7 Ni 77/77  - 7. Senat (Jur.Beschw./Nichtigkeit)
Karar Dilini Çevir:

BUNDESPATENTGERICHT
L e i t sa tz
Aktenzeichen: 7 Ni 77/77 (EP)
Entscheidungsdatum: 27.06.2017
Rechtsbeschwerde zugelassen: nein
Normen: § 84 Abs. 2 Satz 1 PatG, § 93 ZPO
§ 148 ZPO
Interdentalreiniger
1. Hat die im Patentnichtigkeitsverfahren vor dem Bundespatentgericht beklagte Patentin-
haberin vor Erhebung der Nichtigkeitsklage bereits eine auf das Streitpatent gestützte
Verletzungsklage erhoben, so besteht in der Regel eine Veranlassung zur Klageerhebung
auch dann, wenn die Patentinhaberin nicht zuvor zum Verzicht auf das Streitpatent aufge-
fordert worden ist (Aufgabe von BPatG GRUR-RR 2009, 325 – Kostenauferlegung bei Ver-
zicht aus Streitpatent).
2. Im Rahmen der nach gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 PatG auch unter Billigkeitserwägungen
zu treffenden Kostenentscheidung findet deshalb § 93 ZPO jedenfalls insoweit keine Anwen-
dung als die Nichtigkeitsklage auf die Validität des im Verletzungsverfahren maßgeblichen
Patentgegenstandes abzielt und noch Ausdruck der sich aus § 148 ZPO ergebenden Ver-
knüpfung von Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren ist.
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
4 Ni 31/15 (EP)
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
27. Juni 2017

In der Patentnichtigkeitssache

- 2 -
betreffend das europäische Patent 0 932 371
(DE 597 05 703)

hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 27. Juni 2017 durch den Vorsitzenden Richter
Engels, die Richterin Kopacek, den Richter Dipl.-Ing. Veit, die Richterin Dipl.-Phys.
Univ. Zimmerer sowie den Richter Dipl.-Chem. Univ. Dr. Freudenreich

für Recht erkannt:

I. Das europäische Patent 0 932 371 wird für das Hoheitsgebiet
der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt, soweit es
über folgende Fassung hinausgeht:
- 3 -



- 4 -
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin zu 2/3 und die Beklagte zu
1/3.

IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils
zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.


T a t b e s t a n d

Die Beklagte ist Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik
Deutschland erteilten europäischen Patents 0 932 371, deutsches Aktenzeichen
DE 597 05 703 (Streitpatent), das am 18. September 1997 unter Beanspruchung
der Priorität DE 19642431 vom 15. Oktober 1996 angemeldet worden ist. Das
Streitpatent mit der Bezeichnung „Interdentalreiniger und Verfahren zu seiner
Herstellung“ umfasst 23 Ansprüche, die sämtlich angegriffen worden sind.

Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Deutsch

1. Interdentalreiniger (10) mit einem länglichen, stabförmigen Träger (11) aus
einem ersten Kunststoff-Material, der mindestens in Teilbereichen seiner
Oberfläche von zumindest einer Ein- oder Auflage (14; 18) zur Reinigung
der Interdentalräume aus einem zweiten Kunststoff-Material überdeckt ist,
dadurch gekennzeichnet daß das zweite Kunststoff-Material der Ein- oder
Auflage (14; 18), das weicher als das erste Kunststoff-Material ist, aus
einem thermoplastischen Elastomer besteht und auf das erste Kunststoff-
Material des Trägers (11) aufgespritzt ist.

Wegen des Wortlauts der Ansprüche 2 bis 23 wird auf die Streitpatentschrift in der
B1-Fassung verwiesen.

- 5 -
Die Klägerin macht mit ihrer Nichtigkeitsklage den Nichtigkeitsgrund der fehlenden
Patentfähigkeit, insbesondere der fehlenden erfinderischen Tätigkeit, sämtlicher
angegriffener Patentansprüche geltend (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m.
Art. 138 Abs. 1 lit. a, Art. 52, Art. 54 EPÜ). Bezüglich des Hilfsantrags 3b macht
die Klägerin eine unzulässige Erweiterung geltend (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3
IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ).

Sie legt folgende Dokumente vor:

NK1 Streitpatentschrift
NK2 DPMA-Registerauszug
NK3 Verletzungsklage
NK4 EP 0 277 156 B1
NK5 WO 87/06452 A1
NK6 EP 0 202 296 B1
NK7 EP 0 161 057 A1
NK8 Merkmalsanalyse Anspruch 1
NK9 IUPAC Gold Book Auszug (http://goldbook.iupac.org/TT07268.html )
NK10 WO Veröffentlichung des Streitpatents (WO 98/16169 A1)
NK11 WO 92/04935 A1
NK12 US 5 283 924
NK12a JP 6-500933 A
NK13 US 3 775 848
NK14 US 5 040 260
NK15 JP 5-93416 U
NK15a englische Übersetzung der NK15
NK16 US 1 746 591
NK17 JP 54-170098 U
NK17a englische Übersetzung der NK17
NK18 DE 689 16 949 T2
NK19 US 5 527 181
NK20 EP 0 707 836 A2
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NK21 Wikipedia Auszug „Polyethylen“
NK22 englische Übersetzung der chinesischen Entscheidung No.
22728 vom 21. April 2014 betreffend das Patent CN1103205
NK23 Merkmalsanalyse Anspruch 21
NK24 EP 0 354 352 A1
NK25 US 3 590 814
NK26 französisches Design 930114
NK27 WO 94/05183 A1
NK28 WO 96/10934 A1
NK29 Abbildungen Interdentalreiniger, hergestellt von „Asept Inter-
national AB“
NK30 JP-6428617 U
NK30a englische Übersetzung der NK30.

Zu den nunmehr nach den Hilfsanträgen 1, 2, 3a und 3b verteidigten Anspruchs-
fassungen macht die Klägerin geltend, dass der jeweilige Gegenstand des
Anspruchs 1 gegenüber NK12, NK20, NK24 und NK25 sowie dem allgemeinen
Fachwissen nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Das Merkmal 1.7, wonach
der Griffabschnitt mit einer als Griffhilfe und Informationsträger dienenden
Strukturierung versehen sei, die aus einem zweiten Kunststoffmaterial bestehe,
sei im Hinblick auf die Informationswiedergabe nicht technisch. Ausgehend von
NK12 habe es für den Fachmann nahegelegen, ein einheitliches Material vorne
und hinten am Interdentalreiniger aufzubringen, insbesondere um die Aufgabe
einer kosteneffizienten Herstellung zu lösen. Es sei dem Fachmann schon
aufgrund seines allgemeinen Fachwissens bekannt gewesen, dass insbesondere
auch auf Zahnbürsten im vorderen und hinteren Bereich dasselbe Material
verwendet werde wie z. B. in NK 27, Seite 6, Zeilen 29 bis 31 gezeigt. Bei
Interdentalreinigern stelle sich die Problematik in gleicher Weise. Die Lehre der
Verwendung eines identischen Materials der funktionsgebenden Elemente und zur
Strukturierung des Griffbereichs sei auch durch NK 25 belegt. Zum Verständnis
des Begriffs der „Ausnehmung“ (Merkmal 1.9) im Hilfsantrag 3a hat die Klägerin in
der mündlichen Verhandlung weitere Figurenzeichnungen eingereicht (vgl. An-
- 7 -
lagen 1 und 2 zum Protokoll der mündlichen Verhandlung am 27.06.2017). Zum
Merkmal 1.10, wonach die Oberfläche der Einlage glatt in die benachbarten
Oberflächenbereiche des Trägers übergehe, vertritt die Klägerin die Auffassung,
der Fachmann werde für einen Dentalreiniger bestrebt sein, ein Verhaken im
Mund aufgrund der Verletzungsgefahr zu vermeiden. Auch das schräge Einführen
in die Backenzähne ohne Beschädigung des Zahnfleisches durch Ecken und
Kanten solle durch einen glatten Übergang vermieden werden. Mit diesem Ansatz
komme er ausgehend von der NK12 naheliegend zur erfindungsgemäßen Lehre,
da er hierzu nur den Schaumbereich verlängern müsse, zu der es lediglich einer
Anpassung der Spritzgussform bedürfe. Bezüglich Hilfsantrag 3b vertritt die
Klägerin die Auffassung, dieser sei unzulässig, da das beanspruchte Set eine
andere Lehre darstelle, jedenfalls aber auch nicht erfinderisch.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das europäische Patent 0 932 371 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der
Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig zu erklären.

Die Beklagte, die das Streitpatent ausschließlich eingeschränkt verteidigt,
beantragt sinngemäß,

die Klage abzuweisen, soweit das Streitpatent in der Fassung des Hilfs-
antrages 1, eingereicht mit Schriftsatz vom 15.12.2015 (Bl. 139 ff. d. A.)
verteidigt wird; hilfsweise die Klage abzuweisen, soweit das Streitpatent in
der Fassung des Hilfsantrags 2, eingereicht mit Schriftsatz vom
15.12.2015 (Bl. 139 ff. d. A.) verteidigt wird; weiter hilfsweise die Klage
abzuweisen, soweit das Streitpatent mit Hilfsantrag 3a, eingereicht mit
Schriftsatz vom 31.05.2016 (Bl. 195 ff. d. A.), verteidigt wird; weiter
hilfsweise die Klage abzuweisen, soweit das Streitpatent in der Fassung
des Hilfsantrags 3b, eingereicht mit Schriftsatz vom 03.02.2017 (Bl. 316 ff.
d. A.) verteidigt wird.

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Die Beklagte hat gegen die Nichtigkeitsklage mit Schriftsatz vom 2.10.2015
Teilwiderspruch eingelegt und verbindlich und unwiderruflich erklärt, das Klage-
patent nicht mehr im erteilten, sondern nur im eingeschränkten Umfang, mit den
geänderten Ansprüchen 1 bis 14 in der Fassung vom 2.10.2015 zu verteidigen.
Insoweit sei die Klage abzuweisen. Mit Schriftsatz und Widerspruchsbegründung
vom 15.12.2015 hat die Beklagte weitere beschränkte Fassungen des Streit-
patents nach den Hilfsanträgen 1 bis 4 vorgelegt und geltend gemacht, dass sie
mit Blick auf das Verletzungsverfahren hinsichtlich der auch angegriffenen
Verfahrensansprüche 21 bis 23 erteilter Fassung keine Veranlassung zur Klage-
erhebung gegeben habe und bereits deshalb die Klägerin eine hälftige
Kostentragungspflicht treffe. Mit Schriftsatz vom 31.5.2016 hat die Beklagte ihren
Hauptantrag sowie die Hilfsanträge 3 und 4 nicht weiterverfolgt und das
Streitpatent nur noch mit dem bisherigen Hilfsantrag 1 (nunmehr als Hauptantrag),
dem Hilfsantrag 2 und den neuen Hilfsanträgen 3a und 4a verteidigt. Mit Schrift-
satz vom 3.2.2017 hat die Beklagte schließlich als Reaktion auf den qualifizierten
Hinweis des Senats das Streitpatent auf Grundlage der Hilfsanträge 1, 2 und 3a
weiterverfolgt und den Hilfsantrag 4 durch den Hilfsantrag 3b ersetzt und diese
Antragslage auch in der mündlichen Verhandlung vom 27.6.2017 beibehalten.
Zum jeweiligen Wortlaut der insoweit verteidigten Fassungen wird auf den
Akteninhalt verwiesen.

