5. Senat - Umfang des Forderungsübergangs nach § 115 Abs 1 SGB 10 bei Leistungen nach dem SGB 2 - Bedarfsgemeinschaft
Karar Dilini Çevir:
5. Senat - Umfang des Forderungsübergangs nach § 115 Abs 1 SGB 10 bei Leistungen nach dem SGB 2 - Bedarfsgemeinschaft
- 2 - BUNDESARBEITSGERICHT 5 AZR 61/11 5 Sa 54/10 Landesarbeitsgericht Hamburg Im Namen des Volkes! Verkündet am 21. März 2012 URTEIL Metze, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle In Sachen Beklagter, Berufungsbeklagter und Revisionskläger, pp. Kläger, Berufungskläger und Revisionsbeklagter, hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Ver-handlung vom 21. März 2012 durch den Vizepräsidenten des Bundesarbeitsge-richts Dr. Müller-Glöge, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Dr. Laux, den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Biebl sowie die ehrenamtlichen Richter Zoller und Pollert für Recht erkannt: - 2 - 5 AZR 61/11 - 3 - 1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 8. Dezember 2010 - 5 Sa 54/10 - aufgehoben. 2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entschei-dung - auch über die Kosten der Revision - an das Lan-desarbeitsgericht zurückverwiesen. Von Rechts wegen! Tatbestand Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche. Der Kläger war bei der G (im Folgenden: Schuldnerin) bis zum 29. Februar 2008 zuletzt zu einem Bruttomonatsgehalt von 2.019,94 Euro be-schäftigt. Am 12. November 2007 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter be-stellt. Die Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung und Grundsicherung S (im Folgenden: ARGE) bewilligte dem Kläger und seiner Ehefrau als Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft für die Zeit ab 1. Juni 2007 Leistungen zur Siche-rung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Vertreterin der Bedarfsgemein-schaft und Zahlungsempfängerin war die Ehefrau des Klägers. Der dem Be-scheid beigefügte Berechnungsbogen verteilte die monatlichen Regelleistungen jeweils hälftig auf die Eheleute. Für die Zeit vom 12. August bis zum 11. November 2007 bezog der Kläger Insolvenzgeld. Der Gehaltsanspruch des Klägers für den Zeitraum vom 12. November 2007 bis zum 29. Februar 2008 belief sich auf 7.339,12 Euro brutto. Diesen Anspruch erfüllte der Beklagte zunächst nicht. Der Kläger und seine Ehefrau erhielten weiterhin Leistungen der ARGE nach dem SGB II. Dem Aufforde-rungsschreiben der ARGE vom 16. September 2009, ihr den an den Kläger und seine Ehefrau geleisteten Betrag von 4.183,98 Euro zu erstatten, kam der Be- 1 2 3 4 - 3 - 5 AZR 61/11 - 4 - klagte nach. An den Kläger zahlte er restliche Vergütung iHv. 1.657,96 Euro netto aus. Der Kläger fordert Nachzahlung seines Arbeitsentgelts in Höhe der sei-ner Ehefrau geleisteten Grundsicherung. Er hat zuletzt beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn 7.339,12 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basis-zinssatz seit dem 5. März 2008 zu zahlen, abzüglich be-reits gezahlter Zahlungen iHv. 1.657,96 Euro netto sowie im November 2007 gezahlter 338,19 Euro netto und je-weils gezahlter 563,50 Euro netto für die Monate Dezem-ber 2007 und Januar und Februar 2008. Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Der Kläger sei zurzeit der Abführung der Vergütungsteile an die ARGE nicht mehr Anspruchsinhaber ge-wesen. Sein Vergütungsanspruch sei auch in Höhe der an seine Ehefrau ge-währten Sozialleistungen auf die ARGE übergegangen. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der Revision begehrt der Beklagte die Zurückweisung der Berufung des Klägers. Entscheidungsgründe Die Revision des Beklagten ist begründet. Der Kläger kann vom Be-klagten keine Vergütung für die Zeit vom 12. November 2007 bis zum 29. Fe-bruar 2008 mehr verlangen, soweit die ARGE wegen des Ausbleibens der Ver-gütung im Klagezeitraum Sozialleistungen an die Ehefrau des Klägers erbracht hat. Insoweit ist sein Anspruch auf die ARGE übergegangen. Aufgrund der bis-herigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann der Senat jedoch nicht über den Umfang des Anspruchsübergangs entscheiden. Das führt zur Aufhe-bung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Lan-desarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). 5 6 7 8 9 - 4 - 5 AZR 61/11 - 5 - I. Der Vergütungsanspruch des Klägers ist in Höhe von 7.339,12 Euro brutto für die Zeit vom 12. November 2007 bis zum 29. Februar 2008 entstan-den. Der Senat kann aber nicht entscheiden, in welcher Höhe der Anspruch auf die ARGE übergegangen ist. 1. Gemäß § 115 SGB X ist der Anspruch grundsätzlich in Höhe der an den Kläger persönlich erbrachten Sozialleistungen übergegangen. Der Beklagte hat an den Kläger zunächst kein Arbeitsentgelt gezahlt. Dieser Ausfall war für die Hilfebedürftigkeit, die ihrerseits nach § 7 Abs. 1 Ziffer 3 SGB II Vorausset-zung für Leistungen der Grundsicherung ist, ursächlich (zum Erfordernis der Kausalität, vgl. BAG 26. Mai 1993 - 5 AZR 405/92 - BAGE 73, 186; LAG Meck-lenburg-Vorpommern 2. November 2010 - 5 Sa 91/10 -). 2. Soweit der Leistungsträger an die Ehefrau des Klägers wegen des Ent-geltausfalls im Klagezeitraum Leistungen erbracht hat, kann der Entgeltan-spruch des Klägers gemäß § 115 SGB X iVm. § 34a SGB II (heute § 34b SGB II) gleichfalls auf die ARGE übergegangen sein. a) Nach dem zum Ausgleichsanspruch zwischen Sozialleistungsträgern aus § 104 SGB X entwickelten Prinzip der Personenidentität (vgl. BSG 8. August 1990 - 11 RAr 79/88 - SozR 3-1300 § 104 Nr. 3; 12. Mai 2011 - B 11 AL 24/10 R - Rn. 18 ff., SozR 4-1300 § 107 Nr. 4) muss der Berechtigte für beide in Anspruchskonkurrenz stehenden Ansprüche Gläubiger sein. Der Anspruchsübergang nach § 115 SGB X setzt damit grundsätzlich voraus, dass es sich bei dem Bezieher der Sozialleistung und dem Arbeitnehmer um ein und dieselbe Person handelt. Diese Personenidentität fehlt, wenn Leistungen an andere Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft geflossen sind. Bei einer Bedarfs-gemeinschaft erhalten neben dem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten auch die mit ihm in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen Leistungen nach dem SGB II. Dabei gilt gemäß § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II jede Person der Be-darfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig, wenn in der Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt ist. Das SGB II kennt demzufolge keinen 10 11 12 13 - 5 - 5 AZR 61/11 - 6 - Anspruch der Bedarfsgemeinschaft, sondern ihrer Mitglieder (BSG 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn. 12 mwN, BSGE 97, 217). b) Die Leistungen an bestimmte andere Mitglieder der Bedarfsgemein-schaft „gelten“ jedoch gemäß § 34a SGB II (zeitlicher Anwendungsbereich vom 1. August 2006 bis zum 31. März 2011; seit 1. April 2011 § 34b SGB II) als Aufwendungen des Leistungsträgers für den Arbeitnehmer. Damit geht dessen Entgeltanspruch nach § 115 SGB X auch im Hinblick auf diese Aufwendungen auf die ARGE über. aa) Im Bereich des SGB II wird der Grundsatz der Personenidentität kraft der in § 34a SGB II (heute § 34b SGB II) geregelten Fiktion durchbrochen (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf in BT-Drucks. 