A-1247/2010 - Abteilung I - Amts- und Rechtshilfe - Amtshilfe; Rechtsverweigerung
Karar Dilini Çevir:
A-1247/2010 - Abteilung I - Amts- und Rechtshilfe - Amtshilfe; Rechtsverweigerung
Abtei lung I
A-1247/2010
{T 0/2}
U r t e i l v o m 1 9 . A p r i l 2 0 1 0
Richter Markus Metz (Vorsitz), Richter Michael Beusch,
Richter Daniel Riedo,
Gerichtsschreiber Jürg Steiger.
X._______, vertreten durch ...,
Beschwerdeführer,
gegen
Eidgenössische Steuerverwaltung ESTV,
Task Force Amtshilfe USA, Eigerstrasse 65, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Amtshilfe; Rechtsverweigerung.
B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l
T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l
Besetzung
Gegenstand
Parteien
A-1247/2010
Sachverhalt:
A.
X._______ war Kunde der UBS AG, bei welcher er eine Kontobezie-
hung in seinem eigenen Namen unterhielt.
B.
Am 19. August 2009 wurde das Abkommen zwischen der Schweizeri-
schen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika
über ein Amtshilfegesuch des Internal Revenue Service (IRS) der
Vereinigten Staaten von Amerika betreffend UBS AG, einer nach
schweizerischem Recht errichteten Aktiengesellschaft, (mit Anhang
und Erkl.) (SR 0.672.933.612; Verständigungsvereinbarung 09) unter-
zeichnet. Ebenfalls am 19. August 2009 schloss die UBS AG eine se-
parate Vereinbarung mit den Vereinigten Staaten von Amerika sowie
dem IRS ab, in welcher sie sich unter anderem dazu verpflichtete, im
Rahmen eines Amtshilfeverfahrens Bankunterlagen, auf welche die im
Anhang definierten Kriterien zutreffen, an die Eidgenössische Steuer-
verwaltung (ESTV) zu übergeben.
C.
Gestützt auf die Verständigungsvereinbarung 09 reichte der IRS mit
Datum vom 31. August 2009 ein Amtshilfeersuchen bei der ESTV ein.
Mit Verfügung vom 1. September 2009 forderte die ESTV die UBS AG
insbesondere auf, der ESTV von sämtlichen Kunden, die in eine der im
Anhang zum Staatsvertrag genannten Kategorien (Ziff. 2/A/a, 2/A/b,
2/B/a, 2/B/b) fallen, die vollständigen Dossiers mit den zur Beurteilung
des Sachverhalts erforderlichen Unterlagen unabhängig davon, ob die
Kundenbeziehung noch besteht oder nicht, herauszugeben. Ebenfalls
herauszugeben waren zusätzliche Unterlagen, die es der ESTV er-
laubten zu prüfen, ob die Kriterien der genannten Kategorien erfüllt
seien.
D.
Mit Schreiben vom 14. September 2009 informierte die UBS AG
X._______ unter anderem darüber, dass dessen UBS-Konten in den
Anwendungsbereich des Amtshilfeersuchens des IRS vom 31. August
2009 zu fallen schienen und die Bankunterlagen zu diesen Konten
deshalb an die ESTV zu übergeben seien. Der von X._______
mandatierte Rechtsvertreter notifizierte anschliessend die ESTV von
seinem Status und ersuchte um Akteneinsicht. Die ESTV bestätigte
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den Eingang dieses Schreibens und stellte die Gewährung von
Akteneinsicht ab Erhalt der betreffenden Unterlagen in Aussicht. Mit
Schreiben vom 23. Dezember 2009 übersandte die ESTV dem
mandatierten Rechtsvertreter die – elektronisch auf einem USB-Stick
gespeicherten – Akten und setzte eine – grundsätzlich nicht er-
streckbare – Frist zur Stellungnahme bis zum 15. Februar 2010.
E.
Mit Schreiben vom 28. Januar 2010 hob die ESTV die zur Stellung-
nahme bis zum 15. Februar 2010 angesetzte Frist auf; als Begründung
wurde das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (A-7789/2009) vom
21. Januar 2010 angegeben. Des Weiteren führte die ESTV aus, dass
wenn das weitere Vorgehen – welches von Entscheiden des Bundes-
rates abhänge – feststehe, gegebenenfalls die Frist neu festgelegt
werde.
X._______ ersuchte anschliessend die ESTV darum, den vorliegenden
Fall definitiv in dem Sinn abzuschliessen, dass die Amtshilfe nicht ge-
währt werde. Zur Begründung gab er an, der Sachverhalt sei seiner
Ansicht nach in den relevanten Aspekten mit dem Sachverhalt des
Urteils A-7789/2009 vom 21. Januar 2010 identisch, weshalb die
Amtshilfe nicht zu gewähren sei. Des Weiteren ersuchte er die ESTV
für den Fall, dass sie seine Auffassung nicht teile, ihn über den wei te-
ren Verlauf des Verfahrens zu informieren und ihm, wie mit Schreiben
vom 28. Januar 2010 in Aussicht gestellt, gegebenenfalls eine Frist zur
Stellungnahme anzusetzen.
Die ESTV teilte X._______ daraufhin mit Schreiben vom 18. Februar
2010 mit, der Bundesrat habe ihr die verbindliche Anweisung erteilt,
vorderhand keine weiteren Verfügungen zu eröffnen, bis er über das
weitere Vorgehen beschlossen habe. Daran habe sie sich zu halten. Es
mache deshalb zur Zeit keinen Sinn, Fristen für Stel lungnahmen anzu-
setzen. Selbstverständlich würden aber auch Stellungnahmen, welche
ohne ausdrückliche Aufforderung eingereicht würden, berücksichtigt.
Am 24. Februar 2010 veröffentlichte das Eidgenössische Justiz- und
Polizeidepartement eine Pressemitteilung. Darin wird ausgeführt, der
Bundesrat beabsichtige, die vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil
vom 21. Januar 2010 gerügten Mängel durch formelle Anpassungen
zu beheben. Eine weitere Anpassung werde zudem ermöglichen, das
Abkommen ab Unterzeichnung des Änderungsprotokolls vorläufig an-
zuwenden. Anschliessend werde der Bundesrat die Botschaft zum
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UBS-Abkommen und zum Änderungsprotokoll zuhanden des Parla-
ments verabschieden.
Des Weiteren wurde in der besagten Pressemitteilung festgehalten,
dass die ESTV ab sofort Schlussverfügungen eröffnen werde in Fällen
von Steuer- und Abgabebetrug sowie ablehnende Schlussverfügungen
in Fällen, wo die Voraussetzungen zur Gewährung der Amtshilfe nicht
erfüllt seien. In den übrigen Fällen werde die ESTV keine Schlussver-
fügungen eröffnen. Ab Unterzeichnung des Änderungsprotokolls werde
die ESTV auch Schlussverfügungen in Fällen von fortgesetzter schwe-
rer Steuerhinterziehung eröffnen.
F.
Mit Beschwerde wegen Rechtsverweigerung vom 1. März 2010 an das
Bundesverwaltungsgericht beantragte X._______ (Beschwerdeführer),
es sei die amtshilfeweise Übermittlung von Gegenständen, Dokumen-
ten, (Beweis-)Unterlagen oder Informationen, insbesondere von Akten
der UBS, betreffend den Beschwerdeführer an den IRS der Vereinigten
Staaten von Amerika nicht zu gewähren.
In ihrer Vernehmlassung schliesst die ESTV auf Nichteintreten, even-
tualiter auf Abweisung der Beschwerde.
Auf die Begründung der Begehren wird – soweit entscheidwesentlich –
im Rahmen der nachfolgenden Erwägungen eingegangen.
G.
Am 7. April 2010 wurde das Protokoll vom 31. März 2010 zur
Änderung des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenos-
senschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika über ein Amts-
hilfegesuch des IRS der Vereinigten Staaten von Amerika betreffend
UBS AG, einer nach schweizerischem Recht errichteten Aktiengesell-
schaft, unterzeichnet in Washington am 19. August 2009 (Änderungs-
protokoll Amtshilfeabkommen; mittlerweile SR 0.672.933.612) vorerst
im ausserordentlichen Verfahren gemäss Art. 7 Abs. 3 des Bundes-
gesetzes über die Sammlungen des Bundesrechts und das Bundes-
blatt (PublG; SR 170.512) veröffentlicht. Gemäss Art. 3 Abs. 2 ist es ab
Unterzeichnung und damit ab 31. März 2010 vorläufig anwendbar.
