2. Senat - Wahlbewerber - besonderer Kündigungsschutz
Karar Dilini Çevir:
2. Senat - Wahlbewerber - besonderer Kündigungsschutz
- 2 - BUNDESARBEITSGERICHT 2 AZR 377/10 5 Sa 361/09 Sächsisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes! Verkündet am 7. Juli 2011 URTEIL Freitag, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle In Sachen Beklagte, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin, pp. Kläger, Berufungsbeklagter und Revisionsbeklagter, hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Ver-handlung vom 7. Juli 2011 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeits-- 2 - 2 AZR 377/10 - 3 - gericht Kreft, die Richterinnen am Bundesarbeitsgericht Berger und Rachor sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Sieg und Eulen für Recht erkannt: Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsi-schen Landesarbeitsgerichts vom 12. Mai 2010 - 5 Sa 361/09 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen. Von Rechts wegen! Tatbestand Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitge-berseitigen Kündigung. Die Beklagte hat ihren Sitz in B. Sie erbringt mit etwa 450 Mitarbeitern bundesweit Dienstleistungen in der Luftfahrtbranche. Der 1952 geborene Kläger war bei ihr seit dem 1. Februar 2008 als Luftsicherheitsassistent tätig. Regel-mäßiger Einsatzort des Klägers war der Flughafen L. An diesem Standort unterhält die Beklagte eine Niederlassung mit insgesamt 46 Arbeitnehmern. Am 16. Juli 2008 erteilte die Beklagte dem Kläger auf der Grundlage ei-ner Betriebsvereinbarung eine „Probezeitbeurteilung“, die teils positive und teils - ua. hinsichtlich des Kriteriums „Arbeitsweise“ - negative Bewertungen enthielt. Nach der Betriebsvereinbarung sind Beanstandungen bei der Arbeitsweise geeignet, eine Weiterbeschäftigung bei der Beklagten über die - im Arbeitsver-trag des Klägers mit sechs Monaten vereinbarte - Probezeit hinaus auszu-schließen. Am Sonnabend, dem 26. Juli 2008 war der Kläger zur Arbeit am Flug-hafen L eingeteilt. Zu diesem Zeitpunkt war ein Wahlvorstand zur Durchführung einer Betriebsratswahl für den Betrieb der Niederlassung bestellt. Noch am selben Tag fertigte der Kläger einen ihn als Bewerber ausweisenden schriftli-chen Wahlvorschlag (Vorschlagsliste). Zugleich erklärte er auf der Vor-schlagsliste sein Einverständnis mit der Kandidatur. Nach den Feststellungen 1234- 3 - 2 AZR 377/10 - 4 - des Landesarbeitsgerichts brachten vier weitere Arbeitnehmer der Beklagten in der Zeit von 13:00 Uhr bis 16:00 Uhr des Tages auf dem Vorschlag ihre Stütz-unterschrift an. Um 16:38 Uhr gab der Kläger den Wahlvorschlag als ein an den Wahlvorstand gerichtetes Einwurfeinschreiben zur Post. Es ging beim Wahlvor-stand frühestens am 28. Juli 2008 ein. Mit Schreiben vom 25. Juli 2008, das dem Kläger am 28. Juli 2008 zu-ging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis „innerhalb der Probezeit" zum 3. August 2008. Der Kläger hat fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben und gel-tend gemacht, er habe bei Zugang der Kündigung den besonderen Kündi-gungsschutz nach § 15 Abs. 3 KSchG besessen. Dieser greife ein, sobald ein Wahlvorschlag mit