der Rechtssache 30-77, Bouchereau, Slg. 1977, 1999, Randnr.
33-35). Für Massnahmen, die mit der öffentlichen Ordnung und Sicherheit
begründet werden, darf im Übrigen nur das persönliche Verhalten der in
Betracht kommenden Einzelperson ausschlaggebend sein (Art. 3 Abs. 1
der Richtlinie 64/221/EWG). Ausgeschlossen sind deshalb generalprä-
ventiv motivierte Massnahmen, das heisst solche, die der Abschreckung
anderer ausländischer Personen dienen (vgl. BGE 136 II 5 E. 4.2 S. 20
mit Hinweisen). Strafrechtliche Verurteilungen für sich allein vermögen
sodann nicht ohne weiteres eine Massnahme zu rechtfertigen, welche die
Ausübung von Freizügigkeitsrechten beschränkt (Art. 3 Abs. 2 der Richtli-
nie 64/221/EWG). Solche Verurteilungen dürfen nur insoweit be-
rücksichtigt werden, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persön-
liches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der
öffentlichen Ordnung darstellt. Es ist allerdings möglich, dass schon allein
das vergangene Verhalten den Tatbestand einer solchen Gefährdung der
öffentlichen Ordnung erfüllt (BGE 131 II 352 E. 3.2 S. 357 f., 130 II 493 E.
3.2 S. 498 f., 130 II 176 E. 3.4.1 S. 182 ff.; erwähnte Urteile des EuGH in
Sachen Bouchereau, Randnr. 27-29, und Calfa, Randnr. 24).
7.2 Sicherlich setzt die Aktualität der Gefährdung nicht voraus, dass wei-
tere Straftaten fast mit Sicherheit zu erwarten sind. Auf der anderen Seite
ist der Gefährdung nicht erst dann die Aktualität abzusprechen, wenn die
Möglichkeit einer Wiederholung mit Sicherheit ausgeschlossen werden
kann. Es ist vielmehr eine nach Art und Ausmass der möglichen Rechts-
güterverletzung zu differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit zu
verlangen, dass der Ausländer künftig die öffentliche Sicherheit oder Ord-
nung stören wird. Mit Blick auf die Bedeutung des Grundsatzes der Frei-
zügigkeit dürfen an die Wahrscheinlichkeit keine zu geringen Anforderun-
gen gestellt werden. Allerdings hängen diese auch von der Schwere der
möglichen Rechtsgüterverletzung ab; je schwerer diese ist, desto niedri-
ger sind die Anforderungen an die in Kauf zu nehmende Rückfallgefahr
(BGE 136 II 5 E. 4.2 S. 20, 131 II 352 E. 3.3 S. 358, 130 II 493 E. 3.3 S.
499 f., 130 II 176 E. 4.3.1 S. 185 f.; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
C-2662/2007 vom 14. März 2008 E. 7.2).
