9. Senat - Anspruch auf Urlaubsabgeltung - Ausschlussfrist
Karar Dilini Çevir:
9. Senat - Anspruch auf Urlaubsabgeltung - Ausschlussfrist
Bundesarbeitsgericht 9 . Senat Urteil vom 10. Dezember 2013 - 9 AZR 494/12 - I. Arbeitsgericht Dortmund Urteil vom 20. August 2009 - 4 Ca 1334/09 - II. Landesarbeitsgericht Hamm Urteil vom 22. März 2012 - 16 Sa 1176/09 - F ür die Amtliche Sammlung: Nein Entscheidungsstichwort e : Anspruch auf Urlaubsabgeltung - Ausschlussfrist Gesetz e : AEUV Art. 267 Ab s. 3; Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parl a- ments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitges taltung Art. 7; GG Art. 20 Abs. 3; Einheitlicher Mantel - tarifvertrag für die Metall - und Elektroindustrie in Nordrhein - Westfalen vom 18. Dezember 2003 (EMTV) § 19 Nr. 2 Buchst. b und Nr. 4 Leitsätze: keine - 2 - BUNDESARBEITSGERICHT 9 AZR 494/12 16 Sa 1176/09 Landesarbeitsgericht Hamm Im Namen des Volkes! Verkündet am 10. Dezember 2013 URTEIL Brüne, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle In Sachen Beklagte, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin, pp. Kläger, Berufungsbeklagter und Revisionsbeklagter, hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Ve r- handlung vom 10. Dezember 2013 durch den Vorsitzenden Richter am Bu n- desarbeitsgericht Dr. Brühler, die Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Suckow - 2 - 9 AZR 494/12 - 3 - und Klose sowie den ehrenamtlich en Richter Dr. Starke und die ehrenamtliche Richterin Pielenz für Recht erkannt: 1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 22. März 2012 - 16 Sa 1176/09 - teilweise aufgehoben . 2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 20. August 2009 - 4 Ca 1334/09 - teilweise abgeändert : Die Klage wird abgewiesen. 3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Von Rechts wegen! Tatbestand Der Kläger begehrt von der Beklagten in der Revisionsinstanz noch , gesetzlichen Mindesturlaub (Mindesturlaub) und Zusatzurlaub für schwerbehi n- derte Menschen (Zusatzurlaub) aus den Jahren 2007 und 2008 abzugelten. Die Beklagte beschäftigte den Kläger, der seine Arbeitsleistung an fü nf Tagen in der Woche erbrachte, vom 1. April 1964 bis zum 31. August 2008 als Schlosser. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft arbeitsvertraglicher Vereinb a- Einheitliche Manteltarifvertrag für die Metall - und Elektroindustrie in Nordrhein - Westfalen vom 18. Dezember 2003 ( EMTV ) , der am 1. März 2004 in Kraft trat, Anwendung. Dieser enthält ua. folgende Regelungen: § 19 Geltendmachung und Ausschluss von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhäl t nis/Ausbildungsverhältnis 2. Beschäftigte/Auszubildende haben das Recht, A n- sprüche aus dem Arbeitsverhältnis/Ausbildungs - verhältnis innerhalb folgender Fristen geltend zu m a- chen: 1 2 - 3 - 9 AZR 494/12 - 4 - a) Monaten nach Erhalt der Abrechnung, b) alle übrigen Ansprüche innerhalb von drei M o- naten nach ihrer Fälligkeit . 4. Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Fristen geltend gemacht werden, sind ausgeschlossen, es sei denn, dass Anspruchsberechtigte trotz Anwendung aller nach Lage der Umstände zuzumuten den Sorgfalt verhindert waren, diese Fristen einzuhalten. D er seit dem Jahr 2002 schwerbehinderte Kläger war ua. vom 1. Januar 2006 bis zum 31. August 2008 durchgehend krankheitsbedingt a r- beitsunfähig . Mit seiner am 18. März 2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klageschrift, die der Beklagten am 23. März 2009 zugestellt worden ist, verlan g- te er erstmals von der Beklagten, 105 Urlaub tage aus den Jahren 2006 bis 2008 abzugelten. Der Kläger hat die Rech tsauffassung vertreten , die Urlaub sansprüche seien infolge seiner andauernden Arbeitsunfähigkeit nicht verfallen . Er sei trotz Anwendung aller nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert gewesen, die tarifliche Ausschlussfrist des § 19 Nr. 2 Buchst. b EMTV einzuha l- ten. D er Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.162,30 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basi s- zinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Beklagte hat die Abweisung der Klage ua. mit der Begründung b e- antragt, der Kläger habe den Abgeltungsanspruch nicht gemäß § 19 Nr. 2 Buchst. b EMTV innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit des Anspruchs ge l- tend gemacht. 