8. Senat - Entschädigungsanspruch bei diskriminierender Kündigung
Karar Dilini Çevir:
8. Senat - Entschädigungsanspruch bei diskriminierender Kündigung
Bundesarbeitsgericht 8 . Senat Urteil vom 12. Dezember 2013 - 8 AZR 838/12 - I. Arbeitsgericht Zwickau Endu rteil vom 24. Januar 2012 - 3 Ca 1333/11 - II. Sächsisches Landesarbeitsgericht Urteil vom 27. Juli 2012 - 3 Sa 129/12 - F ür die Amtliche Sammlung: Ja Entscheidungsstichwort: Entschädigungsanspruch bei diskriminierender Kündigung Gesetz e : AGG § 15 Abs. 2, § 3 Abs. 2; MuSchG § 9 Abs. 1 Satz 1 Leits a tz: Bei diskriminierenden Kündigungen ist unbeschadet des § 2 Abs. 4 AGG ein Anspruch auf den Ersatz immaterieller Schäden nach § 15 Abs. 2 AGG grundsätzlich möglich. Die merkmalsbezogene Belastung in Zusammenhang mit dem Ausspruch einer Kündigung führt jede nfalls dann zu einem Entschädigungsanspruch, wenn sie über das Normalmaß hinausgeht. - 2 - BUNDESARBEITSGERICHT 8 AZR 838/12 3 Sa 129/12 Sächsisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes! Verkündet am 12. Dezember 2013 URTEIL Förster, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle In Sachen Beklagte, Berufungsbeklagte und Revisionsklägerin, p p . Klägerin, Berufungsklägerin und Revisionsbeklagte, hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Ve r- handlung vom 12. Dezember 2013 durch den Vorsitzenden Richter am Bu n- desarbeitsgericht Hauck, die Richter am Bundesarbeitsgericht Böck und Brei n- linger sowie die ehrenamtlichen Richter Eimer und Wr oblewski für Recht e r- kannt: - 2 - 8 AZR 838/12 - 3 - Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächs i- schen Landesarbeitsgerichts vom 27. Juli 2012 - 3 Sa 129/12 - wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen. Von Rechts wegen! Tatb estand Die Parteien streiten um eine Entschädigung wegen einer Benachteil i- gung aufgrund des Geschlechts. Die 1978 geborene, geschiedene und zwei Kindern unterhaltspflichtige Klägerin ist bei der Beklagten, die regelmäßig nicht mehr als zehn Arbeitnehmer iSd. § 23 Abs. 1 KSchG beschäftigt, seit dem 1. September 2010 bei einer A r- beitszeit von 30 Wochenstunden und einem monatlichen Bruttoentgelt von 750,00 Euro als Vertriebsmitarbeiterin angestellt. In der Jahresmitte 2011 wurde bei der Klägeri n eine Schwangerschaft mit voraussichtlichem Entbindungste r- min am 16. Januar 2012 festgestellt. Am 4. Juli 2011 bescheinigte ihr Gynäk o- loge ein sofortiges, generelles Beschäftigungsverbot iSd. § 3 Abs. 1 MuSchG. Davon unterrichtete die Klägerin den Geschäf tsführer der Beklagten, der verä r- gert reagierte und die Klägerin drängte, weiter zu arbeiten. Die Klägerin lehnte dies ab. Durch eine weitere Untersuchung wurde am 14. Ju l i 2011 festgestellt, dass die Leibesfrucht abgestorben war. Für den damit notwendigen Eingriff wurde die Klägerin für den 15. Juli 2011 ins Krankenhaus einbestellt. Darüber informierte die Klägerin noch am 14. Juli 2011 ihre Vorgesetzte, die Inne n- dienstleiterin S der Beklagten. Nach dem Eingriff stehe sie wieder zur Ve r f ü- g ung. Frau S informierte den Geschäftsführer der Beklagten. Dieser verfasste noch am 14. Juli 2011 eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 15. 