3 Ni 10/15 (EP) - 3. Senat (Nichtigkeit)
Karar Dilini Çevir:

BPatG 253
08.05

BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES

3 Ni 10/15 (EP)
hinzuverbunden
3 Ni 26/15 (EP)
(Aktenzeichen)






URTEIL


Verkündet am
25. April 2017





In der Patentnichtigkeitssache



- 2 -








betreffend das europäische Patent 1 200 092
(DE 600 10 089)

hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 25. April 2017 durch den Richter Kätker als
Vorsitzenden, die Richterinnen Martens und Dipl.-Chem. Dr. Münzberg, den
Richter Dipl.-Chem. Dr. Jäger und die Richterin Dipl.-Chem. Dr. Wagner

für Recht erkannt:

I. Das europäische Patent 1 200 092 wird mit Wirkung für das
Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung jeweils in Höhe von
120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.


Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 1. August 2000 unter
Inanspruchnahme der Priorität aus der Anmeldung US 147048 P vom
3. August 1999 als internationale Patentanmeldung PCT/US2000/020981 in
- 3 -
englischer Sprache angemeldeten und vor dem europäischen Patentamt in der
regionalen Phase erteilten europäischen Patents 1 200 092 (Streitpatent), dessen
Erteilung mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland beim Europäischen
Patentamt am 21. April 2004 bekannt gemacht wurde und das vom Deutschen
Patent- und Markenamt unter der Nummer 600 10 089 geführt wird. Das
Streitpatent, das in vollem Umfang und hilfsweise beschränkt mit neun
Hilfsanträgen verteidigt wird, betrifft „Beta-Carboline Drug Products“ ("Beta-
Carbolin Arzneistoffprodukte") und umfasst Fassung 19 Patentansprüche, von
denen die nebengeordneten Patentansprüche 1, 5, 8, 10, 12, 13 und 16 wie folgt
lauten:



"
- 4 -



- 5 -

In deutscher Sprache lauten sie:



"
"
- 6 -



Wegen des Wortlauts der unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1, 5, 8,
10, 12, 13 und 16 rückbezogenen Patentansprüche wird auf die Streitpatentschrift
verwiesen.

Die Klägerinnen, die das Streitpatent in vollem Umfang angreifen, machen die
Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit und der fehlenden Ausführ-
barkeit geltend
"
- 7 -
Sie stützen ihr Vorbringen u. a. auf folgende Dokumente:

N1/NiK1 EP 1 200 092 B1 (Streitpatent)
N2 DE 600 10 089 T2 (Streitpatent in der deutschen
Übersetzung)
N3/NiK4 WO 01/08688 A2 (Offenlegungsschrift)
N4/NiK2 US 60/147,048 (Prioritätsanmeldung zum Streitpatent)
N5/NiK5 WO 01/08686 A1
N6 WO 95/19978 A1
N7 WO 97/03675 A1
N8/NiK7 WO 96/38131 A1
N9 Lieberman, H.A., et al. (Eds.), "Pharmaceutical Dosage
Forms: Tablets", Bd. 1, 2. Aufl., Marcel Dekker, Inc., New
York, 1989, S. 1, 2, 5 und 6
N9a S. 57 bis 62 der N9
N10 Gibaldi, M., "Biopharmaceutics and Clinical Pharmaco-
kinetics", 4. Aufl., Lea & Febiger, Philadelphia 1991, S. 51
N11 Gennaro, A. R. (Ed.), "Remington: The Science and Practice
of Pharmacy“, 19. Aufl., Mack Publishing Comp., Easton,
1995, S. 1449
N12 Chaumeil, J.C., "Micronization: A Method of Improving the
Bioavailability of Poorly Soluble Drugs“, Meth. Find. Exp.
Clin. Pharmacol. 1998, 20, S. 211 bis 215
N13 US 4,721,709
N16 WO 01/08687 A1
N17/NiK6 EP 1 120 120 A1
N17a WO 00/20033 A1 (internationale Patentanmeldung zu
N17/NiK6)
N17b/NiK6b Englische Übersetzung der Prioritätsanmeldung 10-295947
der N17/NiK6
N17c/NiK6a Englische Übersetzung der Prioritätsanmeldung 10-282378
der N17/NiK6
- 8 -
N20 Bauer, K. H., et al., "Pharmazeutische Technologie", 4. Aufl.,
Georg Thieme Verlag Stuttgart, 1993, S. 202 und 203
N25/NiK12 US 5,859,006
NiK8 Ansel, H.C., et al., "Pharmaceutical Dosage Forms and Drug
Delivery Systems", 6. Aufl., A Lea & Felbiger Book, Williams
& Wilkins, Baltimore, 1995, S. 63 und 64
NiK9 Lieberman, H. A., et al. (Eds.), "Pharmaceutical Dosage
Forms - Tablets", Bd. 1, 2. Aufl., Marcel Dekker, Inc., New
York, 1989, S. 23
NiK10 Voigt, R., und Bornschein, M., "Lehrbuch der
pharmazeutischen Technologie", 6. Aufl., VEB Verlag Volk
und Gesundheit, Berlin, 1987, S. 471 und 472
NiK13 Boolell, M., "Sildenafil: an orally active type 5 cyclic GMP-
specific phosphodiesterase inhibitor for the treatment of
penile erectile dysfunction", International Journal of
Impotence Research, 1996, S. 47 bis 52
NiK14 Goldstein, I., "Oral Sildenafil (Viagra™) For The Treatment Of
Erectile Dysfunction", British Journal of Urology 80, supp. 2,
1997, S. 91, Nr. 356

Nach Auffassung der Klägerinnen sind die Gegenstände der nebengeordneten
Patentansprüche des Streitpatents nicht neu gegenüber den Druckschriften
N5/NiK5, N16 und N17/NiK6.

Für das Streitpatent sei die Priorität bereits formalrechtlich nicht wirksam in An-
spruch genommen worden, so dass die Druckschriften N5/NiK5 und N16 Stand
der Technik i. S. d. Art. 54 Abs. 3 EPÜ seien. Die Anmelderin des Streitpatents,
L… LLC, sei nicht Inhaberin des Rechts auf Inanspruchnahme der Priorität
der Voranmeldung US-60/147,048 (N4/NiK2), da sie nicht belegt habe, dass sie
Rechtsnachfolgerin der fünf Anmelder dieser Patentanmeldung sei.

- 9 -
Das Streitpatent nehme auch materiell-rechtlich die Priorität der Voranmeldung N4
nicht wirksam in Anspruch, da insbesondere Tadalafil der N4 nicht zu entnehmen
sei und somit keine Identität der Erfindungen bestehe.

Die somit hinsichtlich der Neuheit zu berücksichtigenden Druckschriften N5/NiK5
und N16 offenbarten sämtliche Merkmale der nebengeordneten Patentansprüche
des Streitpatents. Dies gelte auch für die in Patentanspruch 8 beanspruchten Blut-
konzentrationswerte, die sich bei der in den Druckschriften explizit offenbarten
Teilchengröße zwangsläufig ergäben und daher inhärent offenbart seien.

Auch die in jedem Fall zeitrangältere Druckschrift N17 nehme die Gegenstände
des Streitpatents angesichts der breiten Definition der Teilchengrößenverteilung
im Streitpatent neuheitsschädlich vorweg.

Zudem beruhten die Gegenstände des Streitpatents nicht auf erfinderischer Tätig-
keit. Sie seien insbesondere durch eine der Druckschriften N6 oder N7, jeweils in
Verbindung mit dem Fachwissen nahe gelegt. Im Gegensatz zur Auffassung der
Beklagten kämen die Druckschriften N6 und N7 durchaus als geeigneter Aus-
gangspunkt in Betracht, insbesondere die N7, die Tadalafil spezifisch beschreibe
und dessen Verwendung zur Behandlung der erektilen Funktionsstörung angebe.
Der einzige Unterschied zum Streitpatent liege in der von diesem beanspruchten
kleinen durchschnittlichen Teilchengröße. Die Verkleinerung der Teilchengröße
durch Mikronisierung gehöre aber zum allgemeinen Fachwissen auf dem Gebiet
der Arzneimittel, was durch verschiedene Druckschriften, insbesondere Fach- und
Lehrbuchauszüge, zu belegen sei, so dass der Fachmann auf diese Standardme-
thode bei der Erhöhung der Löslichkeit mit angemessener Erfolgserwartung zu-
rückgreifen werde. Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung anhand
von Modellen gemäß den Druckschriften HL7 und HL8 Berechnungen zur Perme-
abilität von Tadalafil vorgenommen habe, um daraus eine mangelnde Erfolgser-
wartung des Fachmanns herzuleiten, sei dem entgegenzuhalten, dass die HL7
nachveröffentlicht und die Ausführungen der Beklagten zudem auf einer Vielzahl
von Annahmen beruhten, von denen der Fachmann nicht ausgehen werde.
- 10 -
Zudem seien die Gegenstände der Patentansprüche 1, 5 und 8 nicht so offenbart,
dass ein Fachmann sie ausführen könne. Das Streitpatent lege nicht fest, nach
welchem von mehreren genannten Verfahren, die jeweils zu unterschiedlichen
Messwerten führten, die Teilchengröße zu bestimmen sei. Das Streitpatent ent-
halte daher keine ausreichende Offenbarung zur zuverlässigen Bestimmung des
beanspruchten Parameters der Partikelgröße.

