5. Senat - Zweistufige tarifliche Ausschlussfrist - Annahmeverzugsvergütung - vermögenswirksame Leistungen
Karar Dilini Çevir:
5. Senat - Zweistufige tarifliche Ausschlussfrist - Annahmeverzugsvergütung - vermögenswirksame Leistungen
- 2 - BUNDESARBEITSGERICHT 5 AZR 628/11 18 Sa 1794/10 Landesarbeitsgericht Hamm Im Namen des Volkes! Verkündet am 19. September 2012 URTEIL Metze, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle In Sachen Kläger, Berufungskläger und Revisionskläger, pp. Beklagte, Berufungsbeklagte und Revisionsbeklagte, hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. September 2012 durch den Vizepräsidenten des Bun-desarbeitsgerichts Dr. Müller-Glöge, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Dr. Laux, den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Biebl sowie die ehrenamtli-chen Richter Mandrossa und Pollert für Recht erkannt: - 2 - 5 AZR 628/11 - 3 - 1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Lan-desarbeitsgerichts Hamm vom 11. März 2011 - 18 Sa 1794/10 - aufgehoben. 2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entschei-dung - auch über die Kosten der Revision - an das Lan-desarbeitsgericht zurückverwiesen. Von Rechts wegen! Tatbestand Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs. Der 1964 geborene Kläger ist seit 1991 bei der Beklagten in deren Be-trieb in E als Produktionsmitarbeiter/Maschinenführer beschäftigt. Die Beklagte ist Mitglied im Arbeitgeberverband Steine und Erden Hessen und Thüringen e. V. In einem mit der IG BCE abgeschlossenen Haustarifvertrag ist vereinbart, dass im Betrieb in E die jeweils gültigen tariflichen Bestimmungen der Industrie der Steine und Erden im Lande Hessen Anwendung finden. Diese tariflichen Bestimmungen wandte die Beklagte durchgehend auf das Arbeitsverhältnis der Parteien an. § 8 des Rahmentarifvertrags für die Arbeitnehmer der Industrie der Steine und Erden im Lande Hessen vom 27. April 2005 (im Folgenden: RTV) lautet: „1. Ansprüche aus Mehrarbeit, Nachtarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit, auf Zahlung von Zuschlägen jeder Art verfallen, wenn sie nicht innerhalb von vier Wochen nach Fälligkeit bei dem Arbeitgeber geltend gemacht werden. 2. Alle sonstigen beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit schriftlich erhoben werden. 1 2 3 - 3 - 5 AZR 628/11 - 4 - 3. Werden die Ansprüche abgelehnt, so verfallen sie, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung gerichtlich geltend gemacht werden.“ Mit Schreiben vom 12. und 27. März 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers jeweils zum 30. September 2008. Das Arbeitsge-richt stellte mit Urteil vom 1. Oktober 2008 (- 1 Ca 749/08 -) fest, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die Kündigung der Be-klagten vom 12. noch durch die Kündigung vom 27. März 2008 beendet wurde, und verurteilte die Beklagte zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers zu unveränderten Arbeitsbedingungen. Die Beklagte teilte dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 1. Oktober 2008 schriftlich mit: „Bezüglich des von ihnen reklamierten Weiterbeschäfti-gungsanspruches ist eine Zwangsvollstreckung nicht erforderlich. Ihr Mandant wird allein zur Vermeidung einer solchen Zwangsvollstreckung ab dem 01.10.08 weiterbe-schäftigt.