Die Beklagte macht geltend, dass insoweit die Nichtigkeitsklage nicht begründet
sei. Im Rahmen der Frage nach der erfinderischen Tätigkeit sei darauf
hinzuweisen, dass das Merkmal 1.7, wonach der Griffabschnitt mit einer als
Griffhilfe und Informationsträger dienenden Strukturierung versehen ist, die aus
einem zweiten Kunststoff-Material bestehe, einen zentralen Kerngedanken der
Erfindung zum Ausdruck bringe. Dieser liege darin, bei den hier verwendeten
Zwei-Komponenten-Spritzgussverfahren für den Griffabschnitt sowie für die
anderen Bereiche dasselbe Material zu verwenden, was zugleich nur einen
Arbeitsschritt bedeute. Gerade bei der NK12 hätten die Materialeigenschaften
eines offenporigen Schaummaterials mit bestimmten Härtegraden keinen Anlass
gegeben, dieses als geeignet für den Überzug des Griffes anzusehen. Auch die
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NK25 helfe hier nicht weiter, da sie ein völlig anderes Herstellungsverfahren
betreffe. Dass der Fachmann thermoplastische Elastomere als Schaum habe
verarbeiten können, werde nicht bestritten. Er sehe aber die Verwendung eines
offenporigen Schaums im Griffbereich als nachteilig an, z. B. aufgrund von
Verschmutzung, Härtegrad und geringerer Reibeigenschaft. Bezüglich der von der
Klägerseite erörterten Figurenzeichnung der NK12 sieht die Beklagte das Merkmal
1.10 des Hilfsantrags 3a, wonach die Oberfläche der Einlage glatt in die
benachbarten Oberflächenbereiche des Trägers übergeht, als nicht erfüllt an;
zudem lehre NK12 einen Stopper („boss / stop projection 6“) und es sei für den
Fachmann weder aus der Offenbarung der NK12 ersichtlich noch naheliegend
gewesen, den dahinter liegenden Teil mit einer Einlage auszufüllen. Zum Merkmal
1.11 des Hilfsantrags 3a, wonach die Einlage der Kontur des Trägers folgt,
verweist die Beklagte auf Abs. [0012] und [0013] des Streitpatents, die voraus-
setzten, dass die Kontur der Einlage der Kontur der Ausnehmung folge, mithin
eine Veränderung der Kontur der Ausnehmung zugleich zu einer Veränderung der
Kontur der Einlage führe. Auch das Merkmal 1.12 des Hilfsantrags 3a, wonach der
Träger sich zu seinem vorderen Ende hin verjüngt, finde sich nicht in der Lehre
der NK12, bei der das Problem durch die Flexibilität des Überzugs und nicht durch
die Verjüngung des Trägers gelöst werde. Den Hilfsantrag 3b erachtet die
Beklagte als zulässig. Zudem finde die dort beanspruchte Lehre keinen Nieder-
schlag in der NK12 und werde auch nicht durch diese angeregt.

Der Senat hat den Parteien einen qualifizierten Hinweis vom 29.11.2016 (vgl.
Bl. 238 ff. d. A.) nach § 83 Abs. 1 PatG zugeleitet, auf dessen Inhalt Bezug
genommen wird.

Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt
Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27.06.2017
Bezug genommen.

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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die Klage, mit der die Nichtigkeitsgründe der fehlenden Patentfähigkeit (Art. II § 6
Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a) EPÜ i. V. m. Art. 54 und 56
EPÜ und der unzulässigen Erweiterung des Inhalts der Anmeldung (Art. II § 6
Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c) EPÜ) geltend gemacht werden,
ist zulässig. Die Klage ist insofern begründet, als das Streitpatent für nichtig zu
erklären ist, soweit es über die von der Beklagten mit Hilfsantrag 3a beschränkt
verteidigte Fassung hinausgeht, denn die Lehre des Streitpatents ist in der
Fassung des als Hauptantrag zu prüfenden Hilfsantrags 1 und in der Fassung des
Hilfsantrags 2 nicht patentfähig. Die weitergehende Klage ist hingegen unbe-
gründet und abzuweisen, denn in der Fassung nach Hilfsantrag 3a hat das Patent
Bestand.

Das Streitpatent ist ohne Sachprüfung insoweit für nichtig zu erklären, als es über
die von der Beklagten in zulässiger Weise nur noch beschränkt verteidigte
Fassung hinausgeht (BGH GRUR 2007, 215 - Carvedilol; GRUR 1996,
857 - Rauchgasklappe; Schulte/Voit, Patentgesetz, 10. Aufl., § 81 Rn. 127).


I.

1. Das Streitpatent betrifft einen Interdentalreiniger bzw. einen Zahnstocher
sowie ein Verfahren zur Herstellung eines entsprechenden Interdentalreinigers
bzw. Zahnstochers (Streitpatentschrift, Abs. [0001]).

In der Beschreibungseinleitung des Streitpatents ist ausgeführt, dass die
Reinigung der Interdentalräume für die Gesunderhaltung des Gebisses und
insbesondere des Zahnhalteapparates von besonderer Bedeutung sei. Mit Hand-
oder Elektrozahnbürsten könnten die Interdentalräume nicht ausreichend gereinigt
werden, so dass spezielle Reinigungsvorrichtungen verwendet werden müssten.
Reinigungsfäden, wie z. B. Zahnseide, hätten sich wegen ihrer komplizierten
- 11 -
Handhabung bzw. wegen ihrer nur relativ geringen Wirkung nicht durchgesetzt.
Neben der Zahnseide würden auch Interdentalreiniger in Form von Inter-
dentalbürsten oder Zahnstochern verwendet. Runde endseitig angespitzte Zahn-
hölzer eigneten sich zwar zum Auswischen von Taschen. Der Bereich der
Zahnkontaktpunkte könne mit einem Zahnholz jedoch nicht gereinigt werden, so
dass hier weiterhin die Gefahr einer Kariesbildung bestehe. Außerdem müssten
Zahnhölzer aus Stabilitätsgründen einen Querschnitt bzw. Kerndurchmesser
aufweisen, der größer als die Öffnungen des leicht öffnenden Interdentalraums
sei, so dass sie nicht in die Bereiche engen Querschnitts des Interdentalraums
eindringen könnten. (Abs. [0002]-[0005]).

Aus dem Stand der Technik (EP 0 277 156 B1, WO 87/06452 A1 und EP
0 202 296 B1) sind Interdentalreiniger in Form eines Zahnstochers bekannt, der
einen aus Kunststoff oder Metall bestehenden Träger aufweist, der zur Erhöhung
der Reinigungswirkung zumindest bereichsweise mit kurzen Polymerfasern
beflockt ist. Die Abmessungen der bekannten Zahnstocher seien zwar so gewählt,
dass auch enge Interdentalräume schonend gereinigt werden könnten. Nachteilig
hierbei sei jedoch, dass die die Beflockung bildenden Polymerfasern nicht
abriebsicher auf dem Träger fixiert seien, so dass sie sich bei Gebrauch lösen
könnten. Darüber hinaus sei es nachteilig, dass die zusätzlich aufgebrachten
Flockfasern relativ stark auftragen und somit der Zahnstocher übermäßig dick
werde (Abs. [0006]).

Des Weiteren ist aus dem Stand der Technik (EP 0 161 057 A1) ein Inter-
dentalreiniger bekannt, der einen stabförmigen Träger aus einem ersten Kunst-
stoff-Material aufweist. Auf den Träger ist ein Überzug aus einem zweiten
Kunststoff-Material aufgebracht, der außenseitig eine glatte Oberfläche bildet. An
seinem einen Ende wird der Interdentalreiniger mit einer sich verjüngenden Spitze
versehen, indem der Überzug zu diesem Ende verjüngend ausgebildet und der
Träger in seinem an diesem Ende liegenden Randbereich angeschmolzen wird.
Dieses Vorgehen sei sehr arbeitsaufwendig, wodurch die Herstellung des Inter-
dentalreinigers relativ teuer sei (Abs. [0008]).
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2. Das Patent nennt daher als Aufgabe der Erfindung einen Interdental-
reiniger und insbesondere einen Zahnstocher zu schaffen, der schnell und
kostengünstig herstellbar ist. Darüber hinaus soll ein entsprechendes Verfahren
geschaffen werden (Abs. [0009]).

3.1. Zur Lösung dieses Problems schlägt Patentanspruch 1 in der mit
Hilfsantrag 1 bezeichneten Fassung nach Hauptantrag einen Interdental-
reiniger mit folgenden Merkmalen vor (Gliederung hinzugefügt, Unterschiede zum
erteilten Anspruch 1 gekennzeichnet):

1.0 Interdentalreiniger (10)
1.1 mit einem länglichen, stabförmigen Träger (11) aus einem ersten
Kunststoff-Material,
1.2 der mindestens in Teilbereichen seiner Oberfläche von zumindest einer Ein-
oder Auflage (14; 18) zur Reinigung der Interdentalräume aus einem
zweiten Kunststoff-Material überdeckt ist,
1.3 wobei das zweite Kunststoff-Material der Ein- oder Auflage (14; 18) weicher
als das erste Kunststoff-Material ist,
1.4 aus einem thermoplastischen Elastomer besteht und
1.5 auf das erste Kunststoff-Material des Trägers (11) aufgespritzt ist,
1.6 wobei die Ein- oder Auflage (14) auf ihrer Oberfläche eine Strukturierung
(14b, 14c) aufweist
1.7 und wobei der Griffabschnitt (12; 17) mit einer als Griffhilfe und Infor-
mationsträger dienenden Strukturierung (16) versehen ist, die aus dem
zweiten Kunststoff-Material besteht.

Die nachfolgenden angegriffenen Ansprüche 2 bis 12 sind jeweils unmittelbar oder
mittelbar auf den Patentanspruch 1 rückbezogen.

