8 W (pat) 33/13  - 8. Senat (Techn.Beschw.)
Karar Dilini Çevir:

BPatG 154
05.11

BUNDESPATENTGERICHT



8 W (pat) 33/13
_______________
(Aktenzeichen)



Verkündet am
26. Oktober 2017






B E S C H L U S S

In der Beschwerdesache


betreffend das Patent 10 2006 005 841




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hat der 8. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am
26. Oktober 2017 durch den Vorsitzenden Richter Dipl.-Phys. Dr. phil. nat.
Zehendner sowie die Richter Dr. agr. Huber, Heimen und Dipl.-Ing. Brunn

beschlossen:

Die Beschwerde der Patentinhaberin wird zurückgewiesen.


G r ü n d e

I.

Auf die am 8. Februar 2006 durch die I… GmbH & Co. KG,
in L…, DE beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereichte Patent-
anmeldung ist das Streitpatent 10 2006 005 841 mit der Bezeichnung „Fahrzeug-
sitz“ erteilt und die Erteilung am 10. Mai 2012 veröffentlicht worden.

Gegen das Patent hat die G… AG, in A…, DE am 9. August 2012
Einspruch erhoben und beantragt, das Patent im vollen Umfang zu widerrufen. Die
Einsprechende verweist dazu unter anderem auf folgende Entgegenhaltungen:

D2 FR 2 764 563 A1
D14 US 2003/0081795 A1
D18 WO 01/20911 A1

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Die Patentabteilung 16 des DPMA hat in der mündlichen Verhandlung vom
15. Oktober 2013 das Streitpatent widerrufen, da der jeweilige Patentgegenstand
gemäß Anspruch 1 nach Hauptantrag sowie nach den nur im Einspruchsverfahren
gestellten Hilfsanträgen 1 und 2 gegenüber dem Stand der Technik nach der D14
bzw. der D18 nicht neu sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin und Be-
schwerdeführerin vom 27. November 2013.

Die Patentinhaberin und Beschwerdeführerin stellt den Antrag,

den angefochtenen Beschluss der Patentabteilung 16 des Deut-
schen Patent- und Markenamts vom 15. Oktober 2013 aufzuhe-
ben und das Patent mit den folgenden Unterlagen beschränkt auf-
rechtzuerhalten:

Patentansprüche 1 bis 7 gemäß Hauptantrag, eingereicht am
15. Oktober 2013,
im Übrigen wie erteilt,

hilfsweise

Patentansprüche 1 bis 7 gemäß Hilfsantrag, eingereicht in der
mündlichen Verhandlung
im Übrigen wie erteilt.

Die Einsprechende und Beschwerdegegnerin stellt den Antrag,

die Beschwerde zurückzuweisen.

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Der Anspruch 1 nach Hauptantrag der Patentinhaberin vom 15. Oktober 2013
lautet:

„Fahrzeugsitz (1) mit einer Rückenlehne (2), in die ein Modul (3)
im Schulterbereich (7) oder darüber in eine Verankerung einge-
setzt ist, das durch ein individuell in Abhängigkeit der Bedürfnisse
des Benutzers des Fahrzeugsitzes (1) passendes Modul (3) aus-
tauschbar ist und das entweder als Abdeckungselement (4) oder
als Funktionselement (5) ausgebildet ist, wobei die Funktion des
Funktionselements (5) nur zur Vorderseite hin ausgerichtet ist.“

Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag der Patentinhaberin vom 26. Oktober 2017 lau-
tet:

„Fahrzeugsitz (1) mit einer Rückenlehne (2), in die ein Modul (3)
im Schulterbereich (7) oder darüber, wobei es sich nur in einem
der beiden dieser Bereiche erstreckt, in eine Verankerung einge-
setzt ist, das durch ein individuell in Abhängigkeit der Bedürf-
nisse des Benutzers des Fahrzeugsitzes (1) passendes Mo-
dul (3) austauschbar ist und das entweder als Abdeckungsele-
ment (4) oder als Funktionselement (5) ausgebildet ist, wobei die
Funktion des Funktionselements (5) nur zur Vorderseite hin aus-
gerichtet ist.“

Wegen des Wortlautes der Unteransprüche und der weiteren Einzelheiten wird auf
den Inhalt der Akten verwiesen.

