5 Ni 27/16 (EP) - 5. Senat (Nichtigkeit)
Karar Dilini Çevir:

BPatG 253
08.05

BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES

5 Ni 27/16 (EP)
(Aktenzeichen)

URTEIL


Verkündet am
14. März 2017





In der Patentnichtigkeitssache



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betreffend das europäische Patent 1 315 585
(DE 601 15 061)

hat der 5. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 14. März 2017 durch den Vorsitzenden Richter Voit,
den Richter Dr. agr. Huber, die Richterin Martens sowie die Richter
Dipl.-Ing. Univ. Rippel und Dr.-Ing. Dorfschmidt

für Recht erkannt:


I. Das europäische Patent 1 315 585 wird mit Wirkung für das
Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig er-
klärt.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Nebenintervenientin trägt ihre Kosten selbst.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 %
des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreck-
bar.


Tatbestand

Die Beklagte war bei Klageerhebung am 1. März 2016 eingetragene Inhaberin des
auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten
europäischen Patents 1 315 585 (Streitpatent), das auf die PCT-Anmeldung
US 2001/041707 vom 14. August 2001 zurückgeht und die Prioritäten zweier US-
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Anmeldungen vom 8. September 2000 (US 231108 P) und vom 10. August 2001
(US 927660) in Anspruch nimmt. Das Streitpatent trägt in der deutschen Überset-
zung die Bezeichnung: „Verfahren zum Verringern und Maßwalzen von Eisen-
warmwalzprodukten“ und wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem
Aktenzeichen 601 15 061.9 geführt.

Anspruch 1 nach der Streitpatentschrift EP 1 315 585 B1 lautet in der englischen
Verfahrenssprache wie folgt:





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In deutscher Übersetzung nach der Streitpatentschrift lautet Anspruch 1 wie folgt:




Die ebenfalls mit der Nichtigkeitsklage angegriffenen Unteransprüche 2 bis 4 sind
unmittelbar bzw. mittelbar auf Anspruch 1 rückbezogen. Wegen deren Wortlauts
wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.

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Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, die im Streitpatent bean-
spruchte Erfindung sei nicht nacharbeitbar. Somit liege der Nichtigkeitsgrund feh-
lender Ausführbarkeit nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1
lit. b EPÜ vor. Zudem beruhe der Gegenstand des Streitpatents nicht auf einer er-
finderischer Tätigkeit, da er dem Fachmann zum Prioritätszeitpunkt aufgrund des
Standes der Technik nahegelegen habe (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m.
Art. 138 Abs. 1 lit. a EPÜ, Art. 56 EPÜ.

Zur fehlenden Patentfähigkeit beruft sich die Klägerin auf folgenden Unterlagen:

Anlage LS-IP 4: US 6 085 565 A (D1)
Anlage LS-IP 4a: DE 696 18 910 T2
Anlage LS-IP 5: US 5 325 697 A (D2)
Anlage LS-IP 5a: DE 696 01 993 T2 (D2A)
Anlage LS-IP 6: Hein/Fabris - Precision Rolling System (PRS) – A new
dimension in sizing systems (D3)
Anlage LS-IP 8: Hein/Fabris - Precision Rolling System for Long
Produkts (D4)
Anlage LS-IP 9: US 6 216 517 B1 (D5)
Anlage LS-IP 9a: WO 99/25499 A1
Anlage LS-IP 10: Artikel KAWASAKI STEEL TECHNICAL REPORT
No. 74 „Development of High Dimensional Accuracy
Smaller Diameter Wire Rods and Square Coils Manu-
factured by 4-Roll Mill (D6)
Anlage LS-IP 11: Bericht der Firma KAWASAKI mit dem Titel
“Development of High Dimensional Accuracy Smaller
Diameter Wire Rods and Bars” (D7)
Anlage LS-IP 11a: Bericht der Firma KAWASAKI mit englischen
Übersetzungen in roter Schrift
Anlage LS-IP 12: US 5 363 682 A (D8)
Anlage LS-IP 13: US 6 405 573 B1 (D9)
Anlage LS-IP 14: JP 05038501 A (D10)
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Anlage LS-IP 15: JP 09225502 A (D11)
Anlage LS-IP 16: DE 199 19 778 A1 (D12)
Anlage LS-IP 16a: US 6 205 835 B1
Anlage LS-IP 17: DE 43 35 218 A1 (D13)
Anlage LS-IP 17a: CA 2 118 295 A1
Anlage LS-IP 18: DE 34 45 219 A1 (D14)

Die Klägerin beantragt,

das europäische Patent 1 315 585 mit Wirkung für das Hoheitsge-
biet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Klage abzuweisen, soweit das Streitpatent mit den
Hilfsanträgen 1 bis 4, eingereicht mit Schriftsatz vom
9. März 2017, verteidigt wird.

Die Klägerin beantragt auch insoweit die Nichtigerklärung; hilfsweise beantragt sie
die Vertagung des Rechtsstreits und weiter hilfsweise die Gewährung einer
Schriftsatzfrist zur Erwiderung auf den Schriftsatz der Beklagten vom
9. März 2017.

Im Laufe der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte einen weiteren Hilfsantrag
überreicht (Hilfsantrag 5), mit dem sie das Streitpatent verteidigt. Die Klägerin rügt
diesen als verspätet.

Der jeweilige Patentanspruch 1 nach den Hilfsanträgen 1 bis 5 lautet ergänzt um
eine Merkmalsgliederung wie folgt:

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Hilfsantrag 1


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Hilfsantrag 2


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Hilfsantrag 3


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Hilfsantrag 4


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Anspruch 1 nach Hilfsantrag 5 entspricht der Fassung nach Hilfsantrag 4, wobei
jedoch das Merkmal 4.1.1 gestrichen und ein neues Merkmal 5.2.1 nach Merk-
mal 5.2 eingefügt ist.
Merkmal 5.2.1 lautet wie folgt

„5.2.1 with from about 1.8 – 17% occuring in roll pass P3 and from about
1.2 – 10% occuring in roll pass P4”

Die Beklagte und die Nebenintervenientin treten den Ausführungen der Klägerin in
allen Punkten entgegen. Die Lehre des Streitpatents sei für den Fachmann aus-
führbar. Jedenfalls in einer der verteidigten Fassungen sei der Gegenstand des
Streitpatents auch patentfähig.