Die erteilten Verfahrensansprüche 21 bis 23 wurden gemäß dem als Hauptantrag
zu prüfenden Hilfsantrag 1 nicht mehr verteidigt.

- 13 -
3.2. In Patentanspruch 1 in der nach Hilfsantrag 2 verteidigten Fassung ist
gegenüber dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 das Merkmal 1.8 hinzu-
gefügt (Gliederung hinzugefügt):

1.8 und wobei das erste Kunststoff-Material des Trägers (11) faserverstärkt ist.

Die nachfolgenden angegriffenen Ansprüche 2 bis 11 sind jeweils unmittelbar oder
mittelbar auf den Patentanspruch 1 rückbezogen.

3.3. In Patentanspruch 1 in der nach Hilfsantrag 3a verteidigten Fassung sind
gegenüber dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 die Merkmale 1.2‘, 1.3‘
und 1.6‘ geändert, sowie die Merkmale 1.9, 1.10, 1.11 und 1.12 hinzugefügt
(Gliederung hinzugefügt, Unterschiede zum Anspruch 1 nach Hilfsantrag 2
gekennzeichnet):

1.0 Interdentalreiniger (10)
1.1 mit einem länglichen, stabförmigen Träger (11) aus einem ersten Kunst-
stoff-Material,
1.2' der mindestens in Teilbereichen seiner Oberfläche von zumindest einer
Einlage oder Auflage (14; 18) zur Reinigung der Interdentalräume aus
einem zweiten Kunststoff-Material überdeckt ist,
1.3' wobei das zweite Kunststoff-Material der Einlage oder Auflage (14; 18)
weicher als das erste Kunststoff-Material ist,
1.4 aus einem thermoplastischen Elastomer besteht und
1.5 auf das erste Kunststoff-Material des Trägers (11) aufgespritzt ist,
1.6' wobei die Einlage oder Auflage (14) auf ihrer Oberfläche eine Struk-
turierung (14b, 14c) aufweist,
1.7 wobei der Griffabschnitt (12; 17) mit einer als Griffhilfe und Informa-
tionsträger dienenden Strukturierung (16) versehen ist, die aus dem zweiten
Kunststoff-Material besteht,

- 14 -
1.8 wobei das erste Kunststoff-Material des Trägers (11) faserverstärkt ist,
1.9 wobei die Einlage (14) in einer in dem Träger (11) ausgebildeten Aus-
nehmung (13) angeordnet ist,
1.10 wobei die Oberfläche der Einlage (14; 18) glatt in die benachbarten
Oberflächenbereiche des Trägers (11) übergeht,
1.11 wobei die Einlage (14; 18) der Kontur des Trägers (11) folgt
1.12 und wobei der Träger (11) sich zu seinem vorderen Ende (15) hin verjüngt.

Die nachfolgenden angegriffenen Ansprüche 2 bis 7 sind jeweils unmittelbar oder
mittelbar auf den Patentanspruch 1 rückbezogen.

Hinsichtlich des weiteren Hilfsantrags 3b wird auf den Akteninhalt verwiesen.

4. Als den zur objektiven Problemlösung berufenen Fachmann sieht der
Senat einen Ingenieur der Fachrichtung Kunststofftechnik oder Verfahrenstechnik
mit beruflicher Erfahrung in der Entwicklung von mechanischen Geräten für die
Mundhygiene, der bezüglich medizinischer Fragestellungen mit einem Zahnarzt
zusammenarbeitet.


II.

Aufgrund der nach Art. 69 Abs. 1 EPÜ maßgeblichen Auslegung des Inhalts der
Patentansprüche und der am technischen Sinn- und Gesamtzusammenhang der
Patentschrift orientierenden Betrachtung und Auslegung der Patentansprüche
durch den angesprochenen Fachmann legt der Senat den Lehren nach An-
spruch 1 folgendes Verständnis zu Grunde:

1. Der im Streitpatent als erfindungsgemäß beschriebene Interdentalreiniger
wie auch das Verfahren betreffen im Kern der Lehre einen stabförmigen Träger
aus einem ersten Kunststoff-Material, das die Stabilität des Interdentalreinigers
bestimmt, und in Teilbereichen seiner Oberfläche von zumindest einer Ein- oder
- 15 -
Auflage bzw. einem Überzug aus einem zweiten weicheren Kunststoff-Material,
wie dem anspruchsgemäßen thermoplastischen Elastomer, überdeckt ist, welches
aufgrund seiner weichen Materialbeschaffenheit oder Gestaltung der Oberfläche
besonders zur Reinigung der Zähne geeignet ist und auch bei der Herstellung
leicht aufgebracht werden kann. Ein weiterer zentraler Kerngedanke der Erfindung
ist nach dem Vortrag der Beklagten die in den verteidigten Anspruchsfassungen
beanspruchte Verwendung desselben weichen zweiten Kunststoffmaterials sowohl
für die Ein-/Auflage als auch für die Griffhilfe.

2. In den Figuren 1a-1d der Streitpatentschrift ist eine erste Ausführungsform
des patentgemäßen Interdentalreinigers gezeigt.

Der beanspruchte Interdentalreiniger besteht im grundsätzlichen Aufbau aus:

1. einem länglichen, stabförmigen Träger 11 aus einem ersten Kunst-
stoffmaterial;
- 16 -
2. einer Ein- oder Auflage 14 zur Reinigung der Interdentalräume, die aus
einem zweiten Kunststoffmaterial besteht und mindestens in Teilbereichen
die Oberfläche des stabförmigen Trägers 11 überdeckt.

Das zweite Kunststoffmaterial ist weicher als das erste Kunststoffmaterial, und
besteht aus einem thermoplastischen Elastomer, und ist auf das erste Kunststoff-
Material des Trägers 11 aufgespritzt (Abs. [0019]-[0020], [0027]-[0029]).

Die Stabilität des Interdentalreinigers wird im Wesentlichen von dem länglichen,
stabförmigen Träger bestimmt, der aus dem ersten Kunststoffmaterial besteht.
Das erste Kunststoffmaterial kann zur Erhöhung der Stabilität mit einer Faser-
verstärkung ausgerüstet sein. Die Reinigungswirkung wird im Wesentlichen durch
die Ein- oder Auflage bestimmt (Abs. [0010]-[0011]).

In einer weiteren Ausgestaltung kann auf der
Oberfläche der Ein- oder Auflage eine
Strukturierung ausgebildet sein, die die Rei-
nigungswirkung erhöht und zusätzlich eine
Massagewirkung ausübt (Abs. [0013]). Eine
solche Strukturierung ist in den Figuren 6a
und 6b (punkt- oder noppenartige Erhe-
bungen 14b; Abs. [0034]), in den Figuren 7a
und 7b (ringförmige Einlagen 18; Abs.
[0035]), in den Figuren 8a und 8b (in Längs-
richtung verlaufende Einlagen 18; Abs.
[0036]), sowie in den Figuren 10a und 10b
(mit Noppen 21 versehene ringförmige Einla-
gen 18; Abs. [0038]) gezeigt.

Anstatt der in den Figuren 6a und 6b
gezeigten punkt- oder noppenartigen Erhe-
bungen 14b, kann die Strukturierung der Auf-
- 17 -
lage 14 auch von mehreren in Längsrichtung des Trägers 11 hintereinander
angeordneten, hervorstehenden Ringen gebildet sein, die sich über den gesamten
Umfang oder nur über einen Teilbereich des Umfangs erstrecken und somit in
Umfangsrichtung eine Diskontinuität besitzen ([Abs. [0034]).

In einer Ausgestaltung kann auch
der Griffabschnitt 12 des stabför-
migen Trägers 11 mit einer als
Griffhilfe dienenden Strukturie-
rung 16 versehen sein, die auch
als Informationsträger, bspw. be-
züglich des Herstellers, des Pro-
duktnamens oder der Produkteigenschaften, dienen kann (Fig. 2a und 2b;
Abs. [0024], [0030]).

In dem stabförmigen Träger 11 des Interdentalreinigers kann eine Ausneh-
mung 13 ausgebildet sein (Fig. 1a, Abs. [0028]). Diese Ausnehmung 13 kann mit
der aus einem zweiten Kunststoffmaterial bestehenden Einlage 14 derart aus-
gefüllt sein, dass sich zwischen dem Träger 11 und der Einlage 14 allseitig ein
glatter, kontinuierlicher Übergang unter Vermeidung von Absätzen oder Kanten
ergibt (Abs. [0028]). Die Einlage 14 folgt somit der Kontur des Trägers 11 und die
Abmessungen des Interdentalreinigers stimmen mit denen des Trägers 11 überein
(Abs. [0012]).

Der stabförmige Träger 11 kann sich
auch zu seinem vorderen Ende 15 hin
verjüngen bzw. spitz zulaufen (Fig. 4a
und 4b, Abs. [0032]). Dies erleichtert
das Einführen des Interdentalreinigers
in den Interdentalraum (Abs. [0021]).


- 18 -
3. Einige Merkmale des Patentgegenstandes bedürfen der Erläuterung.

Merkmal 1.0 (Interdentalreiniger):

Als „Interdentalreiniger“ ist in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents eine
Reinigungsvorrichtung für die Interdentalräume (Zahnzwischenräume) definiert
(Abs. [0002]-[0003]). Als Beispiele sind u. a. Interdentalbürsten und Zahnstocher
genannt (Abs. [0004]). Der Begriff „Interdentalreiniger“ umfasst daher jegliche
Vorrichtung, die zur Reinigung der Interdentalräume (Zahnzwischenräume) ge-
eignet ist.

Merkmal 1.1 (länglicher, stabförmiger Träger (11) aus einem ersten Kunststoff-
Material):

Der längliche, stabförmige Träger des Interdentalreinigers kann aus einem
beliebigen ersten Kunststoff sein. Die im Abs. [0010] angegebenen Kunststoff-
Materialien sind lediglich vorzugsweise genannt.

Das Merkmal lässt überdies offen, ob der Träger selbst in den Interdentalraum
eintritt, oder weitere bspw. an dem Träger angebrachte Elemente.

Merkmal 1.2 / 1.2‘ (Der Träger ist mindestens in Teilbereichen seiner Oberfläche
von zumindest einer Ein- oder Auflage (14; 18) zur Reinigung der Interden-
talräume aus einem zweiten Kunststoff-Material überdeckt):

Die Ein- oder Auflage muss zur Reinigung der Interdentalräume geeignet sein.
Dazu muss sie bei der Anwendung des Interdentalreinigers so in Kontakt mit dem
Zahnzwischenraum treten können, dass Speisereste und Plaque aus dem
Zahnzwischenraum entfernt werden können.

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Die Ein- oder Auflage besteht aus einem zweiten Kunststoffmaterial, und somit
aus einem anderen Kunststoffmaterial als der Träger.

