5. Senat - Vereinbarung einer pauschalen Abgeltung von Mehrarbeitsvergütung im Formulararbeitsvertrag - AGB-Kontrolle
Karar Dilini Çevir:
5. Senat - Vereinbarung einer pauschalen Abgeltung von Mehrarbeitsvergütung im Formulararbeitsvertrag - AGB-Kontrolle
- 2 - BUNDESARBEITSGERICHT 5 AZR 765/10 6 Sa 63/10 Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt Im Namen des Volkes! Verkündet am 22. Februar 2012 URTEIL Metze, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle In Sachen Beklagte, Berufungsbeklagte und Revisionsklägerin, pp. Kläger, Berufungskläger und Revisionsbeklagter, hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der Beratung vom 22. Februar 2012 durch den Vizepräsidenten des Bundesarbeitsgerichts Dr. Müller-Glöge, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Dr. Laux, den Richter - 2 - 5 AZR 765/10 - 3 - am Bundesarbeitsgericht Dr. Biebl sowie die ehrenamtliche Richterin Reinders und den ehrenamtlichen Richter Ilgenfritz-Donné für Recht erkannt: 1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Lan-desarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 5. Oktober 2010 - 6 Sa 63/10 - wird zurückgewiesen. 2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen. Von Rechts wegen! Tatbestand Die Parteien streiten über Mehrarbeitsvergütung. Der Kläger war bei der beklagten Spedition als Lagerleiter gegen ein monatliches Bruttoentgelt von 1.800,00 Euro beschäftigt. In dem von der Beklagten vorformulierten Arbeitsvertrag vom 7. Ok-tober 2002 heißt es auszugsweise: „4. Arbeitszeit 4.1. Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt 42 Ar-beitsstunden. 4.2. Die Verteilung der Arbeitszeit auf die Wo-chentage richtet sich nach den betrieblichen Erfordernissen. 4.3. Der Arbeitnehmer(in) ist bei betrieblicher Er-fordernis auch zur Mehrarbeit sowie Sonn-tags- und Feiertagsarbeit verpflichtet. 4.4. Der Arbeitnehmer erhält für die Über- und Mehrarbeit keine weitergehende Vergütung. … 10. Erlöschen von Ansprüchen 10.1. Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Ar-beitsverhältnis erlöschen 2 Monate nach Fälligkeit im laufenden Arbeitsverhältnis und 1 2 3 - 3 - 5 AZR 765/10 - 4 - 1 Monat nach Fälligkeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Ausschlußfrist), wenn sie nicht binnen dieser Frist schriftlich geltend gemacht werden. 10.2. Wird ein geltend gemachter Anspruch inner-halb von 14 Tagen nicht entsprochen, kann er mit einer weiteren Frist von 2 Monaten Klage erheben. 10.3. Nach Ablauf der vorbenannten Fristen sind die Ansprüche verwirkt.“ Aufgrund einer mündlichen Abrede gewährte die Beklagte dem Kläger für die in der Zeit von 18:00 Uhr bis 6:00 Uhr geleisteten Arbeitsstunden einen „Nachtzuschlag“ iHv. 25 % des Stundenlohns. Der „Nachtzuschlag“ wurde in den Entgeltabrechnungen zumeist als steuerfrei ausgewiesen. Mit Anwaltsschreiben vom 9. April 2009 machte der Kläger erstmalig Vergütung von Überstunden geltend. Mit der am 21. September 2009 zugestell-ten Klage hat der Kläger - soweit in der Revision noch von Interesse - Vergü-tung für 968 in den Jahren 2006 bis 2008 geleistete Überstunden verlangt. Der Kläger hat - soweit in der Revision noch von Interesse - beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.534,80 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basis-zinssatz seit dem 22. September 2009 zu zahlen. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Die Überstunden seien mit dem monatlichen Bruttoentgelt abgegolten. Der Kläger habe vereinbarungsge-mäß für Über- und Mehrarbeit nur den vereinbarten „Nachtzuschlag“ erhalten sollen. Darüber hinaus seien die erhobenen Ansprüche verwirkt. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr hinsichtlich der noch streitigen 968 Überstunden stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. 4 5 6 7 8 - 4 - 5 AZR 765/10 - 5 - Entscheidungsgründe Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage im angefochtenen Umfang zu Recht stattgegeben. Der Kläger hat Anspruch auf Vergütung von 968 Überstunden gemäß § 612 Abs. 1 und Abs. 2 BGB iHv. 9.534,80 Euro brutto nebst Prozesszinsen. I. Nach § 612 Abs. 1 BGB gilt eine Vergütung als stillschweigend verein-bart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Unmittelbar ergeben sich hieraus für den Kläger keine Ansprü-che. Die Vorschrift ist aber entsprechend anzuwenden, wenn eine in bestimmter Höhe gewährte Arbeitsvergütung nicht den vollen Gegenwert für die erbrachten Dienstleistungen darstellt, also Überstunden auf diese Weise vergütet werden sollen (BAG 1. September 2010 - 5 AZR 517/09 - Rn. 9 mwN, BAGE 135, 250). 1. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger im Streitzeitraum insgesamt 968 von der Beklagten angeordnete bzw. betriebsnotwendige Überstunden geleistet. 2. Hinsichtlich dieser Stunden gab es keine Vergütungsabrede der Partei-en. a) Die Parteien haben zwar in Tz. 4.4. des Arbeitsvertrags bestimmt, dass der Kläger für Über- und Mehrarbeit keine gesonderte Vergütung erhalte. Diese Regelung ist jedoch nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil sie nicht klar und verständlich ist, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. aa) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts handelt es sich bei der streitigen Klausel um eine von der Beklagten gestellte Allgemeine Ge-schäftsbedingung iSv. § 305 Abs. 1 BGB. bb) Unbeschadet der Frage, ob eine Regelung wie Tz. 4. 4. die Hauptleis-tungspflichten der Parteien betrifft, unterliegt sie jedenfalls nach § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB der Transparenzkontrolle gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Danach 9 10 11 12 13 14 15 - 5 - 5 AZR 765/10 - 6 - kann sich die zur Unwirksamkeit einer Allgemeinen Geschäftsbedingung füh-rende unangemessene Benachteiligung aus der mangelnden Klarheit und Ver-ständlichkeit der Bedingung ergeben. Dieses Transparenzgebot schließt das Bestimmtheitsgebot ein. Es müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschrieben werden, dass für den Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Der Vertragspartner des Klauselverwenders soll ohne fremde Hilfe Gewissheit über den Inhalt der ver-traglichen Rechte und Pflichten erlangen können und nicht von der Durchset-zung bestehender Rechte abgehalten werden. Eine Klausel muss im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Zumutbaren die Rechte und Pflichten des Ver-tragspartners des Klauselverwenders so klar und präzise wie möglich um-schreiben. Sie verletzt das Bestimmtheitsgebot, wenn sie vermeidbare Unklar-heiten und Spielräume enthält (BAG 1. September 2010 - 5 AZR 517/09 - Rn. 14 mwN, BAGE 135, 250; 17. August 2011 - 5 AZR 406/10 - Rn. 13 mwN, EzA BGB 2002 § 612 Nr. 10). cc) Eine die pauschale Vergütung von Überstunden regelnde Klausel ist nur dann klar und verständlich, wenn sich aus dem Arbeitsvertrag selbst ergibt, welche Arbeitsleistungen in welchem zeitlichen Umfang von ihr erfasst werden sollen. Der Arbeitnehmer muss bereits bei Vertragsschluss erkennen können, was gegebenenfalls „auf ihn zukommt“ und welche Leistung er für die verein-barte Vergütung maximal erbringen muss (BAG 1. September 2010 - 5 AZR 517/09 - Rn. 15 mwN, BAGE 135, 250; 17. August 2011 - 5 AZR 406/10 - Rn. 14 mwN, EzA