A-6180/2012 - Abteilung I - Mehrwertsteuer - MWST; Ermessenseinschätzung (2/2008 - 4/2009)
Karar Dilini Çevir:
A-6180/2012 - Abteilung I - Mehrwertsteuer - MWST; Ermessenseinschätzung (2/2008 - 4/2009)
B u n d e s v e rw a l t u ng s g e r i ch t
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i f f éd é r a l
T r i b u n a l e am m in i s t r a t i vo f e d e r a l e
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i v fe d e r a l








Abteilung I
A-6180/2012


U r t e i l v o m 3 . S e p t e m b e r 2 0 1 3
Besetzung

Richter Daniel Riedo (Vorsitz),
Richterin Salome Zimmermann, Richter Pascal Mollard,
Gerichtsschreiber Beat König.



Parteien

A._______ GmbH,
vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Felix Barmettler,
Beschwerdeführerin,



gegen


Eidgenössische Steuerverwaltung ESTV,
Hauptabteilung Mehrwertsteuer,
Vorinstanz.

Gegenstand

MWST; Ermessenseinschätzung (2/2008 - 4/2009).


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Sachverhalt:
A.
Die A._______ GmbH (nachfolgend auch Steuerpflichtige) ist seit dem
1. April 2008 im Register der Mehrwertsteuerpflichtigen eingetragen. Ge-
mäss Eintrag im Handelsregister bezweckt sie im Wesentlichen den Be-
trieb von Sauna-Clubs. Seit dem genannten Datum betreibt die Gesell-
schaft in B._______ unter der Geschäftsbezeichnung "C._______" einen
Sauna- und Erotikclub.
B.
Am 18. und 28. November 2011 führte die Eidgenössische Steuerverwal-
tung (ESTV) bei der A._______ GmbH eine Mehrwertsteuerkontrolle
durch. Überprüft wurden die Steuerperioden vom 2. Quartal 2008 bis
4. Quartal 2009 (Zeitraum vom 1. April 2008 bis 31. Dezember 2009).
Dabei stellte die ESTV fest, dass die Umsätze aus erotischen Dienstleis-
tungen der im Club C._______ tätigen Sexarbeiterinnen der Steuerpflich-
tigen zuzurechnen seien.
Mit "Einschätzungsmitteilung Nr. […] / Verfügung" vom 15. Dezember
2011 erhob die ESTV für die genannten Steuerperioden eine Mehr-
wertsteuernachforderung in der Höhe von Fr. 154'260.- zuzüglich Ver-
zugszins, und zwar als Nachbelastung der betreffenden, nicht deklarier-
ten Umsätze aus erotischen Dienstleistungen.
C.
Die Steuerpflichtige liess am 1. Februar 2012 gegen die Einschätzungs-
mitteilung Nr. [...] "Einsprache" erheben und beantragen, die Einschät-
zungsmitteilung/Verfügung und die damit geltend gemachten Nachforde-
rungen seien aufzuheben. Eventualiter stellte die Steuerpflichtige den An-
trag, die Steuernachforderung sei nach Vornahme ergänzender Abklä-
rungen neu festzusetzen. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen
aus, die in ihrem Saunaclub tätigen Sexarbeiterinnen seien mehr-
wertsteuerrechtlich als Selbständigerwerbende zu qualifizieren. Die in
Frage stehenden Umsätze seien deshalb von den Prostituierten und nicht
von der Steuerpflichtigen zu versteuern.
Mit als "Einspracheentscheid" bezeichneter Verfügung vom 30. Oktober
2012 wies die ESTV (Vorinstanz) die "Einsprache" ab und bestätigte die
Steuernachforderung von Fr. 154'260.- zuzüglich Verzugszins seit dem
31. Mai 2009. Im Wesentlichen führte sie aus, zur Annahme einer mehr-
wertsteuerlichen Selbständigkeit der Prostituierten fehle es am rechtsge-
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nügenden Auftritt der einzelnen Damen gegen aussen. Die Umsätze aus
den erotischen Dienstleistungen seien daher der Steuerpflichtigen zuzu-
rechnen.
D.
Dagegen liess die Steuerpflichtige (nachfolgend auch Beschwerdeführe-
rin) am 30. November 2012 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht
erheben. Sie beantragt, der "Einspracheentscheid" und die Steuernach-
forderungen für die Steuerperioden vom 2. Quartal 2008 bis 4. Quartal
2009 seien aufzuheben, und eventualiter sei die Sache zur ergänzenden
Abklärung sowie Neubeurteilung an die ESTV zurückzuweisen. Sodann
verlangt die Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung. Zur Begrün-
dung bringt sie im Wesentlichen vor, die Sexarbeiterinnen würden ihr
Gewerbe weder im Namen noch für Rechnung der Clubbetreiberin aus-
üben. Es läge kein Stellvertretungsverhältnis vor. Zudem würden die
Prostituierten in allen Rechtsgebieten als Selbständigerwerbende behan-
delt. Die Voraussetzungen für eine Ermessenseinschätzung seien vorlie-
gend auch deshalb nicht erfüllt, weil es der Beschwerdeführerin nicht ges-
tattet sei, über die erotischen Dienstleistungen der Prostituierten Buch zu
führen. Die Vorinstanz sei im Übrigen von unzutreffenden Schätzungs-
grundlagen ausgegangen und habe den Sachverhalt nicht hinreichend
festgestellt. Im Sinne von Beweisofferten nennt die Beschwerdeführerin
dabei verschiedene Zeugen bzw. Auskunftspersonen.
E.
Ein Begehren der Beschwerdeführerin vom 4. Januar 2013 um Ausstand
der Richterin Salome Zimmermann und des Richters Daniel Riedo wurde
mit Zwischenentscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Januar
2013 abgewiesen. Das Bundesgericht wies eine dagegen erhobene Be-
schwerde am 27. Mai 2013 ab (Urteil 2C_220/2013).
F.
Mit Vernehmlassung vom 5. Februar 2013 beantragt die Vorinstanz, die
Beschwerde sei unter Kosten- und Entschädigungsfolge zulasten der Be-
schwerdeführerin vollumfänglich abzuweisen und der "Einspracheent-
scheid" vom 30. Oktober 2012 sei zu bestätigen.
G.
Mit unaufgefordert eingereichter Stellungnahme vom 7. März 2013 hält
die Beschwerdeführerin an ihren Beschwerdevorbringen fest.
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Seite 4
H.
Auf weitere Vorbringen der Verfahrensbeteiligten und die eingereichten
Akten wird, soweit erforderlich, im Rahmen der folgenden Erwägungen
eingegangen.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Das Bundesverwaltungsgericht beurteilt gemäss Art. 31 des Bun-
desgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesverwaltungsgericht
(Verwaltungsgerichtsgesetz, VGG, SR 173.32) Beschwerden gegen Ver-
fügungen nach Art. 5 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über
das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021), sofern keine Ausnahme
nach Art. 32 VGG gegeben ist. Eine solche liegt hier nicht vor, und die
Vorinstanz ist eine Behörde im Sinn von Art. 33 VGG. Das Bundesverwal-
tungsgericht ist demnach für die Beurteilung der vorliegenden Beschwer-
de sachlich zuständig.
1.2 Auf die funktionelle Zuständigkeit ist im Folgenden einzugehen, wobei
zunächst festzustellen ist, welches Recht anwendbar ist.
1.2.1 Am 1. Januar 2010 ist das Bundesgesetz vom 12. Juni 2009 über
die Mehrwertsteuer (MWSTG, SR 641.20) in Kraft getreten. Der zu beur-
teilende Sachverhalt hat sich in den Jahren 2008 und 2009 zugetragen,
also vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes. Gemäss Art. 112 Abs. 1
MWSTG bleiben die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen sowie die
gestützt darauf erlassenen Vorschriften grundsätzlich weiterhin auf alle
während ihrer Geltungsdauer eingetretenen Tatsachen und entstandenen
Rechtsverhältnisse anwendbar. Das vorliegende Verfahren untersteht
deshalb in materieller Hinsicht dem Bundesgesetz vom 2. September
1999 über die Mehrwertsteuer (aMWSTG, AS 2000 1300) sowie der da-
zugehörigen Verordnung vom 29. März 2009 (aMWSTGV, AS 2000
1347).
Demgegenüber ist das neue mehrwertsteuerliche Verfahrensrecht im
Sinn von Art. 113 Abs. 3 MWSTG auf sämtliche im Zeitpunkt des Inkraft-
tretens hängige Verfahren anwendbar. Allerdings ist Art. 113 Abs. 3
MWSTG insofern restriktiv zu handhaben, als gemäss höchstrichterlicher
Rechtsprechung nur eigentliche Verfahrensnormen sofort auf hängige
Verfahren anzuwenden sind, und es dabei nicht zu einer Anwendung von
neuem materiellen Recht auf altrechtliche Sachverhalte kommen darf
(ausführlich: Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-1113/2009 vom
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23. Februar 2010 E. 1.3; vgl. auch Urteile des Bundesverwaltungsgerichts
A-4506/2011 vom 30. April 2012 E. 1.3, A-6299/2009 vom 21. April 2011
E. 2.2 und E. 5.7 sowie A-7652/2009 vom 8. Juni 2010 E. 1.3 mit Hinwei-
sen). Kein Verfahrensrecht in diesem engen Sinn stellen etwa die nach-
folgend abgehandelten Themen wie die Buchführungspflicht, das Selbst-
veranlagungsprinzip oder die Ermessensveranlagung dar, so dass vorlie-
gend diesbezüglich noch altes Recht anwendbar ist. Keine Anwendung
finden deshalb beispielsweise Art. 70, 71, 72 oder 79 MWSTG, obwohl
sie unter dem Titel "Verfahrensrecht für die Inland- und die Bezugsteuer"
stehen (statt vieler: Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-4506/2011
vom 30. April 2012 E. 1.3 und A-2998/2009 vom 11. November 2010
E. 1.2). Hingegen kann unter anderem Art. 81 MWSTG unter die von
Art. 113 Abs. 3 MWSTG anvisierten Verfahrensbestimmungen subsumiert
werden (PASCAL MOLLARD/XAVIER OBERSON/ANNE TISSOT BENEDETTO,
Traité TVA, Basel 2009, S. 1235 N 670).
1.2.2
1.2.2.1 Die Einsprache ist das vom Gesetz besonders vorgesehene förm-
liche Rechtsmittel, mit dem eine Verfügung bei der verfügenden Verwal-
tungsbehörde zwecks Neuüberprüfung angefochten wird. Die Einsprache
ist kein devolutives Rechtsmittel, welches die Entscheidungszuständigkeit
an eine Rechtsmittelinstanz übergehen lässt (vgl. BGE 132 V 368 E. 6.1
und BGE 131 V 407 E. 2.1.2.1; ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER/FELIX
UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl., Zürich/St. Gallen 2010,
N. 1815). Das Einspracheverfahren ermöglicht eine Abklärung komplexer
tatsächlicher oder rechtlicher Verhältnisse und eine umfassende Abwä-
gung der verschiedenen von einer Verfügung berührten Interessen (HÄ-
FELIN/MÜLLER/UHLMANN, a.a.O., N. 1816).
1.2.2.2 Im Bereich der Mehrwertsteuer ist das Einspracheverfahren in
Art. 83 MWSTG gesetzlich vorgesehen. Eine Ausnahme hierzu bildet die
sog. "Sprungbeschwerde": Richtet sich die Einsprache gegen eine ein-
lässlich begründete Verfügung der ESTV, so ist sie auf Antrag oder mit
Zustimmung des Einsprechers oder der Einsprecherin als Beschwerde an
das Bundesverwaltungsgericht weiterzuleiten (Art. 83 Abs. 4 MWSTG;
vgl. zur Sprungbeschwerde Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
A-1184/2012 vom 31. Mai 2012 E. 2 ff.).
1.2.3 Der Erlass eines Einspracheentscheids setzt ausführungsgemäss
voraus, dass vorgängig eine Verfügung ergangen ist, welche überhaupt
Gegenstand eines Einspracheverfahrens bilden kann. Die Vorinstanz
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sieht diese Verfügung in der als "Verfügung" bezeichneten Einschät-
zungsmitteilung (EM) Nr. [...] vom 15. Dezember 2011. Freilich ist es nach
neuerer Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich
nicht zulässig, eine Einschätzungsmitteilung direkt als Verfügung im Sin-
ne von Art. 5 VwVG auszugestalten (vgl. Urteil des Bundesverwaltungs-
gerichts A-707/2013 vom 25. Juli 2013 E. 4.2 f., mit Hinweisen).