Eine Auflage liegt auf der Oberfläche des Trägers auf, und bildet daher auf der
Oberfläche des Trägers bspw. Erhebungen bzw. steht hervor. Dabei soll sich die
Dicke des Trägers jedoch nicht wesentlich erhöhen (Abs. [0011]).

Eine Einlage ist dagegen in den Träger eingebettet, bspw. in eine Ausnehmung
des Trägers (Abs. [0011]).

Merkmal 1.3 / 1.3‘ (das zweite Kunststoff-Material der Ein- oder Auflage (14; 18)
ist weicher als das erste Kunststoff-Material):

Die Stabilität des Interdentalreinigers soll im Wesentlichen von dem aus dem
ersten Kunststoffmaterial bestehenden, länglichen, stabförmigen Träger bestimmt
sein. Die Reinigungswirkung dagegen soll im Wesentlichen durch die Ein- oder
Auflage bestimmt sein (Abs. [0010]-[0011]). Da die Ein- oder Auflage zur Stabilität
des Interdentalreinigers nicht beitragen muss, kann ihr Kunststoff-Material somit
weicher als das des Trägers sein, wodurch eine schonende Reinigung des
Interdentalraums erzielt werden kann (Abs. [0015]).

Merkmal 1.4 (das zweite Kunststoff-Material der Einlage besteht aus einem
thermoplastischen Elastomer):

Der Begriff „thermoplastisches Elastomer“ ist im Streitpatent nicht näher erläutert.
Es sind lediglich Beispiele für in einer bevorzugten Ausführungsform miteinander
verschweißbare Materialkombinationen für den Träger und die Ein- bzw. Auflage
genannt (Abs. [0020]). Der Begriff ist daher nach dem Verständnis des zustän-
digen Fachmanns als ein elastischer Kunststoff (Elastomer), der bei Erwärmung
plastisch verformbar ist (Thermoplast), auszulegen.

- 20 -
Merkmal 1.5 (das zweite Kunststoff-Material ist auf das erste Kunststoff-Material
des Trägers (11) aufgespritzt):

Die Verbindung zwischen dem ersten und dem zweiten Kunststoffmaterial soll
durch Aufspritzen des zweiten auf das erste Kunststoffmaterial erfolgen. Dieses
Merkmal stellt im Vorrichtungsanspruch nur insoweit eine Einschränkung dar, als
dass sich der Verfahrensschritt des Aufspritzens bei der Herstellung der Vor-
richtung in den raumkörperlichen Merkmalen des beanspruchten Interdental-
reinigers (Erzeugnisses) wiederfindet.

Merkmal 1.6 / 1.6‘ (die Ein- oder Auflage (14) weist auf ihrer Oberfläche eine
Strukturierung (14b, 14c) auf):

Die Oberfläche der Ein- oder Auflage 14 soll strukturiert sein. Dadurch soll die
Reinigungswirkung erhöht und zusätzlich eine Massage ausgeübt werden (Abs.
[0013]). Die Oberfläche der Ein- oder Auflage 14 muss durch die Strukturierung
somit derart uneben bzw. aufgeraut sein, dass die Reinigungswirkung gegenüber
einer glatten Oberfläche erhöht ist.

Merkmal 1.7 (der Griffabschnitt (12; 17) ist mit einer als Griffhilfe und
Informationsträger dienenden Strukturierung (16) versehen, die aus dem zweiten
Kunststoff-Material besteht):

Die Oberfläche des Griffabschnittes soll eine Strukturierung aufweisen, die aus
dem zweiten, gegenüber dem ersten weicheren (vgl. Merkmal 1.3 / 1.3‘), Kunst-
stoffmaterial besteht.

Diese Strukturierung soll als Griffhilfe dienen und so ein Abrutschen der Finger
des Benutzers von dem Griffabschnitt des Interdentalreinigers verhindern (Abs.
[0024]). Des Weiteren soll diese Strukturierung auch als Informationsträger
dienen, und so dem Benutzer Informationen über bspw. den Hersteller, den
Namen oder Eigenschaften des Produktes anzeigen (Abs. [0024]).
- 21 -
Merkmal 1.8 (das erste Kunststoff-Material des Trägers (11) ist faserverstärkt):

Das erste Kunststoffmaterial soll mit einer Faserverstärkung (bspw. Lang- bzw.
Kurzglas-Faserverstärkung) ausgerüstet sein. Dadurch soll ein Träger geschaffen
werden, der trotz relativ geringer Abmessungen sowohl ausreichend stabil als
auch flexibel ist (Abs. [0010]).

Merkmal 1.9 (die Einlage (14) ist in einer in dem Träger (11) ausgebildeten
Ausnehmung (13) angeordnet):

Das zweite Kunststoff-Material der Einlage soll in eine in dem Träger ausgebildete
Ausnehmung eingebracht werden. Auf diese Weise kann erreicht werden, dass
eine ausreichende Menge an zweitem Kunststoff-Material vorhanden ist, ohne
dass die Abmessungen des Interdentalreinigers übermäßig groß werden (Abs.
[0011]). Dieses Merkmal schränkt den Patentgegenstand jedoch nicht auf eine
bestimmte Größe oder Form der Ausnehmung ein.

Der Begriff „Ausnehmung“ ist im Sinne des Streitpatents auch nicht im ein-
schränkenden Sinne zu verstehen, so wie es bspw. die Figuren 1a, 4a mit einer
beidseitig begrenzten Ausnehmung zeigen, sondern auch in dem Sinne, dass eine
zweite Begrenzung fehlen kann, wie die Figuren 5a und 5b belegen (vgl.
Abs. [0033]), bei denen sich die Einlagen jeweils bis an die Spitze des
Interdentalreinigers erstrecken und die in diesem Falle nur einseitig begrenzte zur
Spitze hin offene Ausnehmung ausfüllen.

Merkmal 1.10 (die Oberfläche der Einlage (14; 18) geht glatt in die benachbarten
Oberflächenbereiche des Trägers (11) über):

Durch einen glatten Übergang der Oberfläche der Einlage 14 in die benachbarten
Oberflächenbereiche des Trägers 11 sollen scharfe Kanten bzw. Absätze und das
daraus gegebenenfalls resultierende Problem des Festhakens des Interden-
talreinigers vermieden werden (Abs. [0014], [0028]).
- 22 -
Merkmal 1.11 (die Einlage (14; 18) folgt der Kontur des Trägers (11)):

Um der Kontur des Trägers 11 folgen zu können, soll die Einlage 14, 18 genau die
Ausnehmung ausfüllen, ohne aus dieser hervorzustehen. Die Abmessungen des
Interdentalreinigers stimmen dann mit denen des Trägers überein (Abs. [0012]).

Merkmal 1.12 (der Träger (11) verjüngt sich zu seinem vorderen Ende (15) hin):

Dieses Merkmal sagt aus, dass die Querschnittsfläche des Trägers von seinem
vorderen Ende 15 in Richtung seines hinteren griffseitigen Endes (Griffab-
schnitt 12) zunimmt, wobei eine spätere Abnahme des Querschnitts nicht
ausgeschlossen ist (Fig. 4b, 5b, 6b, 7b, 8b, 10b). Dadurch soll das Einführen des
Interdentalreinigers in den Interdentalraum erleichtert werden (Abs. [0021]). Über
den Grad bzw. den Verlauf der Verjüngung bzw. Querschnittsflächenänderung
sagt dieses Merkmal nichts aus.


III.

Der Gegenstand des zulässig geänderten jeweiligen Patentanspruchs 1 gemäß
dem als Hauptantrag verteidigten Hilfsantrag 1 und gemäß dem Hilfsantrag 2
erweist sich als nicht patentfähig, da die jeweils beanspruchte Lehre zwar neu ist
(Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a, Art. 52, Art. 54
EPÜ), jedoch für den angesprochenen Fachmann im Prioritätszeitpunkt des
Streitpatents durch den Stand der Technik nahegelegt war (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1
IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a, Art. 56 EPÜ).

1. Der Interdentalreiniger nach Anspruch 1 in der Fassung des als
Hauptantrag zu prüfenden Hilfsantrags 1 ist neu. Er ergab sich für den
Fachmann aber im Prioritätszeitpunkt in naheliegender Weise ausgehend von der
NK12 i. V. m. seinem - bspw. durch die NK14, NK25, NK26, NK27 oder NK28
belegten - Fachwissen.
- 23 -
a. Als Ausgangspunkt für die Prüfung auf erfinderische Tätigkeit ist nicht
zwingend auf das abzustellen, was in der Beschreibung des Streitpatents als der
Erfindung zugrunde liegende Aufgabe genannt ist (BGH GRUR 2011, 607 - Kos-
metisches Sonnenschutzmittel). Maßgeblich ist vielmehr, was die Erfindung
gegenüber dem Stand der Technik im Ergebnis tatsächlich leistet (BGH GRUR
2003, 693, 695 - Hochdruckreiniger). Dies ist durch Auslegung des Patent-
anspruchs zu entwickeln. Aus der Funktion der einzelnen Merkmale im Kontext
des Patentanspruchs ist abzuleiten, welches technische Problem diese Merkmale
für sich und in ihrer Gesamtheit tatsächlich lösen. Dabei kann das als Aufgabe der
Erfindung Bezeichnete einen Hinweis auf das richtige Verständnis enthalten (BGH
GRUR 2010, 602, 605, Tz. 27 - Gelenkanordnung).

In der mündlichen Verhandlung erklärte die Beklagte, dass sie gemäß ihrem
Schriftsatz vom 3. Februar 2017 (vgl. a. a. O. S. 6 Rdn. 19) die von der Erfindung
in der verteidigten Fassung zu lösende objektive Aufgabe darin sieht, den
Interdentalreiniger in besonders kosteneffizienter Weise so auszugestalten, dass
er sich besser greifen und festhalten lasse und ein Abrutschen mit den Fingern bei
der Verwendung des Reinigers sicher vermieden werde, und dass ein Branding
ohne zusätzlichen Herstellungsaufwand realisiert werden könne.

Bei der objektiven Betrachtung dessen, was der erfindungsgemäße Interden-
talreiniger in seiner beanspruchten Merkmalskombination gegenüber dem Stand
der Technik gemäß den Angaben im Streitpatent tatsächlich zu leisten vermag,
sieht auch der Senat die der Erfindung zugrunde liegende objektive Problem-
stellung darin, einen Interdentalreiniger zu schaffen, der möglichst kostengünstig
hergestellt werden kann, aber auch sowie einfach und sicher zu handhaben ist,
insbesondere bei der Anwendung gut zu greifen und festzuhalten ist.

b. Ausgehend von dieser objektiven Problemstellung war die Druckschrift US
5 283 924 (NK12) für den angesprochenen Fachmann ein geeignetes Sprungbrett
zur aufgabengemäßen Problemlösung.