Zur Stützung ihres Vortrags verweist die Beklagte auf folgende Unterlagen

NiB 2 Figuren 6-9 aus dem Fachbuch „Hot Rolling Steel“ von
William L. Roberts
NiB 9 Auszug aus Klaus Lochmann, Formelsammlung
Fertigungstechnik (3. Aufl.)
NiB 10 Auszug aus Leo Altig, Manufacturing Engineering Processes
(2. Aufl.)
NiB 11 ISO- Norm 16124

Der Senat hat den Parteien mit einem Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG vom
24. November 2016 die Gesichtspunkte mitgeteilt, die für die Entscheidung
voraussichtlich von besonderer Bedeutung sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist in der Sache begründet, denn der mit ihr geltend gemachte
Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit gemäß Artikel II § 6 Absatz 1
Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a) EPÜ i. V. m. Art. 56 EPÜ ist gegeben,
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weil sowohl die erteilte Fassung des Streitpatents als auch die Fassungen nach
den Hilfsanträgen 1 bis 5 sich als nicht patentfähig erweisen. Das Streitpatent ist
daher insgesamt für nichtig zu erklären.

I. Zum Gegenstand des Streitpatents

1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zum kontinuierlichen Fertigwalzen eines
Eisenwerkstücks mit einem runden Querschnitt zu einem Fertigrundelement, wie
es in den Figuren 1 bis 3 gezeigt und im Streitpatent beschrieben ist. Ein derarti-
ges Verfahren wird gemäß den Ausführungen in Absatz [0002] der deutschen
Übersetzung DE 601 15 061 T2 der Streitpatentschrift auch beim sog. Maßwalzen
oder freien Maßwalzen angewendet.

Nach den Ausführungen in Absatz [0003] wurden bislang unterschiedliche Techni-
ken zum Maßwalzen entwickelt. Jedoch würden bei den bekannten Verfahren zum
Fertigwalzen eines Eisenwerkstücks mit einem runden Querschnitt zu einem Fer-
tigrundelement nach den Ausführungen in den Absätzen [0005] bis [0010] dop-
pelte Mikrostrukturen auftreten, wobei die Körnungen im Querschnitt des Produkts
um mehr als etwa 2 ASTM Körnungsnummern variieren würden, was zum Aufrei-
ßen und zu Oberflächeneinrissen bei nachfolgenden Biege- und Kaltziehvorgän-
gen führen könne. Andere Maßwalzverfahren, die drei und vier Walzdurchgänge
durchführten, seien im Vergleich zu zwei Walzdurchgängen wesentlich weniger
effizient, wenn es darum gehe, eine ausreichende Durchdringung der Verformung
in der Mitte des Produkts und somit eine gleichförmige Körnungsstruktur von der
Mitte zur Oberfläche des Produkts zu erreichen.
Die Aufgabe der vorliegenden Erfindung besteht gemäß den Ausführungen in Ab-
satz [0015] darin, ein verbessertes Verfahren zum Warmwalzen von Langerzeug-
nissen zu schaffen, das in der Lage ist, Maßwalztoleranzen und im Wesentlichen
gleichförmige Mitte-Oberfläche-Körnungsstrukturen zu erreichen und das auch
eine größere Bandbreite für freies Maßwalzen ermöglicht.

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2. Das Streitpatent wendet sich an einen Diplom-Ingenieur auf dem Gebiet des
Maschinen- und Anlagenbaus mit Spezialkenntnissen im Hüttenwesen und mehr-
jähriger einschlägiger Berufserfahrung.

3. Das Verfahren nach Anspruch 1 gemäß erteilter Fassung (Hauptantrag) lässt
sich in deutscher Übersetzung in folgende Merkmale gliedern:

1 Verfahren zum kontinuierlichen Fertigwalzen eines Eisenwerkstücks zu
einem Fertigrundelement,
1.1 wobei das Werkstück einen runden Querschnitt hat, umfassend:
2 Walzen des Werkstücks (10)
2.1 in aufeinanderfolgenden ersten und zweiten Walzdurchgän-
gen (P1, P2)
2.2 bei erhöhter Temperatur zwischen 650 und 1000°C,
3 wobei die ersten und zweiten Walzdurchgänge (P1, P2)
3.1 jeweils von zwei Arbeitswalzen (12, 16) begrenzt werden
3.2 und so dimensioniert sind, dass sie eine kombinierte große
Verringerung in der Querschnittfläche des Werkstücks von
mindestens etwa 20 - 55% bewirken,
3.2.1 mit einer begleitenden effektiven Spannungsfigur, die durch
eine Konzentration der maximalen effektiven Spannung in
einem mittleren Bereich der Querschnittfläche gekennzeichnet
ist;
3.3 und der erste und zweite Walzdurchgang (P1, P2) so konfiguriert
sind, dass sie dem Werkstück zunehmend verringerte ovale und
runde Querschnitte vermitteln, und
4 das fortgesetzte Walzen des Werkstücks in mindestens dritten und
vierten aufeinanderfolgenden Walzdurchgängen (P3, P4);
4.1 während die effektive Spannungsfigur durch eine Konzentration
der maximalen effektiven Spannung in einem mittleren Bereich der
Querschnittfläche bestimmt bleibt
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4.2 wobei die dritten und vierten Walzdurchgänge (P3, P4) so
konfiguriert sind, dass sie dem Werkstück einen weiteren
zunehmend verringerten runden Querschnitt [mitteilen] vermitteln;
dadurch gekennzeichnet, dass
5 der dritte und der vierte Walzdurchgang (P3, P4)
5.1 durch mindestens drei Walzen (20, 24) definiert sind, und
5.2 so dimensioniert sind, dass eine weitere kombinierte Reduzierung
der Querschnittfläche des Werkstücks bewirkt wird, die im
Vergleich mit der großen Verringerung relativ klein ist und nicht
mehr als 3 - 25% beträgt.