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Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 In der Verwaltungsrechtspflege wird zwischen ursprünglicher und
nachträglicher Verwaltungsrechtspflege unterschieden.
In der nachträglichen Verwaltungsgerichtsbarkeit werden Rechtsver-
hältnisse überprüft bzw. beurteilt, zu denen die zuständige Ver-
waltungsbehörde vorgängig verbindlich – in Form einer Verfügung –
Stellung genommen hat. Insoweit bestimmt auch die Verfügung den
beschwerdeweise weiterziehbaren Anfechtungsgegenstand (BGE 135
V 141 E. 1.4.2, 134 V 418 E. 5.2.1). Es liegt allerdings in der Dis-
position des Beschwerdeführers, die erlassene Verfügung lediglich in
Bezug auf einzelne Punkte effektiv anzufechten. Nach der bundes-
gerichtlichen Rechtsprechung (BGE 110 V 48 und seitherige Urteile)
bilden entsprechend Anfechtungsgegenstand im verwaltungsgericht-
lichen Beschwerdeverfahren, formell betrachtet, Verfügungen im Sinn
von Art. 5 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das
Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021) und – materiell – die in
den Verfügungen geregelten Rechtsverhältnisse. Streitgegenstand bil-
det demgegenüber das auf Grund der Beschwerdebegehren tatsäch-
lich angefochtene, somit als Prozessthema vor den (erst- oder zweit-
instanzlichen) Richter gezogene Rechtsverhältnis (BGE 125 V 413
E. 2a).
Bei der ursprünglichen Verwaltungsgerichtsbarkeit hingegen wird in
einem erstinstanzlichen Verfahren über einen Rechtsstreit entschie-
den; eine Verfügung wird nicht vorausgesetzt. Die ursprüngliche Ver-
waltungsgerichtsbarkeit wird für die Konstellationen vorgesehen, in de-
nen es der Verwaltung nicht zusteht, ein Rechtsverhältnis einseitig und
verbindlich zu regeln (ALFRED KÖLZ/ISABELLE HÄNER, Verwaltungsverfahren
und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., Zürich 1998, S. 6;
MARKUS METZ, Der direkte Verwaltungsprozess in der Bundes-
rechtspflege, Basel 1980, S. 42).
1.2 Diese Unterscheidung zwischen nachträglicher und ursprünglicher
Verwaltungsrechtspflege liegt auch den Verfahrenserlassen des
Bundes zu Grunde. Gemäss Art. 1 Abs. 1 VwVG ist dieses Gesetz auf
Verfahren in Verwaltungssachen anwendbar, die durch Verfügungen
von Bundesverwaltungsbehörden zu erledigen sind. Somit ist das
VwVG im Bereich der nichtstreitigen Verwaltungstätigkeit nur auf Ver-
fahren anwendbar, welche in der Handlungsform einer Verfügung zu
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erledigen sind; selbst Art. 25a VwVG ist auf den Erlass einer Ver-
fügung ausgerichtet und schafft damit keine Ausnahme von diesem
Grundsatz. Diese Definition des Geltungsbereichs – zusammen mit
dem Grundsatz von Art. 44 VwVG, wonach die Verfügung der Be-
schwerde unterliegt – führt dazu, dass die streitigen Verfahren im An-
wendungsbereich des VwVG in Form eines Beschwerdeentscheids
über eine vorgängig erlassene Verfügung oder einen der Verfügung
gleich gestellten Entscheid (Art. 5 Abs. 2 VwVG) erledigt werden und
damit der nachträglichen Verwaltungsrechtspflege zuzuordnen sind
(NADINE MAYHALL, in: Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], Praxiskommen-
tar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren [nachfolgend:
Praxiskommentar VwVG], Zürich/Basel/Genf 2009, N. 12 zu Art. 1).
Die ursprüngliche Verwaltungsgerichtsbarkeit fällt hingegen nicht in
den Anwendungsbereich des VwVG. Das Mittel der ursprünglichen
Verwaltungsgerichtsbarkeit ist herkömmlicherweise die Klage (KÖLZ/
HÄNER, a.a.O., S. 6; METZ, a.a.O., S. 61 f.). Zur Trennung der nachträgli-
chen von der ursprünglichen Verwaltungsgerichtsbarkeit, insbesondere
zur Verhinderung einer Aushebelung der Klageverfahren über den Ver-
fügungsbegriff, hält Art. 5 Abs. 3 VwVG fest, dass Erklärungen über
Ablehnung oder Erhebung von Ansprüchen, die auf dem Klageweg zu
verfolgen sind, nicht als Verfügungen gelten (FELIX UHLMANN, in: Praxis-
kommentar VwVG, N. 119 zu Art. 5).
2.
Die Unterscheidung zwischen nachträglicher und ursprünglicher Ver-
waltungsrechtspflege gilt auch für das Verfahren vor dem Bundesver-
waltungsgericht.
2.1
2.1.1 Amtet das Bundesverwaltungsgericht in seiner primären und
weitaus wichtigsten Funktion als Beschwerdeinstanz, sind aufgrund
des Verweises in Art. 37 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom
17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) die Bestimmungen des VwVG an-
wendbar, soweit das VGG keine davon abweichenden Bestimmungen
enthält (Art. 37 VGG; Art. 2 Abs. 4 VwVG). Als Grundsatz hält Art. 31
VGG ausdrücklich fest, dass das Bundesverwaltungsgericht diesfalls
Beschwerden gegen Verfügungen im Sinn von Art. 5 VwVG beurteilt.
2.1.2 Wann eine Verfügung vorliegt, bestimmt sich demnach nach den
Regeln von Art. 5 VwVG. Für die Qualifikation als Verfügung ist an sich
nicht massgebend, ob sie als solche gekennzeichnet ist oder den ge-
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setzlichen Formvorschriften entspricht (vgl. BGE 133 II 450 E. 2.1;
BVGE 2008/15 E. 2). Bei der Beantwortung der Frage, ob eine Ver-
fügung vorliege oder nicht, ist damit auch nicht allein darauf abzu-
stellen, ob diese die für Verfügungen in Art. 35 Abs. 1 VwVG gesetzlich
vorgeschriebene Rechtsmittelbelehrung enthält (vgl. diesbezüglich
aber immerhin Art. 38 VwVG, wonach den Parteien aus mangelhafter
Eröffnung kein Nachteil erwachsen darf). Massgebend ist vielmehr, ob
die Strukturmerkmale einer Verfügung vorhanden sind (PIERRE
TSCHANNEN/ULRICH ZIMMERLI/MARKUS MÜLLER, Allgemeines Verwaltungs-
recht, 3. Aufl., Bern 2009, S. 229). Eine Verfügung liegt demnach vor,
wenn es sich bei einer Verwaltungshandlung um eine hoheitliche,
individuell-konkrete, auf Rechtswirkungen ausgerichtete und verbind-
liche Anordnung einer Behörde handelt, welche sich auf öffentliches
Recht des Bundes stützt, oder um eine autoritative und individuell-
konkrete Feststellung bestehender Rechte oder Pflichten (Art. 5 Abs. 1
VwVG; ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER/FELIX UHLMANN, Allgemeines Ver-
waltungsrecht, 5. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2006, N. 854 ff.; TSCHANNEN/
ZIMMERLI/MÜLLER, a.a.O., S. 229). Eine anfechtbare Verfügung liegt auch
dann vor, wenn die Vorinstanz es wegen Fehlens von Prozessvoraus-
setzungen ausdrücklich ablehnt, auf ein Gesuch einzutreten (KÖLZ/
HÄNER, a.a.O., S. 255).
2.1.3 Zu den Verfügungen im Sinne von Art. 5 VwVG zählen auch die
in Art. 5 Abs. 2 VwVG genannten Rechtsanwendungsakte, namentlich
die Zwischenverfügungen im Sinn von Art. 45 und 46 VwVG (ANDRÉ
MOSER/MICHAEL BEUSCH/LORENZ KNEUBÜHLER, Prozessieren vor dem Bun-
desverwaltungsgericht, Basel 2008, N. 2.4). Die Zwischenverfügung
unterscheidet sich von der Endverfügung dadurch, dass sie das
Verfahren vor der mit der Streitsache befassten Instanz nicht ab-
schliesst, sondern nur einen Schritt auf dem Weg zur Verfahrens-
erledigung darstellt, und zwar dessen ungeachtet, ob sie eine Ver-
fahrensfrage oder eine Frage des materiellen Rechts zum Gegenstand
hat (MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, a.a.O., N. 2.41).
