8 W (pat) 22/15  - 8. Senat (Techn.Beschw.)
Karar Dilini Çevir:

ECLI:DE:BPatG:2017:211217B8Wpat22.15.0


BUNDESPATENTGERICHT



8 W (pat) 22/15
_______________
(Aktenzeichen)



Verkündet am
21. Dezember 2017





B E S C H L U S S

In der Beschwerdesache

betreffend das Patent 10 2009 042 456



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hat der 8. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 21. Dezember 2017 durch den Vorsitzenden
Richter Dipl.-Phys. Dr. phil. nat. Zehendner, den Richter Dipl.-Ing. Rippel, die
Richterin Uhlmann sowie den Richter Dipl.-Ing. Brunn

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.


G r ü n d e

I.

Auf die am 23. September 2009 beim Deutschen Patent- und Markenamt einge-
reichte Patentanmeldung ist das Patent 10 2009 042 456 mit der Bezeichnung
„Antriebseinrichtung“ erteilt und die Erteilung am 27. Juni 2013 veröffentlicht wor-
den.

Gegen das Patent haben die Beschwerdegegnerinnen form- und fristgerecht Ein-
spruch erhoben und den Widerruf des Streitpatents in vollem Umfang beantragt.
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Sie stützen ihren Einspruch auf die Widerrufsgründe des § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG
und sind der Auffassung, dass der Gegenstand des Patents nicht patentfähig sei,
weil er insbesondere gegenüber der DE 10 2008 032 189 A1 (D4) nicht neu sei.

Nach Prüfung des Einspruchs hat die Patentabteilung 11 des Deutschen Patent-
und Markenamts mit Beschluss vom 10. Juli 2015 das Patent widerrufen, weil der
Gegenstand des Patentanspruchs 1 gegenüber der DE 10 2008 032 189 A1 (D4)
nicht neu sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin vom
6. August 2015, mit der sie zugleich einen Hilfsantrag vorgelegt hat. Sie ist der
Auffassung, dass der Gegenstand des Streitpatents bereits in der Fassung des
Hauptantrags oder zumindest in der Fassung des Hilfsantrags gegenüber dem
Stand der Technik patentfähig sei, weil die D4 im Absatz [0029] lehre, dass es
wesentlich sei, dass der Antriebsmotor 3 derart von der Antriebssteuerung an-
steuerbar ist, dass er hinsichtlich einer Verstellung der Heckklappe 1 bremsend
wirke, was bedeute, dass der Antriebsmotor aktiviert sein müsse, da er sonst nicht
ansteuerbar sei.
Die Einsprechenden widersprechen jeweils den Ausführungen der Patentinhaberin
und haben bezüglich des Hilfsantrags nachträglich noch die
DE 10 2006 004 535 A1 (D9) genannt.

Mit dem Schriftsatz vom 7. November 2017 hat die förmlich geladene Patentinha-
berin und Beschwerdegegnerin mitgeteilt, dass sie an der anberaumten mündli-
chen Verhandlung nicht teilnehmen werde.

Von der Patentinhaberin und Beschwerdeführerin liegt schriftlich sinngemäß der
Antrag vor,

den Beschluss der Patentabteilung 11 des Deutschen Patent- und
Markenamtes vom 10. Juli 2015 aufzuheben und das Patent mit
den erteilten Unterlagen aufrechtzuerhalten, hilfsweise das Patent
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gemäß Hilfsantrag vom 6. August 2015 beschränkt aufrecht zu er-
halten.