7.3 In Bezug auf die Frage, welche Verhaltensweisen im Lichte des Ge-
meinschaftsrechts als Störung der Grundinteressen der Gesellschaft gel-
ten können, verweist der Gerichtshof regelmässig auf das innerstaatliche
C-4877/2013
Seite 8
Recht und billigt den Mitgliedstaaten innerhalb der durch den Vertrag und
die Durchführungsvorschriften gezogenen Grenzen einen Beurteilungs-
spielraum zu. Eine solche gemeinschaftsrechtliche Schranke erblickt der
Gerichtshof im Diskriminierungsverbot von Art. 6 des Vertrags zur Grün-
dung der Europäischen Gemeinschaft (vgl. die analoge Bestimmung des
Art. 2 FZA). Danach kann ein Verhalten dann nicht als hinreichend
schwerwiegend betrachtet werden, wenn gegenüber dem gleichen Ver-
halten eigener Staatsangehöriger keine Zwangs- oder andere tatsächli-
che und effektive Massnahmen zur Bekämpfung dieses Verhaltens ergrif-
fen werden (Urteile des EuGH vom 18. Mai 1989 in der Rechtssache
249/86, Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundes-
republik Deutschland, Slg. 1989, 1263, Randnr. 19, und vom 18. Mai
1982 in den verbundenen Rechtssache 115/81 und 116/81, Adoui und
Cornuaille, Slg. 1982, 1665, Randnr. 8). Weiter hat der Gerichtshof er-
kannt, dass innerhalb der EU die Verletzung nationaler Vorschriften über
Einreise, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit für sich alleine keine Massnah-
men zu rechtfertigen vermag, welche die Freizügigkeitsrechte beschrän-
ken (vgl. MARCEL DIETRICH, Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der Eu-
ropäischen Union, Zürich 1995, S. 480, mit Hinweisen). Der Gerichtshof
liess sich hierbei von der Überlegung leiten, dass ein EU-Bürger mit die-
sen Verhaltensweisen ein Recht ausübt, das ihm unmittelbar kraft Vertra-
ges zukommt. Nationale ausländerpolizeiliche Bestimmungen in diesem
Bereich stellen blosse Formalien dar, deren Missachtung nicht als Beein-
trächtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit angesehen werden
kann (Urteil des EuGH vom 8. April 1976 in der Rechtssache 48/75, Roy-
er, Slg. 1976 497, Randnr. 41-44).
8.
Das Einreiseverbot wurde zunächst damit begründet, dass der Be-
schwerdeführer mit Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn vom
16. November 2011 wegen strafbaren Vorbereitungshandlungen zu Raub
und Geiselnahme zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt wur-
de. Damit habe er gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung verstos-
sen und dadurch auch die objektive Rechtsordnung in erheblichem Mas-
se verletzt, weshalb kein Recht mehr auf Freizügigkeit gegeben sei. An-
gesichts der an den Tag gelegten kriminellen Energie könne ein Rückfall-
risiko nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden. Ergänzend hielt die Vor-
instanz fest, der Beschwerdeführer sei seit dem Jahr 1982 zu insgesamt
über elf Jahren Haft verurteilt worden. Angesichts seiner langjährigen,
wiederholten Straffälligkeit sei von einem erheblichen Rückfallrisiko aus-
zugehen. Er sei ein unverbesserlicher Wiederholungstäter, der sich selbst
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Seite 9
durch die in der Vergangenheit erwirkten Freiheitsstrafen nicht vor erneu-
ter Delinquenz habe abhalten lassen. Seine in der Schweiz lebenden
Familienangehörigen könnten ihn bei Bedarf in Italien besuchen.
8.1 An den strafbaren Vorbereitungshandlungen zu Raub und Geisel-
nahme waren ausser dem Beschwerdeführer vier weitere Personen betei-
ligt. Dafür wurde ab Ende Januar 2009 in Olten eine Wohnung als logisti-
sche Basis für die Operation gemietet. Geplant war, dass drei der Betei-
ligten in den frühen Morgenstunden des Montags, 2. März 2009 in das
Gebäude der Bank in Schönenwerd eindringen sollten, die zur Arbeit ein-
treffenden Mitarbeiter der Bankfiliale abfangen und mit (Spielzeug-) Pisto-
len bedrohen sollten. Beim Eintreffen des Inhabers des Tresorschlüssels
sollte dieser unter Waffengewalt und Hinweis auf die bedrohten Mitarbei-
ter zur Öffnung des Tresors gezwungen werden. Nach Ausräumen des
Tresors sollten die Mitarbeiter im Tresorvorraum eingeschlossen werden,
um Zeit für die Flucht zu gewinnen. Die Flucht war geplant mit einem vor-
gängig in Italien gestohlenen Personenwagen VW Touareg bis zum
Bahnhof Aarau und anschliessend mit dem Zug via Zürich und Lugano
nach Italien. Dem Beschwerdeführer konnte zweifelsfrei nachgewiesen
werden, dass er sich wiederholt nach einer unauffälligen Wohnung in Ol-
ten erkundigte und zwei Objekte besichtigte, an mehreren Treffen mit den
anderen Beteiligten teilnahm, wiederholt bei der Auskundschaftung des
Tatobjekts dabei war bzw. diese förderte, zwecks Fluchtplanung am
Bahnhof Aarau Zugfahrpläne besorgte und diverse Abfahrtszeiten notier-
te, an seinem Domizil in Italien das Fluchtfahrzeug zwecks Vorbereitung
für die Tat übernahm und dieses einem Mittäter übergab, dass er weiter
versuchte ein gefälschtes Kontrollschild zu fabrizieren, Kontrollschilder
stahl oder sich gestohlene Kontrollschilder besorgte und diese übergab
sowie ein Auto mietete für den Schmuggel der Beute nach Italien. An der
Tat selber hätte der Beschwerdeführer nicht teilgenommen und er war
nicht selbst für die Planung zuständig, weshalb er insgesamt betrachtet
im Vergleich zu den weiteren Beteiligten eine eher untergeordnete Rolle
spielte. Er hätte mit rund 10% an der Beute partizipiert.