Nach dem mit Hilfsantrag 1 verteidigten Patentanspruch 1 ist gegenüber der Fas-
sung nach Hauptantrag das Merkmal 3.2.2 ergänzt:

3.2.2 wobei etwa 11 bis 28% der kombinierten großen Verringe-
rung in der Querschnittsfläche des Werkstücks in dem ersten
Walzdurchgang stattfindet;

Nach dem mit Hilfsantrag 2 verteidigten Patentanspruch 1 ist gegenüber der Fas-
sung nach Hauptantrag das Merkmal 4.1.1 ergänzt:

4.1.1 wobei die kleinsten Korngrößen im innersten Bereich a4 des
Querschnittes des Walzgutes und zunehmend größere Kör-
nern in den umgebenden Bereichen des Querschnittes b4-f4
auftreten;

Nach dem mit Hilfsantrag 3 verteidigten Patentanspruch 1 ist gegenüber der Fas-
sung nach Hilfsantrag 2 das Merkmal 4.3 ergänzt:

4.3 wobei das Walzen in den dritten und vierten Walzdurchgän-
gen (P3, P4) vor dem Auftreten mikrostruktureller Verände-
- 15 -
rungen infolge von Rekristallisation und Erholung fortgesetzt
wird;

Nach dem mit Hilfsantrag 4 verteidigten Patentanspruch 1 ist gegenüber der Fas-
sung nach Hilfsantrag 3 das Merkmal 5.3 ergänzt:

5.3 wobei nach dem Abkühlen zu einem Zustand des thermi-
schen Gleichgewichts das Werkstuck eine Korngrößenvaria-
tion über seinen Querschnitt von nicht mehr als etwa 2
ASTM Korngrößennummern aufweist.

Nach dem mit Hilfsantrag 5 verteidigten Patentanspruch 1 ist gegenüber der Fas-
sung nach Hilfsantrag 4 das Merkmal 5.3 ergänzt, jedoch das Merkmal 4.1.1 ge-
strichen:

5.2.1 wobei 1,8 – 17% im Walzdurchgang P3 und etwa 1,2% bis
10% im Walzdurchgang P4 stattfinden.

4. Der Fachmann geht bei der Auslegung des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag
von folgendem Verständnis aus: Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zum konti-
nuierlichen Fertigwalzen eines Eisenwerkstücks zu einem Fertigrundelement.
Bei dem streitpatentgemäßen Verfahren hat das (Eisen-)Werkstück (10a) im Aus-
gangszustand zunächst einen runden Querschnitt, wie auch in Figur 1 gezeigt.
Dementsprechend ist dieses auch in der Beschreibung im Absatz [0024] als
Rundbearbeitungsabschnitt (10a) mit gleichem Bezugszeichen bezeichnet. Auch
in Patentanspruch 1 ist es als Merkmal festgelegt, jedoch dort zwar abweichend
von der vom Senat vorgenommenen Gliederung nicht gleich als Merkmal 1.1,
sondern erst unmittelbar vor dem Kennzeichen. Weil jedoch bei allen Walzdurch-
gängen die jeweiligen Querschnittsformen gesondert durch eigens darauf gerich-
tete Merkmale festgelegt sind, kann sich dieses Merkmal somit nur auf das (Eisen-
)Werkstück (10a) im Ausgangszustand beziehen. Dieses zunächst runde Werk-
stück wird nach den Merkmalen 2, 2.1 und 2.2 bei erhöhter Temperatur zwischen
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650 und 1000°C in aufeinanderfolgenden ersten und zweiten Walzdurchgängen
und anschließend entsprechend Merkmal 4 durch fortgesetztes Walzen in min-
destens dritten und vierten aufeinanderfolgenden Walzdurchgängen gewalzt. Dar-
aus erkennt der Fachmann, dass es sich vorliegend um ein Warmwalzen oberhalb
der Rekristallisationstemperatur des Metallwerkstücks handelt, bei der innerhalb
eines Kristalls Gefügeveränderungen infolge von Kornneubildungen stattfinden.
Die Rekristallisierung findet im Gefüge statt, wenn eine Umformung, hier in Form
des Walzdurchgangs, aufgebracht wird, die über dem kritischen Umformgrad liegt.

Hierbei werden nach Merkmal 3.1 die ersten und zweiten Walzdurch-
gänge (P1, P2), wie in den Figuren 1 und 2 ersichtlich, jeweils von zwei Arbeits-
walzen (12, 16) begrenzt. Die ersten und zweiten Walzdurchgänge (P1, P2) sind
so dimensioniert, dass sie nach Merkmal 3.2 eine kombinierte Verringerung in der
Querschnittfläche des Werkstücks von mindestens etwa 20%-55% bewirken und
sind nach Merkmal 3.3 so konfiguriert, dass sie dem Werkstück zunehmend ver-
ringerte ovale und runde Querschnitte vermitteln. Dies legt fest, dass das anfangs
mit rundem Querschnitt vorliegende Werkstück (10a) nach dem ersten und dem
zweiten Walzdurchgang jeweils immer nur entweder einen ovalen oder einen run-
den Querschnitt aufweist. Speziell Merkmal 3.2 bewirkt eine plastische Verfor-
mung des Werkstücks derart, dass die Querschnittfläche – unabhängig davon, ob
oval oder rund – um die angegebene Prozentzahl verringert wird. Dies bedeutet
nichts anderes als die Ausübung eines entsprechenden Drucks auf das zu wal-
zende Material, so dass das restliche Material des Werkstücks (zwangsläufig) in
Längsrichtung fließt und folglich zu einer Verlängerung des Werkstücks führt.

