3 Li 1/16 (EP) - 3. Senat (Nichtigkeit)
Karar Dilini Çevir:

BUNDESPATENTGERICHT
L e i t sa tz
Aktenzeichen: 3 Li 1/16 (EP)
Entscheidungsdatum: 21. November 2017
Rechtsbeschwerde zugelassen: nein
Normen: § 24 Abs. 6 PatG
„Isentress II“
1. Wird im Zwangslizenzverfahren im Wege der einstweiligen Verfügung nach § 85 PatG
eine einstweilige Benutzungsgestattung erteilt und hierbei die Entscheidung über die
Festsetzung der Lizenzgebühr und der Rechnungslegung dem Hauptsacheverfahren
vorbehalten, so führt der im Laufe des Zwangslizenz-Hauptsacheverfahrens eintretende
Widerruf des Patents im Umfang der noch ausstehenden Entscheidung über die
Lizenzgebühr und die Rechnungslegung nicht zur Erledigung des Rechtsstreits. Für die
ausstehende Entscheidung bleibt auch die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts
bestehen.
2. Hat der Antragssteller einer Zwangslizenz von einer ihm im einstweiligen
Verfügungsverfahren erteilten einstweiligen Benutzungsgestattung Gebrauch gemacht, so
hat er für die Dauer dieser (einstweiligen) Lizenzgewährung auch dann die gesetzlich
bestimmte Vergütung zu entrichten, wenn das Patent im Laufe des Zwangslizenz-
(Hauptsache-) Verfahrens, in dem die Entscheidung über die Höhe der Lizenzgebühr noch
aussteht, widerrufen wird.
3. a) Da es sich bei der Bemessung der Lizenzgebühr für eine Zwangslizenz anbietet, sich
an derjenigen Lizenzgebühr zu orientieren, die unter den Umständen des jeweiligen
Einzelfalls in einem Lizenzvertrag vereinbart würde (vgl. BGH GRUR 2017, 1017, Rn. 28),
können bei einer solchen fiktiven Vereinbarung neben dem im jeweiligen Produktbereich
üblichen Lizenzgebührenrahmen auch Umstände berücksichtigt werden wie ein im Einzelfall
bestehendes besonderes Drohpotential des Patents, ebenso weitere Faktoren wie etwa der
Beitrag des Wirkstoffpatents zur Entwicklung des von der Zwangslizenz erfassten
pharmazeutischen Wirkstoffs oder die Mitbenutzung eigener Schutzrechte des
- 2 -
Lizenznehmers. Diese wirken sich – je nachdem – erhöhend oder erniedrigend auf die
Lizenzgebührenhöhe aus.
b) Bei der im Rahmen der Bemessung der Lizenzhöhe unter Umständen vorzunehmenden
Beurteilung des Beitrags, den das Patent zur Entwicklung des durch die Zwangslizenz
erlaubten Vertriebs eines Arzneimittelwirkstoffs leistet, ist danach zu fragen, welche
Weiterentwicklung ausgehend vom Offenbarungsgehalt des Patents (fiktiv) noch zu leisten
ist, um zum lizenzierten Wirkstoff zu gelangen. Hierbei sind etwaiger weiterer Stand der
Technik, ebenso wie etwaige Eigenentwicklungen des Lizenznehmers nicht zu
berücksichtigen.
c) Zu den Faktoren, die sich bei einer Zwangslizenz erhöhend für die Lizenzgebühr
auswirken, können etwa die fortbestehende Angreifbarkeit des Patents und die erzwungene
Hilfe für ein Konkurrenzunternehmen gehören, weniger hingegen der Entfall typischer
Nebenpflichten in vertraglichen Lizenzvereinbarungen oder die in § 24 Abs. 6 PatG
vorgesehenen Möglichkeiten der Anpassung oder der Rücknahme oder Anpassung der
Zwangslizenz.
4. Die Festsetzung der Höhe Lizenzgebühr für eine Zwangslizenz kann im Wege der
Schätzung (§ 287 Abs. 1 und 2 ZPO i.V.m. § 99 Abs. 1 PatG) unter Berücksichtigung der zur
Bemessung der Lizenzhöhe entwickelten Grundsätze und der von den Parteien dazu
vorgetragenen Anhaltspunkte erfolgen.
ECLI:DE:BPatG:2017:211117U3Li1.16EP.0
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
3 Li 1/16 (EP)
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
21. November 2017

In dem Verfahren auf Erteilung einer Zwangslizenz

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betreffend das europäische Patent 1 422 218
(DE 602 42 459)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 21. November 2017 durch den Vorsitzenden
Richter Schramm sowie die Richter Dipl.-Chem. Dr. Egerer, Kätker,
Dipl.-Chem. Dr. Wismeth und Dipl.-Chem. Dr. Freudenreich
für Recht erkannt:
I. Die im Urteil des Senats vom 31. August 2016, Aktenzeichen
3 LiQ 1/16 (EP), unter Ziff. III vorbehaltene Entscheidung
über die Festsetzung einer Lizenzgebühr und der Rech-
nungslegung wird dahingehend getroffen, dass die Lizenz-
gebühr auf 4 % des Netto-Verkaufspreises der in Ziffer I die-
ses Urteils bezeichneten Präparate festgesetzt wird und die
Klägerinnen der Beklagten Rechnung zu legen haben über
die gemäß Ziff. I des vorgenannten Urteils im Zeitraum vom
- 3 -
12. September 2016 bis zum 11. Oktober 2017 vorgenom-
menen Benutzungshandlungen durch Vorlage eines chrono-
logisch geordneten Verzeichnisses unter Angabe der einzel-
nen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten
und -preisen und unter Angabe von Typenbezeichnungen
sowie aufgeschlüsselt nach den Namen und Anschriften der
gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die
die Erzeugnisse bestimmt waren.

II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte 3/4,
die Klägerinnen 1/4.

IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 %
des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreck-
bar.

V. Den Parteien wird gestattet, die Sicherheitsleistung auch
durch eine schriftliche, unwiderrufliche, unbefristete, unbe-
dingte und selbstschuldnerische Bürgschaft eines im Inland
zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts zu erbringen.


Tatbestand


Die Klägerinnen sind europäische Tochterunternehmen des US-amerikanischen
M…. Sie vertreiben seit 2008 in Deutschland das Arzneimittel Isen-
tress, das den Wirkstoff Raltegravir enthält und zur Behandlung von Infektionen
mit dem Humanen Immundefizienzvirus (HIV) eingesetzt wird. Raltegravir gehört
zur Wirkstoffgruppe der Integraseinhibitoren (INI), die das für die Integration des
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HIV-Genoms in das Wirtszellgenom erforderliche Schlüsselenzym Integrase
hemmen und damit die Virus-Replikation unterbrechen. INIs werden im Rahmen
der heute gängigen antiretroviralen Kombinationstherapie als sogenannter Kombi-
nationspartner 2 oder 3rd Agent zusammen mit zwei nukleosidartigen oder nukleo-
tidartigen Reversetranskriptasehemmern (NRTIs oder NtRTIs) eingesetzt, die als
Kombinationspartner 1 bzw. Backbone das Rückgrat einer ART-Kombinationsthe-
rapie bilden. Neben den Integraseinhibitoren gibt es noch weitere Wirkstoffklas-
sen, die ebenfalls als Kombinationspartner 2 bzw. 3rd Agent eingesetzt werden
können.

Die Beklagte ist Inhaberin des inzwischen rechtskräftig widerrufenen europäischen
Patents EP 1 422 218 (Streitpatent) mit der Bezeichnung „Antiviral Agent“
(„Antivirales Mittel“), das am 8. August 2002 angemeldet und u.a. mit Wirkung für
die Bundesrepublik Deutschland am 21. März 2012 erteilt worden ist. Es wird vom
Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 602 42 459 geführt. Die
Beklagte vertreibt mit Hilfe von Partnerunternehmen im Rahmen eines Joint Ven-
tures die Arzneimittel Tivicay und Triumeq. Diese Arzneimittel enthalten den Wirk-
stoff Dolutegravir, bei dem es sich ebenfalls um einen Integraseinhibitor (INI) han-
delt.

Mit Schreiben vom 3. Juni 2014 machte die Beklagte gegenüber dem japanischen
Tochterunternehmen des M… geltend, dass das Arzneimittel Isen-
tress in den Schutzbereich des zur Familie des Streitpatents gehörenden japani-
schen Patents JP 5 207 392 falle. Man sei aber unter bestimmten Voraussetzun-
gen zur Lizenzierung bereit. Hierauf folgten mehrmonatige Verhandlungen über
eine weltweite Lizenzierung der Patentfamilie des Streitpatents, in denen die Be-
klagte in zwei bezifferten Angeboten prozentuale Lizenzgebühren am Umsatz des
Arzneimittels Isentress forderte. Die verlangten Lizenzsätze betrugen, gestaffelt
nach Land und Stand des jeweiligen Patenterteilungsverfahrens, zunächst zwi-
schen 3 % und 10 % (erstes Angebot), später zwischen 5 % und 12,5 %, darunter
7,5 % für Umsätze in der Europäischen Union (zweites Angebot, das im Anschluss
an die erstinstanzliche Aufrechterhaltung des Streitpatents im Einspruchsverfah-
- 5 -
ren erging). Das verhandelnde Konzernunternehmen des M…-Konzerns beließ
es unter Geltendmachung von Bedenken gegen die Bestandsfähigkeit des Streit-
patents bei seinem Angebot auf Zahlung einer - vergleichsweise sehr niedrigen -
Einmalsumme zur weltweiten Abgeltung sämtlicher Ansprüche.

Die Beklagte hat die Klägerinnen mit Klageschrift vom 17. August 2015 vor dem
Landgericht Düsseldorf (4c O 48/15) wegen Verletzung des Streitpatents u. a. auf
Unterlassung in Anspruch genommen.

Mit Klage vom 5. Januar 2016 hat die Klägerin zu 1. die Erteilung einer Zwangsli-
zenz am Streitpatent beantragt. Die Klägerinnen zu 2. und 3. sind der Klage später
beigetreten. Die Beklagte hat der Klage widersprochen.

Im Laufe des vorliegenden Zwangslizenz-Klageverfahrens haben die Klägerinnen
mit Schriftsatz vom 7. Juni 2016 beantragt, ihnen die Benutzung der Erfindung
durch einstweilige Verfügung vorläufig zu gestatten. Mit Urteil vom
31. August 2016 hat der Senat im einstweiligen Verfügungsverfahren
(3 LiQ 1/16 (EP)) unter Zurückweisung des Antrags im Übrigen den Klägerinnen
den Vertrieb des Medikaments Isentress zur Behandlung von HIV-Infizierten und
AIDS-Erkrankten in den vier bereits auf dem Markt verfügbaren Abgabeformen
vorläufig gestattet. Zugleich hat er die Entscheidung über die Festsetzung einer
Lizenzgebühr und der Rechnungslegung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Die gegen das Senatsurteil gerichtete Beschwerde der Beklagten hat der Bundes-
gerichtshof im Verfahren X ZB 2/17 mit Urteil vom 11. Juli 2017 zurückgewiesen
(GRUR 2017, 1017 - Raltegravir).

Das Landgericht Düsseldorf hat den Verletzungsrechtsstreit mit Beschluss vom
6. Oktober 2016 bis zur Entscheidung über das gegen das Streitpatent gerichtete
Einspruchsbeschwerdeverfahren ausgesetzt. Die hiergegen gerichtete sofortige
Beschwerde der Beklagten ist erfolglos geblieben.

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Am 11. Oktober 2017 hat die Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts
das Streitpatent widerrufen. Daraufhin haben die Klägerinnen den Rechtsstreit mit
Schriftsatz vom 18. Oktober 2017 in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die Be-
klagte hat sich der Erledigungserklärung nur teilweise angeschlossen. Hinsichtlich
der Festsetzung von Lizenzgebühren und dem Anspruch auf Rechnungslegung
hält sie den Rechtstreit in der Hauptsache nicht für erledigt.

Die Klägerinnen sind der Auffassung, dass sich der Rechtsstreit durch die rückwir-
kende Nichtigerklärung des Patents in der Hauptsache vollständig erledigt hat.
Mangels Rechtsgrundlage bestehe daher auch kein Vergütungsanspruch für die
Zeit vom 12. September 2016 bis zum 11. Oktober 2017. Mit seinem rückwirken-
den Widerruf sei das Streitpatent weggefallen, mit ihm der einzige Grund für die
einstweilige Benutzungserlaubnis und damit auch für eine Zahlungsverpflichtung.
Der Sachverhalt sei rechtlich so zu behandeln, als habe das Streitpatent nie exis-
tiert.

Eine Gleichstellung der Klägerinnen mit vertraglichen Lizenznehmern wäre ange-
sichts des Scheiterns der Lizenzverhandlungen widersprüchlich. Die Besonder-
heiten der Zwangslizenz, bei der durch rechtsgestaltenden hoheitlichen Akt ein ei-
genständiges Nutzungsrecht begründet werde, und bei der ein öffentliches Inte-
resse im Vordergrund stehe, schlössen die Anwendung der zu vertraglichen Li-
zenzen entwickelten Grundsätze aus. Die Klägerinnen hätten im Gegensatz zu ei-
nem vertraglichen Lizenznehmer durch die einstweilige Benutzungsanordnung
auch keine faktische Vorzugsstellung erhalten, da ihre Unternehmensgruppe
selbst über ein den Wirkstoff Raltegravir schützendes Patent verfüge. Auch Billig-
keitserwägungen sprächen gegen eine Verpflichtung der Klägerinnen zur Zahlung
von Lizenzgebühren. Dementsprechend bestehe auch keine Rechnungslegungs-
pflicht.

Im Übrigen könne ein Anspruch auf Zahlung von Lizenzentgelt, selbst wenn er be-
stünde, ebenso wie ein Anspruch auf Rechnungslegung, nicht im Verfahren zur
Erteilung einer Zwangslizenz vor dem Bundespatentgericht geltend gemacht wer-
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den. Vielmehr handele es sich insoweit um einen anderen Streitgegenstand, für
den nach § 143 PatG die ordentlichen Gerichte zuständig seien. Hieran ändere die
vom Senat vorgenommene Verlagerung der Entscheidung über die Vergütung der
Zwangslizenz in das Hauptsacheverfahren nichts.

Bei der somit nach § 91a ZPO zu treffenden Kostenentscheidung seien die Kosten
vollständig der Beklagten aufzuerlegen, denn ohne das erledigende Ereignis hät-
ten die Klägerinnen vollständig obsiegt. Hierzu verweisen sie im Wesentlichen auf
die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und des Senats im einstweiligen
Verfügungsverfahren. Zur Höhe der nach § 24 Abs. 6 PatG angemessenen Ver-
gütung wenden die Klägerinnen vorsorglich ein, dass das Streitpatent keinen Bei-
trag zur Entwicklung von Raltegravir geleistet habe. Es könne daher nicht von der
Lizenzierung eines fertig entwickelten Medikaments mit bestehender Marktzulas-
sung ausgegangen werden. Zeitlicher Ausgangspunkt der Berechnungen könne
allenfalls die Situation des Jahres 2002 sein, in der die „Lead optimisation“ bzw.
die Phase der „Entdeckung und präklinischen Prüfung“ stattgefunden habe, so
dass die Ungewissheit über die weitere Entwicklung des Produkts einzubeziehen
sei. Alle weiteren Entwicklungsschritte seien der Unternehmensgruppe der Kläge-
rinnen zuzurechnen, die den Wirkstoff Raltegravir vollständig selbst entwickelt und
hierauf auch eine eigenes Patent erhalten habe, nämlich das - gegenüber dem
Streitpatent zeitrangjüngere - Patent EP 1 441 735 (DE 602 09 381) der M…
S.r.l. Für die Bestimmung der Höhe eines angemessenen Lizenzentgelts
bieten die Klägerinnen Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutach-
tens an.