8.2 Im Allgemeinen negativ zu werten ist, dass eine sehr hohe Beute an-
gestrebt wurde (rund 1.6 Mio. Franken). Die Druckausübung auf mehrere
Bankangestellte mittels einer (vermeintlich schussbereiten) Pistole hätte
sodann für diese eine erhebliche Belastung dargestellt. Die Professionali-
tät der Tätergruppe zeigt sich in den durchdachten, planmässigen und
aufwendigen Vorbereitungshandlungen, der Benutzung einer kodifizierten
Sprache bei den einschlägigen Telefongesprächen und der Verwendung
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Seite 10
spezieller, nicht registrierter Handys. Ebenfalls bezeichnend sind die
grossen finanziellen Aufwendungen durch das Mieten einer Wohnung und
zweier Autos, wie auch die erheblichen zeitlichen Aufwendungen, insbe-
sondere für das Rekognoszieren der betreffenden Bank. Das professio-
nelle Vorgehen zeugt von einer hohen kriminellen Energie. Zudem han-
delten sämtliche Beteiligten aus rein finanziellen Beweggründen, ohne
auf die persönliche Integrität anderer Rücksicht zu nehmen. Keiner der
Beteiligten befand sich in einer finanziellen Notsituation, weshalb auch
keine subjektive Not zur Tatbegehung bestand.
8.3 In Bezug auf den Beschwerdeführer gilt zu berücksichtigen, dass die-
ser seine Handlungen, nach wiederholtem Leugnen, im Wesentlichen zu-
gestanden hat. Er berief sich jedoch weiterhin hartnäckig darauf, nichts
von einem geplanten Überfall gewusst zu haben und dass seine Hand-
lungen allesamt legal gewesen seien. Sein unkooperatives Verhalten und
die Bagatellisierung seiner Taten lässt vermuten, dass ihm die Ernsthaf-
tigkeit und insbesondere die Schwere seines Fehlverhaltens noch immer
nicht bewusst geworden sind. Der Beschwerdeführer ist in der Schweiz
nicht vorbestraft. Indessen wurde er in Italien unter anderem wegen kri-
mineller Vereinigung, Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz,
Mitwirkung bei illegalem Besitz von Waffen und Munition, Kauf von
Falschgeld, unechtem Wucher und Mitwirkung der Widerhandlung gegen
die konsolidierte Fassung der Bestimmungen von Bank- und Kreditwesen
zu Freiheitsstrafen im Bereich von einem Jahr und fünf Monaten bis zu
fünf Jahren und acht Monaten, insgesamt zu rund elf Jahren verurteilt. Er
wurde letztmals 2005 aus dem Strafvollzug entlassen und delinquierte
rund vier Jahre später, offensichtlich unbeeindruckt von den bereits ver-
hängten strafrechtlichen Sanktionen, erneut. Gerade dieses Verhalten
weist auf eine hohe Rückfallgefahr hin. Entsprechend ist er gemäss Ein-
schätzung des Strafgerichts ein unverbesserlicher Gewohnheitstäter. Bei
derart schwerwiegenden Delikten und den dadurch betroffenen Rechtsgü-
tern wäre bereits eine vergleichsweise geringe Wahrscheinlichkeit künfti-
ger Störungen nicht hinzunehmen. Hingegen ist, angesichts der Vorge-
schichte des Beschwerdeführers, die Gefahr weiterer Störungen im vor-