BGB 2002 § 612 Nr. 10). dd) Tz. 4.4. des Arbeitsvertrags ist nicht klar und verständlich. Die Klausel soll Arbeitsstunden erfassen, die die vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit von 42 Stunden überschreiten. Dabei sind bereits die Voraussetzungen, unter denen Überstunden zu leisten sein sollen, nur vage umschrieben. Tz. 4.3. des Arbeitsvertrags nennt als Bedingung „bei betrieblicher Erfordernis“, ohne diese näher zu konkretisieren. Überhaupt nicht ist der mögliche Umfang der geschul-deten Über- und Mehrarbeit geregelt. Damit ist die vom Kläger ohne eine weite-re Vergütung zu leistende Arbeit weder bestimmt noch bestimmbar. Insbeson-16 17 - 6 - 5 AZR 765/10 - 7 - dere lässt sich weder der Klausel selbst noch den arbeitsvertraglichen Bestim-mungen im Übrigen eine Begrenzung auf die gemäß § 3 ArbZG zulässige Höchstarbeitszeit entnehmen. Die Verwendung des Begriffspaares „Über- und Mehrarbeit“ in Tz. 4.4. des Arbeitsvertrags deutet im Gegenteil darauf hin, dass auch eine Überschreitung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit von der Klausel erfasst sein soll (vgl. BAG 17. August 2011 - 5 AZR 406/10 - Rn. 15, EzA BGB 2002 § 612 Nr. 10; ErfK/Preis 12. Aufl. § 611 BGB Rn. 486; HWK/Thüsing 5. Aufl. § 611 BGB Rn. 134). Die Klausel bliebe selbst dann intransparent, wenn sie - einschränkend - dahin auszulegen wäre, dass nur bis zu sechs wöchentliche Überstunden mit der Vergütung abgegolten sein sollten. Denn auch dann ent-hielte sie vermeidbare Unklarheiten und Spielräume. Die Auslegungsbedürftig-keit einer Allgemeinen Geschäftsbedingung führt zwar nicht gleichsam automa-tisch zu deren Intransparenz. Lässt sich jedoch eine Klausel unschwer so for-mulieren, dass das Gewollte klar zu erkennen ist, führt eine Formulierung, bei der das Gewollte allenfalls durch eine umfassende Auslegung ermittelbar ist, zu vermeidbaren Unklarheiten. Wäre eine Einschränkung des Umfangs der Abgel-tungsklausel auf bis zu sechs Stunden wöchentlich gewollt gewesen, hätte die Beklagte das unschwer im Klauseltext durch die Aufnahme dieser Zahl oder zumindest mit einem ausdrücklichen Hinweis auf das Arbeitszeitgesetz und eine danach zulässige wöchentliche Höchstarbeitszeit formulieren können (vgl. BAG 17. August 2011 - 5 AZR 406/10 - Rn. 16 mwN, EzA BGB 2002 § 612 Nr. 10). b) Das Landesarbeitsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstan-dender Weise angenommen, dass die mündlich getroffene Vereinbarung eines „Nachtzuschlags“ keine pauschalierte Überstundenvergütung beinhaltete. Durchgreifende Rügen hat die Revision nicht vorgebracht. 3. Nach § 612 Abs. 1 BGB gilt eine Vergütung als stillschweigend verein-bart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Diese Vergütungserwartung ist im Streitfall gegeben. 18 19 20 - 7 - 5 AZR 765/10 - 8 - a) Einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass jede Mehrarbeitszeit oder jede dienstliche Anwesenheit über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus zu vergü-ten ist, gibt es nicht. Die Vergütungserwartung ist stets anhand eines objektiven Maßstabs unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, der Art, des Umfangs und der Dauer der Dienstleistung sowie der Stellung der Beteiligten zueinander festzustellen, ohne dass es auf deren persönliche Meinung ankommt. Sie kann sich insbesondere daraus ergeben, dass im betreffenden Wirtschaftsbereich Tarifverträge gelten, die für vergleichbare Arbeiten eine Vergütung von Über-stunden vorsehen. Die - objektive - Vergütungserwartung wird deshalb in weiten Teilen des Arbeitslebens gegeben sein (vgl. BAG 17. August 2011 - 5 AZR 