“ Ab dem 1. Oktober 2008 beschäftigte die Beklagte den Kläger während des laufenden Kündigungsschutzprozesses weiter. Bis einschließlich Juli 2009 vergütete sie lediglich die geleisteten Arbeitsstunden des Klägers ohne Zu-schläge und Sonderzahlungen. Entgeltfortzahlung an Feiertagen und Urlaubs-entgelt zahlte sie nicht. Mit Schreiben vom 31. Oktober 2008 beanstandete der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Höhe der Vergütung für Oktober 2008 und verlangte eine Auszahlung des rückständigen Betrags. In der Folgezeit beschwerte sich der Kläger mehrfach über die Höhe der Vergütung. Im Kündigungsschutzverfahren wies das Landesarbeitsgericht die Beru-fung der Beklagten mit Urteil vom 29. Mai 2009 (- 7 Sa 1643/08 -) zurück. Das den Parteien am 3. Juli 2009 zugestellte Urteil wurde rechtskräftig. Ab dem 1. August 2009 wickelten die Parteien das Arbeitsverhältnis wieder vertragsge-mäß ab. 4 5 6 7 - 4 - 5 AZR 628/11 - 5 - Mit der am 8. März 2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger für die Zeit vom 1. Oktober 2008 bis 31. Juli 2009 Differenzvergü-tung beansprucht. Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.498,69 Euro brutto zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 8. Januar 2010 zu zahlen. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Die Ansprüche seien ver-fallen. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Entscheidungsgründe Die Revision des Klägers ist begründet. Die Vergütungsansprüche des Klägers sind nicht verfallen. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. In welcher Höhe dem Kläger noch Ansprüche zustehen, kann der Senat nicht entscheiden. Es bedarf hierzu weiterer tatsäch-licher Feststellungen. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung (§ 563 Abs. 1 ZPO). I. Die Vergütungsansprüche des Klägers sind nicht gemäß § 8 Ziff. 3 RTV verfallen. Vielmehr ist § 8 Ziff. 3 RTV verfassungskonform dahingehend auszu-legen, dass mit Erhebung einer Bestandsschutzklage (Kündigungsschutz- oder Befristungskontrollklage) die davon abhängigen Ansprüche wegen Annahme-verzugs im Sinne der tariflichen Ausschlussfrist gerichtlich geltend gemacht sind. 8 9 10 11 12 13 - 5 - 5 AZR 628/11 - 6 - 1. Mit einer Bestandsschutzklage wahrt der Arbeitnehmer, ohne dass es einer bezifferten Geltendmachung bedarf, die erste Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist für alle vom Ausgang dieses Rechtsstreits abhängigen Ansprü-che. Mit einer solchen Klage erstrebt der Arbeitnehmer nicht nur die Erhaltung seines Arbeitsplatzes, sondern bezweckt darüber hinaus, sich die Vergütungs-ansprüche wegen Annahmeverzugs zu erhalten. Die Ansprüche müssen weder ausdrücklich bezeichnet noch beziffert werden(für die Kündigungsschutzklage ständige Rechtsprechung seit BAG 10. April 1963 - 4 AZR 95/62 - BAGE 14, 156). 2. Zugleich macht der Arbeitnehmer mit einer Bestandsschutzklage die vom Ausgang dieses Rechtsstreits abhängigen Ansprüche im Sinne der zwei-ten Stufe einer tarifvertraglich geregelten Ausschlussfrist „gerichtlich geltend“. a) Nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts war für die Wahrung der zweiten Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist regelmäßig die Erhebung einer bezifferten Klage erforderlich (BAG 3. November 1961 - 1 AZR 302/60 - SAE 1962, 155; 26. April 2006 - 5 AZR 403/05 - Rn. 20, BAGE 118, 60; 17. November 2009 - 9 AZR 745/08 -). Die Frist für diese Klage wurde mit Zugang des Klageabweisungsantrags beim Arbeitnehmer in Gang gesetzt, ohne dass es einer ausdrücklichen Ablehnungserklärung bedurfte (BAG 17. November 2009 - 9 AZR 745/08 - Rn. 36; 26. April 2006 - 5 AZR 403/05 - Rn. 18, aaO). b) An dieser Rechtsprechung kann nach dem Beschluss des Bundesver-fassungsgerichts vom 1. Dezember 2010 (- 1 BvR 1682/07 - AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 196 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 197) nicht festgehalten werden. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass der Arbeitnehmer in seinem Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes verletzt werde, wenn das tarifliche Erfordernis einer gerichtlichen Geltendma-chung von Ansprüchen, die vom Ausgang einer Bestandsstreitigkeit abhängen, nach den bisherigen Grundsätzen des Bundesarbeitsgerichts ausgelegt und angewandt werde. Dem Arbeitnehmer werde insoweit eine übersteigerte Oblie-genheit zur gerichtlichen Geltendmachung seiner Ansprüche wegen Annahme-14 15 16 17 - 6 - 5 AZR 628/11 - 7 - verzugs auferlegt. Die Art der Geltendmachung der Ansprüche auf Vergütung wegen Annahmeverzugs müsse dem Arbeitnehmer möglich und zumutbar sein. Das sei nicht der Fall, wenn er gezwungen werde, Ansprüche wegen Annah-meverzugs einzuklagen, bevor die Bestandsstreitigkeit rechtskräftig abge-schlossen sei. Damit erhöhe sich sein Kostenrisiko im Rechtsstreit über den Bestand des Arbeitsverhältnisses. c) Tarifvertragliche Ausschlussfristen, die eine rechtzeitige gerichtliche Geltendmachung vorsehen, sind verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die vom Erfolg einer Bestandsschutzstreitigkeit abhängigen Ansprüche bereits mit der Klage in der Bestandsstreitigkeit gerichtlich geltend gemacht sind. aa) Die verfassungskonforme Auslegung von Rechtsnormen gebietet, die Wertentscheidungen der Verfassung zu beachten und die Grundrechte der Beteiligten möglichst weitgehend in praktischer Konkordanz zur Geltung zu bringen (BVerfG 21. Dezember 2010 - 1 BvR 2760/08 - Rn. 16, GRUR 2011, 223; 15. Oktober 1996 - 1 BvL 44/92, 1 BvL 48/92 - BVerfGE 95, 64; 30. März 1993 - 1 BvR 1045/89, 1 BvR 1381/90, 1 BvL 11/90 - BVerfGE 88, 145; BAG 6. April 2011 - 7 AZR 716/09 - Rn. 27 f., AP TzBfG § 14 Nr. 82 = EzA TzBfG § 14 Nr. 77; Voßkuhle AöR 125, 177). Ist eine Norm verfassungskonform auslegbar, ist für die Annahme ihrer Unwirksamkeit mit ggf. nachfolgender ergänzender Tarifauslegung kein Raum mehr. bb) Die durch eine undifferenzierte tarifliche Regelung veranlasste verfas-sungswidrige Obliegenheit zur gerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche wegen Annahmeverzugs wird vermieden, wenn in der Erhebung der Kündi-gungsschutz- oder Befristungskontrollklage die gerichtliche Geltendmachung der vom Ausgang dieser Bestandsschutzstreitigkeit abhängigen Ansprüche liegt. 18 19 20 - 7 - 5 AZR 628/11 - 8 - cc) Der Wortlaut des Tarifvertrags steht dieser verfassungskonformen Auslegung nicht entgegen. Bereits zur Auslegung der zweiten Stufe einer in Allgemeinen Geschäftsbedingungen geregelten Ausschlussfrist (vgl. BAG 19. Mai 2010 - 5 AZR 253/09 - Rn. 31, AP BGB § 310 Nr. 13 = EzA BGB 2002 § 310 Nr. 10; 19. März 2008 - 5 AZR 429/07 - Rn. 22, BAGE 126, 198) hat der Senat entschieden, dass der Wortsinn eines „Einklagens“ bzw. einer „gerichtli-chen Geltendmachung“ der vom Ausgang der Bestandsschutzstreitigkeit ab-hängigen Ansprüche nicht zwingend verlange, dass gerade der Streitgegen-stand „Vergütung“ zum Inhalt des arbeitsgerichtlichen Verfahrens gemacht werden müsse (vgl. BAG 19. Mai 2010 - 5 AZR 253/09 - Rn. 31, aaO; 19. März 2008 - 5 AZR 429/07 - Rn. 22, aaO). Eine an einen engen