liegenden Fall als erheblich einzustufen. Zwar stellte das Departement
des Inneren des Kantons Solothurn in seiner Verfügung vom 17. Juli 2013
betreffend vorzeitige Entlassung aus dem Strafvollzug dem Beschwerde-
führer eine "eher günstige Legalprognose", da ihn sein fortgeschrittenes
Alter von der Begehung weiterer Delikte abhalten werde und er den
Wunsch geäussert habe, künftig von strafbaren Handlungen Abstand zu
nehmen und mittels Betreibung eines Bed & Breakfast seinen Lebensun-
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Seite 11
terhalt zu finanzieren. Doch vermögen weder das Alter noch die (theoreti-
schen) Wünsche und Zukunftspläne die als hoch eingeschätzte Wahr-
scheinlichkeit weiterer künftiger Störungen bedeutend herabsetzten.
9.
9.1 Eine Fernhaltemassnahme muss dem Grundsatz nach sowie von ih-
rer Dauer her in pflichtgemässer Ausübung des Ermessens ergangen und
angemessen sein. Unter dem Gesichtspunkt des Freizügigkeitsabkom-
mens ist dabei insbesondere der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu
beachten (BGE 131 II 352 E. 3.3 S. 358, 130 II 493 E. 3.3 S. 499 f., 130 II
176 E. 3.4.2 S. 184; Urteile des EuGH vom 30. November 1995 in der
Rechtssache C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Randnr. 37, und vom
18. Mai 1989 in der Rechtssache 249/86, Kommission der Europäischen
Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1989, 1263,
Randnr. 20).
9.2 Dass vom Beschwerdeführer eine aktuelle, tatsächliche und erhebli-
che Gefahr in einem präventivpolizeilich sensiblen Bereich der öffentli-
chen Ordnung und Sicherheit ausgeht, wurde bereits unter dem Ge-
sichtspunkt der Eingriffsvoraussetzung begründet.
9.3 Der Beschwerdeführer macht als persönliche Interessen geltend, sei-
ne Ehefrau, seine beiden Töchter und die Enkelkinder seien allesamt
Schweizer Bürger und lebten in der Schweiz, im Kanton Tessin. Zudem
befinde er sich im Kanton Tessin in einer zahnärztlichen Behandlung,
welche nun wegen der verhängten Fernhaltemassnahme habe unterbro-
chen werden müssen. Der Beschwerdeführer ist in Como, nur wenige Ki-
lometer von seinen in der Schweiz ansässigen Familienangehörigen
wohnhaft. Das Familienleben lässt sich ohne bedeutenden Aufwand und
in zumutbarer Weise in Italien pflegen. Ein Eingriff in das Recht auf Fami-
lienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 13 BV ist daher zu verneinen. (in
diesem Sinne BGE 135 I 153 E. 2.1). Was die zahnmedizinische Versor-
gung anbelangt, so ist eine solche ebenfalls ohne Weiteres in Italien mög-
lich. Der Beschwerdeführer macht denn auch nicht geltend, dass die von
ihm benötigte Behandlung lediglich in der Schweiz möglich wäre. Die
persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einer Einreise in die
Schweiz sind folglich als eher gering einzuschätzen.