- 24 -
Diese Schrift zeigt einen Interdentalreiniger (Fig. 1, 2, 3, 10; Sp. 4 Z. 62 ff.:
„interdental foam brush“) [= Merkmal 1.0], mit einem länglichen, stabförmigen
Träger („elongate stem 2“) aus einem ersten Kunststoff-Material, bspw.
Polykarbonat (Sp. 3 Z. 50-52: „The stem is preferably formed from a molded
plastic such a polycarbonate …“) [= Merkmal 1.1], dessen Oberfläche ausgehend
von einem Kragen („boss / stop projection 6“) bis zu seiner Spitze („distal tip 8“)
von einem Überzug („tapered foam brush 4“ =
Einlage) zur Reinigung der Interdentalräume
(Sp. 6 Z. 13-15: „The foam brush must effectively
remove organic material coating the interproximal
tooth surfaces and accumulated in the gingiva“)
aus einem zweiten Kunststoff-Material, bspw.
einem schäumbaren Elastomer (Sp. 3 Z. 66 -
Sp. 4 Z. 7: „… a foamable elastomer“), überdeckt
ist [= Merkmal 1.2].

Das zweite Kunststoff-Material des Überzugs (=
Einlage) besteht aus einem weichen Schaum-
material (Sp. 5 Z. 52-57: „The brush 4 is formed
of an open cell foam material …“; Sp. 5 Z. 61-67:
„The foam must have the softness required to
prevent trauma to the gums and gingiva …“). Der
Träger hingegen besteht aus einem festen, steifen Material (Sp. 6 Z. 45-48: „The
preferred material for the stem is … although other materials can be used which
provide stiffness with good flexibility”). Das zweite Kunststoff-Material des Über-
zugs (= Einlage) ist somit weicher als das erste Kunststoff-Material des Trägers [=
Merkmal 1.3].

Das zweite Kunststoff-Material des Überzugs (= Einlage) wird auf das erste
Kunststoff-Material des Trägers per Spritzguss aufgebracht (Sp. 3 Z. 66 - Sp. 4
Z. 2: „…injecting a foam mixture into a mold to form the brushes …“) [= Merkmal
1.5].
- 25 -
Der Überzug (“brush 4” = Einlage) ist bereits wegen seiner Ausbildung als
offenzelliger Schaum (Sp. 5 Z. 52-57) strukturiert und kann zudem an seinem
Umfang geriffelt sein bzw. Rippen aufweisen (Sp. 6 Z. 27-32: „…including cone
shapes having circumferential corrugations … or any of the above shapes having
longitudinal ribs). Die Oberfläche des Überzugs (= Einlage) ist somit strukturiert im
Sinne des Streitpatents [= Merkmal 1.6].

Aus der NK12 waren dem Fachmann somit die Merkmale 1.0 - 1.3, 1.5 u. 1.6 des
beanspruchten Interdentalreinigers bekannt.

c. Bezüglich Merkmal 1.4 hat die Beklagte geltend gemacht, dass in der NK12
kein Überzug („brush 4“) aus einem thermoplastischen Elastomer gelehrt werde.
Für den Überzug werde ein offenzelliges Schaummaterial verwendet, das aus
Polyurethan oder Polyethylen bestehen könne. Reines Polyethylen sei ein ther-
moplastisches Material, aber kein thermoplastisches Elastomer. Bei Polyurethan
könne es sich unter bestimmten Voraussetzungen um ein thermoplastisches
Elastomer handeln. Die NK12 enthalte hierzu jedoch keinen Hinweis.

Wie auch die Beklagte einräumte, waren zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents
thermoplastische Elastomere dem zuständigen Fachmann bekannt. Die Beklagte
bestritt auch nicht, dass der Fachmann bereits vor diesem Zeitpunkt thermo-
plastische Elastomere als Schaum verarbeiten konnte. In der NK12 sind als
mögliche Materialien für den Schaumstoff des Überzugs („brush 4“ = Einlage)
Polyurethan oder Polyethylen genannt (Sp. 6 Z. 5-12) und sie gibt bereits den
Hinweis für ein elastomeres Verhalten des Schaums (Sp. 4 Z. 5). Reines
Polyurethan kann ein weiches Elastomer sein, und bei dem preiswerteren
Polyethylen handelt es sich um einen in Reinform harten Thermoplasten. Wie der
Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens weiß, kann ein thermo-
plastischer Elastomer durch die Kombination eines weichen elastischen Kunst-
stoffs mit einem harten Kunststoff hergestellt werden (vgl. Römpp Lexikon der
Chemie „Thermoplastische Elastomere“); somit auch ausgehend von Polyethylen
als preiswertem thermoplastischen Kunststoff unter Zusatz von Polyurethan als
- 26 -
Elastomer. Da der Überzug („brush 4“ = Einlage) des Interdentalreinigers der
NK12 aus einem weichen Material bestehen soll (vgl. Sp. 5 Z. 61-67: „The foam
must have the softness required to prevent trauma to the gums and gingiva …“),
lag es für den Fachmann auf der Hand, aufgrund der ihm bekannten vorteilhaften
Eigenschaften und der kostenkünstigen Herstellbarkeit eines solchen Materials,
ein thermoplastisches Elastomer, bestehend aus Polyethylen unter Zusatz von
bspw. Polyurethan, für das Schaummaterial des Überzugs („brush 4“ = Einlage) zu
verwenden [= Merkmal 1.4]. Auch die hier nur gutachterlich angeführte US
5 040 260 (NK14) zeigt bspw. eine Zahnbürste (Fig. 1; „toothbrush head 2“), bei
der der Träger („handle 4“) aus einem harten Thermoplasten (Sp. 3 Z. 50-53), und
der Bürstenaufsatz („projections 10, 12“; „pad 8“; „lip 34“; Fig. 1 u. 2) aus einem
thermoplastischen Elastomer (Sp. 4 Z. 62-63) hergestellt sind.

d. Zum Merkmal 1.7 führte die Beklagte an, dass es sich hierbei um einen
zentralen Kerngedanken der Erfindung handle, nämlich bei dem hier verwendeten
zwei-Komponenten-Spritzgussverfahren für die Griffhilfe bzw. den Informations-
träger dasselbe weiche Material zu verwenden wie für die Ein- bzw. Auflage. Die
Beklagte macht geltend, dass es ausgehend von der NK12 für den Fachmann
keine Veranlassung gab, das offenporige Schaummaterial des Überzugs
(„brush 4“) als Griffhilfe bzw. zur Kennzeichnung des Interdentalreinigers zu
verwenden. Denn aufgrund der Materialeigenschaften eines offenporigen
Schaummaterials sah der Fachmann dieses nicht als geeignet für den Überzug
eines Griffes an. Als nachteilig für die Verwendung im Griffbereich erschienen
dabei dem Fachmann eine mögliche Verschmutzung, der Härtegrad und die
geringeren Reibeigenschaften eines offenporigen Schaumes. Der Fachmann hätte
daher Gummi, der griffiger als Schaummaterial sei, für die Griffhilfe verwendet.
Auch sonst würden bei Interdentalreinigern bzw. Zahnbürsten im vorderen und
hinteren Bereich gewöhnlich unterschiedliche Materialien verwendet.

- 27 -
Diesen Einwänden der Beklagten kann nicht gefolgt werden. Das Merkmal 1.7 ist
dem Fachmann ausgehend von der NK12 nahegelegt.

Hierbei ist von dem in den abgebildeten Fig. 11
u. 12 der NK12 gezeigten Ausführungsbeispiel
auszugehen, bei dem der Griffabschnitt nicht in
einem separaten Griff („brush handle 22“; Fig. 5)
gehalten ist, sondern mit einem größeren
Durchmesser versehen als Griff („handle 202,
302“; Sp. 9 Z. 7-38) des Interdentalreinigers
benutzt werden kann. Da der Griff der Seiten-
zahnbürste in dieser Ausführungsform eine - wie
die Figuren 11 u. 12 zeigen - offensichtlich
glatte Oberfläche aufweist, auf der insbesondere
bei Nässe die
Finger leicht
abrutschen
könnten, bestand für den Fachmann Veran-
lassung auch bei der Seitenzahnbürste der
NK12 eine Griffhilfe vorzusehen.

Solche Griffhilfen sind bei Zahnreinigungs-
mitteln, wie z. B. Zahnbürsten, auch üblich und
dem Fachmann bekannt (vgl. als Beleg des
Fachwissens bspw. NK26, Abb.; NK27, Fig. 1
u. 2: „rings 11“; NK28, Fig. 1: „Griffflächen 12,
13“, „Rillen 14“). Sie werden gewöhnlich in Form
von weichen, rutschfesten Strukturierungen am
Griff vorgesehen (vgl. hierzu gutachterlich die links dargestellten Figuren 1 u. 2 der
NK27, die im Griffbereich („handle 3“, „finger rest portion 9“) in einer Ausnehmung
(„ring shaped recess“) eingebettete Ringe („circumferential rings 11“) aus einem
weichen, elastischen bzw. rutschfesten Material zeigen (S. 4 Z. 9-28).
- 28 -
Für den Fachmann bestand auch Veranlassung, die Griffhilfe aus dem gleichen
Material zu fertigen wie den Überzug zur Reinigung der Zahnzwischenräume.
Denn wie der Überzug sollte die Griffhilfe aus einem weichen Material bestehen,
da sich ein weiches Material besser greifen lässt und üblicherweise rutschfester ist
als ein hartes Material. Außerdem konnte dadurch ein Fertigungsschritt eingespart
und der Interdentalreiniger kostengünstiger hergestellt werden, da sowohl der
Überzug als auch die Griffhilfe im selben Prozessschritt gefertigt werden konnten.

Der Einwand der Beklagten hinsichtlich einer möglichen Verschmutzung, die
gegen die Verwendung des offenporigen Schaummaterials im Griffbereich bei der
NK12 sprechen würde, überzeugt nicht. Denn bei Interdentalreinigern handelt es
sich üblicherweise um Wegwerfartikel, die nur wenige Male benutzt werden. Der
Vorteil einer kostengünstigen Fertigung bei Verwendung desselben Materials für
den Überzug („brush 4“ = Einlage) und den Griffbereich überwiegt in diesem Falle
den möglichen Nachteil einer Verschmutzung. Da es sich bei dem offenporigen
Schaummaterial um ein weiches Material handelt, ist es auch ebenso wie bei dem
patentgemäßen Interdentalreiniger als Griffhilfe für den Griffbereich geeignet.