Vorliegend stellt aber jedenfalls der als "Einspracheentscheid" bezeichne-
te Entscheid der ESTV vom 30. Oktober 2012 eine Verfügung gemäss
Art. 5 VwVG dar. Indem die Beschwerdeführerin dagegen beim Bundes-
verwaltungsgericht Beschwerde erhob, hat sie einen allfälligen Verlust
des Einspracheverfahrens (E. 1.2.2.1) zumindest in Kauf genommen. Ihre
vorbehaltlose Beschwerdeführung direkt beim Bundesverwaltungsgericht
ist unter diesen Umständen – in analoger Anwendung von Art. 83 Abs. 4
MWSTG – als "Zustimmung" zur Durchführung des Verfahrens der
Sprungbeschwerde (E. 1.2.2.2) zu werten, zumal der "Einspracheent-
scheid" vom 30. Oktober 2012 einlässlich begründet ist (vgl. auch Urteil
des Bundesverwaltungsgerichts A-707/2013 vom 25. Juli 2013 E. 1.2.3
und E. 4.2.5.3).
1.2.4 Das Bundesverwaltungsgericht ist demnach für die Beurteilung der
vorliegenden Beschwerde auch funktional zuständig.
1.3 Auf die im Übrigen frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist
einzutreten.
1.4 Im Verwaltungsverfahren und der Verwaltungsrechtspflege gilt der
Untersuchungsgrundsatz, wonach die Behörde den rechtserheblichen
Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen hat (Art. 12 VwVG). Dieser
Grundsatz gilt auch im Mehrwertsteuerrecht, da nach Art. 81 Abs. 1
MWSTG der Vorbehalt für Steuerverfahren gemäss Art. 2 Abs. 1 VwVG
auf das Mehrwertsteuerrecht keine Anwendung mehr findet (s. vorne
E. 1.2.1). Gelangt der Richter aufgrund der Beweiswürdigung nicht zur
Überzeugung, eine rechtserhebliche Tatsache habe sich verwirklicht, so
stellt sich die Frage, ob zum Nachteil der Steuerbehörde oder des Steu-
erpflichtigen zu entscheiden ist, wer also die Folgen der Beweislosigkeit
zu tragen hat (sog. materielle Beweislast). Im Steuerrecht gilt grundsätz-
lich, dass die Steuerbehörde für die steuerbegründenden und steuerer-
höhenden Tatsachen beweisbelastet ist, während der steuerpflichtigen
Person der Nachweis der Tatsachen obliegt, welche die Steuerschuld
mindern oder aufheben (statt vieler: Urteil des Bundesgerichts
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2C_232/2012 vom 23. Juli 2012 E. 3.5; Urteil des Bundesverwaltungsge-
richts A-4206/2012 vom 13. März 2013 E. 2.2.1).
2.
2.1 Der Mehrwertsteuer unterliegen die im Inland gegen Entgelt erbrach-
ten Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen (Art. 5 Bst. a
und b aMWSTG). Als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Liefe-
rung eines Gegenstandes ist (Art. 7 Abs. 1 aMWSTG).
2.2 Mehrwertsteuerpflichtig ist, wer eine mit der Erzielung von Einnahmen
verbundene gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt,
auch wenn die Gewinnabsicht fehlt, sofern seine Leistungen im Inland
jährlich gesamthaft Fr. 75'000.- übersteigen (Art. 21 Abs. 1 aMWSTG).
Mehrwertsteuerpflichtig sind insbesondere natürliche Personen, Perso-
nengesellschaften, juristische Personen des privaten und öffentlichen
Rechts, unselbständige öffentliche Anstalten sowie Personengesamthei-
ten ohne Rechtsfähigkeit, die unter gemeinsamer Firma Umsätze tätigen
(Art. 21 Abs. 2 aMWSTG).
2.2.1 Beim Begriff der mehrwertsteuerlichen Selbständigkeit handelt es
sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Wichtige Indizien für die selb-
ständige Ausübung der Tätigkeit sind insbesondere das Handeln und Auf-
treten in eigenem Namen gegenüber Dritten, das Tragen des unterneh-
merischen Risikos (Gewinn und Verlust), die Wahlfreiheit, eine Aufgabe
anzunehmen oder nicht und diese selbständig organisieren zu können.
Daneben können die Beschäftigung von Personal, die Vornahme erheb-
licher Investitionen, eigene Geschäftsräumlichkeiten, verschiedene und
wechselnde Auftraggeber sowie die betriebswirtschaftliche und arbeitsor-
ganisatorische Unabhängigkeit eine Rolle spielen. Ob eine Tätigkeit im
mehrwertsteuerlichen Sinn als selbständig oder unselbständig anzusehen
ist, bestimmt sich stets aufgrund einer umfassenden Würdigung sämtli-
cher einschlägiger Faktoren (Urteile des Bundesgerichts 2C_554/2010
vom 21. September 2011 E. 2.2, 2C_426/2008 und 2C_432/2008 vom
18. Februar 2009 E. 2.2, 2C_430/2008 vom 18. Februar 2009 E. 2.2,
2C_518/2007 und 2C_519/2007 vom 11. März 2008, veröffentlicht in Ar-
chiv für Schweizerisches Abgaberecht [ASA] 77 S. 569 E. 2.2; Urteile des
Bundesverwaltungsgerichts A-3695/2012 vom 30. Juli 2013 E. 3.2, A-
1989/2011 vom 4. Januar 2012 E. 2.2.1, A-4011/2010 vom 18. Januar
2011 E. 2.2.1 und A-5460/2008 vom 12. Mai 2010 E. 2.2).
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2.2.2 Weitere – aber nicht allein ausschlaggebende – Indizien für die
mehrwertsteuerliche Behandlung bilden ferner die Art der Abrechnung der
Sozialversicherungsbeiträge sowie die Qualifikation einer Person als
selbständig oder unselbständig im Zusammenhang mit den direkten
Steuern (Urteile des Bundesgerichts 2A.47/2006 vom 6. Juli 2006 E. 3.2,
2A.304/2003 vom 14. November 2003, veröffentlicht in ASA 76 S. 627
E. 3.3.2; Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-156/2007 vom 20. Ap-
ril 2009 E. 2.2.2 und A-3822/2007 vom 3. Juni 2008 E. 2.1.4). Aufgrund
der verschiedenen Zielsetzungen der einzelnen Rechtsgebiete können
sich jedoch zwischen der Beurteilung nach mehrwertsteuerlichen Über-
legungen und jener betreffend direkte Steuern bzw. Sozialversicherungs-
recht Abweichungen ergeben. Es ist somit durchaus möglich, dass ein
und dieselbe Person in den verschiedenen Bereichen unterschiedlich
eingestuft wird (Urteil des Bundesgerichts vom 15. Oktober 1993, veröf-
fentlicht in ASA 64 S. 732 E. 3d; Urteile des Bundesverwaltungsgerichts
A-3695/2012 vom 30. Juli 2013 E. 3.2.2 und E. 7.2.2, A-2950/2011 vom
8. Februar 2012 E. 2.2.2, A-1989/2011 vom 4. Januar 2012 E. 2.2.2,
A-4011/2010 vom 18. Januar 2011 E. 2.2.2, A-5460/2008 vom 21. Mai
2010 E. 3.5.1, A-156/2007 vom 20. April 2009 E. 2.2.2 und A-1572/2006
vom 21. August 2008 E. 3.4.1).
2.2.3 Angesichts des Wesens der Mehrwertsteuer als allgemeine Ver-
brauchsteuer ist der Begriff der Selbständigkeit eher weit auszulegen (Ur-
teile des Bundesverwaltungsgerichts A-5460/2008 vom 12. Mai 2010
E. 2.2, A-156/2007 vom 20. April 2009 E. 2.2.4 und A-1572/2006 vom
21. August 2008 E. 2.2; vgl. DANIEL RIEDO, Vom Wesen der Mehrwert-
steuer als allgemeine Verbrauchsteuer und von den entsprechenden Wir-
kungen auf das schweizerische Recht, Bern 1999, S. 115, 174 f.).
2.2.4 Die Frage, ob ein Unternehmer im eigenen Namen auftritt oder
nicht, ist nicht nur für den Tatbestand der Selbständigkeit massgeblich,
sondern nach konstanter Rechtsprechung auch dafür, ob er überhaupt als
mehrwertsteuerlicher Leistungserbringer oder -empfänger zu gelten hat.
Denn das Handeln wird grundsätzlich demjenigen mehrwertsteuerlich zu-
gerechnet, der nach aussen, gegenüber Dritten im eigenen Namen auftritt
(Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-1989/2011 vom 4. Januar 2012
E. 2.2.4, A-5460/2008 vom 12. Mai 2010 E. 2.2, A-5876/2008 vom
24. März 2010 E. 2.2, A-1572/2006 vom 21. August 2008 E. 2.2,
A-1382/2006 und A-1383/2006 vom 19. Juli 2007 E. 2.2, bestätigt mit Ur-
teil des Bundesgerichts 2C_518/2007 und 2C_519/2007 vom 11. März
2008).
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In wessen Namen aufgetreten wird, ist ferner von zentraler Bedeutung
beim mehrwertsteuerlichen Stellvertretungstatbestand gemäss Art. 11
aMWSTG. Denn als blosser Vermittler einer Leistung gilt nur, wer diese
ausdrücklich im Namen und für Rechnung des Vertretenen tätigt, so dass
das Umsatzgeschäft direkt zwischen dem Vertretenen und dem Dritten
zustande kommt (Abs. 1). Handelt bei einer Leistung der Vertreter zwar
für fremde Rechnung, tritt er aber nicht ausdrücklich im Namen des Ver-
tretenen auf, so liegt sowohl zwischen dem Vertretenen und dem Vertre-
ter als auch zwischen dem Vertreter und dem Dritten eine mehrwertsteu-
erliche Leistung vor (Abs. 2).
2.3 Die Mehrwertsteuer wird vom Entgelt berechnet. Dazu gehört alles,
was der Leistungsempfänger (oder ein Dritter für ihn) als Gegenleistung
für die Leistung aufwendet (Art. 33 Abs. 1 und 2 aMWSTG).
2.4 Die mehrwertsteuerliche Qualifikation von Vorgängen hat nicht in ers-
ter Linie aus einer zivil-, sprich vertragsrechtlichen Sicht, sondern nach
wirtschaftlichen, tatsächlichen Kriterien zu erfolgen (Urteil des Bundesge-
richts 2A.304/2003 vom 14. November 2003 E. 3.6.1 mit Hinweisen;
BVGE 2007/23 E. 2.3.2; Urteile des Bundesverwaltungsgerichts
A-5460/2008 vom 12. Mai 2010 E. 2.4, A-156/2007 vom 20. April 2009
E. 2.2.3 und A-1595/2006 vom 2. April 2009 E. 2.8, bestätigt mit Urteil des
Bundesgerichts 2C_309/2009 und 2C_310/2009 vom 1. Februar 2010;
ausführlich: RIEDO, a.a.O., S. 112). Der wirtschaftlichen Betrachtungs-
weise kommt im Bereich der Mehrwertsteuer nicht nur bei der rechtlichen
Qualifikation von Sachverhalten, sondern auch bei der Auslegung von zi-
vilrechtlichen und von steuerrechtlichen Begriffen Bedeutung zu (Urteil
des Bundesgerichts 2A.43/2002 vom 8. Januar 2003, veröffentlicht in ASA
73 S. 565 ff. E. 3.2; BVGE 2007/23 E. 2.3.2; Urteile des Bundesverwal-
tungsgerichts A-5460/2008 vom 12. Mai 2010 E. 2.4 und A-156/2007 vom
20. April 2009 E. 2.2.3). Nicht entscheidend ist deshalb grundsätzlich, wie
die Parteien ihr Vertragsverhältnis ausgestalten (Urteil des Bundesge-
richts 2A.47/2006 vom 6. Juli 2006 E. 3.2; zum Ganzen: Urteil des Bun-
desverwaltungsgerichts A-4011/2010 vom 18. Januar 2011 E. 2.4).