Bei der mit Schriftsatz der Klägerinnen vom 21. Dezember 2016 vorgenommenen
Anpassung des Klageantrags an den Umfang der vom Senat im einstweiligen
Verfügungsverfahren erteilten einstweiligen Benutzungsanordnung handele es
sich nicht um eine teilweise Klagerücknahme sondern um eine Klarstellung des
Antrags. Zumindest falle diese Änderung des Klageantrags im Vergleich zum ge-
samten Streitgegenstand nur minimal ins Gewicht.

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Die Klägerinnen beantragen sinngemäß,

die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten aufzuerlegen.

Hilfsweise wird die Höhe der Vergütung für den Zeitraum vom
12. September 2016 bis zum 11. Oktober 2017 in das Ermessen
des Gerichts gestellt, wobei die Zwangslizenzgebühr als Fixzah-
lung von nicht mehr als … Millionen US-$ oder hilfsweise als
laufende Lizenzgebühr in Höhe von nicht mehr als 1,1 % der
durch die Klägerinnen in der Bundesrepublik Deutschland mit fol-
genden Darreichungsformen erzielten Nettoumsätzen festgesetzt
wird:
- 400 mg Filmtabletten, zugelassen unter der Nummer
EU/1/07/436/001 und EU/1/07/436/002,
- 25 mg Kautabletten, zugelassen unter der Nummer
EU/1/07/436/003,
- 100 mg Kautabletten, zugelassen unter der Nummer
EU/1/07/436/004,
- 100 mg Granulat zur Zubereitung oral einzunehmender
Suspensionen unter der Nummer EU/1/07/436/005.

Weiter hilfsweise wird die Höhe der Vergütung gänzlich in das Er-
messen des Gerichts gestellt.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die von den Klägerinnen an die Beklagte zu zahlende Lizenzge-
bühr für die einstweilige Benutzungsgestattung (BPatG 3 LiQ 1/16
(EP) und BGH X ZB 2/17) festzusetzen,
wobei die Höhe der Lizenzgebühr in das Ermessen des Gerichts
gestellt wird, allerdings mindestens 8 % vom Umsatz der Kläge-
rinnen mit den von der einstweiligen Benutzungsgestattung um-
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fassten Darreichungsformen von Isentress in Deutschland beträgt,

die Klägerinnen zu verpflichten, darüber Rechnung zu legen, in
welchem Umfang sie die in Ziff. I des Tenors des Urteils des Bun-
despatentgerichts vom 31. August 2016 (3 LiQ 1/16 (EP)) näher
bezeichneten, unter die einstweilige Benutzungsgestattung fallen-
den Handlungen im Zeitraum vom 12. September 2016 bis zum
11. Oktober 2017 begangen haben,
und zwar unter Vorlage eines chronologisch geordneten Verzeich-
nisses unter Angabe der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt
nach Liefermengen, -zeiten und -preisen und unter Angabe von
Typenbezeichnungen sowie aufgeschlüsselt nach den Namen und
Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstel-
len, für die die Erzeugnisse bestimmt waren.

Nach Auffassung der Beklagten hat sich der Rechtsstreit hinsichtlich der Festset-
zung von Lizenzgebühren und dem Anspruch auf Rechnungslegung nicht erledigt.
Die Klägerinnen hätten von der einstweiligen Benutzungsanordnung in der Zeit
vom 12. September 2016 bis zum Widerruf des Streitpatents am 11. Oktober 2016
Gebrauch gemacht. Dazu führt die Beklagte - insoweit unwidersprochen - aus,
dass die Klägerinnen am 12. September 2016 die Sicherheit gemäß Ziff. IV. des
Senatsurteils vom 31. August 2016 in Form einer Bankbürgschaft über
… EUR per Gerichtsvollzieher an die Beklagtenvertreter zugestellt hätten. Zudem
sei den Vertretern der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem
Landgericht Düsseldorf am 13. September 2016 die Prozesskostensicherheit ge-
mäß Ziff. VI. des Senatsurteils übergeben worden. Die Beklagte ist der Auffas-
sung, dass die Klägerinnen damit trotz des Widerrufs des Streitpatents - ähnlich
wie bei vertraglichen Lizenzen - zur Zahlung einer angemessenen Lizenzgebühr
verpflichtet seien.

Die damit noch festzusetzende Lizenzgebühr sei in Höhe von mindestens 8 % der
Umsätze mit dem Arzneimittel Isentress angemessen. Die Beklagte verweist
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hierzu auf den Senatsbeschluss vom 25. Januar 2016 über die vorläufige Festset-
zung des Streitwerts. Allerdings sei kein pauschaler Abschlag in Höhe von 50 %
für die Nichtausschließlichkeit der Zwangslizenz gerechtfertigt. Denn zum einen
entspreche eine Zwangslizenz faktisch einer exklusiven Lizenz, da sie stets nur
einem einzigen Lizenzsucher erteilt werden könne, während weitere Lizenzsucher
kein öffentliches Interesse mehr geltend machen könnten. Zum anderen würde ein
solcher Abschlag zu einer verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Besserstel-
lung des Zwangslizenznehmers gegenüber vertraglichen Lizenznehmern führen,
zumal einfache Lizenzen wegen des Entfalls von Nebenpflichten häufig sogar hö-
her vergütet würden als ausschließliche Lizenzen. Für diesen noch offenen Teil
des Rechtsstreits seien die Kosten den Klägerinnen aufzuerlegen, da sie den
Rechtstreit in der Hauptsache für vollständig erledigt hielten und für den fraglichen
Zeitraum keine Lizenzgebühr zahlen wollten.

Hinsichtlich des übrigen Teils des Rechtsstreits hat sich die Beklagte sinngemäß
der Erledigterklärung der Klägerinnen angeschlossen. Bei der nach § 91a Abs. 1
ZPO i. V. m. § 84 PatG zu treffenden Kostenentscheidung hätten die Klägerinnen
die Kosten zu 3/5 zu tragen. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand wäre die
Zwangslizenzklage in der Hauptsache allenfalls teilweise begründet gewesen. Ne-
ben dem Umstand, dass - bei weiter rückläufigen Verschreibungszahlen von Isen-
tress - ohnehin nur ein geringer Teil der HIV- und AIDS-Patienten mit Raltegravir
behandelt werde, wobei zudem 2016 mit dem Präparat Genvoya ein neues, den
Wirkstoff Elvitegravir enthaltendes Präparat mit vergleichbaren Verschreibungs-
zahlen hinzugekommen sei, hätte die Zwangslizenz auch ohne weiteres auf die
Behandlung von Patienten beschränkt werden können, die aus ärztlicher Sicht auf
Raltegravir angewiesen seien. Für eine verfassungsrechtlich problematische über-
schießende, d. h. über das Erforderliche hinausgehende Zwangslizenz sei ein öf-
fentliches Interesse weder von den Klägerinnen dargetan noch sonst ersichtlich.

Zudem sprächen Billigkeitserwägungen für eine weitgehende Kostenauferlegung
zu Lasten der Klägerinnen. Das Zwangslizenzverfahren hätte vermieden werden
können, wenn die Klägerinnen ernsthaft über eine vertragliche Zwangslizenz ver-
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handelt hätten, statt einen außergerichtlichen Dialog zu verweigern. Auch hätten
die Klägerinnen, die die Bestandskraft des Streitpatents in Frage gestellt hätten,
auf das von ihnen geführte Einspruchsverfahren vertrauen und die Entscheidung
des EPA abwarten können.

Außerdem hätten die Klägerinnen weitere mindestens 1/5 und somit insgesamt
mindestens 4/5 der Kosten des Rechtsstreits wegen einer Teil-Klagerücknahme
zu tragen. Die mit Schriftsatz der Klägerinnen vom 21. Dezember 2016 vorge-
nommene Umstellung des ursprünglich allgemein auf die Zwangslizenzierung von
Isentress gerichteten Klageantrags auf die im Senatsurteil vom 31. August 2016
genannten vier Abgabeformen stelle eine teilweise Rücknahme der Klage dar,
denn die zum Zeitpunkt der Klageeinreichung noch im Zulassungsstadium befind-
liche Ausführungsform Isentress 1200 mg (2 x 600 mg) sei nicht mehr vom Antrag
erfasst. Hierfür hätten die Klägerinnen nach § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO die Kosten
zu tragen.


Entscheidungsgründe

Nachdem die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache teilweise für erledigt
erklärt haben, ist vorliegend noch über die im Urteil des Senats vom
31. August 2016 in dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung
(3 LiQ 1/16 (EP)) vorbehaltene Entscheidung über die Festsetzung einer Lizenz-
gebühr und der Rechnungslegung sowie über die Kostenverteilung zu befinden.

I.

Die Lizenzgebühr ist auf 4 % des Netto-Verkaufspreises der in Ziffer I dieses Ur-
teils bezeichneten Präparate festzusetzen. Die Klägerinnen haben der Beklagten
weiter Rechnung zu legen über die gemäß Ziff. I des vorgenannten Urteils im Zeit-
raum vom 12. September 2016 bis zum 11. Oktober 2017 vorgenommenen Be-
nutzungshandlungen.
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1. Hinsichtlich der Höhe der von den Klägerinnen an die Beklagte zu zahlen-
den Lizenzgebühren und der beantragten Rechnungslegung ist keine Erledigung
des Rechtsstreits eingetreten.

a) Der Erledigterklärung der Klägerinnen vom 18. Oktober 2017 hat sich die
Beklagte nur teilweise angeschlossen. Hierbei hat sie den Rechtsstreit bezüglich
der Höhe der Lizenzgebühr für den Zeitraum vom 12. September 2016 bis
11. Oktober 2017 ausdrücklich ausgenommen und insoweit Festsetzung der Li-
zenzgebühr sowie Verpflichtung der Klägerinnen zur Rechnungslegung beantragt.

b) Es sind auch keine Umstände eingetreten, durch die der Rechtsstreit
hinsichtlich der Festsetzung der Lizenzgebühr und Anordnung der Rechnungsle-
gung gegenstandslos geworden ist und sich damit in der Hauptsache vollständig
erledigt hat. Mit Urteil vom 31. August 2016 hat der Senat den Klägerinnen die
einstweilige Benutzung des Streitpatents für bestimmte Abgabeformen des Arz-
neimittels Isentress gestattet. Zugleich hat er die Entscheidung über die Festset-
zung einer Lizenzgebühr und der Rechnungslegung dem Hauptsacheverfahren
vorbehalten (Ziff. III. des Urteils; vgl. a. Ziff. V. 1. der Entscheidungsgründe). Die
damit in das Hauptsacheverfahren überwiesene Entscheidung über die Festset-
zung der Lizenzgebühr und die Rechnungslegung ist folglich noch offen.

Entgegen der Auffassung der Klägerinnen ist sie nicht durch den Widerruf des
Streitpatents am 11. Oktober 2017 gegenstandslos geworden. Denn die Klägerin-
nen haben zwischenzeitlich von der einstweiligen Benutzungsanordnung Ge-
brauch gemacht. Nach übereinstimmendem Vortrag beider Parteien haben die
Klägerinnen am 12. September 2016 eine Sicherheit gemäß Ziff. IV. des Senats-
urteils vom 31. August 2016 in Form einer Bankbürgschaft über … EUR
(Anlage TW40 der Beklagten) per Gerichtsvollzieher an die Beklagtenvertreter zu-
gestellt (Schriftsätze der Klägerinnen v. 21. Dezember 2016, S. 4, Ziff. 4. und der
Beklagen v. 2. November 2017, S. 4 f.). Zudem haben sie in der mündlichen Ver-
handlung vor dem Landgericht Düsseldorf am 13. September 2016 die Prozess-
kostensicherheit gemäß Ziff. VI. des Senatsurteils übergeben. Damit haben sie zu
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erkennen gegeben, dass ihre weitere Benutzung des patentgeschützten Gegen-
stands (die hier zu unterstellen ist, vgl. z. B. Benkard-Rogge/Kober-Dehm, Patent-
gesetz, 11. Aufl., § 24 PatG, Rn. 11, 35) von da an auf der Grundlage der einst-
weiligen Benutzungsgestattung erfolgt, mithin keine Verletzung des Patents dar-
stellt. Somit ist ein Anspruch der Beklagten auf Zahlung einer angemessenen Li-
zenzgebühr gemäß § 24 Abs. 6 Satz 4 PatG entstanden.

Erst mit dem Widerruf des Streitpatents ist die einstweilige Benutzungsanordnung
gegenstandslos geworden (vgl. Benkard-Hall/Nobbe, a. a. O., § 85 PatG, Rn. 14;
Busse-Keukenschrijver, Patentgesetz, 8. Aufl., § 85 PatG, Rn. 17; Fitzner/
Lutz/Bodewig-Wilhelmi, PatG, 4. Aufl., § 85 PatG, Rn. 18). Dementsprechend ist
für die Zeit vom 12. September 2016 bis zum 11. Oktober 2017 die Lizenzgebühr
festzusetzen und die Rechnungslegung anzuordnen. Der Rechtsstreit ist insoweit
nicht erledigt.

c) Die hiergegen von den Klägerinnen vorgebrachten Argumente vermögen
nicht zu überzeugen. Zwar ist das Streitpatent durch dessen Widerruf mit Wirkung
ex tunc vernichtet worden, so dass damit automatisch die mit Urteil des Senats
vom 31. August 2016 erlassene Benutzungsanordnung endete. Dies lässt jedoch
den aus § 24 Abs. 6 Satz 4 PatG folgenden Anspruch der Beklagten auf Zahlung
einer Lizenzvergütung für die Zeit vom 31. August 2016 bis zum 11. Oktober 2017
nicht rückwirkend entfallen bzw. entzieht ihm nicht nachträglich die Rechtsgrund-
lage (Benkard, a. a. O., § 24, Rn. 9 a. E., Rn. 46). Ähnlich wie bei vertraglichen
Lizenzen sind auch erzwungene Lizenzen mit Unsicherheiten behaftete Ge-
schäfte, bei denen keine Gewissheit über den dauernden Bestand des lizenzierten
Schutzrechts besteht. Bei vertraglichen Lizenzen ist es anerkannt, dass der
Rechtsbestand des Lizenzvertrags für die Vergangenheit unberührt bleibt
(Benkard-Ullmann/Deichfuß, a. a. O., § 15, Rn. 192) und eine Zahlungspflicht für
die Vergangenheit zumindest solange bestehen bleibt, wie das Schutzrecht im
Wettbewerb tatsächlich respektiert wird (BGH GRUR 2005, 935, 937 - Vergleichs-
empfehlung II; Benkard, a. a. O., Rn. 193, § 22, Rn. 89), so dass dem Lizenzneh-
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mer durch die Lizenz eine vorteilhafte Stellung erwachsen ist (Benkard, a. a. O.,
§ 15, Rn. 193 m. w. N.).

