3 Ni 14/15 (EP) - 3. Senat (Nichtigkeit)
Karar Dilini Çevir:

BPatG 253
08.05

BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES

3 Ni 14/15 (EP)
(Aktenzeichen)

URTEIL


Verkündet am
7. März 2017





In der Patentnichtigkeitssache



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betreffend das europäische Patent 1 069 893
(DE 699 34 305)

hat der 3. Nichtigkeitssenat des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen
Verhandlung vom 7. März 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters
Schramm, des Richters Kätker, der Richterin Dipl.-Chem. Dr. Münzberg, des
Richters Dipl.-Chem. Dr. Jäger und der Richterin Dipl.-Chem. Dr. Wagner

für Recht erkannt:

I. Das europäische Patent 1 069 893 wird mit Wirkung für das
Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise
für nichtig erklärt, dass seine Patentansprüche folgende Fassung
erhalten:

1. Verwendung von Dexmedetomidin oder einem pharmazeu-
tisch verträglichen Salz davon zur Herstellung eines Medika-
ments zum Sedieren eines kritisch kranken Patienten, der unter
Intensivbehandlung steht, wobei der Patient erregbar und ori-
entiert bleibt, wobei das Dexmedetomidin oder ein pharmazeu-
tisch verträgliches Salz davon intravenös verabreicht wird, wo-
- 3 -
bei eine Ladungsdosis und die Erhaltungsdosis verabreicht
werden und wobei das Dexmedetomidin oder ein pharmazeu-
tisch verträgliches Salz davon in einer solchen Menge verab-
reicht wird, dass eine Plasmakonzentration von 0,1 bis 2 ng/ml
erreicht wird.

2. Verwendung nach Anspruch 1, wobei das Dexmedetomidin
oder ein pharmazeutisch verträgliches Salz davon im Wesentli-
chen der einzige Wirkstoff oder der einzige Wirkstoff ist.

3. Verwendung nach Anspruch 1 oder 2, wobei die Ladungsdo-
sis und die Erhaltungsdosis einem Menschen verabreicht wer-
den.

4. Verwendung nach Anspruch 3, wobei die Ladungsdosis von
Dexmedetomidin 0,2 bis 2 μg/kg beträgt.

5. Verwendung nach Anspruch 4, wobei die Ladungsdosis
innerhalb von etwa 10 Minuten verabreicht wird.

6. Verwendung nach Anspruch 5, wobei die Ladungsdosis von
Dexmedetomidin 1 μg/kg beträgt.

7. Verwendung nach Anspruch 3, wobei die Erhaltungsdosis
von Dexmedetomidin 0,1 bis 2,0 μg/kg/h beträgt.

8. Verwendung nach Anspruch 7, wobei die Erhaltungsdosis
von Dexmedetomidin 0,2 bis 0,7 μg/kg/h beträgt.

9. Verwendung nach Anspruch 8, wobei die Erhaltungsdosis
von Dexmedetomidin 0,4 bis 0,7 μg/kg/h beträgt.

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Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der aus-
scheidbaren Kosten des Zwischenstreits tragen die Klägerin 1/3
und die Beklagte 2/3.
Die Beklagte trägt die Kosten der Nebenintervention mit Aus-
nahme der ausscheidbaren Kosten des Zwischenstreits zu 2/3.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 %
des zu jeweils vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.


Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 31. März 1999 unter Inanspruch-
nahme der amerikanischen Prioritäten US 80287 P vom 1. April 1998 und
US 110944 P vom 4. Dezember 1998 als internationale Patentanmeldung
PCT/FI1999/000266 in englischer Sprache angemeldeten und vor dem Europäi-
schen Patentamt in der regionalen Phase erteilten europäischen Patents
1 069 893 (Streitpatent), dessen Erteilung mit Wirkung für die Bundesrepublik
Deutschland am 6. Dezember 2006 bekannt gemacht wurde und das vom Deut-
schen Patent- und Markenamt unter der Nummer 699 34 305 geführt wird. Das
Streitpatent, das in vollem Umfang und hilfsweise beschränkt mit vier Hilfsanträ-
gen verteidigt wird, trägt die Bezeichnung „Use of Dexmedetomidine for ICU Se-
dation“ („Verwendung von Dexmedetomidine zur Sedierung auf der Intensivsta-
tion“) und umfasst 12 Patentansprüche. Der erteilte Patentanspruch 1 lautet wie
folgt:

„1. Use of dexmedetomidine or a pharmaceutically acceptable
salt thereof in the manufacture of a medicament for use in sedat-
ing a critically ill patient who is given intensive care, wherein the
patient remains arousable and orientated.”
- 5 -
In deutscher Fassung lautet er:

„1. Verwendung von Dexmedetomidin oder einem pharmazeu-
tisch verträglichen Salz davon zur Herstellung eines Medikaments
zur Sedierung eines schwerkranken Patienten, der unter Intensiv-
behandlung steht, wobei der Patient erregbar und orientiert bleibt.“

Wegen des Wortlauts der unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbe-
zogenen weiteren Patentansprüche wird auf die Patentschrift EP 1 069 893 B1
verwiesen.

Die Klägerin, die das Streitpatent in vollem Umfang angreift, macht den Nichtig-
keitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend. Sie stützt ihr Vorbringen auf
folgende Dokumente:

NiK1 EP 1 069 893 B1 („Streitpatent“)
NiK2 M.S. Aho et al., „Effect of Intravenously Administered Dexmedetomi-
dine on Pain After Laparoscopic Tubal Ligation“, Anesth. Analg.,
1991, 73, Seiten 112 bis 118
NiK3 P. Talke et al., „Effects of Perioperative Dexmedetomidine Infusion in
Patients Undergoing Vascular Surgery“, Anesthesiology, 1995, 82,
Seiten 620 bis 633
NiK4 EP 0 300 652 A1
NiK5 R. Aantaa, “Assessment of the Sedative Effects of Dexmedetomi-
dine, an α2-Adrenoceptor Agonist, with Analysis of Saccadic Eye
Movements”, Pharmacology & Toxicology, 1991, 68, Seiten 394 bis
398,
NiK6 P. Bischoff, E. Kochs, „Alpha2-Agonisten in Anästhesie und
Intensivmedizin“, Anästhesiol. lntensivmed. Notfallmed.
Schmerzther., 1993, 28, Seiten 2 bis 12
NiK7 J.B. Dyck et al. „The Pharmacokinetics and Hemodynamic Effects of
Intravenous and Intramuscular Dexmedetomidine Hydrochloride in
- 6 -
Adult Human Volunteers“, Anesthesiology, 1993, 78, Seiten 813
bis 820
NiK8 Gutachtliche Stellungnahme von Prof. E.F. Kochs vom
16. September 2016, 11 Seiten, nebst Anlagen
NiK9 N.W. Lawson „Autonomic Nervous System Physiology and
Pharmacology”, in P.G. Barash, B.F. Cullen, R.K. Stoelting (Eds.)
Clinical Anesthesia, 2nd Ed., J.P. Lippincott Co., Philadelphia, 1992,
Seiten 319 und 374
NiK10 Zweite gutachtliche Stellungnahme Prof. E.F. Kochs vom
26. Januar 2017, 7 Seiten
NiK11 M.A. Mirski et al., „Sedation for the critically ill neurologic patient”,
Critical Care Medicine, 1995, 23, Seiten 2038 bis 2053; Ausdruck mit
Ausdruckdatum 2. September 2016, 30 Seiten
Die Nebenintervenientin, die mit Schriftsatz vom 17. Januar 2017 dem Verfahren
auf Seiten der Klägerin beigetreten ist, verweist weiterhin auf folgende Doku-
mente:

NI1 Stellungnahme Prof. U. Hörnchen aus dem parallelen österreichi-
schen Nichtigkeitsverfahren vom 21. Januar 2016, 6 Seiten
NI2 Stellungnahme Prof. P. Gerner aus dem parallelen österreichischen
Nichtigkeitsverfahren vom 19. Januar 2016, 7 Seiten
NI3 K. Reid et al., „Chronic Administration of an α2 Adrenergic Agonist
Desensitizes Rats to the Anesthetic Effects of Dexmedetomidine”,
Pharmacology Biochemistry and Behavior, 1994, 47, Seiten 171
bis 175
NI4 R. Aantaa et al., „Intramuscular dexmedetomidine, a novel alpha2-
adrenoceptor agonist, as premedication for minor gynaecological
surgery”, Acta Anaesthesiol Scand 1991, 35, Seiten 283 bis 288
NI5 E. Hassan et al., „Therapeutic Considerations in the Management of
Agitated or Delirious Critically Ill Patients”, Pharmacotherapy 1998,
18, Seiten 113 bis 129
- 7 -
NI5' Auszug aus der PubMed-Datenbank mit div. Angaben zum Doku-
ment NI5, recherchiert am 25. Januar 2017, 1 Seite
NI6 Auszug aus , „Medikamente und Richtwerte in der Anästhesiologie“,
Ralf Müller (Herausgeber) et al., 1. Aufl., Krause & Pachernegg
GmbH, Gablitz, 1998, Deckseite, Impressum und Eintrage zu
Propofol, Remifentanil, Midazolam und Morphin, 5 Seiten
NI7 NetDoktor: „Morphin“, 1 Seite
NI8 Eingangsbestätigung des Bundesinstituts für Arzneimittel und
Medizinprodukte von 8. Juni 2016, GESCHZ Z14.1.03 – 2197923,
2 Seiten
NI9 „SUMMARY OF PRODUCT CHARACTERISTICS“ betreffend ein
Konzentrat für eine Infusionslösung mit dem Wirkstoff Dexmedetomi-
din, überreicht in der Verhandlung am 7. März 2017, 1 Seite

Die Klägerin und die Nebenintervenientin sind der Ansicht, dass der Gegenstand
des Patentanspruchs 1 des Streitpatents bei gebotener weiter Auslegung des
Merkmals „kritisch kranker“ bzw. „schwerkranker Patient“ nicht neu und im Übrigen
nicht erfinderisch sei. Die Druckschrift NiK3 offenbare sämtliche Merkmale des
Patentanspruchs 1. Die dort behandelten Patienten mit hohem Risiko für eine ko-
ronare Herzkrankheit, also einer existenzgefährdenden Bedrohung, seien kritisch
krank, wobei ihre Vitalfunktionen vor und während der Dexmedetomidin-Verabrei-
chung sowie postoperativ überwacht worden seien. Zudem seien die Patienten
postoperativ intensivmedizinisch betreut worden. Dabei sei eine präoperative Se-
dierung festgestellt worden, bei der die Patienten aufweckbar und orientiert ge-
blieben seien. Soweit laut der NiK3 am Tag nach der Operation keine Sedierung
mehr habe festgestellt werden können und dies mit Tachyphylaxie begründet wor-
den sei, verweist die Nebenintervenientin auf die Druckschrift NI3 (Referenz 27 in
der NiK3), wonach eine vollständige Tachyphylaxie erst nach mehreren Tagen
eintrete. Zudem sei aus der NI4 bekannt, dass nach dem Nachlassen einer Anäs-
thesie deren sedierende Wirkung postoperativ andauere. Daher sei auch von einer
postoperativen sedierenden Wirkung von Dexmedetomidin auszugehen.