prozessualen Begriff des Streitgegenstands anknüpfende weitere Klage verlange eine solche Klausel nicht. Hinzu kommt, dass bei der verfassungskonformen Auslegung dem Wortsinn nur eine eingrenzende Funktion zukommt. Der Umstand, dass die Tarifvertragsparteien die Formulierung in Kenntnis der bisherigen Rechtspre-chung des Bundesarbeitsgerichts verwandt haben, steht der nunmehr verfas-sungsrechtlich gebotenen Neuinterpretation nicht entgegen. dd) Die verfassungskonforme Auslegung des Merkmals „gerichtliche Gel-tendmachung“ berücksichtigt in angemessener Weise den Zweck einer zweistu-figen Ausschlussfrist. Ausschlussfristen bezwecken, dem Schuldner zeitnah Gewissheit darüber zu verschaffen, mit welchen Ansprüchen er noch zu rech-nen hat. Zulasten des Arbeitnehmers wirkende Ausschlussfristen sollen den Arbeitgeber vor der Verfolgung unzumutbarer Ansprüche bewahren, das sind regelmäßig solche, mit deren Geltendmachung er nicht rechnet und auch nicht zu rechnen braucht (so schon RG 27. Februar 1940 - RAG 162/39 - ARS Bd. 38 S. 355). Erhebt der Arbeitnehmer Bestandsschutzklage, kann der Arbeitgeber an der Ernstlichkeit der Geltendmachung der hiervon abhängigen Vergütungs-ansprüche nicht wirklich zweifeln. Schon mit der Erhebung einer Bestands-schutzklage kann sich der Arbeitgeber auf die vom Ausgang dieser Streitigkeit abhängigen Forderungen einstellen, Beweise sichern und vorsorglich Rückla-gen bilden. Ihm muss bewusst sein, dass ggf. auch über die Höhe der zu zahlenden Vergütung noch Streit entstehen kann und nicht selten auch ent-21 22 - 8 - 5 AZR 628/11 - 9 - steht. Dass die Ansprüche nicht in einer den Anforderungen des § 253 Abs. 2 ZPO entsprechenden Bestimmtheit geltend gemacht werden, ist - wie bei der Wahrung der ersten Stufe der Ausschlussfrist für Ansprüche, die vom Ausgang der Bestandsschutzstreitigkeit abhängen - aus verfassungsrechtlichen Gründen hinzunehmen. Überdies ist zu berücksichtigen, dass durch den Zwang zur vorzeitigen Erhebung der Klage auch der Arbeitgeber unnötigen Kostenrisiken ausgesetzt würde. ee) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist, um den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu entsprechen, nicht auf eine Kostenbelastung des Arbeitnehmers im Einzelfall abzustellen. Maßgeblich ist nicht der Umfang der wirtschaftlichen Belastung, die den Arbeitnehmer durch den Rechtsstreit trifft, sondern der Gesichtspunkt der Risikoerweiterung. Kann der Arbeitnehmer nicht das Obsiegen in der Bestandsschutzstreitigkeit abwarten, wird ihm ein prozessuales Risiko aufgebürdet, das die Durchsetzung des gesetzlichen Bestandschutzes beeinträchtigen kann. Die Frage der Wirksamkeit und der Einhaltung der tariflichen Ausschlussfrist von einer einzelfallbezogenen Prüfung der Kostenbelastung abhängig zu machen, führte zudem zu größter Rechtsun-sicherheit. Es kann deshalb nicht darauf ankommen, ob der Arbeitnehmer rechtsschutzversichert ist, Prozesskostenhilfe beanspruchen kann, ob er die - im Misserfolgsfall - unnötigen Kosten der Zahlungsklage aus eigenen Mitteln unproblematisch aufbringen oder sie durch eine strategisch günstige Antragstel-lung vermeiden könnte. Das Kostenrecht gilt für alle Parteien gleichermaßen, seine gesetzlichen Wertungen sind zwingend. Das erfordert zugunsten des durchschnittlich kundigen Arbeitnehmers als Tarifnormunterworfenen, der mit den Möglichkeiten einer kostengünstigen Prozessführung nicht vertraut ist, eine einheitliche Auslegung des Tarifvertrags. 