4. Senat - Auslegung einer tarifvertraglichen Kündigungsregelung
Karar Dilini Çevir:
4. Senat - Auslegung einer tarifvertraglichen Kündigungsregelung
- 2 - BUNDESARBEITSGERICHT 4 AZR 78/11 3 Sa 894/10 Hessisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes! Verkündet am 27. Februar 2013 URTEIL Schmidt, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle In Sachen Beklagte, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin, pp. Klägerin, Berufungsbeklagte und Revisionsbeklagte, hat der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27. Februar 2013 durch den Vorsitzenden Richter am Bun-desarbeitsgericht Dr. Eylert, die Richter am Bundesarbeitsgericht Creutzfeldt - 2 - 4 AZR 78/11 - 3 - und Dr. Treber sowie die ehrenamtlichen Richter Steding und Rupprecht für Recht erkannt: 1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessi-schen Landesarbeitsgerichts vom 30. Dezember 2010 - 3 Sa 894/10 - wird zurückgewiesen. 2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen. Von Rechts wegen! Tatbestand Die Parteien streiten über die Höhe einer tariflichen Jahressonderzah-lung sowie die Zahlung einer monatlichen Zulage und in diesem Zusammen-hang über die Wirksamkeit der Kündigung eines Tarifvertrages. Die Klägerin ist Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Gewerkschaft ver.di) und seit dem 1. Mai 1990 bei der Beklagten und ihrem Rechtsvorgänger, dem Schwalm-Eder-Kreis, als Krankenschwester beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ging vom Schwalm-Eder-Kreis auf die Schwalm-Eder-Kliniken GmbH (GmbH) über, deren Gesellschafter zunächst die vormalige Arbeitgeberin war. Die GmbH war bis zum Ende des Jahres 2008 Mitglied im Kommunalen Arbeitgeberverband Hessen e. V. (KAV). Aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten der GmbH beschloss der Kreistag des Schwalm-Eder-Kreises im Jahre 2004 ein Rahmensanierungskonzept, das neben dem Abschluss eines sog. Notlagentarifvertrages ua. einen Kranken-hausneubau in O vorsah. Am 21. Juli 2004 schlossen die Gewerkschaft ver.di einerseits sowie der KAV und die GmbH andererseits die „Tarifvertragliche Vereinbarung Nr. 761, Bezirklicher Tarifvertrag über einen Beitrag der Arbeit-nehmer zur Sanierung der Schwalm-Eder-Kliniken GmbH“ (TV Nr. 761), die die Tarifvertragsparteien mit der „Tarifvertraglichen Vereinbarung Nr. 797“ mit Wirkung zum 1. Oktober 2005 in Anbetracht des zum gleichen Tag in Kraft 1 2 - 3 - 4 AZR 78/11 - 4 - tretenden Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (vom 13. September 2005 - TVöD) sowie für den Bereich der Krankenhäuser, Pflege- und Betreuungsein-richtungen des Besonderen Teils Krankenhäuser (BT-K) anpassten. Der TV Nr. 761 sieht eine Verkürzung der Arbeitszeit ohne Entgeltausgleich (§ 4) und den Ausschluss von betriebsbedingten Beendigungskündigungen (§ 7) vor. Daneben regelt der Tarifvertrag ua. noch Folgendes: „§ 5 Jahressonderzahlung, Sonderzahlung ... (3) Für die Jahre 2007 und 2008 beträgt die Jahresson-derzahlung nach § 20 TVöD in den Entgeltgruppen 1 - 8 15,84 v. H., in den Entgeltgruppen 9 - 12 6,48 v. H., in den Entgeltgruppen 13 - 15 4,86 v. H. des tariflich maßgebenden Entgelts. ... § 12 In-Kraft-Treten, Laufzeit, Außer-Kraft-Treten (1) Diese Tarifvertragliche Vereinbarung tritt mit Wirkung vom 1. Juli 2004 in Kraft. (2) Sie endet mit Ablauf des 31. Dezember 2008, ohne dass es einer Kündigung bedarf. (3) Wenn der Krankenhausneubau O nicht in das Kran-kenhausinvestitionsprogramm 2007 bis 2011 des Landes Hessen aufgenommen wird, kann diese Tarifvertragliche Vereinbarung von jeder Partei mit einer Frist von einem Monat gekündigt werden. Diese Tarifvertragliche Vereinbarung endet dann zu diesem Zeitpunkt. Eine Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG ist ausgeschlossen. (4) Abgesehen von den in § 7 Abs. 2 Unterabs. 