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Auch die NiK11 nehme den Gegenstand des Patentanspruchs 1 neuheitsschäd-
lich vorweg. Darin würden in Zusammenhang mit kritisch kranken, neurologisch
beeinträchtigten und gerade auch postoperativ behandelten Patienten die ausge-
zeichneten Sedierungseigenschaften von Dexmedetomidin als vorteilhaft offen-
bart, wobei darauf hingewiesen werde, dass sich diese Verbindung in klinischen
Studien befinde. Da die Erweckbarkeit und Orientiertheit des Patienten eine inhä-
rente Eigenschaft der Sedierung mit Dexmedetomidin sei, müsse der Fachmann
bei der vorgeschlagenen Sedierung kritisch kranker Patienten mit dem Wirkstoff
zwangsläufig auch diese Eigenschaften auffinden. Zumindest aber beruhe der
Gegenstand des Patentanspruchs 1, ausgehend von der NiK11, nicht auf erfinde-
rischer Tätigkeit.

Ebenso liege eine Kombination der Druckschriften NiK2 und NiK3 den Gegen-
stand des Streitpatents nahe.

Nach Auffassung der Nebenintervenientin, ist der Gegenstand des Patentan-
spruchs 1 zudem durch die Druckschrift NI5 in Kombination mit NI4 nahe gelegt.
Der Übersichtsartikel NI5 spiegele das allgemeine technische Fachwissen bezüg-
lich der Behandlung von „agitated or delirious critically ill patients“ auf der Intensiv-
station wieder. Danach würden von neueren, in der klinischen Prüfung befindli-
chen Wirkstoffen insbesondere α2-adrenerge Agonisten, wie u. a. Dexmedetomi-
din, vorgeschlagen, da sie eine Sedierung bei geringeren Nebenwirkungen er-
möglichten. Zudem verweise die NI5 hinsichtlich der sedierenden Wirkung auf die
NI4, in der eine lang andauernde postoperative sedierende Wirkung von Dexme-
detomidin, auch nach dem Nachlassen der Anästhesie, belegt werde. Eine solche
langdauernde Wirkung sei bei Intensivpatienten mit Angstzuständen und motori-
scher Unruhe gerade der erwünschte Effekt. Der Fachmann werde davon ausge-
hen, dass der Wirkmechanismus in kritisch kranken und gesunden Patienten
gleich sei und die Verabreichung von Dexmedetomidin so wählen, dass die Sedie-
rung im gewünschten Zeitraum anhalte.

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Die in der mündlichen Verhandlung nach deren Wiedereröffnung eingereichten
Hilfsanträge 1 bis 3 rügt die Klägerin sinngemäß als verspätet und hat sich,
ebenso wie die Nebenintervenientin, hierauf nicht eingelassen.

Den Gegenstand des Hilfsantrags 4 halten Klägerin und Nebenintervenientin für
nicht patentfähig. Er sei durch die NiK3 neuheitsschädlich vorweggenommen.

Die Klägerin und die Nebenintervenientin beantragen,

das europäische Patent 1 069 893 mit Wirkung für das Hoheitsge-
biet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das
Streitpatent die Fassung eines der Hilfsanträge 1 bis 4, übergeben
in der mündlichen Verhandlung vom 7. März 2017, erhält.

Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 und lautet wie folgt:

„1. Verwendung von Dexmedetomidin oder einem pharmazeu-
tisch verträglichen Salz davon zur Herstellung eines Medikaments
zum Sedieren eines kritisch kranken Patienten, der aufgrund eines
eine kritische Krankheitsperiode auslösenden Ereignisses unter
Intensivbehandlung steht, wobei der Patient erregbar und orien-
tiert bleibt.“

Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 entspricht dem erteilten Patentanspruch 1
in der Fassung der deutschen Übersetzung der Patentschrift mit dem Unterschied,
dass die Wortfolge „oder einem pharmazeutisch verträglichen Salz davon“ ersetzt
wird durch die Wortfolge:
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„als HCl Salz“.

Außerdem sind – wie bereits in Hilfsantrag 1 – die in der deutschen Fassung ge-
mäß der Patentschrift enthaltenen Begriffe „zur Sedierung“ durch „zum Sedieren“
und „eines schwerkranken Patienten“ durch „eines kritisch kranken Patienten“ er-
setzt worden. Die übrigen Patentansprüche bleiben gegenüber der erteilten Fas-
sung unverändert.

Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 entspricht dem erteilten Patentanspruch 1
in der Fassung der deutschen Übersetzung der Patentschrift, wobei zusätzlich fol-
gendes Merkmal angefügt wird:

„…, wobei die Dexmedetomidinverabreichung innerhalb einer Stunde
nach Aufnahme in die ICU beginnt“,

und das ebenfalls die oben genannten Begriffe wie dargestellt ersetzt worden sind.

Hinsichtlich der Patentansprüche gemäß Hilfsantrag 4 wird auf Ziffer I des Ur-
teilstenor verwiesen.

Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen. Sie verweist auf folgende
Dokumente und Medien:

B1 Anhänge I bis III der Zulassung des Arzneimittels „Dexdor“ vom 16.
September 2011, Seiten 1 bis 28
B2 Gutachten Prof. Hörnchen vom 6. Juli 2015, Seiten 1 bis 3
B2a M. Carrington, J. Down, „Recognition and assessment of critical ill-
ness“, Anaesthesia and Intensive Care Medicine, 2009, 11, Seiten 6
bis 8
B2b E. Mitchell, „Specific features of critical care medicine. Recognition of
critical illness“, Core Topics in Critical Care Medicine, eds. Fang Gao
- 11 -
Smith and Joyce Yeung, Cambridge University Press 2010, Seiten 1
bis 5
B2c F. Oehmichen, A. Manzeschke, „Ein besonderer Zustand als Folge
der Intensivmedizin: Chronisch kritisch-krank“, Deutsches Ärzteblatt,
2011, 108(33), A1730-2, Seiten 1 bis 3
B3 Gutachten Prof. Tonner vom 11. November 2015, Seiten 1 bis 6
B4 R.R. Riker et al., „Dexmedetomidine vs Midazolam for Sedation of
Critically Ill Patients: A Randomized Trial FREE“, JAMA, 2009, 301,
Seiten 489 bis 499
B5 C. Alexopoulou et al., „Effects of Dexmedetomidine on Sleep Quality
in Critically Ill Patients - A Pilot Study“, Anesthesiology, 2014, 121,
Seiten 801 bis 807
B6 A. Gentili et al., „Effect of clonidine and yohimbine on sleep in healthy
men: a double-blind, randomized, controlled trial“, Eur J Clin Phar-
macol., 1996, 50, Seiten 463 bis 465
B7 B. Walder et al., „Schlafstörungen bei kritisch kranken Patienten“,
Anaesthesist 2007, 56, Seiten 7 bis 17
B8 Goodman & Gilman’s, „The Pharmacological Basis of Therapeutics”,
9th Ed., McGraw-Hill, New York, 1996, Seite 129
B9 K. Reid et al., „Nifedipine, an L-type Calcium Channel Blocker, Re-
stores the Hypnotic Response in Rats Made Tolerant to the Alpha-2
Adrenergic Agonist Dexmedetomidine“, JPET, 1997, 283, Seiten 993
bis 999
B10 A.C. Trompeo et al., „Sleep disturbances in the critically ill patients:
role of delirium and sedative agents“, Minerva Anestesiol., 2011, 77,
Seiten 604 bis 612
B11 M.C. Reade et al., „Sedation and Delirium in the Intensive Care Unit“,
N Engl. J Med., 2014, 370, Seiten 444 bis 454
B12 J.R. Maldonado et al., „Dexmedetomidine and the Reduction of
Postoperative Delirium after Cardiac Surgery“, Psychosomatics,
2009, 50, Seiten 206 bis 217
- 12 -
B13 B.K.J. Wagner und D.A. O’Hara, „Pharmacokinetics and
Pharmacodynamics of Sedatives and Analgesics in the Treatment of
Agitated Critically Ill Patients“, Clin. Pharmacokinet., 1997, 33,
Seiten 426 bis 453
B14 „Praxis der lntensivbehandlung“, Hrsg: P. Lawin, 6. Aufl. 1994,
Georg Thieme Verlag, Stuttgart, New York, Seite 15
B15 M.A. Mirski et al., „Cognitive improvement during continuous seda-
tion in critically ill, awake and responsive patients: the Acute Neuro-
logical ICU Sedation Trial (ANIST)“, Intensive Care Med 2010, 36,
Seiten 1505 bis 1513
B16 Y. Shehabi et al., „Clinical application, the use of dexmedetomidine in
intensive care sedation“, Crit Care & Shock 2010, 13, Seiten 40
bis 50
B17 H. Goodwin et al., „Cooperative sedation’: optimizing comfort while
maximizing systemic and neurological function”, Critical Care 2012,
16, 217, 6 Seiten
B18 A.T. Gerlach et al., „An Updated Focused Review of Dexmedetomi-
dine in Adults“, The Annals of Pharmacotherapy 2009, 43,
Seiten 2064 bis 2074
B19 H. Wunsch und K.P. Kress, „A New Era for Sedation in ICU Pati-
ents“, JAMA 2009, 301, Seiten 542 bis 544
B20 DE 699 34 305 T2, deutsche Übersetzung des Streitpatents
B21 DVD mit Schulungsvideo „Dexmedetomidin“
B22 Ergänzende Stellungnahme Prof. Hörnchen vom
20. Dezember 2016, 7 Seiten
B23 Ergänzende Stellungnahme Prof. Tonner vom 20. Dezember 2016,
6 Seiten
B24 MedlinePlus „Tubal ligation“, Internetausdruck, URL:
//medlineplus.gov/ency/article/002913.htm (ohne Veröffentlichungs-
oder Ausdruckdatum), 4 Seiten
- 13 -
B25 Anlagenkonvolut mit Akteneinsichtsantrag der Patentanwälte Redl v.
2. Februar 2016 sowie Gerichts- u. Amtsbescheiden zum Aktenein-
sichtsverfahren 3 ZA (pat) 12/16 (zu 3 Ni 14/15 (EP)), 3 Seiten
B26 Beschluss der Nichtigkeitsabteilung des Österreichischen Patent-
amts vom 8. Juni 2016 (N 2/2015-6-9)
B27 Anlagenkonvolut „paralleles Nichtigkeitsverfahren vor dem
Österreichischen Patentamt betreffend das Patent EP 1 069 893“,
561 Seiten