Nach Merkmal 3.2.1 sollen die ersten und zweiten Walzdurchgänge (P1, P2) so
durchgeführt werden, dass jeweils eine sogenannte „Spannungsfigur“ im Quer-
schnitt des gewalzten Eisenwerkstücks entsteht, bei der – gemäß der Überset-
zung der Streitpatentschrift – eine Konzentration der „maximalen effektiven Span-
nung“ in einem mittleren Bereich der Querschnittfläche auftritt (u. a. [0031] der
DE 601 15 061 T2).

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Diese „Spannungsfigur“ (in der engl. Originalfassung „strain pattern“ bezeichnet)
beschreibt eine Figur und somit ein Muster oder eine Verteilung der sogenannten
„effektiven Spannungen“ bzw. „effektive plasic strain“, wie in den Figuren 2a bis 2d
der Streitpatentschrift gezeigt, wobei der Fachmann nach dem Vortrag der Be-
klagten (s. a. Seiten 2 bis 4 des Schriftsatzes vom 9.3.2017 der Beklagten) unter
Verweis auf die Anlage NiB 10 unter dem verwendeten Begriff der „effektiven
Spannung“ bzw. „effektive plasic strain“ die Vergleichsformänderung versteht, de-
ren Werte aus einer auf der Finite-Elemente-Methode (FEM) basierenden Simula-
tion des Walzvorgangs numerisch berechnet werden können.

Die Finite-Elemente-Methode ist ein weitverbreitetes numerisches Simulations-
verfahren, bei dem ein zu untersuchendes Bauteil, zunächst in ein Modell mit einer
endlichen (finiten) Anzahl von Subbereichen (Elementen) unterteilt wird und über
Ansatzfunktionen und Randbedingungen die kontinuumsmechanischen Zusam-
menhänge innerhalb der Subbereiche über Differentialgleichungen beschrieben
werden. Durch entsprechende Algorithmen lässt sich das Gesamtverhalten der
Struktur aus dem Verhalten der Subbereiche berechnen.
Demnach ist das erzeugte Muster oder die erzeugte Verteilung von den aus einer
Simulation ermittelten Werten der Vergleichsformänderung (im Streitpatent „effek-
tive Spannung“ bzw. „effektive plasic strain“ genannt) derart, dass die maximalen
Werte in einem mittleren Bereich der Querschnittfläche konzentriert sind, wie sie
durch die Linien „a“ in den Figuren 2 und 3 gezeigt sind, während sie zu den
Randbereichen der Werkstückquerschnittfläche hin abnehmen, wie auch in Ab-
satz [0030] beschrieben.

Der im Merkmal 4 verwendete Begriff „fortgesetztes Walzen“ vermittelt dem
Fachmann, dass die (mindestens) dritten und vierten Walzdurchgänge unmittelbar
anschließend an die ersten und zweiten Walzdurchgänge stattfinden – also auch
bei den erhöhten Temperaturen zwischen ca. 650 und 1000°C, wie dies auch im
Absatz [0029] des Streitpatents beschrieben ist. Nach Merkmal 4.2 sind bei dem
fortgesetzten Walzen des Werkstücks die dritten und vierten Walzdurch-
gänge (P3, P4) so konfiguriert, dass sie dem Werkstück einen weiteren zuneh-
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mend verringerten runden Querschnitt vermitteln. Nach Merkmal 4.1, das in der
Anspruchsfassung unmittelbar nach Merkmal 3.2.1 folgt, soll nach den ersten und
zweiten Walzdurchgängen (P1, P2) im Folgenden (was sich somit nur auf die
dritten und vierten Walzdurchgänge beziehen kann) „die effektive Spannungsfigur
durch eine Konzentration der maximalen effektiven Spannung in einem mittleren
Bereich der Querschnittfläche“ bestimmt bleiben, so dass sich somit die „effektive
Spannungsfigur“ gegenüber der im Merkmal 3.2.1 beschriebenen Anordnung
durch die dritten und vierten Walzdurchgänge nicht (qualitativ) verändert.

Nach den kennzeichnenden Merkmalen 5.1 und 5.2 sind der dritte und der vierte
Walzdurchgang (P3, P4) jeweils durch mindestens drei Walzen (20, 24) definiert,
und diese sind nach Merkmal 5.2 so dimensioniert, dass eine weitere kombinierte
Reduzierung der Querschnittfläche des Werkstücks bewirkt wird, die im Vergleich
mit der großen Verringerung relativ klein ist (d. h. mit geringerem Druck arbeitet)
und nicht mehr als 3 - 25% beträgt.

Nach der Lehre des Streitpatents treten doppelte Mikrostrukturen dann auf, wenn
die Körnungen im Querschnitt des Produkts um mehr als etwa 2 ASTM Körnungs-
nummern variieren. Nach den Ausführungen im Absatz [0017] der Streitpatent-
schrift ist es eine wesentliche Erkenntnis des Streitpatents, dass zur Vermeidung
dieser Korngrößenvariation um mehr als 2 ASTM Körnungsnummer zunächst in
aufeinanderfolgenden ersten und zweiten Walzdurchgängen sog. „Starkverringe-
rungen“, also hohe Umformgrade stattfinden sollen, mit denen beim Warmwalzen
bekanntermaßen ein feinkörniges Gefüge erzeugt werden kann, während evtl.
weitere Maßwalzdurchgänge mit geringen Umformgraden sofort anschließend
stattfinden, „..bevor es zu mikrostrukturellen Änderungen im Gefüge infolge von
Rekristallisation und Erholung kommt“.

II. Zum Nichtigkeitsgrund fehlender Patentfähigkeit

1. Die erteilte Fassung von Anspruch 1 war dem Fachmann am Prioritätstag
nahegelegt.
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Die in der Streitpatentschrift als Ausgangspunkt genannte Druckschrift
US 5 325 697 A (im Folgenden als D2 gemäß Anlage LS-IP 5 bezeichnet) bildet –
soweit auch zwischen den beiden Parteien unstrittig – den nächstliegender Stand
der Technik, weil sie bereits auch schon nach Spalte 1, Zeilen 12 bis 16 ein Ver-
fahren zum kontinuierlichen Warmwalzen (hot rolling) und insbesondere nach
Spalte 3, Zeilen 53 bis 65 ein Verfahren zum (freien) Maßwalzen von Eisenstan-
gen und –stäben und daher ein Verfahren zum kontinuierlichen Fertigwalzen eines
Eisenwerkstücks zu einem Fertigrundelement gemäß Merkmal 1 betrifft und dabei
– ähnlich wie das Streitpatent – ebenfalls doppelte Mikrostrukturen vermeiden will.