Die Einsprechenden und Beschwerdegegnerinnen stellen jeweils den Antrag,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der geltende Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet mit einer vom Senat
ergänzten Merkmalsgliederung:

1. Antriebseinrichtung, insbesondere für eine Klappe eines
Fahrzeugs,
2. mit einem mit einem feststehenden Basisteil oder mit einem
bewegbaren Bauteil verbindbaren Gehäuserohr,
3. einem mit einem bewegbaren Bauteil oder mit einem festste-
henden Basisteil verbindbaren Schutzrohr,
4. einem eine Gewindespindel und eine auf der Gewindespin-
del angeordnete Spindelmutter aufweisenden Spindeltrieb,
5. durch den Gehäuserohr und Schutzrohr axial relativ zueinan-
der bewegbar sind,
6. und einem den Spindeltrieb drehbar antreibenden, wenigs-
tens einen Elektromotor umfassenden Drehantrieb,
dadurch gekennzeichnet, dass
7. die Antriebseinrichtung (5) eine Sicherheitsschaltung (28,
28', 28'', 28''') umfasst,
8. die bei deaktiviertem Drehantrieb (18) und bei von außen in
die Antriebseinrichtung eingebrachten Fremdkräften eine
Bremswirkung auf den Drehantrieb (18) bewirkt.

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Der Patentanspruch 1 in der Fassung gemäß Hilfsantrag I enthält gegenüber dem
Wortlaut des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag zusätzlich das folgende
Merkmal:

9. wobei die Sicherheitsschaltung (28, 28', 28'', 28''') wenigs-
tens einen Triac (53, 54, 66) umfasst, durch den die Wick-
lung des Elektromotors (19) kurzschließbar ist.

Wegen des Wortlauts der abhängigen Patentansprüche sowie der weiteren Ein-
zelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.


II.

1. Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht
erfolgreich, da die Gegenstände des geltenden Patentanspruchs 1 gemäß Haupt-
und Hilfsantrag nicht patentfähig sind.

2. Das Streitpatent betrifft nach dem Wortlaut des Anspruchs 1 eine Antriebsein-
richtung, insbesondere für eine Klappe eines Fahrzeugs. Derartige Antriebsein-
richtungen sind in einer Vielzahl von Variationen bekannt, die üblicherweise neben
der Motorbaugruppe auch über eine Getriebebaugruppe verfügen.
Herkömmliche Antriebseinrichtungen werden im manuellen Betrieb oder durch
manuellen Eingriff während des automatischen Betriebs mit hohen Kräften belas-
tet, wodurch nach den Ausführungen im Absatz [0002] der Streitpatentschrift ver-
schiedene Bauteile der Antriebseinrichtungen beschädigt werden können.
Andere Verstellsysteme verwenden eine zwischen dem Elektromotor und dem
Getriebe eingesetzte Bremse, um eine Bremswirkung zu ermöglichen. Dies habe
nach den Ausführungen im Absatz [0003] der Streitpatentschrift den Nachteil,
dass die Bremse einem ständigen Verschleiß unterliege.

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Daher besteht nach den Ausführungen in Absatz [0006] der Streitpatentschrift die
Aufgabe der Erfindung darin, eine Antriebseinrichtung der eingangs genannten Art
mit einfachem und somit kostengünstigem Aufbau zu schaffen, welche die Einzel-
komponenten der Antriebseinrichtung vor Belastungsspitzen und möglichen Fol-
geschäden schützt.

Die Lösung dieser Aufgabe erfolgt nach den Angaben in Absatz [0010] der Streit-
patentschrift durch eine Antriebseinrichtung mit den im geltenden Patentan-
spruch 1 gemäß Haupt- oder Hilfsantrag angegebenen Merkmalen.

Als Fachmann ist vorliegend ein Diplom-Ingenieur mit Fachhochschulabschluss
der Fachrichtung Maschinenbau oder Mechatronik anzusehen, der in der Kon-
struktion und Entwicklung von Elektroantrieben tätig ist und über mehrere Jahre
Berufserfahrung verfügt.