Nach Auffassung der Beklagten ist der Beitritt der Nebenintervenientin auf Kläger-
seite nicht zulässig, da die Nebenintervenientin ein rechtliches Interesse am Bei-
tritt nicht substantiiert dargelegt habe. Weiter rügt die Beklagte die mit Schriftsatz
der Nebenintervenientin vom 9. Februar 2017 eingeführten Druckschriften und den
hierzu vorgebrachten Vortrag der Nebenintervenientin als verspätet.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des
Streitpatents patentfähig sei. Insbesondere sei er neu gegenüber den Druck-
schriften NiK2 und NiK3. Die Druckschrift NiK2 sei schon deshalb nicht neuheits-
schädlich, weil sie keine Verwendung von Dexmedetomidin zur Behandlung kri-
tisch kranker sondern vielmehr von gesunden Patientinnen offenbare, die sich le-
diglich einer Wunschoperation unterzogen hätten.

Auch die Druckschrift NiK3 sei bei richtiger Auslegung des Merkmals „kritisch
kranker Patient“, nicht neuheitsschädlich, da bei den in der NiK3 untersuchten Pa-
tienten, die eine koronare Herzerkrankung oder ein hohes Risiko dafür aufwiesen,
die für einen kritisch kranken Patienten erforderliche krisenhafte, lebensbedro-
hende Situation fehle. Ob die Patienten dann nach Durchführung der Operation
kritisch krank waren, ließe sich der Offenbarung der NiK3 nicht unmittelbar und
eindeutig entnehmen. Jedenfalls sei in der NiK3 im Anschluss an die Operation
explizit keine sedierende Wirkung durch Dexmedetomidin festgestellt worden.

- 14 -
Ebenso sei die Druckschrift NiK11 nicht neuheitsschädlich. Dieser Review-Artikel
offenbare insbesondere nicht die Sedierung von kritisch kranken sondern allenfalls
von normal kranken Patienten mit Dexmedetomidin, das ursprünglich zum intrao-
perativen Einsatz entwickelt worden sei. Entsprechende Studien mit kritisch kran-
ken Patienten seien vielmehr erst später durchgeführt worden und hätten dann
zum Streitpatent geführt.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit.
Die Druckschrift NiK3 untersuche nicht die sedierende Wirkung von Dexmede-
tomidin sondern beschäftige sich mit dessen Wirkungen auf die Herz-Kreislauf-
Funktionen von Patienten, die sich einer gefäßchirurgischen Behandlung unterzo-
gen hätten. Die Druckschrift lehre vom Gegenstand des Streitpatents weg, da da-
rin für die Zeit nach der Operation, in der ein kritischer Krankheitszustand mit in-
tensivmedizinischer Betreuung in Betracht gekommen wäre, gerade keine sedie-
rende Effekte von Dexmedetomidin beobachtet worden seien, sondern vielmehr
auf Tachyphylaxie verwiesen worden sei.

Auch die Druckschrift NiK2 könne den Gegenstand des Streitpatents nicht nahe
legen. Abgesehen davon, dass sie keinen kritisch kranken Zustand der gesunden
Patientinnen zeige, beschäftige sich die Druckschrift mit der Wirkung von Dexme-
detomidin auf das Schmerzempfinden nach einer Tubenligatur. Den Patientinnen
sei erst nach der Operation – im Aufwachraum – Dexmedetomidin verabreicht
worden, wenn sie Schmerzen verspürten. Die sedierende Wirkung von Dexme-
detomidin sei hierbei nur als unerwünschter Nebeneffekt beschrieben worden,
wobei die Druckschrift über die Orientiertheit der Patientinnen keine Auskunft
gebe. Einen Hinweis darauf, dass Dexmedetomidin bei kritisch kranken Patienten
vorteilhafte Wirkungen entfalte, lasse sich der Schrift nicht entnehmen.

Ebenfalls ausgehend von der NiK11 gelange der Fachmann nicht naheliegend
zum Gegenstand des Streitpatents. Verschiedene Aussagen, etwa über die Wir-
kung von Dexmedetomidin und die Patientengruppe seien spekulativ bzw. falsch.
Zudem weise die Druckschrift auf verschiedene Nebenwirkungen von Alpha2-Ago-
- 15 -
nisten hin, so dass der Fachmann keinen Anlass habe, aus der Vielzahl der Ver-
bindungen Dexmedetomidin auszuwählen, geschweige denn, das spezielle Sedie-
rungsprofil dieses Wirkstoffs aufzufinden.

Die Druckschrift NI5 offenbare ebenfalls keine Sedierung von kritisch kranken Pa-
tienten mit Dexmedetomidin. Die dort als „newer sedative agents“ bezeichneten
Wirkstoffe seien – was aus der Druckschrift explizit hervorgehe – noch nicht bei
intensivmedizinisch behandelten Patienten eingesetzt worden. Zudem zeige die
Druckschrift, dass die Pharmakokinetik und -dynamik in kritisch kranken Patienten
gänzlich anders als in gesunden oder normal kranken Patienten sei, so dass die
mit letzteren erzielten Ergebnisse nicht einfach auf kritisch kranke Patienten extra-
poliert werden könnten. Wie auch in der NiK11 werde Dexmedetomidin unter der
Vielzahl der besprochenen Wirkstoffe nicht besonders herausgehoben.

Die Beklagte bietet zu verschiedenen medizinischen Fachfragen und Begriffsaus-
legungen Beweis durch Sachverständige an.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen S…. Insoweit
wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die auf den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1
Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 a) EPÜ) gestützte Klage ist zulässig.

Zulässig ist auch der Beitritt der Nebenintervenientin auf Seiten der Klägerin (§ 66
ZPO i. V. m. § 99 Abs. 1 PatG). Insbesondere hat die Nebenintervenientin nach
dem Ergebnis der Beweisaufnahme ein rechtliches Interesse am Obsiegen der
Klägerin. Der Begriff des rechtlichen Interesses ist weit auszulegen (vgl. a. Busse,
PatG, 8. Aufl., § 81 Rn. 127; Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren, 6. Aufl.,
Rn. 181; vgl. ebenso zur allg. zivilprozessualen Praxis: Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 66
- 16 -
Rn. 8; Thomas/Putzo, ZPO, 37. Aufl., § 66, Rn. 5). In seiner dazu ergangenen
Leitentscheidung „Carvedilol“ (GRUR 2006, 438) hat der Bundesgerichtshof seine
frühere Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben, wonach weitergehend noch
Rechtsbeziehungen zwischen dem Nebenintervenienten und einer der Parteien
hinsichtlich des Streitpatents erforderlich waren (vgl. BGH, a. a. O., Ziff. 2
und 2.2). Ausreichend sei es nurmehr, wenn der Nebenintervenient von der Ge-
staltungswirkung eines Urteils betroffen werde. Von dieser Gestaltungswirkung
seien jedenfalls alle Unternehmen betroffen, die durch das Streitpatent in ihren
geschäftlichen Tätigkeiten als Wettbewerber beeinträchtigt werden können. Denn
ihre Handlungsmöglichkeiten im Wettbewerb würden durch den Bestand des Pa-
tents eingeengt und damit erweitert, wenn diese Beschränkung beseitigt werde, in
dem es für nichtig erklärt wird (BGH, a. a. O., Ziff. 2.1).