Wegen des fertigungstechnischen Vorteils, das Material für den Überzug und die
Griffhilfe in einem Arbeitsschritt aufbringen zu können, und des damit ver-
bundenen Kostenvorteils hätte der Fachmann entgegen der Meinung der
Beklagten die Griffhilfe auch nicht aus Gummimaterial vorgesehen, sondern aus
genau demselben Material wie den Überzug („brush 4“ = Einlage), denn auch der
Schaum kann elastomere, also gummiartige Eigenschaften aufweisen. Zudem
spielen die Reibeigenschaften des verwendeten Materials bei einer entspre-
chenden Ausgestaltung der Griffhilfe in Form von bspw. griffigen ringförmigen
Erhebungen, wie beim Stand der Technik (vgl. gutachterlich bspw. NK26, NK27,
NK28), nur eine untergeordnete Rolle im Hinblick auf ein sicheres Festhalten des
Interdentalreinigers.

- 29 -
Zum Teil-Merkmal, wonach die Strukturierung auf dem Griffabschnitt als
Informationsträger dienen soll, machte die Klägerin geltend, dass es sich bei
dieser beanspruchten Funktion um ein nicht-technisches Merkmal handle, das
lediglich der Informationswiedergabe diene. Sie zielt damit auf die in Art. 52 Abs. 2
lit. d, Abs. 3 EPÜ bestimmten Nichterfindung, einer bei der Prüfung von Neuheit
(hierzu BPatG Urt. v. 6.5.2014, 4 Ni 22/12 – Verfahren zur Erzeugung eines
digitalen Datensatzes) und erfinderischen Tätigkeit unbeachtlichen Lehre, die sich
in der bloßen Wiedergabe einer Information als solche erschöpft und nach st.
Rspr. von einer Lehre abzugrenzen ist, bei welcher das betroffene Merkmal
erfindungsgemäß als konkretes technisches Mittel zur konkreten technischen
Problemlösung eingesetzt wird und deshalb nicht vom Patentierungsausschluss
erfasst wird (BGH GRUR 2011, 125 – Wiedergabe topografischer Informationen;
GRUR 2015,660 - Bildstrom; GRUR 2015, 1184 - Entsperrbild).

Letztlich kann dies jedoch dahingestellt bleiben, da es dem Fachmann aus dem
Stand der Technik bekannt war, im Griffbereich eines Interdentalreinigers bspw.
einen Markennamen oder ein anderes Kennzeichen in Form einer Strukturierung
anzubringen. Hierzu wird als Beleg zum Fachwissen bspw. auf die NK25
verwiesen, bei der zur Kennzeichnung eine entsprechende Strukturierung durch
Prägung auf die Oberfläche eines Interdentalreinigers aufgebracht ist (vgl. Sp. 6
Z. 67 - Sp. 7 Z. 4). Eine strukturierte Griffhilfe bei entsprechendem Design auch
zur Kennzeichnung eines Interdentalreinigers zu verwenden, war für den
zuständigen Fachmann somit eine ihm bekannte rein handwerkliche Maßnahme [=
Merkmal 1.7].

Damit war der Fachmann auf naheliegende Weise beim Gegenstand des
Anspruchs 1 in der als Hauptantrag verteidigten Fassung nach Hilfsantrag 1
angelangt.

- 30 -
2. Der Interdentalreiniger nach Anspruch 1 in der mit Hilfsantrag 2
verteidigten Fassung ist ebenfalls nicht patentfähig.

Gemäß Hilfsantrag 2 ist in Anspruch 1 gegenüber Hilfsantrag 1 noch das Merkmal
1.8 aufgenommen, wonach das erste Kunststoff-Material des Trägers
faserverstärkt ist.

Nach der Beschreibung des Streitpatents soll durch die Faserverstärkung ein
ausreichend stabiler und auch flexibler Träger geschaffen werden (vgl. Sp. 3
Z. 15-21). Dieses Merkmal soll somit die objektive Aufgabe lösen, die Festigkeit
und Stabilität des länglichen, stabförmigen Trägers zu erhöhen.

Zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents gehörte es zum grundständigen Wissen
des zuständigen Fachmanns, dass die Festigkeit eines Kunststoffs mittels einer
Faserverstärkung erhöht werden kann. Es handelte sich somit um eine
naheliegende handwerkliche Maßnahme, die zudem auch auf dem vorliegenden
Gebiet der Zahnreinigungsmittel bekannt war (vgl. gutachterlich bspw. die NK20,
die einen Zahnstocher („tooth pick 1“, Fig. 1) mit einem stabförmigen Träger
(blade 2) aus einem faserverstärkten elastischen Kunststoff zeigt (vgl. Sp. 2
Z. 23-30)).

Auch zum Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 gelangte der
Fachmann ausgehend von der NK12 daher auf naheliegende Weise.


IV.

Soweit das Streitpatent in der Fassung gemäß dem Hilfsantrag 3a verteidigt wird,
erweist sich dessen Gegenstand als patentfähig. Die Klägerin vermochte den
Senat nicht davon zu überzeugen, dass sich der danach zulässig beanspruchte
Interdentalreiniger für den Fachmann im Prioritätszeitpunkt in naheliegender
Weise (Art. 56 EPÜ) aus dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik ergab.
- 31 -
Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 3a ist gegenüber dem
Hilfsantrag 2 nunmehr auf eine Einlage beschränkt (Merkmale 1.2‘, 1.3‘ und 1.6‘).
Des Weiteren sind noch die Merkmale 1.9 bis 1.12 neu aufgenommen, wonach die
Einlage in einer in dem Träger ausgebildeten Ausnehmung angeordnet und die
Oberfläche der Einlage glatt in die benachbarten Oberflächenbereiche des
Trägers übergehen soll, und wobei die Einlage der Kontur des Trägers folgen und
der Träger sich zu seinem vorderen Ende hin verjüngen soll.

1. Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 3a ist sowohl in den
ursprünglichen Unterlagen (als WO 98/16169 A1 veröffentlicht) offenbart als auch
zum Gegenstand des Streitpatents gehörig. Er erweitert auch den Schutzbereich
des erteilten Anspruchs 1 nicht und ist somit zulässig.

Die Merkmale 1.0 bis 1.5 des Anspruchs 1 in der Fassung des Hilfsantrags 3a
gründen auf den ursprünglichen Ansprüchen 1, 3 und 4, wobei die Zweckangabe
im Merkmal 1.2' (zur Reinigung der Interdentalräume) aus der ursprünglichen
Beschreibung aufgenommen wurde (vgl. S. 4 Z. 26-28, S. 10 Z. 27-31).

Das Merkmal 1.6' (wobei die Einlage (14) auf ihrer Oberfläche eine Strukturierung
(14b, 14c) aufweist), ist dem ursprünglichen Anspruch 16 entnommen.

Das Merkmal 1.7 (wobei der Griffabschnitt (12; 17) mit einer als Griffhilfe und
Informationsträger dienenden Strukturierung (16) versehen ist, die aus dem
zweiten Kunststoff-Material besteht), ist den ursprünglichen Ansprüchen 21 und 22
entnommen.

Das Merkmal 1.8 (wobei das erste Kunststoff-Material des Trägers (11)
faserverstärkt ist), ist dem ursprünglichen Anspruch 2 entnommen.

Die neu gegenüber dem Hilfsantrag 2 aufgenommenen Merkmale 1.9 bis 1.12
sind den ursprünglichen Ansprüchen 9 (Merkmal 1.9), 6 (Merkmal 1.10), 7
(Merkmal 1.11) und 12 (Merkmal 1.12) entnommen.
- 32 -
Die gegenüber dem erteilten Anspruch 1 neu aufgenommenen Merkmale
schränken den Patentgegenstand gemäß erteilter Fassung ein und erweitern
daher den Schutzbereich nicht. Darüber hinaus ist der Gegenstand des An-
spruchs 1 nach Hilfsantrag 3a in zulässiger Weise nunmehr auf eine Einlage
beschränkt (Merkmale 1.2‘, 1.3‘ und 1.6‘).

Die Zulässigkeit des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 3a wurde von der Klägerin in
der mündlichen Verhandlung auch nicht in Abrede gestellt.


2. Der Interdentalreiniger nach Anspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags 3a
war dem Fachmann durch die im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen nicht
nahe gelegt.

a. Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 3a ist nunmehr auf eine
Einlage beschränkt (Merkmale 1.2‘, 1.3‘ und 1.6‘), die gemäß dem neu gegenüber
dem Hilfsantrag 2 aufgenommenen Merkmal 1.9 in einer in dem Träger aus-
gebildeten Ausnehmung angeordnet sein soll. Wie bereits zur Erläuterung der
Merkmale des Patentgegenstands unter II. 3. ausgeführt, ist der Begriff
„Ausnehmung“ nicht einschränkend wie bspw. in den Figuren 4a u. 4b des
Streitpatents mit einer beidseitigen Begrenzung zu verstehen, sondern auch in
dem Sinne, dass eine zweite Begrenzung fehlen kann, wie die Figuren 5a und 5b
belegen (vgl. Streitpatent, Abs. [0033]), bei denen sich die Einlagen jeweils bis an
die Spitze des Interdentalreinigers erstrecken und die in diesem Falle nur einseitig
begrenzte, zur Spitze hin offene Ausnehmung ausfüllen, wie dies auch bei dem
aus der NK12 bekannten Interdentalreiniger („interdental foam brush“) der Fall ist.
Denn auch dort bildet der sich distal vom Kragen („boss / stop projection 6“) des
Trägers („elongate stem 2“) bis zur Spitze („distal tip 8“) hin ersteckende, einseitig
offene Bereich eine Ausnehmung im Sinne des Streitpatents [= Merkmal 1.9].
Diesem Verständnis hat auch die Beklagte nicht widersprochen.

- 33 -

b. Nicht offenbart in der NK12 sind hingegen
die Merkmale 1.10 - 1.12, wonach die Oberfläche
der Einlage glatt in die benachbarten Ober-
flächenbereiche des Trägers übergehen und die
Einlage der Kontur des Trägers folgen soll, sowie
der Träger sich zu seinem vorderen Ende hin
verjüngen soll.

Auszugehen ist hierbei von dem in den Figuren
11 u. 12 der NK12 gezeigten Ausführungs-
beispiel, bei dem der Griffabschnitt nicht in einem
separaten Griff („brush handle 22“; Fig. 5)
gehalten ist, sondern mit einem größeren
Durchmesser versehen als Griffteil („handle 202, 302“; Sp. 9 Z. 7-38) des
Interdentalreinigers benutzt werden kann.