3 Satz 2, § 11 Abs. 2 Satz 2 und § 12 Abs. 3 dieser Tarifver-traglichen Vereinbarung geregelten Sonderkündi-gungsrechten ist eine vorherige Kündigung ausge-schlossen. (5) Eine Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG ist ausge-schlossen.“ Die Gesellschafterversammlung der GmbH beschloss am 21. März 2006 kein neues Krankenhaus in O zu errichten. Am 3. Juli 2006 hob der Kreistag des Schwalm-Eder-Kreises die Beschlüsse zum Rahmensanierungs- 3 - 4 - 4 AZR 78/11 - 5 - konzept einschließlich des Krankenhausneubaus in O auf. In dem gegen Ende des Jahres 2006 veröffentlichten Krankenhausinvestitionsprogramm 2007 bis 2011 des Landes Hessen, war ein Krankenhausneubau in O nicht vorgesehen. Der Schwalm-Eder-Kreis veräußerte im Jahre 2007 seine Gesellschaftsanteile an der GmbH, die nachfolgend in die jetzige Beklagte umfirmierte. In den ab Juni 2008 zwischen der Gewerkschaft ver.di und der Beklagten geführten Verhandlungen über einen neuen Sanierungstarifvertrag konnte keine Einigung erreicht werden. Die Gewerkschaft ver.di kündigte im September 2008 den TV Nr. 761 zum 31. Oktober 2008 unter Hinweis auf das in § 12 Abs. 3 TV Nr. 761 geregelte Kündigungsrecht. Die Beklagte zahlte der Klägerin in Anwendung des § 5 Abs. 3 Fall 1 TV Nr. 761 mit dem Entgelt für den Monat November 2008 eine Jahressonderzah-lung iHv. 492,97 Euro. Im April 2009 machte die Klägerin gegenüber der Be-klagten die Zahlung einer ungekürzten Jahressonderzahlung für das Jahr 2008 sowie einer Zulage nach § 52 Abs. 3 TVöD-BT-K iVm. § 15 Abs. 1 TVöD für die Monate November und Dezember 2008 erfolglos geltend. Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Auf-fassung, der TV Nr. 761 sei wirksam zum 31. Oktober 2008 gekündigt worden. Die Klägerin hat beantragt, 1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.369,90 Euro brutto zzgl. fünf Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit 1. Dezember 2008 zu zahlen; 2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 50,00 Euro brutto zzgl. fünf Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszins-satz der Europäischen Zentralbank aus 25,00 Euro seit dem 1. Dezember 2008 und aus 25,00 Euro seit dem 1. Januar 2009 zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Meinung, in § 12 Abs. 3 Satz 1 TV Nr. 761 sei ein außerordentliches Kündigungsrecht vereinbart, das die Gewerkschaft ver.di nicht binnen angemessener Frist nach Kenntnis über die Nichtaufnahme des Krankenhausneubaus in O in das Kran-kenhausinvestitionsprogramm 2007 bis 2011 ausgeübt habe. Das Kündigungs- 4 5 6 7 - 5 - 4 AZR 78/11 - 6 - recht sei im Jahre 2008 auch verwirkt gewesen. In den Tarifvertragsverhand-lungen im Jahre 2008 sei eine vorzeitige Kündigung nie thematisiert worden. Es verstoße gegen Treu und Glauben, wenn eine Partei den Tarifvertrag erst kurz vor Ende der vereinbarten Laufzeit kündige, um eine ungekürzte Jahressonder-zahlung zu erreichen. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsge-richt hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landes-arbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte die Klageabweisung. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Entscheidungsgründe Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landes-arbeitsgericht hat deren Berufung zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist begründet. Die von der Gewerkschaft ver.di ausgesprochene Kündigung hat den TV Nr. 761 mit Ablauf des 31. Oktober 2008 beendet. Der Klägerin steht daher eine Jahressonderzahlung nach § 20 TVöD zu. Weiterhin kann sie eine Zulage nach § 52 Abs. 3 TVöD-BT-K iVm. § 15 Abs. 1 TVöD verlangen. I. Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Jahressonderzahlung für das Kalenderjahr 2008 in der nach § 20 TVöD maßgebenden Höhe ergibt sich aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit der Parteien nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG. 1. Die Klägerin kann nach § 20 Abs. 2 TVöD eine Jahressonderzahlung iHv. 90 vH des ihr in den Monaten Juli bis September 2008 durchschnittlich gezahlten Entgelts beanspruchen. 2. Die Regelung des § 20 Abs. 2 TVöD wird nicht durch diejenige in § 5 Abs. 3 Fall 1 TV Nr. 761 nach dem sog. Spezialitätsprinzip verdrängt (dazu etwa BAG 23. Januar 2008 - 4 AZR 312/01 - Rn. 31 mwN, BAGE 125, 314). An dem nach § 20 Abs. 1 TVöD maßgebenden Stichtag (1. Dezember 2008) 8 9 10 11 12 - 6 - 4 AZR 78/11 - 7 - bestand zwischen dem TV Nr. 761 und dem TVöD keine Tarifkonkurrenz mehr, die einer Auflösung bedurft hätte. Der TV Nr. 761 endete aufgrund fristgemäßer Kündigung der Gewerkschaft ver.di mit Ablauf des 31. Oktober 2008 ohne Nachwirkung iSd. § 4 Abs. 5 TVG, die nach § 12 Abs. 3 Satz 3 TV Nr. 761 in zulässiger Weise ausgeschlossen wurde (dazu etwa BAG 11. Januar 2011 - 1 AZR 310/09 - Rn. 14, EzA BetrVG 2001 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 24; 8. Oktober 1997 - 4 AZR 87/96 - zu II 2 der Gründe, BAGE 86, 366). a) Das Landesarbeitsgericht hat - kurz zusammengefasst - angenommen, § 12 Abs. 3 Satz 1 TV Nr. 761 regele kein außerordentliches Kündigungsrecht, sondern enthalte ein Recht zur ordentlichen Kündigung des Tarifvertrages. Die Nichtaufnahme des Krankenhausneubaus in O in das Krankenhausinvestitions-programm 2007 bis 2011 des Landes Hessen rechtfertige die Kündigung des Tarifvertrages. Die Kündigung sei nicht verfristet iSd. § 314 Abs. 3 BGB. Das Kündigungsrecht sei weiterhin weder verwirkt noch stelle sich dessen Aus-übung im Übrigen als rechtsmissbräuchlich dar. b) Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts lassen Rechtsfehler nicht erkennen. aa) Dies gilt zunächst für die Auslegung der Kündigungsbestimmung in § 12 Abs. 3 Satz 1 TV Nr. 761. (1) Die Auslegung von rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen, die sich - wie vorliegend das Kündigungsrecht nach § 12 Abs. 3 Satz 1 TV Nr. 761 als Bestandteil der schuldrechtlichen Vereinbarungen eines Tarifvertrages - nicht in typisierten Vertragsvereinbarungen ausdrücken, obliegt in erster Linie den Tatsachengerichten. Das Revisionsgericht kann die Auslegung von Willens-erklärungen durch das Landesarbeitsgericht nur daraufhin überprüfen, ob es die Auslegungsgrundsätze der §§ 133, 157 BGB eingehalten hat, ob gegen Denk-gesetze und allgemeine Erfahrungssätze verstoßen worden ist, ob alle erhebli-chen Tatsachen für die Auslegung herangezogen worden sind und ob eine gebotene Auslegung unterlassen worden ist (BAG 19. September 2007 - 4 AZR 656/06 - Rn. 17, AP AÜG § 10 Nr. 17 = EzA AÜG § 13 Nr. 1). 