1 2 3 4 - 3 - 8 AZR 838/12 - 4 - und ließ diese am Abend desselben Tages in den Briefkasten der Klägerin ei n- werfen. Am 15. Juli 2011 wurde d ie Klägerin stationär im Klin i kum G aufg e- h lender A b- gang der (toten) Leibesfrucht im vierten Schwangerschaftsm o n at. Die Frucht wurde durch Vakuumextraktion entfernt, danach wurde eine Au s sch a bung vo r- genommen. Am 16. J uli 2011 wurde die Klägerin aus der Kl i nik entla s sen ; bei ihrer Rückkehr fand sie in ihrem Hausbriefkasten die Künd i gung vom 14. Juli 2011 . Unter dem 9. August 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis , diesmal zum 15. September 2011. Die Beklagte hat dazu vortragen lassen, dass diese zweite Kündigung erfolgte, da sie nicht wusste, ob bei der Kläge rin die Schutzvorschriften zum Mutterschutz noch galten oder nicht. Zu betriebsbedingten Kündigungen and e- rer Arbeitnehmer kam es nicht. Im Zeitraum der ersten Kündigung wurde mit einem anderen Mitarbeiter auf dessen Wunsch ein Aufhebungsvertrag g e- schlossen . Die Klägerin hat mittlerweile nach Zustellung des Berufungsurteils das Arbeitsverhältnis unter dem 30. August 2012 außerordentlich zum 31. August 2012 gekündigt. Die Klägerin hat beide Kündigungen der Beklagten mit fristgerechten Feststellungsklagen ang egriffen. Die Beklagte habe keine billigenswerten Mot i- ve für ihre Kündigungen gehabt, vielmehr ergebe sich schon aus der zeitlichen Nähe zum Ende ihrer Schwangerschaft und aus der Verärgerung des G e- schäftsführers über ihr vorausgegangenes Beschäftigungsver bot eine Diskrim i- nierung wegen des Geschlechts. Die Kündigung sei zur Unzeit erfolgt, die zwe i- te Kündigung stelle darüber hinaus eine Maßregelung wegen Erhebung der Klage gegen die erste Kündigung, verbunden mit einem Antrag auf Entschäd i- gung , dar. Sie sei der Beklagten am 9. August 2011 zugestellt worden. Soweit für die Revision noch von Bedeutung hat die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie eine angemessene Entschädigung gemäß § 15 AGG für die mit Datum vom 14. Juli 2011 ausge sprochene Kündigung zu zahlen, d e- 5 6 7 8 - 4 - 8 AZR 838/12 - 5 - ren Höhe in das E rmessen des Gerichts gestellt wi rd, die jedoch den Betrag von 3.000,00 Euro nicht unterschreiten darf . Ihren Antrag auf Klageabweisung hat die Beklagte damit begründet, dass die Kündigung nur zufällig ei ne zeitliche Nähe zur Beendigung der Schwangerschaft aufweise. Die Kündigung beruhe auf unternehmeri scher En t- scheidung und sei von normalen geschäftlichen Überlegungen getragen. Das Arbeitsgericht hat die Kündigung vom 14. Juli 2011 für unwirksam befunden, die Klage gegen die Kündigung vom 9. August 2011 sowie den Kl a- geantrag auf Zahlung einer Entschädigung hat es abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte vor dem Landesarbeitsgericht auch in diesen beiden Antr ä- gen Erfolg. Mit der vom Landesarbeit sgericht für die Beklagte im Hinblick auf die ausgeurteilte Entschädigung zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte insoweit das Ziel einer Klageabweisung weiter . Entscheidungsgründe Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesa r- beitsgericht hat ohne Rechtsfehler der Klägerin eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG iHv. 3.000,00 Euro zugesprochen. A. Seine Entscheidung zum Anspruch der Klägerin auf Entschädigung hat das Landesarbeitsgericht im Wesentlichen wie folgt begründet: Di e Klägerin habe ausreichend Tatsachen vorgetragen, die aus objektiver Sicht mit überwi e- gender Wahrscheinlichkeit darauf schließen ließen, dass sie durch die Beklagte eine Benachteiligung wegen ihrer Schwangerschaft und damit unmittelbar w e- gen ihres Geschle chts erfahren habe. Die Beklagte habe nur der Klägerin g e- kündigt. Ihr Vorbringen, noch eine weitere Kündigung ausgesprochen zu haben, habe sie nicht substan z iiert. Vielmehr habe sie den Vortrag der Klägerin, es sei ein Aufhebungsvertrag auf Wunsch eines Ar beitnehmers abgeschlossen wo r- den, unbestritten gelassen. Die Umstände zu diesem Aufhebungsvertrag habe 9 10 11 12 - 5 - 8 AZR 838/12 - 6 - die Beklagte nicht dargelegt. Damit könne nicht von einer einheitlichen unte r- nehmerischen