Zu diesem Zweck sieht die Druckschrift D2 gemäß Anlage LS-IP 5, entsprechend
der Darstellung in Figur 4, eine Anordnung von mehreren Walzgerüsten vor, die
auch einen sog. „Post-Finishing Block“ (20) umfasst. Dieser „Post-Finishing
Block“ (20) weist zwei Reduktions-Gerüste (heavy reduction roll stands S28, S29)
gefolgt von zwei Maßwalzgerüsten (lighter reduction sizing roll stands S30, S31)
auf und ermöglicht daher auch entsprechend den Merkmalen 2, 2.1 und 4 das
Walzen in ersten und zweiten, sowie unmittelbar anschließend ein fortgesetztes
Walzen in dritten und vierten Walzdurchgängen, wobei das Werkstück entspre-
chend der Darstellung in Figur 3 nach Verlassen des vorgeschalteten Walzge-
rüsts (27) und somit unmittelbar vor dem Eingang in den „Post-Finishing
Block“ (20) einen runden Querschnitt aufweist, so dass auch Merkmal 1.1 i. S. des
Streitpatents verwirklicht ist.
Die Reduktions-Gerüste (S28, S29) und somit die ersten und zweiten Walzdurch-
gänge werden von jeweils zwei Arbeitswalzen begrenzt (Figur 4) und sind nach
den Ausführungen auf Spalte 4, Zeilen 46 bis 48 so dimensioniert, dass sie eine
große kombinierte Gesamtquerschnittsreduktion des Werkstücks von etwa 20%
bis 50% bewirken (Merkmale 3.1 und 3.2). Weiterhin haben die ersten und zweiten
Walzdurchgänge nach den Ausführungen in Spalte 4, Zeilen 18 bis 22 vorteilhaf-
terweise eine oval-runde Kalibersequenz, so dass die ersten und zweiten
Walzdurchgänge entsprechend Merkmal 3.3 so konfiguriert sind, dass sie dem
Werkstück zunehmend verringerte ovale und runde Querschnitte vermitteln.

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Wie die Figur 4 mit Block 20 der D2 gemäß Anlage LS-IP 5 zeigt, findet nach den
ersten und zweiten Walzdurchgängen (S28, S29) unmittelbar anschließend das
fortgesetzte Walzen des Werkstücks in dritten und vierten aufeinanderfolgenden
Walzdurchgängen (S30, S31) in einem Temperaturbereich von ca. 800°C statt,
der vollständig in dem vom Streitpatent beanspruchten Bereich von 650° bis
1000°C liegt, so dass auch das Merkmal 2.2 bei dem bekannten Verfahren nach
der D2 verwirklicht ist.

Die beiden Maßwalzgerüste (S30, S31) und somit die dritten und vierten
Walzdurchgänge haben nach den Ausführungen auf Spalte 4, Zeilen 46 bis 48
eine rund-runde Kalibersequenz und sind deshalb so konfiguriert, dass sie dem
Werkstück entsprechend Merkmal 4.2 einen weiteren zunehmend verringerten
runden Querschnitt mitteilen. Dabei sind nach den Ausführungen in Spalte 4, Zei-
len 46 bis 51 die dritten und vierten Walzdurchgänge bereits so dimensioniert,
dass eine weitere kombinierte Reduzierung der Querschnittsfläche des Werk-
stücks bewirkt wird, die „etwa 2 bis 15%“ beträgt und deshalb im Vergleich mit der
großen Verringerung (der ersten und zweiten Walzdurchgänge) relativ klein ist, so
dass auch die Merkmale 5 und 5.2 bei dem bekannten Verfahren verwirklicht sind.

Es kann letztlich dahingestellt bleiben, ob die Merkmale 3.2.1 und 4.1 gemäß dem
Vortrag der Klägerin schon deshalb unberücksichtigt bleiben müssen, weil sie
keine Verfahrensmerkmale, sondern lediglich Ergebnisse einer im Streitpatent
nicht näher beschriebenen Simulation zum Inhalt haben, da sich diese Merkmale
auch bei dem Verfahren nach der D2 einstellen.

Ähnlich wie das Streitpatent hat bereits die D2 nach den Ausführungen Spalte 3,
Zeilen 1 bis 36 erkannt, dass beim Warmwalzen oberhalb der Rekristallisations-
temperatur eine feinkörnige Gefügestruktur im Werkstück durch hohe Umfor-
mungsgrade erreicht werden kann, wie sie beispielsweise mit den ersten und
zweiten Walzdurchgängen bei dem Verfahren nach der D2 stattfinden, bei denen
im Werkstück ein derart angestiegenes Energieniveau (increased energy level)
erreicht wird, das ausreicht, eine gleichmäßige Verteilung feinen Korns zu errei-
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chen („to create a substantially uniform distribution of fine grains“), während ab-
normer Korngrößenwuchs dann auftritt, sofern nachfolgende Maßwalzvorgängen
mit nur geringen Umformgraden nicht genügend rasch nach dem letzten
Walzdurchgang mit hohem Umformungsgrad stattfinden (Spalte 3, Zeilen 30 bis
36).

Diese mit den ersten und zweiten Walzdurchgängen beim Warmwalzen erzeugten
hohen Umformgrade bewirken – wie auch bereits das Streitpatent (Anlage LS-
IP 2) in den Absätzen [0008] und [0009] dem Verfahren nach der D2 ausdrücklich
zugesteht – „ein Verformungsmuster, das mit hohen Spannungen in die Mitte des
Produkts vordringt…“, so dass sich gemäß diesen Ausführungen im Streitpatent
auch bei dem Verfahren nach der D2 der im Merkmal 3.2.1 beschriebene Effekt
bei einer Simulation auf Basis der „Finiten-Elemente-Methode“ einstellt bzw. auch
einstellen muss, weil die vorausgehenden Verfahrensschritte 1 bis 3.2 beim Ver-
fahren nach der D2 identisch zum streitpatentgemäßen Verfahren ausgebildet
sind.