2.5 Miteinander verbundene Leistungen sind mehrwertsteuerlich als ein-
heitlicher wirtschaftlicher Vorgang zu betrachten, wenn sie wirtschaftlich
derart eng zusammengehören und ineinandergreifen, dass sie ein unteil-
bares Ganzes bilden (sog. Gesamtleistung; vgl. Art. 36 Abs. 4 aMWSTG).
Liegt eine Gesamtleistung vor, erfolgt die mehrwertsteuerliche Behand-
lung nach der für diese wesentlichen Eigenschaft, das heisst nach der
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Leistung, welche wirtschaftlich betrachtet im Vordergrund steht (vgl. zum
Ganzen: Urteil des Bundesgerichts 2C_807/2008 vom 19. Juni 2009
E. 2.2, mit weiteren Hinweisen; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-
4206/2012 vom 13. März 2013 E. 2.5, mit Hinweis).
2.6 Die Mehrwertsteuersystematik ist grundsätzlich auf die Überwälzbar-
keit der Steuer ausgerichtet (vgl. Art. 1 Abs. 2 aMWSTG). Dies hat jedoch
nicht zur Folge, dass sich der Steuerpflichtige im Steuerjustizverfahren
mit Erfolg mit dem Einwand gegen eine Steuernachforderung wehren
kann, er könne die nacherhobene Steuer nicht mehr auf den Leistungs-
bezüger überwälzen. Denn aus dem Überwälzbarkeitsprinzip entsteht
gegenüber dem Staat kein Anspruch des Steuerpflichtigen auf Überwäl-
zung der Mehrwertsteuer, genauso wenig wie er kraft öffentlichen Rechts
verpflichtet werden könnte, die Steuer zu überwälzen. Die Bezahlung
rechtmässig erhobener Steuernachforderungen lässt sich somit nicht un-
ter Hinweis auf die Unmöglichkeit der Überwälzung verweigern (vgl. Urteil
des Bundesgerichts 2C_518/2007 und 2C_519/2007 vom 11. März 2008
E. 3.4, mit Hinweis auf RIEDO, a.a.O., S. 21; XAVIER OBERSON, in: Kompe-
tenzzentrum MWST der Treuhand-Kammer [Hrsg.], , Kommen-
tar zum Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer, Basel 2000, Art. 1 N. 28;
s. zum Ganzen ferner auch Urteil des Bundesgerichts 2C_426/2008 und
2C_432/2008 vom 18. Februar 2009 E. 4.5; Urteil des Bundesverwal-
tungsgerichts A-3198/2009 vom 2. September 2010 E. 2.4.2, mit Hinwei-
sen). Daran hat sich auch mit Inkrafttreten des MWSTG nichts geändert
(vgl. zu Art. 1 Abs. 3 Bst. c MWSTG FELIX GEIGER, in: Felix Gei-
ger/Regine Schluckebier [Hrsg.], MWSTG Kommentar, Zürich 2012, N. 28
zu Art. 1 MWSTG, mit Hinweisen). Ob und inwieweit die entsprechenden
Mehrwertsteuern auf Dritte überwälzt werden können, richtet sich nach
privatrechtlichen Vereinbarungen und ist gegebenenfalls vom Zivilrichter
zu entscheiden (vgl. Art. 37 Abs. 6 aMWSTG; zum neuen Recht Art. 6
MWSTG).
2.7
2.7.1 Die Veranlagung und Entrichtung der Mehrwertsteuer erfolgt nach
dem Selbstveranlagungsprinzip (Art. 46 f. aMWSTG; vgl. Urteil des Bun-
desgerichts 2C_356/2008 vom 21. November 2008 E. 3.2; Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts A-5312/2008 vom 19. Mai 2010 E. 2; ERNST
BLUMENSTEIN/PETER LOCHER, System des schweizerischen Steuerrechts,
6. Aufl., Zürich 2002, S. 421 ff.). Der Steuerpflichtige hat selbst und un-
aufgefordert über seine Umsätze und Vorsteuern abzurechnen und inner-
halb von 60 Tagen nach Ablauf der Abrechnungsperiode den geschulde-
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ten Mehrwertsteuerbetrag an die ESTV abzuliefern. Das Selbstveranla-
gungsprinzip bedeutet auch, dass der Leistungserbringer für die Feststel-
lung der Mehrwertsteuerpflicht bzw. -forderung selbst verantwortlich ist
(vgl. Urteile des Bundesgerichts 2C_356/2008 vom 21. November 2008
E. 3.2 und 2A.109/2005 vom 10. März 2006 E. 2.1; Urteile des Bundes-
verwaltungsgerichts A-1344/2011 und A-3285/2011 vom 26. September
2011 E. 3.1 sowie A-5460/2008 vom 12. Mai 2010 E. 2.5.1).
2.7.2 Zu den Obliegenheiten der mehrwertsteuerpflichtigen Person gehört
insbesondere auch die Buchführungspflicht. Der Mehrwertsteuerpflichtige
hat seine Geschäftsbücher ordnungsgemäss zu führen und so
einzurichten, dass sich aus ihnen die für die Feststellung der
Mehrwertsteuerpflicht sowie für die Berechnung der Steuer und der ab-
ziehbaren Vorsteuern massgebenden Tatsachen leicht und zuverlässig
ermitteln lassen (Art. 58 Abs. 1 Satz 1 aMWSTG). Über die
Buchführungspflicht kann die ESTV nähere Bestimmungen aufstellen
(Art. 58 Abs. 1 Satz 2 aMWSTG). Von dieser Befugnis hat sie im Rahmen
des Erlasses der Wegleitung für Mehrwertsteuerpflichtige (in erster
Auflage erschienen im Herbst 1994 [herausgegeben im Frühling 1997];
als Wegleitung 2001 zur Mehrwertsteuer [Wegleitung 2001] danach
herausgegeben per 1. Januar 2001 [und per 1. Januar 2008
herausgegeben als Wegleitung 2008 zur Mehrwertsteuer]) Gebrauch
gemacht. In der – vorliegend einschlägigen – Wegleitung 2008 sind
genauere Angaben enthalten, wie eine derartige Buchhaltung
auszugestalten ist (Rz. 878 ff.). Alle Geschäftsvorfälle müssen fortlaufend,
chronologisch und lückenlos aufgezeichnet werden (Rz. 884 f.) und
sämtliche Eintragungen haben sich auf entsprechende Belege zu stützen,
so dass die einzelnen Geschäftsvorfälle von der Eintragung in die Hilfs-
und Grundbücher bis zur Steuerabrechnung und bis zum
Jahresabschluss sowie umgekehrt leicht und genau verfolgt werden
können (sog. "Prüfspur"; vgl. statt vieler: Urteile des
Bundesverwaltungsgerichts A-5274/2011 vom 19. März 2013 E. 4.1.3, A-
4506/2011 vom 30. April 2012 E. 2.3.1 und A-7570/2009 vom 22. Juni
2011 E. 2.2.1).
2.8
2.8.1 Liegen keine oder nur unvollständige Aufzeichnungen vor (Verstoss
gegen die formellen Buchführungsvorschriften) oder stimmen die ausge-
wiesenen Ergebnisse mit dem wirklichen Sachverhalt offensichtlich nicht
überein (Verstoss gegen die materiellen Buchführungsregeln), so nimmt
die ESTV gemäss Art. 60 aMWSTG eine Schätzung nach pflichtgemäs-
A-6180/2012
Seite 12
sem Ermessen vor (vgl. etwa Urteil des Bundesgerichts 2C_970/2012
vom 1. April 2013 E. 4.1). Diese Bestimmung ist auch heranzuziehen,
falls mangels Aufzeichnungen – worunter nicht nur Geschäftsbücher im
Sinne von Art. 58 Abs. 1 aMWSTG zu verstehen sind (vgl. dazu PASCAL
MOLLARD, TVA et taxation par estimation, veröffentlicht in: ASA 69 S. 518)
– die sachverhaltsmässigen Grundlagen zur Beantwortung der Frage, ob
überhaupt eine Steuerpflicht vorliegt, nicht einwandfrei ermittelt werden
können (zur Ermessensveranlagung als Sachverhaltsermittlung durch
Schätzung vgl. grundlegend: BLUMENSTEIN/LOCHER, a.a.O., S. 404; zur
Rechtslage bei den direkten Steuern: THOMAS STADELMANN, Beweislast
oder Einschätzung nach pflichtgemässem Ermessen, veröffentlicht in:
SteuerRevue [StR] 2001 S. 258 ff., 260).
2.8.2 Art. 60 aMWSTG unterscheidet nach dem Ausgeführten zwei von-
einander unabhängige Konstellationen, welche zu einer Ermessensveran-
lagung führen. Die erste ist diejenige der ungenügenden Aufzeichnung
(Konstellation 1). In diesem Fall hat eine Schätzung insbesondere auch
dann zu erfolgen, wenn die Verstösse gegen die formellen Buchhaltungs-
vorschriften als derart gravierend zu qualifizieren sind, dass sie die mate-
rielle Richtigkeit der Buchhaltungsergebnisse in Frage stellen (statt vieler:
BGE 105 Ib 181 E. 4a; Urteile des Bundesgerichts 2C_429/2009 vom
9. November 2009 E. 3 und 2A.437/2005 vom 3. Mai 2006 E. 3.1). Zwei-
tens kann selbst eine formell einwandfreie Buchführung die Durchführung
einer Schätzung erfordern, wenn die ausgewiesenen Ergebnisse mit dem
wirklichen Sachverhalt offensichtlich nicht übereinstimmen (Konstellati-
on 2). Dies ist nach der Rechtsprechung der Fall, wenn die in den Bü-
chern enthaltenen Geschäftsergebnisse von den von der Steuerverwal-
tung erhobenen branchenspezifischen Erfahrungszahlen wesentlich ab-
weichen, vorausgesetzt die kontrollierte Person ist nicht in der Lage, all-
fällige besondere Umstände, auf Grund welcher diese Abweichung erklärt
werden kann, nachzuweisen oder zumindest glaubhaft zu machen (zum
Ganzen statt vieler: Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-4922/2012
vom 14. Juni 2013 E. 2.5.2 mit Hinweisen).
2.9
2.9.1 Sind die Voraussetzungen für eine Ermessenstaxation erfüllt, so ist
die ESTV nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, eine solche nach
pflichtgemässem Ermessen vorzunehmen. Die Fälle, in denen die Steu-
erpflichtigen ihre Mitwirkungspflichten nicht wahrnehmen bzw. keine, un-
vollständige oder ungenügende Aufzeichnungen über ihre Umsätze (bzw.
hinsichtlich der Feststellung oder Überprüfung der Steuerpflicht) führen,
A-6180/2012
Seite 13
dürfen keine Steuerausfälle zur Folge haben (Urteil des Bundesgerichts
2A.552/2006 vom 1. Februar 2007 E. 3.2; Urteil des Bundesverwaltungs-
gerichts A-4922/2012 vom 14. Juni 2013 E. 2.6.1).
2.9.2 Hat die ESTV eine Schätzung nach pflichtgemässem Ermessen
vorzunehmen, hat sie dabei diejenige Schätzungsmethode zu wählen, die
den individuellen Verhältnissen im Betrieb der steuerpflichtigen Person
soweit als möglich Rechnung trägt, auf plausiblen Annahmen beruht und
deren Ergebnis der wirklichen Situation möglichst nahe kommt (statt vie-
ler: Urteil des Bundesgerichts 2C_970/2012 vom 1. April 2013 E. 4.1;
ALOIS CAMENZIND/NIKLAUS HONAUER/KLAUS A. VALLENDER, Handbuch
zum Mehrwertsteuergesetz [MWSTG], 2. Aufl., Bern 2003, N. 1682). In
Betracht kommen Schätzungsmethoden, die auf eine Ergänzung oder
Rekonstruktion der ungenügenden Buchhaltung hinauslaufen, aber auch
Umsatzschätzungen aufgrund unbestrittener Teil-Rechnungsergebnisse
in Verbindung mit Erfahrungssätzen. Die brauchbaren Teile der Buchhal-
tung und allenfalls vorhandene Belege sind soweit als möglich bei der
Schätzung zu berücksichtigen. Sie können durchaus als Basiswerte der
Ermessenstaxation fungieren (statt vieler: Urteil des Bundesverwaltungs-
gerichts A-4922/2012 vom 14. Juni 2013 E. 2.6.2 mit weiteren Hinweisen;
MOLLARD, a.a.O., S. 530 ff.).