Entscheidung zum Personalabbau ausgegangen werden. Der Geschäf tsführer der Beklagten habe auf das Beschäftigungsverbot verärgert reagiert und die Klägerin gedrängt, weiter zu arbeiten. Schließlich sei der unmittelbare zeitliche Zusammenhang zwischen dem Wegfall des Mutte r- schutzes und dem Kündigungsausspruch am 14. Ju li 2011 zu berücksichtigen. Damit lägen hinreichende Indizien für die Annahme vor, dass die Kündigung vom 14. Juli 2011 eine Reaktion der Beklagten auf das Beschäftigungsverbot gewesen sei und dessen Einhaltung durch die Klägerin. Es sei zu vermuten, dass die Beklagte gegenüber einer nicht schwangeren und von keinem B e- schäftigungsverbot nach § 3 MuSchG betroffenen Arbeitnehmerin eine Künd i- gung nicht ausgesprochen hätte. Die Beklagte habe der ihr nach § 22 AGG o b- liegenden Darlegungslast, die Schwangerschaft der Klägerin sei in ihrem Moti v- bündel nicht enthalten gewesen, nicht entsprochen. Vielmehr habe sie nur pa u- unternehmerische Entscheidung, wegen rückläufigen Arbeitsanfalls das A r- bei tsverhältnis zur Klägerin zu kündigen. Dies stehe aber in Widerspruch zu den sonstigen Umständen und sei von der Beklagten nicht weiter substan z iiert worden. Damit sei die Klägerin wegen des Beschäftigungsverbots, mithin w e- gen ihrer Schwangerschaft und fol glich wegen ihres Geschlechts benachteiligt worden. Diese Benachteiligung wiege schwer, zumal sie bewusst und gewollt geschehen sei, worauf auch der Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs hinde u- te. Unter dem Gesichtspunkt einer fühlbaren Sanktion, aber auch zu r Abschr e- ckung hinsichtlich künftigen Fehlverhaltens sei unter Berücksichtigung der g e- ringen Betriebsgröße der Beklagten ein Betrag von 3.000,00 Euro angemessen, aber auch ausreichend. § 2 Abs. 4 AGG stehe dem nicht entgegen. Das Bu n- desarbeitsgericht habe bereits Entschädigungen für erlittene immaterielle Schäden bei der Geltendmachung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Z u- sammenhang mit dem Ausspruch einer unwirksamen Kündigung ausdrücklich für möglich gehalten. 13 - 6 - 8 AZR 838/12 - 7 - B. Diese Begründung des Berufungsurte ils hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand. Die Klägerin wurde wegen ihrer Schwange r- schaft und daher wegen ihres Geschlechts ungünstiger behandelt, § 7 Abs. 1 iVm. §§ 1, 3 Abs. 1 Satz 2 AGG. Der Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG wird nicht durch § 2 Abs. 4 AGG ausges chlossen. I. Der Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Als Arbeitnehmerin ist 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGG. Die Bekla g- te, die die Klägerin beschäftigt hat, ist Arbeitgeberi n, § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG. II. Den Entschädigungsanspruch hat die Klägerin rechtzeitig nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG geltend gemacht. Bereits die am 5. August 2011 beim A r- beitsgericht Z eingegangene Klage gegen die Kündigung vom 14. Juli 2011 enthielt unter Ziff. 2 den Antrag auf Entschädigung. Damit hat die Klägerin s o- wohl die Zweimonatsfrist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG als auch die Klagefrist des § 61b Abs. 1 ArbGG gewahrt. III. Einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG kann die Klägerin g rundsätzlich auch in Ansehung der Bestimmung des § 2 Abs. 4 AGG geltend machen. 1. Der Wortlaut von § 2 Abs. ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Künd i- gungsschutz gelten. Der Wortlaut dieser verabschiedeten Gesetzesfassung geht auf einen Bericht des Rechtsausschusses des Bundestags zurück (BT - Drucks. 16/2022 S. 6) . Der Regierungsentwurf hatte noch vorgesehen, dass für ge lten hätten (BT - Drucks. 