3. Während die Merkmale 1 bis 7 aus sich heraus verständlich sind, bedarf das
Merkmal 8 des geltenden Patentanspruchs 1 einer Auslegung.
Nach Merkmal 8 bewirkt die Sicherheitsschaltung bei deaktiviertem Drehantrieb
und bei von außen in die Antriebseinrichtung eingebrachten Fremdkräften eine
Bremswirkung auf den Drehantrieb. Das Merkmal „bei deaktiviertem Drehantrieb"
ist außer in Anspruch 1 nur noch in Absatz [0005] der Beschreibung der Streitpa-
tentschrift enthalten, der jedoch lediglich das Kennzeichen des Anspruchs 1 wört-
lich wiederholt. Mangels näherer Angaben im Streitpatent ist der Begriff „deakti-
vierter Drehantrieb" daher nach seinem allgemeinen Wortverständnis auszulegen
und deshalb ein Zustand, in dem der Drehantrieb nicht mehr dazu in der Lage ist,
den Spindeltrieb drehbar anzutreiben. Hier kommen mehrere Ausführungsformen
in Betracht. Beispielsweise kann der Drehantrieb deaktiviert sein, indem die Span-
nungszufuhr zu dem Elektromotor unterbrochen ist, so dass die Dauermagnete
des Elektromotors ein Drehen der Antriebswelle hemmen und deshalb eine
Bremswirkung auf den Drehantrieb bewirken. In einer anderen Ausführungsform
eines deaktivierten Drehantriebs kann der Elektromotor kurzgeschlossen sein, wie
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es beispielsweise in den Absätzen [0008] und [0043] der Streitpatentschrift be-
schrieben ist.

4. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag um-
fasst den Gegenstand des enger gefassten Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag.
Nachdem letzterer, wie die nachfolgenden Ausführungen zum Hilfsantrag zeigen,
nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, ist auch der Patentanspruch 1 nach
Hauptantrag nicht bestandsfähig.

5. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag beruht
nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Nächstliegenden Stand der Technik und einen geeigneten Ausgangspunkt bildet
die DE 10 2008 032 189 A1 (D4), weil sie bereits eine Antriebseinrichtung für eine
Heckklappe eines Fahrzeugs mit den Merkmalen 1 bis 8 des Patentanspruchs 1
beschreibt.

Insbesondere zeigt die Druckschrift D4 in den Figuren 1 und 2 eine Antriebsein-
richtung für eine Heckklappe eines Fahrzeugs mit einem mit einem feststehenden
Basisteil (Kraftfahrzeug) verbindbaren Gehäuserohr und einem mit einem beweg-
baren Bauteil (Heckklappe 1) verbindbaren Schutzrohr sowie einem Spindeltrieb,
bestehend aus einer Gewindespindel (Spindel-Spindelmutter-Getriebe 19) und ei-
ner auf der Gewindespindel angeordneten Spindelmutter, durch den Gehäuserohr
und Schutzrohr axial relativ zueinander bewegbar sind (Merkmale 1 bis 5).

Die bekannte Antriebseinrichtung nach der D4 hat weiterhin wenigstens einen ei-
nen Elektromotor umfassenden Drehantrieb (Antriebsmotor 3 mit Zwischenge-
triebe 20), der den Spindelantrieb antreibt (Merkmal 6).

Weiterhin weist diese bekannte Antriebseinrichtung auch eine Schaltung auf, die
nach Absatz [0009] i. V. m. Absatz [0014] Trägheits-, Gewichts- oder manuelle
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Betätigungskräfte bremsen soll und damit eine Sicherheitsschaltung im Sinne des
Merkmals 7 des Streitpatents ist.

In den Absätzen [0014], [0032] bis [0034] der D4 ist diese Sicherheitsschaltung
näher beschrieben. Insbesondere ist im Absatz [0033] wörtlich beschrieben, dass
während des manuellen Verstellbetriebs der Antriebsmotor deaktiviert sein kann,
was folglich zu einem deaktiviertem Drehantrieb im Sinne des Merkmals 8 des
Streitpatents führt. Auch dann soll – nach den Ausführungen in Absatz [0032] so-
wie [0034] der Antrieb selbst bremsend eingesetzt werden, so dass dieser bei von
außen in die Antriebseinrichtung eingebrachten Fremdkräften eine Bremswirkung
auf den Drehantrieb bewirkt. Schon aus diesem Grund kann das Vorbringen der
Beschwerdeführerin, wonach die D4 (ausschließlich) lehre, dass der Antriebsmo-
tor von der Antriebssteuerung ansteuerbar sei und deshalb der Antriebsmotor ak-
tiviert sein müsse, nicht überzeugen.