2.9.3 Im Rahmen einer Ermessenstaxation ist es nach der Rechtspre-
chung des Bundesgerichts auch zulässig, dass die ESTV eine Prüfung
der Verhältnisse während eines Teils der Kontrollperiode vornimmt und in
der Folge das Ergebnis auf den gesamten kontrollierten Zeitraum umlegt
bzw. hochrechnet (sog. Umlageverfahren), vorausgesetzt die massge-
benden Verhältnisse im eingehend kontrollierten Zeitabschnitt seien ähn-
lich wie in der gesamten Kontrollperiode (Urteile des Bundesgerichts
2C_309/2009 vom 1. Februar 2010 E. 2.2 und 2A.437/2005 vom 3. Mai
2006 E. 4.3.2; Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-852/2012 vom
27. September 2012 E. 2.3.4 und A-689/2012 vom 31. Mai 2012 E. 2.6.3).
2.10 Die Vorinstanz zieht bei ihrer Arbeit Erfahrungszahlen heran, sei es
im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen der Ermessensveranla-
gung oder sei es für die Vornahme der Schätzung. Nach der Rechtspre-
chung ist das Abstellen auf Erfahrungszahlen grundsätzlich nicht zu be-
anstanden (statt vieler: BVGE 2009/60 E. 2.8).
2.10.1 Erfahrungszahlen sind Ergebnisse, die aus zuverlässigen Buchhal-
tungen gewonnen und nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten sta-
A-6180/2012
Seite 14
tistisch verarbeitet werden. Sie sind keine Rechtssätze und auch keine
Beweismittel (solange sie nicht z.B. durch ein Sachverständigengutach-
ten erwiesen sind), die den Geschäftsbüchern gleichgestellt wären (MAR-
TIN ZWEIFEL/SILVIA HUNZIKER, Beweis und Beweislast im Steuerverfahren
bei der Prüfung von Leistung und Gegenleistung unter dem Gesichtswin-
kel des Drittvergleichs [«dealing at arm's length»], veröffentlicht in: ASA
77 S. 658 ff., 665, 679, mit Hinweisen).
2.10.2 Erfahrungszahlen drücken Gesetzmässigkeiten in den Verdienst-
verhältnissen einzelner Branchen aus. Diese Funktion kommt ihnen aber
nur dann zu, wenn sie auf einer sicheren Grundlage beruhen (vgl. ZWEI-
FEL/HUNZIKER, a.a.O., S. 679). Sollen Erfahrungswerte Aufschluss über
durchschnittliche Umsatzziffern geben, müssen sie breit abgestützt sein
und sollten nebst der Betriebsstruktur und den regionalen Gegebenheiten
auch die Betriebsgrösse berücksichtigen (vgl. MOLLARD, a.a.O., S. 553).
Mit anderen Worten müssen sie aufgrund umfassender, repräsentativer,
homogener und aktueller Stichproben gewonnen werden. Das verlangt,
dass sie aufgrund einer genügenden Anzahl von Fällen ermittelt werden.
Der Stichprobenumfang lässt sich nicht in einer absoluten Zahl bestim-
men, welche für alle Branchen gültig wäre. Die Wahl der Stichproben darf
nicht einseitig nur günstige oder ungünstige Verhältnisse betreffen. Sie
muss alle Verhältnisse in angemessener Anzahl umfassen, um repräsen-
tative Ergebnisse ermitteln zu können (BVGE 2009/60 E. 2.8.1; statt vie-
ler: Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-1933/2012 vom
20. November 2012 E. 2.7.2, mit weiteren Hinweisen).
2.10.3 Die Steuerbehörde hat die Pflicht, der steuerpflichtigen Person die
Grundlagen der Erfahrungszahlen kundzugeben (vgl. ZWEIFEL/HUNZIKER,
a.a.O., S. 682 f., mit zahlreichen Hinweisen). Dies folgt aus der Begrün-
dungspflicht. Die Behörde hat der steuerpflichtigen Person die Art und
Weise, wie die Ermessensveranlagung zustande gekommen ist – beinhal-
tend auch die Zahlen und Erfahrungswerte –, bekannt zu geben. Sie hat
zu erläutern, dass die zum Vergleich herangezogenen Betriebe nicht nur
der gleichen Branche entstammen wie das eingeschätzte (gegebenen-
falls) steuerpflichtige Unternehmen, sondern auch in anderer Hinsicht
vergleichbar sind, wie zum Beispiel betreffend Standort, Betriebsgrösse,
Kundenkreis usw. Nur so ist es der steuerpflichtigen Person möglich, die
Veranlagung sachgerecht anzufechten (Urteil des Bundesgerichts
2A.284/2000 vom 5. Dezember 2000 E. 3, mit Hinweisen).
A-6180/2012
Seite 15
2.10.4 Da es sich bei Erfahrungszahlen prinzipiell um Durchschnittswerte
handelt, dürfen sie im Einzelfall nicht lediglich in schematischer Weise
angewendet werden. In Ausübung des pflichtgemässen Ermessens muss
bei der Anwendung von Erfahrungszahlen deshalb deren Streubreite
(zwischen Maximal- und Minimalwert) beachtet werden, wenn eine den
individuellen Verhältnissen gerecht werdende Schätzung erfolgen soll
(Urteil des Bundesgerichts vom 4. Mai 1983, veröffentlicht in: ASA 52
S. 234 E. 4). Inwiefern die Verwaltung ihr Ermessen ausgeübt hat, ist in
der Entscheidbegründung darzulegen (zum Ganzen: BVGE 2009/60
E. 2.8.4; statt vieler: Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-4922/2012
vom 14. Juni 2013 E. 2.7.4, mit weiteren Hinweisen).
2.11
2.11.1 Das Bundesverwaltungsgericht kann den angefochtenen Ent-
scheid grundsätzlich in vollem Umfang überprüfen. Der Beschwerdefüh-
rer kann neben der Verletzung von Bundesrecht (Art. 49 Bst. a VwVG)
und der unrichtigen oder unvollständigen Feststellung des rechtserhebli-
chen Sachverhaltes (Art. 49 Bst. b VwVG) auch die Rüge der Unange-
messenheit erheben (Art. 49 Bst. c VwVG).
2.11.2 Das Bundesverwaltungsgericht überprüft das Vorliegen der Vor-
aussetzungen für die Vornahme einer Ermessenstaxation – als Rechts-
frage – uneingeschränkt. Als ausserhalb der Verwaltungsorganisation und
Behördenhierarchie stehendes, von der richterlichen Unabhängigkeit be-
stimmtes Verwaltungsgericht auferlegt es sich trotz des möglichen Rüge-
grundes der Unangemessenheit bei der Überprüfung von zulässigerweise
erfolgten Ermessensveranlagungen jedoch eine gewisse Zurückhaltung
und reduziert dergestalt seine Prüfungsdichte. Grundsätzlich setzt das
Bundesverwaltungsgericht nur dann sein eigenes Ermessen an die Stelle
desjenigen der Vorinstanz, wenn dieser bei der Schätzung erhebliche
Ermessensfehler unterlaufen sind (zum Ganzen statt vieler: Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts A-4922/2012 vom 14. Juni 2013 E. 2.9.2).
Diese Praxis wurde vom Bundesgericht bestätigt (vgl. bereits Urteil des
Bundesgerichts 2C_426/2007 vom 22. November 2007 E. 4.3, ferner: Ur-
teil des Bundesgerichts 2C_970/2012 vom 1. April 2013 E. 4.3).
2.11.3 Für das Vorliegen der Voraussetzungen zur Vornahme einer Er-
messenseinschätzung ist nach der allgemeinen Beweislastregel die
ESTV beweisbelastet (E. 1.4). Sind die Voraussetzungen erfüllt (erste
Stufe) und erscheint die vorinstanzliche Schätzung nicht bereits im Rah-
men der durch das Bundesverwaltungsgericht mit der gebotenen Zurück-
A-6180/2012
Seite 16
haltung (E. 2.11.2) vorzunehmenden Prüfung als pflichtwidrig (zweite Stu-
fe), obliegt es – in Umkehr der allgemeinen Beweislast – der steuerpflich-
tigen Person, den Nachweis für die Unrichtigkeit der Schätzung (dritte
Stufe) zu erbringen (vgl. statt vieler: Urteil des Bundesgerichts
2C_970/2012 vom 1. April 2013 E. 4.2; Urteile des Bundesverwaltungsge-
richts A-4750/2012 vom 22. Juli 2013 E. 2.4.3 und A-6001/2011 vom
21. Mai 2013 E. 2.4.2). Weil das Ergebnis der Ermessensveranlagung
selbst auf einer Schätzung beruht, kann sich die steuerpflichtige Person
gegen eine zulässigerweise durchgeführte Ermessenseinschätzung nicht
mit allgemeiner Kritik zur Wehr setzen. Vielmehr hat sie darzulegen, dass
die von der ESTV vorgenommene Schätzung offensichtlich fehlerhaft ist,
und sie hat auch den Beweis für ihre vorgebrachten Behauptungen zu
erbringen (statt vieler: Urteil des Bundesgerichts 2C_970/2012 vom
1. April 2013 E. 4.3).
3.
Im vorliegenden Fall betrieb die Beschwerdeführerin in der hier massge-
benden Zeit den Sauna-Club "C._______" mit einem Restaurant und ei-
ner Bar. Nach den unbestritten gebliebenen Ausführungen der Vorinstanz
bezahlten die männlichen Kunden einen Eintritt von Fr. 70.- und Paare
ein Eintrittsgeld von Fr. 80.- für den zeitlich unbegrenzten Zutritt zur Infra-
struktur (Schwimmbad, Dampfbad, Whirlpool und Sauna) und die Benut-
zung diverser Gegenstände (wie z.B. Bademäntel und Handtücher). Fer-
ner stellte die Beschwerdeführerin den in ihrem Club tätigen Sexarbeite-
rinnen gegen ein Eintrittsgeld von Fr. 100.- die genannte Infrastruktur,
Verbrauchsmaterial (wie z.B. Kondome und Gleitcrème) sowie getrennte
Standardzimmer zur Verfügung. Für die Benutzung einer Luxussuite hat-
ten die Kunden der Beschwerdeführerin zusätzlich Fr. 100.- zu bezahlen.
Die diversen gastgewerblichen Leistungen wurden grundsätzlich sowohl
den Sexarbeiterinnen als auch den Kunden in Rechnung gestellt; davon
ausgenommen waren jeweils ein Abendmenu sowie bei den Sexarbeite-
rinnen alkoholfreie Getränke.
Jedes Jahr veranstaltete die Beschwerdeführerin vier Parties, bei wel-
chen die Herren einen Betrag von Fr. 300.- für die Teilnahme sowie die
Inanspruchnahme erotischer Dienstleistungen von den anwesenden Sex-
arbeiterinnen bezahlten. Von diesem Betrag wurden jeweils Fr. 70.- als
Eintrittsgeld verbucht und Fr. 230.- als Entgelt für die zu erbringenden
erotischen Dienstleistungen unter den an der Party teilnehmenden Sex-
arbeiterinnen aufgeteilt, wobei die Fr. 230.- von der Beschwerdeführerin
weder verbucht noch deklariert wurden. Die Sexarbeiterinnen hatten an
A-6180/2012
Seite 17
den Partytagen kein Eintrittsgeld zu entrichten. Nach Darstellung der Be-
schwerdeführerin war an diesen Tagen für Herren, welche nicht an den
Parties teilnehmen wollten, gegen ein Eintrittsgeld von Fr. 70.- der norma-
le Saunabetrieb zugänglich (vgl. Beschwerde, S. 6).
3.1
3.1.1 Für die Beurteilung der Selbständigkeit und die Bestimmung des
mehrwertsteuerrechtlichen Leistungserbringers ist das Handeln im eige-
nen Namen und der Auftritt gegen aussen entscheidend (E. 2.2.1 und
E. 2.2.4). Dabei ist die Frage massgebend, wie das Erotikangebot für die
Allgemeinheit, für einen neutralen Dritten objektiv erkennbar in Erschei-
nung tritt (vgl. auch Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-2950/2011
vom 8. Februar 2012 E. 3.1.1 und A-1989/2011 vom 4. Januar 2012
E. 4.1.1).
3.1.2 Wie das in Frage stehende Erotikangebot für einen Aussenstehen-
den objektiv erkennbar in Erscheinung tritt, kann vorliegend in erster Linie
gestützt auf die Homepage der Beschwerdeführerin beurteilt werden, auf
welcher die Erotikdienstleistungen angeboten worden sind ([…]). Akten-
kundig sind Ausdrucke des Internetauftritts vom 25. Mai 2011 und vom
30. Mai 2012 (Akten Vorinstanz, act. 11).
Auf dem Ausdruck der Homepage vom 25. Mai 2011 wird für eine "MEGA
PARTY IM C._______ MIT TOP GIRLS" am 1. Juli 2011 geworben. Nebst
dem Eintrittspreis von Fr. 300.- und einer Zeitangabe findet sich darin
insbesondere der Vermerk "inkl. Sex".