Weiter seien die Gegenstände des Patentanspruchs 8 und der darauf rückbezo-
genen Patentansprüche 9 und 16 bis 19 auch deshalb nicht ausführbar, weil die
darin beanspruchte freie Arzneistoffform von Tadalafil nicht im mikronisierten Zu-
stand vorliegen müsse, das Streitpatent dem Fachmann jedoch keine ausreichen-
den Informationen gebe, wie er die beanspruchten pharmakokinetischen Eigen-
schaften erhalten könne, wenn die beanspruchte Verbindung in einer anderen als
der mikronisierten Form eingesetzt werde.

Entsprechendes gelte für die Gegenstände der Hilfsanträge.

Die Klägerinnen beantragen,

das europäische Patent 1 200 092 mit Wirkung für das Hoheitsge-
biet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klagen abzuweisen,

hilfsweise die Klagen mit der Maßgabe abzuweisen, dass das
Streitpatent die Fassung eines der Hilfsanträge 1 bis 9 gemäß
Schriftsatz vom 29. März 2016 und vom 28. März 2017 erhält.

Gemäß Hilfsantrag 1 wird die in den erteilten Patentansprüchen 1, 5 und 10 ent-
haltene Angabe "von weniger als etwa 40 Mikron" durch folgende Angabe ersetzt:
- 11 -
"von 1 Mikron bis weniger als etwa 40 Mikron…"

Gemäß Hilfsantrag 2 wird an die erteilten Patentansprüche 1, 5 und 8 jeweils fol-
gender Zusatz angefügt:

"…; zur oralen Verabreichung der Verbindung in einer täglichen
Dosis von 1 mg bis 20 mg."

Zudem wird an die erteilten Patentansprüche 13 und 16 jeweils folgender Zusatz
angefügt:

"…, dadurch gekennzeichnet, dass das Arzneimittel für die orale
Verabreichung einer täglichen Dosis von 1 mg bis 20 mg formuliert
ist."

Der erteilte Patentanspruch 19 wird gestrichen.

Die Patentansprüche 1, 4 und 9 gemäß Hilfsantrag 3 entsprechen - in dieser Rei-
henfolge - den Patentansprüchen 1, 5 und 10 gemäß Hilfsantrag 1 mit dem Unter-
schied, dass die Angabe der Obergrenze der Teilchengröße von "etwa 40 Mikron"
durch die Angabe "etwa 25 Mikron" ersetzt wird. Der erteilte Patentanspruch 2
wird gestrichen. Die Nummerierung und die Rückbezüge der übrigen Patentan-
sprüche werden entsprechend angepasst.

Hilfsantrag 4 entspricht Hilfsantrag 2 mit dem Unterschied, dass die in den Patent-
ansprüchen 1, 5, 8, 13 und 16 enthaltene Dosisangabe nunmehr "5 mg bis 20 mg"
lautet.

Die Patentansprüche gemäß Hilfsantrag 5 entsprechen den erteilten Patentan-
sprüchen, mit dem Unterschied, dass die erteilten Patentansprüche 8, 9 und 16
bis 18 gestrichen und die Nummerierung und die Rückbezüge der weiteren Pa-
tentansprüche entsprechend angepasst wird.
- 12 -
Die Hilfsanträge 6 bis 9 entsprechen - in dieser Reihenfolge - den Hilfsanträgen 1
bis 4, jeweils mit dem Unterschied, dass die Patentansprüche 8, 9 und 16 bis 18
bzw. bei Hilfsantrag 8 die ihnen entsprechenden Patentansprüche 7, 8 und 15
bis 17 unter Anpassung der Nummerierung und der Rückbezüge der übrigen Pa-
tentansprüche gestrichen werden.

Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Sie
verweist auf folgende Dokumente:

HL1 "Research and Development Service Agreement" zwischen Eli Lilly
and Company, lcos Corporation und Lilly lcos LLC, in Kraft
(“Effective”): 30. September 1998
HL2 "YOU AND YOUR JOB" (Auszug aus dem Employee Handbook von
Eli Lilly and Company) mit der Angabe "8-98", Seite 35 bis 37
HL3 Janis, M. D., Rechtsgutachten ("Affidavit of Mark D. Janis"),
undatiert, 20 Seiten
HL3a deutsche Übersetzung der HL3
HL4 Europäisches Arzneibuch, 8. Ausgabe, 4. Nachtrag vom
31. August 2015, S. V; Grundwerk 2014, S. 1059; 2. Nachtrag,
S. 5614 bis 5617
HL5 Yalkowsky, S. H., "Solubility and Solubilization in Aqueous Media",
Oxford University Press, New York, 1999, S. 417 bis 439
HL6 Voigt, R. und Bornschein, M., "Pharmazeutische Technologie für Stu-
dium und Beruf", 7. Aufl., Ullstein Mosby, Berlin, 1993, S. 78 bis 81
HL7 Yu, L. X., "An Integrated Model for Determining Causes of Poor Oral
Drug Absorption", Pharmaceutical Research, 1999, 16, S. 1883
bis 1887
HL8 Oh, D.-M., et al., "Estimating the Fraction Dose Absorbed from
Suspensions of Poorly Soluble Compounds in Humans: A
Mathematical Model", Pharmaceutical Research, 1993, 10, S. 264
bis 270
- 13 -
HL9 Aulton, M. E. (Ed.), "Pharmaceutics: The Science of Dosage Form
Design", Churchill Livingstone, Edinburgh, 1988 (reprinted 1998),
S. 135, 156 und 157
HL10 von Bruchhausen, F., et al. (Eds.), "Hagers Handbuch der pharma-
zeutischen Praxis", 5. Aufl., Springer Verlag, Berlin, 1991, S. 846
HL11 Gennaro, A. R. (Ed.), "Remington: The Science and Practice of
Pharmacy“, 19. Aufl., Mack Publishing Comp., Easton, 1995, S. 593
bis 604
HL12 Gibaldi, M., "Biopharmaceutics and Clinical Pharmacokinetics",
4. Aufl., Lea & Febiger, Philadelphia 1991, S. 52
HL13 Lin, S.-L., et al., "Interdependence of Physiological Surfactant and
Drug Particle Size on the Dissolution Behavior of Water-Insoluble
Drugs", J. Pharm. Sci., 1968, 57, S. 2143 bis 2148
HL14 Sheen, P.-C., et al., "Bioavailability of a Poorly Water-Soluble Drug
from Tablet and Solid Dispersion in Humans", J. Pharm. Sci., 1991,
80, S. 712 bis 714
HL15 Wu, Y., et al., "The role of biopharmaceutics in the development of a
clinical nanoparticle formulation of MK-0869: a Beagle dog model
predicts improved bioavailability and diminished food effect on
absorption in human", Int. J. Pharm., 2004, 285, S. 135 bis 146
HL16 WO 2012/085927 A2
HL17 Janis, M. D., Rechtsgutachten ("Declaration of Mark D. Janis For the
German Federal Court case 3 Ni 10/15 (EP)"), v. 8. Dezember 2016,
18 Seiten
HL17a deutsche Übersetzung zu HL17, 21 Seiten
HL18 eidesstattliche Versicherungen von G.A. Stephenson, K.J. Hartauer,
N.R. Anderson, M. Kral, S. Zeckel
HL19 WO 2012/095151 A1
HL20 IUPAC Tentative Rules for the Nomenclature of Organic
Chemistry -Sec. E. Fundamental Stereochemistry, Eur. J. Biochem,
1971, 18, S. 151 bis 170
HL21 WO 02/00656 A2
- 14 -
HL22 Hanessian, S. und Wang, J., "Design and synthesis of a
cephalosporin–carboplatinum prodrug activatable by a β-lactamase,
Can. J. Chem., 1993, 71, S. 896 bis 906
HL23 Leuner, C. und Dressman, J., "Improving drug solubility for oral
delivery using solid dispersions", European Journal of Pharmaceutics
and Biopharmaceutics, 2000, 50, S. 47 bis 60
HL24 US 4,151, 273
HL25 US 2007/0104792 A2
HL26 Eksaengsri, A., et al., "Dissolution Improvement of Tablets containing
a Poor Water-soluble Tadalafil by Solubilizer", Paper W5265, 2013
AAPS Annual Meeting and Exposition, 13. November 2013, Abstract
HL27 Beck, M. D., "Legal Report concerning Lilly ICOS' status as
"Successor in Title" to US Provisional Application Number:
60/147,048", vom 3. Juni 2016, 14 Seiten
HL28 "Assignment"-Urkunde, vom 11. August 2000, Atty. Docket
No. 29342/36539, 2 Seiten
HL29 Kondo, N., et al., "Improved Oral Absorption of Enteric
Copreciptitates of a Poorly Soluble Drug", J. Pharm. Sci., 1994, 83,
S. 566 bis 570
HL30 EMEA, "Scientific Discussion" (for the approval of Cialis), EMEA
2005, S. 1 bis 20
HL31 CAS Registry Handbook Number Section – 1995 Supplement,
8149RX
HL32 The Merck Index, 15th Ed., 2013, S. 1669 und 1670
HL33 Ausdruck aus der Internetseite www.nrcresearchpress.com/toc/cjc/
71/6 vom 21. März 2017, 3 Seiten
HL34 Tribunal de grande instance de Paris vom 16. März 2017, No. RG
15/07920
HL35 Chiou, W.L. und Riegelman, S., "Absorption Characteristics of Solid
Dispersed and Micronized Griseofulvin in Man", J. Pharm. Sci., 1971,
60, S. 1376 bis 1380
- 15 -
HL36 Chiou, W.L. and Riegelman, S., "Pharmaceutical Applications of Solid
Dispersion Systems", J. Pharm. Sci., 1971, 60, S. 1281 bis 1302
HL37 Lieberman, H. A., et al. (Eds.), "Pharmaceutical Dosage Forms -
Tablets", Bd. 1, 2. Aufl., Marcel Dekker, Inc., New York, 1989,S. 17
u. 18
HL38 Goldstein, I., et al., "Oral Sildenafil In The Treatment Of Erectile
Dysfunction", The New England Journal of Medicine, 1998, 338,
S. 1397 bis 1404

