2. Senat - Personenbedingte Kündigung - Untersuchungshaft
Karar Dilini Çevir:
2. Senat - Personenbedingte Kündigung - Untersuchungshaft
- 2 - BUNDESARBEITSGERICHT 2 AZR 120/12 15 Sa 33/11 Landesarbeitsgericht Baden - Württemberg Im Namen des Volkes! Verkündet am 23. Mai 2013 URTEIL Schmidt, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle In Sachen Kläger, Berufungsbeklagter und Revisionskläger, pp. Beklagte, Berufungsklägerin und Revisionsbeklagte, hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Ve r- handlung vom 23. Mai 2013 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesa r- beitsgericht Kreft, die Richterinnen am Bundesarbeitsgericht Berger und Dr. Rinck sowie die ehrenamtlichen Richter Beckerl e und Falke für Recht e r- kannt : - 2 - 2 AZR 120/12 - 3 - Die Revisi on des Klägers gegen das Urteil des Landesa r- beitsgerichts Baden - Württemberg vom 18. Oktober 2011 - 15 Sa 33/11 - wird auf seine Kosten zurückgewi e- sen. Von Rechts wegen! Tatbestand Die Parteien streiten - noch - über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. Die Beklagte produziert Automobile. Der Kläger war bei ihr seit 1997 als Fahrzeugpolsterer beschäftigt. Im Betrieb ist ein Betriebsrat gebildet. In der Zeit vom 12. März bis zum 10. April 2008 befand sich der Kläger wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz in Untersuchungshaft. Am 23. September 2008 wurde er zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt . Die Strafe wurde zur Bewährung ausge setzt . Am 17. September 2010 wurde der Kläger erneut vorläufig festgeno m- men. Im Anschluss daran befand er sich in Untersuchungshaft. Am 20. September 2010 teilte seine Ehefrau dies der Beklagten mit. Grund für die Verhaftung war, dass der Kläger zusammen mit einer weiteren Person ein e Haschisch - P lantage betrieb. Dort hatte die Polizei 18 Kilogramm Cannabi s- pflanzen gefunden . Eine solche Menge enthält ca. zwei bis drei Kilogramm des Wirkstoffs THC. In de n Folget agen versuchte die Beklagte erfolglos, mit dem Prozes s- bevollmächtigten de s Klägers Kontakt aufzunehmen. Mit Schreiben vom 24. September 2010 forderte sie den Kläger auf, zum Sachstand Stellung zu nehmen. Am 27. September 2010 erhielt s ie Kenntnis von einem Zeitungsart i- kel, aus welchem sich ua. die gefundene Cannabismenge ergab. Am 1. Oktober 2010 teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit, zu einem Haftprüfung s- 1 2 3 4 5 - 3 - 2 AZR 120/12 - 4 - termin, einem Termin zur Hauptverhandlung und einem zu erwartenden Stra f- maß könne er sich frühestens nach Aktenein sicht äußern . Über eine Haftve r- schonung werde noch verhandelt. Am 7. Oktober 2010 teilte er mit, dass ein Ende der Inhaftierung nicht absehbar sei und sich eine etwaige weitere Veru r- te i lung aller Voraussicht nach negativ auf die Aussetzung der ersten Haftstrafe zur Bewährung auswir ke . A m 8. Oktober 2010 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer bea b- sichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung zum 30. Juni 2011 an. D ieser äußerte Bedenken. Mit Schreiben vo m 12. Oktober 2010 kündigte die Beklagte das A r- beitsverhältnis der Parteien auße rordentlich fristlos . Mit Schreiben vom 15. Oktober 2010 kündigte sie hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Te r- min und gab diesen mit dem 30. Juni 2011 an. Gegen beide Kündigungen hat der Kläger fristgerecht Klage erhoben. Am 1. Februar 2011 fand der erste Hauptverhandlungstermin im Stra f- verfahren s tatt. D a s Amtsgericht ver hängte gegen den Kläger mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 17. Februar 2011 eine Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen gemeinschaftlichen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitt eln in nicht geringer Menge. Mit Schreiben vom 28. Juni 2011 beantragte der Kläger die Zurückste l- lung d er Freiheitsstrafe ab September 2011 zwecks Durchführung einer Dr o- gentherapie gem. § 35 