Vorliegend hat die Nebenintervenientin unwidersprochen vorgetragen, dass sie
Wettbewerberin der Beklagten ist. Weiter ist zur Überzeugung des Senats bewie-
sen, dass sie seit Juni 2016 die Zulassung eines Dexmedetomidin-haltigen Arz-
neimittels in Deutschland beantragt hat, dass das Arzneimittel in den Indikations-
bereich des Streitpatents fällt und dass dieses Zulassungsverfahren nach wie vor
anhängig ist. Dies hat der Zeuge S… glaubhaft bekundet. Auch wenn er An-
gestellter eines Konzernunternehmens der Nebenintervenientin ist, so hält der Se-
nat seine Aussage für glaubhaft. Sie wird zunächst gestützt durch die als NI8 vor-
gelegte Eingangsbestätigung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinpro-
dukte vom 8. Juni 2016, in der der Eingang eines Antrags auf Zulassung und Re-
gistrierung von Arzneimitteln, bestätigt wird. Als Arzneimittelbezeichnung ist dabei
angegeben „Dexmedetomidine Valinject 100“. Ergänzend hat die Nebeninterveni-
entin in der mündlichen Verhandlung einen Auszug aus den Zulassungsunterlagen
vorgelegt, in dem angegeben ist, dass Dexmedetomidin für die Sedierung von er-
wachsenen, intensivmedizinisch behandelten Patienten vorgesehen ist, welche
eine Sedierungstiefe benötigen, die noch ein Erwecken durch verbale Stimulation
erlaubt ist (vgl. NI9, erster, zweiter und letzt. Abs.).

- 17 -
Die Aussage des Zeugen, wonach es sich hierbei um die therapeutische Indikation
handele, die Gegenstand des Zulassungsverfahrens sei, erscheint unter Mitbe-
rücksichtigung der vorgelegten Urkunden insgesamt glaubhaft, zumal die Zulas-
sungsunterlagen in absehbarer Zeit einsehbar sein werden, so dass sich der
Zeuge einem hohen Risiko der Strafverfolgung aussetzt, wenn er derart nachprüf-
bare Tatsachen falsch darstellen würde.

Damit hat die Nebenintervenientin kein bloßes Popularinteresse bzw. ein nur all-
gemeines wirtschaftliches oder tatsächliches Interesse an der Beseitigung des
Streitpatents. Vielmehr werden ihre Handlungsmöglichkeiten im Wettbewerb durch
den Bestand des Patents eingeengt. Sie ist an der Ausdehnung ihres Produkt-
portfolios auf Dexmedetomidin-haltige Arzneimittel zur Verwendung als Sedativa
in der Intensivmedizin jedenfalls insoweit gehindert, als sie damit in Konflikt mit
den durch das Streitpatent gewährten Verbietungsrechten gerät oder zumindest
geraten kann. Ihre unternehmerischen Handlungsmöglichkeiten werden daher
durch das Streitpatent beeinträchtigt, so dass das nach der Rechtsprechung oh-
nehin weit auszulegende Interesse der Nebenintervenientin am Obsiegen der von
ihr unterstützten Partei vorliegt. Auch die weiteren Voraussetzungen der Neben-
intervention liegen vor.

I.

Die Klage erweist sich teilweise als begründet.

1. Das Streitpatent betrifft die Verwendung von Dexmedetomidin oder einem
pharmazeutisch verträglichen Salz davon zur Herstellung eines Medikaments zur
Sedierung eines kritisch kranken Patienten, der unter Intensivbehandlung steht
(vgl. NiK1, S. 2 Abs. [0001]).

Im Streitpatent wird davon berichtet, dass es zum maßgeblichen Zeitpunkt keine
allgemein anerkannte sedative Therapie für kritisch kranke Patienten gegeben
habe. Diese Patienten erhielten daher während ihres Aufenthalts auf einer Inten-
- 18 -
sivstation (ICU, Intensive Care Unit) häufig gleichzeitig eine Vielzahl von Medika-
menten. In den meisten Fällen würden Arzneimittel verabreicht, damit sich der Pa-
tient wohlfühle, entspannt sei und unbequeme Behandlungsverfahren wie das Le-
gen von intravenösen Zugängen oder anderer Katheter toleriere. Hierfür würden
verschiedene Medikamente zur Anxiolyse, zur Amnesie, zur Analgesie, gegen
Depressionen, zur Muskelrelaxation, zum Schlafen und zur Anästhesie verab-
reicht. Diese Mittel würden im Kontext mit Sedierung auf einer Intensivstation
(ICU) kumulativ als Sedativa bezeichnet. Die verfügbaren sedierenden Mittel wie-
sen jedoch unerwünschte Nebenwirkungen, wie u. a. prolongierte Sedierung,
Übersedierung, prolongierte Entwöhnung, Atemdepression, Hypotonie, Bradykar-
die, Toleranz und Orientierungslosigkeit auf. Neben diesen unerwünschten Wir-
kungen könne es auch bei Verabreichung mehrerer Mittel (Polypharmazie) zu un-
vorhersehbaren Nebenwirkungen und einer Änderung der Pharmakokinetik kom-
men. Beispielsweise könnten die Arzneimittel synergistisch oder aber toxisch wir-
ken, wenn sie additiv verabreicht würden (vgl. NiK1, S. 2, Abs. [0002-0005]).

Zudem habe sich der bevorzugte Sedierungsgrad für kritisch kranke Patienten in
den letzten Jahren beträchtlich verändert. Die meisten Intensivmediziner bevor-
zugten zum maßgeblichen Zeitpunkt, dass ihre intensivmedizinisch betreuten Pa-
tienten schliefen, wobei sie jedoch leicht aufweckbar sein sollten (vgl. NiK1, S. 2,
Abs. [0006], S. 3, Abs. [0010]).

2. Vor diesem Hintergrund liegt dem Streitpatent die objektive Aufgabe zu
Grunde, ein verbessertes Sedativum zur Behandlung von kritisch kranken Patien-
ten, die intensivmedizinisch betreut werden müssen, bereitzustellen.

Soweit geltend gemacht wird, dass die streitpatentgemäße Aufgabe zusätzlich da-
rin bestehe, dass die Patienten aufweckbar blieben und orientiert seien, kann die-
ser Aufgabenbestimmung nicht beigetreten werden. Denn die Definition des tech-
nischen Problems, das eine Erfindung zu Grunde liegt, dient nicht dazu, eine Vor-
entscheidung über die Frage der Patentfähigkeit zu treffen. Maßgeblich ist viel-
mehr, was die Erfindung gegenüber dem Stand der Technik im Ergebnis tatsäch-
- 19 -
lich leistet. Hieraus ergibt sich allerdings nicht, dass bei der Definition des techni-
schen Problems kumulativ alle Vorteile zu berücksichtigen sind, die die Erfindung
objektiv leistet. Vielmehr ist das technische Problem so allgemein und neutral zu
formulieren, dass sich diese Frage ausschließlich in dem Zusammenhang stellt, in
dem sie relevant ist, nämlich der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit (vgl. BGH
GRUR 2015, 352 – Quetiapin). Deshalb sind die Merkmale „aufweckbar“ und „ori-
entiert“, die die Sedierungsqualität von Dexmedetomidin betreffen und damit zur
patentgemäßen Lösung gehören, nicht als Teil der Aufgabe anzusehen.

Aufgabe des Streitpatents kann es auch nicht sein, eine neue Patientengruppe
aufzufinden, die mit Dexmedetomidin sediert werden kann. Denn dem Streitpatent
zufolge steht die Patientengruppe fest, für die ein verbessertes Sedativum bereit-
gestellt werden soll. Dabei handelt es sich um kritisch kranke Patienten, die sich
auf einer Intensivstation befinden (vgl. NiK1, S. 2, Abs. [0002-0003], S. 3,
Abs. [0010]).

3. Gelöst wird diese Aufgabe gemäß dem erteilten Patentanspruch 1 durch die

1. Verwendung von Dexmedetomidin oder einem pharmazeutisch
verträglichem Salz davon zur Herstellung eines Medikaments,
2. zur Sedierung
3. eines kritisch kranken Patienten,
3.1 der unter Intensivbehandlung steht,
4. wobei der Patient
4.1 aufweckbar und
4.2 orientiert bleibt.

Der offensichtliche Übersetzungsfehler in Merkmal 4.1 der deutschen Fassung
von Patentanspruch 1 gemäß der Streitpatentschrift NiK1 ist hierbei auf Grundlage
der nach Art. 70 Abs. 1 EPÜ maßgebenden englischen Fassung berichtigt wor-
den.

- 20 -
4. Der vorliegend zuständige Fachmann wird durch ein auf dem Gebiet der
Arzneimittelentwicklung üblicherweise tätiges Team von Fachleuten repräsentiert
(vgl. BGH, GRUR 2007, 404 – Carvedilol II). Im vorliegenden Fall umfasst dieses
Team einen Experten für pharmazeutische Technologie mit mehrjähriger Berufs-
erfahrung auf dem Gebiet der Formulierung pharmazeutischer Präparate, der die
Dexmedetomidin-haltigen Zusammensetzungen bereitstellt, und einen Intensiv-
mediziner, der mit der Sedierung von kritisch kranken Patienten vertraut ist.

II.

Der erteilte Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag erweist sich als nicht be-
standsfähig.

1. Die Prüfung der Patentfähigkeit erfordert regelmäßig eine Auslegung des
Patentanspruchs, bei der dessen Sinngehalt in seiner Gesamtheit und der Beitrag,
den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, zu be-
stimmen sind (vgl. BGH GRUR 2012, 1124 – Polymerschaum).

1.1 Diesem Grundsatz folgend ist vorliegend zu bestimmen, welche Bedeutung
der Begriff „kritisch kranker Patient“ („critically ill patient“) in Merkmal 3 von Pa-
tentanspruch 1 zukommt. Nach der Lehre des Streitpatents sollen mit der im er-
teilten Patentanspruch 1 beschriebenen Verwendung von Dexmedetomidin Pati-
enten sediert werden, die intensivmedizinisch behandelt werden. Diese Patienten
werden in der Beschreibung und in Patentanspruch 1 als kritisch krank bezeich-
net. Der Ausdruck „kritisch krank“ wird somit in der Streitpatentschrift synonym mit
dem Begriff „unter Intensivbehandlung“ verwendet (vgl. NiK1, Patentanspruch 1,
S. 1, Abs. [0001-0003] und [0006], S. 3, Abs. [0016], S. 4, Abs. [0024-0026], S. 9,
Abs. [0047]).