Der jüngere Ausdruck vom 30. Mai 2012 enthält nebst einer Preisangabe
für eine Party mit dem Hinweis "Eintritt inkl. 3x Sex" als Erläuterung zu
zwei Fotos einer Frau den Vermerk "D._______ 23 Jahre". Zu einer wei-
teren, darin enthaltenen Preisangabe für einen "Top Hit" mit "1/2 Std.
Sex" findet sich zudem der Hinweis, dass ab 12:00 Uhr "selbstverständ-
lich" auch der normale Eintritt von Fr. 90.- bezahlt werden könne, und
zwar für einen zeitlich unbeschränkten Aufenthalt.
Auf allen Ausdrucken der Homepage sind die Adresse und die Telefon-
nummer des Clubs aufgeführt.
Nach den genannten Internetauftritten hat der Sauna-Club "C._______"
die Erotikdienstleistungen im eigenen Namen angepriesen. Für die All-
gemeinheit, das heisst für einen neutralen Dritten, trat damit der Club
"C._______" als Leistungserbringer der Erotikdienstleistungen auf. Dies
A-6180/2012
Seite 18
gilt umso mehr, als auf den Ausdrucken der Homepage nur die Adresse
und die Telefonnummer des Sauna-Clubs angegeben sind. Zwar enthält
die Homepage nach den genannten Ausdrucken auch eine Unterrubrik
"Girls", deren Inhalt nicht aktenkundig ist. Selbst wenn diese Unterrubrik
Angaben enthalten sollte, welche dem Kunden eine direkte Kontaktauf-
nahme mit den Sexarbeiterinnen ohne Vermittlung durch die Beschwer-
deführerin ermöglichen, tritt jedoch nach aussen in erster Linie – nament-
lich aufgrund der Preisangabe für eine Party mit dem Vermerk "inkl. Sex"
– der Club als Anbieter der Sexdienstleistungen in Erscheinung. Nichts
daran ändern kann der Umstand, dass auf einem der Ausdrucke der Ho-
mepage Fotos einer Sexarbeiterin abgebildet sind und ihr Vorname bzw.
Pseudonym festgehalten ist (vgl. auch Urteil des Bundesgerichts
2C_239/2008 vom 26. August 2008 E. 2.4 f.). Der Internetauftritt spricht
damit gegen die mehrwertsteuerrechtliche Selbständigkeit der einzelnen
Sexarbeiterinnen. Im Weiteren liegen keine Anhaltspunkte vor und wird
auch nicht seitens der Beschwerdeführerin geltend gemacht, dass sich
der relevante Inhalt der Homepage in der Zeit vom 1. April 2008 bis zum
25. Mai 2011 bzw. 30. Mai 2012 wesentlich verändert hat. Die Unter-
schiede zwischen den Ausdrucken vom 25. Mai 2011 und 30. Mai 2012
erscheinen im Übrigen mit Bezug auf die Frage, ob die Beschwerdeführe-
rin gegenüber Dritten im eigenen Namen handelte und auftrat, nicht als
entscheidend.
3.1.3 Ferner kann nicht gesagt werden, die Sexarbeiterinnen handelten in
völliger betriebswirtschaftlicher bzw. arbeitsorganisatorischer Unabhän-
gigkeit: Die Beschwerdeführerin bietet an vier Tagen im Jahr neben dem
Sauna- bzw. Poolbetrieb Parties an, wobei sie auch die jeweiligen Tarife
festlegt. In den Pauschalbeträgen sind sämtliche sexuellen Dienstleistun-
gen während der Party inbegriffen. Der nach Abzug der Eintrittsgelder von
je Fr. 70.- verbleibende Umsatz wird anschliessend auf die anwesenden
Damen verteilt. Diese können demnach die genauen Preise für die je-
weils konkret erbrachten Leistungen nicht massgeblich mitbestimmen. Es
ist durchaus möglich, dass die Preise gegenüber denjenigen im Einzel-
service stark verbilligt sind. Jedenfalls beeinträchtigt die Preisvorgabe der
Beschwerdeführerin die betriebswirtschaftliche Unabhängigkeit der Frau-
en (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-1562/2006 vom 26. Sep-
tember 2008 E. 3.2.3, mit Hinweisen; vgl. dazu ferner Urteil des Bundes-
gerichts 2C_426/2008 und 2C_432/2008 vom 18. Februar 2009 E. 4.2 ff.).
Nicht nur das spricht gegen eine mehrwertsteuerliche Selbständigkeit der
Damen, sondern auch der Umstand, dass sie in einer weitgehenden ar-
A-6180/2012
Seite 19
beitsorganisatorischen Abhängigkeit zur Beschwerdeführerin stehen.
Denn es sind jeweils mehrere Frauen, welche die Infrastruktur und die
weiteren Betriebsmittel gleichzeitig oder nacheinander für ihre Sexange-
bote nutzen. Zudem legt die Beschwerdeführerin die Öffnungszeiten des
Sauna-Clubs bzw. die Dauer der Parties fest. Umfang und Zeitpunkt der
Leistungserbringung der einzelnen Damen sind folglich direkt von der Be-
legungsdichte der beschwerdeführerischen Betriebsmittel abhängig. Leis-
tungsumfang und -zeit können die Sexarbeiterinnen dementsprechend
nur bedingt frei wählen. Sie bestimmen sich vielmehr nach Massgabe der
betrieblichen Möglichkeiten und weitgehend auch der Bedürfnisse bzw.
des Willens der Beschwerdeführerin (Urteil des Bundesgerichts vom
11. März 2008, veröffentlicht in: ASA 77 S. 570 f. E. 3.2; Urteile des Bun-
desverwaltungsgerichts A-2950/2011 vom 8. Februar 2012 E. 3.2.2 und
A-5460/2008 vom 12. Mai 2010 E. 3.3). Es steht im ureigensten Interesse
der Beschwerdeführerin, dass die Zimmer bestmöglich ausgelastet sind
und dass Friktionen weitestgehend vermieden werden, weshalb sich die
Damen zwangsläufig einer entsprechenden betrieblichen Ordnung der
Beschwerdeführerin unterziehen müssen (Urteil des Bundesverwaltungs-
gerichts A-2950/2011 vom 8. Februar 2012 E. 3.2.2, mit Hinweis). So
werden die Anwesenheiten der Sexarbeiterinnen wohl derartig zusam-
mengestellt, dass sie die Bedürfnisse der Kunden bestmöglich abdecken
und so eine möglichst hohe Auslastung des Etablissements der Be-
schwerdeführerin erreicht werden kann (vgl. zum Ganzen auch Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts A-1562/2006 vom 26. September 2008
E. 3.2.3, bestätigt durch das Urteil des Bundesgerichts 2C_806/2008 vom
1. Juli 2009).
3.2 Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Sexarbeiterinnen würden
auch bei den direkten Steuern und den Sozialversicherungen bzw. "in
sämtlichen Rechtsgebieten" als selbständig erwerbstätig qualifiziert
(vgl. Beschwerde, S. 8 ff.).
Die Art der Abrechnung der Sozialversicherungsbeiträge und die Qualifi-
kation einer Person als selbständig oder unselbständig im Zusammen-
hang mit den direkten Steuern bilden zwar – wie ausgeführt – nicht unbe-
deutende, aber dennoch nicht allein ausschlaggebende Indizien für die
mehrwertsteuerliche Behandlung (E. 2.2.2). Es können sich somit Abwei-
chungen zwischen der Beurteilung nach mehrwertsteuerlichen Überle-
gungen und jener betreffend Sozialversicherungsrecht bzw. direkten
Steuern ergeben. Insbesondere aufgrund der verschiedenen Zielsetzun-
gen dieser Rechtsgebiete ist es durchaus möglich, dass ein und dieselbe
A-6180/2012
Seite 20
Person in den verschiedenen Bereichen unterschiedlich eingestuft wird
(s. zum Ganzen E. 2.2.2). Nichts Gegenteiliges ergibt sich im Übrigen aus
der von der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang erwähnten Li-
teratur (vgl. Beschwerde, S. 9). An der entsprechenden Stelle wird zwar
ausgeführt, der Begriff der Selbständigkeit oder Unselbständigkeit von na-
türlichen Personen im Umsatzsteuerrecht entspreche "im Wesentlichen
demjenigen des Einkommenssteuerrechts" (HEINZ KELLER, Abgrenzung
der selbständigen von der unselbständigen Erwerbstätigkeit sowie Begriff
der Nachhaltigkeit als zwei Kriterien für die Abklärung der subjektiven
Steuerpflicht, veröffentlicht in: ASA 74, S. 439 ff., S. 441; vgl. dazu Be-
schwerde, S. 9). Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass sich die Begriffe
der Selbständigkeit bei der Mehrwertsteuer und den direkten Steuern
vollständig decken.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist auch nicht erkenn-
bar, dass der Begriff der mehrwertsteuerlichen Selbständigkeit mit dem
entsprechenden Begriff in weiteren Rechtsgebieten (wie etwa dem Auf-
enthaltsrecht) identisch ist. Am Ausgang des vorliegenden Verfahrens
vermag jedenfalls eine allfällige sozialversicherungsrechtliche, direktsteu-
erliche, aufenthaltsrechtliche oder eine in weiteren, nicht mehrwertsteuer-
rechtlichen Rechtsgebieten anzunehmende Selbständigkeit der Damen
nichts zu ändern. Denn vorliegend deutet zu viel auf die mehrwertsteuer-
liche Zurechnung der fraglichen Dienstleistungen an die Beschwerdefüh-
rerin hin (vgl. vorn E. 3.1; s. dazu auch Urteile des Bundesverwaltungsge-
richts A-3695/2012 vom 30. Juli 2013 E. 3.2 und A-6241/2011 vom
12. Juni 2012 E. 3.4).
3.3 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die durch die Sexarbeiterin-
nen erbrachten Dienstleistungen aufgrund des nach aussen sichtbaren
Erscheinungsbildes einen in die Gesamtorganisation des Betriebs integ-
rierten Zweig des Sauna-Clubs der Beschwerdeführerin bildeten. Sie bzw.
der Club und die Sexarbeiterinnen erschienen als unternehmerische Ein-
heit, wobei massgebend ist, dass die Beschwerdeführerin mit dem Club
nach aussen im eigenen Namen auftrat. Die Umsätze der Sexarbeiterin-
nen sind ihr mehrwertsteuerrechtlich zuzurechnen (vgl. auch Urteil des
Bundesgerichts 2C_806/2008 vom 1. Juli 2009 E. 2.2.3).
4.
Es bleibt auf die übrigen Argumente der Beschwerdeführerin einzugehen,
soweit diese nicht bereits durch die voranstehenden Erwägungen aus-
drücklich oder implizit widerlegt sind.
A-6180/2012
Seite 21
4.1 Die Beschwerdeführerin bringt vor, es bestehe kein ursächlicher, inne-
rer Zusammenhang zwischen der von ihr erbrachten Leistung und dem
von den Sexarbeiterinnen vereinnahmten Entgelt bzw. dem von den Frei-
ern bezahlten Dirnenlohn (Beschwerde, S. 10 f.; Stellungnahme der Be-
schwerdeführerin vom 7. März 2013, S. 6).
Wie ausgeführt ist entscheidend, wie das Sexangebot für einen neutralen
Dritten objektiv erkennbar in Erscheinung tritt (E. 2.2.1 und E. 2.2.4). Un-
ter diesem Blickwinkel erscheint – wie gezeigt (E. 3.1) – jeweils die Be-
schwerdeführerin als Anbieterin der sexuellen Dienstleistungen am Markt.