Die dritten und vierten Walzdurchgänge (S30, S31) sind nach der Lehre der D2
sog. Leichtverringerungs-Walzen-Durchgänge („lighter reduction sizing roll
stands“). Derartige „Leichtverringerungs-Walzen-Durchgänge“ verursachen be-
kanntlich keine ausreichende Deformation über den gesamten Produktquerschnitt
und können daher die in den ersten und zweiten Walzdurchgängen (sog. „Starkre-
duktion-Walzen-Durchgänge“) erzeugte „Spannungsfigur“ bzw. „Verformungs-
muster“ mit hohen „Spannungen“ in der Mitte des Produkts nicht verändern. Die
zwangsläufige Folge daraus ist, dass auch bei dem bekannten Verfahren der D2
die Auswirkung der dritten und vierten Walzdurchgänge derart ist, dass „die effek-
tive Spannungsfigur durch eine Konzentration der maximalen effektiven Spannung
in einem mittleren Bereich der Querschnittfläche bestimmt bleibt“ und sich somit
der im Merkmal 4.1.1 beschriebene Effekt bei einer Simulation auf Basis der Fini-
ten-Elemente-Methode“ auch bei dem Verfahren nach der D2 einstellt.

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Abweichend von der Lehre des streitpatentgemäßen Verfahrens nach Merk-
mal 5.1 werden beim Verfahren nach der D2 der dritte und der vierte Walzdurch-
gang (S30, S31) gemäß Figur 4 nicht durch mindestens drei Walzen definiert,
sondern von lediglich jeweils zwei Arbeitswalzen.

Der Fachmann strebt stets nach der Verbesserung seiner Produkte und daher
auch nach der Verbesserung der Herstellverfahren für seine Produkte, vorliegend
eines Verfahrens zum kontinuierlichen Fertigwalzen eines Eisenwerkstücks zu ei-
nem Fertigrundelement. Insbesondere ist es bei dem bekannten Verfahren nach
der D2 möglicherweise nachteilig, dass die Maßhaltigkeit nach dem vierten
Walzdurchgang nicht ausreichend ist.

Aus seinem Fachwissen oder auch aus der als Anlage LS 11a eingereichten D7,
insbesondere auf Seite 55 oder auf Seite 58, linke Spalte, in der ausführlich die
Vorteile von Vierwalzengerüsten gegenüber Zweiwalzengerüsten beschrieben
werden, ist es dem Fachmann bekannt, dass mit Mehrwalzengerüsten, insbeson-
dere Vierwalzengerüsten, bei denen ein Walzdurchgang durch vier Walzen defi-
niert ist, in einem Maß- oder Fertigwalzgerüst deutlich bessere Rundheits- und
Maßhaltigkeitstoleranzen erreicht werden können, als mit Zweiwalzengerüsten.
Aus diesem Grund sind bei Walzstraßen häufig die letzten beiden Maßwalzenge-
rüste als 4-Walzengerüste ausgebildet, wie beispielsweise in der D7, in Figur 12b
gezeigt. Auch in anderen Druckschriften, wie beispielsweise die als Anlage LS 8
eingereichte D4 (insbesondere auf Seite 188, Spalte 3) werden ausführlich die
vielfältigen Vorteile beschrieben, wenn beim Maßwalzen die letzten zwei
Walzdurchgänge mit vier Walzen anstelle von nur zwei Walzen erfolgen.
Mit der aus der D2 gewonnenen Erkenntnis, dass es zur Vermeidung von doppel-
ten Mikrostrukturen und abnormem Korngrößenwuchs nicht darauf ankommt, mit
den Maßwalzgerüsten im dritten und vierten Walzdurchgang eine hohe Durchdrin-
gung bzw. einen hohen Umformgrad zu erzeugen, sondern dass es nur entschei-
dend ist, dass die dritten und vierten Walzdurchgänge, ( die wie in der D2 gelehrt
nur geringe Umformgrade erzeugen sollen), genügend rasch nach den ersten und
zweiten Walzdurchgängen mit hohen Umformungsgraden durchgeführt werden,
- 23 -
drängt es sich für den Fachmann geradezu auf, die dritten und vierten Walzdurch-
gänge mit Walzgerüsten auszustatten, die vier Walzen aufweisen, um entspre-
chende hohe Rundheits- und Maßhaltigkeitstoleranzen einhalten zu können.

Der Fachmann war deshalb in naheliegender Weise veranlasst, bei dem aus der
D2 bekannten Verfahren zum kontinuierlichen Fertigwalzen eines Eisenwerk-
stücks zu einem Fertigrundelement mit den Merkmalen 1 bis 5 und 5.2 entspre-
chend dem Vorbild der D7 die dritten und vierten Walzdurchgänge mit vier Walzen
auszubilden, um im Bedarfsfall die Rundheits- und Maßhaltigkeitstoleranzen zu
verbessern.

Der Vortrag der Beklagten, wonach beim streitpatentgemäßen Verfahren der Ver-
zicht auf eine Temperaturerniedrigung ein wesentlicher Unterschied zur Lehre der
D2 sei, bei der in der Figur 4 mit Bezugszeichen 19 eine Kühlvorrichtung vorgese-
hen sei, kann schon deshalb nicht überzeugen, weil diese Kühlvorrichtung 19 er-
sichtlich vor dem ersten Walzdurchgang angeordnet ist und deshalb außerhalb
des beanspruchten Verfahrens liegt. Vielmehr ist entscheidend, dass auch bei
dem bekannten Verfahren nach der D2 ausweislich der Figur 4 sämtliche
Walzdurchgänge eins bis vier bei ca. 800°C und somit vollständig in dem bean-
spruchten Temperaturbereich zwischen 650 und 1000°C durchgeführt werden.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag hat daher keinen Bestand.