2.2 Urteilt das Bundesverwaltungsgericht hingegen als Erstinstanz,
was in den Klageverfahren gestützt auf Art. 35 f. VGG der Fall ist, so
verweist Art. 44 Abs. 1 VGG auf die Regelungen des Bundesgesetzes
vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess (BZP, SR 273)
(MICHAEL BEUSCH/ANDRÉ MOSER/LORENZ KNEUBÜHLER, Ausgewählte prozess-
rechtliche Fragen im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht, in:
Schweizerisches Zentralblatt [ZBl] 2008, S. 1 ff., S. 3).
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2.3 Aus der dargelegten Zuständigkeit des Bundesverwaltungsge-
richts ergibt sich, dass es entweder als erste Instanz auf gemäss
Art. 35 f. VGG zulässige Klagen oder aber als Beschwerdeinstanz für
Beschwerden gegen Verfügungen im Sinn von Art. 5 VwVG amtet. Die
Regelung von Rechtsverhältnissen durch Verfügung als erste Instanz
erscheint somit in aller Regel als ausgeschlossen. Eine Ausnahme
könnte – wenn überhaupt – allenfalls im Erlass einer Feststellungsver-
fügung gemäss Art. 25a Abs. 2 VwVG liegen; diese Bestimmung ist
auch auf das Bundesverwaltungsgericht als Behörde des Bundes an-
wendbar (Art. 1 Abs. 2 Bst. cbis VwVG; vgl. dazu BEUSCH/MOSER/
KNEUBÜHLER, a.a.O., S. 8).
3.
3.1 Eine gesetzliche Ausnahme vom Grundsatz, dass ausserhalb der
Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Behandlung von
Klagen kein Rechtsschutz ohne Verfügung gewährt wird, statuieren die
Art. 46a und Art. 71 VwVG (MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, a.a.O., N. 2.1).
Nach Art. 46a VwVG kann gegen das unrechtmässige Verweigern oder
Verzögern einer Verfügung Beschwerde geführt werden.
3.2
3.2.1 Die formelle Rechtsverweigerung umfasst ein unter dem Ge-
sichtswinkel der rechtsstaatlichen Verfahrensprinzipien unhaltbares
Verhalten einer Behörde gegenüber den Rechtssuchenden. Unter den
Begriff der formellen Rechtsverweigerung fällt die Rechtsverweigerung
im engen Sinn und die Rechtsverzögerung (REGINA KIENER/WALTER KÄLIN,
Grundrechte, Bern 2007, S. 412 ff.; MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, a.a.O.,
N. 5.24 ff.; FELIX UHLMANN/SIMONE WÄLLE-BÄR, in: Praxiskommentar VwVG,
N. 2 zu Art. 46a).
3.2.2 Eine formelle Rechtsverweigerung im engen Sinn liegt vor, wenn
eine Behörde es ausdrücklich ablehnt oder stillschweigend unterlässt,
eine Entscheidung zu treffen, obwohl sie dazu verpflichtet ist (anstatt
vieler GEROLD STEINMANN, in: Die schweizerische Bundesverfassung,
Kommentar, Bernhard Ehrenzeller [et al.] [Hrsg.], 2. Aufl., Zürich 2008,
N. 10 zu Art. 29). Art. 29 Abs. 1 der Bundesverfassung der Schweizeri-
schen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101) räumt
einen Anspruch auf Behandlung frist- und formgerecht eingereichter
Eingaben ein und verbietet die formelle Rechtsverweigerung (anstatt
vieler BGE 135 I 265 E. 1.3, 134 I 229 E. 2.3). Ob eine regelgemässe
Behandlung eines ordnungsgemäss eingereichten Begehrens vorliegt,
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beurteilt sich nach dem einschlägigen Verfahrensrecht – unter
Einbezug des Verfassungsrechts (BGE 127 I 133 E. 7c) – und der (vor-
liegend nicht anwendbaren) Konvention vom 4. November 1950 zum
Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101)
(BGE 131 I 455 E. 1.2.4 am Ende) und deren korrekter Anwendung
(STEINMANN, a.a.O., N. 10 zu Art. 46a).
Voraussetzung einer Rechtsverweigerungsbeschwerde ist regelmäs-
sig, dass die Rechtssuchenden zuvor ein Begehren auf Erlass einer
Verfügung bei der zuständigen Behörde gestellt haben und ein
Anspruch auf Erlass einer Verfügung besteht. Ein solcher Anspruch
besteht grundsätzlich dann, wenn einerseits eine Behörde nach dem
anzuwendenden Recht verpflichtet ist, in Verfügungsform zu handeln,
und wenn andererseits die gesuchstellende Person, Organisation oder
Behörde nach Art. 6 i.V.m. Art. 48 Abs. 1 VwVG Parteistellung be-
anspruchen kann (BVGE 2008/15 E. 3.2 mit weiteren Hinweisen; vgl.
jedoch zur vorliegend nicht weiter zu behandelnden Star-Praxis
BGE 135 II 430 E. 3.2).
3.2.3 Das Verbot der Rechtsverzögerung schützt die Beteiligten vor
der Verzögerung oder Verschleppung ihrer Angelegenheit durch die
angerufene Behörde und verlangt, dass das Verfahren innerhalb an-
gemessener Frist zum Abschluss kommt (Beschleunigungsgebot).
Dieser Anspruch wird aus Art. 29 Abs. 1 BV abgeleitet (BGE 135 I 265
E. 1.3). Ein analoger Anspruch ergibt sich auch aus – den vorliegend
nicht anwendbaren und lediglich der Vollständigkeit halber aufge-
führten – Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Ziff. 3 Bst. c des Internatio-
nalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (SR 0.103.2) (an-
statt vieler KIENER/KÄLIN, a.a.O., S. 413).
Die Angemessenheit einer Verfahrensdauer ist – soweit ausdrückliche
verfahrensrechtliche Vorschriften fehlen – im konkreten Fall unter Be-
rücksichtigung der gesamten Umstände zu beurteilen und in ihrer
Gesamtheit zu würdigen (vgl. dazu ausführlich KIENER/KÄLIN, a.a.O.,
S. 413 f.; STEINMANN, a.a.O., N. 12 zu Art. 29; UHLMANN/WÄLLE-BÄR, a.a.O.,
N. 20 ff. zu Art. 46a; MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, a.a.O., N. 5.28 f.). Dabei
sind insbesondere die Komplexität der Angelegenheit, das Verhalten
der betroffenen Privaten und der Behörden, die Bedeutung des Ver-
fahrens für die Betroffenen sowie die für die Sache spezifischen Ent-
scheidungsabläufe zu berücksichtigen (BGE 130 IV 54 E. 3.3.3, 124 I
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139 E. 2c; Urteil des Bundesgerichts 1A.169/2004 vom 18. Oktober
2004 E. 2).
3.3 Gegen das unrechtmässige Verweigern einer Verfügung kann
grundsätzlich jederzeit Beschwerde geführt werden (Art. 50 Abs. 2
VwVG). Verweigert die betreffende Behörde allerdings ausdrücklich
den Erlass einer Verfügung, so ist nach dem Grundsatz von Treu und
Glauben innerhalb der gesetzlichen Frist von 30 Tagen Beschwerde zu
erheben (Urteil des Bundesgerichts 2P.16/2002 vom 18. Dezember
2002 E. 2.2, veröffentlicht in der Zeitschrift des Bernischen Juristen-
vereins 2003 S. 706; BVGE 2008/15 E. 3.2).
3.4 Die Rechtsverweigerungs- oder Rechtsverzögerungsbeschwerde
gemäss Art. 46a VwVG richtet sich an die Beschwerdeinstanz, die
zuständig wäre, wenn die Verfügung ordnungsgemäss ergangen wäre
(Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2004 4408).
Damit beschreiten die Verfahren betreffend Rechtsverweigerung oder
Rechtsverzögerung an sich einen zum Verfahren bei Anfechtung einer
Verfügung parallelen Weg (BVGE 2008/15 E. 3.1.1; MOSER/BEUSCH/
KNEUBÜHLER, a.a.O., N. 5.18).