Von einem solchen Verständnis wird der Fachmann auch aufgrund der erfindungs-
gemäßen Ausführungsbeispiele ausgehen, die zur Auslegung des streitigen Be-
griffs heranzuziehen sind (vgl. BGH GRUR 2015, 972 – Kreuzgestänge). In den
- 21 -
drei Beispielen der Streitpatentschrift werden Patienten verschiedenster Grunder-
krankungen beschrieben, die sich alle auf einer Intensivstation befinden (vgl. NiK1,
S. 4, Abs. [0029], S. 5, Abs. [0034-0035] und [0037], S. 5/6, Abs. [0041], S. 6,
Abs. [0046]). Durch diese Beispiele wird dem Fachmann deutlich, dass ein inten-
sivmedizinisch betreuter Patient als kritisch krank einzustufen ist und zwar unab-
hängig davon, in welchem Zustand sich der Patient vor seinem Aufenthalt auf der
Intensivstation befand.

2. Die Verwendung von Dexmedetomidin gemäß Patentanspruch 1 nach
Hauptantrag ist gegenüber der Druckschrift NiK3 nicht neu.

Für die Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patents durch eine Vorveröffentli-
chung neuheitsschädlich getroffen ist, ist maßgeblich, welche technische Informa-
tion der Fachmann dem Gesamtinhalt der Vorveröffentlichung unmittelbar und
eindeutig entnimmt. Dabei setzt die Neuheit einer medizinischen Indikation voraus,
dass die Verwendung des Arzneimittels in der Art seiner Anwendung oder für sein
medizinisches Einsatzgebiet noch nicht als wirksam oder zumindest erfolgsver-
sprechend vorgeschrieben oder vorbenutzt ist (vgl. Schulte, PatG, 9. Auflage, § 3
Rdn. 93 bis 96, 157 Teilpunkt i) und 177; Busse/Keukenschrijver, PatG, 8. Aufl.,
§ 3 Rdn. 141 und 172; Benkard/Melullis, PatG, 10. Aufl., § 3 Rdn. 381; BGH,
GRUR 2011, 999, Rdn. 31, 33 – Memantin). Dies ist hier nicht der Fall.

Die Verwendung von Dexmedetomidin zur Sedierung von intensivmedizinisch be-
treuten kritisch kranken Patienten, wobei die Patienten aufweckbar und orientiert
sind, war zum Prioritätszeitpunkt im Stand der Technik bereits als wirksam vorbe-
schrieben.

In der NiK3 wird eine klinische Studie beschrieben, in der Patienten, die sich einer
Gefäßoperation unterziehen mussten, Dexmedetomidin perioperativ verabreicht
wurde (vgl. NiK3, S. 620, Titel, i. V. m. li. Sp., 1. Abs.).

- 22 -
Die Patienten gehörten den ASA-Klassen III und IV an (vgl. NiK3, S. 625, Tab. 1).
Nach der ASA-Klassifikation bedeutet dies, dass die Patienten eine schwere All-
gemeinerkrankung bzw. eine schwere Allgemeinerkrankung, die eine ständige Le-
bensbedrohung ist, aufweisen.

24 Patienten eingeteilt in drei Gruppen wurde im Zeitraum von einer Stunde vor
der Anästhesieeinleitung und 48 Stunden nach der Operation eine kontinuierliche
Dexmedetomidin-Infusion mit jeweils einer Plasmazielkonzentration von
0,15 ng/ml, 0,30 ng/ml oder 0,45 ng/ml verabreicht (vgl. NiK3, S. 620, li: Sp:,
2. Abs., S. 621, re: Sp., 2. Abs.). Die Patienten unterzogen sich einer Aorten-, ei-
ner Karotis- oder einer peripheren Gefäßoperation (vgl. NiK3, S. 625, Tab. 1, Z. 1
bis 3 von unten).

Der Fachmann bezieht hierbei als notwendig und selbstverständlich mit ein, dass
diejenigen Patienten, die sich einer Aortenoperation unterzogen haben, nach der
Operation zwischen 2 und 24 Stunden künstlich beatmet werden müssen. Hierbei
handelt es sich um eine im Prioritätszeitpunkt übliche Maßnahme für die postope-
rative Versorgung dieser Patientengruppe. Damit entnimmt der fachkundige Leser
vor dem Hintergrund seines Fachwissens ohne, dass er eine Ergänzung der Of-
fenbarung vornimmt, dass zumindest die Gruppe der Patienten mit der Aortenope-
ration postoperativ intensivmedizinisch betreut werden (vgl. B27, S. 364: „M.G.
Edward und M.S. Maged, Clinical Anesthesiology, Stamford/Connecticut: Appleton
& Lange, 1996, 2nd, Ed. S. 404, li. Sp., 4. Abs.“; BGH GRUR 2014, 758 – Protein-
trennung). Nachdem das Merkmal „unter Intensivbehandlung“ mit dem Begriff „kri-
tisch kranker Patient“ vorliegend gleichzusetzen ist, sind somit die Merkmale 3 und
3.1 in NiK3 unmittelbar und eindeutig offenbart (vgl. Abs. II.1.1).

Eine Sedierung der Patienten durch Dexmedetomidin besteht gemäß NiK3 in der
präoperativen Zeit, also eine Stunde vor der Narkoseeinleitung, und postoperativ
am Tag der Operation, da die Patienten in diesem Zeitraum schliefen jedoch leicht
aufweckbar waren, während am Tag nach der Operation keine Sedierung zu be-
- 23 -
obachten war (vgl. NiK3, S. 624, li. Sp., 2. Abs., S. 627, re. Sp., 3. Abs., S. 631,
li. Sp, 2. Abs.). Somit ist auch Merkmal 2 vorbeschrieben.

Ferner wurde im Rahmen der Studie die postoperative analgetische Wirkung von
Morphinsulfat mit Hilfe eines VAS-Tests ermittelt. Hierfür wurden die Patienten alle
4 Stunden innerhalb der ersten 48 Stunden nach dem Eingriff aufgefordert auf ei-
ner horizontalen 100 mm Skala mit einem Ende, welches „keinen Schmerz“ und
einem anderen Ende, welches „schlimmster vorstellbarer Schmerz“ darstellte, ih-
ren Schmerz anzugeben (vgl. NiK3, S. 624, li. Sp. 2. Abs.). Damit sind auch die
streitpatentgemäßen Merkmale 4.1 und 4.2 unmittelbar und eindeutig in NiK3 of-
fenbart, da nur orientierte und wache Patienten in der Lage sind, im VAS-Test ihr
Schmerzempfinden anzugeben.

Die streitpatentgemäße Lehre des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag mit den
Merkmalen 1 bis 4.2 ist somit in der Publikation NiK3 neuheitsschädlich vorbe-
schrieben.

Der Einwand der Beklagten, dass die Patienten der NiK3 vor der Operation weder
kritisch krank gewesen, noch auf einer Intensivstation behandelt worden seien,
vermag nicht zu überzeugen. Denn im Patentanspruch 1 nach Hauptantrag wird
keine zeitliche Zuordnung des kritisch kranken Zustandes und der intensivmedizi-
nischen Betreuung im Hinblick auf eine Operation getroffen. Damit ist das Vorlie-
gen dieses Zustandes völlig unabhängig von einem operativen Eingriff und kann
wie in NiK3 auch erst nach der Operation eintreten.

Auch das weitere Argument, dass in NiK3 aufgrund der Ausbildung einer Tachy-
phylaxe keine Sedierung vorläge, überzeugt nicht. In NiK3 mag zwar davon be-
richtet werden, dass am Tag nach der Operation keine Sedierung beobachtet
worden ist, wobei diese Beobachtung in NiK3 unter Bezugnahme auf eine Studie
an Ratten als Tachyphylaxe gedeutet wird (vgl. NiK3, S. 631 li. Sp., 2. Abs. und
Referenz 27, vorgelegt als NI3). Allerdings kann der Fachmann der referenzierten
Publikation NI3 entnehmen, dass eine Tachyphylaxe frühestens ab dem zweiten
- 24 -
Tag der Dexmedetomidingabe bei der mittleren Dosisgruppe bzw. ab dem siebten
bei der hochdosierten Gruppen eintritt. Vorher waren die Ratten jedoch sediert
(vgl. NI3, S. 171, Titel, 1. Abs. der Zusammenfassung, S. 172, re. Sp.,
3. vollständ. Abs., S. 173, Fig. 3). Damit gelangen aber sowohl NiK3 wie auch NI3
zu dem gleichen Ergebnis, dass eine Sedierung frühestens am zweiten Tag der
Dexmedetomidingabe nicht mehr zu beobachten ist. Die Patienten der NiK3 waren
somit im postoperativen Zeitraum am Tag der Operation sediert.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Druckschrift NI3 nicht wegen Ver-
spätung nach § 83 Abs. 4 PatG zurückzuweisen und wird daher vorliegend be-
rücksichtigt. Zwar hat die Nebenintervenientin den Prozess in der Lage zu über-
nehmen, in der er sich zum Zeitpunkt des Beitritts befindet (§ 67 ZPO) und ist da-
mit auch an den Ablauf von Fristen und die Verspätungslage gebunden (vgl.
Thomas/Putzo, ZPO, 37. Aufl., § 67 Rn. 12). Die mit Schriftsatz vom
9. Februar 2017 erfolgte Einführung der Druckschrift NI3 als neues Angriffsmittel
lag damit außerhalb der durch den vorterminlichen Hinweis vom 21. Oktober 2016
gesetzten Frist von einem Monat, in dem die Parteien auch über die Folgen der
Fristversäumnis belehrt worden sind. Es bedurfte jedoch keiner Vertagung, da es
der Beklagten zugemutet werden konnte, sich innerhalb der verbleibenden ca. drei
Wochen bis zur mündlichen Verhandlung auf die von der Nebenintervenientin ein-
gereichte Druckschrift einzulassen zumal die Druckschrift NI3 nur Referenz zu
NiK3 ist. Zudem hat sie selbst mit Schriftsatz vom 14. Februar 2017 die gesamte
Akte des parallelen österreichischen Nichtigkeitsverfahrens als Anlage B27 einge-
reicht, die NI3 umfasst, so dass sie auch selbst die NI3 zum Gegenstand ihres
Vortrags gemacht hat (vgl. B27, S. 31 bis 44).

