9. Senat - Gesetzliche Anforderungen an die Berufungsbegründungsschrift
Karar Dilini Çevir:
9. Senat - Gesetzliche Anforderungen an die Berufungsbegründungsschrift
- 2 - BUNDESARBEITSGERICHT 9 AZR 813/09 6 Sa 18/09 Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes! Verkündet am 15. März 2011 URTEIL Brüne, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle In Sachen Klägerin, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin, pp. Beklagte, Berufungsbeklagte und Revisionsbeklagte, hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. März 2011 durch den Vorsitzenden Richter am Bundes-arbeitsgericht Prof. Düwell, die Richter am Bundesarbeitsgericht Krasshöfer und Dr. Suckow sowie die ehrenamtlichen Richter Faltyn und Kranzusch für Recht erkannt: - 2 - 9 AZR 813/09 - 3 - Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landes-arbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 4. November 2009 - 6 Sa 18/09 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 17. Dezember 2008 - 4 Ca 1090 b/08 - als unzulässig verworfen wird. Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen. Von Rechts wegen! Tatbestand Die Klägerin begehrt von der Beklagten den Abschluss eines Altersteil-zeitarbeitsvertrags. Die 1952 geborene Klägerin und die Beklagte verbindet ein Arbeitsver-hältnis. Die Beklagte beschäftigt die Klägerin als Krankenschwester in einem Krankenhaus. Der kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme anwendbare Tarifver-trag zur Regelung der Altersteilzeitarbeit vom 5. Mai 1998 in der Fassung des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 30. Juni 2000 (TV ATZ) gewährt Beschäftig-ten unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch gegen den Arbeitgeber, mit ihnen einen Altersteilzeitarbeitsvertrag abzuschließen. Einen solchen Anspruch sieht auch der zwischen dem Kommunalen Arbeitgeberverband Schleswig-Holstein und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di geschlossene Tarifvertrag „Arbeitszeit für Schleswig-Holstein“ (TV-ArbZ SH) vor. Mit Schreiben vom 17. März 2008, das der Beklagten am 26. März 2008 zuging, forderte die Klägerin die Beklagte erfolglos auf, mit ihr einen Altersteilzeitarbeitsvertrag für den Zeitraum vom 1. Oktober 2009 bis zum 30. September 2017 zu schließen. 123- 3 - 9 AZR 813/09 - 4 - Die Klägerin hat die Rechtsauffassung vertreten, die ablehnende Ent-scheidung der Beklagten diskriminiere sie wegen ihres Alters. Die Tarifver-tragsparteien, die an den grundgesetzlichen Gleichheitssatz gebunden seien, hätten den ihnen von Verfassungs wegen zustehenden Regelungsspielraum überschritten. Es verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, den Be-schäftigten der Stadt Kiel, nicht aber den Beschäftigten in den Krankenhäusern den Zugang zur Altersteilzeit unter den TV-ArbZ SH spezifizierten Bedingungen zu gewähren. Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihr Angebot zum Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsvertrags in Form des Teilzeitmo-dells in der Zeit vom 1. Oktober 2009 bis zum 30. September 2017 anzunehmen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht gewesen, sie sei berechtigt, Altersteilzeitanträge von Arbeitnehmern, die das 60. Lebensjahr nicht vollendet hätten, aus Kostengründen abzulehnen. Das ihr zustehende Ermessen habe sie fehlerfrei ausgeübt. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Landes-arbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Entscheidungsgründe Die Revision ist unbegründet, da bereits die Berufung unzulässig gewe-sen ist. Das Landesarbeitsgericht hätte die Berufung als unzulässig verwerfen müssen; denn die Berufungsbegründung genügt nicht den gesetzlichen Anfor-derungen. 1. Die Zulässigkeit der Berufung ist Prozessvoraussetzung für das gesam-te weitere Verfahren nach Einlegung der Berufung (BAG 27. Juli 2010 - 1 AZR 186/09 - Rn. 17, NZA 2010, 1446). Sie ist deshalb vom Revisionsgericht von 456789- 4 - 9 AZR 813/09 - 5 - Amts wegen zu prüfen (BAG 17. Januar 2007 - 7 AZR 20/06 - Rn. 10, BAGE 121, 18). Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Begründung iSd. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, hat das Revisionsgericht die Berufung mit der Maßga-be zurückzuweisen, dass die Berufung verworfen wird (BAG 15. August 2002 - 2 AZR 473/01 - zu 2 der Gründe, AP ZPO § 519 Nr. 55 = EzA ZPO § 519 Nr. 14). Dass das Berufungsgericht das Rechtsmittel für zulässig gehalten hat, ist hierbei ohne Bedeutung (vgl. BAG 9. Juli 2003 - 10 AZR 615/02 - zu 1 der Gründe, AP ArbGG 1979 § 64 Nr. 33 = EzA ArbGG 1979 § 64 Nr. 37). 2. Die Berufungsbegründungsschrift genügt nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO. Die Klägerin hat sich nicht in ausreichender Weise mit den Erwägungen des Arbeitsgerichts, auf die es seine klageabwei-sende Entscheidung gestützt hat, auseinandergesetzt. a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG sind die Vorschriften der Zivilprozess-ordnung über die Begründung der Berufung auch im Urteilsverfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen anwendbar (BAG 10. Februar 2005 - 6 AZR 183/04 - zu 2 a der Gründe, EzA ArbGG 1979 § 64 Nr. 40). Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll (BAG 28. Mai 2009 - 2 AZR 223/08 - Rn. 14, AP ZPO § 520 Nr. 2). Die Regelung des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO soll gewährleisten, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz durch eine Zusammenfassung und Beschränkung des Rechtsstoffs ausrei-chend vorbereitet wird (vgl. BAG 11. März 1998 - 2 AZR 497/97 - zu I der Gründe, BAGE 88, 171). Deshalb hat der Berufungsführer die Beurteilung des Streitfalls durch den Erstrichter zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchem Grund er das angefochtene Urteil für unrich-tig hält (vgl. BAG 6. März 2003 - 2 AZR 596/02 - zu II 1 a der Gründe, BAGE 105, 200). Dadurch soll bloß formelhaften Berufungsbegründungen entgegengewirkt und eine Beschränkung des Rechtsstoffs im Berufungsver-1011- 5 - 9 AZR 813/09 - 6 - fahren erreicht werden (BAG 15. August 2002 - 2 AZR 473/01 - zu 2 der Grün-de, AP ZPO § 519 Nr. 55 = EzA ZPO § 519 Nr. 14). Die Berufungsbegründung muss deshalb auf den Streitfall zugeschnitten sein (BAG 8. Mai 2008 - 6 AZR 517/07 - Rn. 30, AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 40 = EzA ZPO 2002 § 520 Nr. 6). Eine schlüssige Begründung kann zwar nicht verlangt werden; doch muss sich die Berufungsbegründung mit den rechtlichen oder tatsächli-chen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese be-kämpfen will (BAG 10. Februar 2005 - 6 AZR 183/04 - zu 2 a der Gründe, aaO; 16. Juni 2004 - 5 AZR 529/03 - zu II 2 b der Gründe, EzA ZPO 2002 § 520 Nr. 3; 15. August 2002 - 2 AZR 473/01 - zu 2 der Gründe, aaO). Für die erfor-derliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Ent-scheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen (BAG 25. April 2007 - 6 AZR 436/05 - Rn. 14, BAGE 122, 190). b) An diesem Maßstab gemessen, hat die Klägerin die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts nicht ausreichend begründet. Das Arbeitsgericht hat in seinem Urteil mit § 2 Abs. 1 TV ATZ (Seite 6 des Urteils) und § 7 TV-ArbZ SH (Seite 8 des Urteils) zwei Anspruchsgrundlagen in Betracht gezogen und deren Voraussetzungen im Ergebnis verneint. aa) Zu § 2 Abs. 1 TV ATZ hat das Arbeitsgericht im Einzelnen ausgeführt, die Beklagte habe das ihr von den Tarifvertragsparteien eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Die von der Beklagten angeführten wirtschaftlichen Gründe rechtfertigten die Ablehnung des von der Klägerin unter dem 17. März 2008 gestellten Antrags. Eine Diskriminierung der Beschäftigten, die das 60. Le-bensjahr nicht vollendet hätten, liege nicht vor, da diese nicht benachteiligt würden. Die Tarifbestimmung begünstige ältere Arbeitnehmer, ohne jüngere zu benachteiligen. Ausweislich der Präambel des Tarifvertrags solle älteren Be-schäftigten ein gleitender Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand ermöglicht und dadurch vorrangig Auszubildenden und Arbeitslosen Beschäfti-gungsmöglichkeiten eröffnet werden. Die Tarifvertragsparteien verfolgten mit 1213- 6 - 9 AZR 813/09 - 7 - den Regelungen des TV ATZ arbeitsmarktpolitische Ziele und beschränkten die Begünstigung deshalb auf Arbeitnehmer, für die der gesetzliche Ruhestand alsbald anstehe. Die Berufungsbegründungsschrift der Klägerin enthält keine argumenta-tive Auseinandersetzung mit diesen Erwägungen. Soweit die Klägerin auf Seite 1 der Berufungsbegründung ausführt, ihr Anspruch ergebe sich aus § 2 des Arbeitsvertrags, paraphrasiert sie im Folgenden die Tarifnorm des § 2 TV ATZ und rügt „die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes“. Zudem „beruft (sie) sich auch auf das AGG, das jede Diskriminierung aus Altersgrün-den verbietet“. Hierbei handelt es sich um eine formelhafte Wendung, auf die die Klägerin in ähnlicher Form bereits in der Klageschrift vom 31. Mai 2008 zurückgegriffen hat. Dort hat sie die Ansicht vertreten, in der Regelung liege eine „rechtswidrige Diskriminierung aus Altersgründen, die mit Europa-, Verfas-sungs- und Bundesrecht unvereinbar“ sei. Die Klägerin legt weder dar, aus welchem Grund sie den Gleichbehandlungsgrundsatz für verletzt erachtet, noch, aufgrund welcher Umstände sie sich auf welche Vorschriften des AGG zur Stützung der Rechtsbehauptung, ihr stehe ein Anspruch auf Abschluss des begehrten Altersteilzeitarbeitsvertrags zu, berufen will. Der pauschale Hinweis auf den Gleichbehandlungsgrundsatz und die Vorschriften des AGG ersetzt nicht die erforderliche Auseinandersetzung mit der die angefochtene Entschei-dung tragenden Erwägung des Arbeitsgerichts, es liege keine Ungleichbehand-lung zulasten der jüngeren, sondern eine - diskriminierungsrechtlich gerechtfer-tigte - Begünstigung älterer Arbeitnehmer vor. Auf das weitere Argument des Arbeitsgerichts, die unterschiedliche Behandlung beider Arbeitnehmergruppen sei aufgrund arbeitsmarktpolitischer Erwägungen der Tarifvertragsparteien gerechtfertigt, geht die Klägerin nicht ein. bb) Auch hinsichtlich der zweiten von dem Arbeitsgericht in Betracht gezo-genen Anspruchsgrundlage, der Regelung des § 7 TV-ArbZ SH, fehlt es an einer der Form des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO entsprechenden Berufungs-begründung. Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung darauf gestützt, es sei Sache der Tarifvertragsparteien, die Gruppe derer zu bestimmen, auf die das 1415- 7 - 9 AZR 813/09 zur Verfügung stehende arbeitsmarktpolitische Instrumentarium angewendet werde. Eine Diskriminierung sei nicht ersichtlich, da im Bereich der Kranken-pflege keine erhebliche Arbeitslosigkeit bestehe. Angesichts dessen habe kein Bedarf zur Förderung von Arbeitslosen und Jugendlichen bestanden. Dieser Urteilsbegründung setzt die Klägerin auf Seite 2 der Berufungs-begründung den pauschalen Hinweis entgegen, die Tarifvertragsparteien hätten ihre Regelungsbefugnis überschritten. Damit wird die Klägerin ihrer Begrün-dungsobliegenheit nicht gerecht. Ihre ohne nähere Erläuterung aufgestellte Behauptung, „Rechtfertigungsgründe für die Ungleichbehandlung sind nicht ersichtlich“ (Seite 3 der Berufungsbegründung), ist nicht auf die Erwägungen, die das erstinstanzliche Gericht zur Klageabweisung bewogen haben, zuge-schnitten. Das Arbeitsgericht hat auf die mit der Einführung von Altersteilzeit verfolgten arbeitsmarktpolitischen Zwecke abgestellt und ist davon ausgegan-gen, es bestehe angesichts der Arbeitsmarktlage kein Bedürfnis, Mitarbeitern in Krankenhäusern den Zugang zur Altersteilzeit zu eröffnen. Mit diesen sowohl rechtlichen als auch tatsächlichen Argumenten des Arbeitsgerichts befasst sich die Klägerin nicht. Sie erhebt weder Verfahrensrügen, noch stellt sie die rechtli-chen Folgerungen des Arbeitsgerichts infrage. Wenn sie auf Seite 3 der Beru-fungsbegründung ohne nähere Erklärung auf eine Gleichstellung von Altenpfle-gern und Krankenpflegern im Krankenpflegegesetz verweist, steht dies mit den maßgebenden Tarifbestimmungen in keinem erkennbaren Zusammenhang. C. Die Klägerin hat als Revisionsführerin die Kosten der ohne Erfolg eingelegten Revision zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO. Düwell Krasshöfer Suckow Faltyn Kranzusch 1617

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