3.5 Heisst das Bundesverwaltungsgericht eine Rechtsverweigerungs-
oder eine Rechtsverzögerungsbeschwerde gut, so weist es die Sache
mit verbindlichen Anweisungen an die betreffende Behörde zurück
(Art. 61 Abs. 1 VwVG; BVGE 2008/15 E. 3.1.2). In aller Regel weist es
die Behörde an, die Sache an die Hand zu nehmen und so rasch als
möglich zum Entscheid zu führen. Da der Anspruch des Beschwerde-
führers auf fristgerechten staatlichen Rechtsschutz den in der gleichen
Verfassungsbestimmung verankerten Grundsatz der Rechtsgleichheit
anderer Rechtssuchenden nicht verletzen darf, ist nach der bundes-
gerichtlichen Rechtsprechung in der Regel darauf zu verzichten,
konkrete Fristen anzusetzen oder andere Massnahmen zu treffen
(NICOLAS VON WERDT, in: Seiler/von Werdt/Güngerich [Hrsg.], Bundesge-
richtsgesetz, Bern 2007, N. 17 zu Art. 94, unter Verweis auf BGE 103
V 190 E. 6b). Der Beschwerdeinstanz ist es zudem verwehrt, der be-
treffenden Behörde Vorgaben zur materiellen Behandlung der Sache
zu erteilen, da sich der Streitgegenstand bei der Rechtsverwei-
gerungs- und der Rechtsverzögerungsbeschwerde darauf beschränkt,
ob diese Rüge begründet ist (UHLMANN/WÄLLE-BÄR, a.a.O., N. 36 zu
Art. 46a).
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Eine andere Möglichkeit, den rechtmässigen Zustand herzustellen,
gibt es nicht. Angesichts der Unterscheidung zwischen nachträglicher
und ursprünglicher Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. oben, E. 1.1), wel-
che auch in den vor Bundesverwaltungsgericht geführten Verfahren
zur Anwendung gelangt (oben, E. 1.2), erscheint es in aller Regel als
ausgeschlossen, dass das Bundesverwaltungsgericht als erste Instanz
ein Rechtsverhältnis durch Verfügung regelt (oben, E. 2). Abgesehen
von hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen – vgl. Urteil des Bundes-
verwaltungsgerichts A-2723/2007 vom 30. Januar 2008 E. 4.2 – darf
es nicht anstelle der das Recht verweigernden oder verzögernden Be-
hörde entscheiden, würden dadurch doch der Instanzenzug und allen-
falls weitere Rechte der am Verfahren Beteiligten verletzt
(BVGE 2008/15 E. 3.1.2).
4.
4.1 Ein Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amtes wegen
bei Vorliegen besonderer Gründe bis auf weiteres bzw. bis zu einem
bestimmten Termin oder Ereignis sistieren werden. Die Sistierung
eines Verfahrens muss jedoch durch zureichende Gründe gerechtfer-
tigt sein. Eine Verfahrenssistierung kommt namentlich aus prozessöko-
nomischen Gründen in Betracht, so z. B. bei Hängigkeit eines anderen
(gerichtlichen) Verfahrens, dessen Ausgang für das hängige und zu
sistierende Verfahren von präjudizieller Bedeutung ist (BGE 130 V 90
E. 5; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-8104/2007 vom 13. Feb-
ruar 2008 E. 2.5; MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, a.a.O., N. 3.14 ff.). Über die
Sistierung ist grundsätzlich mittels selbständig zu eröffnender Zwi-
schenverfügung zu befinden (MOSER/BEUSCH/ KNEUBÜHLER, a.a.O.,
N. 3.16).
4.2 Sistiert eine Behörde ein Verfahren ohne zureichenden Grund,
kann der Rechtssuchende die Rüge der Rechtsverweigerung bzw. der
Rechtsverzögerung geltend machen (BGE 130 V 90 E. 1; MOSER/
BEUSCH/KNEUBÜHLER, a.a.O., N. 5.19). Bei Vorliegen einer Sistierungsver-
fügung bildet diese das Anfechtungsobjekt; Rügegrund ist diesfalls die
formelle Rechtsverweigerung in Form einer Rechtsverweigerung i.e.S.
oder eine Rechtsverzögerung als Verletzung von Verfassungs- oder
Konventionsrecht (vgl. oben, E. 3.2). Ist ein Sistierungsbeschluss mit
sachlichen Gründen nicht haltbar, ist er aufzuheben (so schon Urteil
des Bundesgerichts vom 13. März 1981 E. 1b, veröffentlicht in ZBl
1981 S. 553 ff.).
Seite 11
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4.3 Da in dieser Konstellation ein Anfechtungsobjekt vorliegt, ist es
nicht möglich, die Aufhebung der Sistierungsverfügung mittels Rechts-
verweigerungsbeschwerde bzw. Rechtsverzögerungsbeschwerde nach
Art. 46a VwVG zu beantragen (UHLMANN/WÄLLE-BÄR, a.a.O., N. 8 zu
Art. 46a). Ob eine förmliche Verfügung oder eine formlose Rechtsver-
weigerung oder Rechtsverzögerung vorliegt, beurteilt sich nicht nach
der Bezeichnung der behördlichen Mitteilung, sondern danach, ob die
Strukturmerkmale der Verfügung vorliegen (vgl. dazu oben, E. 2.1.2).
Teilt die Behörde die Sistierung in einem einfachen Schreiben mit, so
kann die Qualifikation im Einzelfall schwierig sein. Sie bleibt jedoch
ohne entscheidenden Einfluss; erhebt der Rechtssuchende fälsch-
licherweise eine Rechtsverweigerungs- oder Rechtsverzögerungs-
beschwerde, obwohl eine anfechtbare Verfügung vorliegt, nimmt die
Behörde sie dennoch entgegen und beurteilt sie nach den gewöhn-
lichen Voraussetzungen (UHLMANN/WÄLLE-BÄR, a.a.O., N. 9 zu Art. 46a).
4.4
4.4.1 Selbständig eröffnete Zwischenverfügungen, welche nicht die
Zuständigkeit oder den Ausstand betreffen, sind unter der Voraus-
setzung anfechtbar, dass sie einen nicht wieder gutzumachenden
Nachteil – tatsächlicher oder rechtlicher Art – bewirken können oder
dass die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid
herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder
Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (Art. 46
Abs. 1 VwVG). Anders als Zwischenverfügungen über den Ausstand
und die Zuständigkeit (Art. 45 Abs. 2 VwVG) müssen "andere
Zwischenverfügungen", unabhängig davon, ob eine Voraussetzung
nach Art. 46 Abs. 1 VwVG zur selbständigen Anfechtung gegeben ist
oder nicht, nicht sofort angefochten werden (Art. 46 Abs. 2 VwVG). Sie
können nachträglich unter der Voraussetzung, dass sie sich auf den
Inhalt der Endverfügung auswirken (Art. 46 Abs. 2 VwVG), durch Be-
schwerde gegen die Endverfügung angefochten werden (UHLMANN/
WÄLLE-BÄR, a.a.O., N. 27 zu Art. 46a).
4.4.2 Für den Fall, dass insbesondere eine Rechtsverzögerung in
Form einer positiven Anordnung begangen wird – zu denken ist an
eine Verfahrensverlängerung durch unnötige Beweisabnahmen oder
Einräumung überlanger Fristen –, tritt die Rechtsverzögerung in sol -
chen Konstellationen nicht bereits mit der Verfügung ein, sondern wird
erst in Aussicht gestellt. Nach der älteren bundesgerichtlichen Recht-
Seite 12
A-1247/2010
sprechung wurde die betreffende Rüge dennoch bereits zu diesem
Zeitpunkt zugelassen, so dass die betroffene Person nicht zuwarten
musste, bis die Rechtsverzögerung tatsächlich eintrat, sondern sofort
geltend machen konnte, die Verfügung habe eine ungerechtfertigte
Verzögerung zur Folge (BGE 131 V 407 E. 1.1, 126 V 248 E. 2d).