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist somit vom Stand
der Technik neuheitsschädlich vorbeschrieben und hat daher keinen Bestand.

3. Die nachgeordneten Patentansprüche 2 bis 12 des Hauptantrages bedürfen
keiner weiteren, isolierten Prüfung, weil die Beklagte in der mündlichen Verhand-
lung erklärt hat, dass sie den Hauptantrag als geschlossenen Anspruchssatz ver-
- 25 -
teidigt (vgl. BGH GRUR 2007, 862 – Informationsübermittlungsverfahren II; BGH
GRUR 1997, 120 – Elektrisches Speicherheizgerät; BPatG GRUR 2009, 46 – Io-
nenaustauschverfahren).

III.

Die in der mündlichen Verhandlung zuletzt überreichten Hilfsanträge 1 bis 3 der
Beklagten werden wegen Verspätung nach § 83 Abs. 4 PatG zurückgewiesen. Die
Hilfsanträge sind – im Anschluss an die Senatsberatung, die bereits zu einer En-
dentscheidung führen sollte – erst in der wiedereröffneten mündlichen Verhand-
lung vorgelegt worden, nachdem der Vorsitzende den Hinweis gegeben hat, dass
der Senat nur die Patentansprüche 3 bis 10 des bisherigen Hilfsantrags 3 für be-
standsfähig hält und er der Beklagten daher Gelegenheit zur Anpassung ihrer An-
träge und ihren Gegnern zur Stellungnahme geben wollte. Insbesondere hat er bei
der sich unmittelbar hieran anschließenden Erörterung des Hinweises erkennen
lassen, dass eine Anpassung des Hilfsantrags 3 unter diesen Umständen die Ab-
fassung eines für Dritte verständlichen Urteilstenors erleichtert hätte, da damit die
Rückbezüge der Patentansprüche 3 bis 10 gemäß damaligen Hilfsantrag 3 auf die
nicht bestandsfähigen Patentansprüche 1 und 2 entfallen könnten. Die sodann von
der Beklagten eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3 sind jedoch keine Reaktion auf
den Hinweis gewesen, sondern stellen neue Verteidigungsmittel dar, mit denen
sich die Beklagte vom Stand der Technik abzugrenzen versucht.

Es bedarf keiner Erläuterung, dass die Hilfsanträge damit außerhalb der mit dem
vorterminlichen Hinweis vom 21. Oktober 2016 unter Belehrung über die Folgen
der Fristversäumnis gesetzten Frist eingereicht worden sind (§ 83 Abs. 2 und 4
Nr. 3 PatG). Zudem hätten sie eine Vertagung erforderlich gemacht (§ 83 Abs. 4
Nr. 1 PatG), da es der Klägerin nicht zuzumuten war, sich noch im Laufe der in-
zwischen weit fortgeschrittenen mündlichen Verhandlung, die nur im Hinblick auf
das Ergebnis der Beratung überhaupt wiedereröffnet worden ist, auf diese Hilfs-
anträge einzulassen. Es sind Merkmale aus der Beschreibung aufgenommen wor-
den, die bisher weder schriftsätzlich noch mündlich diskutiert worden sind. Der
- 26 -
Vertreter der Klägerin hat dazu nachvollziehbar vorgetragen, dass es nunmehr ei-
ner Überprüfung bedurft hätte, ob die Gegenstände der Hilfsanträge überhaupt
ursprungsoffenbart sind, insbesondere ob die beiden Prioritäten des Streitpatents
noch wirksam in Anspruch genommen werden, und ob ggf. weitere Dokumente,
insbesondere aus dem Prioritätsintervall, patenthindernd entgegenstehen, wobei
eine Rücksprache mit den technischen Experten der Klägerin erforderlich sei. Dies
wäre ohne Vertagung nicht möglich gewesen.

Die Beklagte hat die Verspätung auch nicht genügend entschuldigt (§ 83 Abs. 4
Nr. 2 PatG). Auf entsprechende Nachfrage des Vorsitzenden hat sie vorgetragen,
dass sie sich mit den Hilfsanträgen vom Stand der Technik nach der Druckschrift
NiK3 abgrenzen will. Diese Druckschrift ist jedoch bereits mit der Klageschrift als
neuheitsschädlich eingeführt worden und damit von Beginn an schriftsätzlich und
mündlich diskutiert worden. Zudem ist im vorterminlichen Hinweis auf die Bedeu-
tung der NiK3 im Hinblick auf die Neuheit des Streitgegenstands hingewiesen
worden. Entscheidungserhebliche neue Aspekte sind hierzu in der mündlichen
Verhandlung nicht aufgetaucht. Es gab daher keinen Anlass dazu, die mündliche
Verhandlung unter dem Aspekt der patentrechtlichen Relevanz einer von Anfang
an umfangreich diskutierten Entgegenhaltung nochmals „neu aufzurollen“.

Der Senat übt das ihm nach § 83 Abs. 4 PatG gewährte Ermessen unter Berück-
sichtigung des Gesetzeszwecks der Vorschrift, der o. g. prozessualen Situation
und der berechtigten Interessen der Klägerin und Nebenintervenientin dahin aus,
dass er die Hilfsanträge 1 bis 3 wegen Verspätung zurückweist.

IV.

Die Gegenstände der Patentansprüche 1 bis 9 nach Hilfsantrag 4 sind bestands-
fähig.

1. Der Gegenstand gemäß Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 4 weist gegen-
über der Verwendung gemäß Hauptantrag folgende zusätzliche Merkmale auf:
- 27 -
5. wobei das Dexmedetomidin oder ein pharmazeutisch verträgliches
Salz davon intravenös verabreicht wird,
6. wobei eine Ladungsdosis und die Erhaltungsdosis verabreicht wer-
den und
7. wobei das Dexmedetomidin oder ein pharmazeutisch verträgliches
Salz davon in einer solchen Menge verabreicht wird, dass eine
Plasmakonzentration von 0,1 bis 2 ng/ml erreicht wird.

2. Die in den Patentansprüchen 1 bis 9 des Hilfsantrags 4 vermittelte Lehre ist
unbestritten ursprünglich offenbart und erweitert den Schutzbereich nicht in unzu-
lässiger Weise. Die Merkmale des Patentanspruchs 1 sind aus den erteilten Pa-
tentansprüchen 1, 3, 4 und 5 ableitbar. Sie gehen ferner auf die Patentansprü-
che 1, 3, 4, 5 und Zeilen 25 bis 27 auf Seite 6 und Zeilen 2 bis 5 auf Seite 7 der
Offenlegungsschrift WO 99/49854 A2 zurück. Die Patentansprüche 2 bis 9 ent-
sprechen den erteilten Patentansprüchen 2 und 6 bis 12 bzw. den Patentansprü-
chen 2 und 6 bis 12 der Offenlegungsschrift.

3. Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund fehlender Patentfähigkeit ist
bezüglich Hilfsantrag 4 nicht gegeben.

3.1 Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 4 ist neu.

Die im Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 4 beschriebene Verwendung ist neu,
weil in keinem der zitierten Dokumente eine Verwendung mit allen im Patentan-
spruch 1 des Hilfsantrags 4 genannten Merkmalen offenbart wird.

Dies gilt auch im Hinblick auf die Druckschrift NiK3. Darin wird zwar eine Sedie-
rung von kritisch kranken Patienten, die intensivmedizinisch behandelt werden, mit
Dexmedetomidin beschrieben, wobei die Patienten unter der Sedierung aufweck-
bar und orientiert sind (vgl. Abs. II.2). Des Weiteren wird in NiK3 auch die Verab-
reichung von Dexmedetomidin als Lösung mittels einer computerkontrollierten In-
fusionspumpe zur Erzielung einer Plasmazielkonzentration von 0,15 ng/ml ent-
- 28 -
sprechend den Merkmalen 5 und 7 des Patentanspruchs 1 offenbart (vgl. NiK3,
S. 621, re. Sp., 1. Abs.), jedoch kann das zusätzlich aufgenommene Merkmal
„wobei eine Ladungsdosis und die Erhaltungsdosis verabreicht werden“ NiK3 nicht
entnommen werden.

Zu keiner anderen Beurteilung der Sachlage führt das vorgebrachte Argument,
dass der Fachmann aufgrund der vorgegebenen Plasmazielkonzentrationen von
0,15 ng/ml in NiK3 mitliest, dass zunächst eine Ladungsdosis zu verabreichen ist,
um dem gewünschten Plasmaspiegel noch vor der Operation zu erzielen. Denn
dem Fachmann ist bekannt, dass Dexmedetomidin schnell wirksam ist (vgl. NiK9,
S. 374, re. Sp. 2. Abs.), so dass auch ein Anfluten der Plasmazielkonzentration
innerhalb der Stunde vor der Operation denkbar ist. Damit kann der NiK3 aber
nicht unmittelbar und eindeutig die Verabreichung von Dexmedetomidin mit einer
Ladungsdosis und einer Erhaltungsdosis entnommen werden.

Auch der Einwand, die in NiK3 verwendete „STANPUMP software“ zur Steuerung
der Infusionspumpe impliziere bei der vorgegebenen Plasmakonzentration zu de-
ren schnellen Erzielung ein Dosisregime mit einer Ladungsdosis und einer Erhal-
tungsdosis, kann nicht überzeugen. Denn in NiK3 werden keine Pharmakokinetik-
daten angegeben. Es findet sich lediglich eine allgemeine Verweisung auf die Se-
kundärliteratur nach Fußnote 19, die jedoch nicht vorgelegt worden ist. Damit
bleibt aber offen, wie der Konzentrationsverlauf der intravenösen Dexmedetomi-
dinverabreichung in NiK3 ausgestaltet ist. Folglich kann das in Rede stehende
Merkmal der NiK3 nicht unmittelbar und eindeutig entnommen werden.

