9. Senat - Verfall tarifvertraglicher Urlaubsansprüche - § 26 TVöD
Karar Dilini Çevir:
9. Senat - Verfall tarifvertraglicher Urlaubsansprüche - § 26 TVöD
- 2 - BUNDESARBEITSGERICHT 9 AZR 575/10 10 Sa 244/10 Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Im Namen des Volkes! Verkündet am 22. Mai 2012 URTEIL Brüne, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle In Sachen Kläger, Berufungskläger und Revisionskläger, pp. Beklagte, Berufungsbeklagte und Revisionsbeklagte, hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. Mai 2012 durch den Vorsitzenden Richter am Bundes-arbeitsgericht Dr. Brühler, die Richter am Bundesarbeitsgericht Krasshöfer und Klose sowie die ehrenamtlichen Richter Furche und Jungermann für Recht erkannt: - 2 - 9 AZR 575/10 - 3 - 1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landes-arbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. August 2010 - 10 Sa 244/10 - wird zurückgewiesen. 2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen. Von Rechts wegen! Tatbestand Die Parteien streiten über die Gewährung tariflichen Mehrurlaubs. Der 1950 geborene Kläger ist seit 1974 bei der Beklagten in der Fünf-tagewoche beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst vom 13. September 2005 (TVöD) Anwendung. In diesem Tarifvertrag in der für den streitigen Zeitraum maßgeblichen Fassung heißt es zum Erholungsurlaub ua.: „§ 26 Erholungsurlaub (1) Beschäftigte haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts (§ 21). Bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Kalenderwoche beträgt der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr ... nach dem vollendeten 40. Lebensjahr 30 Arbeitstage. ... Verbleibt bei der Berechnung des Urlaubs ein Bruchteil, der mindestens einen halben Urlaubstag ergibt, wird er auf einen vollen Urlaubstag aufgerun-det; Bruchteile von weniger als einem halben Ur-laubstag bleiben unberücksichtigt. Der Erholungs-urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und kann auch in Teilen genommen werden. ... (2) Im Übrigen gilt das Bundesurlaubsgesetz mit folgen-den Maßgaben: 1 2 - 3 - 9 AZR 575/10 - 4 - a) Im Falle der Übertragung muss der Erholungs-urlaub in den ersten drei Monaten des folgen-den Kalenderjahres angetreten werden. Kann der Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März angetreten werden, ist er bis zum 31. Mai anzutreten. b) Beginnt oder endet das Arbeitsverhältnis im Laufe eines Jahres, erhält die/der Beschäftigte als Erholungsurlaub für jeden vollen Monat des Arbeitsverhältnisses ein Zwölftel des Urlaubs-anspruchs nach Absatz 1; § 5 BUrlG bleibt unberührt. ...“ In der Zeit vom 23. Juni 2007 bis 7. Oktober 2009 war der Kläger durch-gehend arbeitsunfähig erkrankt. Nach seiner Genesung beantragte er erfolglos die Gewährung des tariflichen Mehrurlaubs aus den Jahren 2007 und 2008. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der tarifliche Anspruch auf Mehr-urlaub im Umfang von je zehn Tagen sei nicht erloschen. Aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit sei er gehindert gewesen, den Mehrurlaub vor Ablauf der in § 26 Abs. 2 Buchst. a TVöD geregelten Fristen zu nehmen. Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm zehn Tage Resturlaub aus dem Jahr 2007 und zehn Tage Resturlaub aus dem Jahr 2008 zu gewähren. Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Auffassung ver-treten, der tarifliche Mehrurlaub sei verfallen. § 26 TVöD regele den Erholungs-urlaub eigenständig und in erheblicher Weise abweichend vom gesetzlichen Urlaubsregime. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsge-richt zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. 