16/ 1780 S. 7) . Für die Beurteilung von Kündigungen hat die s in der Rechtslehre den Streit ausgelöst, ob § 2 Abs. 4 AGG auch pr i- s- klammere (zB Däubler/Bertzbach /Däubler AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 2 60, 262 unter Verweis auf EuGH 22. November 2005 - C - 144/04 - [Mangold] Slg. 2005, I - 9981 ) werden sollte ( zB Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 59) . Für Künd i- 14 15 16 17 18 - 7 - 8 AZR 838/12 - 8 - gungen hat die Rechtsprechung diesen Streit dahin gehend aufgelöst, dass die Diskriminierungsverbote des AGG einschließlich der im Gesetz vorgesehenen Rechtfertigungen für unterschiedliche Behandlungen bei der Auslegung der u n- bestimmten Rechtsbe griffe des Kündigungsschutzgesetzes in der Weise zu b eachten sind, als sie Konkretisierungen des Sozialwidrigkeitsbegriffs darste l- len. Verstößt eine ordentliche Kündigung gegen Benachteiligungsverbote des AGG, so kann dies zur Sozialwidrigkeit der Kündigun g nach § 1 KSchG führen ( vgl. BAG 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - BAGE 128, 238 ; 22. Okto ber 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 15 ; 5. November 2009 - 2 AZR 676/08 - ) . 2. Ungeachtet der Unwirksamkeit einer diskriminierenden Kündigung sperrt § 2 Abs. 4 AGG weitergehende Ansprüche auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG nicht. Ansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG auf Entschädigung wegen Schäden, die nicht Vermögensschäden sind , auch im Fall einer sozial nicht g e- rechtfertigten, diskriminierenden Kündigung grundsätzli ch zuzulassen , ist nicht systemwidrig. Auch bisher waren etwa auf § 823 Abs. 1 BGB gestützte En t- schädigungen für erlittene immaterielle Schäden bei der Geltendmachung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer unwirksamen Kündigung nicht ausgeschlossen ( vgl. BAG 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 42 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 8; 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 15 f.; 28. April 2011 - 8 AZR 515/10 - Rn. 20) . Dies wird auch von der überwiegenden Meinung in der Rechtslehre so gesehen (zB KR/Treber 10 . Aufl. § 2 AGG Rn. 27; Stein in Wendeling - Schröder/Stein AGG § 2 Rn. 50; Meinel/Heyn/Herms AGG § 2 Rn. 66 und § 15 Rn. 55; Schleus e- ner/Suckow/Voigt / Schleusener 3. A ufl. § 2 Rn. 30 ; ebenso - im Hinblick auf das unions rechtliche Sanktionsgebot in der Form eines Schadensausgleichs - J a- cobs RdA 2009, 193, 196 und Stoffels RdA 2009, 204; aA zB Ba u- er/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 59; Sagan NZA 2006, 1257) . Dabei ist zu berücksichtigen, dass erklärte Kündigungen oft Bez ü g e zu den Anknü p- fungsmerkmalen des AGG aufweisen . Im Normalfall wird eine ungerechtfertigte Belastung durch die Überprüfung der Kündigung anhand der Bestimmungen des allgemeinen und des besonderen Künd igungsschutzes ausgeräumt. E ine 19 - 8 - 8 AZR 838/12 - 9 - merkmalsbezogene Belastung im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer Kündigung führt jedenfalls dann zu einem Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG, wenn die Belastung - wie bei einer schwerwiegenden Persönlic h- keitsrecht sverletzung - über das Normalmaß hinausgeh t . 