der erforderlichen Mindestanzahl von Stützunterschriften vorliege. Unabhängig davon sei die Kündigung gemäß § 134 BGB iVm. § 20 BetrVG und § 612a BGB nichtig. Sie sei als Reaktion auf seine Kandidatur für den Betriebsrat und deshalb erfolgt, weil er Vorgesetzte auf Missstände hinge-wiesen habe. Bei der Betriebsratswahl vom 2. September 2008 wurde der Kläger als ordentliches Mitglied in den Betriebsrat gewählt. Der Kläger hat - soweit noch von Bedeutung - beantragt 1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 25. Juli 2008 nicht aufgelöst worden ist; 2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräf-tigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Luftsicherheitsassistent am Flughafen L weiterzube-schäftigen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffas-sung vertreten, die ordentliche Kündigung sei nicht nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG ausgeschlossen. Der den Kläger benennende Wahlvorschlag sei im Kündigungszeitpunkt noch nicht „aufgestellt“ gewesen. Dafür sei zumindest der Eingang eines mit der notwendigen Anzahl von Stützunterschriften versehenen 56789- 4 - 2 AZR 377/10 - 5 - Wahlvorschlags beim Wahlvorstand erforderlich. Dies sei erst am 29. Juli 2008 geschehen. Die Kündigung stelle auch keine Behinderung der Betriebsratswahl oder Maßregelung des Klägers dar. Ihr Kündigungsentschluss beruhe aus-schließlich auf der schlechten Beurteilung des Klägers. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsge-richt hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen. Entscheidungsgründe Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsver-hältnis wurde durch die ordentliche Kündigung vom 25. Juli 2008 nicht aufge-löst. Der Kläger war im Kündigungszeitpunkt Wahlbewerber iSv. § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG. Ihm konnte daher nur außerordentlich aus wichtigem Grund (§ 626 BGB) und mit Zustimmung des Betriebsrats (§ 103 BetrVG) gekündigt werden. I. Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist die ordentliche Kündigung eines Wahlbewerbers vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlags an bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig. II. Unter welchen Voraussetzungen ein Wahlvorschlag im Sinne des Gesetzes „aufgestellt“ ist und demnach der Sonderkündigungsschutz für Wahl-bewerber einsetzt, ist umstritten. 1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beginnt der Son-derkündigungsschutz für Wahlbewerber, sobald ein Wahlvorstand für die Wahl bestellt ist und für den Kandidaten ein Wahlvorschlag vorliegt, der die nach dem Betriebsverfassungsgesetz erforderliche Mindestzahl von Stützunterschriften aufweist. Der Wahlvorschlag ist dann im Sinne des Gesetzes „aufgestellt“. Auf seine Einreichung beim Wahlvorstand kommt es nicht an (vgl. BAG 5. De-zember 1980 - 7 AZR 781/78 - zu 2 der Gründe, BAGE 34, 291; 13. Oktober 1011121314- 5 - 2 AZR 377/10 - 6 - 1977 - 2 AZR 387/76 - zu II 1 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbe-dingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 4. März 1976 - 2 AZR 620/74 - BAGE 28, 30; die Frage offen lassend BAG 17. März 2005 - 2 AZR 275/04 - AP BetrVG 1972 § 27 Nr. 6 = EzA BetrVG 2001 § 28 Nr. 1). 