2. Auch in der Fassung nach Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 kann der Gegen-
stand des Streitpatent keinen Bestand haben.

Wie bereits bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Verfahrens nach
dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag ausgeführt ist, beruht das Verfahren
zum kontinuierlichen Fertigwalzen eines Eisenwerkstücks zu einem Fertigrundele-
ment mit dem im Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag aufgeführten Merkmalen
nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
- 24 -
Da der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 auch alle Merkmale aufweist, die in
dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag aufgeführt sind, ist das mangelnde Vor-
liegen der erfinderischen Tätigkeit diesbezüglich übereinstimmend zu beurteilen.
Auf die entsprechenden Ausführungen wird verwiesen.

Aber auch das im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ergänzte Merkmal 3.2.2, wo-
nach etwa 11 bis 28% der kombinierten großen Verringerung in der Querschnitts-
fläche des Werkstücks in dem ersten Walzdurchgang stattfindet, kann eine erfin-
derische Tätigkeit nicht begründen, weil dieses Merkmal auch nahezu im gesam-
ten Bereich bereits aus der D2 bekannt ist.
Denn wie aus der Tabelle III der D2 zu entnehmen ist, findet auch bei dem be-
kannten Verfahren nach der D2 im Walzdurchgang S28, der dem ersten
Walzdurchgang beim streitpatentgemäßen Verfahren entspricht, eine Verringe-
rung der Querschnittsfläche des Werkstücks statt, die je nach Durchmesser des
Zufuhrabschnitts zwischen 12,3% und 25,3% liegt und somit in allen aufgeführten
Ausführungsbeispielen innerhalb des vom Streitpatent nach Merkmal 3.2.2 bean-
spruchten Bereichs von 11 bis 28% liegt.

Somit beruht das Verfahren des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 auch
nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag
hat daher auch keinen Bestand.

3. Auch in der Fassung nach Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 kann der Gegen-
stand des Streitpatent keinen Bestand haben.

Wie bereits bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Verfahrens nach
dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag ausgeführt ist, beruht das Verfahren
zum kontinuierlichen Fertigwalzen eines Eisenwerkstücks zu einem Fertigrunde-
lement mit den im Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag aufgeführten Merkmalen
nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Da der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 auch alle Merkmale aufweist, die in
dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag aufgeführt sind, ist das mangelnde Vor-
- 25 -
liegen der erfinderischen Tätigkeit diesbezüglich übereinstimmend zu beurteilen.
Auf die entsprechenden Ausführungen wird verwiesen.
Aber auch das im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 gegenüber dem Hauptantrag
ergänzte Merkmal 4.1.1, wonach die kleinsten Korngrößen im innersten Be-
reich a4 des Querschnittes des Walzgutes und zunehmend größere Körner in den
umgebenden Bereichen des Querschnittes b4-f4 auftreten, kann eine erfinderi-
sche Tätigkeit nicht begründen, weil dieses Merkmal eine physikalische Auswir-
kung beschreibt, wie sie zwangsläufig bei jedem Walzverfahren mit hohem Um-
formgrad oberhalb der Rekristallisationstemperatur und somit auch bei dem Ver-
fahren nach der D2 stattfindet. Denn auch das bekannte Warmwalzverfahren („hot
rolling“) nach der D2 findet definitionsgemäß sowie nach den Ausführungen auf
Spalte 3, Zeilen 5 bis 21 oberhalb der Rekristallisationstemperatur statt und er-
möglicht daher, wie die D2 sogar wörtlich in Spalte 3, Zeilen 18 bis 21 beschreibt,
eine im wesentlichen gleichmäßige Verteilung feinen Korns („…it retains a sub-
stantially uniform fine grained microstructure.“). Wenngleich der Vorgang der Re-
kristallisation sowie der begleitenden Umstände beispielsweise Keimbildung,
Kornwachstum, etc. möglicherweise in der D2 (aber auch im Streitpatent) nicht
vollständig und ausführlich beschrieben sind, so sind dem Fachmann diese Vor-
gänge jedoch bekannt. Insbesondere weiß der Fachmann, dass nach einer Re-
kristallisation und dem zugrunde gelegten ausreichend hohen Verformungsgrad
aufgrund thermodynamischer Gesetzmäßigkeiten beim Erwärmen und Abkühlen
von Werkstücken selbst bei einer „im Wesentlichen gleichmäßigen Verteilung fei-
nen Korns“ die Körner am Rand tendenziell größer sind, während sie im Zentrum
eines Werkstücks tendenziell kleiner sind.

Somit beruht das Verfahren des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 auch
nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2
hat daher auch keinen Bestand.

- 26 -
4. Fassung nach Hilfsantrag 3

Wie bereits bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Verfahrens nach
dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 ausgeführt ist, beruht das Verfahren
zum kontinuierlichen Fertigwalzen eines Eisenwerkstücks zu einem Fertigrunde-
lement mit den im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 aufgeführten Merkmalen
nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Da der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 auch alle Merkmale aufweist, die in
dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 aufgeführt sind, ist das mangelnde Vor-
liegen der erfinderischen Tätigkeit diesbezüglich übereinstimmend zu beurteilen.
Auf die entsprechenden Ausführungen wird verwiesen.

Aber auch das im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 gegenüber dem Hilfsantrag 2
ergänzte Merkmal 4.3, wonach das Walzen in den dritten und vierten Walzdurch-
gängen (P3, P4) vor dem Auftreten mikrostruktureller Veränderungen infolge von
Rekristallisation und Erholung fortgesetzt wird, ist bereits aus der D2 bekannt und
kann daher eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen.