3. Es ist nicht zu entscheiden , ob bei diskriminierenden Kündigungssac h- verhalten weitere Ansprüche auf Ersatz des materiellen Schadens nach § 15 Abs. 1 AGG in Betracht kommen können. Grundsätzlich wird bei eine r für u n- wirksam befundenen Kündigung der materielle Schaden, was die Kündigung selbst angeht, im Wege der Naturalrestitution ausgeglichen, für weitere mater i- elle Folgen von Kündigungen stehen die Anspruchsgrundlagen des bürgerl i- chen Rechts unabhängig von § 15 Abs. 1 AGG seit jeher zur Verfügung , zB § 615 BGB. IV. Durch die Kündigungen hat die Klägerin eine weniger günstige Behan d- lung erfahren als die übrigen vergleichbaren Arbeitnehmer der Beklagten, d e- nen nicht gekündigt wurde. Die Klägerin hat eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG wegen ihres Geschlechts als eine m der in § 1 AGG genannten, verbotenen Merkmale erfahren, weil sie als Frau wegen ihrer Schwangerschaft ungünstiger behandelt worden ist, § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG. 1. Der Kausalzusammenhang zwischen benachteiligender Behandlung wenn die Benachteiligung an die Schwangerschaft anknüpft oder durch diese motiviert ist. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund - die Schwangerschaft - das ausschließliche Motiv für das Handeln ist. Ausreichend ist vielmehr, dass das Merkmal Bestandteil eines Motivbündels ist, welches die Entscheidung beeinflusst hat (st. Rspr., BAG 21. Juni 2012 - 8 AZR 364/1 1 - Rn. 32, BAGE 142, 158 = EzA AGG § 22 Nr. 6; 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 42, AP AGG § 22 Nr. 4 = EzA AGG § 15 Nr. 17) . Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an (BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - aaO) . Die Schwangerschaft muss mithin nicht - gewissermaßen als vorherrschender Beweggrund, Haup t- 20 21 22 - 9 - 8 AZR 838/12 - 10 - - handlungsleitend oder bewusstsein s- dominant gewesen sein; eine bloße Mitursächlichkeit genügt. Besteht eine derartige Vermutung für die Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Da r legungs - und Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. 2. Die Würdigun g der Tatsachengerichte, ob die von der Klägerin vor - getragenen und unstreitigen oder bewiesenen (Hilfs - )Tatsachen eine Benac h- te i ligung wegen der Schwangerschaft vermuten lassen, ist nur beschränkt rev i- sibel. Die nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewonnene Über zeugung bzw. Nich t- überzeugung von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen dem Anknüpfungsm erkmal - hier die Schw angerschaft oder das G e- schlecht - und einem Nachteil kann revisionsrechtlich nur darauf überprüft we r- den, ob sie mögl ich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Rechtssä t- ze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BAG 21. Juni 2012 - 8 AZR 364/11 - Rn. 34, BAGE 142, 158 = AP AGG § 22 Nr. 5 = EzA AGG § 22 Nr. 6; 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 36, AP AGG § 15 Nr. 9 = EzA AGG § 15 Nr. 16) . 3. Das Landesarbeitsgericht hat die Kausalität zwischen der Schwange r- schaft der Klägerin und dem Kündigungsverhalten der Beklagten im Ergebnis rechtsfehlerfrei bejaht. a) Die Kündigung vom 14. Juli 2011 ist der Klägeri n während ihrer noch bestehenden Schwangerschaft zugegangen. Damit verstieß sie objektiv gegen das Verbot des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG, wonach die Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft unzulässig ist, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft bekannt war. aa) Die Klägerin hatte am 14. Juli 2011 erfahren, dass ihre Leibesfrucht abgestorben ist. Eine natürliche Fehlgeburt war bis dahin nicht erfolgt, wesw e- gen sie auf den 15. Juli 2011 ins Krankenhaus einbestell t worden war, um eine solche Fehlgeburt künstlich einzuleiten oder durch einen entsprechenden Ei n- 23 24 25 26 27 - 10 - 8 AZR 838/12 - 11 - griff zu ersetzen. Hierüber unterrichtete die Klägerin die Beklagte über ihre Vo r- gesetzte Frau S noch am 14. Juli 2011. Daraufhin setzte der Geschäft s fü h rer der Beklagten sofort