2. Demgegenüber wird in der Literatur die Auffassung vertreten, der Kündigungsschutz setze erst mit Eingang des gültigen Wahlvorschlags beim Wahlvorstand ein. Erst ab diesem Zeitpunkt entfalte ein Wahlvorschlag binden-de Wirkung und könne als „aufgestellt“ angesehen werden. Zudem lasse sich der Zeitpunkt der Anbringung der letzten Stützunterschrift oftmals nur schwer feststellen. Hieran anzuknüpfen bringe ein erhebliches Maß an Rechtsunsi-cherheit mit sich (KPK/Bengelsdorf 3. Aufl. § 15 KSchG Rn. 8; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 15 Rn. 19; GK-BetrVG/Raab 8. Aufl. § 103 Rn. 17; Richardi/Thüsing BetrVG 11. Aufl. § 103 Rn. 19; Hanau AR-Blattei: Betriebsverfassung IX Anm. zu Entsch. 21; ders. AR-Blattei: Kündigungsschutz Anm. zu Entsch. 155; Meisel Mitwirkung und Mitbestimmung in personellen Angelegenheiten 5. Aufl. Rn. 644). 3. Der Senat hält an der bisherigen Rechtsprechung fest. Sie ist verbreitet auf Zustimmung gestoßen (vgl. Bader/Bram/Dörner § 15 KSchG Rn. 13; DFL/Rieble 4. Aufl. § 103 Rn. 4; ErfK/Kiel 11. Aufl. § 15 KSchG Rn. 14; Fitting BetrVG 25. Aufl. § 103 Rn. 10; HaKo/Fiebig 3. Aufl. § 15 Rn. 24; KR/Etzel 9. Aufl. § 103 BetrVG Rn. 23, 25; KDZ/Deinert KSchR 8. Aufl. § 15 KSchG Rn. 16; Löwisch/Spinner KSchG 9. Aufl. § 15 Rn. 37; Münch-KommBGB/Hergenröder 5. Aufl. § 15 KSchG Rn. 37; Eylert in Schwarze/ Eylert/Schrader § 15 KSchG Rn. 41; SPV/Vossen 10. Aufl. Rn. 1687; Stege/ Weinspach/Schiefer BetrVG 9. Aufl. § 103 Rn. 20; Nägele/Nestel BB 2002, 354, 355; Witt AR-Blattei SD 530.9 Rn. 13 ff.). Für sie sprechen nach wie vor die besseren Argumente. a) Der Wortlaut des § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG enthält keinen eindeutigen Anhaltspunkt für die Frage, wann von der „Aufstellung des Wahlvorschlags“ auszugehen ist (so schon BAG 4. März 1976 - 2 AZR 620/74 - zu I 4 a der Gründe, BAGE 28, 30). Der Begriff wird weder im Kündigungsschutzgesetz, 151617- 6 - 2 AZR 377/10 - 7 - noch im Betriebsverfassungsgesetz oder in der einschlägigen Wahlordnung näher definiert. aa) Schon der allgemeine Sprachgebrauch spricht aber dagegen, an den Eingang des Vorschlags beim Wahlvorstand oder gar - wie die Revision meint - an den (späteren) Zeitpunkt, zu dem der Wahlvorstand den Vorschlag nach § 7 WO geprüft und für gültig befunden hat, anzuknüpfen. Nach alltagssprachli-chem Verständnis liegt es vielmehr nahe anzunehmen, dass nur ein Wahlvor-schlag, der bereits „aufgestellt“ ist, beim Wahlvorstand eingereicht werden kann. Das bedeutet, dass der Vorgang der Aufstellung dem der Einreichung zeitlich vorangehen muss (vgl. BAG 4. März 1976 - 2 AZR 620/74 - zu I 4 a der Gründe, BAGE 28, 30). bb) Auch die Wahlordnung unterscheidet zwischen der „Aufstellung“ von Wahlvorschlägen (in § 2 Abs. 5, § 3 Abs. 3 WO) und deren „Einreichung“ beim Wahlvorstand (bspw. in § 6 Abs. 1, § 7 Abs. 1, § 33 Abs. 1, § 36 Abs. 5 WO). Nach § 3 Abs. 3 WO soll der Wahlvorstand, sofern es nach Größe, Eigenart und Zusammensetzung der Arbeitnehmerschaft des Betriebs zweckmäßig ist, im Wahlausschreiben darauf hinweisen, dass „bei der Aufstellung von