Von einer vergleichbaren vorteilhaften Stellung der Klägerinnen ist auch vorlie-
gend in Bezug auf die einstweilige Benutzungsgestattung auszugehen. Zugunsten
der Klägerinnen entfaltete sie vor allem Schutz gegenüber einem etwaigen vorläu-
fig vollstreckbaren Unterlassungsurteil des Landgerichts Düsseldorf im Verlet-
zungsverfahren 4c O 48/15, mit dem die Klägerinnen an der weiteren Vermarktung
ihres Medikaments Isentress gehindert gewesen wären. Dies haben die Klägerin-
nen als Antragstellerinnen des einstweiligen Verfügungsverfahrens zur Darlegung
eines Verfügungsgrundes auch geltend gemacht (vgl. Antragsschrift vom
7. Juni 2016 im Verfahren 3 LiQ 1/16 (EP), S. 4, unter Ziff. 4. bis 5., und S. 24 un-
ter Ziff. 4.) und zuletzt im Hauptsacheverfahren nochmals vorgetragen (Schriftsatz
vom 14. November 2017, S. 12 unter Ziff. 2.). Ein Unterlassungsurteil war auch
deshalb zu befürchten, weil das Patent von der Einspruchsabteilung des Europäi-
schen Patentamts erstinstanzlich aufrechterhalten worden ist und eine Entschei-
dung im Einspruchsbeschwerdeverfahren für die nähere Zeit nicht in Aussicht
stand.

Ungeachtet der Frage, wie das Landgericht Düsseldorf am 13. September 2016
oder zu einem späteren Termin entschieden hätte, wenn der Senat die einstwei-
lige Benutzungsgestattung nicht erlassen hätte, ist die von den Klägerinnen mit
dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Benutzungsgestattung erstrebte
Schutzwirkung vor einem vorläufig vollstreckbaren Unterlassungsurteil, ggf. einer
einstweiligen Unterlassungsverfügung durch ein Verletzungsgericht, jedenfalls
entstanden, so dass ihnen in der Zeit bis zum Widerruf des Streitpatents am
11. Oktober 2017 eine vorteilhafte Stellung durch die einstweilige Benutzungsge-
stattung erwachsen ist. Diese Wirkung bestand im Übrigen völlig unabhängig vom
Bestehen eines eigenen, Raltegravir schützenden Patents des Konzerns der Klä-
gerinnen, da dieses (eigene) Patent etwaige gerichtliche Unterlassungsgebote auf
der Grundlage des Streitpatents nicht hätte verhindern können. Dementsprechend
besteht auch eine Pflicht aus § 24 Abs. 6 Satz 4 PatG zur Zahlung einer Lizenz-
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gebühr für die Zeit vom 31. August 2016 bis zum 11. Oktober 2017, die nicht
rückwirkend entfallen ist.

Soweit die Klägerinnen weiter einwenden, dass ein Vergleich mit vertraglichen Li-
zenzen schon deshalb fehlgehe, weil sie einen solchen Lizenzvertrag nicht abge-
schlossen hätten, vermag dies ebenfalls nicht zu überzeugen. Denn zum einen ist
die Interessenlage hinsichtlich der dem Lizenznehmer aus der Lizenz erwachse-
nen vorteilhaften Stellung durchaus vergleichbar. Eine (einstweilige) Zwangslizenz
dürfte als hoheitlich begründete Benutzungserlaubnis sogar noch eher als eine
vertragliche Lizenz geeignet sein, von Gerichten, Behörden und Wettbewerbern
respektiert zu werden. Zum anderen haben die Klägerinnen bzw. das für ihren
Konzern verhandelnde Unternehmen nach ihrem eigenen Vortrag zunächst eine
vertragliche Lizenzvereinbarung angestrebt. Erst als dieses Bemühen erfolglos
blieb, haben sie ersatzweise eine Zwangslizenz beantragt und im einstweiligen
Verfügungsverfahren auch eine entsprechende Nutzungserlaubnis erhalten. Wer
eine Zwangslizenz beantragt, hat dann auch im Erfolgsfall die in § 24 Abs. 6
Satz 4 PatG bestimmte Vergütungsverpflichtung zu übernehmen und kann sich
dieser nicht mit dem Hinweis entziehen, eine vertragliche Lizenzvereinbarung sei
nicht zustande gekommen. Letzteres ist kein Hinderungsgrund, sondern vielmehr
eine Voraussetzung für die Erteilung der Zwangslizenz und damit auch für das
Entstehen des Vergütungsanspruchs (§ 24 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 Satz 4 PatG).

Nicht durchgreifend ist weiter die Erwägung der Klägerinnen, dass der vertragliche
Lizenzsucher von einer Vereinbarung absehen und das Risiko einer Unterlas-
sungsverfügung eingehen könne, während der Zwangslizenzsucher im Hinblick
auf das überwiegende öffentliche Interesse an der weiteren Verfügbarkeit eines
Medikaments keine wirtschaftlich vernünftige Abwägung treffen könne, so dass
das Risiko der späteren Nichtigerklärung des Streitpatents zu Unrecht ausschließ-
lich dem - auch im öffentlichen Interesse handelnden - Zwangslizenzsucher auf-
gebürdet würde. Weder der Gesetzgeber noch der Senat gehen davon aus, dass
die wirtschaftlichen Erwägungen eines Zwangslizenzsuchers regelmäßig davon
bestimmt werden, dass er (auch) im öffentlichen Interesse handelt. Bei dem öf-
- 16 -
fentlichen Interesse handelt es sich um die wesentliche Voraussetzung für die Er-
teilung einer Zwangslizenz, die erfüllt sein muss, um überhaupt eine Zwangslizenz
erhalten zu können. Die wirtschaftlichen Erwägungen, ob und zu welchen Bedin-
gungen der Lizenzsucher bereit ist, eine vertragliche Lizenz, ersatzweise eine
Zwangslizenz zu erwerben, wird er hingegen in erster Linie nach den Bedürfnissen
seines Unternehmens ausrichten und in der Regel nicht etwa aus altruistischen
Motiven (vgl. a. BGH GRUR 2017, 1017, Rn. 92 - Raltegravir). Wenn er dann nicht
bereit oder in der Lage ist, eine Lizenzgebühr zu entrichten, die in der Weise an-
gemessen ist, dass sie ihm - als Obergrenze - zumindest die Aufrechterhaltung
des Betriebs gestattet (vgl. z. B. Benkard, a. a. O., § 24 PatG, Rn. 33), so kann
und wird er ungeachtet eines etwaigen öffentlichen Interesses auf der Grundlage
einer wirtschaftlich vernünftigen Abwägung ebenso von einer Zwangslizenzklage
absehen oder von der Zwangslizenz keinen Gebrauch machen, wie ein „normaler“
Lizenzsucher vom Abschluss einer vertraglichen Lizenzvereinbarung absehen
würde. Hätte der Gesetzgeber hingegen über die - nur ausnahmsweise mögliche -
Gewährung einer Zwangslizenz hinaus eine weitere Begünstigung des Lizenz-
nehmers vorgesehen, etwa in Form einer von den üblichen vertraglichen Gestal-
tungen abweichenden Risikoverteilung zu Lasten des ohnehin bereits durch die
Zwangslizenz belasteten Patentinhabers, so hätte er dies in § 26 Abs. 4 PatG zum
Ausdruck gebracht.

Auch der Vergleich der Klägerinnen mit der Schadensersatzpflicht eines Patent-
verletzers, die bei Wegfall des Patents entfällt, wobei etwaige Schadensersatz-
leistungen mangels Rechtsgrunds zurückgefordert werden können, überzeugt
nicht. Vorliegend haben es die Klägerinnen eben nicht darauf ankommen lassen,
möglicherweise wegen Patentverletzung verurteilt zu werden und ihr Medikament
vom Markt nehmen zu müssen. Vielmehr haben sie vor der Beschwerdeentschei-
dung im Einspruchsverfahren um eine vertragliche Lizenz, sodann ersatzweise um
eine Zwangslizenz nachgesucht und, mit der Sicherheit, ihren Vertrieb aufrecht
erhalten zu können, auch bekommen. Dann aber haben sie auch die in § 24
Abs. 6 PatG bestimmten Rechtsfolgen zu tragen.

- 17 -
Auch die „Billigkeitserwägungen“ der Klägerinnen (Schriftsatz vom
14. November 2017, S. 6 unter Ziff. 4) sind für den Senat nicht durchgreifend.
Zwar mag es billig sein, dass der Inhaber eines nichtigen Patents, das einen un-
entbehrlichen medizinischen Gegenstand schützt, nicht mehr vom Patent profitie-
ren soll als jeder andere Patentinhaber auch. Ihm dürfen deswegen aber auch
keine besonderen Nachteile erwachsen. Wer eine Zwangslizenz erdulden muss,
soll nach der Wertentscheidung des Gesetzgebers dafür auch angemessen be-
zahlt werden (§ 24 Abs. 6 Satz 4 PatG).

Weiter überzeugt auch die Erwägung der Klägerinnen nicht, dass ein vernünftiger
Lizenzsucher bei der nach der Rechtsprechung des X. Zivilsenats des Bundesge-
richtshofs gebotenen rückschauenden Betrachtung (vgl. Benkard-Grabinski/Zülch,
a. a. O., § 139, Rn. 64; Busse, a. a. O., § 139, Rn. 165 jew. m. w. N.) am Tag des
Widerrufs des Streitpatents (11. Oktober 2017) keine Lizenz genommen hätte.
Denn auch rückblickend ist ungewiss, ob und wie das Landgericht Düsseldorf im
September 2016 entschieden hätte, wenn der Senat nicht eine einstweilige Benut-
zungsanordnung erteilt hätte. Zudem hätte ein freier Lizenznehmer, der die Erfin-
dung vor einer Entscheidung über die Bestandskraft des Patents nutzen will, auch
rückblickend in Kenntnis des späteren Widerrufs des Patents, einen Lizenzvertrag
erwogen, um vor einer etwaigen Unterlassungsverfügung oder einem vorläufig
vollstreckbaren Unterlassungsurteil aus dem bis zum Widerruf oder der Nichtiger-
klärung wirksamen Patent geschützt zu sein.

2. Der Senat hält ein Lizenzentgelt in Höhe von 4 % des Nettoverkaufspreises
der von der einstweiligen Benutzungsanordnung erfassten Präparate nach den
Umständen des Falles für angemessen und dem wirtschaftlichen Wert der
Zwangslizenz entsprechend (§ 24 Abs. 6 Satz 4 PatG).

a) Nach § 24 Abs. 6 Satz 4 PatG hat der Patentinhaber gegen den Inhaber der
Zwangslizenz Anspruch auf eine Vergütung, die nach den Umständen des Falles
angemessen ist und den wirtschaftlichen Wert der Zwangslizenz in Betracht zieht.
Bei der Bemessung der Vergütungshöhe bietet es sich an, sich an derjenigen Li-
- 18 -
zenzgebühr zu orientieren, die unter den Umständen des jeweiligen Einzelfalls in
einem Lizenzvertrag vereinbart würde (vgl. BGH GRUR 2017, 1017,
Rn. 28 - Raltegravir). Der Bundesgerichtshof geht damit von einem Ansatz aus,
wie er in Rechtsprechung und Literatur gleichermaßen sowohl bei der Bemessung
der Vergütungshöhe von Zwangslizenzen nach § 24 Abs. 6 PatG (vgl. z. B.
Benkard, a. a. O., § 24 PatG, Rn. 33 m. w. N.), der Vergütungsfestsetzung nach
§ 23 Abs. 4 PatG (vgl. z. B. BPatG BlPMZ 90, 329; DPA BlPMZ 88, 324), der
Festsetzung der Vergütung nach dem Arbeitnehmererfindungsgesetz
(Bartenbach/Volz, 4. Aufl., RL Nr. 5, Rn. 26, RL Nr. 6 u. 7) als auch der Scha-
densberechnung nach § 139 PatG i. V. m. § 287 Abs. 1 ZPO im Wege der -
abstrakten - Lizenzanalogie (vgl. z. B. Benkard, a. a. O., § 139 PatG, Rn. 63a, 65
m. w. N.) angewendet wird, nämlich einem Vergleich mit üblicherweise frei verein-
barten Lizenzsätzen, jeweils unter Berücksichtigung der Besonderheiten des je-
weiligen Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien und der Umstände des Ein-
zelfalls. Den hiergegen von den Klägerinnen geäußerten Bedenken gegen die
Anwendung der Lizenzanalogie im Schadensersatzrecht (vertraulicher Schriftsatz
v. 14. November 2017, S. 4, Ziff. 1.), ist entgegenzuhalten, dass bei der Li-
zenzanalogie Erwägungen und Faktoren, wie sie Parteien bei der Bemessung ei-
ner fiktiven vertraglichen Lizenzgebühr berücksichtigt hätten, auf die Schadens-
bemessung nach § 139 Abs. 2 PatG übertragen werden (vgl. Schulte-Voß, Pa-
tentgesetz, 10. Auflage, § 139 PatG, Rn. 111 f., 120), nicht umgekehrt. Auf das
Zwangslizenzentgelt lassen sich die Grundsätze der Lizenzanalogie damit erst
recht anwenden. Erwägungen, die allein dem Schadensersatzrecht zuzuordnen
sind, wie etwa der Gedanke der vollständigen Gewinnabschöpfung, haben hier
außen vor zu bleiben.

Maßgeblich ist demnach, was bei einer vertraglichen Einigung ein vernünftiger
Patentinhaber fordern und ein vernünftiger Lizenznehmer gewähren würde (vgl.
RGZ 171, 227, 239; Benkard, a. a. O., § 24 PatG Rn. 33). Allgemein hat sich die
Bemessung der Vergütung innerhalb von zwei Grenzen zu halten: Sie soll dem
Patentinhaber eine angemessene Entschädigung gewähren, sie soll aber auch
dem Lizenzsucher die Aufrechterhaltung seines Betriebs gestatten. Im Übrigen ist
- 19 -
das Gericht auf die ihm von den Parteien dargebotenen Anhaltspunkte angewie-
sen und kann nur schätzungsweise auf einen bestimmten Satz kommen (vgl.
RGZ 143, 223, 229; BPatG GRUR 94, 98, 103; BPatGE 32, 184, 199, Ziff. 7;
Benkard, a.a.O.).