Anlässlich der Anfechtung einer Sistierungsverfügung – als selb-
ständig eröffnete Zwischenverfügung – ist nach der bundesgericht-
lichen Rechtsprechung auf das Erfordernis eines nicht wieder gut-
zumachenden Nachteils (vgl. dazu oben, E. 4.4.1) demnach auch zu
verzichten, wenn die Partei gegen die Sistierung die Verletzung ihres
Anspruchs auf Beurteilung innert angemessener Frist oder (all -
gemeiner) eine Verletzung von Art. 29 Abs. 1 BV oder einer analogen
Verfahrensbestimmung geltend macht (BGE 134 IV 43 E. 2.3). Diese
Rechtsprechung findet insbesondere dann Anwendung, wenn die
Sistierung des Verfahrens sine die, für eine unbestimmte Dauer, an-
geordnet wird, oder die Wiederaufnahme des Verfahrens von einem
Ereignis abhängt, auf welches die betroffene Partei keinen Einfluss
nehmen kann (BGE 134 IV 43 E. 2.3 und 2.4). Präzisierend hielt das
Bundesgericht fest, falls die Sistierung des Verfahrens zu einem Zeit-
punkt erfolge, in welchem klarerweise das Beschleunigungsgebot noch
nicht verletzt sei, bzw. die Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer
solchen Verletzung von Art. 29 Abs. 1 BV nicht rechtsgenüglich dar-
gelegt werde, davon auszugehen sei, die Beschwerde beziehe sich
nicht auf die Anwendung dieser Verfahrensgarantie, sondern nament-
lich auf die Verletzung anderer verfassungsmässig garantierter Rechte.
In diesem Fall könne jedoch vom Erfordernis des nicht wieder gut-
zumachenden Nachteils nicht abgesehen werden (BGE 134 IV 43
E. 2.5).
5.
5.1 Das Gebot von Treu und Glauben bindet nicht nur das Verhalten
der Bürger unter sich, sondern gilt auch im Verhältnis zwischen Staat
und Bürger (Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV). Als Rechtsmissbrauch gilt
namentlich die zweckwidrige Verwendung eines Instituts zur Ver-
wirklichung von Interessen, die dieses Institut nicht schützen will (statt
vieler BGE 131 I 185 E. 3.2.4; TSCHANNEN/ZIMMERLI/MÜLLER, a.a.O.,
S. 171).
5.2 Änderungen in der Rechtsordnung sind gemäss dem demo-
kratischen Prinzip grundsätzlich jederzeit möglich. Der Vertrauens-
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A-1247/2010
grundsatz vermag einer Rechtsänderung nur entgegenzustehen, wenn
diese gegen das Rückwirkungsverbot verstösst oder in wohlerworbene
Rechte eingreift (BGE 130 I 26 E. 8.1, 128 II 112 E. 10b/aa). Nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann es aus Gründen der
Rechtsgleichheit, der Verhältnismässigkeit und des Willkürverbots
sowie des Vertrauensschutzes verfassungsrechtlich zudem geboten
sein, gegebenenfalls eine angemessene Übergangsregelung zu schaf-
fen. Damit soll verhindert werden, dass gutgläubig getätigte Investitio-
nen nutzlos werden (BGE 130 I 26 E. 8.1 mit weiteren Hinweisen).
5.3 Das Bundesgericht hat bei Gesuchen, für deren Beurteilung die
Rechtslage im Zeitpunkt der endgültigen Erledigung massgeblich ist
(was für das vorliegende Verfahren offen bleiben kann), festgehalten,
eine Behandlung nach einer objektiven Prioritätenordnung – wie etwa
eine Nummerierung und Bearbeitung in der Reihenfolge des Eingangs
– sei unter dem Gesichtspunkt des Rechtsgleichheitsgebots auch
dann nicht zu beanstanden, wenn einzelne oder mehrere Gesuche bei
normalem Gang der Dinge erst nach Inkrafttreten des neuen Rechts
und damit in Anwendung dieses neuen Rechts behandelt werden
(BGE 107 Ib 133 E. 3a).
5.4 Eine anstehende Rechtsänderung ist jedoch insbesondere kein
sachlicher Grund für eine Sistierung eines Verfahrens bis zur Inkraft -
setzung einer neuen Regelung (TSCHANNEN/ZIMMERLI/MÜLLER, a.a.O.,
S. 190). Unter eine ungebührliche Verfahrensverzögerung, welche der
Behörde zur Last zu legen ist, fallen in diesem Zusammenhang zwei
voneinander zu trennende Tatbestände: Die absichtliche Verzögerung
eines Entscheids bis zum Inkrafttreten einer neuen Ordnung und die
Konstellation, wonach der Behörde eine ungebührliche Verzögerung
des Verfahrens aus objektiven Gründen anzulasten ist (besonders
deutlich im nicht veröffentlichten Urteil des Bundesgerichts vom
12. Juli 1978 E. 4b: "... wenn die Bewilligungsbehörde ihren Entscheid
absichtlich bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts hinausgezögert hat
oder wenn ihr sonst eine Verzögerung in der Behandlung des Gesuchs
anzulasten ist ...", zitiert in BGE 110 Ib 332 E. 2c; ALFRED KÖLZ,
Intertemporales Verwaltungsrecht, in: Zeitschrift für Schweizerisches
Recht [ZSR] 1983 II S. 101 ff., S. 207 f.).
5.5 Ist eine Verfahrensverzögerung im oben beschriebenen Sinn einer
Behörde anzulasten, so steht die Anwendung des neuen Rechts unter
Vorbehalt der Missbrauchsschranke (KÖLZ, a.a.O., S. 207). Das
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A-1247/2010
Rechtsmissbrauchsverbot als Teil des Grundsatzes von Treu und Glau-
ben (oben, E. 5.1) untersagt die zweckwidrige Verwendung eines
Rechtsinstituts zur Verwirklichung von Interessen, die dieses Rechts-
institut nicht schützen will. Hat eine Behörde den Erlass eines Ent-
scheids absichtlich hinausgezögert, um das Inkrafttreten der neueren,
strengeren Vorschriften abzuwarten, oder ist ihr sonstwie eine Ver-
zögerung in der Behandlung einer Eingabe anzulasten, so darf nicht
auf das in der Zwischenzeit neu in Kraft getretene Recht abgestellt
werden; es gilt dann das Recht, das in Kraft gestanden hätte, wenn
keine Verzögerung eingetreten wäre (KÖLZ, a.a.O., S. 207; für einen
Anwendungsfall nicht einer absichtlichen, sondern einer der Behörde
objektiv anzulastenden Verfahrensverzögerung vgl. BGE 110 Ib 332
E. 3a; vgl. zum Ganzen auch BGE 107 Ib 133).
5.6 Ob (und allenfalls in welchem Umfang) in den Verfahren im Zu-
sammenhang mit dem von der IRS mit Datum vom 31. August 2009
bei der ESTV eingereichten Amtshilfeersuchen (vgl. dazu oben, C) das
nationale Verfassungsrecht Anwendung findet, ist im vorliegenden Ver-
fahren nicht zu entscheiden und kann somit offen gelassen werden.
6.
6.1 Gemäss Art. 48 Abs. 1 Bst. a-c VwVG ist zur Beschwerde
legitimiert, wer am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen oder
keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat, durch die angefochtene
Verfügung besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an
deren Aufhebung oder Änderung hat. Die Voraussetzungen müssen
kumulativ gegeben sein und im Zeitpunkt des Urteils vorliegen (vgl.
ISABELLE HÄNER, in: Praxiskommentar VwVG, N. 15 zu Art. 48).