Mit dem sich zu seinem vorderen Ende hin ver-
jüngenden Träger soll das Einführen des patentge-
mäßen Interdentalreingers in den Zahnzwischenraum
erleichtert werden (vgl. Streitpatent, Abs. [0021]).
Dem selben Zweck dient beim Interdentalreiniger
(„interdental foam brush“) der NK12 der sich zur
distalen Spitze hin konisch verjüngende Überzug
(Figur 1: „tapered foam brush 4“ = Einlage). Für den
Fachmann ist es selbstverständlich, dass anstelle
oder zusätzlich zu einer sich verjüngenden Einlage
auch der Träger selbst zur distalen Spitze hin sich
verjüngend ausgebildet werden kann. Zum Beleg des
Fachwissens wird hierzu auf die in der NK15 (vgl.
Fig. 1, Abs. [0010]) und der NK25 (vgl. Fig. 1b; „line
edge 24“) gezeigten Interdentalreiniger hingewiesen. Das Merkmal 1.12 kann
- 34 -
daher die Patentfähigkeit des nach Hilfsantrag 3a beanspruchten Interdental-
reiniger nicht begründen.

c. Die Ausgestaltung des patentgemäßen Interdentalreinigers nach den
Merkmalen 1.10 und 1.11 hingegen war dem Fachmann ausgehend von der NK12
auch in Anbetracht des übrigen im Verfahren befindlichen Standes der Technik
und auch unter Berücksichtigung seines allgemeinen Fachwissens nicht
nahegelegt.

aa. Bei dem in den Figuren 11 u. 12 der NK12
gezeigten Ausführungsbeispiel des bekannten Inter-
dentalreinigers („interdental foam brush“) wird der
Überzug („brush 4“ = Einlage) auf die gleiche Art
und Weise auf den Träger („stem 200“) aufgebracht,
wie beim Ausführungsbeispiel der Figuren 1-4 (vgl.
Sp. 9 Z. 28-31). Der Überzug wird somit wie in der
Figur 1 gezeigt ausgehend von einem Kragen
(„boss / raised stop projection 6“) bis zur Spitze
(„distal tip 8“) des Trägers („stem 2“ auf den Träger

aufgebracht, wobei er den Träger 2 in diesem Bereich („brush support portion 3“)
und auch den Kragen 6 umschließt. Der Kragen 6 erfüllt hierbei eine Stop-
Funktion („boss stop surface 10“), die eine Bewegung des Interdentalreinigers
über den Zahnzwischenraum der Backenzähne hinaus begrenzen soll (vgl.
Figur 9, Sp. 8 Z. 34-37; „boss 80“, „boss stop surface 40“) und eine axiale
Bewegung des Überzuges 4 auf dem Träger 2 bei der Anwendung verhindern soll
(Sp. 4 Z. 68 - Sp. 5 Z. 4).

- 35 -

Der in den nebenstehenden Figuren 11
u. 12 grau gekennzeichnete Bereich zwi-
schen dem Kragen und dem Handgriff
(„handle 202, 302“) bleibt dabei unaufgefüllt
(Kennzeichnung hinzugefügt). Lediglich der
Bereich distal vom Kragen bis zur Spitze
des Interdentalreinigers wird, analog zu den
Figuren 1-4, mit dem Schaumstoffüberzug 4
aufgefüllt. Somit geht die Oberfläche des
Überzugs („brush 4“ = Einlage) nicht gemäß
dem Merkmal 1.10 glatt in den proximal vom
Kragen benachbarten Oberflächenbereich
(nebenstehend grau gekennzeichnet) des
Trägers („stem 2, 200“) über, sondern
bildet - wie in der Figur 1 gezeigt - eine Stufe. Auch folgt der Überzug im Bereich
zwischen dem Handgriff 202, 302 und dem Kragen nicht gemäß dem Merkmal
1.11 der Kontur des Trägers, weil dort gar kein Überzug 4 vorgesehen ist. Um der
Kontur des Trägers zu folgen, müsste nach der Definition im Streitpatent (vgl. Abs.
[0012]) der Überzug (= Einlage) auch die Ausnehmung zwischen dem Handgriff
202, 302 und dem Kragen genau ausfüllen, ohne aus dieser hervorzustehen. Der
Durchmesser des Interdentalreinigers der NK12 würden dann sowohl proximal als
auch distal vom Kragen mit dem des Kragens in etwa übereinstimmen (vgl. auch
die obige Erläuterung zu den Merkmalen des Patentgegenstandes unter II. 3.).

bb. Die Klägerin hat in der mündliche Verhandlung ausgeführt, dass es für den
Fachmann naheliegend gewesen sei, beim Interdentalreiniger der NK12 die Stufe
proximal vom Kragen („boss 6“) durch Auffüllen dieses Bereiches mit dem
Schaummaterial des Überzuges 4 zu beseitigen, um bspw. ein Verhaken des
Interdentalreinigers im Zahnzwischenraum oder Verletzungen des Zahnfleisches
bzw. der Zähne durch die Stufe bzw. Kanten zu vermeiden.

- 36 -
Dem kann nicht gefolgt werden. Wie bspw. in den Figuren 1, 2, 7 u. 9 der NK12
gezeigt, ist der Kragen („boss / stop projection 6“) des Trägers vollständig von
dem weichen Überzug („foam brush 4“) umhüllt, so dass eine Verletzung durch die
Kanten des Kragens bei Verwendung des Interdentalreinigers vermieden werden
kann. Außerdem soll der Kragen u. a. eine Stop-Funktion („boss stop surface 10,
40“) erfüllen, um eine Bewegung des Interdentalreinigers über den Zahn-
zwischenraum der Backenzähne hinaus zu begrenzen (vgl. Figur 9, Sp. 8 Z. 34-
37). Dadurch wird der Nutzbereich des Interdentalreinigers auf den Bereich der
Bürste („brush 4“) distal vom Kragen beschränkt, so dass auch ein Verhaken des
Interdentalreinigers im Zahnzwischenraum sicher vermieden werden kann. Dies
gilt auch für die Ausführungsform gemäß den Figuren 11 u. 12 mit Griffteil („handle
202“). Für den Fachmann bestand daher ausgehend von der NK12 gar keine
Veranlassung, den Bereich zwischen dem Handgriff 202 und dem Kragen ebenso
mit dem Überzug 4 aufzufüllen, wie den Bereich distal vom Kragen. In der NK12
findet sich folglich hierzu auch kein Hinweis, der den Fachmann zu diesem Schritt
angeregt hätte.

cc. Auch das Argument der Klägerin, wonach durch das Auffüllen des
Bereiches zwischen dem Handgriff 202 und dem Kragen und der daraus resul-
tierenden Vermeidung einer Stufe eine Beschädigung der Schaumstoffbürste
(„foam brush 4“) beim Entnehmen aus der Verpackung vermieden werden könne,
kann nicht überzeugen. Denn der Fachmann wird den Schaumstoff des Überzugs
selbstverständlich so stabil ausgestalten, dass Beschädigungen vermieden wer-
den können.

dd. Auch die weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften gaben dem
Fachmann keine Hinweise bzw. Anregungen, die ihn veranlasst hätten, bei der
NK12 den Bereich zwischen dem Handgriff 202, 302 und dem Kragen mit
Schaummaterial aufzufüllen. Dies gilt auch für die NK19, die einen Zahnkeil
(„dental wedge“) zeigt, der in der Zahnmedizin bspw. beim Einbringen von
Zahnfüllungen zum Auseinanderhalten von Zähnen eingesetzt wird (vgl. Figuren 1
u. 2), und somit eine andere Anwendung betrifft. Dieser Druckschrift kann der
- 37 -
Fachmann daher keine Anregung im Hinblick auf eine Abänderung des Den-
talreinigers der NK12 entnehmen.

Das gilt auch für das allgemeine Fachwissen oder Fachkönnen, das insbesondere
insoweit nicht als ein Standard-Repertoire (BGH GRUR 2014, 461 - Kollagenase;
GRUR 2014, 647 - Farbversorgungssystem) vom Fachmann herangezogen
werden konnte und naheliegend zur anspruchsgemäßen Lösung ausgehend von
der NK12 hätte führen können. Denn hierfür fehlen jegliche Anhaltspunkte. Der
Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 3a ist daher neu gegenüber dem
Stand der Technik und beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

3. Mit dem Patentanspruch 1 haben auch die auf ihn zurückbezogenen
Unteransprüche 2 bis 7 Bestand.


V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 Satz 1
ZPO. Der Klägerin sind die Kosten zu 2/3, der Beklagten die Kosten zu 1/3
aufzuerlegen.

Soweit die Patentinhaberin als Beklagte des Nichtigkeitsverfahrens geltend macht,
dass der Klägerin unabhängig vom Erfolg der Klage bereits deshalb ein Teil der
Kosten aufzuerlegen sei, weil sie keine Veranlassung zur Klage hinsichtlich der
angegriffenen Verfahrensansprüche gegeben habe, teilt der Senat diese Auf-
fassung. Denn die Klägerin hat mit der vorliegenden Klage sämtliche Ansprüche
des Streitpatents angegriffen, ohne die Beklagte zuvor zum Verzicht aufzufordern,
obwohl im Verletzungsverfahren insbesondere die streitgegenständlichen erteilten
Verfahrensansprüche 21 bis 23 des Klagepatents nicht zur Stützung der Ver-
letzungsklage herangezogen worden sind. Die Beklagte hat demgegenüber
bereits in ihrem „Teilwiderspruch“ mit Schriftsatz vom 2.10.2015 „verbindlich und
unwiderruflich“ erklärt, das Klagepatent nur im eingeschränkten Umfang
- 38 -
hinsichtlich der beschränkten Vorrichtungsansprüche mit dem 14 Ansprüche
umfassenden Anspruchssatz zu verteidigen. Sie hat deshalb auch aus Sicht des
Senats jedenfalls keine Veranlassung zur Klage in Bezug auf die nicht verteidigten
Verfahrensansprüche 21 bis 23 des Klagepatents gegeben und sich zutreffend auf
die auch im Nichtigkeitsverfahren nach § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG entsprechend
anwendbare Vorschrift des § 93 ZPO berufen.