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II.

1. Die Beschwerde ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet, denn die
Gegenstände des jeweiligen Anspruchs 1 nach Hauptantrag sowie nach Hilfsan-
trag stellen keine patentfähige Erfindung im Sinne der §§ 1 bis 5 PatG dar.

Der Patentgegenstand betrifft einen Fahrzeugsitz mit einer Rückenlehne. Nach
Angaben des Streitpatents dienen Fahrzeugsitze nicht nur einem bequemen Sit-
zen für den Benutzer, sondern zusätzlich, je nach Einsatzweise und Benutzer, der
Bewältigung unterschiedlicher weiterer Funktionen. Unter diesen Funktionen soll
einerseits die Schnittstelle bzw. Verbindung zum Fahrzeug mittels eines ortsfesten
Sicherheitsgurts und darüber hinaus optional die Vorhaltung eines Telefons, eines
Bedienhebels für Lehne oder Sitz bzw. einer Beleuchtungseinrichtung verstanden
werden.

Bei den bekannten Sitzen werde dies dadurch gelöst, dass für jede einzelne
Funktion ein einzelnes Bauelement verwendet und an unterschiedlichen Positio-
nen des Fahrzeugsitzes angeordnet wird und dabei jeweils unterschiedliche und
individuell optisch ausgestaltete Abdeckungen verwendet werden.

Nach Angaben der Streitanmeldung (Absatz [0004] der Streitpatentschrift) liegt der
Erfindung die Aufgabe zu Grunde, einen Fahrzeugsitz bereitzustellen, der multi-
funktional ist und bei dem unterschiedlichen Funktionen sehr einfach am Fahr-
zeugsitz angeboten werden können.

Der Anspruch 1 nach Hauptantrag lässt sich wie folgt gliedern:

1. Fahrzeugsitz (1) mit einer Rückenlehne (2).
1.1 In die Rückenlehne ist ein Modul (3) in eine Verankerung eingesetzt.
1.2 Das Modul ist im Schulterbereich (7) oder darüber der Rückenlehne einge-
setzt.
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1.3 Das Modul ist entweder als Abdeckungselement (4) oder als Funktionsele-
ment (5) ausgebildet.
1.4 Ein Modul (3) ist durch ein individuell in Abhängigkeit der Bedürfnisse des
Benutzers des Fahrzeugsitzes (1) passendes Modul (3) austauschbar.
1.5 Die Funktion des Funktionselements (5) ist nur zur Vorderseite hin
ausgerichtet.

Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag lässt sich wie folgt gliedern:

1. Fahrzeugsitz (1) mit einer Rückenlehne (2).
1.1 In die Rückenlehne ist ein Modul (3) in eine Verankerung eingesetzt.
1.2 Das Modul ist im Schulterbereich (7) oder darüber der Rückenlehne einge-
setzt.
1.2.1 Das Modul erstreckt sich nur in einem oder beiden dieser Bereiche.
1.3 Das Modul ist entweder als Abdeckungselement (4) oder als Funktionsele-
ment (5) ausgebildet.
1.4 Ein Modul (3) ist durch ein individuell in Abhängigkeit der Bedürfnisse des
Benutzers des Fahrzeugsitzes (1) passendes Modul (3) austauschbar.
1.5 Die Funktion des Funktionselements (5) ist nur zur Vorderseite hin
ausgerichtet.

Als zuständiger Fachmann ist ein Diplomingenieur der Fachrichtung Maschinen-
bau mit zumindest Fachhochschulabschluss mit mehrjähriger Erfahrung in der
Konstruktion von Fahrzeugsitzen anzusehen.