Nach Auffassung der Beklagten sind die Gegenstände der nebengeordneten Pa-
tentansprüche des Streitpatents patentfähig und ausführbar.

Die Priorität der Voranmeldung werde für das Streitpatent zu Recht in Anspruch
genommen. Gemäß dem zum Prioritätszeitpunkt in den USA geltenden First-To-
Invent-Prinzip habe die Voranmeldung US-60/147,048 (N4) auf den Namen der
fünf Erfinder eingereicht werden müssen. Die Anmelderin der Nachanmeldung,
L… LLC (heute: I… Corp.), sei jedoch Rechtsnachfolgerin der Anmelder
i. S. d. Art. 87 Abs. 1 EPÜ geworden, denn sie habe die Rechte an der Erfindung
und damit das Prioritätsrecht im Wege einer – nach US-Recht zulässigen – mehr-
fachen Vorausabtretung erworben.

Entgegen der Auffassung der Klägerinnen nehme das Streitpatent die Priorität der
Voranmeldung N4 auch materiell-rechtlich wirksam in Anspruch. Denn Vor- und
Nachanmeldung beträfen dieselbe Erfindung, da sogar die chemische Bezeich-
nung "Tadalafil", wie sie von der EMA und in der chemischen Fachliteratur ver-
wendet würde, in der N4 genannt sei.

Nachdem die Priorität des Streitpatents somit wirksam in Anspruch genommen
werde, fehle es den Druckschriften N5/NiK5 und N16 an einem früheren Zeitrang,
so dass sie nicht für die Neuheitsprüfung in Betracht kämen. Auch die N17/NiK6
könne den Streitgegenstand nicht vorwegnehmen, weil der dort offenbarte durch-
- 16 -
schnittliche Teilchendurchmesser nicht der im Streitpatent beanspruchten spezifi-
schen Teilchengröße entspreche.

Die Gegenstände des Streitpatents beruhten auch auf erfinderischer Tätigkeit. Die
Druckschriften N6 und N7 kämen nicht als Ausgangspunkt in Betracht. Weder be-
schäftigten sich diese mit der Formulierung schlecht wasserlöslicher Wirkstoffe
noch stellten sie dabei gezielt Formulierungen für den therapeutischen Einsatz von
Tadalafil bereit. Die N7 schlage allgemein eine Fülle von Applikationswegen für
die darin behandelten Wirkstoffe vor, etwa mit je nach Applikationsweg gewählten
Standard-Hilfsstoffen oder auch die Verabreichung ohne jegliche Hilfsstoffe. Eine
etwaige schlechte Wasserlöslichkeit werde nicht thematisiert.

Die einzige Druckschrift, die dieses Problem angehe, und damit die einzig spezi-
elle und aussichtsreiche Offenbarung auf der Suche nach Verbesserungen dar-
stelle, sei die N8/NiK7. Diese Druckschrift löse das Problem aber durch Copräzi-
pitation, also durch innige Einbettung in einer polymeren Trägersubstanz, und
könne daher den Streitgegenstand nicht nahe legen. Der Fachmann habe ausge-
hend von N8/NiK7 keinen Anlass gehabt, den Weg der Copräzipitation zu verlas-
sen und die freie Arzneistoffform von Tadalafil zu mikronisieren, zumal die Coprä-
zipitation hinsichtlich der Löslichkeit und der Auflösungsgeschwindigkeit gegen-
über in Frage kommender Alternativen überlegen sei und die N8/NiK7 auch nicht
in die Richtung der Mikronisierung weise.

Zudem sei die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann
sie ausführen könne. Das Streitpatent beschreibe ganz konkrete Verfahren, wie
die Teilchengröße und Teilchengrößenverteilung eingestellt und gemessen wer-
den könnten. Auch die Gegenstände des Patentanspruchs 8 und der darauf rück-
bezogenen Patentansprüche seien ausführbar. Denn zum einen setze Patentan-
spruch 8 die freie Arzneistoffform des Wirkstoffs Tadalafil voraus und zum ande-
ren gebe das Streitpatent dem Fachmann mit der Bereitstellung von Tadalafil in
mikronisierter Form einen Weg an die Hand, die beanspruchten Blutkonzentratio-
nen zu erhalten.
- 17 -
Zum Verständnis des Fachmanns hat die Beklagte Sachverständigenbeweis an-
geboten.


Entscheidungsgründe

Die auf die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1
Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 a) EPÜ) und der mangelnden Ausführbar-
keit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 b) EPÜ) gestützten
Klagen sind zulässig und erweisen sich auch als begründet.


I.

1. Das Streitpatent betrifft die Verbindung mit der Formel (I)
,
eine ß-Carbolin-Verbindung, die zur Behandlung verschiedener medizinischer Indi-
kationen nützlich ist, bei denen die Hemmung von cGMP-spezifischer
Phosphodiesterase Typ 5 (PDE5) gewünscht ist, insbesondere bei der Behand-
lung von sexuellen Funktionsstörungen (vgl. N1/NiK1 Patentansprüche 1, 5, 8, 10,
12, 13 und 16 sowie S. 2 Abs. [0002] und S. 2/3 Abs. [0008]).

Die schlechte Löslichkeit vieler als PDE5-Inhibitoren nützlicher -
Carbolinverbindungen, hat zur Entwicklung von Copräzipitat-Zubereitungen ge-
führt. Dabei tritt allerdings die Schwierigkeit auf, die Copräzipitatprodukte in genau
reproduzierbaren Chargen herzustellen. Zudem wird mit diesen die maximale
- 18 -
Plasmakonzentration an Wirkstoff erst nach drei bis vier Stunden erreicht. Dies
erweist sich jedoch als zu langsam, da bei der Behandlung sexueller Funktionsstö-
rungen, wie etwa der erektilen Funktionsstörung des Mannes oder der sexuellen
Erregungsstörung der Frau, häufig ein schnelleres Erreichen maximaler
Blutkonzentration erwünscht ist (vgl. N1/NiK1 S. 2 Abs. [0005] und [0006]).