In den Absätzen [0038] bis [0041] ist ein (weiteres) Ausführungsbeispiel der Si-
cherheitsschaltung beschrieben, bei der der Antriebsmotor (3) zur Erzeugung der
Bremswirkung, ähnlich der streitpatentgemäßen Lösung, mittels einer Kurz-
schlussschaltung (18) beschaltet ist. Ein derart kurzgeschlossener Elektromotor
kann damit nicht (mehr) für ein motorisches Verstellen des Spindeltriebs ange-
steuert werden, so dass folglich auch in dieser Ausführungsform der Drehantrieb
im patentgemäßen Sinne nach Merkmal 8 deaktiviert ist und gleichzeitig bei von
außen in die Antriebseinrichtung eingebrachten Fremdkräften eine Bremswirkung
auf den Drehantrieb erzeugt wird.

Das Merkmal 9 ist aus der Druckschrift D4 nicht bekannt, weil die Sicherheits-
schaltung der bekannten Antriebseinrichtung nach den Ausführungen in Ab-
satz [0041] in dem dort beschriebenen Ausführungsbeispiel ein herkömmliches
Relais für die schaltungstechnische Realisierung der Kurzschlussbremsung ver-
wendet, das keinen Triac aufweist. Ein (herkömmliches) Relais ist ein elektrome-
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chanisch wirkender Schalter, der bekanntermaßen bewegte Teile enthält und
schon deshalb störanfällig ist.

Der Fachmann strebt stets nach Verbesserung seiner Produkte, insbesondere
nach Reduzierung der Störanfälligkeit bzw. Erhöhung der Lebensdauer. Sofern
der Fachmann ausgehend von der bekannten Antriebseinrichtung nach der D4 die
Störanfälligkeit der Sicherheitsschaltung verbessern will, so kennt er aus seinem
Fachwissen, beispielsweise belegt durch die D9, Halbleiterrelais, die anstelle von
herkömmlichen Relais, welche Elektromagnete und bewegte Bauteile aufweisen,
mit Triacs realisiert werden.

Der Fachmann erkennt ohne weiteres, dass dieses in Fachkreisen vielfach be-
kannte Halbleiterrelais mit Triacs auch bei der Sicherheitsschaltung der bekannten
Antriebseinrichtung nach der D4 eine einfache Lösungsmöglichkeit bildet, die
Störanfälligkeit zu reduzieren, weil diese Halbleiterrelais mit Triacs keine beweg-
ten Teile aufweisen. Der Fachmann setzt daher auch bei der Sicherheitsschaltung
der bekannten Antriebseinrichtung nach der D4 im Bedarfsfall ohne weiteres ent-
sprechend dem Vorbild der D9 ein Halbleiterrelais mit Triacs ein, um im Bedarfsfall
die Störanfälligkeit zu reduzieren.
Daher gelangt der Fachmann, ausgehend von der bekannten Antriebseinrichtung
nach der D4, unter Berücksichtigung seines Fachwissens oder der D9, ohne erfin-
derische Tätigkeit zum Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag. Der Pa-
tentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag und damit auch der weiter gefasste Patentan-
spruch 1 gemäß Hauptantrag haben daher keinen Bestand.

6. Mit den Patentansprüchen 1 nach Hauptantrag und Hilfsantrag fallen aufgrund
der Antragsbindung auch sämtliche abhängigen Patentansprüche der jeweiligen
Anträge, ohne dass es einer Prüfung und Begründung dahin bedarf, ob einer
dieser Patentansprüche etwas Schutzfähiges enthält (BGH, GRUR 1997,
120 - Elektrisches Speicherheizgerät).

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Das Patent ist somit zu widerrufen.


III.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss können die am Beschwerdeverfahren Beteiligten das
Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde einlegen. Da der Senat die
Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird,
dass

1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung
des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen
Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten
war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder
stillschweigend zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei
der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt
worden sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.

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Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des
Beschlusses beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch
eine beim Bundesgerichtshof zugelassene Rechtsanwältin oder einen beim
Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich
einzulegen.


Dr. Zehendner Rippel Uhlmann Brunn

Pr


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