406/10 - Rn. 20 mwN, EzA BGB 2002 § 612 Nr. 10; 21. September 2011 - 5 AZR 629/10 - Rn. 31 mwN, EzA BGB 2002 § 612 Nr. 11). Sie wird aber feh-len, wenn arbeitszeitbezogene und arbeitszeitunabhängig vergütete Arbeitsleis-tungen zeitlich verschränkt sind (vgl. BAG 21. September 2011 - 5 AZR 629/10 - Rn. 32, aaO) oder wenn Dienste höherer Art geschuldet sind oder insgesamt eine deutlich herausgehobene Vergütung gezahlt wird (vgl. BAG 17. August 2011 - 5 AZR 406/10 - Rn. 20, 21, aaO). Von letztem Fall wird re-gelmäßig ausgegangen werden können, wenn das Entgelt die Beitragsbemes-sungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitet. Mit dieser dynamischen Verdienstgrenze gibt der Gesetzgeber alljährlich zu erkennen, welche Einkommen so aus dem in der Solidargemeinschaft aller sozialversiche-rungspflichtig Beschäftigten herausragen, dass damit keine weitere Rentenstei-gerung mehr zu rechtfertigen ist. Wer mit seinem aus abhängiger Beschäftigung erzielten Entgelt die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversi-cherung überschreitet, gehört zu den Besserverdienern, die aus der Sicht der beteiligten Kreise nach der Erfüllung ihrer Arbeitsaufgaben und nicht eines Stundensolls beurteilt werden. Ihnen und ihren Arbeitgebern fehlt regelmäßig die objektive Vergütungserwartung für ein besonderes Entgelt als Gegenleis-tung für die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeit. 21 - 8 - 5 AZR 765/10 - 9 - b) Der Kläger erbrachte im Streitfall einheitliche Arbeitsleistungen, für die er - unter Anwendung eines objektiven Beurteilungsmaßstabs - eine zusätzliche Vergütung nach den Bedingungen seines Arbeitsvertrags erwarten durfte. Der Kläger leistete keine Dienste höherer Art und erzielte keine deutlich herausge-hobene Vergütung. Sein Einkommen lag in den Jahren 2006 bis 2008 jeweils deutlich unter der Beitragsbemessungsgrenze Ost. 4. Nach § 612 Abs. 2 BGB ist die übliche Vergütung als vereinbart anzu-sehen. Diese ist vom Landesarbeitsgericht zutreffend auf 9.534,80 Euro brutto bestimmt worden. II. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Ansprü-che des Klägers auf Überstundenvergütung nicht verwirkt sind, weil es an dem erforderlichen Umstandsmoment fehlt. Muss der Verpflichtete davon ausgehen, dass der Berechtigte von den ihm zustehenden Ansprüchen nichts weiß (vgl. BAG 25. April 2001 - 5 AZR 497/99 - BAGE 97, 326; BGH 15. September 1999 - I ZR 57/97 - zu II 4 der Gründe, NJW 2000, 140), kann er nicht darauf vertrau-en, der Berechtigte werde wegen des Zeitablaufs seine Rechte nicht mehr gel-tend machen (vgl. BGH 12. März 2008 - XII ZR 147/05 - zu II 3 der Gründe, NJW 2008, 2254). Dies ist vor allem dann anzunehmen, wenn die Unkenntnis des Berechtigten auf dem Verhalten des Verpflichteten beruht (vgl. BGH 27. Juni 1957 - II ZR 15/56 - zu II 1 der Gründe, BGHZ 25, 47). Hierfür bietet die Verwendung einer unwirksamen AGB-Klausel einen typischen Fall. III. Die Ansprüche des Klägers sind nicht gemäß Tz. 10. des Arbeitsver-trags verfallen. Die als AGB geregelte zweistufige Ausschlussfrist ist unwirk-sam, weil sie den Kläger entgegen den Geboten von Treu und Glauben unan-gemessen benachteiligt, § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB (vgl. BAG 25. Mai 2005 - 5 AZR 572/04 - zu IV 7 der Gründe, BAGE 115, 19; 28. Sep-tember 2005 - 5 AZR 52/05 - Rn. 34 ff., BAGE 116, 66). IV. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. 22 23 24 25 26 - 9 - 5 AZR 765/10 V. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO). Müller-Glöge Laux Biebl Reinders Ilgenfritz-Donné 27

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