2. Vor diesem Hintergrund liegt dem Streitpatent die objektive Aufgabe zu
Grunde, eine oral zu verabreichende Form der -Carbolin-Verbindung mit der For-
mel (I) bereitzustellen, die eine verbesserte Bioverfügbarkeit und damit verbunden
eine höhere therapeutische Wirksamkeit aufweist (vgl. N1/NiK1 S. 2 Abs. [0006]
le. Satz).

3. Gelöst wird diese Aufgabe durch eine teilchenförmige freie Arzneistoffform
nach den Patentansprüchen 1 und 12, durch deren Herstellungsverfahren gemäß
Patentanspruch 10, durch pharmazeutische Zusammensetzungen nach den Pa-
tentansprüchen 5 und 8, die eine freie Arzneistoffform der Verbindung mit der For-
mel (I) umfassen, und durch die Verwendung der freien Arzneistoffform bzw. der
pharmazeutischen Zusammensetzungen gemäß den Patentansprüchen 13
und 16.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag weist folgende Merkmale auf (vgl.
N1/NIK1):

1 Teilchenförmige freie Arzneistoffform
2 einer Verbindung mit der Formel
- 19 -

und pharmazeutisch annehmbarer Salze und Solvate derselben,
3 in der die Verbindung als feste Teilchen vorliegt, die nicht innig in einem
polymeren Copräzipitat eingebettet sind,
4 wobei wenigstens 90% der Teilchen eine Teilchengröße von weniger als
etwa 40 Mikron besitzen.

Bei der im Merkmal 2 des Patentanspruchs 1 angegebenen Strukturformel handelt
es sich um die chemische Formel der Verbindung (6R,12aR)-2,3,6,7,12,12a-hexa-
hydro-2-methyl-6-(3,4-methylenedioxyphenylpyrazino[2',1':6,1]pyrido[3,4-b]indol-
1,4-dion, die von der WHO den internationalen Freinamen Tadalafil erhalten hat
(vgl. N1/NiK1 S. 5 Abs. [0031]; vgl. HL32 S. 1669/1670 Eintrag 9157).

4. Bei dem vorliegend zuständigen Fachmann handelt es sich um einen
pharmazeutischen Technologen mit mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet
der Galenik, der die mit schwerlöslichen Wirkstoffen verbundenen Schwierigkeiten
kennt und Formulierungstechnologien einzusetzen weiß, mit denen die Bioverfüg-
barkeit solcher Wirkstoffe verbessert werden kann.


II.

Die Patentansprüche 1 bis 19 gemäß Hauptantrag erweisen sich mangels Patent-
fähigkeit als nicht bestandsfähig.

- 20 -
1. Im Ergebnis kann es dahingestellt bleiben, inwiefern die von den Klägerinnen
geltend gemachte mangelnde Ausführbarkeit gegeben ist. Auch die aufgeworfene
Frage zur wirksamen Inanspruchnahme der Priorität der Voranmeldung N4 durch
das Streitpatent sowie die Frage der Neuheit bedürfen keiner abschließenden Klä-
rung, da die Bereitstellung der streitpatentlichen Gegenstände jedenfalls nicht auf
einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

a) Bei der Bewertung der erfinderischen Tätigkeit ist zunächst zu klären, was
die Erfindung gegenüber dem Stand der Technik tatsächlich leistet (BGH
GRUR 2003, 693 – Hochdruckreiniger) und ob der Fachmann Veranlassung hatte,
diesen Stand der Technik zu ändern. Dabei besteht bei der Wahl des Ausgangs-
punktes kein Vorrang eines "nächstkommenden Standes der Technik" (BPatG
GRUR 2004, 317 – Programmartmitteilung; BGH GRUR 2009, 382 – Olanzapin).
Vielmehr bedarf es bei der Auswahl des Ausgangspunktes der Rechtfertigung, die
in der Regel in dem Bemühen des Fachmannes liegt, für einen bestimmten Zweck
eine andere Lösung zu finden, als sie der bekannte Stand der Technik zur Verfü-
gung stellt. Um die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung
zu suchen, bedarf es daher über die Erkennbarkeit des technischen Problems
hinaus ausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe
(BGH GRUR 2009, 746 – Betrieb einer Sicherheitseinrichtung sowie BGH
GRUR 2009, 1039 – Fischbissanzeiger).

Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben hat der Fachmann, der mit der Suche
nach einer Lösung der streitpatentgemäßen Aufgabe betraut ist, seinen Fokus auf
die Inhibitoren der cGMP-spezifischen Phosphordiesterase betreffende Druck-
schrift N7 gerichtet, weil diese Druckschrift dasselbe Fachgebiet wie das Streitpa-
tent betrifft und somit im Blickfeld des Fachmannes liegt. Die N7 zeigt die Verwen-
dung der darin beschriebenen PDE-Inhibitoren, insbesondere von Tadalafil, zur
Behandlung der erektilen Dysfunktion durch orale Verabreichung des Wirkstoffs
auf (vgl. N7 Patentansprüche 1, 2, 4, 6, 8 bis 10, S. 3 Z. 24 bis 25 und 30 bis S. 4
Z. 1, S. 5 Abs. 2, S. 6 Abs. 1, S. 10/11 "Example 1"). Allerdings erfährt der Fach-
mann hinsichtlich der Bioverfügbarkeit von Tadalafil aus N7 einzig, dass mit
- 21 -
Tadalafil ein IC50-Wert von 2 nM erreicht wird (vgl. N7 S. 17 Tab. 1). Nachdem ihm
weitergehende Angaben zur Bioverfügbarkeit von Tadalafil fehlen, wird er diese
näher untersuchen. Dabei wird er aufgrund seines Fachwissens berücksichtigen,
dass Tadalafil eine schlechte Löslichkeit in Wasser aufweist, wodurch er zugleich
– bestätigt durch die einheitliche Meinung in der Fachliteratur – eine Ursache für
eine möglicherweise unzureichende Bioverfügbarkeit erkennt. (vgl. NiK10
S. 471/472 seitenübergr. Abs. bzw. HL6 S. 80 Kap. "2.2.3.1 Allgemeines" Abs. 1;
vgl. N12 S. 211 li. Sp. Abs. 1 und spaltenübergr. Abs.; vgl. N20 S. 203 li. Sp.
Abs. 3). Der Überschuss der im Patentanspruch 1 vermittelten Lehre gegenüber
der Lehre der N7 besteht somit ausschließlich in der zu einer besseren Bioverfüg-
barkeit führenden Teilchengrößenverteilung gemäß Merkmal 4.

Den Ausführungen der o. g. Lehrbücher folgend, spielt bei der schlechten Biover-
fügbarkeit schwerlöslicher Wirkstoffe die Oberfläche des Wirkstoffs eine wesentli-
che Rolle (vgl. NiK10 S. 471 Abs. 2 und S. 472 le. Abs. Satz 1 bzw. HL6 S. 79
vorle. vollst. Abs., S. 81 3 Satz 1). Durch eine Vergrößerung der Oberfläche wird
nach allgemeiner Fachkenntnis die Lösegeschwindigkeit, die bei vielen Arzneimit-
teln die Resorptionsgeschwindigkeit bestimmt, in starkem Maße erhöht, wodurch
ein wesentlicher Beitrag zur Verbesserung der Löslichkeit geleistet wird (vgl. N20
S. 203 li. Sp. Abs. 1 bis le. Abs. Z. 6; vgl. NiK8 S. 63 li. Sp. Abschnitt "Surface
Area" Abs. 1; vgl. NiK9 S. 23 Abs. 1). Als eine dafür geeignete Methode wird in
Lehrbüchern stets als erstes die Mikronisierung aufgezeigt (vgl. NiK10 S. 471
Abs. 2, S. 472 Abs. 2 und le. Abs. bzw. HL6 S. 79 vorle. Abs., S. 81 Abs. 2 und 3;
vgl. N20 S. 203 spaltenübergr. Abs.). Zwar werden in diesem Zusammenhang in
den Lehrbüchern auch weitere Möglichkeiten zur Vergrößerung der Oberfläche
des Arzneistoffs unter Einsatz von Hilfsstoffen und Prozessen offenbart (vgl.
NiK10 S. 472 Abs. 3 bzw. HL6 S. 80 le. Abs. und S. 81 Abs. 4 und 5). Allerdings
handelt es sich bei der Mikronisierung um eine Maßnahme, die verhältnismäßig
einfach daraufhin überprüft werden kann, ob und gegebenenfalls unter welchen
Modifikationen sie sich im konkreten Fall als zielführend erweist. Der Fachmann
wird sie daher bei der Untersuchung der ihm bekannten Maßnahmen in Erwägung
ziehen, wobei es nicht darauf ankommt, dass die Mikronisierung die einzige oder
- 22 -
die am nächsten liegende Lösungsmöglichkeit darstellt, da jede für den Fachmann
naheliegende Lösung eines technischen Problems bei der Beurteilung der Pa-
tentfähigkeit zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 2012 –
X ZR 50/09). In Anbetracht dieses Sachstandes bedurfte es keiner Überlegungen
erfinderischer Art, das durch Lehrbuchauszüge repräsentierte Grundlagenwissen
auch zur Lösung der streitpatentgemäßen Aufgabe anzuwenden und die Mikroni-
sierung von Tadalafil zur Erhöhung der Löslichkeit und damit der Bioverfügbarkeit
in Betracht zu ziehen, wodurch Tadalafil als freie Arzneistoffform erhalten wird,
wobei sich eine Einbettung des Wirkstoffs in einem polymeren Copräzipitat erüb-
rigt. Die Bestimmung der im Merkmal 4 beanspruchten Teilchengrößenverteilung
erfolgt dann im Rahmen einer routinemäßigen Optimierung der Mikronisierung zur
Ausarbeitung einer anwendbaren Tadalafil-Formulierung, wobei der Fachmann
von der fachüblichen Korngröße von 40 Mikron ausgeht (vgl. z. B. N9 S. 5/6 sei-
tenübergr. Abs.). Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 hat somit ausgehend
von N7 in Kombination mit dem Fachwissen nahe gelegen.