13 14 15 16 - 7 - 4 AZR 78/11 - 8 - (2) Die Beklagte hat keinen revisiblen Auslegungsfehler aufgezeigt. (a) Ohne Rechtsfehler ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, der Begriff „Sonderkündigungsrecht“ in § 12 Abs. 4 TV Nr. 761 weise bei einem befristeten, für eine feste Laufzeit geschlossenen Tarifvertrag darauf hin, dass eine im Übrigen nicht bestehende ordentliche Kündigungsmöglichkeit geschaf-fen werden soll. Die Revision übersieht, dass ein außerordentliches Kündi-gungsrecht grundsätzlich keiner ausdrücklichen Vereinbarung bedarf (vgl. nur BAG 18. Februar 1998 - 4 AZR 363/96 - zu II 1.1 der Gründe, BAGE 88, 81). Deshalb ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen „gerade dieser besonders wichtige Fall“, von dem die Revision ausgeht, die Vereinbarung eines außeror-dentlichen Kündigungsrechts erforderlich machen soll. In der Folge konnte das Landesarbeitsgericht von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen der Vereinbarung einer ordentlichen und einer außerordentlichen Kündigungsmög-lichkeit ausgehen. (b) Entgegen der Auffassung der Revision musste das Landesarbeitsge-richt auch nicht annehmen, die „Kürze der Frist“ in § 12 Abs. 3 Satz 1 TV Nr. 761 streite für ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund iSd. § 314 Abs. 1 BGB. Es ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Tarifvertragsparteien die Kündigungsfrist autonom bestimmen konnten. Deshalb ist der weitere Einwand der Beklagten, eine vereinbarte Kündigungsfrist, die die dreimonatige Frist des § 77 Abs. 5 BetrVG unterschreite, spreche für ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund, vorliegend unzutreffend. Die Beklagte verkennt, dass in § 12 Abs. 3 Satz 1 TV Nr. 761 nach seinem Wortlaut (nur) „ein Grund“ und nicht „ein wichtiger Grund“ iSd. § 314 Abs. 1 BGB für eine Kündigung bestimmt wird. Ob ein wichtiger Grund gegeben sein muss, ist erst durch Auslegung der Kündigungsbestimmung zu ermitteln, kann aber nicht vorausgesetzt werden. (c) Weiterhin konnte das Landesarbeitsgericht davon ausgehen, eine ordentliche Kündigungsmöglichkeit solle nur in den vertraglich bestimmten Fällen bestehen. Zwar können die Tarifvertragsparteien, wie die Revision es meint, eine „ordentliche Kündbarkeit ohne Angabe von Gründen“ vereinbaren. 17 18 19 20 - 8 - 4 AZR 78/11 - 9 - Die Möglichkeit steht aber in Anbetracht des klaren Wortlauts in § 12 Abs. 3 Satz 1 TV Nr. 761 nicht der Annahme des Landesarbeitsgerichts entgegen. (d) Es erweist sich auch nicht als revisibler Fehler, wenn das Landes-arbeitsgericht das Wort „wenn“ in § 12 Abs. 3 Satz 1 TV Nr. 761 als eine kondi-tionale Verknüpfung versteht. Der Wortlaut „nicht in das Krankenhausinvesti-tionsprogramm … aufgenommen wird“ kann ohne Rechtsfehler dahingehend ausgelegt werden, die Kündigungsmöglichkeit des § 12 Abs. 3 Satz 1 TV Nr. 761 beziehe sich nur auf den Eintritt der genannten Voraussetzung, bindet die Ausübung des Rechts aber nicht an den Zeitpunkt, in dem die Vorausset-zungen gegeben sind. Die Beklagte setzt auch insoweit lediglich ihre Auffas-sung gegen die des Landesarbeitsgerichts. (e) Die weitere Rüge der Revision, das Landesarbeitsgericht sei bei seiner teleologischen Auslegung davon ausgegangen, ein wichtiger Grund setze ein schuldhaftes Verhalten voraus, ist unzutreffend. Das Gericht hat vielmehr ausgeführt, „typische Gründe für eine außerordentliche Kündigung eines Tarif-vertrages“ seien schwere Pflichtverletzungen. Die weitere Erwägung, im Falle eines vereinbarten außerordentlichen Kündigungsgrundes läge auch die Ver-einbarung einer Nachverhandlungspflicht nahe, ist nicht zu beanstanden und entspricht zudem der Rechtsprechung des Senats (so ausdrücklich 18. Juni 1997 - 4 AZR 710/95 - zu II 2.1.4 der Gründe, AP TVG § 1 Kündigung Nr. 2 = EzA TVG § 1 Fristlose Kündigung Nr. 3). bb) Die Revision rügt weiterhin ohne Erfolg die vom Senat ebenfalls nur beschränkt