Von Bedeutung ist namentlich der Umfang der dem Lizenzsucher gestatteten und
von ihm beabsichtigten Benutzung (RGZ 126, 266, 271; Benkard, a. a. O., § 24
PatG, Rn. 33; vgl. a. Rn. 31). Maßgeblich sind auch die Bedeutung des Patents
(Fortschritt, erfinderische Tätigkeit) und die Stellung, die seine Benutzung dem Be-
rechtigten verleihen (vgl. Benkard, a. a. O., § 24 PatG Rn. 33 unter Hinweis auf
RG GRUR 1938, 836, 837). Grundsätzlich ist die Höhe der Vergütung einzelfall-
bezogen anhand der konkreten Umstände und auf Basis des tatsächlichen wirt-
schaftlichen Wertes der Zwangslizenz zu ermitteln (vgl. Benkard, a. a. O., § 24
PatG Rn. 33). Hierbei sind sowohl die Bestandskraft des Patents, als auch die Er-
findungsbenutzung bzw. Verletzung des Patents zu unterstellen (vgl. Benkard,
§ 24 PatG, Rn. 9 und 11; RGZ 143, 223, 228, Ziff. II.).

b) Bei der Festsetzung der Lizenzgebühr, wie sie üblicherweise in Prozentsät-
zen vom Verkaufspreis des Lizenznehmers bemessen wird, sind in der Vergan-
genheit im Arzneimittelbereich zumeist Lizenzrahmen von 2 bis 10 % genannt
worden (vgl. BPatGE 32, 184, 199 m. w. N.). In älteren Entscheidungen wurden
für Pharmazeutika auch höhere Lizenzsätze bis zu 15 % genannt (vgl. Benkard,
a. a. O., § 24 PatG, Rn. 34 m. w. N.).

Auch in der aktuelleren Übersicht Groß/Strunk, Lizenzgebühren, 4. Aufl. (2015),
die - mit unterschiedlichen Stellen - als Anlagen HLeS7, TW 20, TWeS 2 bis 4 von
beiden Parteien angeführt wird, werden für „therapeutische Produkte“ Sätze zwi-
schen 5 % und 10 % (S. 101) und für „Pharmazeutika“ zwischen 5 und 15 %
(S. 93, 104) genannt, wenngleich auf der Basis älterer Quellen. Die grundsätzliche
prozentuale Bewertung von Lizenzen in diesem Wirtschaftssegment scheint sich
also in den vergangenen Jahrzehnten nicht durchgreifend geändert zu haben.
Dem Senat sind auch keine gravierenden technischen oder wirtschaftlichen Um-
- 20 -
wälzungen bekannt, wie sie beispielsweise seit etwa 25 Jahren im Bereich der IT-
und Kommunikationstechnik zu beobachten sind, die einen möglichen Anlass zu
einer fundamentalen Neubewertung geben könnten. Auch von den Parteien, die
jeweils nur Beispielsfälle zur Stützung der von ihnen vertretenen Positionen ge-
nannt haben, sind solche Entwicklungen nicht vorgetragen worden.

Der Senat geht daher, ähnlich wie bereits in seinem eine Zwangslizenz für das
Arzneimittel „Polyferon“ gewährenden Urteil vom 7. Juni 1991 (3 Li 1/90 (EU),
BPatGE 32, 184, 199) von einem allgemeinen üblichen Rahmen von 2 bis 10 %,
eher von 5 bis 10 % aus, der bei Pharmazeutika allerdings - wenn auch seltener -
durchaus auch zwischen 5 bis 15 % liegen kann.

c) Orientiert man sich also an dem, was die Parteien unter den Umständen
des Einzelfalls in einem Lizenzvertrag vereinbaren würden (vgl. BGH, a. a. O.,
Rn. 28 - Raltegravir), so wird angesichts der besonderen Situation, in der sich der
Konzern der Klägerinnen in der Zeit der Wirksamkeit des Streitpatents befunden
hat, im Ausgang der Überlegungen von einer weitgehenden Ausschöpfung des
möglichen Lizenzrahmens nach oben auszugehen sein. Denn bereits zu Beginn
des Lizenzzeitraums produzierte und vertrieb der M… seit fast
10 Jahren das Medikament Isentress mit dem bis 2014 einzigen ungeboosteten
Integraseinhibitor (Raltegravir), mit dem Umsätze in Höhe von jährlich ca.
… US-$ weltweit, in Deutschland in Höhe von ca. … € erzielt worden
sind (von der Beklagten als „Blockbuster“ bezeichnet).

Ein konkurrierendes Arzneimittelunternehmen, das ein Patent innehat, unter des-
sen Schutzbereich der Wirkstoff Raltegravir fällt, wird unter diesen Umständen na-
heliegend das Drohpotential seines Patents ausspielen wollen, besonders wenn
es, wie die Beklagte und ihre Kooperationspartner, konkurrierende Arzneimittel
vertreibt. Hierbei wird ein Patentinhaber überhaupt nur dann bereit sein, eine Li-
zenz an seinen Konkurrenten zu vergeben, wenn er selbst Gewinn erzielen kann.
Dabei wird der Patentinhaber berücksichtigen, dass er Zuwächse mit den eigenen
Produkten (hier: Triumeq und Tivicay) erzielen könnte, wenn er, anstatt eine Li-
- 21 -
zenz zu vergeben, das Konkurrenzprodukt (hier: Isentress) mit Hilfe seines Pa-
tents aus dem Markt drängen könnte. Ein wirtschaftlich vernünftiger Patentinhaber
würde in dieser Situation also nur dann eine Lizenz an seinen Konkurrenten ver-
geben und damit den Verbleib des Konkurrenzprodukts auf dem Markt ermögli-
chen, wenn er den entgangenen Zuwachs beim eigenen Produkt mindestens
kompensieren könnte (vgl. a. Gutachten R… v. 6. Juni 2016 (HLeS 5), Ziff. III).

Das Drohpotential des Streitpatents wird im Bereich der HIV-/AIDS-Medikamente
über das „normale“ Drohpotential eines Wirkstoffpatents hinaus zusätzlich dadurch
verschärft, dass die Patienten im Falle eines Vertriebsstopps von Isentress notge-
drungen auf andere Arzneimittel aus dem Bereich der sog. Kombinationspartner 2
bzw. 3rd Agents ausweichen müssten und - bei Erfolg der neuen Therapie - viel-
fach bei diesen Medikamenten bleiben würden, im Falle eines späteren Widerrufs
oder der Nichtigerklärung des Streitpatents also nicht zu Isentress zurückkehren
würden. Soweit HIV/AIDS-Patienten im Zuge eines nicht erfolgreichen Medika-
menten-Zwangswechsels versterben sollten, fielen sie ebenfalls endgültig als Ab-
nehmer des Produkts Isentress aus.

Damit eng verknüpft spielt auch der bei vertraglichen Lizenzen als erhöhend zu
berücksichtigende Gedanke des Fehlens einer Ausweichlösung eine Rolle, bei
dem es sich um einen Gesichtspunkt von in der Regel erheblichem Gewicht han-
delt (vgl. BGH GRUR 1993, 897 (1.b) bb) - Mogulanlage; Benkard, a. a. O., § 139
PatG, Rn. 66; Schulte, § 139 PatG, Rn. 113, 122 d). Das o. g. Drohpotential des
Streitpatents wird vorliegend erst dadurch ermöglicht bzw. verschärft, dass es für
die Klägerinnen keine technisch-wirtschaftliche Alternative gibt, mit der sie den
drohenden Vertriebsstopp ihres Produkts Isentress kompensieren könnten. Denn
unabhängig von der zwischen den Parteien umstrittenen Frage, ob es eine medi-
zinische Ausweichlösung für den Wirkstoff Raltegravir gibt, die der Bundesge-
richtshof und der Senat für bestimmte Patientengruppen verneint haben, besteht
jedenfalls für die Klägerinnen keine technisch-wirtschaftliche Ausweichmöglichkeit
in Form eines für die Klägerinnen zugelassenen Arzneimittels mit einem anderen,
- 22 -
nicht unter das Streitpatent fallenden Wirkstoff, der in identischer oder ähnlicher
Weise wie Raltegravir die Integrase hemmt.

Für einen Arzneimittelhersteller in der Situation der Klägerinnen wird es daher
kaum als Alternative in Betracht gezogen werden, es auf einen
Verletzungsprozess ankommen zu lassen und während dessen auf den Erfolg des
Einspruchsverfahrens zu vertrauen. In ihrem Ausgangspunkt orientiert sich die
Bewertung daher an den höchsten, noch üblichen Lizenzsätzen im Bereich der
Pharmazeutika, die bei etwa 15 % liegen. Hierbei wäre üblicherweise ein Abschlag
dafür vorzunehmen, dass hier nur ein reines Wirkstoffpatent, nicht aber ein von
der Beklagten fertig entwickeltes und zugelassenes Arzneimittel lizenziert wird.
Andererseits wird wegen der für die Klägerinnen besonders bedrohlichen Situation
auch ein die üblichen Lizenzsätze noch übersteigender Lizenzrahmen in Betracht
kommen, der diesen Abschlag zumindest teilweise wieder aufwiegen kann. Im
Ansatz der Überlegungen wird also von einem außerordentlich hohen Lizenzsatz
für ein Wirkstoffpatent im Bereich von 10 % bis 15 % auszugehen sein.

d) Hierbei wird die Bewertung jedoch nicht stehenbleiben, selbst wenn man
von einer für den Hersteller des Produkts Isentress kaum auszuweichenden
Zwangslage ausgeht. Vielmehr sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die o. g. anerkannten Kriterien der Li-
zenzhöhenbemessung auf Angemessenheit und fairen Interessenausgleich ge-
richtet sind. Ansonsten müsste ohne jegliche Faktorenbewertung allein die
„Höchst-Schmerzgrenze“ des Lizenzsuchers ausgelotet und festgesetzt werden,
die im Fall der Klägerinnen laut ihrem Gutachter R… bei etwa … % liegen
würde (vgl. Gutachten R… vom 6. Juni 2016 (HLeS 5), S. 5, Ziff. 14). Eine sol-
che Lizenzbemessung entspricht jedoch erkennbar nicht den zur Lizenzhöhe von
Zwangslizenzen entwickelten Grundsätzen (vgl. deren Zusammenfassung in
Benkard, a. a. O., § 24 Rn. 33).

e) Als besonders gewichtiger weiterer Faktor, der vorliegend wesentlichen Ein-
fluss auf die Höhe der Vergütung hat, ist vor allem die Bedeutung des Patents im
- 23 -
Sinne des technischen Fortschritts bzw. der erfinderischen Tätigkeit zu berück-
sichtigen (vgl. z.B. Schulte, a. a. O., § 139 PatG Rn. 122 f.) und j); Busse, PatG,
8. Aufl., § 24 PatG, Rn. 79 a. E.). Ein vernünftiger und wirtschaftlich handelnder
Arzneimittelhersteller wird für eine unfertige Erfindung nicht den gleichen Preis
zahlen wollen wie für eine fertige Erfindung. Ist die Lehre des Streitpatents unfer-
tig, was vorliegend allein in Bezug auf den von der Zwangslizenz erfassten Wirk-
stoff Raltegravir zur Behandlung von HIV/AIDS zu beurteilen ist, so wird ein ver-
nünftiger Lizenzsucher, der die Lehre des Streitpatents unter Einsatz zusätzlicher
eigener erfinderischer Leistung erst noch zum Lizenzgegenstand weiterentwickeln
muss bzw. hypothetisch hätte weiterentwickeln müssen, nur für den vom Patent
erbrachten Fremdbeitrag, nicht aber für seinen Eigenbeitrag zahlen wollen. Hierbei
geht es nicht um eine Beurteilung der Offenbarung im Sinne eines Widerrufs- oder
Nichtigkeitsgrunds sondern allein um die Bestimmung des auf das Patent fallen-
den Anteils am Lizenzgegenstand, wobei parallele Betrachtungen naturgemäß
nicht auszuschließen sind.

Unbeschadet des gesondert zu berücksichtigenden Faktors der Mitbenutzung ei-
gener Schutzrechte des Lizenznehmers (s. dazu unten f)), kann bei dieser Be-
trachtung allerdings nicht die Sichtweise der Klägerinnen maßgebend sein, die da-
rauf abstellen wollen, dass der Wirkstoff Raltegravir in Forschungseinrichtungen
ihres Konzerns vollständig selbst entwickelt worden sei (vgl. z. B. vertraulicher
Schriftsatz v. 21. Dezember 2016, ab S. 39, Ziff. (2) bis S. 45). Damit wäre der
Beitrag des Streitpatents automatisch auf „Null“ zu setzen. Maßgeblich muss viel-
mehr sein, was das Streitpatent, so wie es erteilt oder aufrechterhalten ist, selbst
offenbart, während weiterer Stand der Technik, soweit er nicht im Streitpatent
selbst genannt wird, ebenso wie etwaige Eigenentwicklungen des Lizenzsuchers
oder Dritter außer Betracht zu bleiben haben. Alles andere würde auf eine inzi-
dente Prüfung auf erfinderische Tätigkeit hinauslaufen, nämlich auf eine Prüfung,
was das Patent gegenüber dem Stand der Technik und sogar gegenüber unver-
öffentlichten (Eigen-) Entwicklungen des Lizenzsuchers leistet. Dies würde dem
Grundsatz widersprechen, dass die Bestandskraft des Patents im Zwangslizenz-
verfahren zu unterstellen ist (dazu Benkard, a. a. O., § 24 PatG, Rn. 9). Sodann ist
- 24 -
zu bestimmen, welchen Beitrag ein Fachmann ausgehend von der Offenbarung
des Streitpatents noch leisten musste bzw. müsste, um auf der Suche nach einem
antiviralen Mittel gegen HIV/AIDS zu Raltegravir zu gelangen. Wie oben ausge-
führt, ist hierbei etwaiger weiterer Stand der Technik auszublenden.

Vorliegend besteht der vom Streitpatent zur Entwicklung von Raltegravir (vor-)
geleistete Fremdbeitrag bzw. der Beitrag des Patents zum technischen Fortschritt
in Richtung auf den Wirkstoff Raltegravir allein in einem ersten Ansatz in dem als
α-Hydroxy-α,β-ene-keto-Strukturelement aufweisenden Pyrimidin-6-on-5-hydroxy-
Rests (Streitpatent S. 3, Z. 5 f. i. V. m. Anspr. 1 und 8), dessen Anteil an der
(Weiter-) Entwicklung zu Raltegravir nicht über diesen bruchstückhaften
Ausgangspunkt hinausgeht. Zwar wird Raltegravir von den Patentansprüchen 1
und 8 erfasst, jedoch gehen aus dem Streitpatent weder Raltegravir selbst noch
andere Einzelverbindungen hervor, die den (5-Methyl-1,3,4-oxadiazol-2-
yl)carbonylamino-propan-2-yl-Rest in 2-Position des 6-Oxo-1,6-dihydropyrimidin-5-
hydroxy-4-carboxamid des Raltegravirs oder strukturelle Abwandlungen davon
aufweisen.

Ausgehend vom Offenbarungsgehalt des Streitpatents musste der Fachmann also
diese konkreten Reste als für einen Integrase-Hemmstoff geeignet strukturell
weiterentwickeln. Das Streitpatent vermittelt damit letztlich nur in sehr geringem
Umfang eine Basisinformation bzw. einen Ansatz, von dem aus eine (fiktive) Wei-
terentwicklung mit einer nicht überschaubaren Anzahl von strukturellen Möglich-
keiten und Weichenstellungen hätte weiter betrieben werden müssen, um schließ-
lich nur mit erheblichem ergänzenden erfinderischen Eigeneinsatz zum Wirkstoff
Raltegravir gelangen zu können.