b) Es ist zwar zutreffend, dass die in der Einleitung des Streitpatents bereits
gewürdigte Druckschrift N8/NiK7 eine Methode beschreibt, bei der die schlechte
Wasserlöslichkeit (bzw. die schlechte Lösegeschwindigkeit) des Tadalafils durch
die Copräzipitation mit einem wasserlöslichen Polymer verbessert werden kann
(vgl. N8/NiK7 Patentansprüche 1, 15, S. 1 Z. 3 bis 18, S. 3 Z. 16 bis 19, S. 4 Z. 10
bis 21). Dennoch kennt der Fachmann die Mikronisierung als alternatives Mittel
zur Verbesserung der schlechten Löslichkeit von Wirkstoffen wie Tadalafil, wel-
ches er daher ins Auge fasst und ausprobiert. Denn zum einen stellt die Copräzi-
pitation nur eine von mehreren Möglichkeiten dar, schwerlösliche Substanzen
besser in Lösung zu bringen (vgl. NiK9 S. 23 Abs. 1; vgl. NiK10 S. 472 Abs. 3
bzw. HL6 S. 80 le. Abs. und S. 81 ab Abs. 2, vgl. N20 S. 203 li Sp. le. Abs. bis
re. Sp. vorle. Abs.; vgl. HL10 S. 846 ab Abs. 3). Darüber hinaus ist dem Fach-
mann im Zusammenhang mit der Copräzipitation bekannt, dass sie nicht nur mit
Vorteilen verbunden ist, sondern auch Nachteile wie die schlechte Reproduzier-
barkeit der Chargen hat, worauf auch das Streitpatent selbst einleitend hinweist
(vgl. N1/NiK1 S. 2 Abs. [0005]). Zum anderen ist weder der N8/NiK7 noch dem
- 23 -
sonstigen angeführten Stand der Technik zu entnehmen, dass die Copräzipitation
eines Wirkstoffs mit einem wasserlöslichen Polymer hinsichtlich der Löslichkeit
und Bioverfügbarkeit des Wirkstoffs im Vergleich zur Mikronisierung in allen Fällen
bessere Ergebnisse liefert. Soweit die Patentinhaberin diesbezüglich auf die
Druckschrift HL29 verweist, ist anzumerken, dass Druckschrift HL29 einen ganz
anderen Wirkstoff als Tadalafil betrifft, nämlich ein als Krebsmittel verwendetes
Nitrobenzamid, das weder strukturell noch in seiner Wirksamkeit mit Tadalafil ver-
gleichbar ist. Die Lehre der Druckschrift HL29 für diesen speziellen Einzelfall kann
daher keineswegs dahingehend verallgemeinert werden, dass die Copräzipitation
eines schwerlöslichen Wirkstoffs mit einem wasserlöslichen Polymer stets eine
bessere Bioverfügbarkeit erzeugt als andere Methoden wie zum Beispiel die Mik-
ronisierung.

Auch der Hinweis der Beklagten, wonach es sich bei der Abkehr von der Copräzi-
pitation gemäß N8/NiK7 um einen Perspektivwechsel handele, dessen Anwen-
dung einer konkreten Anregung bedürfe, die für die streitpatentgemäß verwendete
Mikronisierung nicht vorliege (vgl. in diesem Zusammenhang auch BPatG
Mitt. 2016, 313 – Tongeber), kann nicht durchgreifen. Denn gemäß der Recht-
sprechung des Bundesgerichtshofs besteht bereits dann Veranlassung zur Heran-
ziehung eines generellen, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu
ziehendes Mittel, das seiner Art nach zum allgemeinen Fachwissen des ange-
sprochenen Durchschnittsfachmanns gehört, wenn sich die Nutzung ihrer Funktio-
nalität in dem zu beurteilenden Zusammenhang als objektiv zweckmäßig darstellt
und keine besonderen Umstände feststellbar sind, die eine Anwendung aus fachli-
cher Sicht als nicht möglich, mit Schwierigkeiten verbunden oder sonst untunlich
erscheinen lassen (vgl. BGH GRUR 2014, 647 – Farbversorgungssystem). Über-
tragen auf den vorliegenden Fall war die Mikronisierung – belegt durch zahlreiche
Druckschriften – als ein generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen zu be-
rücksichtigendes Mittel zur Verbesserung der Auflösung eines schwerlöslichen
Wirkstoffs bekannt, die der Fachmann bei der Lösung der streitpatentgemäßen
Aufgabe als zweckmäßige Maßnahme insbesondere wegen des geringen verfah-
renstechnischen Aufwands auch in Betracht gezogen hat (vgl. N9a S. 62 Kap.
- 24 -
"IX. Recommendations"; vgl. N11 S. 1449 re. Sp. vorle. Abs., vgl. N12 u. a.
Summary; vgl. NiK8 S. 63 li. Sp. Abs. 3 und 4). Aus der Tatsache, dass in N8/NiK7
ein anderes, ebenfalls allgemein bekanntes Mittel zur Verbesserung der
Löslichkeit des Tadalafils eingesetzt wurde, erhält der Fachmann demgegenüber
keinen Hinweis, dass die Mikronisierung nicht möglich, mit Schwierigkeiten
verbunden oder sonst untunlich wäre, zumal N8/NiK7 mit keinem Wort erwähnt,
dass die Mikronisierung von Tadalafil nachteilig sei oder dass die Copräzipitation
von Tadalafil ein gegenüber dessen Mikronisierung fortschrittliches Verfahren sei.

c) Die Argumentation, der Fachmann habe für eine Anwendung der
Mikronisierung von Tadalafil keine angemessene Erfolgserwartung gehabt, da ihn
sowohl theoretische Modellbetrachtungen gemäß HL7 und HL8 als auch die ge-
mäß HL29 bekannte bessere Eignung der Copräzipitation bei Wirkstoffen mit der-
selben Problematik von einer Berücksichtigung der Mikronisierung abgehalten
hätten, führt zu keiner anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage.

Die Mikronisierung ist – wie unter II.1.b) ausgeführt – im Vorfeld der streitpatent-
gemäßen Erfindung bereits bei einer Vielzahl von Wirkstoffen erfolgreich zur Ver-
besserung der Bioverfügbarkeit angewendet worden. Der Fachmann ist daher aus
Sicht des Senats veranlasst gewesen, die Mikronisierung auch zur Verbesserung
der Bioverfügbarkeit von Tadalafil in Betracht zu ziehen. Davon haben ihn die an-
geführten theoretischen Modellbetrachtungen nicht abgehalten. Denn es gibt kein
generell gültiges Modell, nach dem der Fachmann die Mikronisierung in Betracht
zieht. Zudem handelt es sich bei dem Modell gemäß HL7 um eine nachveröffent-
lichte Betrachtung, die der Fachmann zum Zeitpunkt der streitpatentgemäßen Er-
findung nicht kennen konnte und die Anwendung des Modells gemäß HL8 gelingt
nur unter Berücksichtigung von zahlreichen Hypothesen und Annahmen, die das
Ergebnis spekulativ erscheinen lassen, so dass die Erfolgserwartung des Fach-
manns an die Mikronisierung dadurch nicht reduziert wird.