Eine Verwendung mit sämtlichen im Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 4 ge-
nannten Merkmalen offenbaren auch die Druckschriften NiK2 und NiK11 nicht

Die NiK2 ist mit der Schmerzbehandlung von gesunden Patientinnen befasst, die
sich einer laparoskopischen Tubenligatur unterzogen haben. Die Patientinnen er-
hielten postoperativ Dexmedetomidin in Konzentrationen von 0,2 bzw. 0,4 µg/kg
intravenös als Bolus gegen Schmerz, während sie sich in einem Aufwachraum
- 29 -
befanden (vgl. NiK2, S. 112, Titel, Abstract, S. 113, li. Sp., 1. Abs. und übergr.
Abs., S. 114, Tab. 2). Die Druckschrift NiK2 offenbart folglich keine kritisch kran-
ken Patienten, die entsprechend den patentgemäßen Merkmalen 3 und 3.1 inten-
sivmedizinisch betreut werden.

Bei der ebenfalls vor dem Prioritätszeitpunkt veröffentlichten Publikation NiK11
handelt es sich um einen Übersichtsartikel betreffend die Sedierung von kritisch
kranken neurologischen Patienten. In NiK11 wird ausgeführt, dass für Dexmede-
tomidin als α2-adrenergischer Rezeptoragonist eine sedative und analgetische
Wirkung bei postoperativen Patienten festgestellt werden konnte, die als kritisch
krank bezeichnet werden (vgl. NiK11, S. 1, Titel, Abstract, Abs. „Objective“, S. 16,
2. Abs.). In NiK11 werden jedoch keine Angaben zum Dosisregime, im Sinne der
Merkmale 6 und 7 getroffen, so dass NiK11 eine Verwendung mit sämtlichen
Merkmalen im Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 4 nicht offenbart.

Die weiteren im Verfahren genannten Entgegenhaltungen liegen weiter ab und
vermögen die Neuheit gleichfalls nicht in Frage stellen. Sie wurden von den Kläge-
rinnen auch nicht unter diesem Gesichtspunkt genannt.

3.2 Der Gegenstand des Patentanspruchs nach Hilfsantrag 4 beruht auch auf
einer erfinderischen Tätigkeit.

a) Ausgangspunkt zur Lösung der Aufgabe bildet für den Fachmann der von
Mirski verfasste Übersichtsartikel NiK11. Der Autor befasst sich mit der Sedierung
von kritisch kranken neurologischen Patienten und stellt in diesem Zusammen-
hang verschiedene Wirkstoffgruppen zu deren Sedierung vor (vgl. NiK11 S. 1, Ti-
tel, Abschnitte „Objective“, „Data Synthesis“). Kritisch kranke Patienten profitieren
von einer Sedierung, die ihre intensivmedizinische Betreuung verbessert. Dies gilt
insbesondere für neurologisch kritisch kranke Patienten, die häufig neurologisch
untersucht werden (vgl. NiK11, S. 2, 4. Abs.). Als Wirkstoffgruppen werden Ben-
zodiazepine, Opioide, Barbiturate, Neuroleptika und andere Sedativa wie Keta-
mine, Propofol und α2-adrenergetische Rezeptoragonisten diskutiert. Die letztge-
- 30 -
nannte Gruppe umfasst Clonidin und Dexmedetomidin, für die eine sedative und
analgetische Wirkung in postoperativen Patienten gezeigt werden konnte. Zu
Dexmedetomidin wird ausgeführt, dass zum damaligen Zeitpunkt dessen Wirk-
samkeit als Narkoseadjuvans zur Verringerung der Narkotikamenge, sowie zur
Stressverminderung bedingt durch einen operativen Eingriff in klinischen Studien
untersucht wird (vgl. NiK11, S. 5, letzt. Abs., S. 7, Tab. 4, S. 8, letzt. Zeile, S. 9,
1. Abs., S. 12, 2. Abs., S. 13, 2. Abs., S. 14, 1. und 2. Abs., S. 15, 2. Abs., S. 16,
2. und 3. Abs.). Eine Rangliste hinsichtlich der Verwendung der einzelnen Wirk-
stoffe erstellt der Autor in seinem Artikel aber nicht. Ferner weist der Autor noch
darauf hin, dass Dexmedetomidin über neuroprotektive Eigenschaften, aber auch
negative Eigenschaften, wie Hypotonie und intracarnialen Druck verfügt (vgl.
NiK11, S. 16, 3. und 4. Abs.). Somit erhält der Fachmann in der NiK11 weder ei-
nen Hinweis darauf, dass der Einsatz von Dexmedetomidin einen besonderen
Vorteil bietet, noch wird ihm eine Information zu dessen Sedierungsprofil geben.
Demzufolge regt die Lehre der NiK11 die Verwendung von Dexmedetomidin zur
Sedierung von kritisch kranken Patienten, wie im geltenden Patentanspruch 1
nach Hilfsantrag 4 angegeben, nicht an.

Ausgehend von NiK11 benötigt der Fachmann somit weitere Informationen, um
zur vorliegenden Lösung gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4 zu gelan-
gen. Obwohl die NiK3 keine Sedierung betrifft, sondern die Ergebnisse einer Stu-
die zur Beurteilung der hämodynamischen Effekte von perioperativ verabreichten
Dexmedetomidin bei chirurgischen Patienten mit einem hohen Risiko für eine ko-
ronare Herzerkrankung vorstellt, wird der Fachmann diese Publikation dennoch in
Betracht ziehen, denn in der Studie wird das gleiche Patientenkollektiv wie im
Streitpatent behandelt (vgl. NiK3, S. 620, Titel und li. Sp., 1. Abs.). In der Studie
erhielten 24 gefäßchirurgisch zu behandelnde Patienten eine Stunde vor Narko-
sebeginn bis 48 Stunden postoperativ entweder eine kontinuierliche Placebo-Infu-
sion oder eine Dexmedetomidin-Infusion zur Erzielung einer Plasmazielkonzentra-
tion von 0,15 ng/ml, 0,30 ng/ml oder 0,45 ng/ml (vgl. NiK3, S. 620, li. Sp., 2. Abs.,
S. 621, li. Sp., 3. Abs., re. Sp., 1. Abs.). Dabei wurde festgestellt, dass präoperativ
eine Abnahme der Herzfrequenz und des systolischen Blutdrucks zu beobachten
- 31 -
war. Während der postoperativen Phase wies die Dexmedetomidin-Gruppe weni-
ger Tachykardie im Vergleich zur Placebo-Gruppe auf. Bradykardie trat in allen
Patientengruppen kaum auf und ein Myokardinfarkt bzw. eine Tendenz dazu war
nicht zu beobachten (vgl. NiK3, S. 620, spaltenübergr. Abs., S. 628, spalten-
übergr. Abs.). Daneben wird in NiK3 zwar davon berichtet, dass die Patienten der
mittleren und der hoch dosierten Gruppen in der präoperativen Phase einschlie-
fen, wobei sie leicht aufweckbar waren. Obwohl Dexmedetomidin präoperativ se-
dierend war, konnte ein solcher Effekt am Tag nach der Operation aber nicht beo-
bachtet werden (vgl. NiK3, S. 627, 3. Abs., S. 631, li. Sp., 2. Abs.). Ferner wurde
in der Studie noch die postoperative analgetische Wirkung von Dexmedetomidin
bei begleitend verabreichtem Morphin untersucht. Hier mussten die Patienten alle
vier Stunden, solange sie wach waren, in einem VAS-Test ihr Schmerzempfinden
angeben (vgl. NiK3, S. 624, li. Sp., 2. Abs., S. 627, re. Sp., 3. Abs.). Selbst unter
der Annahme, dass die Infusionspumpe kontinuierlich betrieben wird, legt die NiK3
auch bei einer kombinierten Betrachtung mit der Lehre der NiK11 die Verabrei-
chung von Dexmedetomidin mit einer Ladungs- und einer Erhaltungsdosis zur Er-
zielung eines Dosisbereichs von 0,1 bis 2 ng/ml nicht nahe. Denn in der NiK3 fin-
den sich keine Angaben zur Programmierung der Pumpe, aus denen auf eine La-
dungsdosis geschlossen werden könnte.

Die weiteren Entgegenhaltungen NiK2 und NiK7 offenbaren ebenfalls keine dar-
über hinaus gehende Lehre, so dass auch sie nicht in der Lage sind, eine Ver-
wendung, wie sie im Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 4 beschreiben wird, in das
Blickfeld des Fachmanns zu rücken.

In der Publikation NiK2 werden die Ergebnisse einer Studie vorgestellt, die sich
mit dem Effekt von intravenös verabreichten Dexmedetomidin auf das postopera-
tive Schmerzempfinden von Patientinnen, die sich einer laparoskopischen
Tubenligation unterzogen haben (vgl. NiK2, S. 112, Titel, Zusammenfassung). In
der Studie erhielten 96 gesunde Frauen postoperativ eine Dosis von 0,2 oder
0,4 µg/kg Dexmedetomidin intravenös als Bolus, wobei der Wirkstoff im Aufwach-
raum zur Linderung von mittleren bis starken Schmerz so lange wiederholt verab-
- 32 -
reicht wurde, bis der Schmerz nachließ bzw. verschwand. Als Begleiterscheinung
stellten die Autoren eine dosisabhängige Sedierung fest. In der hochdosierten
Dexmedetomidin-Gruppe wurden 3 Patientinnen als nicht aufweckbar und 10
weitere als nur schwer aufweckbar beschrieben, d. h. sie reagierten erst auf eine
laute Stimme bzw. Schütteln, während in der niedrigdosierten Gruppe nur eine
Patientin von 24 schwer aufzuwecken war (vgl. NiK2, S. 112, Zusammenfassung,
S. 113, li. Sp., 1. Abs., S. 115, spaltenübergr. Abs.). Abgesehen davon, dass die
Patientinnen in der Studie gemäß NiK2 nicht kritisch krank waren und damit auch
keiner intensivmedizinischen Behandlung bedurften, wird in NiK2 keine Plasma-
konzentration von 0,1 bis 0,2 ng/ml angegeben oder angeregt.