Ein Interesse im Sinn von Art. 48 Abs. 1 Bst. c VwVG ist in der Regel
nur schutzwürdig, wenn der Beschwerdeführer nicht bloss beim Ein-
reichen der Beschwerde, sondern auch noch im Zeitpunkt der Urteils-
fällung ein aktuelles praktisches Interesse an der Aufhebung oder
Änderung der angefochtenen Verfügung hat (vgl. BGE 128 II 34 E. 1b
mit Hinweisen; BVGE 2009/31 E. 3.1). Das heisst, dass in Bezug auf
das Rechtsschutzinteresse zwei Voraussetzungen erforderlich sind:
Einerseits muss dieses Interesse aktuell, andererseits muss es
praktisch sein. Ersteres bedeutet, dass der durch die angefochtene
Verfügung erlittene Nachteil im Zeitpunkt des Entscheids der Be-
schwerdeinstanz noch bestehen muss. Praktisch ist das Interesse
dann, wenn dieser Nachteil bei Gutheissung der Beschwerde beseitigt
Seite 15
A-1247/2010
werden kann. Das Interesse der beschwerdeführenden Person ist
somit dann schutzwürdig, wenn durch den Ausgang des Verfahrens die
tatsächliche oder rechtliche Situation des Beschwerdeführenden noch
beeinflusst werden kann. Demgegenüber fehlt es an einem aktuellen
praktischen Interesse, wenn der Nachteil auch bei Gutheissung der
Beschwerde nicht mehr behoben werden könnte (anstatt vieler YVES
DONZALLAZ, Loi sur le Tribunal fédéral, Bern 2008, N. 3125 f.). Dies ist
beispielsweise dann der Fall, wenn der angefochtene Akt im Zeitpunkt
des Urteils keine Rechtswirkung mehr entfalten kann, weil das Ereig-
nis, auf welches er sich bezieht, bereits stattgefunden hat (vgl.
BERNHARD WALDMANN, in: Niggli/Uebersax/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler
Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, Basel etc. 2008, N. 17 zu Art. 89
BGG).
6.2 Das Beschwerdeverfahren vor Bundesverwaltungsgericht wird
grundsätzlich von der Dispositionsmaxime beherrscht. Die Be-
stimmung des Streitgegenstands obliegt demnach den Parteien
(MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, a.a.O., N. 1.56, 3.198; zum Begriff des
Streitgegenstands vgl. oben, E. 1.1). Die Anforderungen an die Formu-
lierung des Rechtsbegehrens sind im Allgemeinen nicht sehr hoch.
Unter Umständen hat die Beschwerdeinstanz einen Antrag mittels Bei-
zug der Beschwerdebegründung nach Treu und Glauben zu ergänzen
oder zu korrigieren (FRANK SEETHALER/FABIA BOCHSLER, in: Praxiskommen-
tar VwVG, N. 47 und 50 zu Art. 52).
6.3 Mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht kann die Ver-
letzung von Bundesrecht – einschliesslich Überschreitung oder Miss-
brauch des Ermessens (Art. 49 Bst. a VwVG) – die unrichtige bzw.
unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts
(Art. 49 Bst. b VwVG) wie auch die Unangemessenheit der vorinstanz-
lichen Verfügung (Art. 49 Bst. c VwVG) gerügt werden. Das Bundes-
verwaltungsgericht kann den angefochtenen Entscheid grundsätzlich
in vollem Umfang überprüfen. Im Beschwerdeverfahren gilt der Grund-
satz der Rechtsanwendung von Amtes wegen. Das Bundesverwal-
tungsgericht ist demzufolge verpflichtet, auf den – unter Mitwirkung
der Verfahrensbeteiligten – festgestellten Sachverhalt die richtige
Rechtsnorm, d.h. jenen Rechtssatz anzuwenden, den es als den zu-
treffenden erachtet, und ihm jene Auslegung zu geben, von der es
überzeugt ist (MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, a.a.O., N. 1.54, unter Verweis
auf BGE 119 V 347 E. 1a). Aus der Rechtsanwendung von Amtes
wegen folgt, dass das Bundesverwaltungsgericht als Beschwerde-
Seite 16
A-1247/2010
instanz nicht an die rechtliche Begründung der Begehren gebunden ist
(Art. 62 Abs. 4 VwVG) und eine Beschwerde auch aus anderen als
den geltend gemachten Gründen (teilweise) gutheissen oder den an-
gefochtenen Entscheid im Ergebnis mit einer von der Vorinstanz ab-
weichenden Begründung bestätigen kann (vgl. BVGE 2007/41 E. 2 mit
Hinweisen). Anstelle eines Entscheids in der Sache selbst kann das
Bundesverwaltungsgericht die Streitsache auch mit verbindlichen Wei-
sungen an die Vorinstanz zurückweisen (Art. 61 Abs. 1 VwVG). Bei der
Wahl zwischen diesen beiden Entscheidarten steht dem Gericht ein
weiter Ermessensspielraum zu (BGE 131 V 407 E. 2.1.1; Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts A-5550/2008 vom 21. Oktober 2009
E. 1.3).
7.
7.1 Mit als Beschwerde wegen Rechtsverweigerung bezeichneter
Eingabe vom 1. März 2010 beantragt der Beschwerdeführer, es sei die
amtshilfeweise Übermittlung von Gegenständen, Dokumenten, (Be-
weis-)Unterlagen oder Informationen, insbesondere von Akten der
UBS AG, betreffend den Beschwerdeführer an den IRS der Vereinigten
Staaten von Amerika nicht zu gewähren.
In ihrer Vernehmlassung schliesst die ESTV auf Nichteintreten auf das
gestellte Begehren. Zur Begründung bringt sie vor, materielle Ent-
scheide des Bundesverwaltungsgerichts würden zwingend eine Ver-
fügung als Anfechtungsgegenstand voraussetzen.
Festzuhalten ist in einem ersten Schritt, dass gemäss Aktenlage die
ESTV zum vorliegenden Zeitpunkt noch nicht materiell über die Ge-
währung der Amtshilfe betreffend den Beschwerdeführer im Rahmen
des mit Datum vom 31. August 2009 gestellten Amtshilfeersuchen des
IRS (vgl. oben, C) entschieden hat. Wie die ESTV zu Recht geltend
macht, fällt die erstinstanzliche Regelung von Rechtsverhältnissen –
ausserhalb des vorliegend nicht eröffneten Anwendungsbereichs der
Klage (vgl. dazu oben, E. 2.2) – in aller Regel nicht in die funktionale
Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. dazu die Aus-
führungen oben, E. 1 und 2).
7.2 Der Antrag des Beschwerdeführers ist unter Beizug der Be-
gründung nach Treu und Glauben auszulegen (oben, E. 6.2).
Der Beschwerdeführer macht insbesondere geltend, die ESTV ver-
weigere – unter Berufung auf eine verbindliche Anweisung des Bun-
Seite 17
A-1247/2010
desrates, Schreiben vom 28. Januar 2010 (vgl. dazu oben, E) – den
Erlass einer (anfechtbaren) Schlussverfügung auf unbestimmte Zeit.
Eine Rückweisung der vorliegenden Angelegenheit an die ESTV er-
achtet der Beschwerdeführer angesichts der einschlägigen Antwort
der ESTV als nicht zweckgemäss. Selbst wenn eine Rückweisung mit
der Anweisung verbunden wäre, den Fall innert angemessener Frist
mittels (anfechtbarer) Schlussverfügung abzuschliessen, könne bei
einer Rückweisung nicht ausgeschlossen werden, dass die ESTV den
Erlass der Schlussverfügung weiterhin hinauszögere, bis die entspre-
chenden Rechtsgrundlagen angepasst seien und letztlich die Leistung
von Amtshilfe in Steuerhinterziehungsfällen legitimiert sein könnte. Es
erscheine deshalb als zwingend, dass das Bundesverwaltungsgericht
vorliegend von einer solchen Rückweisung an die ESTV absehe und –
gestützt auf die heute geltende Rechtslage – selber über die
Zulässigkeit der Leistung von Amtshilfe entscheide.
Der Beschwerdeführer erhebt somit die Rüge, die ESTV verweigere
mit Schreiben vom 28. Januar 2010 den Erlass einer anfechtbaren
Schlussverfügung auf unbestimmte Zeit. Er erachtet die – bei Be-
gründetheit dieser Rüge – üblicherweise erfolgende Rückweisung an
die zuständige Behörde als vorliegend nicht geeignete Sanktion und
begehrt statt dessen direkt einen materiellen Entscheid an.
Es ergibt sich somit, dass der Beschwerdeführer eine Rechtsver-
weigerungs- bzw. eine Rechtsverzögerungsbeschwerde im Sinn von
Art. 46a VwVG erhebt. Da einem Begehren auf Erlass einer erstin-
stanzlichen Verfügung zwar auch in diesem Fall in aller Regel nicht, in
Ausnahmefällen jedoch trotzdem, gefolgt werden kann (vgl. dazu
oben, E. 3.5), stellt das unter Beizug der Begründung ausgelegte
Begehren im vorliegenden Zusammenhang für sich allein genommen
keinen Nichteintretensgrund dar.