Auch ist im Stand der Technik kein generelles Vorurteil gegen die Mikronisierung
ersichtlich. Zwar kann eine allgemeine, eingewurzelte technische Fehlvorstellung,
- 25 -
die die einschlägigen Fachleute daran gehindert hat, in Richtung auf die ge-
schützte Lehre zu arbeiten oder auch nur Versuche in dieser Richtung anzustel-
len, regelmäßig als sicheres Anzeichen dafür gewertet werden, dass die Lehre für
einen Durchschnittsfachmann nicht nahe gelegen hat. Gerechtfertigt ist dieser
Schluss allerdings nur dann, wenn die Fehlvorstellung in dem Sinne technisch be-
gründet gewesen ist, dass die patentierte Lehre aus der Sicht der Fachwelt ent-
weder für technisch nicht ausführbar oder der mit ihr erzielte technische Erfolg für
nicht erreichbar gehalten und dieser Irrtum durch die Erfindung widerlegt worden
ist. Eine technische Fehlvorstellung wird dagegen nicht überwunden, wenn ge-
genüber der vorgeschlagenen Lösung zu Recht bestehende Bedenken lediglich
ignoriert und mit ihr tatsächlich und vorhersehbar verbundenen Nachteile einfach
in Kauf genommen werden. Dann handelt es sich eben nicht um ein Vorurteil oder
eine Fehlvorstellung, sondern um fortbestehende Bedenken die lediglich unter
Abwägung mit ebenfalls zu erwartenden Vorteilen neu bewertet werden (vgl. BGH
GRUR 1996, 857 – Rauchgasklappe). So verhält es sich auch bei der Lehre des
Streitpatentes. Weder ist durchgehend im Stand der Technik beschrieben, dass
die Mikronisierung derart mit Nachteilen behaftet ist, dass sie nach Möglichkeit zu
vermeiden ist. Noch finden sich im Streitpatent oder im Tadalafil betreffenden
Stand der Technik Angaben dazu, dass der Fachmann zum maßgeblichen Zeit-
punkt davon ausgegangen ist, dass Tadalafil für eine Mikronisierung ungeeignet
ist. Ein generelles Vorurteil gegen eine Mikronisierung und insbesondere gegen
die Mikronisierung von Tadalafil existiert somit nicht. Weiterhin ist dem Fachmann
durchaus bewusst, dass die Verfahrensmaßnahme der Mikronisierung mit Nach-
teilen verbunden ist. So können beispielsweise mikronisierte Wirkstoffe zur Aggre-
gation neigen, wodurch die effektive Partikeloberfläche und damit die Absorptions-
rate verringert wird (vgl. z. B. HL12 S. 52 re. Sp. 1. und 2. vollst. Abs.). Auch eine
elektrostatische Aufladung kann zu Schwierigkeiten führen (vgl. N9 S. 6 Abs. 2;
vgl. N12 S. 212 li. Sp. Abs. 4). Dem Fachmann ist aber ebenso bekannt, mit wel-
chen Maßnahmen er diese Nachteile überwinden kann (vgl. HL12 S. 52 re. Sp.
2. vollst. Abs.; vgl. N9 S. 6 Abs. 2). Diese Nachteile halten ihn daher insbesondere
unter Abwägung der ihm bekannten Vorteile der Mikronisierung nicht von einer
Berücksichtigung dieser Methode ab. So handelt es sich bei der Mikronisierung
- 26 -
um eine Methode, die verhältnismäßig einfach durchgeführt und daraufhin über-
prüft werden kann, ob und gegebenenfalls unter welchen Modifikationen sie sich
im konkreten Fall von Tadalafil als zielführend erweist. Es gibt somit gute Gründe
für den Fachmann, die Mikronisierung in Betracht zu ziehen, um die gewünschte
Verbesserung der Löslichkeit von Tadalafil zu erreichen. Die ein Naheliegen
begründende angemessene Erfolgserwartung bei der Mikronisierung ist damit
ungeachtet nicht von vornherein auszuschließender Schwierigkeiten im Einzelnen,
die aber nicht spezifisch mit der Struktur von Tadalafil zusammenhängen, zu
bejahen (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 2012 – X ZR 50/09).

d) Bei der Berücksichtigung der Mikronisierung von Tadalafil handelt es sich
gegenüber der aus N8/NiK7 bekannten Copräzipitation von Tadalafil ferner nicht
um einen technischen Rückschritt. Zum einen ist die Copräzipitation seit 1961 be-
kannt und damit eine ebenfalls schon seit langem verwendete Verfahrensmaß-
nahme zur Erhöhung der Auflösegeschwindigkeit und damit der Absorptionsrate
schwerlöslicher Wirkstoffe (vgl. HL36 S. 1282 spaltenübergr. Abs. Satz 1), so dass
N8/NiK7 mit der Copräzipitation von Tadalafil kein gegenüber der Mikronisierung
fortschrittlicheres Verfahren beschreibt. Zum anderen offenbart der Stand der
Technik selbst 25 Jahre nach der ersten Veröffentlichung der Copräzipitation
beide Verfahrensmaßnahmen als gleichwertige Alternativen (vgl. NiK9 S. 23
Abs. 1; vgl. z. B. NiK10 S. 472 Abs. 3 bzw. HL6 S. 80 le. Abs.). Die Mikronisierung
ist dem Wissen des zuständigen Fachmanns zur Folge daher eine übliche und
sehr häufig eingesetzte Maßnahme zur Verbesserung der Auflösegeschwindigkeit
und wird vom Fachmann gegenüber der Copräzipitation nicht als technisch rück-
schrittlich eingestuft.

e) Der Senat hat davon abgesehen, dem Antrag der Beklagten entsprechend
ein Gutachten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen über Fragen zum
Verständnis des Fachmanns zu verschiedenen Aspekten der Mikronisierung und
der Copräzipitation sowie der Löslichkeitseigenschaften von Tadalafil einzuholen.
Der Sachverständigenbeweis dient dazu, dem Gericht Fachwissen zur Beurteilung
von Tatsachen zu vermitteln oder entscheidungserhebliche Tatsachen festzustel-
- 27 -
len, soweit hierzu besondere Sachkunde erforderlich ist. Im Verfahren vor dem
Bundespatentgericht ist ein solcher Beweis in der Regel nicht erforderlich, da die
Nichtigkeitssenate und die technischen Beschwerdesenate mit sachverständigen
Richtern besetzt sind (vgl. BGH GRUR 2014, 1235 – Kommunikationsrouter;
Schulte, PatG, 9. Aufl., § 81 Rn. 157; Busse, PatG, 8. Aufl., § 87 Rn. 23, § 88
Rn. 11). Insbesondere bedarf es eines Sachverständigenbeweises nicht, wenn
sich das Gericht die erforderlichen Sachkenntnisse etwa durch Studium der Fach-
literatur selbst beschaffen kann (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 37. Aufl., Vorbem.
§ 402 Rn. 3). Nach diesen Grundsätzen war vorliegend kein Beweis durch Sach-
verständige zu erheben, da der Senat aufgrund seiner Fachkenntnisse in der Lage
ist, insbesondere anhand der von den Parteien umfangreich zur Verfügung ge-
stellten Fachliteratur, teilweise auch Privatgutachten samt weiterer Anlagen, das
darin wiedergegebene Fachwissen zur Tatsachenbeurteilung zur Kenntnis zu
nehmen und damit den gegebenen Sachverhalt umfassend zu erkennen und zu
würdigen.

2. Nachdem die Beklagte in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass ihre
Antragsstellung gemäß Hauptantrag als in sich geschlossen anzusehen ist, erüb-
rigt es sich, festzustellen, ob in den neben- und nachgeordneten Patentansprü-
chen 2 bis 19 ein bestandsfähiger Rest zu erkennen ist (vgl. BGH GRUR 2007,
862 – Informationsvermittlungsverfahren II; BGH GRUR 1997, 120 – Elektrisches
Speicherheizgerät; BPatG GRUR 2009, 46 – Ionenaustauschverfahren).


III.

Die von der Beklagten hilfsweise verteidigten Fassungen gemäß den Hilfsanträ-
gen 1 bis 8 erweist sich aufgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit gleichfalls
als nicht bestandsfähig. Es kann daher dahingestellt bleiben, inwiefern diese An-
spruchsfassungen die von den Klägerinnen geltend gemachten Mängel hinsicht-
lich Ausführbarkeit und Neuheit aufweisen.