9.4 Nach dem Gesagten stellt sich im Folgenden nunmehr einzig die Fra-
ge, ob die gegen den Beschwerdeführer verhängte Dauer der Fernhalte-
massnahme im Lichte des Freizügigkeitsabkommens als verhältnismäs-
C-4877/2013
Seite 12
sig bezeichnet werden kann. In diesem Zusammenhang gilt es zu be-
rücksichtigen, dass die letzte Straftat bereits über fünf Jahre zurück liegt
und der Beschwerdeführer sich seither nichts mehr hat zu Schulden
kommen lassen. In Bezug auf seine Straffälligkeit in Italien ist bekannt,
dass er im Jahr 2005 letztmals aus dem Strafvollzug entlassen wurde,
weshalb seine letzte Straftat im Ausland zwischenzeitlich über 10 Jahre
zurückliegen dürfte. Aufgrund seines fortgeschrittenen Alters – der Be-
schwerdeführer ist 71 Jahre alt – ist sodann die Einschätzung des Straf-
richters, wonach der Beschwerdeführer ein unverbesserlicher Gewohn-
heitstäter ist, zu relativieren. Entsprechend wurde dieses Kriterium im
Rahmen der Prüfung der vorzeitigen Entlassung aus dem Strafvollzug zu
Gunsten des Beschwerdeführers berücksichtigt (vgl. Verfügung vom 17.
Juli 2013 betreffend bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug). Die dor-
tige Einschätzung gilt es jedoch zu relativieren. Dies einerseits, weil die
ausländerrechtliche Beurteilung im Vergleich zum Strafrecht einen stren-
geren Massstab erfährt. Andererseits stellt die vorzeitige Entlassung aus
dem Strafvollzug ohnehin den Regelfall dar. Der Beschwerdeführer hat
zwischen 1982 und 2009 über einen sehr langen Zeitraum hinweg, wie-
derholt und in schwerwiegender Weise gegen das Gesetz verstossen.
Demgegenüber ist die Dauer seines Wohlverhaltens seit der Entlassung
aus dem Strafvollzug am 7. August 2013 zu kurz, als dass bereits von ei-
ner gefestigten Wandlung ausgegangen werden könnte.
9.5 Eine wertende Gewichtung der sich entgegenstehenden Interessen
führt das Bundesverwaltungsgericht zusammenfassend zum Schluss,
dass das auf vier Jahre befristete Einreiseverbot sowohl vom Grundsatz
her als auch in Bezug auf seine Dauer eine verhältnismässige und ange-
messene Massnahme zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ord-
nung darstellt.
10.
Aus diesen Erwägungen folgt, dass die angefochtene Verfügung Bundes-
recht nicht verletzt und den rechtserheblichen Sachverhalt richtig und
vollständig feststellt; sie ist auch angemessen (vgl. Art. 49 VwVG). Die
Beschwerde ist daher abzuweisen.
11.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird der unterliegende Be-
schwerdeführer kostenpflichtig (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Die Verfahrenskos-
ten sind auf Fr. 1'000.- festzusetzen (Art. 1 ff. des Reglements über die
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Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht vom
21. Februar 2008 [VGKE, SR 173.320.2]).

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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Verfahrenskosten von Fr. 1'000.- werden dem Beschwerdeführer auf-
erlegt. Sie sind mit dem am 2. Oktober 2013 geleisteten Kostenvorschuss
abgegolten.
3.
Dieses Urteil geht an:
– den Beschwerdeführer (Gerichtsurkunde)
– die Vorinstanz (Ref-Nr. […]; Akten retour)

Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:

Marianne Teuscher Giulia Santangelo

Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Bun-
desgericht, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen An-
gelegenheiten geführt werden (Art. 82 ff., 90 ff. und 100 des Bundesge-
richtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]). Die Rechtsschrift
ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Be-
gründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten.
Der angefochtene Entscheid und die Beweismittel sind, soweit sie der
Beschwerdeführer in Händen hat, beizulegen (Art. 42 BGG).
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