Dieser ergänzende erfinderische Eigeneinsatz bzw. umgekehrt der Anteil des
Streitpatents an der Entwicklungsleistung von Raltegravir kann nicht exakt quan-
titativ eingegrenzt werden. Der sachkundig besetzte Senat geht in Kenntnis so-
wohl des Offenbarungsgehalts des Streitpatents als auch der Struktur des Wirk-
stoffs Raltegravir davon aus, dass der Anteil des Streitpatents an der Gesamtent-
- 25 -
wicklungsleistung des Wirkstoffs Raltegravir mit der Umschreibung „bruchstück-
haft“, d.h. noch weit unterhalb von bloß „lückenhaft“ - im Sinne einer identifizierba-
ren und mit eingrenzbarem Erfindungsaufwand schließbaren Lücke - einigerma-
ßen anschaulich bezeichnet ist. Er könnte auch als ein im Bereich einer Zehntel-
größe liegender Bruchteil bezeichnet werden, wobei diese Umschreibung vorran-
gig der Veranschaulichung und der ungefähren Orientierung, nicht aber der gar
nicht möglichen exakten Quantifizierung dient. Der nur bruchstückhaft vorhandene
Entwicklungsanteil des Streitpatents würde damit in fiktiven Lizenzverhandlungen
von Arzneimittelherstellern als gewichtiger wertmindernder Faktor berücksichtigt
werden. Angesichts der geschilderten Sperrwirkung des Streitpatents dürfte er
sich allerdings nicht im Verhältnis 1:1 mindernd auswirken, da ansonsten möglich-
erweise gar keine Einigung mehr zustande käme.

f) Ergänzend kommt als weiterer Faktor die Mitbenutzung eigener Schutz-
rechte des Lizenznehmers hinzu. Die Mitbenutzung eigener Schutzrechte kann zur
Minderung des Lizenzentgelts führen, wenn dadurch eine Wertsteigerung einge-
treten ist oder vernünftige Vertragsparteien sich aus anderen Gründen gleichwohl
auf eine Herabsetzung geeinigt hätten (vgl. Benkard, a. a. O., § 139 PatG, Rn. 66
m. w. N.; Schulte, a. a. O., § 139 PatG, Rn. 123 unter b); Busse, a. a. O., § 139
PatG, Rn. 163). Der o. g. noch zu leistende „Eigenbeitrag“ des Lizenznehmers hat
sich vorliegend in einem eigenen, den Wirkstoff Raltegravir explizit offenbarenden
Patent des M… niedergeschlagen, nämlich dem europäischen Patent
EP 1 441 735 (DE 602 09 381) der M… S.r.l. Die Benutzung des Streit-
patents in dem von der Zwangslizenz gewährten Rahmen für den Wirkstoff Ral-
tegravir ist daher nur unter Mitbenutzung eines eigenen Schutzrechts des Kon-
zerns der Klägerinnen möglich. Da dieses Patent im Gegensatz zum Streitpatent
nicht einspruchsbehaftet ist, hat es während der Laufzeit der Zwangslizenz den
patentrechtlichen Schutz des Lizenzgegenstands für beide Parteien erhöht. Damit
ist zugunsten der Lizenznehmerinnen ein weiterer Abschlag gerechtfertigt.

g) Bei der Bemessung der Lizenzvergütung ist weiter - erhöhend - zu berück-
sichtigen, dass das Risiko des Widerrufs oder der Nichtigerklärung nach Erteilung
- 26 -
einer Zwangslizenz beim Patentinhaber verbleibt. Die Lizenzgebühren dürfen des-
halb nicht nach denselben Kriterien bemessen werden wie bei einem Vertrag, in
dem der Lizenznehmer sich verpflichtet, von weiteren Angriffen gegen das Patent
Abstand zu nehmen, und deshalb damit rechnen muss, dass die Pflicht zur Zah-
lung der Lizenzgebühren bis zum Ende der Laufzeit des Patents fortdauern wird.
Dem Umstand, dass der Lizenzsucher die Möglichkeit behält, sich durch einen
erfolgreichen Angriff gegen den Rechtsbestand des Patents von der Zahlungs-
pflicht für nachfolgende Zeiträume zu befreien, ist grundsätzlich durch eine ange-
messene Erhöhung der Lizenzgebühr Rechnung zu tragen, die in der Regel dem
entspricht, was für eine nicht ausschließliche vertragliche Lizenz an einem Patent
zu zahlen wäre, dessen Rechtsbestand als gesichert anzusehen ist (BGH
GRUR 2017, 1017, Rn. 28 - Raltegravir).

Dieser vom Bundesgerichtshof im einstweiligen Verfügungsverfahren hervorgeho-
bene Punkt ist - wie auch der Verlauf des vorliegenden Zwangslizenzverfahrens
mit der Teilerledigung durch Widerruf des Streitpatents gezeigt hat - ein durchaus
wichtiger Faktor der Wertbemessung. Er vermag jedoch den mit der o. g. bruch-
stückhaften Offenbarung von Raltegravir im Streitpatent verbundenen, besonders
gravierenden Lizenzwert-Mangel als dem ungleich gewichtigeren Faktor, dieser
noch verstärkt durch die Mitbenutzung eigener Schutzrechte der Lizenznehmerin-
nen, nur in einem vergleichsweise geringem Maße entgegenzuwirken.

Relativierend ist außerdem zu berücksichtigen, dass nicht nur die Zwangslizenz-
nehmerin zum Angriff auf das Streitpatent berechtigt ist, sondern es auch der Pa-
tentinhaberin und Zwangslizenzgeberin selbst offensteht, das Schutzrecht verfal-
len zu lassen. Sie hat auch keine Verpflichtung, gegenüber Drittverletzern die Inte-
ressen eines Patentinhabers wahrzunehmen. Auch diese sich eher mindernd
auswirkenden Umstände (vgl. Busse, a. a. O., § 24 PatG, Rn. 71), wenngleich sie
von geringerem Gewicht sind, müssen bei der Gesamtbetrachtung der Rechte und
Pflichten der Parteien in Bezug auf den Erhalt und das Fallenlassen des Streitpa-
tents mit einbezogen werden.

- 27 -
h) Als gewichtigen, lizenzerhöhend wirkenden Faktor sieht der Senat vorlie-
gend an, dass die Patentinhaberin durch die Erteilung einer (einstweiligen)
Zwangslizenz gezwungen worden ist, einem Konkurrenzunternehmen Hilfe zu
leisten, wobei ihr die mögliche Steigerung des Absatzes eigener Produkte entgan-
gen ist. So ist es in Verletzungsfällen bei der Berechnung des Schadens im Wege
der Lizenzanalogie anerkannt, dass ein Aufschlag im Hinblick auf die an sich un-
erwünschte Person des „Lizenznehmers“ vorzunehmen ist. In Verletzungsfällen
geht es dabei allerdings um die mangelnde Zuverlässigkeit des Verletzers, da die-
ser regelmäßig die Patentnutzung zu verbergen und die Durchsetzung von Scha-
densersatzansprüchen zu verhindern sucht, wobei der Patentinhaber zusätzlich zu
dem erheblichen Kosten- und Zeitaufwand der Durchsetzung auch das Insolvenz-
Ausfallrisiko des Verletzers zu tragen hat (vgl. z. B. LG München I NJOZ 2011,
1318, LS 2 u. 3). Die Zubilligung eines von den Umständen des Einzelfalls unab-
hängigen allgemeinen Verletzerzuschlags kommt indes nicht in Betracht (vgl.
Benkard, a. a. O., § 139 PatG, Rn. 68 a. E.; Busse, a. a. O., § 139 PatG, Rn. 168,
jew. m. w. N.).

Auch bei einer Zwangslizenz ist der „Vertragspartner“ aus der Sicht des Patentin-
habers regelmäßig höchst unerwünscht, nicht nur, weil dessen Lizenzbemühun-
gen i. S. d. § 24 Abs. 1 Nr. 1 PatG erfolglos geblieben sind und damit aus der
Sicht des Patentinhabers unzureichend gewesen sein müssen, sondern auch, weil
es sich regelmäßig um einen Konkurrenten handelt, der seine Produkte zu Lasten
der Marktanteile des Patentinhabers (weiter) vermarkten will. Dem Patentinhaber
entgehen auf diese Weise Zuwächse beim Umsatz und den Marktanteilen, ebenso
die Möglichkeit, den Konkurrenten mit Hilfe des Patents bei fehlender Ausweich-
möglichkeit komplett vom Markt zu drängen. Dieser Zwang, unter den besonderen
Umständen einer Zwangslizenz nicht einem selbstgewählten Lizenznehmer oder
wenigstens einem neutralen Drittunternehmen die Patentbenutzung gestatten zu
müssen, sondern - ohne Möglichkeit einer durchsetzbaren Unterlassungsklage -
einem Konkurrenten, wird sich daher werterhöhend auswirken müssen. Da es an-
dererseits in Verletzungsfällen, in denen die Verletzungshandlung regelmäßig
ebenfalls von Konkurrenten des Patentinhabers begangen wird, keinen generellen
- 28 -
Verletzerzuschlag gibt (s. o., wobei die Verletzung dort allerdings durch Unterlas-
sungsurteil beendet wird), kann sich dieser Faktor nur mittel-, nicht aber höherge-
wichtig auswirken.

i) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist andererseits wertmindernd zu
berücksichtigen, dass die Zwangslizenz als nicht ausschließliche Lizenz erteilt
wird. Die (einstweilige) Zwangslizenz hat nur insoweit in die Ausschließlichkeits-
rechte nach §§ 9 ff., 15 PatG der Beklagten eingegriffen, als eine einfache Lizenz
zugunsten der Lizenzsucherinnen gewährt worden ist. Die Patentinhaberin hat das
Recht behalten, weitere Lizenzen zu vergeben.

Zwar ist der Patentinhaberin darin zu folgen, dass die Situation vorliegend faktisch
einer exklusiven Lizenz entsprach. Denn zum einen stand das europäische Patent
EP 1 441 735 eines Unternehmens des M… der Weiterlizenzierung
des Streitpatents für Raltegravir entgegen. Zum anderen hätte in der (rückbli-
ckend) kurzen Laufzeit der Zwangslizenz von gut 13 Monaten ein drittes Pharma-
zieunternehmen wohl kaum eine weitere Zweitzulassung für ein Raltegravir ent-
haltendes Arzneimittel erwerben, dessen Produktion aufnehmen und einen ren-
tablen Vertrieb unter Amortisation der Investitionskosten aufnehmen können.
Wäre dies der Fall gewesen oder hätte ein drittes Unternehmen sogar zum Zeit-
punkt der Entscheidung über den Antrag der Klägerinnen auf Erlass einer einst-
weiligen Verfügung ein Raltegravir enthaltendes Arzneimittel produziert und ver-
trieben, so hätte die (einstweilige) Zwangslizenz mangels öffentlichen Interesses
i. S. d. § 24 Abs. 1 PatG gar nicht erst erteilt werden dürfen bzw. sofort zurückge-
nommen werden müssen, worauf die Beklagte zu Recht hinweist. Bei Erteilung
einer nur einstweiligen Benutzungsgestattung an einem, zudem einspruchsbehaf-
teten Patent war somit die Erhaltung der Exklusivität der Lizenz für den M…
zu erwarten und diese Erwartung ist auch nicht enttäuscht worden.

Diese faktische Exklusivität entspricht jedoch nicht einer Situation, in der ein Pa-
tentinhaber bei vertraglicher Lizenzgewährung die Wahl hat, eine exklusive oder
eine nichtausschließliche Lizenz zu vergeben und dementsprechend für die
- 29 -
Vergabe des Exklusivrechts mehr fordern kann. Denn hier war die faktische Ex-
klusivität der Lizenz durch Umstände bedingt, die nicht auf einer lizenzierbaren
Rechtsposition der Patentinhaberin beruhten. Vielmehr spielten umgekehrt
Schwächen bzw. Mängel der Zwangslizenz (nur einstweilig angeordnet) und des
Streitpatents (mit einem letztlich erfolgreichen Einspruch behaftet) eine Rolle, die
zu einem kurzen Lizenzzeitraum führten. Vor allem ermöglichte die einstweilige
Benutzungsgestattung nur eine vorläufige Weiterbenutzung des einzigen seit Jah-
ren erfolgreich produzierten, Raltegravir enthaltenden Arzneimittels, dessen Her-
steller im Besitz einer arzneimittelrechtlichen Zulassung hierfür und zugleich des
einzigen Patents ist, das Raltegravir konkret offenbart. Erst diese Gesamtum-
stände bewirkten die faktische Exklusivität der Zwangslizenz, die damit aber ge-
rade nicht auf das Streitpatent zurückgeht. Unter diesen Umständen erscheint es
nicht billig, die Lizenznehmerinnen den Preis für ein Exklusivrecht zahlen zu las-
sen, wenn die faktische Exklusivstellung weitgehend auf ihre eigenen Leistungen
bzw. Schutzrechte, im Übrigen auf Mängel der Lizenz und des Streitpatents zu-
rückgeht. Damit ist ein üblicher Abschlag für die Nichtausschließlichkeit der Lizenz
gerechtfertigt.

j) Neben den o. g. mittel- und höhergewichtigen Faktoren sind ergänzend
auch die nachfolgend genannten weniger gewichtigen Faktoren zu berücksichti-
gen.

aa) Nur in geringem Maße erhöhend wirkt sich der Entfall von Nebenpflichten
aus, wie sie sonst üblicherweise in einem Lizenzvertrag enthalten sind. Soweit
dies den Entfall einer Nichtangriffsklausel betrifft, ist dies bereits oben in Zusam-
menhang mit der fortbestehenden Angreifbarkeit des Patents berücksichtigt wor-
den. Gesondert zu berücksichtigen ist jedoch der Entfall von Buchprüfungsrechten
des Lizenzgebers (vgl. Meier-Beck, WRP 2012, 503, 507) bzw. der Verpflichtung
zur gesonderten Buchführung oder Einhaltung vorgegebener Preisstrukturen, ver-
bunden mit einem erhöhten Risiko falscher Auskünfte (vgl. Schulte, a. a. O.,
§ 139, Rn. 122 unter e)). Ähnlich wie bei Schutzrechtsverletzungen hat die Be-
klagte vorliegend nur ein Auskunftsrecht über die Benutzungshandlungen in Form
- 30 -
der Rechnungslegung. Andererseits gehören Buchprüfungsrechte offenbar nicht
generell zu den Nebenpflichten vertraglicher Lizenzen (vgl. etwa Benkard, a. a. O.,
§ 15 PatG, Rn. 143-145; Schulte-Moufang, a. a. O., § 15 PatG, Rn. 67: „Der Li-
zenzgeber hat keinen Anspruch auf Einsicht in die Bücher“; Busse-Hacker,
a. a. O., § 15 PatG, Rn. 150: Grds. kein Recht zur Nachprüfung durch einen
Buchsachverständigen). Auch handelt es sich vorliegend um Umsätze mit einem
verschreibungspflichtigen Medikament, das einer Marktbeobachtung durch publi-
zierende Dritte unterliegt (vgl. Schwabe/Paffrath/Ludwig/Klauber (Hrsg.), Arznei-
mittelverordnungsreport). Die Gefahr von falschen oder unzuverlässigen Aus-
künften ist daher erheblich geringer als etwa in Verletzungsfällen mit anderen Pro-
dukten.

bb) Auch der Entfall einer etwaigen Ausübungspflicht durch den Lizenznehmer
wird in der besonderen Situation einer Zwangslizenz - wenn überhaupt - nur äu-
ßerst eingeschränkt zu berücksichtigen sein. Denn übt der Lizenznehmer die
Zwangslizenz nicht aus, so schadet dies dem Lizenzgeber nicht, sondern ent-
spricht letztlich seinem Klageabweisungsbegehren.

k) Klarstellend weist der Senat darauf hin, dass folgende Aspekte bzw. „Fakto-
ren“, die ansonsten bei Bemessungen der Lizenzhöhe berücksichtigt werden, im
vorliegenden Fall keinen Einfluss haben:

- Feststellung der Bezugsgröße:
Der Wertanteil des Arzneimittelprodukts „Isentress“ wird praktisch allein durch den
Wert des erfindungsgemäßen Wirkstoffs Raltegravir bestimmt. Es handelt sich
beim Lizenzgegenstand weder um ein Kombipräparat noch um eine unfertige
Wirkstofferfindung, die erst noch einer Arzneimittelentwicklung zugeführt werden
müsste. Technisch-wirtschaftliche Bezugsgröße ist daher der gesamte Nettoum-
satz, der mit dem Produkt erzielt wird, ohne dass Kürzungen bzw. Aufteilungen auf
den Raltegravir-Anteil des Produkts vorzunehmen sind.