16/1410, S. 27). Bestimmt sich das Recht des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende, Ersatz seiner Aufwendungen von einem anderen zu verlangen, gegen den der Leistungsbe-rechtigte einen Anspruch hat, nach sonstigen gesetzlichen Vorschriften, die dem § 33 SGB II vorgehen, gelten als Aufwendungen hiernach auch solche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die an den nicht getrennt le-benden Ehegatten oder Lebenspartner des Hilfebedürftigen sowie an dessen unverheiratete Kinder, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, er-bracht werden. Leistungen an diese Personen gelten damit als Aufwendungen im Sinne aller dem § 33 SGB II vorgehenden „Ersatzansprüche“. Zu diesen gehört auch der Anspruchsübergang nach § 115 SGB X. Die in § 34a SGB II (heute § 34b SGB II) normierte Durchbrechung des Grundsatzes der Personenidentität dient dem Zweck, den Nachrang der staatli-chen Fürsorgeleistung nach dem SGB II zu gewährleisten (vgl. BSG 12. Mai 2011 - B 11 AL 24/10 R - Rn. 19 ff., SozR 4-1300 § 107 Nr. 4; LAG Niedersach-sen 23. Juni 2011 - 4 Sa 1859/10 -; Arbeitsgericht Würzburg 22. Februar 2010 - 6 Ca 1084/09 -; Grote-Seifert in Schlegel/Voelzke SGB II 2. Aufl. § 34a Rn. 4, 11; Fügemann in Hauck/Noftz SGB II Stand Februar 2012 § 34a Rn. 4 ff.; Nehls in Hauck/Noftz SGB X § 115 Rn. 10; Link in Eicher/Spellbrink 2. Aufl. SGB II § 34a Rn. 14, 19; Sauer in Sauer SGB II 2011 § 34b Rn. 2a, b, 7; Cantzler in Löns/Herold-Tews SGB II 3. Aufl. § 34b Rn. 2, 3, 4; Schwitzky in Münder LPK- 14 15 16 - 6 - 5 AZR 61/11 - 7 - SGB II 4. Aufl. § 34a Rn. 3; Maul-Sartori BB 2010, 3021, 3023; ders. jurisPR-ArbR 29/2011 Anm. 3). bb) Der Anspruchsübergang bei Arbeitsentgeltansprüchen nach § 115 SGB X geht der allgemeinen Vorschrift des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II vor (§ 33 Abs. 5 SGB II). Die Erweiterung des Anspruchsübergangs gemäß den § 34a SGB II (heute § 34b SGB II) kommt somit bei Arbeitsentgeltansprüchen zum Tragen. cc) Inhaltlich erfasst der Anspruchsübergang ausschließlich Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, dh. die pauschalen Regelleistungen Arbeitslo-sengeld II und Sozialgeld (Regelbedarf zuzüglich möglicher Mehrbedarfe ein-schließlich der Kosten für Unterkunft und Heizung). dd) Der Kläger hatte gegen den Beklagten Anspruch auf Arbeitsentgelt und die ARGE erbrachte an die nicht getrennt lebende Ehefrau des Klägers Leis-tungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. 3. Ein Anspruchsübergang nach § 115 SGB X setzt weiter voraus, dass der Sozialleistungsträger berechtigterweise mit eigenen Leistungen eingetreten ist, weil der Arbeitgeber unberechtigterweise seiner Leistungspflicht nicht nach-gekommen ist (Kausalität). Zweck der Vorschrift ist es, dem Sozialleistungsträ-ger die Leistungen zurückzuerstatten, die nicht angefallen wären, wenn der Arbeitgeber seiner Leistungspflicht rechtzeitig nachgekommen wäre. a) Die dafür notwendige zeitliche Kongruenz (vgl. BAG 26. Mai 1993 - 5 AZR 405/92 - BAGE 73, 186; Bieresborn in von Wulffen SGB X 7. Aufl. § 115 Rn. 4) ist gegeben. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Ehefrau des Klägers im Klagezeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erhalten. b) Wie bei den Leistungen an den Arbeitnehmer selbst geht der Vergü-tungsanspruch gemäß § 115 SGB X iVm. § 34a SGB II (heute § 34b SGB II) nur in Höhe der Aufwendungen für Grundsicherungsleistungen über, die dem Leistungsträger gerade wegen des Verdienstausfalls entstanden sind (BAG 17 18 19 20 2 1 22 - 7 - 5 AZR 61/11 - 8 - 26. Mai 1993 - 5 AZR 405/92 - BAGE 73, 186; LAG Mecklenburg-Vorpommern 2. November 2010 - 5 Sa 91/10 -). aa) Die Kausalität ist bei Leistungen an die Mitglieder einer Bedarfsgemein-schaft grundsätzlich gegeben, wenn das Arbeitsentgelt eines Mitglieds ausfällt. Nach § 9 Abs. 2 SGB II ist bei der Feststellung der Hilfebedürftigkeit eines Mit-glieds der Bedarfsgemeinschaft nämlich das Einkommen bestimmter anderer der Gemeinschaft angehörender Personen zu berücksichtigen. Hierzu gehören zunächst der Partner, also nach der Begriffsbestimmung in § 7 Abs. 3 Ziffer 3 SGB II der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte, Lebenspartner oder ehe- bzw. partnerschaftsähnliche Lebensgefährte. Bei der Feststellung der Bedürf-tigkeit eines unverheirateten Kindes, das mit den Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, ist auch Einkommen der Eltern oder des Part-ners eines Elternteils zu berücksichtigen. Hierdurch wird die Hilfebedürftigkeit aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft fingiert, selbst wenn das individuelle Einkommen eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft seinen eigenen Bedarf übersteigt. bb) Soweit Sozialleistungen selbst dann gewährt werden müssen, wenn der Arbeitgeber seiner Vergütungspflicht rechtzeitig und vollständig nachkommt, findet ein Anspruchsübergang nicht statt. Die Höhe des Anspruchsübergangs hängt deshalb zunächst davon ab, in welchem Umfang Einkommen des Arbeitnehmers nicht auf die gewährten Sozialleistungen anzurechnen ist. Kausal für den Bezug von Arbeitslosengeld II und damit übergangsbegründend kann nur solches Arbeitseinkommen sein, das im Falle pünktlicher Zahlung auf die SGB II-Leistungen Anrechnung gefunden hätte. Beträge, die auch bei rechtzeitiger Leistung des Arbeitgebers vom Ein-kommen des Arbeitnehmers hätten abgesetzt werden müssen, stehen einem Anspruchsübergang in dieser Höhe entgegen. Die Absetzungsbeträge nach § 30 SGB II idF bis 31. Dezember 2010 (heute § 11b SGB II) - insbesondere die Arbeitnehmer-Freibeträge - verringern deshalb den auf den Leistungsträger übergehenden Entgeltteil (LAG Mecklenburg-Vorpommern 2. November 2010 - 5 Sa 91/10 -; Kater in Kassler Kommentar Sozialversicherungsrecht Stand 23 24 25 - 8 - 5 AZR 61/11 Dezember 2011 Band 2 § 115 SGB X Rn. 31d; Maul-Sartori BB 2010, 3021, 3024). Andernfalls würde der mit dem Arbeitnehmerfreibetrag bezweckte Er-werbsanreiz (vgl. BT-Drucks.15/1516 S. 59) unterlaufen. Von welchem Netto-erwerbseinkommen und welchen Absetzungsbeträgen die ARGE im Klagezeit-raum ausgegangen ist, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Insbe-sondere hat das Landesarbeitsgericht nicht geklärt, ob die ARGE nicht auch dann (ergänzende) Leistungen hätte erbringen müssen, wenn der Beklagte die Vergütung rechtzeitig und vollständig an den Kläger gezahlt hätte. Diese Fest-stellungen wird das Landesarbeitsgericht nachzuholen haben. II. Sollte nach den noch zu treffenden Feststellungen des Landesarbeits-gerichts unter Berücksichtigung der vom Beklagten tatsächlich erbrachten Zah-lungen überhaupt noch ein Differenzvergütungsanspruch des Klägers bestehen, ist zu beachten, dass der Kläger Zinsen auf die verspätet erfüllten Vergütungs-teile nur bis zum Eingang der Sozialleistungen und der weiteren Zahlungen verlangen kann (vgl. BAG 19. Mai 2010 - 5 AZR 253/09 - Rn. 16, AP BGB § 310 Nr. 13 = EzA BGB 2002 § 310 Nr. 10; 19. März 2008 - 5 AZR 429/07 - Rn. 15 f., BAGE 126, 198). Müller-Glöge Laux Biebl Zoller Pollert 26

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