- 28 -
1. Die jeweiligen Patentansprüche 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 und 6 sind
identisch. Auch die jeweiligen Patentansprüche 1 nach den Hilfsanträgen 3 und 8
haben denselben Wortlaut. Diese Patentansprüche sind gegenüber dem erteilten
Patentanspruch 1 durch Festlegung der Untergrenze der Teilchengröße auf
1 Mikron und im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 bzw. 8 zusätzlich durch
Herabsetzung der Obergrenze der Teilchengröße auf 25 Mikron beschränkt.

Diese Beschränkungen der Teilchengröße sind jeweils nicht geeignet, das Beru-
hen der streitpatentgemäßen Arzneistoffform von Tadalafil auf einer erfinderischen
Tätigkeit zu begründen. Denn bei der Mikronisierung werden in der Fachwelt re-
gelmäßig Wirkstoffpartikel mit einer Teilchengröße von 10 bis 40 Mikron herge-
stellt, aber auch Teilchengrößen von 5 Mikron sind gebräuchlich (vgl. N9 S. 5/6
seitenübergr. Abs.; vgl. N9a S. 58 Abs. III, S. 59 Tab. 13 und 14; vgl. N10 S. 51
li. Sp. vorle. Abs.; vgl. N13 Sp. 5 Z. 63 bis Sp. 6 Z. 22; vgl. NiK8 re. Sp.
vorle. Abs.). Damit handelt es sich bei den genannten Unter- und Obergrenzen der
Teilchengröße um dem Wissen des Fachmanns und damit seinem Aufgabenkreis
zuzurechnende, übliche Maßnahmen im Zuge der Mikronisierung. So führen die
Anspruchsfassungen gemäß den Hilfsanträgen 1, 3, 6 und 8 zu keiner anderen
Sachlage, weshalb die zum Patentanspruch 1 des Hauptantrags dargelegten
Nichtigkeitsgründe hier ebenso zutreffen.

2. Nichts anderes gilt für die Anspruchsfassungen gemäß den Hilfsanträgen 2
und 7.

Die sich jeweils entsprechenden Patentansprüche 1 gemäß den Hilfsanträgen 2
und 7 unterscheiden sich vom Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag insofern, als
der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 bzw. 7 nunmehr auf
die orale Verabreichung von Tadalafil in einer täglichen Dosis von 1 mg bis 20 mg
beschränkt worden ist.

Als mögliche Dosierungen für die tägliche orale Verabreichung von Tadalafil wa-
ren zum maßgeblichen Zeitpunkt des Streitpatents lediglich die wortgleichen An-
- 29 -
gaben aus N7 und N8 bekannt. Diese Druckschriften zeigen für Tadalafil einen
generellen Dosierungsbereich von 0,5 bis 800 mg pro Tag verabreicht in 0,2 bis
400 mg Wirkstoff enthaltenden Tabletten und Kapseln auf, wobei in den Beispielen
oral einzunehmende Tabletten und Kapseln mit 50 mg Tadalafil bzw. mit 100 mg
Tadalafil enthaltendes Copräzipitat hergestellt werden (vgl. N7 S. 5 Abs. 1 und
S. 12 bis 16 Tabellen, vgl. N8 S. 8/9 seitenübergr. Abs. und S. 16/17 Tab. 1 bis 5,
S. 18 Tab. 1 bis 2). Die tatsächlich ausreichende tägliche orale Dosierung von
Tadalafil ist allerdings nicht angegeben. Daher wird der Fachmann Dosisfindungs-
studien durchführen, die zur Routinetätigkeit bei der Arzneimittelentwicklung gehö-
ren. Im Rahmen dieser Studien wird er einerseits das Ziel einer Arzneimittelgabe,
die mit dem jeweiligen Wirkstoff verbundene Wirkung auch tatsächlich zu errei-
chen, als Grundvoraussetzung für den Einsatz des Wirkstoffs im Auge haben. An-
dererseits wird der Fachmann, um seiner Sorgfaltspflicht nachzukommen, einen
Wirkstoff so dosieren, dass mit der Gabe gegebenenfalls verbundene und nicht
erwünschte Nebenwirkungen weit möglichst vermieden werden (vgl. BPatG
GRUR 2010, 50 – Cetirizin).

Übertragen auf Tadalafil wird sich der Fachmann bei den Dosisfindungsstudien
ausgehend von dem aus N7 und N8 bekannten potentiell möglichen Dosisbereich
auch an bekannten Dosierungen von Wirkstoffen orientieren, die dieselbe bioche-
mische, physiologische und klinische Wirkung haben, im Streitfall also die cGMP-
spezifische Phosphodiesterase (PDE5) inhibieren. Dabei wird sein Blick auf
Sildenafil fallen, das zum maßgeblichen Zeitpunkt der einzig bekannte PDE5-Inhi-
bitor für die Behandlung sexueller Dysfunktion gewesen ist, der bereits in Dosie-
rungen von 5 mg bis 100 mg klinisch eingesetzt worden ist (vgl. z. B. NiK13 u. a.
Zusammenfassung, S. 49 li. Sp. le. Abs., S. 51 spaltenübergr. Abs. und Fig. 4; vgl.
NiK14 v. a. Tab.). Der Fachmann wird sich somit an der unteren Grenze der in N7
bzw. N8 genannten Dosierung, insbesondere aber an Dosierungen von 5 mg bis
100 mg, orientieren, da er zum einen weiß, dass das Auftreten von Nebenwirkun-
gen in aller Regel dosisabhängig ist und hohe Wirkstoffmengen in einem Medika-
ment stets mit Risiken verbunden sind, und ihm zum anderen bewusst ist, dass
zumindest mit dem ebenfalls als PDE5-Inhibitor wirkenden Sildenafil bereits bei
- 30 -
einer täglichen oralen Dosierung von 5 mg eine gute Wirkung erreicht werden
kann. Das Auffinden der beanspruchten täglichen, oral zu verabreichenden Dosis
von 1 mg bis 20 mg stellt daher eine dem Aufgabenkreis des Fachmanns zuzu-
rechnende, übliche Maßnahme dar, so dass der Patentanspruch 1 gemäß Hilfs-
antrag 2 bzw. 7 zu keiner anderen Sachlage führt. Deshalb treffen die zum Pa-
tentanspruch 1 gemäß Hauptantrag dargelegten Nichtigkeitsgründe hier ebenso
zu.

Insoweit die Lehre der HL38 dahingehend ausgelegt werden könnte, dass zum
maßgeblichen Zeitpunkt die Tendenz bei Wirkstoffen zur Behandlung der sexuel-
len Dysfunktion eher zu höheren Dosen gegangen sei, weshalb der Fachmann
keine Veranlassung gehabt habe, sich mit den beanspruchten niedrigen Dosen zu
beschäftigen, kann diese Argumentation nicht durchgreifen. Denn in HL38 mögen
zwar die Patienten – vor die Wahl gestellt, die Dosierung von oral einzunehmen-
den Sildenafil selbst zu bestimmen – zu hohen Prozentanteilen die Dosis von
100 mg anstelle von 25 mg ausgewählt haben (vgl. HL38 S. 1399 li. Sp. Abs. 2
i. V. m. S. 1398 re. Sp. Abs. 3). Diese Dosierungsauswahl erfolgte aber nicht
durch den Fachmann sondern durch medizinische Laien in einer subjektiven
Wertung der Wirkung. Bei Dosisfindungsstudien ist aber nicht der Wunsch der Pa-
tienten sondern die medizinisch wirksame Dosis entscheidend. Dabei spielen für
den Fachmann neben der Wirkungsbewertung auch die medizinische Sicherheit
und die auftretenden Nebenwirkungen eine wichtige Rolle. Die Tatsache, dass für
Sildenafil bereits eine gute Wirkung bei einer Dosierung von 5 mg bzw. 10 mg be-
schrieben wird (vgl. NiK14 Tab., vgl. NiK13 S. 51 Fig. 4), motiviert den Fachmann,
Dosierungen in diesem Bereich zu berücksichtigen. Darin wird er zudem dadurch
bestärkt, dass der IC50-Wert für Sildenafil bei 0,0039 ± 0,009 M (= 3,9 ± 0,9 nM)
und für Tadalafil bei 2 nM liegt (vgl. NiK13 S. 47 Zusammenfassung, S. 50 li. Sp.
Abs. 2 i. V. m. Tab. 2; vgl. N7 S. 17 Tab. 1). Der IC50-Wert, der die Konzentration
des jeweiligen PDE5-Inhibitors angibt, bei der halbmaximale Hemmung beobach-
tet wird, ist für den Fachmann ein wichtiger Hinweis auf die Wirksamkeit eines
Wirkstoffs. Da der IC50-Wert von Sildenafil mindestens 33 % über dem IC50-Wert
von Tadalafil liegt, geht der Fachmann somit von einer höheren Wirksamkeit von
- 31 -
Tadalafil gegenüber Sildenafil aus, weshalb umso mehr die Veranlassung be-
stand, bei den Dosisfindungsstudien niedrige Dosierungen zu berücksichtigen.

3. Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4 unterscheidet sich vom Patentan-
spruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 bzw. 7 dadurch, dass die täglich oral zu verabrei-
chende Dosis an Tadalafil von 1 mg bis 20 mg auf 5 mg bis 20 mg beschränkt
worden ist.

Diese Beschränkung ist nicht dazu geeignet, das Beruhen der streitgegenständli-
chen Arzneistoffform auf erfinderischer Tätigkeit zu begründen. Denn wie unter
III.2. dargelegt, sind dem Fachmann wirksame Dosen von 5 mg und 10 mg für den
PDE5-Inhibitor Sildenafil bekannt, so dass er auch die nunmehr beanspruchte
Untergrenze für die Tadalafildosierung im Auge hatte. Damit führt die Beschrän-
kung im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 zu keiner anderen Sachlage als
beim Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 bzw. 7, so dass die Anspruchsfassung
gemäß Hilfsantrag 4 aus den bereits dargelegten Gründen ebenso nicht patentfä-
hig ist.

4. In der Anspruchsfassung gemäß Hilfsantrag 5 sind gegenüber der An-
spruchsfassung nach Hauptantrag die Patentansprüche 8, 9 und 16 bis 18 unter
Umnummerierung der verbleibenden Patentansprüche 10 bis 15 und 19 gestri-
chen worden.

Da somit der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 gegenüber dem Patentan-
spruch 1 nach Hauptantrag unverändert ist, liegt für ihn kein neuer Sachverhalt
vor, so dass für die Anspruchsfassung des Hilfsantrags 5 wiederum dieselben
Nichtigkeitsgründe wie für Anspruchsfassung nach Hauptantrag gelten.

5. Die weiteren Patentansprüche der Hilfsanträge 1 bis 8 bedürfen keiner iso-
lierten Prüfung, weil die Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung erklärt
haben, dass sie die Antragsstellung nach den Hilfsanträgen als geschlossene An-
spruchssätze verstehen (vgl. BGH GRUR 2007, 862 – Informationsvermittlungs-
- 32 -
verfahren II; BGH GRUR 1997, 120 – Elektrisches Speicherheizgerät; BPatG
GRUR 2009, 46 – Ionenaustauschverfahren).


IV.

1. In der Anspruchsfassung gemäß Hilfsantrag 9 wurde – wie auch in der An-
spruchsfassung nach Hilfsantrag 4 – die Anspruchsfassung gemäß Hauptantrag
dadurch beschränkt, dass in den nebengeordneten Patentansprüchen 1, 5 und 13
gemäß Hauptantrag das Merkmal "zur oralen Verabreichung der Verbindung in
einer täglichen Dosis von 5 mg bis 20 mg" eingefügt worden ist und die Patentan-
sprüche 8, 9 sowie 16 bis 19 gemäß Hauptantrag gestrichen worden sind.

5.2. Da der Patentanspruch 1 von Hilfsantrag 9 wortgleich ist mit dem Patent-
anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4, gilt für den Gegenstand des Patentanspruchs 1
gemäß Hilfsantrag 9 dieselbe Sachlage wie für den Gegenstand des Patentan-
spruchs 1 nach Hilfsantrag 4, so dass dieser aus denselben Gründen mangels er-
finderischer Tätigkeit nicht patentfähig ist (vgl. III.3.).

5.3. Dieses Schicksal teilen die nebengeordneten Patentansprüche 5, 8, 10
und 11, für die von Seiten der Beklagten kein eigenständiger erfinderischer Gehalt
geltend gemacht wurde. Dieser ist auch für den Senat nicht erkennbar.

Die pharmazeutische Zusammensetzung nach Patentanspruch 5 unterscheidet
sich von der freien Arzneistoffform gemäß Patentanspruch 1 nur dadurch, dass sie
zusätzlich für pharmazeutische Zusammensetzungen übliche Trägerstoffe, Ver-
dünnungsmittel oder Hilfsstoffe umfasst. Da gemäß Streitpatentschrift alle phar-
mazeutisch annehmbaren Hilfsstoffe für die Formulierung von Tabletten verwen-
det werden können und aus N7 die streitpatentgemäß bevorzugten Hilfsstoffe
Laktose und Stärke als Zusatzstoffe bekannt sind (vgl. N1/NiK1 S. 7 Abs. [0047]
Z. 5 bis 7 und N7 S. 5 Z. 4 bis 7 und 15 bis 26), kann das zusätzliche Merkmal im
Patentanspruch 5 ein Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit nicht begründen.
- 33 -
Im Patentanspruch 8 wird ein Verfahren zur Herstellung der teilchenförmigen
freien Arzneistoffform nach Patentanspruch 1 beansprucht. Dieses umfasst nur
Verfahrensschritte, die in Verfahren zur Herstellung mikronisierter Wirkstoffe üb-
lich sind (vgl. z. B. N12 S. 212/213 Kap. "Micronization: A Method Of Reducing
Particle Size") und enthält somit ebenfalls kein auf erfinderischer Tätigkeit beru-
hendes Merkmal.

Der Patentanspruch 10 ist auf die teilchenförmige freie Arzneistoffform nach Pa-
tentanspruch 1 zur Verwendung in einem Behandlungsverfahren gerichtet. Da aus
dem Stand der Technik bekannt ist, dass Tadalafil zur Behandlung der sexuellen
Dysfunktion verwendet wird (vgl. z. B. N7 Patentansprüche 1 bis 6, S. 5 le. Abs.
bis S. 6 Abs. 4; N8 S. 7 Z. 23 bis S. 8 Z. 9), ergibt sich für diesen Gegenstand
keine andere Sachlage als für den Gegenstand des Patentanspruchs 1, so dass
der Gegenstand des Patentanspruchs 10 aus denselben Gründen nicht patentfä-
hig ist.

Nichts anderes gilt für die Verwendung von Teilchen der teilchenförmigen freien
Arzneistoffform nach Patentanspruch 11. Denn aufgrund des zuvor belegten Be-
kanntseins der Behandlung von sexueller Dysfunktion mit Tadalafil sowie des Na-
heliegens einer Dosierung von Tadalafil im Bereich von 5 bis 20 mg enthält der
Patentanspruch 11 keine Merkmale, die eine erfinderische Tätigkeit begründen
könnten.

5.4. Bezüglich der auf den Patentanspruch 1 unmittelbar nachgeordneten Pa-
tentansprüche 2 bis 4, der auf den Patentanspruch 5 unmittelbar rückbezogenen
Patentansprüche 6 und 7, des auf den Patentanspruch 8 unmittelbar nachgeord-
neten Patentanspruchs 9 sowie der auf den Patentanspruch 11 unmittelbar rück-
bezogenen Patentansprüche 12 und 13 hat die Beklagte ebenfalls nicht vorgetra-
gen, dass ihnen ein eigenständiger patentfähiger Gehalt zukäme. Dieses ist auch
für den Senat nicht ersichtlich. Diese Patentansprüche, deren selbstständiger Ge-
halt von den Klägerinnen unter Angabe von Gründen in Abrede gestellt wurde,
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sind daher ebenfalls nicht patentfähig, ohne dass hierauf näher einzugehen ist
(vgl. BGH GRUR 2007, 309 – Schussfädentransport).


V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG
i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.


VI.

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben.

Die Berufungsschrift muss von einer in der Bundesrepublik Deutschland zugelas-
senen Rechtsanwältin oder Patentanwältin oder von einem in der Bundesrepublik
Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt oder Patentanwalt unterzeichnet und in-
nerhalb eines Monats beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a,
76133 Karlsruhe eingereicht werden. Die Berufungsfrist beginnt mit der Zustellung
des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von
fünf Monaten nach der Verkündung.

Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung
gerichtet wird, sowie die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Berufung
eingelegt werde.


Kätker Martens Dr. Münzberg Dr. Jäger Dr. Wagner

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