Wahlvor-schlägen“ die einzelnen Organisationsbereiche und die verschiedenen Beschäf-tigungsarten berücksichtigt werden sollen. Diese Regelung geht erkennbar davon aus, dass die „Aufstellung“ des Vorschlags der Einreichung beim Wahl-vorstand zeitlich vorangeht. cc) Hätte der Gesetzgeber für den Beginn des Kündigungsschutzes an die Einreichung des Wahlvorschlags beim Wahlvorstand anknüpfen wollen, hätte es nahe gelegen, dies in § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG so zum Ausdruck zu brin-gen (vgl. bereits BAG 4. März 1976 - 2 AZR 620/74 - zu I 4 c aa der Gründe, BAGE 28, 30). Das ist trotz verschiedentlicher Neuregelungen des § 15 KSchG nicht geschehen. Dabei kann vorausgesetzt werden, dass dem Gesetzgeber die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Frage des Beginns des Sonderkündigungsschutzes bekannt war. Das spricht dafür, dass er die Rege-lung in diesem Sinne verstanden wissen wollte. 181920- 7 - 2 AZR 377/10 - 8 - b) Insbesondere der Regelungszweck des § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG spricht dafür, an den Zeitpunkt anzuknüpfen, zu dem die letzte der erforderli-chen Stützunterschriften unter den Wahlvorschlag gesetzt worden ist. aa) Den Gesetzesmaterialien zufolge ist der besondere Kündigungsschutz des § 15 Abs. 1 KSchG auf Wahlbewerber ausgedehnt worden, weil dieser Personenkreis im Hinblick auf mögliche Interessenkonflikte mit dem Arbeitgeber für die Zeit der Wahl in ähnlicher Weise schutzbedürftig ist wie Betriebsratsmit-glieder. Der Kündigungsschutz soll die Durchführung der Betriebsratswahlen dadurch erleichtern, dass Arbeitnehmer eher Bereitschaft zu einer Kandidatur entwickeln. Außerdem sollen Arbeitgeber daran gehindert werden, etwa nicht genehme Wahlbewerber durch Kündigung von der Wahl auszuschließen (vgl. BT-Drucks. VI/1786, S. 60). bb) Um dieses Ziel effektiv zu gewährleisten, muss der Kündigungsschutz zu einem möglichst frühen Zeitpunkt einsetzen. Die aus der Kandidatur erwach-sende besondere Gefährdung des Arbeitsverhältnisses eines Wahlbewerbers entsteht dann, wenn für den Arbeitgeber erkennbar werden kann, dass der Arbeitnehmer für das Amt in Aussicht genommen ist (vgl. BAG 5. Dezember 1980 - 7 AZR 781/78 - zu 2 der Gründe, BAGE 34, 291; 4. März 1976 - 2 AZR 620/74 - zu I 4 b bb der Gründe, BAGE 28, 30). Diese Möglichkeit besteht, sobald ein Wahlvorschlag vorliegt, der den Arbeitnehmer als Kandidaten be-nennt. Von diesem Zeitpunkt an ist dessen Bewerbung zumindest bei den Unterstützern und damit in gewisser Weise „im Betrieb“ bekannt. Es widersprä-che dem gesetzgeberischen Anliegen, wenn ein Wahlbewerber auch jetzt noch ohne besonderen Schutz bliebe. Dies könnte Arbeitnehmer von einer Kandida-tur abhalten. Auf den Zeitpunkt der Einreichung beim Wahlvorstand abzustellen wäre zudem geeignet, Kandidaten zu benachteiligen, die ihre Arbeitsleistung - wie im Streitfall - außerhalb des Ortes erbringen, an dem sich der Sitz des Wahlvorstands befindet, und die deshalb auf eine postalische Übermittlung des Vorschlags angewiesen sind. Das liefe auch kollektiven Interessen der den Kandidaten unterstützenden Arbeitnehmer und der Gesamtbelegschaft