7.3 In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob die eingereichte Be-
schwerde als Rechtsverweigerungs- bzw. als Rechtsverzögerungs-
beschwerde im Sinn von Art. 46a VwVG entgegenzunehmen ist.
7.3.1 Zu beachten gilt es in diesem Zusammenhang, dass eine
Rechtsverweigerung oder eine Rechtsverzögerung (vgl. dazu oben,
E. 3.2) in aller Regel auf eine Untätigkeit der Behörde zurückzuführen
ist; entsprechend statuiert Art. 46a VwVG eine Ausnahme vom
Grundsatz, dass kein Rechtsschutz ohne Verfügung gewährt wird
(oben, E. 3.1). Ausnahmsweise kann sie jedoch in Form einer positiven
Seite 18
A-1247/2010
Anordnung erfolgen. Da in der vorliegenden Konstellation jedoch ein
Anfechtungsobjekt vorliegt, ist dieses anzufechten; die Aufhebung der
Sistierungsverfügung mittels Rechtsverweigerungs- bzw. Rechtsver-
zögerungsbeschwerde ist nicht möglich (oben, E. 4.2 und 4.3). Die
Erhebung einer Rechtsverzögerungs- bzw. einer Rechtsverweige-
rungsbeschwerde trotz Vorliegen einer anfechtbaren Sistierungsverfü-
gung gereichte dem Beschwerdeführer jedoch insofern nicht zum
Nachteil, als sie dessen ungeachtet entgegen genommen und nach
den gewöhnlichen Voraussetzungen behandelt wird (oben, E. 4.3).
7.3.2 Der Beschwerdeführer erhebt die Rüge, die ESTV verweigere
den Erlass einer anfechtbaren Schlussverfügung auf unbestimmte Zeit
und verweist diesbezüglich auf deren Schreiben vom 28. Januar 2010.
Mit Schreiben vom 28. Januar 2010 hob die ESTV die ursprünglich auf
den 15. Februar 2010 angesetzte Frist zur Stellungnahme auf; als
Begründung wurde das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
21. Januar 2010 angegeben. Sie teilte dem Beschwerdeführer mit, die
Frist zur Einreichung einer Stellungnahme werde gegebenenfalls neu
festgelegt, wenn das weitere Vorgehen, welches von Entscheiden des
Bundesrates abhänge, bekannt sei. Mit diesem Tätigwerden wurde das
Verfahren betreffend den Beschwerdeführer bis zu einem bestimmten
Ereignis, auf welches der Beschwerdeführer keinen Einfluss hat, sis-
tiert. Das Schreiben der ESTV vom 28. Januar 2010 ist somit als Sis-
tierungsverfügung und damit als selbständig eröffnete Zwischenver-
fügung zu qualifizieren (vgl. oben, E. 2.1.2, 4.1).
7.3.3 Nachdem der Beschwerdeführer vorliegend eine Rechtsverwei-
gerungs- bzw. Rechtsverzögerungsbeschwerde eingereicht hat, ob-
wohl eine – allenfalls selbständig anfechtbare – Zwischenverfügung
vorliegt, ist nachfolgend zu prüfen, ob auf die erhobene Beschwerde
nach den gewöhnlichen Voraussetzungen eingetreten werden kann
(oben, E. 4.3).
7.4
7.4.1 Der Beschwerdeführer macht grundlegend geltend, die ESTV
verweigere den Erlass einer anfechtbaren Schlussverfügung auf un-
bestimmte Zeit. Da im vorliegenden Fall – nach noch geltender
Rechtsprechung – in dem von ihm dargelegten Sachverhalt keine
Amtshilfe geleistet werden dürfe, bedeute die Weigerung der ESTV, im
laufenden Amtshilfeverfahren gegen den Beschwerdeführer gestützt
auf die geltende Rechtslage eine (anfechtbare) Schlussverfügung zu
Seite 19
A-1247/2010
erlassen, für den Beschwerdeführer eine schwere Benachteiligung. Es
bestehe eine ernst zu nehmende Gefahr, im Fall der nachträglichen
Genehmigung der Vereinbarung vom 19. August 2009 durch das
Parlament einen nicht wieder gut zu machenden Nachteil zu erleiden,
indem es der ESTV durch die rückwirkende Ausdehnung der Amtshilfe
möglich werden könnte, die den Beschwerdeführer betreffenden Akten
der UBS AG an den IRS zu übermitteln.
Die ESTV führt in ihrer Vernehmlassung aus, dem Beschwerdeführer
gehe es verständlicherweise darum, möglichst umgehend eine Ver-
fügung zu erwirken, welche gestützt auf das Urteil des Bundesver-
waltungsgerichts vom 21. Januar 2010 die Amtshilfe ablehne, da er –
wohl zu Recht – befürchte, das Gericht könnte die Rechtslage anders
beurteilen, sobald das Abkommen vom 19. August 2009 dem Parla-
ment vorgelegt und von diesem ratifiziert wurde.
Nachdem vorliegend die Sistierung des Verfahrens auf unbestimmte
Zeit erfolgte und zudem die Wiederaufnahme von einem Ereignis ab-
hängt, auf welches der Beschwerdeführer keinen Einfluss nehmen
kann, wäre grundsätzlich nach der bundesgerichtlichen Rechtspre-
chung vom Erfordernis eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils
abzusehen (oben, E. 4.4). In der älteren bundesgerichtlichen Recht-
sprechung wird festgehalten, dass die betroffene Person im Fall von
positiven Anordnungen der Behörde mit der Rüge der Verletzung der
Rechtsverzögerung bzw. der Rechtsverweigerung nicht zuwarten
muss, bis die Rechtsverzögerung tatsächlich eintritt, sondern sofort
geltend machen kann, die Verfügung habe eine ungerechtfertigte Ver-
zögerung zur Folge (oben, E. 4.4.2). In der neusten bundesgericht-
lichen Rechtsprechung wird jedoch zur Verfahrenssistierung aus-
geführt, dass bei Vornahme einer Sistierung des Verfahrens zu einem
Zeitpunkt, in welchem klarerweise das Beschleunigungsgebot noch
nicht verletzt bzw. die Wahrscheinlichkeit einer solchen Verletzung im
Laufe des Verfahrens nicht rechtsgenüglich dargelegt sei, vom Erfor-
dernis des nicht wieder gutzumachenden Nachteils nicht abgesehen
werden könne (oben, E. 4.4.2).
Der Beschwerdeführer macht zu Recht nicht geltend, dass die ESTV
eine Verfahrensregelung in zeitlicher Hinsicht der Verordnung vom
15. Juni 1998 zum schweizerisch-amerikanischen Doppelbe-
steuerungsabkommen vom 2. Oktober 1996 (Vo DBA-USA,
SR 672.933.61) oder der Verständigungsvereinbarung 09 verletzt hät-
Seite 20
A-1247/2010
te. Ebenso macht er zu Recht nicht geltend, die bisherige Dauer des
Verfahrens könne – selbst unter Berücksichtigung der Tragweite des
Falls für den Beschwerdeführer – als nicht mehr angemessen im Sinn
von Art. 29 Abs. 1 BV angesehen werden oder durch die vorliegende
Sistierung des Verfahrens sei ernsthaft damit zu rechnen, dass das
Verfahren nicht mehr in einer im Sinn dieser Bestimmungen angemes-
senen Frist einem Entscheid zugeführt werde (vgl. dazu oben,
E. 3.2.3).
7.4.2 Der Beschwerdeführer macht vielmehr geltend, dass die Sistie-
rung des Verfahrens durch die ESTV an sich unzulässig sei und ihn
der ernsthaften Gefahr einer Verschlechterung seiner Rechtsstellung
dahingehend aussetze, dass in der Zeit, während der das Verfahren
sistiert bleibe, neue Rechtsgrundlagen in Kraft treten könnten, in An-
wendung derer – im Gegensatz zu den im Zeitpunkt der Beschwer-
deerhebung geltenden Rechtsgrundlagen – die Übermittlung von ihn
betreffenden Gegenständen, Dokumenten, (Beweis-)Unterlagen oder
Informationen, insbesondere Akten der UBS AG, an den IRS zulässig
wäre.