Selbstverständlich vereinbart der Kunde letztlich mit der einzelnen Dame
die Einzelheiten der zu erbringenden Leistung. Auch ist davon auszuge-
hen, dass das jeweilige Entgelt im Fall der Barzahlung direkt durch die
Prostituierten gefordert und bezogen wurde, es sei denn, der Kunde
nahm an einer der Parties teil und hatte den dafür zu entrichtenden (Ge-
samt-)Preis beim Eintritt bezahlt. Diese Umstände ändern jedoch das
nach aussen vermittelte Gesamtbild, wonach die Beschwerdeführerin un-
ter Zuhilfenahme der im Club anwesenden Damen als Leistungserbringe-
rin auftrat, nicht wesentlich. Denn die Sexarbeiterinnen unterlagen im Be-
trieb der Beschwerdeführerin der beschriebenen betriebswirtschaftlichen
und arbeitsorganisatorischen Abhängigkeit (vgl. E. 3.1.3). Vor diesem
Hintergrund sind die Ausführungen der Beschwerdeführerin, wonach sie
nicht Beteiligte des die Mehrwertsteuer auslösenden Leistungsaus-
tauschverhältnisses sei (vgl. Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom
7. März 2013, S. 6), nicht stichhaltig (vgl. auch Urteil des Bundesverwal-
tungsgerichts A-1562/2006 vom 26. September 2008 E. 3.2.5.3). Auch
kann sie unter den gegebenen Umständen nicht mit Erfolg geltend ma-
chen, sie würde gesetzwidrig für eine nicht von ihr erbrachte Leistung be-
steuert (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_426/2008 und 2C_432/2008
vom 18. Februar 2009 E. 4.5).
4.2 Die Beschwerdeführerin erklärt, die Sexdienstleistungen der Prostitu-
ierten in ihrem Sauna-Club liessen sich nicht zusammen mit den Leistun-
gen der Beschwerdeführerin als Gesamtleistung qualifizieren. Vorliegend
fehle es nämlich insbesondere an einem Gesamtentgelt. Zudem würden
nicht alle Saunabesucher und -besucherinnen Erotikdienstleistungen be-
anspruchen oder anbieten (Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom
7. März 2013, S. 3 ff.).
Vorliegend erfolgt die Zurechnung der Umsätze aus Erotikdienstleistun-
gen zur Beschwerdeführerin nicht aufgrund einer Qualifikation ihrer eroti-
A-6180/2012
Seite 22
schen und nicht erotischen Leistungen als Gesamtleistung im Sinne von
Art. 36 Abs. 4 aMWSTG (E. 2.5), sondern gestützt auf eine isolierte Be-
trachtung der Erotikdienstleistungen. Das erwähnte Vorbringen der Be-
schwerdeführerin vermag dieser Zurechnung somit nicht den Boden zu
entziehen.
4.3 Die Beschwerdeführerin macht sodann geltend, es sei nicht gewähr-
leistet, dass sie die nacherhobenen Steuern auf die Verbraucher über-
wälzen könne. Die Vorinstanz habe deshalb mit dem angefochtenen "Ein-
spracheentscheid" Art. 1 Abs. 2 aMWSTG bzw. Art. 1 Abs. 3 Bst. c
MWSTG verletzt. Es komme hinzu, dass die steuerpflichtige Person nach
Art. 65 Abs. 5 MWSTG durch die Steuererhebung nur insoweit belastet
werden dürfe, als dies für die Durchführung des Gesetzes zwingend er-
forderlich sei (vgl. Beschwerde, S. 17).
Wie ausgeführt erschienen der Club und die Sexarbeiterinnen als unter-
nehmerische Einheit und sind deshalb die Umsätze der Prostituierten
mehrwertsteuerrechtlich der Beschwerdeführerin zuzurechnen (vorn
E. 3). Nach dem hiervor in E. 2.6 Erwogenen kann sich die Beschwerde-
führerin unter diesen Umständen nicht mit Erfolg darauf berufen, ihr sei
die nachträgliche Überwälzung auf die Verbraucher unmöglich geworden
(vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 2C_806/2008 vom 1. Juli 2009
E. 2.2.3).
Nach Art. 65 Abs. 5 MWSTG darf die steuerpflichtige Person durch die
Steuererhebung nur soweit belastet werden, als dies für die Durchset-
zung dieses Gesetzes zwingend erforderlich ist. Gemäss diesem Gebot
der schonenden Behandlung der steuerpflichtigen Person sollen die fi-
nanziellen und administrativen Belastungen der steuerpflichtigen Person
minimiert werden. Art. 65 Abs. 5 MWSTG soll der Verwaltung eine Richt-
schnur für den Vollzug im Einzelfall und für allgemeine Praxisfestlegun-
gen geben (vgl. zum Ganzen Botschaft zur Vereinfachung der Mehr-
wertsteuer vom 25. Juni 2008, BBl 2008 6885, 6994).
Es kann offen gelassen werden, ob Art. 65 Abs. 5 MWSTG vorliegend in-
tertemporalrechtlich anwendbar ist (vgl. vorn E. 1.2.1). Selbst wenn näm-
lich Letzteres der Fall wäre, kann nicht davon ausgegangen werden, dass
die von der Vorinstanz vorgenommene mehrwertsteuerliche Zurechnung
der Umsätze aus erotischen Dienstleistungen zur Beschwerdeführerin
gegen Art. 65 Abs. 5 MWSTG verstösst. Denn ein entsprechender Ver-
stoss ist nicht allein aufgrund des Umstandes zu bejahen, dass die
A-6180/2012
Seite 23
Mehrwertsteuer (allenfalls) nicht auf den Verbraucher überwälzt werden
kann.
4.4 Die Beschwerdeführerin macht geltend, es liege weder ein direktes,
noch ein indirektes Stellvertretungsverhältnis vor. Insbesondere fehle es
an Dokumenten, aus welchen klar hervorgehe, dass die Sexarbeiterinnen
ihre Dienstleistungen ausdrücklich im Namen sowie für Rechnung der
Beschwerdeführerin erbracht hätten. Auch würden keine schriftlichen Ab-
rechnungen über den Erlös und über bezahlte Provisionen vorliegen. Die
Annahme eines indirekten Stellvertretungsverhältnisses sei ausgeschlos-
sen, weil die Sexarbeiterinnen das vereinnahmte Entgelt für sich behalten
und es nicht der Beschwerdeführerin abgeliefert hätten (Beschwerde,
S. 7 f.).
Es ist diesbezüglich darauf hinzuweisen, dass sich vorliegend von vorn-
herein nicht die Frage nach einer allfälligen mehrwertsteuerlichen Stell-
vertretung durch die Beschwerdeführerin, ob nun in direkter (als blosse
Vermittlerin) oder indirekter Form (vgl. vorn E. 2.2.4 Abs. 2), stellen kann,
weil es den Sexarbeiterinnen hinsichtlich der im Club der Beschwerdefüh-
rerin erbrachten sexuellen Dienstleistungen an der mehrwertsteuerlichen
Selbständigkeit mangelt und die entsprechenden Umsätze der Be-
schwerdeführerin zuzurechnen sind (vgl. Urteil des Bundesverwaltungs-
gerichts A-1562/2006 vom 26. September 2008 E. 2.3.6).
4.5
4.5.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, die ESTV unterstelle ihr mit
der Umsatzaufrechnung die Ausübung einer kriminellen Tätigkeit in Form
der illegalen Förderung der Prostitution (vgl. Beschwerde, S. 11 f.).
4.5.2 Laut Art. 195 Abs. 3 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs vom
21. Dezember 1937 (StGB, SR 311.0) wird jemand, der die Handlungs-
freiheit einer Person, die Prostitution betreibt, dadurch beeinträchtigt,
dass er sie bei dieser Tätigkeit überwacht, oder Ort, Zeit, Ausmass oder
andere Umstände der Prostitution bestimmt, mit Freiheitsstrafe bis zu
zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. Gemäss Rechtsprechung setzt die
Strafbarkeit voraus, dass auf die Prostituierte ein gewisser Druck ausge-
übt wird, dem sie sich nicht ohne Weiteres entziehen kann, so dass sie in
ihrer Entscheidung, ob und wie sie dem Gewerbe nachgehen will, nicht
mehr vollständig frei ist, und dass die Überwachung oder die bestimmen-
de Einflussnahme ihrem Willen oder ihren Bedürfnissen zuwiderläuft
(BGE 129 IV 81 E. 1.2, BGE 126 IV 76 E. 2 und BGE 125 IV 269 E. 1).
A-6180/2012
Seite 24
4.5.3 Inwieweit das Verhalten der Beschwerdeführerin gegenüber den
Sexarbeiterinnen in irgendeiner Weise im Sinne von Art. 195 Abs. 3 StGB
strafrechtlich relevant gewesen sein könnte, ist nicht vom Bundesverwal-
tungsgericht zu beurteilen und ohnehin nicht massgebend für das vorlie-
gende Verfahren. Die mehrwertsteuerliche Selbständigkeit wird den Da-
men nicht abgesprochen, weil auf sie ein unzulässiger Druck ausgeübt
wurde, sondern weil sie sich in die Organisation der Beschwerdeführerin
einfügten und gegen aussen Letztere für die durch die Dienstleistungen
der Frauen erzielten Umsätze als mehrwertsteuerliche Leistungserbringe-
rin in Erscheinung trat. Wie die Gegebenheiten im Innenverhältnis zwi-
schen der Beschwerdeführerin und den Frauen allenfalls in strafrechtli-
cher Hinsicht zu qualifizieren wären, ist dabei ebenso wenig entscheidend
wie die Natur des Vertragsverhältnisses (vgl. Urteile des Bundesverwal-
tungsgerichts A-2950/2011 vom 8. Februar 2012 E. 3.6.3.3 und A-
1562/2006 vom 26. September 2008 E. 3.2.5.2).
4.6 Die Beschwerdeführerin bringt sodann vor, durch die von der Vorin-
stanz vorgenommene Aufrechnung eines Fremdumsatzes werde sie dazu
angestiftet, die Sexarbeiterinnen zur Verletzung von Geschäftsgeheim-
nissen zu nötigen. Dadurch werde der Tatbestand von Art. 6 des Bundes-
gesetzes vom 19. Dezember 1986 gegen den unlauteren Wettbewerb
(UWG, SR 241) erfüllt und setze sich die Vorinstanz dem Vorwurf strafba-
ren Verhaltens aus (vgl. Beschwerde, S. 11 f.).
Gemäss Art. 6 UWG handelt insbesondere unlauter, wer Fabrikations-
oder Geschäftsgeheimnisse, welche er ausgekundschaftet oder sonst wie
unrechtmässig erfahren hat, verwertet oder andern mitteilt. Als Geheimnis
im Sinne dieser Vorschrift gelten "Tatsachen, die weder offenkundig noch
allgemein zugänglich sind, an deren Geheimhaltung der Arbeit- resp. Auf-
traggeber ein berechtigtes Interesse hat und die dieser tatsächlich ge-
heim halten will; dabei ist erforderlich, dass der äusserlich durch entspre-
chende Vorkehren erkennbare Geheimhaltungswille darauf abzielt, die
Tatsachen nur einem bestimmten Personenkreis zugänglich zu machen"
(vgl. RETO A. HEIZMANN, in: Oesch/Weber/Zäch [Hrsg.], Wettbewerbs-
recht II, Kommentar, N. 2 zu Art. 7 UWG, mit Hinweis). Art. 6 UWG kann
gestützt auf Art. 23 Abs. 1 UWG auch strafrechtlich durchgesetzt werden,
wobei in diesem Fall zwischen dem Straftatbestand von Art. 23 UWG
(Unlauterer Wettbewerb) und dem Straftatbestand von Art. 162 StGB
(Verletzung des Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisses) Idealkonkur-
renz bestehen kann (HEIZMANN, a.a.O., N. 1 zu Art. 7 UWG, mit Hinweis).
A-6180/2012
Seite 25
Die vorliegend fraglichen Umsätze aus Sexdienstleistungen waren der
Beschwerdeführerin, soweit sie anlässlich ihrer Parties erzielt wurden,
ohne Weiteres bekannt (Fr. 230.- pro Herr). Insofern stehen somit keine
Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisse der Sexarbeiterinnen auf dem
Spiel, welche die Beschwerdeführerin (namentlich gegenüber den Steu-
erbehörden) zu wahren hätte. Von solchen Geheimnissen kann indes
auch nicht mit Bezug auf die übrigen, im Rahmen des "normalen" Sauna-
betriebes aufgrund von Sexdienstleistungen erzielten Umsätze ausge-
gangen werden. Denn es wurde weder substantiiert noch ist aus den Ak-
ten ersichtlich, dass ein äusserlich aufgrund entsprechender Vorkehren
erkennbarer Geheimhaltungswille der betroffenen Sexarbeiterinnen vor-
handen war.