Wie bereits zum Hauptantrag begründet, hat bereits die D2 nach den Ausführun-
gen in Spalte 3, Zeilen 1 bis 36 erkannt, dass abnormer Korngrößenwuchs dann
auftritt, wenn nachfolgende Maßwalzvorgänge mit nur geringen Umformgraden
nicht genügend rasch nach dem letzten Walzdurchgang mit hohem Umformungs-
grad stattfinden. Aus diesem Grund lehrt die D2 nach den Ausführungen Spalte 4,
Zeilen 51 bis 57, dass die Zeitspanne zwischen den ersten und zweiten
Walzdurchgängen mit höheren Reduktionen und den folgenden Maßwalzdurch-
gängen (= dritte und vierte Walzdurchgänge) derart (klein) ist, dass die auf
Spalte 3 a. a. O.. beschriebenen mikrostrukturellen Veränderungen, wie bei-
spielsweise Rekristallisation und Kornwuchs, noch nicht maßgeblich auftreten.

Auch an anderer Stelle weist die D2 darauf hin, dass das Zeitintervall zwischen
den Walzen bei starker Reduktion in den Walzgerüsten S28 und S29 und dem
Maßwalzen bei geringerer Reduktion in den Walzgerüsten S30, S31 extrem klein
- 27 -
sein soll („the time intervall…is extremely short“, Spalte 9, Zeilen 35 bis 37). Das
Walzen durch die drei letzten drei Walzgerüste S29 bis S31 wird dabei mit einem
Zeitintervall von lediglich 10,4 bis 16,0 Millisekunden abgeschätzt (Spalte 9, Zei-
len 37 bis 43).
Somit ist auch das Merkmal4.3 aus der D2 bekannt.

Somit beruht das Verfahren des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 auch
nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3
hat daher auch keinen Bestand.

5. Fassung nach Hilfsantrag 4

Wie bereits bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Verfahrens nach
dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 ausgeführt ist, beruht das Verfahren
zum kontinuierlichen Fertigwalzen eines Eisenwerkstücks zu einem Fertigrund-
element mit den im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 aufgeführten Merkma-
len nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Da der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 auch alle Merkmale aufweist, die in
dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 aufgeführt sind, ist das mangelnde Vor-
liegen der erfinderischen Tätigkeit diesbezüglich übereinstimmend zu beurteilen.
Auf die entsprechenden Ausführungen wird verwiesen.
Aber auch das im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 gegenüber dem Hilfsantrag 3
ergänzte Merkmal 5.3, wonach nach dem Abkühlen zu einem Zustand des thermi-
schen Gleichgewichts das Werkstuck eine Korngrößenvariation über seinen Quer-
schnitt von nicht mehr als etwa 2 ASTM Korngrößennummern aufweist, ist bereits
wörtlich aus der D2, Spalte 4, Zeilen 51 bis 57 vorbekannt.

Somit beruht das Verfahren des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 4 auch
nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4
hat daher auch keinen Bestand.

- 28 -
6. Fassung nach Hilfsantrag 5

Der Senat hat diese hilfsweise Verteidigung der Beklagten zugelassen, da es sich
bei Merkmal 5.2.1 lediglich um eine weitere Beschränkung des aus den bisherigen
Hilfsanträgen bekannten Merkmals 5.2. handelt.

Wie bereits bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Verfahrens nach
dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 ausgeführt ist, beruht das Verfahren
zum kontinuierlichen Fertigwalzen eines Eisenwerkstücks zu einem Fertigrund-
element mit den im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 aufgeführten Merkma-
len nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Da der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 auch alle Merkmale aufweist, die in
dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4 aufgeführt sind, ist das mangelnde Vor-
liegen der erfinderischen Tätigkeit diesbezüglich übereinstimmend zu beurteilen.
Auf die entsprechenden Ausführungen wird verwiesen.
Aber auch das im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 gegenüber dem Hilfsantrag 4
ergänzte Merkmal 5.2.1, wonach 1,8 – 17% im Walzdurchgang P3 und etwa 1,2%
bis 10% im Walzdurchgang P4 stattfinden, ist in weiten Bereichen bereits aus der
D2 vorbekannt.
Denn wie aus der Tabelle III der D2 zu entnehmen ist, findet auch bei dem be-
kannten Verfahren nach der D2 im Walzdurchgang S30, der dem dritten
Walzdurchgang P3 beim streitpatentgemäßen Verfahren entspricht, eine Verringe-
rung der Querschnittsfläche des Werkstücks statt, die zwischen 2,1% und 8,2%
liegt und im Walzdurchgang S31, der dem dritten Walzdurchgang P4 beim streit-
patentgemäßen Verfahren entspricht, eine Verringerung der Querschnittsfläche
des Werkstücks statt, die zwischen 0,5% und 4% liegt und somit in vielen aufge-
führten Ausführungsbeispielen innerhalb der beiden vom Streitpatent nach Merk-
mal 5.2.1 beanspruchten Bereiche liegt.

Somit beruht das Verfahren des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 5 auch
nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5
hat daher auch keinen Bestand.
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7. Da Patentanspruch 1 somit weder in der erteilten Fassung noch in einer mit
den Hilfsanträgen verteidigten Fassung patentfähig ist und ein eigenständig erfin-
derischer Gehalt der Unteransprüche von der Beklagten und der Nebeninterveni-
entin ausdrücklich nicht geltend gemacht wird, war das Streitpatent insgesamt für
nichtig zu erklären.

Vor diesem Hintergrund kann eine Entscheidung über den von der Klägerin dar-
über hinaus geltend gemachten Nichtigkeitsgrund fehlender Ausführbarkeit dahin-
gestellt bleiben.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1
ZPO. Soweit die Kosten der Nebenintervention betroffen sind, findet § 101 Abs. 1
ZPO Anwendung (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2011,
X ZR 109/08 - Sensoranordnung, veröffentlicht in GRUR 2012, 149ff.). Die Ent-
scheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 PatG
i. V. m. § 709 ZPO.

- 30 -
IV.
Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils, spätestens
aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung, durch einen Rechts- oder
Patentanwalt als Bevollmächtigten schriftlich beim Bundesgerichtshof,
Herrenstr. 45a, 76133 Karlsruhe, einzulegen.


Voit Dr. Huber Martens Rippel Dr. Dorfschmidt

Pr


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