zuwider, die auf eine möglichst leichte und von personellen Einflussnahmen des Arbeit-212223- 8 - 2 AZR 377/10 - 9 - gebers freie Durchführung des Wahlverfahrens gerichtet sind. Dass der Gesetz-geber diesen Anliegen eine hohe Bedeutung beimisst, zeigt die zwischenzeitlich erfolgte Ausweitung des besonderen Kündigungsschutzes auf die Initiatoren einer Betriebsratswahl in § 15 Abs. 3a KSchG (vgl. auch BAG 26. November 2009 - 2 AZR 185/08 - Rn. 18, BAGE 132, 293). cc) Allerdings muss berücksichtigt werden, dass das Kündigungsschutzpri-vileg eng mit dem Wahlverfahren verknüpft und durch dieses zeitlich und funktional begrenzt ist. Zudem verlangt das Erfordernis der „Aufstellung“ des Wahlvorschlags nach der Einhaltung einer bestimmten Form (vgl. BAG 4. März 1976 - 2 AZR 620/74 - zu I 4 b bb der Gründe, BAGE 28, 30; 4. April 1974 - 2 AZR 452/73 - zu I 3 a der Gründe, BAGE 26, 116). Schon der Wortlaut des § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG verweist deshalb für den Beginn des Schutzes auf einen Abschnitt im Wahlverfahren, der zeitlich nach der bloßen Verlautbarung einer möglichen Kandidatur oder eines entsprechenden Interesses liegt und der nicht gar schon in eine Zeit fällt, zu der das Wahlverfahren noch nicht einmal in Gang gesetzt worden ist (vgl. BAG 4. März 1976 - 2 AZR 620/74 - aaO). Erfor-derlich ist die Existenz eines Wahlvorschlags, auf dessen Grundlage immerhin die greifbare Möglichkeit einer Wahl in den Betriebsrat besteht (BAG 26. Sep-tember 1996 - 2 AZR 528/95 - zu II 2 der Gründe, AP KSchG 1969 § 15 Wahl-bewerber Nr. 3 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 45; 4. März 1976 - 2 AZR 620/74 - zu I 4 c aa der Gründe, aaO). dd) Diesen Anforderungen wird am ehesten ein Wahlvorschlag gerecht, der die nach § 14 Abs. 4 BetrVG erforderliche Mindestzahl von Arbeitnehmerunter-schriften trägt. Hat sich eine Kandidatur auf diese Weise verfestigt, muss der Arbeitgeber ernsthaft mit der Möglichkeit rechnen, dass ein Kandidat in den Betriebsrat gewählt wird. Die damit verbundene „Vorwirkung“ des potentiellen Betriebsratsamts bewirkt eine erhöhte Kündigungsgefahr, die ein entsprechen-des Schutzbedürfnis auf Seiten des Arbeitnehmers auslöst. Zugleich liegt in dem Erfordernis der hinreichenden Anzahl von Stützunterschriften - neben dem der Bestellung eines Wahlvorstands - ein geeignetes Instrument, um einem 2425- 9 - 2 AZR 377/10 - 10 - Missbrauch des Kündigungsschutzprivilegs entgegenzuwirken (vgl. BAG 4. März 1976 - 2 AZR 620/74 - zu I 4 c der Gründe, BAGE 28, 30). c) Dieser Auslegung des Gesetzes steht nicht entgegen, dass eine vom Wahlvorstand zu beachtende Kandidatur erst vorliegt, wenn der Wahlvorschlag bei diesem binnen der im Gesetz vorgesehenen Frist eingereicht worden ist (§ 14 Abs. 3 BetrVG iVm. § 6 Abs. 1 Satz 2 WO; § 14a Abs. 2, Abs. 3 BetrVG iVm. § 33 WO). Das Gesetz verlangt nicht, dass im Zeitpunkt der „Aufstellung“ des Wahlvorschlags iSv. § 15 Abs. 3 KSchG sämtliche für eine erfolgreiche Kandidatur notwendigen Förmlichkeiten gewahrt sind (vgl. BAG 4. März 1976 - 2 AZR 620/74 - zu I 4 c der Gründe, BAGE 28, 30; Reuter SAE 1975, 249 f.; ähnlich für die „Bestellung“ in § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG: BAG 26. November 2009 - 2 AZR 185/08 - BAGE 132, 293). Auf etwaige Mängel des Wahlvor-schlags kommt es - auch mit Blick auf den von § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG bezweckten Schutz kollektiver Interessen - so lange nicht an, wie der Mangel gemäß § 8 Abs. 2 WO behebbar ist (BAG 17. März 2005 - 2 AZR 275/04 - zu C III 2 b der Gründe, AP BetrVG 1972 § 27 Nr. 6 = EzA BetrVG 2001 § 28 Nr. 1; 5. Dezember 1980 - 7 AZR 781/78 - zu 2 der Gründe, BAGE 34, 291; Eylert in Schwarze/Eylert/Schrader § 15 KSchG Rn. 41 mwN). d) Möglichen Schwierigkeiten bei der Feststellung des Zeitpunkts, zu dem die letzte der notwendigen Unterschriften geleistet worden ist, kann in gewisser Weise dadurch begegnet werden, dass der jeweilige Zeitpunkt der Unterzeich-nung auf dem Wahlvorschlag festgehalten wird, mag dies auch - anders als für die Einreichung der Vorschlagsliste beim Wahlvorstand (vgl. § 7 Abs. 1 WO) - gesetzlich nicht vorgesehen sein. Im Übrigen trifft den Arbeitnehmer, der sich auf § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG beruft, die Beweislast dafür, dass die Vorausset-zungen des besonderen Kündigungsschutzes vorliegen. Er trägt damit auch das Risiko einer Nichterweislichkeit der Rechtzeitigkeit der Stützunterschriften. Im Übrigen sind selbst dann, wenn man auf den Zeitpunkt der Einreichung des Wahlvorschlags beim Wahlvorstand abstellen wollte, Fälle denkbar, in denen der Beginn des Kündigungsschutzes zweifelhaft ist (vgl. BAG 4. März 1976 - 2 AZR 620/74 - zu I 5 der Gründe, BAGE 28, 30). 2627- 10 - 2 AZR 377/10 - 11 - e) Für den Beginn des Sonderkündigungsschutzes nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG kommt es nicht darauf an, ob bei der Anbringung der letzten er-forderlichen Stützunterschrift die Frist zur Einreichung von Wahlvorschlägen, die regelmäßig am Tag nach Aushang des Wahlausschreibens beginnt (§ 6 Abs. 1 WO; § 187 Abs. 1 BGB), schon angelaufen war (aA KR/Etzel 9. Aufl. § 103 BetrVG Rn. 25). aa) Ein Wahlvorschlag, der vor Beginn der für die Einreichung maßgeben-den Fristen beim Wahlvorstand eingeht, ist nicht ein von vorneherein ungültiger Vorschlag. Gibt der Wahlvorstand einen ihm vorzeitig zugeleiteten Wahlvor-schlag nicht zurück, kann er ihn nach Erlass des Wahlausschreibens nicht wegen vorzeitiger Einreichung ablehnen; er ist dann als mit Erlass des Wahl-ausschreibens eingereicht anzusehen (Fitting BetrVG 25. Aufl. § 6 WO Rn. 3 mwN). Reicht der Wahlvorstand den Vorschlag zurück, verliert dieser dadurch nicht seine kündigungsrechtliche Relevanz. Er kann nach Anlaufen der Frist erneut eingereicht werden und dadurch volle Gültigkeit erlangen. Die „greifbare Möglichkeit“ einer Wahl besteht somit auch, wenn der Wahlvorschlag „vorfristig“ aufgestellt wurde. bb) Ein schon vollzogener Erlass des Wahlausschreibens ist auch nicht zur Vermeidung von Rechtsmissbrauch erforderlich. Diesem ist hinreichend da-durch vorgebeugt, dass der Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG die Existenz eines Wahlvorstands voraussetzt. III. Danach stand dem Kläger im Kündigungszeitpunkt der besondere Kün-digungsschutz als Wahlbewerber zu. 1. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ging das Kündigungsschreiben dem Kläger am 28. Juli 2008 zu. Zu diesem Zeitpunkt war unstreitig ein Wahlvorstand zur Durchführung einer Betriebs-ratswahl für den Betrieb der Niederlassung bestellt. 2. Bei Zugang der Kündigung lag ein den Kläger benennender Wahlvor-schlag mit der erforderlichen Anzahl von Stützunterschriften vor. 282930313233- 11 - 2 AZR 377/10 - 12 - a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die letzte von insgesamt vier Stützunterschriften sei am 26. Juli 2008 um 16:00 Uhr auf dem schriftlichen Wahlvorschlag angebracht worden. Es hat diesen Umstand als zwischen den Parteien unstreitig bezeichnet und weiter angenommen, der Vorschlag sei un-streitig am 26. Juli 2008 um 16:38 Uhr an den Wahlvorstand versandt worden. Daran ist der Senat gebunden. Die Rüge der Revision, das Landesarbeitsge-richt habe hinsichtlich des festgestellten Zeitpunkts der Anbringung der Stütz-unterschriften streitiges Vorbringen als unstreitig behandelt, ist unzulässig. Die in Rede stehenden Feststellungen sind im Tatbestand des Berufungsurteils ent-halten. Die Beklagte konnte sie deshalb nur mit einem Berichtigungsantrag nach § 320 Abs. 1 ZPO angreifen (vgl. BAG 26. Februar 1987 - 2 AZR 177/86 - zu B II 1 b der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 15 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 24; Müller-Glöge in Germelmann/Matthes/ Prütting/Müller-Glöge ArbGG 7. Aufl. § 74 Rn. 106; Schwab/Weth/Ulrich ArbGG 3. Aufl. § 74 Rn. 57). Das ist nicht geschehen. b) Die Revision wendet sich nicht gegen die Annahme des Landesarbeits-gerichts, mit vier Unterschriften sei die gesetzlich erforderliche Zahl von Stütz-unterschriften vorhanden gewesen. Das ist auch aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die notwendige Zahl von Stützunterschriften für Wahlvorschläge der Arbeitnehmer ergibt sich aus § 14 Abs. 4 BetrVG (ggf. iVm. § 14a Abs. 2, § 14a Abs. 3 Satz 2 BetrVG). Danach muss ein - schriftlicher - Wahlvorschlag mindestens von einem Zwanzigstel der wahlberechtigten Arbeitnehmer, wenigs-tens aber von drei Arbeitnehmern unterzeichnet sein. Diese Voraussetzung ist erfüllt. Im Betrieb waren 46 Arbeitnehmer beschäftigt. c) Sonstige Umstände, die von vorneherein der greifbaren Möglichkeit einer Wahl des Klägers entgegengestanden hätten und deshalb den Eintritt des Sonderkündigungsschutzes hätten hindern können (vgl. BAG 26. September 1996 - 2 AZR 528/95 - zu II 2 der Gründe, AP KSchG 1969 § 15 Wahlbewerber Nr. 3 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 45), liegen nicht vor. aa) Zwar ist Voraussetzung für einen gültigen Wahlvorschlag die Wählbar-keit des Bewerbers nach § 8 BetrVG (BAG 26. September 1996 - 2 AZR 34353637- 12 - 2 AZR 377/10 - 13 - 528/95 - zu II 2 der Gründe, AP KSchG 1969 § 15 Wahlbewerber Nr. 3 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 45). Fehlt es hieran, darf der Vorschlag vom Wahlvorstand gemäß § 8 WO nicht berücksichtigt werden. Für die Wählbarkeit ist aber nicht auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt der Betriebsratswahl. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt. (1) Der wahlberechtigte Arbeitnehmer muss, um nach § 8 Abs. 1 BetrVG wählbar zu sein, dem Betrieb sechs Monate angehören. Ausnahmen gelten nach § 8 Abs. 2 BetrVG, wenn der Betrieb kürzer als sechs Monate besteht. (2) Für das Eingreifen des besonderen Kündigungsschutzes nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG reicht es aus, dass die Voraussetzungen des § 8 BetrVG im Zeitpunkt der Wahl vorliegen. Der Arbeitnehmer kann sich nur dann nicht auf den besonderen Kündigungsschutz als Wahlbewerber berufen, wenn bei Zugang der Kündigung keinerlei Aussicht bestanden hat, dass er bei der durch-zuführenden Wahl wählbar sein würde. (a) Der Senat hat bislang offen gelassen, ob bei der Berechnung der nach § 8 BetrVG maßgebenden Betriebszugehörigkeit auf den Zeitpunkt der Aufstel-lung des Wahlvorschlags oder den Zeitpunkt der Betriebsratswahl abzustellen ist (vgl. BAG 26. September 1996 - 2 AZR 528/95 - zu II 3 der Gründe, AP KSchG 1969 § 15 Wahlbewerber Nr. 3 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 45). Dafür, dass es auf den Zeitpunkt der Wahl und nicht den der Kündigung oder gar den der Aufstellung des Wahlvorschlags ankommt, sprechen vor allem teleologische Erwägungen. Die von § 8 BetrVG verlangte Dauer der Betriebszugehörigkeit soll gewährleisten, dass ein Betriebsratsmitglied einen ausreichenden Überblick über die Verhältnisse des Betriebs besitzt. Dies ist für die sachgerechte Aus-übung des Betriebsratsamts notwendig ist (BT-Drucks. VI/1786, S. 37). Die Anforderung bezieht sich demzufolge auf das bereits gewählte, aktive Betriebs-ratsmitglied. Ob es schon als Wahlbewerber über entsprechende Kenntnisse verfügt hat, ist dagegen nicht entscheidend. Ein Wahlbewerber hat noch keine in die Zuständigkeit des Betriebsrats fallenden Entscheidungen zu treffen (vgl. LAG Hamm 21. April 1982 - 3 Sa 188/82 - DB 1982, 2709; im Ergebnis ebenso: 383940- 13 - 2 AZR 377/10 APS/Linck 3. Aufl. § 15 KSchG Rn. 58; Bader/Bram/Dörner § 15 KSchG Rn. 13; ErfK/Kiel 11. Aufl. § 15 KSchG Rn. 10; Fitting BetrVG 25. Aufl. § 8 Rn. 32; KDZ/Deinert 8. Aufl. § 15 KSchG Rn. 18; KR/Etzel 9. Aufl. § 103 BetrVG Rn. 25a; MünchKommBGB/Hergenröder 5. Aufl. § 15 KSchG Rn. 20; SPV/Vossen 10. Aufl. Rn. 1687; WPK/Wlotzke BetrVG 4. Aufl. § 8 Rn. 7). (b) Hier waren die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erfüllt. Der am 1. Februar 2008 eingestellte Kläger gehörte dem Betrieb bei der Durch-führung der Betriebsratswahl am 2. September 2008 länger als sechs Monate an. bb) Der Anwendbarkeit von § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG steht nicht entgegen, dass die Kandidatur des Klägers zeitlich eng mit dem Kündigungsentschluss der Beklagten zusammenfiel. Das macht für sich genommen die Berufung auf den besonderen Kündigungsschutz nicht rechtsmissbräuchlich. Ebenso wenig ist von Belang, ob die Beklagte, als sie den Kündigungsentschluss fasste, von der Bewerbung des Klägers bereits Kenntnis hatte. IV. Die Kosten der Revision fallen nach § 97 Abs. 1 ZPO der Beklagten zur Last. Kreft Rachor Berger Eulen Sieg 414243

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