ein Kündigungsschreiben auf und ließ dieses noch am 14. Juli 2011 in den Hausbriefkasten der Klägerin einwerfen. Dadurch ging die Kündigung der Klägerin spätestens am Morgen des 15. Juli 2011 zu, als die Schwangerschaft noch bestan d. bb) § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG - Kündigungsverbot - wie § 6 Abs. 1 Satz 1 MuSchG - Beschäftigungsverbot - stellen auf den Begriff der Schwangerschaft e- bendgeburt vollkommen unproblematisch ist ( vgl. BAG 16. Februar 1973 - 2 AZR 138/72 - BAGE 25, 70 ; ErfK/Schlachter 13. Aufl. § 6 MuSchG Rn. 2) . Im Falle einer Totgeburt wurde bis 1994 von einer Entbindung gespr o- chen, wenn die Frucht eine Körperlänge von 35 cm hatte ( vgl. BAG 16. Februar 1973 - 2 AZR 138/72 - zu II 1 der Gründe, aaO) . Nach einer Änderung der Pe r- sonenstandsverordnung (§ 29 Abs. 2 PStV aF , gültig ab 1. April 1994; seit 1. Januar 2009 § 31 Abs. 2 PStV ) entsprechend den Empfehlungen der Wel t- gesundheitsorganisation WHO von 19 77 gelten nunmehr Kinder als tot geboren oder in der Geburt verstorben, wenn das Gewicht der Leibesfrucht mindestens 50 0 g betragen hat ( vgl. BAG 15. Dezember 2005 - 2 AZR 462/04 - zu B I 1 d der Gründe ) . Auch eine solche Totgeburt ist als Entbindung anzusehen. Dies gilt auch im Fall eines Schwangerschaftsabbruchs, wenn sich das Kind schon bis zu einem Stadium entwickelt h atte, in dem es zu einem selbständigen L e- ben - wenn auch nur kurz - grundsätzlich fähig war ( vgl. BAG 15. Dezember 2005 - 2 AZR 462/04 - zu B I 1 der Gründe ) . Eine tot geborene Leibesfrucht von geringerem Körper gewicht als 500 g gilt dagegen als Fehlgeburt , § 31 Abs. 3 PStV, die keine Entbindung im Sinne des Mutterschutzgesetzes bedeutet. Bei einer Fehlgeburt besteht der Schutz vor Kündigungen nur, aber eben auch bis zum Zeitpunkt der Trennung der Leibesfrucht vom Mutterleib. cc ) Dem entspricht d ie medizin ische Terminologie und Einteilung . Ärzte sprechen bei einem Gewicht des Fötus von 500 g und mehr von einer Totg e- 28 29 - 11 - 8 AZR 838/12 - 12 - burt. Dieses Gewicht ist ab der 22. Schwangerschaftswoche zu erwarten (Ru n- nebaum/Rabe Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin Bd . 2, S. 414) . G enerell wird zwischen Fehlgeburten aus natürlicher Ursache (Spontanaborten) und Schwangerschaftsabbrüchen (artifizielle Aborte) unte r- also einem verhaltene n Abort, ist die Fruchtanlage abgestorben, wird aber nicht aus der Gebärmutter ausgestoßen. Es gibt außer fehlenden Vitalitätszeichen keine äußeren Anhaltspunkte wie eine Blutung oder Gewebsabgang. Der Zervikalkanal ist geschlossen. Eine sicher diagnostizie rte missed abortion muss mit einem artifiziellen Abort therapiert werden, um möglicherweise letale Komplikationen wie das Dead - Fetus - r- en wird und die Trennung der Leibesfrucht vom Mutterleib erst durch den artifiziell herbeigeführten Abort erfolgt. Erst in diesem Zeitpunkt ist auch aus medizinischer Sicht die Schwa n- gerschaft beendet. dd) Juristisch wie medizinisch hat daher die Schwange rschaft der Klägerin nicht mit dem Absterben des Kindes in der Gebärmutter geendet. Entscheidend war vielmehr die Trennung der toten Leibesfrucht vom Mutterleib, die erst im Verlauf des 15. Juli 2011 erfolgte. Zu diesem Zeitpunkt war die Kündigung der Kläg erin schon zugegangen ( vgl. BAG 22. März 2012 - 2 AZR 224/11 - Rn. 21 und 22, EzA KSchG § 5 Nr. 41) . Wann die Klägerin als Empfängerin die Künd i- gung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat , ist unerheblich. Es kommt nicht darauf an, dass dies - aus individue ll verständlichen Gründen - erst am 16. Juli 2011 nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus geschah. Da die Kündigung mit