23 - 9 - 5 AZR 628/11 - 10 - ff) Durch die verfassungskonforme Auslegung bleibt das tarifliche Erfor-dernis der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen, die nicht vom Ausgang einer Bestandsschutzstreitigkeit abhängig sind, erhalten. Im Übrigen wird die Entstehung einer Regelungslücke vermieden, die erst zu einer ergän-zenden Auslegung berechtigen würde. Denn Voraussetzung einer ergänzenden Auslegung ist, dass entweder eine unbewusste Regelungslücke vorliegt oder nachträglich eine Regelung lückenhaft geworden ist. Hieran fehlt es bei verfas-sungskonformer Auslegung des Tarifvertrags. II. Einer Anrufung des Großen Senats gemäß § 45 ArbGG bedarf es nicht, denn alle Senate des Bundesarbeitsgerichts sind gehindert, die frühere Ausle-gung zweistufiger tariflicher Ausschlussfristen aufrechtzuerhalten. Die Rechts-frage, welche Anforderungen an die Wahrung der zweiten Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist für Ansprüche, die vom Ausgang einer Bestandschutzstreitigkeit abhängen, zu stellen sind, ist wegen des Beschlusses des Bundesverfassungs-gerichts vom 1. Dezember 2010 (- 1 BvR 1682/07 - AP TVG § 4 Ausschlussfris-ten Nr. 196 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 197) neu zu beantworten. Schon im Hinblick auf § 31 BVerfGG entfällt die Vorlagepflicht, wenn das Bundesverfassungsgericht die entscheidungserhebliche Rechtsfrage abwei-chend von der bisherigen Rechtsprechung selbst entschieden hat (vgl. BGH 21. März 2000 - 4 StR 287/99 - zu II 2 b aa der Gründe, BGHSt 46, 17; 26. Januar 1977 - 3 StR 527/76 - NJW 1977, 686; 17. März 2011 - IX ZR 63/10 - Rn. 30, BGHZ 189, 1). Nichts anderes gilt, wenn es den Fachgerichten aufgegeben hat, einen bestimmten rechtlichen Komplex insgesamt anhand der von ihm entwickelten Maßstäbe neu zu gestalten (BGH 21. März 2000 - 4 StR 287/99 - zu II 2 b aa der Gründe, aaO; 5. August 1998 - 5 AR (VS) 1/97 - BGHSt 44, 171). Die rechtliche Grundlage der früheren Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts ist durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Dezember 2010 (- 1 BvR 1682/07 - aaO) entfallen. Deshalb fehlt es an der für eine Anrufung des Großen Senats erforderlichen Identität der Rechtsla-ge (vgl. BAG 28. Juni 2012 - 6 AZR 780/10 - Rn. 81, NZA 2012, 1029). 24 25 - 10 - 5 AZR 628/11 - 11 - III. Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs iSd. §§ 615, 293 ff. BGB liegen vor. Nach einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung bedarf es zur Be-gründung des Annahmeverzugs keines Angebots des Arbeitnehmers (st. Rspr., zuletzt BAG 22. Februar 2012 - 5 AZR 249/11 - Rn. 14 mwN, EzA BGB 2002 § 615 Nr. 36). IV. Über die Höhe der Ansprüche kann der Senat mangels ausreichender Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht abschließend entscheiden. 1. Das Landesarbeitsgericht wird die Höhe der dem Kläger zustehenden Grundvergütung sowie den Umfang der geschuldeten Arbeitsleistung aufzuklä-ren haben. 