BtMG. Am 21. Juli 2011 entschied d ie Staatsanwal t- schaft mit Zus timmung des Gerichts, die weitere Vollstreckung der Freiheit s- str a fe aus dem Urteil vom 17. Februar 2011 gem. § 35 Abs. 1 und Abs. 3 BtMG für die Behandlung in einer Therapieeinrichtung ab dem 19. September 2011 für die Dauer von längstens zwei Jahren zurüc kzustellen. Die nachgewiesene Zeit des Aufenthalts sollte gem. § 36 Abs. 1 Satz 1 BtMG auf die Strafe ang e- rechnet werden, bis infolge der Anrechnung zwei Drittel der Strafe erledigt w ä- ren. A m 19. September 2011 nahm der Kläger die ( teilstationär e ) Therapie auf. 6 7 8 9 - 4 - 2 AZR 120/12 - 5 - Die Staatsanwaltschaft beantragte, die Aussetzung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 23. September 2008 zu widerrufen. Ü ber den Antrag des Klägers , die Verbüßung dieser Strafe zurückzustellen, war zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht noch nicht entschieden. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, s ein haftbedingtes Fehlen sei kein Kündigungsgrund. Bei einer Zurückstellung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 17. Februar 2011 sei damit zu rechnen gewesen, dass er spätestens im Jahr 2012 seiner Arbeitsverpflichtung wieder würde nachkommen können. Genaue re und sichere Angaben zum Zeitpunkt seiner E insatzfähigkeit seien ihm nicht möglich gewesen. Er habe beantragen wollen, die no ch zu verbüße n- de Reststrafe zur Bewährung aus zu setz en . Üblicherweise w e rde einem solchen Antrag stattgegeben, wenn eine Drogentherapie mit Erfolg abgeschlossen wo r- den sei. Der Kläger hat beantragt festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Par teien w e- der durch die Kündigung vom 12. Oktober 2010, noch durch die Kündigung vom 15. Oktober 2010 aufgelöst worden ist. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, zum Zeitpunkt der Kündigung habe sie damit rechnen müssen, d ass der Kläger durch die zu erwartende neuerliche Haftstrafe über Jahre an der Wiederau f- nahme seiner Arbeit gehindert wäre . Da die sichergestellte Drogenmenge höher gewesen sei als bei der Straftat im Jahr 2008, habe sie davon ausgehen mü s- sen, dass eine lä ngere Haftstrafe verhängt würde. Diese Prognose habe sich durch die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren bestätigt. Das Fehlen des Klägers habe zu betrieblichen Beeinträchtigungen geführt. Das A r- beitsverhältnis sei zudem seit Jahren durch verspätete Arbeitsaufnahmen und erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten belastet gewesen. Das Arbeitsgerich t hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 12. Oktober 2010 nicht aufgelöst worden ist. 10 11 12 13 14 - 5 - 2 AZR 120/12 - 6 - Die gegen die ordentliche Kündigung gerichtete Klage hat es abgewiesen. Mit der Revi sion begehrt der Kläger, die ers tinstanzliche Entscheidung wiederhe r- zustellen . Entscheidungsgründe Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die ordentliche Kündigung vom 15. Oktober 2010 zu Recht für sozial g e- rechtfertigt gehalten. I. Die Revision ist zulässig. Sie ist rechtzeitig eingelegt und ordnungsg e- mäß begründet worden. 1. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revision s- gründe. Bei einer Sachrüge muss die Rev isionsbegründung den vermeintlichen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Sie muss dazu eine Auseina n- derset zung mit den tragenden Argumenten des angefochtenen Urteils entha l- t en. Dies erfordert die konkrete Darlegung der Gründe, aus denen das Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 811/11 - Rn. 12; 16. November 2011 - 4 AZR 234/10 - Rn. 15) . 2. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung - noch - gerecht. Der Kläger hat darge legt, dass und aus welchen Gründen er die tragende A n- nahme des Landesarbeitsgerichts, bei Ausspruch der Kündigung sei mit einer Haftdauer von mehr als zwei Jahren zu rechnen gewesen, für rechtsfehlerhaft hält. II. Die Revi sion ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die ordentliche Kü n- digung vom 15. Oktober 2010 aufgelöst worden. 