- 31 -
Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass er in der Praxis seiner Streit-
wertfestsetzungen zu Wirkstoffpatenten, auch bei der vorliegenden vorläufigen
Streitwertfestsetzung vom 25. Januar 2016, stets von den Umsätzen mit dem
vermarkteten (fertigen) Arzneimittelprodukt ausgeht und hierauf einen zwar unge-
kürzten Lizenzfaktor anwendet, der sich dann allerdings in einem vergleichsweise
moderaten Rahmen von durchschnittlich ca. 3 % bis 8 % bewegt. Ein gesonderter
Abschlag für die Fertigentwicklung des Wirkstoffs zum Arzneimittel und zur Ab-
geltung des mit dem Erwerb einer arzneimittelrechtlichen Zulassung verbundenen
Aufwands wird dann nicht mehr vorgenommen. Insoweit weicht die Praxis des Se-
nats bei der Streitwertfeststellung vereinfachend von der z.B. im Arbeitnehmerer-
findungsrecht üblichen Berechnungsweise ab, kommt aber zu vergleichbaren Er-
gebnissen.

- Keine Abstaffelung:
Im Arbeitnehmererfindungsrecht (vgl. Abstaffelungstabelle zu RL Nr. 11), aber
auch bei der Schadensfeststellung im Wege der Lizenzanalogie (vgl. Schulte,
§ 139, Rn. 123 unter c)) werden bei hohen Produktumsätzen Abstaffelungen vor-
genommen, da besonders hohe Umsätze auch dadurch zustande kommen, dass
der Verkauf durch aufwändige Marketingmaßnahmen, Werbekampagnen oder
durch den guten Ruf eines Unternehmens oder seines Produkts unterstützt wird,
so dass weitere Umsatzsteigerungen in erster Linie hierauf und weniger auf die
Erfindung zurückgehen (Beispiele: Aspirin®, Viagra®).

Trotz der vergleichsweise hohen Jahresumsätze mit dem Medikament Isentress
ist vorliegend keine Abstaffelung angezeigt. Zum einen gehen die hohen Umsatz-
zahlen zu einem wesentlichen Teil auf die Hochpreisigkeit des Produkts zurück
und damit weniger auf eine besonders hohe Anzahl von Auswahlentscheidungen
zugunsten dieses Produkts. Zum anderen werden HIV-Medikamente von entspre-
chend spezialisierten Fachärzten verschrieben, die trotz einer beachtlichen Palette
an möglichen Wirkstoffen und Arzneimitteln gerade nicht eine „freie“ Auswahl ha-
ben, sondern im Rahmen einer individualisierten Therapie auf die Lebens- und
Gesunderhaltung jedes Patienten bedacht sein müssen. Zu den Auswahlkriterien,
- 32 -
insbesondere der Bedeutung der Adhärenz, kann auf das Urteil im einstweiligen
Verfügungsverfahren verwiesen werden. Eine Auswahl unter Einfluss eines
„Aspirin- oder Viagra-Effekts“ erscheint bei dieser Konstellation lebensfremd. Ein
etwaiger Ruf, der dem Medikament Isentress durch seine Eigenschaft als erster
verfügbarer ungeboosteter Integraseinhibitor anhaften könnte, wird angesichts der
Gewichtigkeit anderer Auswahlkriterien zu vernachlässigen sein. Von einer Ab-
staffelung sieht der Senat daher ab.

- Breite des Schutzbereichs:
Auch die Anspruchsbreite des Streitpatents hat vorliegend keinen Einfluss auf die
Bewertung. Zwar ist die Stellung, die seine Benutzung dem Berechtigten verleiht,
maßgeblich für die Höhe der Lizenzgebühr (vgl. Benkard, a. a. O., § 24 PatG,
Rn. 33 m. w. N.), was bei der Gewährung einer Lizenz für ein Patent mit einem
breiten Schutzbereich an sich als erhöhender Wertfaktor angesehen werden
dürfte. Die vom Senat angeordnete einstweilige Benutzungsgestattung erfasst
aber gerade nicht den gesamten breiten Schutzbereich des Streitpatents, erlaubt
also keine Gebrauchmachung von einem breiten Monopol. Einstweilig gestattet
worden ist vielmehr nur der nicht exklusive Vertrieb des Medikaments Isentress
zur Behandlung von HIV/AIDS für vier Abgabeformen des Medikaments. Ein
darüber hinausgehendes Droh- und Verwertungspotential des Streitpatents ist hier
nicht relevant und kann daher den Wert der Zwangslizenz nicht beeinflussen.

- Kürze des Lizenzzeitraums:
Da es vorliegend um die einstweilige Gestattung der Weiterbenutzung eines längst
etablierten Arzneimittels geht, dessen Entwicklungs- und Markteinführungskosten
bereits amortisiert sind, spielt die Kürze des Lizenzzeitraums, soweit
sie - rückblickend - überhaupt berücksichtigt werden könnte, keine wertbestim-
mende Rolle.

- 33 -
- Möglichkeit der Anpassung und des Rücknahmeverlangens:
Schließlich wirkt es sich weder mindernd noch erhöhend aus, dass nach § 24
Abs. 6 Satz 5 PatG jeder Beteiligte bei Eintritt einer wesentlichen Veränderung der
Verhältnisse eine Anpassung der Vergütung verlangen kann und der Patentinha-
ber nach Satz 6 dieser Vorschrift im Falle des dauernden Wegfalls der Vorausset-
zungen für die Zwangslizenz deren Rücknahme verlangen kann. Zum einen ist
rückblickend keine dieser Situationen eingetreten, zum anderen handelt es sich
um Rechte, die ähnlich auch bei vertraglichen Lizenzen bestehen (vgl. z. B.
Benkard, a. a. O., § 15 PatG, Rn. 159 ff., insb. Rn. 207; Busse, a. a. O., § 15
PatG, Rn. 100 ff., insb. Rn. 116). So sind regelmäßig auch rechtsgeschäftliche Li-
zenzen kündbar oder können bei Wegfall des Patents und damit der Geschäfts-
grundlage angepasst werden (vgl. z. B. Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfah-
ren, 6. Aufl., Rn. 405). Insofern bestehen keine Besonderheiten der Zwangslizenz,
die ohne Anhaltspunkte für das Vorliegen besonderer Anpassungs- oder Rück-
nahmegründe bereits eine Erhöhung oder Minderung der Lizenzgebühr rechtferti-
gen würden.

Dies gilt im vorliegenden Fall auch für den Rücknahmeanspruch der Patentinhabe-
rin aus § 24 Abs. 6 Satz 6 PatG, der im Fall des Hinzutretens eines weiteren Ral-
tegravir enthaltenden Arzneimittels entstehen würde. Denn der Konzern der Li-
zenznehmerinnen hätte aufgrund seines eigenen, Raltegravir schützenden Pa-
tents die Möglichkeit, den Eintritt einer solchen Fallkonstellation zu verhindern.

l) Unter Abwägung aller Faktoren gelangt der Senat zu einem Lizenzentgelt in
Höhe von 4 % von den mit dem Arzneimittel Isentress erzielten Umsätzen als
nach den Gesamtumständen des Falles angemessen und dem wirtschaftlichen
Wert der Zwangslizenz entsprechend (§ 24 Abs. 6 Satz 4 PatG).

m) Der Senat hat davon abgesehen, dem Antrag der Klägerin entsprechend
ein Sachverständigengutachten zur Bemessung der Höhe der Lizenzgebühr ein-
zuholen. Nach § 287 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 ZPO, § 99 Abs. 1 PatG ist die Höhe der
Lizenzgebühr vom Senat unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeu-
- 34 -
gung festzusetzen (vgl. zur Anwendbarkeit des § 287 ZPO im Zwangslizenzver-
fahren BPatGE 32, 184, 198 unter Ziff. IV.7.; Fitzner/Lutz/ Bodewig-Wilhelmi,
a. a. O., § 24 PatG, Rn. 62).

Der Senat hat seine o. g. Festsetzung unter Anwendung der dazu in Rechtspre-
chung und Literatur entwickelten Grundsätze vorgenommen, wobei er die hierbei
maßgebenden Faktoren unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ein-
bezogen und abgewogen hat. Es ist nicht ersichtlich, dass und inwieweit zusätzli-
che wirtschaftliche Sachkunde erforderlich wäre, die im Hinblick auf die vorliegend
in Frage stehende Größenordnung der Lizenzgebühr (zwischen 2 und 15 %, von
etwa … Millionen EUR Umsatz für die Laufzeit der einstweiligen Benutzungsge-
stattung, vgl. Schwabe/Paffrath, Arzneimittelverordnungsreport 2017, S. 286) die
Einholung eines Sachverständigengutachtens als erforderlich erscheinen ließe.
Der übliche Lizenzrahmen von 2 % bis 15 % ist bereits von den Parteien unter
Einreichung von Literatur zur Lizenzhöhe im Arzneimittelbereich dargelegt worden.
Weiter ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Klägerinnen bzw. ihres
Konzerns als eines der weltweit größten forschenden Arzneimittelhersteller
allgemein bekannt. Auch der Umstand, dass es sich bei dem Medikament
Isentress um ein seit langem etabliertes, hochpreisiges Arzneimittel handelt, mit
dem im fraglichen Zeitraum in Deutschland Absatzzahlen in einer Größenordnung
von … bis … EUR erzielt worden sind, ist allgemein bekannt. Dieser
Hintergrund ist auch nicht streitig.

Bestimmte betriebswirtschaftliche Rahmenbedingungen, die der Senat bei seiner
Einschätzung als Eckpunkte berücksichtigen könnte, wie die Gewinnspanne der
Klägerinnen, die für sie wirtschaftlich noch tragbare Höchstgrenze der Lizenzge-
bühr und die für die Beklagte voraussichtlich noch akzeptable Mindesthöhe der
Lizenz, hat die Klägerin in dem von ihr vorgelegten Gutachten (Rainey v.
6. Juni 2016) bereits selbst genannt. Damit sind zugleich die beiden Grenzen bei
der Bemessung der Lizenzgebühr benannt worden, nämlich dass einerseits dem
Patentinhaber eine angemessene Entschädigung zu gewähren ist, andererseits
- 35 -
dem Lizenzsucher die Aufrechterhaltung seines Betrieb gestattet wird (Benkard,
a. a. O., § 24 PatG, Rn. 33).

Mit diesen allgemein bekannten oder von den Parteien zur Verfügung gestellten
Informationen sieht sich der Senat in der Lage, eine Lizenzbemessung entspre-
chend den von der Rechtsprechung und Literatur zu § 24 Abs. 6 Satz 4 PatG ent-
wickelten Grundsätzen vorzunehmen. Es handelt sich dabei um eine rechtliche
Beurteilung, nicht um den Versuch, mittels betriebswirtschaftlicher Modelle und
mathematischer Methoden eine exakt zutreffende Lizenzhöhe in Form einer
„Punktlandung“ zu ermitteln. Die verschiedenen Ansätze der vorgelegten Partei-
gutachten mit ihren weit gespreizten, gänzlich unterschiedlichen Ergebnissen zei-
gen, dass dies auch kaum möglich ist. Die Orientierung erfolgt vielmehr anhand
dessen, was vernünftige Parteien vereinbaren würden (s. o.), wobei solche (fikti-
ven) Verhandlungen naturgemäß eine je nach Personen und Begleitumständen
erfolgende Einigung innerhalb einer möglichen Bandbreite darstellen. Dement-
sprechend muss es ausreichen, dass auch das Gericht nur schätzungsweise auf
einen bestimmten Satz kommt (vgl. Benkard, a. a. O.). Im Übrigen gibt es nur ei-
nen Faktor, der erheblichen Einfluss auf die Lizenzhöhe hat und zugleich der Ein-
beziehung von Sachkunde bedarf, nämlich der Beitrag des Streitpatents zur Ent-
wicklung des Wirkstoffs Raltegravir. Für dessen Einschätzung bedarf es jedoch
allein technischer Sachkunde, über die der Senat verfügt, nicht aber wirtschaftli-
cher Sachkunde.

Nachdem die Klägerinnen bei der Stellung ihres Antrags auf Einholung eines
Sachverständigengutachtens nicht vorgetragen haben, in welcher Hinsicht be-
triebswirtschaftlich-sachverständiges Wissen benötigt wird, das über das bereits
von den Parteien zur Verfügung gestellte wirtschaftliche Hintergrundwissen hin-
ausgeht, ist nicht ersichtlich, ob und inwieweit ergänzendes betriebswirtschaftli-
ches Hintergrund- oder Fachwissen zu einem anderen Ergebnis führen könnte.
Insbesondere haben die Parteien auch ihre internen Kosten- und Gewinnkalkulati-
onen nicht offengelegt, sondern im Rahmen ihrer Parteigutachten lediglich abs-
trakte Rechenmodelle in das Verfahren eingeführt. Somit haben die für eine sach-
- 36 -
verständige Begutachtung erforderlichen Anschluss- und Anknüpfungstatsachen,
die der Sachverständige auch nicht von sich aus ermitteln darf (Zöller-Greger,
ZPO, 32. Aufl., § 404a ZPO, Rn. 3 m. w. N.), nicht in den vorliegenden Rechts-
streit Eingang gefunden.

Nach alledem ist eine vollständige Aufklärung aller weiteren für die Bemessung
der Höhe der Lizenzgebühr möglicherweise maßgebenden Umstände, die noch
mit einem betriebswirtschaftlichen Gutachten erreichbar wäre, nicht zu erwarten.
Der Senat übt das ihm nach § 287 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 ZPO, § 99 Abs. 1
PatG eingeräumte Ermessen dahin aus, dass er aus den vorgenannten Gründen
von der Einholung eines Sachverständigengutachtens absieht.