2. Soweit der Kläger Schichtzuschläge geltend macht, wird er die einzel-nen Zeiträume schriftsätzlich zu konkretisieren haben. Ihrer Darlegungslast genügen weder Arbeitnehmer noch Arbeitgeber durch die bloße Bezugnahme auf die den Schriftsätzen als Anlagen beigefügten Stundenaufstellungen oder sonstigen Aufzeichnungen. Anlagen können lediglich zur Erläuterung des schriftsätzlichen Vortrags dienen, diesen aber nicht ersetzen (BAG 16. Mai 2012 - 5 AZR 347/11 - NZA 2012, 939; BGH 2. Juli 2007 - II ZR 111/05 - Rn. 25 mwN, NJW 2008, 69; vgl. auch BVerfG 30. Juni 1994 - 1 BvR 2112/93 - zu III 2 a der Gründe, NJW 1994, 2683). Die Darlegung der einzelnen Zeiträume, für die Zuschläge verlangt werden, hat vielmehr entsprechend § 130 Nr. 3 und Nr. 4 ZPO schriftsätzlich zu erfolgen. Beigefügte Anlagen können den schrift-sätzlichen Vortrag erläutern oder belegen, verpflichten das Gericht aber nicht, sich die unstreitigen oder streitigen Arbeitszeiten aus den Anlagen selbst zusammenzusuchen. Dies gilt im Streitfall gerade auch deshalb, weil die Schlüssigkeit der geltend gemachten Ansprüche davon abhängt, an welchen Wochentagen und zu welchen konkreten Uhrzeiten die Arbeit geleistet wurde. 26 27 28 29 - 11 - 5 AZR 628/11 - 12 - 3. Die Höhe der Zuschläge richtet sich nach § 3 Ziff. IV RTV. Hiernach ist für Arbeit an Sonntagen in der Nacht ein Zuschlag von 75 % zu zahlen. Entge-gen der Rechtsauffassung der Beklagten gilt dies auch, wenn die Nachtarbeit am Sonntag zugleich Schichtarbeit ist. Während § 3 Ziff. IV Buchst. c und Buchst. d RTV für Werktage ausdrücklich zwischen Nachtschichtarbeit und Nachtarbeit unterscheidet, findet sich eine solche Unterscheidung in § 3 Ziff. IV Buchst. e RTV für Sonntagsnachtarbeit gerade nicht. 4. § 7 Ziff. V Nr. 1 RTV sieht ein zusätzliches Urlaubsgeld nur für die tariflichen Urlaubstage, nicht aber für den Zusatzurlaub vor. 5. Das Berufungsgericht wird aufzuklären haben, inwieweit die Ansprüche durch weitere Erfüllung iHv. 626,95 Euro brutto erloschen sind. Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf zu den Akten gereichte Abrechnungen behauptet, dass der Kläger weitere 574,43 Euro brutto für Oktober 2008, weitere 31,46 Euro brutto für April 2009 und weitere 21,06 Euro brutto für Mai 2009 erhalten habe. 6. Des Weiteren ist aufzuklären, ob die Beklagte die vermögenswirksamen Leistungen bereits auf das Bausparkonto des Klägers abgeführt hat. Hat die Beklagte ohne Zuzahlung eines von ihr selbst geschuldeten Zuschusses ledig-lich aus der abgerechneten Nettovergütung des Klägers die Beiträge auf das Bausparkonto abgeführt, kann der Kläger noch Zahlung des Arbeitgeberzu-schusses an sich selbst verlangen. In diesem Fall hätte die Beklagte eine entsprechende tarifliche Verpflichtung nicht erfüllt, während der Kläger von seiner eigenen Zahlungsverpflichtung aus dem Bausparvertrag frei geworden wäre. Der Zuschuss des Arbeitgebers wird nur als Bruttobetrag geschuldet. Vermögenswirksame Leistungen sind Geldleistungen, die der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer anlegt. Sie sind insgesamt, dh. auch soweit sie auf einem vom Arbeitgeber zusätzlich zum Lohn gezahlten Zuschuss beruhen, arbeits-rechtlich Bestandteil der Vergütung, sie gehören im Sinne der Sozialversiche-rung zum Arbeitsentgelt und steuerrechtlich zu den Einkünften aus nichtselb-ständiger Arbeit (vgl. BFH 22. September 2011 - III R 57/09 - Rn. 10, BFH/NV 2012, 562; vgl. auch BAG 15. August 1984 - 5 AZR 47/83 - zu II 2 b der Grün-30 31 32 33 - 12 - 5 AZR 628/11 de, BAGE 46, 174). Sollte aber die Beklagte für die streitgegenständlichen Monate keine Zahlungen an die Bausparkasse erbracht haben, kann der Kläger keine Zahlung an sich, sondern nur auf das vermögenswirksame Konto verlan-gen (vgl. BAG 24. September 2003 - 5 AZR 282/02 - zu II 4 d der Gründe, AP BGB § 151 Nr. 3 = EzA BGB 2002 § 615 Nr. 3). Müller-Glöge Laux Biebl Mandrossa Pollert

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