überprüfbare Würdigung des Landesarbeitsgerichts (zu den Maß-stäben BAG 15. Juni 2011 - 4 AZR 737/09 - Rn. 22 mwN, AP BAT §§ 22, 23 Rückgruppierung Nr. 7) zur fehlenden Verwirkung des Kündigungsrechts auf aufgrund des fehlenden Umstandsmoments (dazu etwa BAG 22. Februar 2012 - 4 AZR 579/10 - Rn. 42 ff. mwN). (1) Das Landesarbeitsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstan-dender Weise angenommen, etwaige unterlassene betriebsbedingte Kündigun-gen durch die Beklagte seien dem bis zum Ablauf der Kündigungsfrist wirksa- 21 22 23 24 - 9 - 4 AZR 78/11 - 10 - men Verbot betriebsbedingter Kündigungen in § 7 Abs. 1 TV Nr. 761 geschuldet und könnten schon deshalb keine Vermögensdispositionen im Vertrauen auf einen zukünftigen Verzicht der Gewerkschaft ver.di auf ein bestehendes Kündi-gungsrecht sein. (2) Ein „besonders“ schützenswertes Vertrauen, von einem Kündigungs-recht nicht Gebrauch zu machen, musste das Landesarbeitsgericht auch nicht aufgrund des von der Betriebsgruppe im Juli 2008 der Gewerkschaft ver.di verteilten „Infoblatts“ annehmen. In diesem wird - zum damaligen Zeitpunkt zutreffend - lediglich auf die Laufzeit des TV Nr. 761 hingewiesen. (3) Das Landesarbeitsgericht ist in der Sache weiterhin rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, es obliege der autonomen Entscheidung einer Tarifver-tragspartei, ob und unter welchen Umständen sie von einem „an sich“ be-stehenden Kündigungsrecht Gebrauch mache. Nach dem Inhalt der maßge-benden tariflichen Regelung ist diese nicht, wie es offensichtlich die Beklagte meint, an bestimmte Kündigungsmotive gebunden. (4) Deshalb ist auch ihr weiterer Einwand unzutreffend, es gelte ein „Verbot des Bereithaltens eines Kündigungsgrundes ‚auf Vorrat‘“. Das entstandene Kündigungsrecht geriet nicht allein durch eine weitere Geltung des Tarifvertra-ges in Wegfall. Das Landesarbeitsgericht hat in nicht zu beanstandender Weise mit Recht auf die komplexen, bei Tarifvertragsverhandlungen zu berücksichti-genden Umstände hingewiesen, von der eine Ausübung eines Kündigungs-rechts abhängen kann. Deshalb könnten die Maßstäbe bei einer arbeitgebersei-tigen (verhaltensbedingten) Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nicht auf die vorliegende Situation übertragen werden. cc) Schließlich lässt die gleichfalls nur eingeschränkt überprüfbare Würdi-gung des Landesarbeitsgerichts (oben I 2 b bb), die Gewerkschaft ver.di habe „das für die Arbeitnehmer günstige Ergebnis“ der „Jahressonderzahlung“ bei der Ausübung des Kündigungsrechts ohne Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) berücksichtigen können, keinen Rechtsfehler erkennen. Dass die Beklagte von dem ihr gleichfalls zustehenden Kündigungsrecht keinen Ge- 25 26 27 28 - 10 - 4 AZR 78/11 brauch gemacht hat, führt nicht zu einem Rechtsmissbrauch durch die kündi-gende Gewerkschaft ver.di. Es trifft auch nicht zu, dass durch den Kündigungs-zeitpunkt nur „zugunsten der Arbeitnehmer alle Vorteile aus dem Notlagentarif-vertrag realisiert waren“. Die Beklagte musste ua. in den vorangegangenen Jahren lediglich eine gegenüber § 20 TVöD geminderte Jahressonderzahlung leisten. II. Die Klägerin kann weiterhin für die Monate November und Dezember 2008 eine Zulage nach § 52 Abs. 3 TVöD-BT-K iVm. § 15 Abs. 1 TVöD verlan-gen. III. Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB, § 24 Abs. 1 Satz 1, § 20 Abs. 5 Satz 1 TVöD. IV. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO. Eylert Creutzfeldt Treber Steding Rupprecht 29 30 31

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