Vor diesem Hintergrund ist das Vorbringen der Beschwerdeführerin, es
lägen Verstösse gegen das Lauterkeits- und/oder Strafrecht vor, von
vornherein unbegründet. Dies gilt umso mehr, als in der Rechtsprechung
in vergleichbaren Fällen mehrwertsteuerliche Zurechnungen von Umsät-
zen aus Sexdienstleistungen zu den Betreibern von Erotikclubs mehrfach
bestätigt worden sind (vgl. anstelle vieler: Urteil des Bundesgerichts
2C_426/2008 und 2C_432/2008 vom 18. Februar 2009 E. 4; Urteile des
Bundesverwaltungsgerichts A-6241/2011 vom 12. Juni 2012 E. 3 f. und A-
2950/2011 vom 8. Februar 2012 E. 3).
4.7 Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe mit dem angefoch-
tenen "Einspracheentscheid" die Wirtschaftsfreiheit der Sexarbeiterinnen
verletzt (vgl. Beschwerde, S. 13).
Weshalb vorliegend die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 der Bundesverfassung
der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 [BV,
SR 101]) der im Club der Beschwerdeführerin tätigen Sexarbeiterinnen
verletzt sein soll, ist angesichts des Umstandes, dass die streitigen Um-
sätze der Beschwerdeführerin und nicht den Sexarbeiterinnen mehrwert-
steuerlich zuzurechnen sind, nicht erkennbar. Das genannte Vorbringen
der Beschwerdeführerin ist somit nicht stichhaltig.
4.8 Sodann macht die Beschwerdeführerin geltend, das hiervor erwähnte
Urteil des Bundesgerichts 2C_806/2008 vom 1. Juli 2009 habe vorliegend
keine präjudizielle Wirkung. Dies gelte umso mehr, als das Bundesgericht
in dieser Entscheidung unzutreffenderweise angenommen habe, dass der
im entsprechenden Verfahren zu beurteilende Sachverhalt mit dem im
bundesgerichtlichen Urteil 2C_426/2008 und 2C_432/2008 vom 18. Feb-
A-6180/2012
Seite 26
ruar 2009 beurteilten Sachverhalt praktisch identisch sei. Das Bundesge-
richt habe dabei übergangen, dass die Prostituierten im letztgenannten
Fall (indirekte) Stellvertreterinnen der Bordellbetriebe gewesen seien. Es
komme hinzu, dass das Urteil des Bundesgerichts 2C_806/2008 vom
1. Juli 2009 mit Blick auf den Vertrauensschutz nicht rückwirkend für die
vorliegende, von der Vorinstanz vorgenommene Aufrechnung von Ein-
nahmen der Prostituierten herangezogen werden könne (Beschwer-
de, S. 13 ff.; vgl. dazu auch die Stellungnahme der Beschwerdeführerin
vom 7. März 2013, S. 2).
Der Beschwerdeführerin ist in diesem Zusammenhang entgegenzuhalten,
dass vorliegend nicht zu klären ist, ob das Bundesgericht in seinem Urteil
2C_806/2008 vom 1. Juli 2009 zu Recht von einem Sachverhalt ausge-
gangen ist, der mit dem im Verfahren 2C_426/2008 bzw. 2C_432/2008
beurteilten weitgehend identisch ist.
Ferner ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesgericht mit seinem Urteil
2C_806/2008 vom 1. Juli 2009 die hiervor ebenfalls erwähnte Entschei-
dung des Bundesverwaltungsgerichts A-1562/2006 vom 26. September
2008 betreffend die Steuerperioden 4. Quartal 1996 bis 1. Quartal 2000
bestätigte. Vorliegend stehen spätere Steuerperioden in Frage. Auch ist
nicht zu erkennen, dass mit diesen beiden Urteilen eine Praxisänderung
erfolgte. Die Rüge, eine Heranziehung dieser Entscheidungen bedeute
eine unzulässige Rückwirkung, ist aus diesen Gründen von vornherein
unbegründet (zur rückwirkenden Anwendung von Praxisänderungen auf
hängige Fälle, die dem gleichen Gesetz unterstehen wie die neue Praxis
vgl. im Übrigen Urteil des Bundesgerichts 2A.320/2002 vom 2. Juni 2003,
veröffentlicht in ASA 74 S. 674 E. 3.4.2 und E. 3.4.3.7 f. mit Hinweisen;
BVGE 2007/14 E. 2.4).
Anzumerken ist schliesslich, dass vorliegend auch nichts gegen die Be-
rücksichtigung des höchstrichterlichen Urteils 2C_426/2008 und
2C_432/2008 vom 18. Februar 2009 spricht. Auch dieses Urteil betraf äl-
tere Steuerperioden (1. Quartal 1996 bis 2. Quartal 2000). Zudem wurden
darin Umsätze aus erotischen Dienstleistungen – entgegen der Darstel-
lung der Beschwerdeführerin – ohne Abstützung auf die Stellvertretungs-
regelung (damals Art. 10 der Verordnung vom 22. Juni 1994 über die
Mehrwertsteuer [aMWSTV, AS 1994 1464]) mehrwertsteuerlich dem
Betreiber der Erotiketablissements zugerechnet.
A-6180/2012
Seite 27
5.
Da feststeht, dass die Beschwerdeführerin mit Bezug auf die Dienstleis-
tungen der Sexarbeiterinnen in ihrem Saunaclub in mehrwertsteuerrecht-
licher Hinsicht als Leistungserbringerin zu betrachten ist, ist als Nächstes
die Rechtmässigkeit der von der ESTV vorgenommenen Ermessensein-
schätzung dieses Umsatzes zu beurteilen.
5.1 Die Beschwerdeführerin hat unbestrittenermassen die von den Sex-
arbeiterinnen erzielten Umsätze nirgends in ihrer Buchhaltung erfasst.
Die Buchhaltungsunterlagen entsprechen demzufolge nicht den gesetzli-
chen Anforderungen, da sie nicht vollständig sind (E. 2.7.2). Unter diesen
Umständen war die ESTV dazu berechtigt und verpflichtet, den fraglichen
Umsatz durch eine pflichtgemässe Schätzung zu ermitteln (erste Stufe;
vgl. vorn E. 2.9.1 und E. 2.11.3). Der Einwand der Beschwerdeführerin,
sie habe die entsprechenden Umsätze bei den Sexarbeiterinnen nicht in
Erfahrung bringen dürfen, weshalb eine Verbuchung weder zulässig noch
geboten gewesen sei (vgl. insbesondere Beschwerde, S. 16), ist nicht
stichhaltig. Wie vorne aufgezeigt, sind der Beschwerdeführerin die betref-
fenden Umsätze mehrwertsteuerrechtlich zuzurechnen (E. 3.3), so dass
sie diese als Ertrag zu verbuchen und darüber mit der ESTV abzurech-
nen hatte.
5.2
5.2.1 Die ESTV hat eine pflichtgemässe Ermessenseinschätzung vor-
nehmen. Dies bedeutet, dass ausreichend abgestützte und plausible
Schätzungshilfen heranzuziehen sind, eine vernünftige sowie zweckmäs-
sige Schätzungsmethode angewendet werden muss und auf die Beson-
derheiten des Einzelfalles Rücksicht zu nehmen ist (vgl. vorn E. 2.9.2).
Implizit zählt dazu auch, dass die vorgenommene Ermessenseinschät-
zung genügend begründet wird, da nur auf diese Weise nachvollzogen
und geprüft werden kann, ob die Schätzung pflichtgemäss erfolgte (vgl.
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-852/2012 vom 27. September
2012 E. 3.4.1). Mit anderen Worten gilt es nun auf einer zweiten Stufe
(vgl. vorn E. 2.11.3) – mit der gebotenen Zurückhaltung – zu prüfen, ob
eine Ermessensüberschreitung durch die Vorinstanz bei der fraglichen
Schätzung erkennbar ist.
5.2.2 Die ESTV stützte sich bei der Berechnung des Umsatzes aus eroti-
schen Dienstleistungen an den Party-Tagen auf die Annahme, dass die
Anzahl der teilnehmenden Herren der durchschnittlichen Zahl von Män-
nerbesuchen pro Tag bei der Beschwerdeführerin entspricht. Zur Ermitt-
A-6180/2012
Seite 28
lung der letzteren Zahl zog die Vorinstanz (I) die Bruttoeinnahmen aus
den Eintritten gemäss der Erfolgsrechnung der Beschwerdeführerin her-
an, (II) zog hiervon die (gestützt auf die Tagesabrechnungen bzw. die
Kassa-Berichte der Beschwerdeführerin zum Jahr 2010 geschätzten)
Einnahmen aus Damen- und Paareintritten während den hier streitigen
Steuerperioden ab, (III) dividierte das Zwischenresultat (Total Eintritte
Herren [brutto]) durch einen Eintrittspreis von Fr. 67.- "gem. Basis 2010"
pro männlichen Gast und (IV) teilte das Ergebnis (Anzahl Eintritte Herren
im Jahr) durch die Anzahl Tage eines Jahres bzw. durch 365 (vgl. E. 2.4
Abs. 1 des "Einspracheentscheids" und Akten Vorinstanz, act. 18 Beila-
ge 1).
Den Umsatz aus erotischen Dienstleistungen an Party-Tagen errechnete
die Vorinstanz sodann, indem sie die Zahl der an einer Party teilnehmen-
den Herren mit der Anzahl Parties pro Jahr und dem Eintrittspreis für die
Herren (Fr. 300.-) multiplizierte und vom Ergebnis pro Partyteilnehmer
des entsprechenden Jahres den bereits verbuchten und besteuerten Be-
trag von Fr. 70.- pro Eintritt abzog (vgl. E. 2.4 Abs. 1 des "Einspracheent-
scheids").
Mit Bezug auf die Nicht-Party-Tage (bei einem vollen Jahr 361 Tage) ging
die Vorinstanz von der gemäss dem vorne genannten Vorgehen errech-
neten Zahl von Männerbesuchen pro Jahr aus, zog davon die kalkulierte
Anzahl der Eintritte der Herren an Party-Tagen ab und dividierte das Er-
gebnis durch die Zahl an Nicht-Party-Tagen pro Jahr (361; vgl. E. 2.4
Abs. 2 des "Einspracheentscheids" und Akten Vorinstanz, act. 18 Beila-
ge 1). Die so ermittelte durchschnittliche Anzahl der Männerbesuche pro
Nicht-Party-Tag multiplizierte die ESTV mit dem von ihr aufgrund von Er-
fahrungswerten geschätzten Preis für erotische Dienstleistungen von
Fr. 150.- und mit der Anzahl der Nicht-Party-Tage pro Jahr. Schliesslich
zog die Vorinstanz vom Ergebnis die Summe der von den Damen im ent-
sprechenden Jahr bezahlten Eintrittsentgelte ab, weil dieser Betrag be-
reits in die Steuerbemessungsgrundlage geflossen sei. Dies ergibt nach
Auffassung der ESTV den nachzubesteuernden Umsatz aus erotischen
Dienstleistungen der Prostituierten an Nicht-Party-Tagen.
5.2.3
5.2.3.1 Die Beschwerdeführerin rügt insbesondere, es sei willkürlich an-
zunehmen, dass die nicht anlässlich ihrer Parties erbrachten erotischen
Dienstleistungen mit einem Entgelt von Fr. 150.- abgegolten wurden. Sie
beruft sich dabei auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-
A-6180/2012
Seite 29
1562/2006 vom 26. September 2008 und macht geltend, in dieser Ent-
scheidung sei man von einem durchschnittlichen Preis der erotischen
Dienstleistungen von Fr. 115.- ausgegangen (Beschwerde, S. 20).