3 4 5 6 7 - 4 - 9 AZR 575/10 - 5 - Entscheidungsgründe Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Die während sei-ner Krankheit in den Jahren 2007 und 2008 entstandenen Ansprüche auf tariflichen Mehrurlaub sind am 31. Mai des jeweiligen Folgejahres erloschen. I. Nach § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 1 TVöD muss der Erholungsurlaub im Falle der Übertragung in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjah-res angetreten werden. Kann der Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März angetreten werden, ist er gemäß § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 TVöD bis zum 31. Mai anzutreten. Da der Kläger wegen Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit den tariflichen Mehrurlaub aus dem Kalenderjahr 2007 weder in diesem Jahr noch bis zum Ablauf des zweiten Übertragungszeitraums am 31. Mai 2008 antreten konnte, ist dieser Urlaub verfallen. Ebenso verfiel der tarifliche Mehrurlaub aus dem Kalenderjahr 2008 am 31. Mai 2009. II. Entgegen der Ansicht des Klägers folgt aus dem Umstand, dass er auch über den 31. Mai 2008 bzw. 2009 hinaus arbeitsunfähig war, nichts anderes. Zwar hat der Senat nach der „Schultz-Hoff“-Entscheidung des EuGH vom 20. Januar 2009 (- C-350/06 und C-520/06 - Rn. 42 ff., Slg. 2009, I-179) aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben angenommen, der gesetzliche Min-desturlaubsanspruch sei im Falle fortdauernder Arbeitsunfähigkeit des Arbeit-nehmers entgegen der Regelung in § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG nicht bis zum 31. März des Folgejahres befristet (vgl. BAG 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 47 ff., BAGE 130, 119; zur erforderlichen Mindestlänge des Übertragungs-zeitraums: vgl. EuGH 22. November 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 38, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 6 = EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 7). Die unionsrechtlichen Vorgaben betreffen jedoch ausschließlich den Mindest-urlaubsanspruch von vier Wochen. Den Mitgliedstaaten steht es frei, Arbeit-nehmern über diesen hinaus Urlaubsansprüche einzuräumen und die Bedin-gungen für die Inanspruchnahme und Gewährung des Mehrurlaubs nach 8 9 10 - 5 - 9 AZR 575/10 - 6 - nationalem Recht festzulegen (EuGH 3. Mai 2012 - C-337/10 - [Neidel] Rn. 34 ff. mwN, NVwz 2012, 688). Ebenso können Tarifvertragsparteien Urlaubsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über be-stimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. EU L 299 vom 18. November 2003 S. 9; im Folgenden: Arbeitszeitrichtlinie) gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln (vgl. EuGH 3. Mai 2012 - C-337/10 - [Neidel] aaO mwN; BAG 12. April 2011 - 9 AZR 80/10 - Rn. 21, EzA BUrlG § 7 Nr. 123; 4. Mai 2010 - 9 AZR 183/09 - Rn. 23 mwN, BAGE 134, 196; 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 19, 26 ff., BAGE 134, 1). Diese Befugnis schließt die Befristung des Mehr-urlaubs ein. Einem von Tarifvertragsparteien angeordneten Verfall tariflichen Mehrurlaubs steht Unionsrecht damit nicht entgegen. Da nicht der durch die Arbeitszeitrichtlinie gewährleistete Mindestjahresurlaub von vier Wochen betrof-fen ist, besteht keine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV (vgl. BAG 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 20 ff., aaO). 1. Die Tarifvertragsparteien haben in § 26 Abs. 2 TVöD hinsichtlich der Befristung und Übertragung und damit mittelbar auch zugleich bezüglich des Verfalls des Urlaubs von § 7 Abs. 3 BUrlG abweichende, eigenständige Rege-lungen getroffen. a) Für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, den Mehrurlaub einem eigenen, von dem des Mindesturlaubs abweichenden Fristenregime zu unterstellen, müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen (vgl. BAG 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 37 ff., BAGE 134, 1; 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 84, BAGE 130, 119). Fehlen solche, ist von einem „Gleichlauf“ des gesetz-lichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub auszu-gehen. Ein „Gleichlauf“ ist nicht gewollt, wenn die Tarifvertragsparteien entwe-der bei der Befristung und Übertragung bzw. beim Verfall des