Entsprechendes gilt auch für die NiK7, die die Ergebnisse einer Studie mit zehn
gesunden Probanden veröffentlicht, in der pharmakokinetische und hämodynami-
sche Effekte bei der Verabreichung von Dexmedetomidin untersucht wurden.
Dexmedetomidin ist dabei mit einer Start- und einer Erhaltungsdosis verabreicht
worden, wobei eine Plasmakonzentration von 1,0 ng/ml als geeignete Dosierung
vorgesehen war (vgl. NiK7, S. 813, Titel und li. Sp., 1. Abs. bis einschl. re. Sp,
1. Abs., S. 819, re. Sp., 2. Abs.). Der Fachmann wird durch diese Ergebnisse je-
doch nicht dazu angeregt, ein solches Verabreichungsregime bei kritisch kranken
Patienten in Erwägung zu ziehen, da diese Patienten eine gegenüber gesunden
Patienten abweichende Pharmakokinetik und –dynamik aufweisen.

b) Auch ausgehend von der NI5 gelangt der Fachmann nicht zur
streitpatentgemäßen Verwendung von Dexmedetomidin.

Nachdem sich die NI5 ebenfalls mit der Sedierung von kritisch kranken Patienten
befasst, zieht der Fachmann dieses Dokument bei seiner Suche nach einer Lö-
sung der patentgemäß gestellten Aufgabe ebenfalls in Betracht. Bei der NI5 han-
delt es sich um einen Übersichtsartikel betreffend therapeutische Erwägungen bei
der Behandlung von erregten oder deliranten kritisch kranken Patienten auf der
Intensivstation (vgl. NI5, S. 113, Titel, Abstract, spaltenübergr. Abs.). Neben dem
nichtmedikamentösen therapeutischen Ansatz zur Reduzierung der Agitiertheit
- 33 -
des Patienten wird jedoch vorrangig die Ruhigstellung des kritisch Kranken mit
Pharmaka beleuchtet (vgl. NI5, S. 115, re. Sp., Abs. „Nonpharmacologic
Therapeutic Approaches in the ICU“ bis einschl. S. 116, Abs. „Drug Therapy“). Als
intravenöse Medikation wird für diese Patientengruppe die Gabe von Narkotika,
wie Benzodiazepine, Propofol, Haloperidol und neuen Wirkstoffen, wie α2-
adrenerge Agonisten, Cyclopyrrolone, Imidazopyridine und Cholecystokinin-Ago-
nisten vorgeschlagen, wobei als α2-adrenergene Agonisten Clonidin und Dexme-
detomidin angegeben werden (vgl. NI5, S. 116/117, Abs. „Narcotics“, S. 117, Abs.
„Benzodiazepine“, S. 121/122, Abs. „Propofol“, S. 122/123, Abs. „Haloperidol“,
S. 124, Abs. „Newer Agents“).

Da NI5 über eine breite Auswahl an Sedativa zur Behandlung von deliranten und
agitierten kritisch Kranken ohne Schwerpunktsetzung referiert, erhält der Fach-
mann aber keine Anregung gerade Dexmedetomidin in dieser großen Gruppe an
Sedativa auszuwählen. Dies gilt umso mehr, als in NI5 darauf hingewiesen wird,
dass die neueren Wirkstoffe, zu denen Dexmedetomidin zählt, sich zum damali-
gen Zeitpunkt noch der klinischen Testung im Hinblick auf deren Wirksamkeit bei
der Behandlung von Angst und der Sedierung befanden und es darüber hinaus
noch zu früh sei, diese an intensivbehandelten Patienten zu testen (vgl. NI5,
S. 124, li. Sp 2. und 4. Abs.). Zum damaligen Zeitpunkt war es nach NI5 aufgrund
der gegenüber nicht kritisch Kranken abweichenden Pharmakokinetik und – dy-
namik nicht absehbar, ob Dexmedetomidin ein geeignetes Sedativum für kritisch
kranke Patienten darstellen könnte (vgl. NI5 S. 124, re. Sp., letzt. vollst. Abs.
i. V. m. S. 124, li. Sp., 2. Abs.). Darüber hinaus finden sich in NI5 weder Angaben
zu dessen Sedierungsqualität, d. h. ob die Patienten während der Sedierung mit
Dexmedetomidin aufweckbar und orientiert sind, noch zur Dosierung und Verab-
reichung. Demzufolge kann die Lehre der NI5 eine Verwendung von Dexmede-
tomidin, wie sie streitpatentgemäß im geltenden Patentanspruch 1 beansprucht
wird, nicht nahe legen.

Auf seiner Suche nach der patentgemäßen Lösung wird sich der Fachmann nach
weiteren Anregungen umsehen und auf das Dokument NI4 stoßen, das eine post-
- 34 -
operativ sedierende Wirkung von Dexmedetomidin angibt. In der Studie gemäß
NI4 haben sich 20 gesunde Frauen einer gynäkologischen Operation unterzogen,
wobei ihnen 60 min vor der Narkoseeinleitung intramuskulär 0,5, 1,0 oder
1,5 µg/kg Dexmedetomidin verabreicht wurde. Der sedierende Effekt von Dexme-
detomidin hielt bis zu 4 Stunden nach der Operation an (vgl. NI4, S. 283, Zusam-
menfassung, S. 283, re. Sp., letzt. Abs. bis S. 284, re. Sp., 1. Abs.). Hinweise auf
die Anwendung von Dexmedetomidin bei einer Patientengruppe von intensivmedi-
zinisch betreuten kritisch Kranken liefert die NI4 dem Fachmann aber nicht. Eben-
sowenig kann der Druckschrift eine Anregung hinsichtlich einer Plasmakonzentra-
tion von 0,1 bis 0,2 ng/ml, die durch intravenöse Verabreichung einer Ladungs-
und einer Erhaltungsdosis erzielt wird, entnommen werden. Somit gelangt der
Fachmann auch durch die Kombination der Dokumente NI5 mit NI4 nicht ohne er-
finderisches Zutun zur Verwendung gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4.

Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die mit Schriftsatz der Nebenintervenientin
vom 9. Februar 2017 eingeführten Druckschriften NI4 und NI5 als verspätet zu-
rückzuweisen sind, zumal diese Dokumente, wie aus B27 hervorgeht, auch Ge-
genstand des österreichischen Nichtigkeitsverfahren waren (vgl. II.2).

Die weiteren dem Senat vorliegenden und in den Schriftsätzen diskutierten Entge-
genhaltungen wurden in der mündlichen Verhandlung nicht mehr in Betracht ge-
zogen. Sie liegen vom Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Hilfsantrags 4
weiter entfernt und können den Fachmann ebenfalls nicht zur streitpatentgemäßen
Lösung der technischen Aufgabe des Streitpatents anregen.

Der Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 4 hat daher Bestand. Mit ihm haben die
darauf rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 9, die vorteilhafte Ausgestaltungen
des Gegenstands des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 4 betreffen, ebenfalls
Bestand.

- 35 -
V.

Der Senat hat davon abgesehen, dem Antrag der Beklagten zu entsprechen und
ein Gutachten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen über Fragen zu ver-
schiedenen Aspekten der Sedierung von intensivmedizinisch behandlungsbedürf-
tigen Patienten einzuholen. Der Sachverständigenbeweis dient dazu, dem Gericht
Fachwissen zur Beurteilung von Tatsachen zu vermitteln oder entscheidungser-
hebliche Tatsachen festzustellen, soweit hierzu besondere Sachkunde erforderlich
ist. Im Verfahren vor dem Bundespatentgericht ist ein solcher Beweis in der Regel
nicht erforderlich, da die Nichtigkeitssenate und die technischen Beschwerdesen-
ate mit sachverständigen Richtern besetzt sind (vgl. BGH GRUR 2014, 1235 –
Kommunikationsrouter; Schulte, PatG, 9. Aufl., § 81 Rn. 57; Busse, PatG, 8. Aufl.,
§ 87 Rn. 23, § 88 Rn. 11). Insbesondere bedarf es eines Sachverständigenbewei-
ses nicht, wenn sich das Gericht die erforderlichen Sachkenntnisse etwa durch
Studium der Fachliteratur selbst beschaffen kann (vgl. Thomas/Putzo, ZPO,
37. Aufl., Vorbem. § 402 Rn. 3).

Nach diesen Grundsätzen war vorliegend kein Beweis durch Sachverständige zu
erheben, da der Senat aufgrund seiner Fachkenntnisse in der Lage ist, anhand
der Fachliteratur, insbesondere der von den Parteien umfangreich zur Verfügung
gestellten Literatur einschließlich mehrerer Privatgutachten, das darin wiederge-
gebene Fachwissen zur Tatsachenbeurteilung zur Kenntnis zu nehmen und damit
den gegebenen Sachverhalt umfassend zu erkennen und zu würdigen.

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 , 101
Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG
i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.

- 36 -
VII.

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben.

Die Berufungsschrift muss von einer in der Bundesrepublik Deutschland
zugelassenen Rechtsanwältin oder Patentanwältin oder von einem in der
Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt oder Patentanwalt
unterzeichnet und innerhalb eines Monats beim Bundesgerichtshof,
Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe eingereicht werden. Die Berufungsfrist beginnt
mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber
mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung
gerichtet wird, sowie die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Berufung
eingelegt werde.


Schramm Kätker Dr. Münzberg Dr. Jäger Dr. Wagner

Pr


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