3 4 5 6 - 4 - 9 AZR 494/12 - 5 - Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und di e Bekla g- te verurteilt, den Mindest - und den Zusatzurlaub aus den Jahren 200 6 bis 2008 und damit insgesamt 75 Urlaubstage mit einem Bruttobetrag iHv. 6.544,80 Euro abzugelten . Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeit sgerichts teilweise abgeändert und die Beklagte nur zur Abge l- tung des Mindest - und des Zusatzurlaubs aus den Jahren 2007 und 2008 mit einem Bruttobetrag iHv. 4.363,00 Euro verurteilt. M it der von dem Landesa r- beitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der vollständ i- gen Abweisung der Klage weiter. Entscheidungsgründe I. Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Unrecht teilweise stattgegeben. Der Anspruch des Klägers auf Abgeltung des Mindest - und des Zusatzurlaubs aus den Jahren 2007 und 2008 ist gemäß § 19 Nr. 2 Buchst. b EMTV ausgeschlossen, weil der Kläger ihn nicht innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit geltend gemacht hat. 1. Der Urlaubsabgeltungsanspruch 19 Nr. 2 Buchst. b EMTV . Vorbehaltlich abweichender Tarifbestimmungen unte r- fällt ein Urlaubsabgeltungsanspruch als reiner Geldanspruch denselben tarifl i- chen Bedingungen wie alle übrigen Zahlungsansprüche der Arbeitsvertragspa r- teien. Dies gilt sowohl für die Abgeltung des Mindesturlaubs (vgl. BAG 21. Februar 2012 - 9 AZR 486/10 - Rn. 19) als auch für die Abgeltung des Z u- satzurlaub s ( vgl. BAG 13. Dezember 2011 - 9 AZR 399/10 - Rn. 40, BAGE 140, 133) . 2. Die Ausschlussfristenregelung des § 19 Nr . 2 Buchst. b EMTV verstößt bezüglich der Abgeltung von Urlaub nicht gegen Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung . Diese Bestimmung 7 8 9 10 - 5 - 9 AZR 494/12 - 6 - gebietet nicht, da ss eine Ausschlussfrist für den Urlaubsabgeltungsanspruch die Dauer des Bezugszeitraums des Urlaubsanspruchs deutlich übersteigt ( BAG 18. September 2012 - 9 AZR 1/11 - Rn. 27) . Eine dreimonatige Au s- schlussfrist genügt den unions rechtlichen Anforderungen an die Gleichwer ti g- keit und Effektivität der Regelung ( vgl. BAG 13. Dezember 2011 - 9 AZR 399/10 - Rn. 28 , BAGE 140, 133 ) . Dies gilt unabhängig davon, ob der Arbei t- nehmer zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbei tsunfähig erkrankt oder arbeitsfähig ist ( vgl. BAG 19. Juni 2012 - 9 AZR 652/10 - Rn. 24 ) . Eine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht nicht. 3. Der Kläger machte den Urlaubsabgeltungsanspruch erstmals mit der Klageschrift vom 17. März 2009, die der Beklagten am 23. März 2009 zugestellt worden ist, geltend. Zu diesem Zeitpunkt war die dreimonatige Ausschlussfrist des § 19 Nr. 2 Buchst. b EMTV abgelaufen. Der von dem Kläger erhobene A n- spruch entstand mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. August 2008 und wurde zu diesem Zeitpunkt fällig (vgl. BAG 6 . August 201 3 - 9 AZR 956 /1 1 - Rn. 22 ) . Die Ausschlussfrist begann am Folgetag, dem 1. September 2008, zu laufen (§ § 186, 187 Abs. 1 BGB) und endete am 1. Dez ember 2008 (§ 18 8 Abs. 2 Alt. 1 und Abs. 3 , § 193 BGB) . 4. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts war der Kläger nicht trotz Anwendung aller nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt den Abgeltungsanspruch binnen der in § 19 Nr. 2 Buchst. b EMTV b e- stimmten Frist gegenüber der Beklagten geltend zu machen. a) Die Beantwortung der Frage, ob eine dem Anspruchsverfall entgege n- stehende Verhinderung iSd. § 19 Nr. 4 EMTV vorliegt, hängt im Wesentlichen von den Umständen des Einzelfalls ab. Deren Feststellung und Würdigu ng ist vorrangig Aufgabe des Tatrichters, der den vorgetragenen Sachverhalt eige n- verantwortlich zu beurteilen hat. Ob trotz Anwe n- dung aller nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert vorli e- gen , ist in der Revisionsins tanz nur eingeschränkt nachprüfbar. Das Berufung s- urteil kann vom Revisionsgericht lediglich darauf überprüft werden, ob das Ta t- sachengericht alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat , die Bewe r- 11 12 13 - 6 - 9 AZR 494/12 - 7 - tung dieser Aspekte von den getroffenen tatsächlichen Feststellungen getragen wird und das Ergebnis wie auch die Begründung mit den Gesetzen der Logik und den allgemeinen Erfahrungssätzen vereinbar sind (vgl. BAG 16. Oktober 2007 - 9 AZR 248/07 - Rn. 27, BAGE 124, 229) . Auch dieser eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts nicht stand. b) Die Revision rügt zu Recht, der von dem Landesarbeitsgericht gezog e- ne Schluss, der Kläger sei Anwendung aller nach Lage der Ums tände zuzumutenden Sorgfalt an einer fristgerechten Geltendmachung verhindert gewesen, werde von den festgestellten Tatsachen nicht getragen. Tarifliche Ausschlussfristen dienen der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden. Der Schuldner soll sich darauf ve rlassen können, nach Ablauf der tariflichen Verfal l- fristen nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Umgekehrt soll der Glä u- biger angehalten werden, innerhalb kurzer Fristen Begründetheit und Erfol g- saussichten seiner Ansprüche zu prüfen (BAG 10. Oktober 2 002 - 8 AZR 8/02 - zu II 2 e bb (3) der Gründe , BAGE 103, 71) . Die Anforderungen, die § 19 Nr. 2 Buchst. b EMTV an die Fristwahrung stellt, sind denkbar gering. Es genügt eine formlos e Geltendmachung des Anspruchs . Mit einer solchen sind weder sachl i- che S chwierigkeiten noch finanzielle Risiken verbunden. Der Kläger hat keine Umstände vorgetragen, die darauf schließen lassen , das s ihm die Unterrichtung der Beklagten, etwa mittels eines Telefonanrufs, nicht möglich oder nicht z u- mutbar war. Sie sind im Übrige n nicht ersichtlich. Soweit das Landesarbeitsg e- richt darauf abstellt, ein fachkundiger Berater hätte es für unnötig gehalten, den von dem Kläger erhobenen Anspruch auch nur vorsorglich gegenüber der B e- klagten geltend zu machen, stützt es seine Entscheidung auf ein hypothet i- sches Geschehen, für das es an Tatsachenfeststellungen fehlt. c) Der Hinweis de s Klägers , der Senat habe seine Rechtsprechung zur sog. Surrogatstheorie, der zufolge der Urlaubsanspruch eines arbeitsunfähigen Arbeitnehmers am Ende des ers ten auf das Urlaubsjahr folgenden Quartals verfalle, erst im Jahr 2009 aufgegeben (vgl. im Einzelnen : BAG 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - BAGE 130, 119) , hilft ihm nicht weiter . 14 15 - 7 - 9 AZR 494/12 - 8 - aa) E ine in der Rechtsprechung bislang vertretene Gesetzesauslegung au f- zugeben verstößt nicht als solche s gegen Art. 20 Abs. 3 GG . Höchstrichterliche Urteile sind kein Gesetzesrecht und erzeugen keine vergleichbare Rechtsbi n- dung. Die über den Einzelfall hinausreichende Wirkung fachgerichtlicher Gese t- zesauslegung beruht nur au f der Überzeugungskraft ihrer Gründe sowie der Autorität und den Kompetenzen des Gerichts. Ein Gericht kann deshalb von seiner bisherigen Rechtsprechung abweichen, auch wenn keine wesentlichen Änderungen der Verhältnisse oder der allgemeinen Anschauungen e in ge treten sind . Eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist somit grun d- sätzlich unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet ist und sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält . Es reicht aus, wenn ein Gericht den im Rechtsstaatsprin zip verankerten Grundsatz des Ver trauensschutzes beachtet und ihm erforderlichenfalls durch Billigkeitserwägungen Rechnung trägt ( vgl. BAG 19. Juni 2012 - 9 AZR 652/10 - Rn. 27 ) . bb) Spätestens nach Bekanntwerden des Vorabentscheidungsersuchens des Landes arbeitsgerichts Düsseldorf in der Sache Schultz - Hoff vom 2. August 2006 ( - 12 Sa 486/06 - ) durften sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer nicht mehr davon ausgehen, der Senat werde die hergebrachte Rechtsprechung u n- verändert fortführen. Durch dieses Vora bentscheidungsersuchen wurde nicht nur ein einzelner Aspekt, wie das Erlöschen von Urlaubsabgeltungsansprüchen bei lang andauernder Arbeitsunfähigkeit, sondern die überkommene Rech t- sprechung zur Erfüllbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs als Ganze s infr a- ge gestellt. Davon waren auch die Grundsätze betroffen, die der Senat unter dem Regime der Surrogatstheorie zum Nichteingreifen von tariflichen Au s- schlussfristen entwickelt hatte (vgl. BAG 21. Februar 2012 - 9 AZR 486/10 - Rn. 31) . Der von dem Kläger erhob ene Anspruch entstand mit Ablauf des 31. August 2008. Angesichts der damaligen von Unsicherheit gekennzeichn e- ten Rechtslage oblag es dem Kläger, seine Ansprüche frist wahrend gegenüber der Beklagten geltend zu machen. 16 17 - 8 - 9 AZR 494/12 II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen ( § 91 Abs. 1 ZPO ) . Brühler Klose Suckow Starke Pielenz 18

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