Urlaubs zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tarifvertraglichem Mehrurlaub unterschieden oder sich vom gesetzlichen Fristenregime gelöst und eigenständige, vom Bundesurlaubsgesetz abweichende Regelungen zur Befristung und Übertra- 11 12 - 6 - 9 AZR 575/10 - 7 - gung bzw. zum Verfall des Urlaubsanspruchs getroffen haben (vgl. BAG 12. April 2011 - 9 AZR 80/10 - Rn. 22, EzA BUrlG § 7 Nr. 123). b) § 26 TVöD differenziert hinsichtlich der Befristung und der Übertragung des Urlaubs zwar nicht ausdrücklich zwischen gesetzlichem Mindest- und tariflichem Mehrurlaub. Die Tarifvertragsparteien des TVöD haben sich jedoch vom gesetzlichen Fristenregime gelöst, indem sie die Befristung und Übertra-gung und damit auch den Verfall des Urlaubsanspruchs abweichend vom Bundesurlaubsgesetz eigenständig geregelt haben. aa) Während nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG der Urlaub im Fall der Übertra-gung in den ersten drei Monaten des Folgejahres gewährt und genommen werden muss (vgl. BAG 7. Dezember 1993 - 9 AZR 683/92 - zu I 3 der Gründe, BAGE 75, 171; Leinemann/Linck Urlaubsrecht 2. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 126), reicht es gemäß § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 1 TVöD aus, dass der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten wird. Die tarifli-che Regelung, nach der der bloße Urlaubsantritt genügt, weicht damit erheblich von der gesetzlichen Regelung ab. bb) Eine weitere wesentliche Abweichung vom gesetzlichen Fristenregime beinhaltet § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 TVöD. Nach dieser Vorschrift ist der Erholungsurlaub bis zum 31. Mai anzutreten, wenn er wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März des folgen-den Kalenderjahres angetreten werden kann. Die Tarifvertragsparteien haben damit anders als der Gesetzgeber im Bundesurlaubsgesetz einen zweiten Übertragungszeitraum festgelegt und auf diese Weise ein eigenständiges, vom Bundesurlaubsgesetz abweichendes Fristenregime geschaffen. cc) Für die Frage des Vorliegens einer eigenständigen tariflichen Regelung ist es unerheblich, dass § 26 TVöD - anders als § 47 Abs. 7 BAT - bei Fristab-lauf nicht ausdrücklich den Verfall des Urlaubsanspruchs vorsieht. Auch das Bundesurlaubsgesetz ordnet die Rechtsfolge des Verfalls nicht ausdrücklich an (vgl. BAG 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 62, BAGE 130, 119). Einer solchen ausdrücklichen Anordnung des Untergangs des Anspruchs bedarf es 13 14 15 16 - 7 - 9 AZR 575/10 nicht. Mit Fristende entfällt die Erfüllbarkeit des Freistellungsanspruchs (vgl. BAG 28. November 1990 - 8 AZR 570/89 - zu II 2 der Gründe mwN, BAGE 66, 288; MüArbR/Düwell 3. Aufl. Bd. 1 § 78 Rn. 12; Schaub/Linck ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 104 Rn. 103). Dies gilt auch für den tariflichen Mehrurlaub. Dement-sprechend hat der Senat für den umgekehrten Fall, dass ein Tarifvertrag aus-drücklich den Verfall des Urlaubs anordnet, entschieden, dass dies allein nicht genügt, um einen eigenständigen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien anzunehmen (vgl. BAG 12. April 2011 - 9 AZR 80/10 - Rn. 33, EzA BUrlG § 7 Nr. 123). 2. Ohne Bedeutung ist, dass im Hinblick auf die dargestellte Rechtspre-chung des EuGH zu Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie und des Senats zu § 7 Abs. 3 BUrlG ein Verfall des Mindesturlaubsanspruchs bei fortdauernder Er-krankung nach einem Übertragungszeitraum von nur fünf Monaten unionsrecht-lich nicht zulässig ist. Entscheidend ist, dass für den vom Mindesturlaub ab-trennbaren Teil der einheitlich geregelten Gesamturlaubsdauer, den tariflichen Mehrurlaub, die tarifliche Regelung wirksam bleibt (vgl. BAG 12. April 2011 - 9 AZR 80/10 - Rn. 27, EzA BUrlG § 7 Nr. 123). III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Brühler Krasshöfer Klose Jungermann Furche 17 18

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