Zugang wirksam wurde und die Klägerin in diesem Zeitpunkt noch schwanger war , verstieß die Kündigung der Beklagten vom 14. Juli 2011 gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG. b) Die Missachtung der besonderen Schutzvorschriften des Mutterschut z- gesetzes zu Gunsten der werdenden Mutter bei Erklärung der ersten Künd i- gung indiziert eine Benachteiligung der Klägerin wegen ihrer Schwangerschaft und damit wegen ihres Geschlechts, § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG iVm. § 1 AGG. Die 30 31 - 12 - 8 AZR 838/12 - 13 - Beklagte kann diesen Kausalzusammenhang nicht dadurch mit Erfolg bestre i- ten, dass sie auf eine am 14./15 . Juli 2011 bestehende komplizierte künd i- gungs - und mutterschutzrechtliche Konstellation verweist. Im Gegenteil: Ihr e- rin die Schutzvorschriften zum Mutterschutz noch gelten oder n s- wegen das Arbeitsverhältnis am 9. August 2011 nochmals gekündigt, wirkt ve r- stärkend: Ein Arbeitgeber, der die Möglichkeit eines geschlechtsspezifischen Kündigungsverbotes erkennt und gleichwohl eine Kündigung ausspricht oder die Kündigung aus des Geschlechts der Arbeitnehmerin benachteiligen. Im Übrigen deutet diese Argumentation der Beklagten darauf hin, dass weder ein neuer, vom G e- schlecht der Klägerin unabhängiger Kündigungsentschlu ss bei der Kündigung vom 9. s- c) Die weitere Würdigung des Landesarbeitsgerichts, auch die Tatsache, dass sich der Geschäftsführer der Beklagte n über das Beschäftigungsverbot vom 4. Juli 2011 verärgert gezeigt und die Klägerin - erfolglos - zur Weiterarbeit gedrängt habe, deute darauf hin, dass die nur zehn Tage später ausgesproch e- ne Kündigung eine Benachteiligung wegen der Schwangerschaft gewese n sei, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Diese Würdigung ist möglich, in sich widerspruchsfrei und verstößt nicht gegen Erfahrungssätze, zumal die Klägerin bei ihrer Nachricht an Frau S am 14. Juli 2011 ausdrücklich darauf hi n g e wi e sen hat, nach dem Eingriff stehe sie wieder zur Verfügung und d a mit - juristisch ko r- rekt - das Ende des mutterschutzrechtlichen Beschäftigung s verbotes mit dem Abschluss der artifiziellen Fehlgeburt mitgeteilt hatte. d) Darüber hinaus ist die Kündigung vom 14. Jul erklärt worden. Die Art der Treuwidrigkeit ist wiederum geschlechtsspezifisch diskrim i- nierend. Es verstößt grob gegen die Pflicht der Beklagten zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Klägerin, ihr noch vor dem W eg ins Krankenhaus, wo sie - für die Beklagte bekannt - einen artifiziellen Abort vo r- nehmen lassen musste, die Kündigungserklärung zukommen zu lassen. Dies 32 33 - 13 - 8 AZR 838/12 kann nur als absichtliche Missachtung der persönlichen Belange der Klägerin angesehen werden, die sich in einer lebensbedrohlichen Situation sah und da r- über hinaus den Tod ihres Kindes zu verarbeiten hatte. Die Beklagte hat b e- wusst einen Zugangszeitpunkt gewählt, der die Klägerin besonders beeinträc h- tigen musste ( vgl. BAG 14. November 1984 - 7 AZR 174/83 - zu II 4 der Grü n- de, AP BGB § 626 Nr. 88; 12. Juli 1990 - 2 AZR 39/90 - zu B IV 2 a der Gründe ; 5. April 2001 - 2 AZR 185/00 - zu II 2 b der Gründe, BAGE 97, 294 ) . V. Rechtsfehler des Berufungsgerichts bei der Bestimmung der Höhe der ausgeurteilten Entschä digung sind nicht erkennbar. Entgegen der mit der Rev i- sion vertretenen Meinung liegt auch k ein Anwendungsfall des § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG vor. C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Hauck Hauck ( Richter am BAG Böck ist zum 31. Dezember 2013 in den Ruhestand versetzt worden. ) Breinlinger Eimer Wroblewski 34 35

Full & Egal Universal Law Academy