3. Die (vorbehaltene) Verpflichtung zur Rechnungslegung stellt neben dem
Umfang der Benutzung und der Höhe des Lizenzsatzes eine weitere Lizenzbedin-
gung dar (vgl. Benkard, a. a. O., § 85 PatG, Rn. 9). Die Klägerinnen sind der dem
Begehren der Beklagten entsprechenden inhaltlichen Ausgestaltung der Rech-
nungslegung nicht entgegen getreten.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 91a, 269 Abs. 3 Satz 2
ZPO i. V. m. §§ 84 Abs. 2, 99 Abs. 1 PatG.

1. Im Übrigen, d. h. hinsichtlich des nicht von oben Ziff. I. erfassten Teils des
Rechtsstreits, haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt
erklärt, so dass unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes
über die Kosten des in der Hauptsache erledigten Teil des Verfahrens nach billi-
gem Ermessen zu entscheiden ist (§ 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO i. V. m. § 99 Abs. 1
PatG). Die Entscheidung richtet sich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeit-
punkt der Erledigung bzw. zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Klage. Abzu-
stellen ist auf den voraussichtlichen Ausgang des Rechtsstreits, wenn die Haupt-
sache nicht erledigt ist oder nicht erledigt erklärt worden wäre (vgl. Thomas/Putzo-
- 37 -
Hüßtege, ZPO, 37. Aufl., § 91a ZPO, Rn. 47; Zöller-Althammer a. a. O., ZPO,
§ 91a, Rn. 24), also auf eine Prognose des Verfahrensausgangs im Zeitpunkt der
Abgabe der Erledigungserklärung (Busse, a. a. O., § 82, Rn. 59 m. w. N.). Das
Gericht hat sich hierbei auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der
Klage zu beschränken (Thomas/Putzo, a. a. O., Rn. 46a m. w. N.).

Bei summarischer Betrachtung hätte sich die Zwangslizenzklage unter Berück-
sichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands weitgehend als zulässig und be-
gründet erwiesen.

a) Die Klage auf Erteilung einer Zwangslizenz wäre zulässig gewesen.

aa) Insbesondere war ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben. Die Beklagte hat
geltend gemacht, dass der Klage das Rechtsschutzbedürfnis fehle, da sich die
Klägerinnen nie ernsthaft um eine Lizenz bemüht hätten, so dass es an einem
„erfolglosen Bemühen“ i. S. d. § 24 Abs. 1 Nr. 1 PatG fehle (Schriftsatz vom
30. Juni 2016, S. 2 unter Ziff. I., und S. 14 ff. unter D.). Es kann dahingestellt blei-
ben, ob es sich bei dem Erfordernis nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 PatG, wonach sich der
Lizenzsucher innerhalb eines angemessenen Zeitraums erfolglos bemüht haben
muss, vom Patentinhaber die Zustimmung zu erhalten, die Erfindung zu ange-
messenen geschäftsüblichen Bedingungen zu benutzen, um eine Prozessvoraus-
setzung handelt. Die Beklagte vertritt dies unter Hinweis auf die Leitentscheidung
BGH GRUR 1996, 190, 192 (A.I.) - Polyferon, die Gesetzesbegründung zu § 24
PatG (BlPMZ 1998, S. 400, li. Sp., 3. Abs.) und Literatur zur aktuellen Gesetzes-
fassung. Der Senat hat in seiner Entscheidung zum Erlass der einstweiligen Be-
nutzungsanordnung dahin tendiert, dieses Erfordernis jedenfalls für das einstwei-
lige Verfügungsverfahren als materielle Tatbestandsvoraussetzung des § 24
Abs. 1 PatG (i. V. m. § 85 PatG) anzusehen, die Frage aber letztlich offen gelas-
sen (vgl. Senatsurteil v. 31. August 2016, S. 13, Ziff. I. 2.). In der dazu ergangenen
Beschwerdeentscheidung hat der Bundesgerichtshof zwischen der bis zum
31. Oktober 1998 geltenden und der aktuellen Rechtslage differenziert, zur Frage
der Einordnung als Prozessvoraussetzung oder als materielle Tatbestandsvoraus-
- 38 -
setzung aber nicht Stellung genommen (BGH v. 11. Juli 2017, X ZB 2/17,
Ziff. II. 1.a)).
Im Hinblick auf die Gesetzessystematik des § 24 PatG, in dem die Erfordernisse
des erfolglosen Bemühens um eine vertragliche Lizenz und das öffentliche Inte-
resse mit jeweils eigenen Nummern aufgeführt werden, und die Nennung der
„Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 bis 6“ als offensichtlich materielles Erfordernis
in § 85 Abs. 1 PatG tendiert der Senat auch für die Hauptsacheklage nach § 24
Abs. 1 PatG dazu, das „erfolglose Bemühen“ im Sinne dieser Vorschrift nicht als
Prozessvoraussetzung, sondern als materielle Tatbestandsvoraussetzung anzu-
sehen. Dies braucht indes auch hier nicht abschließend entschieden zu werden.
Sofern man davon ausgeht, dass das Vorliegen eines ernsthaften und nachhalti-
gen Angebots i. S. d. § 24 Abs. 1 PatG eine Zulässigkeitsvoraussetzung darstellt,
würde es sich jedenfalls um eine sogenannte doppelrelevante Tatsache handeln,
deren schlüssige Behauptung für die Zulässigkeit der Klage genügt (vgl. Prüt-
ting/Gehrlein, ZPO, 9. Aufl., § 12 ZPO, Rn. 9; Zöller-Schultzky, ZPO, 32. Aufl.,
§ 12 ZPO, Rn. 14; Münchner Kommentar-Patzina, ZPO, 5. Aufl., § 12 ZPO,
Rn. 56). Vorliegend sind die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Nr. 1 PatG hin-
sichtlich des ausreichenden Bemühens um eine vertragliche Lizenz nicht nur
schlüssig vorgetragen worden, sondern - bei kursorischer Prüfung - auch als erfüllt
anzusehen (s. u. b)). Auf die entsprechenden Ausführungen des Senats (a. a. O.,
Ziff. II.3.) und des Bundesgerichtshofs (a. a. O., Ziff. II. 1.) in den Entscheidungen
im einstweiligen Verfügungsverfahren wird verwiesen. Dies gilt neben der Höhe
des Angebots und dem Verhandlungsverhalten des verhandelnden Konzernunter-
nehmens M1… Corp. auch für die von der Beklagten mit Schrift-
satz vom 30. Juni 2016, S. 14 bis 22, unter D., gestellten und aus ihrer Sicht nicht
erfüllten Anforderungen an Art und Inhalt des Angebots, insbesondere hinsichtlich
der verhandelnden Person, der Hinterlegung einer Sicherheitsleistung und der
Anerkennung der Schadensersatz- und Rechnungslegungspflicht.

bb) Auch hinsichtlich der - gegebenen - ausreichenden Bestimmtheit des
Klageantrags wird auf Ziff. I. 1. der Entscheidungsgründe des Senatsurteils vom
31. August 2016 verwiesen.
- 39 -
cc) Für die Festsetzung der Lizenzhöhe und die Entscheidung über die Rech-
nungslegung ist entgegen der Auffassung der Klägerinnen die Zuständigkeit des
Bundespatentgerichts gegeben. Dies folgt schon daraus, dass die Festsetzung der
Gebührenhöhe gemäß § 24 Abs. 6 PatG noch Teil der Zwangslizenzerteilung in-
nerhalb einer beim Patentgericht anhängigen Klage wegen Erteilung der Zwangs-
lizenz ist. Für diese Klageart ist nach §§ 65 Abs. 1, 81 Abs. 1 Satz 1 PatG das
Bundespatentgericht zuständig. Dies gilt ebenso für die Verpflichtung des Lizenz-
nehmers zur Rechnungslegung als Annex zur Verpflichtung zur Zahlung einer Li-
zenzvergütung. Aus der Regelung des § 24 Abs. 6 PatG folgt zudem, dass das
Bundespatentgericht den Inhalt des Lizenzverhältnisses gestaltet, soweit sich die-
ser nicht bereits aus dem Gesetz ergibt. Hierzu gehören jedenfalls die in dieser
Vorschrift ausdrücklich genannten Einschränkungen und Bedingungen (Satz 2),
Begrenzungen von Umfang und Dauer (Satz 3), der Anspruch auf Vergütung
(Satz 4), deren Anpassung bei wesentlicher Änderung der hierfür maßgeblichen
Verhältnisse (Satz 5), und die Rücknahme der Zwangslizenz (Satz 6). Da in § 81
Abs. 1 Satz 1 PatG neben der Klage wegen Erteilung der Zwangslizenz ausdrück-
lich auch die Klagen wegen Rücknahme der Zwangslizenz und wegen der Anpas-
sung der Vergütung aufgeführt werden und diese (nachträglichen) Klagen somit zu
den Zwangslizenzverfahren gehören, für die nach § 65 Abs. 1 PatG das Bundes-
patentgericht zuständig ist, muss es erst recht für die Festsetzung der Lizenzge-
bühr samt der zugehörigen Rechnungslegung innerhalb einer ursprünglichen
Zwangslizenzklage zuständig sein. Der in RGZ 171, 227 - Kohlenstaubmotor be-
handelte Sonderfall, in dem eine einstweilige Benutzungsanordnung unter Ver-
schiebung der Entscheidung über die Höhe der Lizenzgebühr in das Hauptsache-
verfahren angeordnet wurde, die (Hauptsache-) Zwangslizenzklage dann aber in
der Berufungsinstanz zurückgenommen worden ist, liegt hier nicht vor.

dd) Schließlich handelt es bei dem Vergütungsanspruch entgegen der Auffas-
sung der Klägerinnen auch nicht um einen anderen Streitgegenstand. Zwar stellt
das Lizenzbegehren der Beklagten ebenso wie der darauf bezogene Gegenantrag
der Klägerinnen einen anderen Antrag dar als der ursprüngliche Klageantrag. Es
handelt sich jedoch um einen gemäß Senatsurteil vom 31. August 2016, Ziff. III.
- 40 -
des Entscheidungsausspruchs, ausdrücklich noch offen gebliebenen Teil des
einstweiligen Verfügungsverfahrens, der dem Hauptsacheverfahren vorbehalten
worden ist. Damit stellt es keinen anderen Streitgegenstand dar, der möglicher-
weise vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen wäre. Andernfalls
müsste das angerufene ordentliche Gericht unter Anwendung des § 24 Abs. 6
PatG über die Höhe der Lizenzgebühr entscheiden. Wie bereits oben ausgeführt,
ist die Festsetzung der Gebührenhöhe jedoch noch Teil der Erteilung und Gestal-
tung der Zwangslizenz, für die das Patentgericht nach §§ 65 Abs. 1, 81 Abs. 1
Satz 1 i. V. m. 24 Abs. 1 und Abs. 6 (Satz 4) PatG eine originäre Zuständigkeit hat
(vgl. a. RGZ 171, 227, 237, Mi.- Kohlenstaubmotor: „Die Festsetzung der für die
Benutzung des Patents zu entrichtenden Vergütung ist allerdings ein wesentlicher
Teil des Zwangslizenzverfahrens, ...“). Erst wenn das für die Erteilung der
Zwangslizenz zuständige Gericht mangels eines Lizenzklageverfahrens (z. B.
nach Rücknahme der Zwangslizenzklage) nicht mehr über die Festsetzung der
Vergütung entscheiden kann, kommt eine Zuständigkeit anderer Gerichte in Be-
tracht (vgl. RG, a. a. O.), ebenso bei Klageverfahren auf Zahlung der Lizenzge-
bühr zwecks Erwerbs eines Vollstreckungstitels (vgl. Benkard, a. a. O., Rn. 36
a. E., Rn. 40). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, so dass über die Festsetzung
der Lizenzgebühr und die Rechnungslegung im Hauptsacheverfahren der
Zwangslizenzklage vor dem Bundespatentgericht zu entscheiden ist.

ee) Die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Klage auf Erteilung der
Zwangslizenz nach § 81 PatG sind ebenfalls gegeben.

b) Zur (voraussichtlichen) Begründetheit der Zwangslizenzklage ist zunächst
auf das Urteil vom 31. August 2016 Bezug zu nehmen, in dem der Senat unter
Ziff. II. der Entscheidungsgründe ausführlich begründet hat, dass und warum er
die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 PatG von der Klägerin als glaubhaft ge-
macht ansieht. Diese Entscheidung ist vom Bundesgerichtshofs mit Urteil vom
11. Juli 2017 (X ZB 2/17, BGH GRUR 2017, 1107) bestätigt worden, wobei der
Bundesgerichtshof in Ziff. II. seiner Entscheidungsgründe dargelegt hat, dass er in
der Beurteilung des Bundespatentgerichts keinen Rechtsfehler zu erkennen ver-
- 41 -
mag. Nachdem der beiderseitige Parteivortrag zu den Voraussetzungen des § 24
Abs. 1 PatG im Hauptverfahren und im einstweiligen Verfügungsverfahren inhalt-
lich, in weiten Teilen sogar wörtlich übereinstimmt, kann damit zur Darlegung des
Ergebnisses der summarischen Prüfung nach § 91a ZPO im Wesentlichen auf die
beiden im einstweiligen Verfügungsverfahren ergangenen Entscheidungen ver-
wiesen werden.

aa) Dies gilt auch, soweit die Beklagte mit Schriftsatz vom 2. November 2017,
ab S. 11, unter Ziff. 2. und 3. die Auffassung vertritt, dass das öffentliche Interesse
keine „überschießende Zwangslizenz“ rechtfertige, worunter sie eine Zwangsli-
zenz versteht, die auch solche Patienten erfasst, die Raltegravir nicht benötigen
(vgl. a. a. O., unter Ziff. 2, Rn. 47). Ihre Bedenken gegen den Umfang der vom
Senat ausgesprochenen einstweiligen Benutzungsanordnung hat die Beklagte be-
reits im Beschwerdeverfahren geltend gemacht, wobei sie in der mündlichen Ver-
handlung vom 11. Juli 2017 eine Beschränkung der (einstweiligen) Zwangslizenz
angeregt hat, die der später im hiesigen Verfahren mit Schriftsatz vom
2. November 2017, S. 12 unter Ziff. 49 vorgeschlagenen Beschränkung weitge-
hend entspricht (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 78). Der Bundesgerichtshof (a. a. O.) hat
die von der Beklagten angeregten Eingrenzungskriterien als für eine praktikable
Abgrenzung nicht geeignet angesehen, da zum einen der Streit über die Berechti-
gung der Klägerinnen zum Vertrieb von Isentress für eine Vielzahl von Einzelfällen
in einen späteren Verletzungsrechtsstreit verlagert werde, zum anderen eine nicht
bestimmbare Anzahl von Patienten einem zusätzlichen Risiko ausgesetzt wäre,
wenn der behandelnde Arzt die Befürchtung hegen müsse, im Falle einer Fehlbe-
urteilung wegen Mitwirkung an einer Patentverletzung in Anspruch genommen zu
werden. Auf diese Ausführungen des Bundesgerichtshofs wird verwiesen.

bb) Im Hauptsacheverfahren sind auch keine neuen Gesichtspunkte vorgetra-
gen worden, die ein Abweichen von den im einstweiligen Verfügungsverfahren
getroffenen Entscheidungen rechtfertigen würden.