Mit dieser Rüge bringt der Beschwerdeführer vor, das Institut der Ver-
fahrenssistierung werde für Zwecke verwendet, die dieses Institut nicht
schützen will und rügt somit insbesondere eine Verletzung von Art. 9
BV (oben, E. 5). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung be-
zieht sich die Beschwerde damit nicht auf die Verletzung von Art. 29
Abs. 1 BV, sondern auf die Verletzung anderer verfassungsmässig
garantierter Rechte (oben, E. 4.4.2). Die Anfechtbarkeit der Sistie-
rungsverfügung vom 28. Januar 2010 als selbständig eröffnete Zwi-
schenverfügung hängt in dieser Konstellation von der Voraussetzung
eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils ab (oben, E. 4.4.2 am
Ende).
7.4.3 Selbst falls die Darstellung des Beschwerdeführers zutrifft und
durch die Verfahrensistierung ein Entscheid im vorliegenden Verfahren
hinausgezögert wurde, um das Inkrafttreten der neueren, strengeren
Vorschriften abzuwarten, so könnte dieser – allenfalls als nicht wieder
gutzumachend zu qualifizierender – Nachteil mit der Gutheissung der
Beschwerde nicht mehr aufgehoben werden.
Nachdem vorliegend sinngemäss eine Sistierungsverfügung wegen
Rechtsverweigerung bzw. Rechtsverzögerung angefochten wurde, ist
der Streitgegenstand (vgl. dazu oben, E. 1.1 und 3.5) des vorliegenden
Seite 21
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Verfahrens auf diese Zwischenverfügung der ESTV vom 28. Januar
2010 beschränkt. Die Gutheissung der Beschwerde würde somit zu
einer Aufhebung der angefochtenen Verfügung und zur Anweisung an
die Vorinstanz führen, die Sache an die Hand zu nehmen und so rasch
als möglich zu entscheiden (oben, E. 3.5).
Der Erlass von über diesen Streitgegenstand hinausgehenden An-
ordnungen – etwa die anbegehrte Regelung des dem vorliegenden
Verfahren zu Grunde liegenden Rechtsverhältnisses selbst oder eine
Anweisung zur materiellen Behandlung der Sache – hingegen steht
dem Bundesverwaltungsgericht nicht zu (oben, E. 2 und 3.5). Nicht
Gegenstand des vorliegend auf die Verfahrenssistierung beschränkten
Verfahrens ist sodann die Frage, nach welchem Recht das dem Ver-
fahren zu Grunde liegende Rechtsverhältnis zu beurteilen sein wird,
weshalb auch auf die über die Verfahrenssistierung hinausgehenden
Vorbringen des Beschwerdeführers nicht eingetreten werden kann.
Das Änderungsprotokoll Amtshilfeabkommen ist seit dem 31. März
2010 – zumindest vorläufig – anwendbar (vgl. oben, G). Entsprechend
wäre selbst bei Vorliegen der Voraussetzung des nicht wieder gutzu-
machenden Nachteils davon auszugehen, dass dieser Nachteil mit der
Gutheissung der Beschwerde nicht mehr behoben werden kann und
dem Beschwerdeführer somit ein aktuelles, praktisches Interesse an
der vorliegend erhobenen Beschwerde fehlt (vgl. dazu oben, E. 6.1).
Des Weiteren kann bei Beschwerden wegen Rechtsverweigerung bzw.
Rechtsverzögerung grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden,
dass sich die aufgeworfenen Fragen jederzeit unter gleichen oder ähn-
lichen Umständen wieder stellen könnten, ohne dass im Einzelfall
rechtzeitig eine gerichtliche beziehungsweise höchstrichterliche Prü-
fung stattfinden könnte; entsprechend kann auf das Erfordernis der
Aktualität des Rechtsschutzinteresses (vgl. dazu anstatt vieler
BGE 131 II 361 E. 1.2; BVGE 2009/31 E. 4.1) vorliegend nicht verzich-
tet werden. Eine Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung impli-
ziert nämlich in aller Regel eine Verlängerung des Verfahrens in zeit-
licher Hinsicht (sei es in Form einer Untätigkeit, vgl. dazu oben, E. 3.1,
oder einer positiven Anordnung, dazu oben, E. 4.4.2), weshalb gerade
diesbezüglich nicht davon ausgegangen werden kann, eine richterliche
Prüfung könne jeweils nicht rechtzeitig erfolgen. Daran ändert auch die
in Art. 29a BV enthaltene Rechtsweggarantie nichts, zumal diese keine
Garantie zur Anfechtung jedes Zwischenentscheids enthält (Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts A-6226/2009 vom 2. Oktober 2009; ESTHER
Seite 22
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TOPHINKE, Bedeutung der Rechtsweggarantie für die Anpassung der
kantonalen Gesetzgebung, ZBl 2006, S. 88 ff., S. 93). Anzumerken
bleibt, dass die Rechtssuchenden bei Verfahrensverzögerungen,
welche den Behörden anzulasten sind, zudem gegen die nachteiligen
Folgen einer Rechtsänderung – allenfalls – den Schutz der Verfassung
anrufen können (siehe oben, E. 5.5 und 5.6).
7.4.4 Sollte hingegen letztlich – aus welchen Gründen auch immer –
nicht das Änderungsprotokoll Amtshilfeabkommen, sondern noch das
bisher anwendbare Recht als Rechtsgrundlage für den den Beschwer-
deführer betreffenden Entscheid im laufenden Amtshilfeverfahren zur
Anwendung gelangen, so hat die angefochtene Sistierungsverfügung
für den Beschwerdeführer von vornherein keinen nicht wieder gut zu
machenden Nachteil zur Folge. Auch in dieser Konstellation könnte so-
mit auf die vorliegende Beschwerde gegen eine selbständig eröffnete
Zwischenverfügung nicht eingetreten werden (vgl. oben, E. 4.4.1).
7.4.5 Entsprechend kann auf die vorliegende Beschwerde gegen die
Sistierungsverfügung vom 28. Januar 2010 ungeachtet der Frage,
welche Rechtsgrundlage für die den Beschwerdeführer betreffende
Verfügung im vorliegend eröffneten Amtshilfeverfahren zur Anwendung
gelangen wird, entweder mangels eines aktuellen, praktischen Interes-
ses an der Beschwerdeführung oder mangels eines durch die ange-
fochtene Sistierungsverfügung bewirkten, nicht wieder gutzuma-
chenden Nachteils nicht eingetreten werden.
8.
Die Verfahrenskosten werden auf Fr. 2'000.-- angesetzt und dem Be-
schwerdeführer auferlegt (Art. 63 Abs. 1 VwVG); sie werden mit dem
Kostenvorschuss in gleicher Höhe verrechnet. Eine Parteientschädi-
gung ist bei diesem Verfahrensausgang nicht zuzusprechen (Art. 64
Abs. 1 VwVG).
9.
Gemäss Art. 83 Bst. h des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005
(BGG, SR 173.110) ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen An-
gelegenheiten an das Bundesgericht gegen Entscheide auf dem Ge-
biet der internationalen Amtshilfe gänzlich ausgeschlossen. Bei Ver-
fahren, welche – wie das vorliegende – in den Bereich einer Aus-
nahmeregelung im Sinne von Art. 83 BGG fallen, können keine
(irgendwie geartete), in diesem Verfahren getroffene Entscheide mit
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundes-
Seite 23
A-1247/2010
gericht angefochten werden (THOMAS HÄBERLI in: Niggli/Uebersax/
Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, Basel
etc. 2008, N. 9 zu Art. 83 BGG; MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, a.a.O.,
N. 1.48; zur sog. Einheit des Rechtsmittels vgl. unlängst auch Urteil
des Bundesgerichts 2C_445/2009 vom 23. Februar 2010 E. 1). Nach-
dem der vorliegende Entscheid zudem nicht von einer kantonalen In-
stanz erlassen wurde, muss auf das Rechtsmittel der subsidiären Ver-
fassungsbeschwerde (Art. 113 ff. BGG) von vornherein nicht weiter
eingegangen werden.
Es ergibt sich somit, dass der vorliegende Entscheid nicht beim
Bundesgericht angefochten werden kann.
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Die Verfahrenskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer
auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss in der Höhe von
Fr. 2'000.-- verrechnet.
3.
Eine Parteientschädigung wird nicht zugesprochen.
4.
Dieses Urteil geht an:
- den Beschwerdeführer (Gerichtsurkunde)
- die Vorinstanz (Ref. Nr. ...; Gerichtsurkunde)
Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:
Markus Metz Jürg Steiger
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