Die ESTV führte in der Einschätzungsmitteilung aus, der Betrag von
Fr. 150.- ergebe sich aus Vergleichszahlen aus anderen Clubs, wo für
30 Min. Fr. 150.-, für 60 Min. Fr. 300.- sowie für einen "Quicky" Fr. 50.-
bezahlt werde (Akten Vorinstanz, act. 18 Beilage 1 Fn. 9). Es seien damit
auch allfällige gegenüber Paaren erbrachte erotische Dienstleistungen
abgegolten. Zudem werde mit diesem tiefen Ansatz auch dem Umstand
Rechnung getragen, dass nicht alle Besucher erotische Dienstleistungen
in Anspruch nehmen würden (vgl. auch E. 3.7.2 des "Einspracheent-
scheids"). Im "Einspracheentscheid" verwies die ESTV in diesem Zu-
sammenhang auch auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-
1562/2006 vom 26. September 2008.
5.2.3.2 Die ESTV hat sich bei ihrer Schätzung auf Daten einer nicht offen
gelegten Zahl anderer Betriebe gestützt. Sie hat dabei auch nicht erläu-
tert, dass die zum Vergleich herangezogenen Betriebe nicht nur der glei-
chen Branche zuzurechnen, sondern auch in anderer Hinsicht mit dem
Club C._______ vergleichbar sind, wie zum Beispiel betreffend Standort,
Betriebsgrösse, Kundenkreis usw. Die Angaben, wonach in anderen
Clubs für 30 Min. Fr. 150.-, für 60 Min. Fr. 300.- sowie für einen "Quicky"
Fr. 50.- zu bezahlen sind, genügen deshalb für sich allein nicht als Be-
gründung (vgl. vorn E. 2.10.3).
Freilich hat die ESTV im "Einspracheentscheid" im Zusammenhang mit
dem Ansatz von Fr. 150.- pro Dienstleistung auch auf das Urteil des Bun-
desverwaltungsgerichts A-1562/2006 vom 26. September 2008 verwie-
sen. In diesem Urteil hatte das Gericht insbesondere ausgeführt, ein An-
satz von Fr. 115.- netto als Durchschnittswert pro Kunde liege "im unteren
Rahmen" der Preise für erotische Dienstleistungen, welche in ähnlich ge-
lagerten, vom Gericht früher beurteilten Fällen vorgelegen hätten
(E. 4.2.2.2 des Urteils). Indem die ESTV im "Einspracheentscheid" auf
das genannte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts verweist, erklärt sie
sinngemäss, dass sich der vorliegend angewendete Ansatz von Fr. 150.-
nach ihrer Ansicht ebenfalls an den Rahmen der Preise hält, welche das
Gericht in der entsprechenden Erwägung als Vergleichszahlen für die
Beurteilung des damaligen Ansatzes von Fr. 115.- nannte. Gleichwohl hält
ihre Begründung einer Überprüfung nicht stand. Denn es ist nicht nach-
vollziehbar, weshalb die Vorinstanz vorliegend den Ansatz um Fr. 35.-
A-6180/2012
Seite 30
bzw. um rund 30 % höher als bei dem das Verfahren A-1562/2006 betref-
fenden Sachverhalt legen musste:
Zwar hat die Vorinstanz erklärt, mit dem Ansatz von Fr. 150.- seien auch
allfällige gegenüber Paaren erbrachte erotische Dienstleistungen abge-
golten. Selbst unter der Annahme, dass ein Paar an den Nicht-Partytagen
in gleichem Umfang wie ein Mann ohne Partnerin erotische Dienstleis-
tungen in Anspruch genommen hat, hätten die Paare aber nur eine ge-
ringfügige Erhöhung des Ansatzes von Fr. 115.- gerechtfertigt. Dies zeigt
sich etwa an den Daten für das Jahr 2009: Ausgehend von den von der
Vorinstanz errechneten Einnahmen aufgrund von Eintritten der Paare
(Fr. 13'204.-) und dem Eintrittspreis für Paare (Fr. 80.-) lässt sich darauf
schliessen, dass in diesem Jahr rund 165 Paare (an Nicht-Party-Tagen)
den Club besuchten. Hätte jedes dieser Paare im Sinne der genannten
Annahme je eine erotische Dienstleistung gegen ein Entgelt von Fr. 115.-
in Anspruch genommen, wäre mittels erotischer Dienstleistungen für Paa-
re ein Gesamtbetrag von Fr. 18'975.- (165 x Fr. 115.-) erzielt worden. Ver-
teilt man diesen Gesamtbetrag auf die Männerbesuche an Nicht-Party-
Tagen im Jahr 2009 (nach der vorinstanzlichen Berechnung: 10'972 Be-
suche), ergibt sich ein Betrag von ca. Fr. 1.75 pro Männerbesuch. Dem-
entsprechend hätte sich im Jahr 2009 (unter der gegebenen Annahme)
nur in diesem Umfang eine Erhöhung des Ansatzes von Fr. 115.- pro
Mann aufgrund der erotischen Dienstleistungen für Paare gerechtfertigt.
Wie vor diesem Hintergrund die Erhöhung um Fr. 35.- pro Mann zustande
kam, ist umso weniger ersichtlich, als die Vorinstanz behauptet, einen tie-
fen Ansatz gewählt zu haben, um Besuche von Männern ohne Inan-
spruchnahme erotischer Dienstleistungen zu berücksichtigen.
5.2.3.3 Zwar wurden in E. 4.2.2.2 des Urteils des Bundesverwaltungsge-
richts A-1562/2006 vom 26. September 2008 im Zusammenhang mit der
Überprüfung des Ansatzes von Fr. 115.- mehrere Entscheidungen er-
wähnt. Diese Entscheidungen vermögen aber für sich allein den vorlie-
gend angewendeten Ansatz von Fr. 150.- nicht zu erklären:
Im Fall, welcher dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-1400/2006
vom 6. Februar 2008 zugrunde lag, hatte die ESTV auf Einzelpreise von
Fr. 160.- für eine ¼-Stunde, Fr. 280.- für eine halbe Stunde, Fr. 380.- für
eine ¾-Stunde sowie Fr. 480.- für eine volle Stunde abgestellt und daraus
einen durchschnittlichen Stundenansatz von Fr. 545.- errechnet. Dies
wurde vom Gericht nicht beanstandet. Freilich handelte es sich dabei um
A-6180/2012
Seite 31
Stundenansätze und nicht um einen Durchschnittsansatz pro Eintritt, wie
er vorliegend in Frage steht.
Ebenso ging es bei den weiteren, hier interessierenden Urteilen des Bun-
desverwaltungsgerichts (A-1382/2006 und A-1383/2006 vom 19. Juli
2007), wo je nach Art der einzelnen Dienstleistungen zwischen Fr. 50.-
und Fr. 200.- sowie Fr. 300.- für den "1/2-Std.-Service" bzw. Fr. 500.- für
den "Std.-Service" zur Diskussion standen, im Unterschied zum vorlie-
genden Fall nicht um die durchschnittlich pro Eintritt in Anspruch genom-
menen Dienstleistungen (vgl. je E. 3.5 der Urteile).
Vor diesem Hintergrund hätte die Vorinstanz zumindest näher dartun
müssen, weshalb der Ansatz von Fr. 150.- noch in dem im Urteil A-
1562/2006 vom 26. September 2008 erwähnten Rahmen der Preise liegt,
die bei ähnlichen, vom Bundesverwaltungsgericht beurteilten Fällen be-
zahlt wurden. Nichts daran zu ändern vermag der Umstand, dass das
Bundesverwaltungsgericht in diesem Urteil einen Ansatz von Fr. 115.- als
"im unteren Rahmen" der üblichen Preise für erotische Dienstleistungen
liegend bezeichnete (E. 4.2.2.2 des Urteils) und damit Raum für allfällige
höhere Ansätze liess. Denn Letzteres kann nicht von der behördlichen
Pflicht entbinden, den angenommenen Preis namentlich dann, wenn er –
wie in casu – wesentlich vom Ansatz von Fr. 115.- abweicht, zu begrün-
den (vgl. auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-852/2012 vom
27. September 2012 E. 3.5, wo ein durchschnittlicher Ansatz von Fr. 180.-
nicht als hinreichend begründet qualifiziert wurde).
5.3 Die Vorinstanz hat nach dem Gesagten vorliegend mit dem nicht hin-
reichend begründeten Ansatz von Fr. 150.- pro Dienstleistung ihr Ermes-
sen überschritten. Sie hat deshalb eine neue Schätzung nach pflichtge-
mässem Ermessen vorzunehmen und dabei insbesondere den angewen-
deten Ansatz pro Dienstleistung zu begründen. Überdies hat die Vorin-
stanz dabei plausibel aufzuzeigen, weshalb sie für die Jahre 2008 und
2009 mit einem Eintrittspreis pro Mann von Fr. 67.- "gem. Basis 2010"
rechnete (vgl. Beilage 1 zur Einschätzungsmitteilung), obschon sowohl in
ihrem Kontrollbericht vom 9. Dezember 2011 (Akten Vorinstanz, act. 10)
als auch in E. 2 des "Einspracheentscheids" ausgeführt wird, die Herren
hätten ein Eintrittsgeld von je Fr. 70.- bezahlt. Sollte dies nicht möglich
sein, drängt sich eine Neuberechnung mit einem Eintrittsgeld von Fr. 70.-
pro Mann auf.
A-6180/2012
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Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf die weiteren Argumente der Be-
schwerdeführerin einzugehen (vgl. zur dritten Stufe unter Umkehr der
Beweislast vorn E. 2.11.3).
6.
Die Beschwerde ist im Sinn der Erwägungen gutzuheissen, der "Einspra-
cheentscheid" vom 30. Oktober 2012 aufzuheben und die Sache an die
ESTV zur Durchführung einer neuen Schätzung der Einnahmen aus den
erotischen Dienstleistungen nach pflichtgemässem Ermessen zurückzu-
weisen.
7.
7.1 Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung gilt die Rückweisung
der Sache an die Vorinstanz zwecks ergänzender Abklärungen als volles
Obsiegen der beschwerdeführenden Partei (BGE 132 V 215 E. 6.1). Da-
her sind der Beschwerdeführerin ausgangsgemäss keine Gerichtskosten
aufzuerlegen (vgl. Art. 63 Abs. 1 VwVG), und zwar auch nicht für den
Zwischenentscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Januar 2013
über ihr Ausstandsbegehren. Der bereits geleistete Kostenvorschuss im
Betrag von Fr. 5'000.- ist zurückzuerstatten. Der ESTV können keine Kos-
ten auferlegt werden (Art. 63 Abs. 2 VwVG).
7.2 Die Beschwerdeinstanz spricht der obsiegenden Partei von Amtes
wegen oder auf Begehren eine Entschädigung für ihr erwachsene not-
wendige und verhältnismässig hohe Kosten zu (Art. 64 Abs. 1 VwVG und
Art. 7 Abs. 1 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und
Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE,
SR 173.320.2]). Die Parteientschädigung umfasst die Kosten der Vertre-
tung sowie allfällige weitere notwendige Auslagen der Partei (Art. 8
VGKE). Unter Berücksichtigung der Komplexität des Falles, der einge-
reichten Rechtsschriften, des notwendigen Aufwandes sowie eines
durchschnittlichen Stundenansatzes ist die Entschädigung ermessens-
weise auf Fr. 4'000.- festzusetzen. Die Vorinstanz hat die Parteientschä-
digung zu bezahlen (Art. 64 Abs. 2 VwVG).
A-6180/2012
Seite 33
Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen.
2.
Die als "Einspracheentscheid" bezeichnete Verfügung der ESTV vom
30. Oktober 2012 wird aufgehoben und die Sache zur Fällung eines neu-
en Entscheids im Sinne der Erwägungen an die ESTV zurückgewiesen.
3.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben. Der von der Beschwerdefüh-
rerin einbezahlte Kostenvorschuss in der Höhe von Fr. 5'000.- wird dieser
nach Rechtskraft des vorliegenden Urteils zurückerstattet.
4.
Die Vorinstanz wird verpflichtet, der Beschwerdeführerin eine Parteient-
schädigung in der Höhe von Fr. 4'000.- zu bezahlen.
5.
Dieses Urteil geht an:
– die Beschwerdeführerin (Gerichtsurkunde);
– die Vorinstanz (Ref.-Nr. […]; Gerichtsurkunde).


Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:

Daniel Riedo Beat König

Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Bun-
desgericht, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen An-
gelegenheiten geführt werden (Art. 82 ff., 90 ff. und 100 des Bundesge-
richtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]). Die Rechtsschrift
ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Be-
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gründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten.
Der angefochtene Entscheid und die Beweismittel sind, soweit sie der
Beschwerdeführer in Händen hat, beizulegen (Art. 42 BGG).
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