2. Der Anspruch 1 bedarf hinsichtlich einiger Merkmale einer Auslegung:

Nach Merkmal 1.1 ist in die Rückenlehne ein Modul in eine Verankerung einge-
setzt. Unter dem Begriff „Modul“ ist in der Streitpatentschrift für den Fachmann der
Teil eines Fahrzeugsitzes zu verstehen, der jeweils für die Realisierung einer
Funktionalität des Fahrzeugsitzes vorgesehen ist. Der Fahrzeugsitz weist dafür
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eine modulare Bauweise auf, bei der ein Modul in eine „Verankerung“ oder „Öff-
nung“ eingesetzt wird und dieses Modul als Gurtumlenkpunkt 5a, als Lese-
lampe 5b, als Lautsprecher 5c und/oder Mikrophon 5d einer Freisprechanlage so-
wie auch als Abdeckungselement 4 ausgebildet sein kann. Das Abdeckungsele-
ment dient dazu, die Öffnung innerhalb des Fahrzeugsitzes 1 zu verschließen,
wenn keine Funktionalität benötigt wird.

Nach dem Merkmal 1.2 ist das Modul im Schulterbereich oder darüber der Rü-
ckenlehne eingesetzt. Entsprechend der Streitpatentschrift soll unter dem „Schul-
terbereich“ der Bereich verstanden werden, in dem ein Benutzer des Fahrzeugsit-
zes 1 seine Schultern positioniert (vgl. Absatz [0016] sowie Figuren 1 und 3).
Demzufolge würden Module bzw. Bedienelemente, die im Lendenbereich einer
Rückenlehne angeordnet sind, nicht unter das Streitpatent fallen. Bei der Frage, in
welcher Höhe der Rückenlehne sich der Schulterbereich befindet, geht der Fach-
mann von in der Kraftfahrzeugindustrie angesetzten Normgrößen bzw. -maßen für
Kraftfahrzeugnutzer aus.

Entsprechend dem Merkmal 1.3 stellt auch ein reines Abdeckungselement für das
Verschließen der Aufnahmeöffnung in der Rückenlehne ein Modul im Sinne des
Streitpatents dar.

Nach dem Merkmal 1.4 ist ein Modul durch ein individuell in Abhängigkeit der Be-
dürfnisse des Benutzers des Fahrzeugsitzes passendes Modul austauschbar.
Entsprechend dem Merkmal 1.3 fällt auch die Ausgestaltung eines Fahrzeugsitzes
unter den Gegenstand des Streitpatents, wenn in der Rückenlehne eine Ausneh-
mung für die Aufnahme einer Funktionseinheit vorgesehen ist, die ggf. bei Nicht-
verwendung der einen Funktionseinheit alternativ mit einem Abdeckungselement
verschlossen wird. Der Anspruch 1 verlangt nicht, dass in der Rückenlehne zwei
Funktionselemente mit verschiedenen aktiven Funktionen wie Leselampe und
Lautsprecher gegeneinander getauscht werden können.

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Entsprechend dem Merkmal 1.5 ist die Funktion des Funktionselements nur zur
Vorderseite hin ausgerichtet. Nach Absatz [0006] der Beschreibung der Streitpa-
tentschrift soll darunter zu verstehen sein, dass in diesem Fall nur der Benutzer
des Fahrzeugsitzes, in dem das Modul eingesetzt ist, die jeweilige Funktion nut-
zen kann. Für den alternativen, nicht beanspruchten Fall, dass die jeweilige Funk-
tion des Funktionselements zur Rückseite hin ausgerichtet wäre, würde dies be-
deuten, dass eine hinter dem Fahrzeugsitz befindliche Person diese Funktion nut-
zen könnte, beispielsweise bei einem Personenkraftwagen die Person, die im
Fond sitzt, oder eine sich im Bett befindliche Person in einer Lkw-Kabine. Da ent-
sprechend Absatz [0005] das Abdeckelement gerade dann eingesetzt wird, wenn
der Benutzer keine Funktionalität benötigt, stellt das Abdeckelement zwar ein Mo-
dul, aber kein Funktionselement dar. Daher wird die Lage bzw. Anordnung des
Abdeckelements von Merkmal 1.5 nicht eingeschränkt.

3. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Gegenstand des Anspruchs nach Hilfs-
antrag, wie von der Beschwerdegegnerin ausgeführt, nicht aus den ursprünglichen
Unterlagen entnehmbar ist, da die Gegenstände von Anspruch 1 nach Hauptan-
trag und Hilfsantrag jedenfalls nicht patentfähig sind.

a) Hauptantrag:

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag ist gegenüber dem
Stand der Technik nach der D14 nicht neu.

Die D14 zeigt einen Fahrzeugsitz 11 mit einer Rückenlehne 17 mit integrierter
Kopfstütze 18, in die eine Lautsprechereinheit 20 als Modul in eine Veranke-
rung 26 (Fig. 3 und 4) eingesetzt ist (M1 und M1.1). Das Modul ist oberhalb des
Schulterbereichs der Rückenlehne in die integrierte Kopfstütze eingesetzt (M1.2).
Dabei kann das Modul entweder als Lautsprechereinheit 20 als Funktionselement
oder als Abdeckungselement 22 ausgebildet sein (S. 2, Abs. [0025]; „In a state in
which the speaker unit 20 is not mounted, a head rest cover 22 made of a syn-
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thetic resin is detachably mounted on the rear face of the head rest 18.” – M1.3).
Daher ist das Modul, z. B. das Abdeckungselement 22, durch ein individuell in Ab-
hängigkeit der Bedürfnisse des Benutzers des Fahrzeugsitzes passendes Modul,
z. B. die Lautsprechereinheit 20 austauschbar (M1.4). Die Funktion der Lautspre-
chereinheit 20 als Funktionselements ist dabei nur zur Vorderseite hin ausgerich-
tet (M1.5).

Daher gehen alle Merkmale des Gegenstands des Anspruchs 1 nach Hauptantrag
aus dem genannten Stand der Technik nach der D14 hervor.

b) Hilfsantrag:

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag ist gegenüber dem
Stand der Technik nach der D14 ebenfalls nicht neu.

Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom Anspruch 1 nach
Hauptantrag nur durch das zusätzliche Merkmal 1.2.1, wonach das Modul nur im
Schulterbereich und/oder im Bereich oberhalb des Schulterbereiches der Rü-
ckenlehne eingesetzt ist und sich nicht in den Bereich unterhalb des Schulterbe-
reiches der Rückenlehne erstreckt.

Diese Ausgestaltung ist jedoch aus der D14 ebenfalls bekannt. Aus den Figuren
der D14 ist ersichtlich, dass das Modul als Lautsprechereinheit 20 oder Abde-
ckungselement 22 ausschließlich im Bereich der integrierten Kopfstütze 18 ober-
halb des Schulterbereiches der Rückenlehne angeordnet ist.

Dementsprechend gehen auch alle Merkmale des Gegenstands des Anspruchs 1
nach Hilfsantrag aus dem genannten Stand der Technik nach der D14 hervor.

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Mit dem jeweiligen Anspruch 1 nach Hauptantrag und Hilfsantrag fallen aufgrund
der Antragsbindung auch die antragsgemäß jeweils rückbezogenen Ansprüche 2
bis 7 nach Hauptantrag und Hilfsantrag.

III.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss steht dem am Beschwerdeverfahren Beteiligten das
Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht
zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass

1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war,
sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend
zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der
die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind,
oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.

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Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlus-
ses beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, 76133 Karlsruhe, durch eine
beim Bundesgerichtshof zugelassene Rechtsanwältin oder einen beim
Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich
einzulegen.


Dr. Zehendner

(zugleich für Richter
Heimen, der wegen
Krankheit an der
Unterschrift gehindert
ist)
Dr. Huber Heimen Brunn

Pr


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