- 42 -
(1) Der nach Erlass des Senatsurteils vom 31. August 2016 bekannt gewor-
dene Umstand, dass der gerichtliche Sachverständige in der Fachzeitschrift
HIV&More 4/2016, S. 26 (vgl. TWeV36) für eine Postexpositionsprophylaxe in Zu-
sammenhang mit dem Sonderfall eines multiresistenten HI-Virus eine Behandlung
mit Dolutegravir oder Darunagravir empfohlen hat, ist bereits vom Bundesge-
richtshof in der Beschwerdeentscheidung unter Rn. 62 f. berücksichtigt worden
und hat nicht zu einer abweichenden Beurteilung geführt. Daher kann insoweit auf
den Inhalt des Urteils, a. a. O., hingewiesen werden.

(2) Auch das im Jahr 2016 erfolgte Hinzutreten des weiteren HIV-Medikaments
„Genvoya“, das im ersten Jahr mit 1,8 Mio. Tagesdosen ähnliche Verschreibungs-
zahlen wie Isentress (2,3 Mio. Tagesdosen) erreicht hat (vgl. Schriftsatz der Be-
klagten vom 2. November 2011, S. 11, Rn. 44), rechtfertigt keine andere Beurtei-
lung. Genvoya ist laut Schwabe/Paffrath, Arzneimittelreport 2017, S. 103 ff. eine
Vierfachkombination mit den Wirkstoffen Elvitegravir + Cobicistat + Emtricitabin +
Tenofoviralafenamid. Es ist damit von der Zusammensetzung her ähnlich wie das
bereits bekannte Medikament Stribild (Elvitegravir + Cobicistat + Emtricitabin +
Tenofovirdisoproxil, vgl. Schwabe/Paffrath, a. a. O., S. 104). Tenofovir ist ein nuk-
leotidischer Reverse-Transkriptase-Inhibitor (NtRTI). Im Gegensatz zu der in Stri-
bild enthaltenen Prodrug-Form Tenofovirdisoproxil enthält Genvoya Tenofovi-
ralafenamid, das wegen pharmakokinetischer Vorteile eine niedrigere Dosierung
des NtRTI Tenofovir ermöglicht. Im Übrigen bleibt es bei der gleichen Zusammen-
setzung wie in Stribild (vgl. Schwabe/Paffrath, a. a. O., S. 106, li. Sp.).

Es ist unter Berücksichtigung der dem Senat bereits in Form des gerichtlichen
Sachverständigengutachtens samt Anhörung des Gutachters und verschiedener
Parteigutachten zur Verfügung gestellten Fachwissens nicht ersichtlich, dass das
Hinzutreten eines weiteren, Elvitegravir enthaltenen Kombinationspräparats, das
sich von dem bekannten Kombinationspräparat Stribild nur durch die eine niedri-
gere Dosierung ermöglichende Prodrug-Form seines NtRTI-, nicht aber seines
Integraseinhibitor-Bestandteils unterscheidet, maßgebenden Einfluss auf die vor-
liegende medizinische Problematik haben kann. Insbesondere besteht die im
- 43 -
einstweiligen Verfügungsverfahren erörterte Problematik des Boosters beim In-
tegraseinhibitor Elvitegravir in gleicher Weise bei Stribild wie bei Genvoya. Daher
ist nicht erkennbar, inwiefern das Hinzutreten des Präparats Genvoya irgendeinen
Einfluss auf die Frage der Notwendigkeit der weiteren Verfügbarkeit des Medika-
ments Isentress haben kann.

(3) Die nach Erlass des Senatsurteils vom 31. August 2017 bekannt gewor-
dene Zulassung von Dolutegravir für Kinder ab 6 Jahren (Schriftsatz der Antrags-
und Beschwerdegegnerin vom 23. Juni 2016 im Beschwerdeverfahren, S. 12 un-
ter d)) ändert ebenfalls nichts an der grundsätzlichen Beurteilung. Zum einen ist
die weitere Verfügbarkeit von Raltegravir in besonderer Weise für Säuglinge und
Kleinkinder bis 2 Jahren erforderlich, für die besonders wenige Alternativen zur
Verfügung stehen (vgl. Senatsurteil vom 31. August 2016, S. 32 f. unter Ziff. (1)).
Zum anderen würde auch dies nichts am Erfordernis der weiteren Verfügbarkeit
für die weiteren betroffenen Patientengruppen ändern. Auch der Bundesgerichts-
hof, dem der Hinweis der Beklagten und Beschwerdeführerin, a. a. O., auf die zwi-
schenzeitliche Zulassung von Dolutegravir für Kinder ab 6 Jahren bekannt war, hat
in seiner Beschwerdeentscheidung diesem veränderten Umstand keine maßge-
bende Bedeutung beigemessen, jedenfalls ist er hierauf nicht eingegangen (vgl.
BGH, a. a. O., Ziff. II. 2. b), Rn. 40 ff., zur Patientengruppe der Säuglinge und Kin-
der unter 12 Jahre).

(4) Auch die im Anschluss an die bereits im einstweiligen Verfügungsverfahren
diskutierten Beobachtungen von unerwarteten nebenwirkungsbedingten Therapie-
abbrüchen mit Dolutegravir (vgl. van den Berg-Studie HL 29 (= HLeV 14 im einst-
weiligen Verfügungsverfahren), vgl. a. Protokoll der mündlichen Verhandlung im
einstweiligen Verfügungsverfahren mit Anhörung des gerichtlichen Sachverständi-
gen) hinzugekommenen Veröffentlichungen HL41, HL42 und TW 37 veranlassen
weder in der einen noch in der anderen Richtung eine Neubewertung des öffentli-
chen Interesses an der Erteilung der Zwangslizenz. Danach bestehen zwar Hin-
weise darauf, dass die bereits in der van den Berg-Studie (HL 29) beobachteten
nebenwirkungsbedingten Abbrüche von Therapien mit Dolutegravir vor allem dann
- 44 -
auftraten, wenn Dolutegravir mit Abacavir als Kombinationspartner 1 kombiniert
wurde (Schriftsatz der Beklagten vom 6. Oktober 2018, S. 11 f., Ziff. 2.). Die Klä-
gerinnen (Schriftsatz v. 18. Oktober 2017, S. 20) weisen jedoch zu Recht darauf
hin, dass die Autoren noch keine eindeutigen Schlussfolgerungen ziehen, sondern
ausdrücklich weitere Untersuchungen empfehlen (vgl. HL41: S. 2831,
Conclusions, S. 2834, li. Sp., ltzt. Satz; HL 42: S. 56, Conclusions, S. 62, li. Sp.,
ltzt. Satz; HL37/37a: Conclusions / Schlussfolgerungen, 3. Punkt). Eine Neube-
wertung für den Teil der virologisch erfolgreich mit Dolutegravir behandelbaren
Patienten, die nicht zugleich auf Abacavir angewiesen sind, ist daher nicht ange-
zeigt. Dies gilt erst recht für die Patientengruppen, die unabhängig von der Ver-
träglichkeit von Dolutegravir aus anderen Gründen auf die weitere Verfügbarkeit
von Raltegravir angewiesen sind (vgl. Senatsurteil vom 31. August 2016,
S. II.4.d)aa)), nämlich Säuglinge und Kinder, jedenfalls solche unter 6 Jahren,
Schwangere, Patienten mit Bedarf an einer Postexpositionsprophylaxe und die auf
Integraseinhibitoren angewiesenen Patienten mit Resistenzmutationen bei
Elvitegravir und Dolutegravir.

Auch der Bundesgerichtshof ist auf die Studien, die im Nachgang zu van den Berg
et al (HL 29) veröffentlicht worden sind, nicht eingegangen, obwohl sie im Be-
schwerdeverfahren diskutiert worden sind (vgl. Schriftsätze der Beschwerdeführe-
rin vom 21. März 2017, S. 28; vom 23. Juni 2017, S. 14; Schriftsätze der Be-
schwerdegegnerinnen vom 15. Mai 2017, S. 33; vom 4. Juli 2017, S. 8).

(5) Entgegen der Auffassung der Beklagten sprechen auch keine nach § 91a
ZPO zu berücksichtigenden Gesichtspunkte der Billigkeit dafür, die Kosten des
erledigten Teils des Rechtsstreits abweichend von der sich bei der o. g. summari-
schen Prüfung ergebenden Prognose des Verfahrensausgangs ganz oder teil-
weise den Klägerinnen aufzuerlegen.

Die Beklagte macht geltend, dass die Klägerinnen bzw. das für sie verhandelnde
Konzernunternehmen ohne ernsthaften Willen zur Lizenznahme eine Verweige-
rungshaltung gegenüber der - wie sie meint - jederzeit zu ernsthaften Lizenzge-
- 45 -
sprächen bereiten Beklagten gezeigt hätten. Bei einem ernsthaften Willen der Klä-
gerinnen zur Lizenznahme hätte das Zwangslizenzverfahren vermieden werden
können (Schriftsatz der Beklagten v. 2. November 2017, S. 8 ff. unter B. I.). Hierzu
verweist der Senat erneut auf die im einstweiligen Verfügungsverfahren ergange-
nen Entscheidung, wonach das Lizenz-Gegenangebot des M… und
das Beharren auf dem vorgeschlagenen Einmalzahlungsbetrag angesichts der
Umstände des Einzelfalls ausreichend war, um das Erfordernis nach § 24 Abs. 1
Nr. 1 PatG zu erfüllen (vgl. BGH GRUR 2017, 1017, LS a), Rn. 13 ff., insb. Rn. 21
bis 23 - Raltegravir). Der zwischenzeitliche Widerruf des Streitpatents bestätigt
zudem nachträglich die Bedenken des M… gegen die Bestandskraft
des Patents, die dieser während der Verhandlungen wiederholt zur Begründung
seiner Haltung gegen eine umsatzbezogene Lizenzgebühr angeführt hat.

Es kann den Klägerinnen unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit auch nicht entge-
gengehalten werden, dass sie im Hauptsacheverfahren und einstweiligen Verfü-
gungsverfahren auf eine möglichst niedrige Zwangslizenzgebühr gedrängt haben
und hierzu verschiedene (Haupt-) Anträge, teilweise mit betraglichen Obergren-
zen, angekündigt und gestellt haben. Zum einen entsprach dieses Verhalten den
wirtschaftlichen Interessen der Klägerinnen und damit einer nachvollziehbaren und
konsequenten Prozessführung, gerade auch im Hinblick auf ihre letztlich bestä-
tigten Bedenken gegen die Bestandskraft des Streitpatents bzw. (bei Unterstellung
der Bestandskraft) den Bedenken gegen die Offenbarung von Raltegravir im
Streitpatent. Zum anderen haben die Klägerinnen deutlich gemacht, dass sie die
Zwangslizenzklage letztlich nicht an einer betraglichen Obergrenze für die von
ihnen angebotene Zwangslizenzgebühr scheitern lassen wollen. Hierzu kann auf
die Ausführungen des Bundesgerichtshofs, a. a. O., Rn. 24 ff., insbesondere
Rn. 29 bis 35, verwiesen werden.

Schließlich konnte es den Klägerinnen nicht zugemutet werden, auf das gegen
das Streitpatent gerichtete Einspruchsverfahren zu vertrauen und von der Erhe-
bung einer Zwangslizenzklage abzusehen. Die Zwangslizenzklage ist mit Recht-
schutzbedürfnis erhoben worden (s. o.). Sie diente der Ermöglichung des weiteren
- 46 -
Vertriebs eines Produkts, das einen der wesentlichen Standpfeiler des Produkt-
Portfolios des M… bildet. Infolge der Verletzungsklage drohte die
Verurteilung zur Unterlassung bei Anordnung der sofortigen Vollstreckbarkeit. Die
Inkaufnahme der mit einem solchen Verletzungsurteil verbundenen (vorläufig)
vollstreckbaren Maßnahmen (Ordnungsgeld, ersatzweise -haft, Rückruf, Heraus-
gabe, Schadensersatz, vgl. Verletzungsklageschrift HL 4) wäre für die Klägerinnen
unzumutbar gewesen. Zudem wäre der Weitervertrieb in diesem Falle eine Straftat
nach § 142 Abs. 1 PatG mit der besonderen Strafandrohung des § 142 Abs. 2
PatG gewesen. Auch die Abnehmer hätten mit entsprechenden zivil- und straf-
rechtlichen Maßnahmen zu rechnen. Außerdem hätte der M… bei einer
(vorläufig) durchgesetzten Unterlassung selbst im Falle der späteren Aufhebung
eines Unterlassungsurteils unwiederbringliche Marktverluste zu befürchten, da ein
Teil der Abnehmer nach einem erzwungenen Therapiewechsel nicht zu Raltegra-
vir zurückkehren würde (s. o.).

(6) Im Rahmen der Kostenverteilung nach § 91a ZPO ist allerdings zu berück-
sichtigen, dass der geänderte Antrag der Klägerinnen gemäß deren Schriftsatz
vom 21. Dezember 2016, mit dem sie die Erteilung einer Zwangslizenz nur noch
für die vier derzeit verfügbaren Abgabeformen des Medikaments Isentress bean-
tragt haben, eine Teilrücknahme der Klage darstellt, die zwingend eine anteilige
Kostentragung nach § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO i. V. m. § 84 Abs. 2 PatG nach sich
zieht. Nach der neuen Antragslage waren etwaige weitere Abgabeformen, die
während der Laufzeit der Zwangslizenz hinzukommen könnten, nicht mehr erfasst.
Da der Marktzutritt einer weiteren Abgabeform von Isentress während des Klage-
verfahrens weder festzustellen war, noch unmittelbar bevorstand, fällt diese Teil-
Klagerücknahme nur geringfügig ins Gewicht.

2. Hinsichtlich des von der übereinstimmenden Erledigterklärung nicht erfass-
ten, noch offenen Teils des Hauptsacheverfahrens, insbesondere der Bemessung
der Lizenzhöhe, bestimmt sich die Kostenentscheidung nach § 92 Abs. 1 Satz 1
ZPO i. V. m. § 84 Abs. 2 PatG

- 47 -
III.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG
i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO, die Bestimmung über die Art der Sicher-
heitsleistung aus § 108 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 99 Abs. 1 PatG.

IV.

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben.

Die Berufungsschrift muss von einer in der Bundesrepublik Deutschland zugelas-
senen Rechtsanwältin oder Patentanwältin oder von einem in der Bundesrepublik
Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt oder Patentanwalt unterzeichnet und
innerhalb eines Monats beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a,
76133 Karlsruhe eingereicht werden. Die Berufungsfrist beginnt mit der Zustellung
des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von
fünf Monaten nach der Verkündung.

Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung
gerichtet wird, sowie die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Berufung
eingelegt werde.


Schramm Dr. Egerer Kätker Dr. Wismeth Dr. Freudenreich

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