1. Eine Kostentragung des Klägers nach § 93 ZPO im Patentnichtigkeitsverfahren
vor dem Bundespatengericht kommt nur dann in Betracht, wenn die Beklagte
durch ihr Verhalten zur Erhebung der Klage keinen Anlass gegeben hat und den
Anspruch sofort anerkennt (vgl. BGH GRUR 1984, 272, 276 - Isolierglas-
scheibenrandfugenfüllvorrichtung; Keukenschrijver/Busse, PatG, 8. Aufl., § 84
Rn. 22).

a. Letztere Voraussetzung des sofortigen Anerkenntnisses nach § 93 ZPO
steht vorliegend außer Zweifel, da die Beklagte bereits insoweit ihren nach § 82
Abs. 3 PatG eingelegten Widerspruch beschränkt und gleichzeitig das Streitpatent
nur mit eingeschränkten Anspruchssätzen unter Verzicht auf weitergehenden
Schutz auch für die Vergangenheit verteidigt hat. Insoweit ist in Rechtsprechung
und Lehre anerkannt, dass dieses Verhalten dem von § 93 ZPO vorausgesetzten
prozessualen Anerkenntnis nach § 307 ZPO für die Beurteilung der Kostenlast
gleichkommt, da ein derartiges prozessuales Anerkenntnis im Nichtigkeits-
verfahren als ausgeschlossen angesehen wird (hierzu Keukenschrijver/Busse
a. a. O., § 84 Rn. 22 m. w. N.).

b. Veranlassung zur Klageerhebung ergibt sich nach § 93 ZPO grundsätzlich
dann, wenn das Verhalten des Beklagten vor Prozessbeginn gegenüber dem
Kläger so gestaltet war, dass dieser annehmen musste, er werde ohne Klage nicht
zu seinem Recht kommen (Thomas/Putzo, ZPO, 37. Aufl., § 93 Rn. 4). Im
Patentnichtigkeitsverfahren ist dies grundsätzlich dann der Fall, wenn der Kläger
den Beklagten unter substantiierter Angabe der geltend gemachten Nichtig-
keitsgründe und mit angemessener Fristsetzung erfolglos zum Verzicht auf das
- 39 -
Schutzrecht aufgefordert hat (BPatG GRUR-RR 2009, 325, 326 - Kosten-
auferlegung bei Verzicht aus Streitpatent; zum Gebrauchsmusterlöschungs-
verfahren: BPatGE 26, 139, 140; 21, 38, 39; ferner Busse/Keukenschrijver,
Patentgesetz, 8. Aufl., § 84 Rn. 22 und Rn. 24; differenzierend und teilweise
zusätzlich Androhung eines Löschungsverfahrens fordernd: BPatGE 21, 38, 39).
Eine solche Verzichtsaufforderung ist nach dem unbestrittenen Vorbringen der
Beklagten vorliegend nicht erfolgt.

2. Die Aufforderung zum Verzicht ist jedoch dann entbehrlich, wenn sie
unzumutbar, oder aussichtslos ist oder wenn das Verhalten der Beklagten
vernünftigerweise den Schluss rechtfertigt, eine Nichtigkeitsklage sei notwendig
(Keukenschrijver/ Busse, a. a. O., § 84 Rn. 23 m. w. N.). Der Senat teilt die
Auffassung (unter Aufgabe seiner früheren Rspr. GRUR-RR 2009,
325 - Kostenauferlegung bei Verzicht aus Streitpatent), dass dies jedenfalls dann
grundsätzlich zu bejahen ist, wenn - wie im vorliegenden Fall - von den
Nichtigkeitsbeklagten bereits eine Verletzungsklage aus dem Streitpatent gegen
die Klägerin erhoben worden ist, da eine Verzichtsaufforderung unter diesen
Umständen unzumutbar und sinnlos erscheint, und in diesem Fall der Patent-
inhaber mit einem sofortigen Gegenangriff einer Nichtigkeitsklage rechnen muss.
Angesichts der sich über § 148 ZPO ergebenden Verknüpfung von Verletzungs-
und Nichtigkeitsverfahren und dem Umstand, dass geschätzt 80% aller
Verletzungsverfahren Anlass für die unverzögerliche Erhebung einer Nichtigkeits-
klage sind, erscheint die Annahme, der Patentinhaber könne noch vor der
Erhebung einer Nichtigkeitsklage mit einer Verzichtsaufforderung rechnen und
gebe erst dann Klageveranlassung, lebensfremd und nicht sachgerecht.

a. Zutreffend ist deshalb nach überwiegender Meinung Klageveranlassung
gegeben, wenn - wie hier - gegen den Nichtigkeitskläger bereits eine auf das
Streitpatent gestützte Verletzungsklage erhoben worden ist und Ausdruck der sich
aus § 148 ZPO ergebenden Verknüpfung von Verletzungs- und Nichtigkeits-
verfahren ist. Dann muss der Patentinhaber ohne Vorwarnung mit dem Gegen-
angriff der Nichtigkeitsklage rechnen (vgl. Schulte, Patentgesetz, 10. Aufl., § 84
- 40 -
Rn. 41; Keukenschrijver/Busse/, a. a. O., § 84 Rn. 24; BPatGE 22, 285, 289 =
BlPMZ 81, 34 L (Gbm); BPatG GRUR 1987, 233; BPatG Beschl. v.
14.11.2012 - 3 Ni 16/12; offen lassend, da eine Androhung der Nichtigkeitsklage
im konkreten Fall ergangen war: BPatG Urt. des Senats v. 18.09.2014 - 4 Ni 10/14
(EP)). Dies folgt insbesondere auch unter Berücksichtigung der in § 84 Abs. 2
Satz 2 PatG enthaltenen Billigkeitsklausel. Maßgeblich ist insoweit der Zeitpunkt
der Klageerhebung und die mit Teilwiderspruch verfolgte Verteidigung der
Beklagten.

b. Allerdings muss berücksichtigt werden, ob der in Rede stehende Angriff auf
das Streitpatent auch hinsichtlich seines Umfangs und eines uneingeschränkten
Angriffs in dem vorbeschriebenen Zusammenhang durch ein paralleles Ver-
letzungsverfahren veranlasst ist und dieses eine Verzichtserklärung entbehrlich
macht. Insoweit sieht der Senat im konkreten Fall eine Differenzierung zu den
Vorrichtungsansprüchen deshalb als gerechtfertigt, weil den nicht verteidigten
Verfahrensansprüchen eine abweichende Patentkategorie und Nebenordnung und
damit eine eigenständige Bedeutung als Verfahrensgegenstand (hierzu Cepl/Voß,
ZPO Kommentar § 263 Rn. 26) gegenüber den vorliegend im Verletzungs-
klageverfahren allein maßgeblichen Vorrichtungsansprüchen zukommt und die
Verfahrensansprüche deshalb abseits der Klageansprüche im Verletzungsver-
fahren stehen.

Bezüglich der nicht verteidigten Verfahrensansprüche ist danach die Kostenlast
nach § 93 ZPO der Klägerin aufzuerlegen, was für die nach § 84 Abs. 2 Satz 2
PatG i. V. m. § 92 ZPO zu treffende Kostenentscheidung im Ansatz eine hälftige
Kostenlast bezogen auf die Gewichtung des Verhältnisses sämtlicher Ansprüche
untereinander rechtfertigt, da der nebengeordnete Verfahrensanspruch 21 auf die
Herstellung eines Interdentalreinigers gerichtet ist, der den Merkmalen nach
Anspruch 1 entspricht und sich deshalb ohne inhaltliche Änderung nur in der
Patentkategorie unterscheidet und einen zu Anspruch 1 vergleichbar weiten
Schutzgegenstand und –umfang umfasst.

- 41 -
c. Der Senat verkennt insoweit nicht, dass andererseits auch Patentan-
sprüchen abweichender Kategorie im Nichtigkeitsverfahren nicht ohne weiteres
eine eigenständige Betrachtung hinsichtlich ihres angegriffenen Rechtsbestands
und des Angriffs auf fehlende Patentfähigkeit zukommt, solange diese - wie
vorliegend - keine sachlich unterschiedlichen Lösungen enthalten oder jedenfalls
hierauf keine eigenständige isolierte Verteidigung gerichtet wird (BGH GRUR
2017, 57 - Datengenerator). Dies rechtfertigt allerdings als solches nach Ansicht
des Senats noch keine andere Bewertung im Rahmen des § 93 ZPO für die
erforderliche Klageveranlassung und die Notwendigkeit eines Angriffs auch dieser
im Verletzungsstreit nicht gegenständlichen Ansprüche durch eine Nichtigkeits-
anklage ohne vorherige Verzichtsaufforderung. Insoweit erscheint es dem Senat
insbesondere auch aus Billigkeitsgründen nach § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG
zumutbar, dass die Klägerin nicht ohne Vorwarnung und Verzichtsaufforderung die
Patentinhaberin mit einer auch hierauf gerichteten Nichtigkeitsklage überrascht. Im
Ergebnis sieht der Senat deshalb vorliegend eine Differenzierung zu den
weiteren - im Übrigen von der Beklagten auch vorliegend im Nichtigkeitsverfahren
verteidigten - abhängigen Vorrichtungsansprüchen als gerechtfertigt an, für welche
die Beklagte folgerichtig auch selbst nicht Kostenauferlegung nach § 93 ZPO
beantragt hat.

3. Dies führt unter Einbeziehung des im Übrigen auch nur eingeschränkt
erfolgreichen Angriffs der Klägerin auf die verteidigten Vorrichtungsansprüche
kostenmäßig zu einem überwiegenden Unterliegen der Klägerin. Zu berück-
sichtigen ist insoweit zu ihren Gunsten, dass die Beklagte das Streitpatent in der
erteilten Fassung nicht mehr verteidigt hat und mit den Fassungen nach den
Hilfsanträgen 1 und 2 nicht durchdringen konnte, sondern sich erst die durch die
technische Ausbildung der im Trägermaterial des beanspruchten Interdental-
reingers eingebetteten Einlage gemäß der erheblich eingeschränkten Fassung
des Hilfsantrags 3a als bestandsfähig erwies. Da der Schutzumfang des Streit-
patents somit in einem nicht nur unerheblichen Umfang eingeschränkt wurde und
der Angriff der Klägerin auf die Vorrichtungsansprüche überwiegend erfolgreich
- 42 -
war, bewertet der Senat das Unterliegen der Beklagten insgesamt auf 1/3 und das
der Klägerin auf insgesamt 2/3 des Gebührenstreitwerts.


VI.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 99 Abs. 1
PatG, 709 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben. Die Berufungs-
schrift muss von einer in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechts-
anwältin oder Patentanwältin oder von einem in der Bundesrepublik Deutschland
zugelassenen Rechtsanwalt oder Patentanwalt unterzeichnet und innerhalb eines
Monats beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe eingereicht
werden.

Die Berufungsfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefass-
ten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkün-
dung. Die Frist ist nur gewahrt, wenn die Berufung vor Fristablauf beim Bundes-
gerichtshof eingeht. Die Frist kann nicht verlängert werden.

Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung
gerichtet wird, sowie die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Berufung
eingelegt werde. Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte
Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

Engels Kopacek Veit Zimmerer Dr. Freudenreich


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