15 16 17 18 19 - 6 - 2 AZR 120/12 - 7 - 1. Die Kündigung ist iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe in der Pe rson des Klägers bedingt . a) Als Kündigungsgrund in der Person des Arbeitnehmers kommen U m- stände in Betracht, die auf einer in de sse n persönlichen Verhältnissen oder E i- (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 13 ; 5. Juni 2008 - 2 AZR 984/06 - Rn. 27 mwN) . Z u diesen zählt eine Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers, die auf einer Straf - oder Unters u- chungshaft beruht ( BAG 25. November 2010 - 2 AZR 984/08 - Rn. 12 , BAGE 136, 213 ; 22. September 1994 - 2 AZR 719/93 - zu II 1 der Gründe) . D e- ren Qualifizierung als Grund in der Person des Arbeitnehmers läss t es zu , auf eine mögliche Resozialisierung des straffällig gewordenen Arbeitnehmers B e- dacht zu nehmen. Nicht jede Freiheitsstrafe kann ohne Rücksicht auf ihre Da u- er und i hre Auswirkungen zum Verlust des Arbeitsplatzes führen (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 13 ) . b) Eine Würdigung des der Haft zugrunde liegenden Tatg eschehens unter verhaltensbedingten Gesichtspunkten ist nur veranlasst, wenn dieses einen B e- zug zum Arbeitsverhältnis hat oder der Arbeitnehmer auf andere Weise arbeit s- vertragliche Pflichten, insbesondere seine Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) verletzt hat (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 14) . Das ist hier nicht der Fall. Das Landesar beitsgericht hat das Vorliegen d er entspr e- chenden Voraussetzungen verneint. Da gegen wendet sich die Beklagte nicht. Sie stützt die Kündigung nurmehr auf die im Erklärungszeitpunkt zu erwarte n- den h aftbedingten Abwesenheitszeiten des Klägers. c) Voraussetzu ng einer Kündigung wegen haftbedingter Arbeitsverhind e- rung ist, dass der Arbeitnehmer aller Voraussicht nach für eine verhältnismäßig erhebliche Zeit nicht in der Lage sein wird, seine arbeitsvertraglichen Verpflic h- tungen zu erfüllen (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 1 5 ) . aa) Maßgebend für die vom Arbeitgeber insoweit anzustellende Prognose sind die objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungse r- klärung. Die tatsächliche Entwicklung nach Kündigungsausspruch kann nur in 20 21 22 23 24 - 7 - 2 AZR 120/12 - 8 - engen Grenzen Berücksichtigung finden ( BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 1 7; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 52, BAGE 134, 349 ) . bb) Grundlage für die Prognose muss nicht zwingend eine bereits erfol g- te - rechtskräftige - strafgerichtliche Verurteilung sein. Die Erwartung, der A r- beitnehmer werde für längere Zeit an der Erbringung seiner Arbeitsleistung g e- hindert sein, kann auch im Fall der Untersuchungshaft berechtigt sein. Dann kommt es darauf an, ob die der vorläufigen I nhaftierung zugrunde liegenden Umstände bei objektiver Betrachtung mit hinreichender Sicherheit eine solche Prognose rechtfertigen. Da ohne rechtskräftige Verurteilung nicht auszuschli e- ßen ist , dass sich die Annahme als unzutreffend erweist, muss der Arbei tgeber vor Ausspruch der Kündigung alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts untern o mmen , insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben ha ben . d) Die (prognostizierte) Nichterfüllung der Arbeitspflicht muss sich n achte i- lig auf das Arbeitsverhältnis auswirken. Da der Arbeitgeber im Fall der haftb e- dingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers typischerweise von der Lohnza h- lungspflicht befreit ist (§ 616 Abs. 1, § 275 Abs. 1, § 326 Abs. 1 BGB) , hängt es von der Dauer d er Haft sowie Art und Ausmaß der betrieblichen Auswirkungen ab, ob die Inhaftierung geeignet ist, einen Grund zur Kündigung abzugeben . Das ist sie nicht , wenn es dem Arbeitgeber zu zu mut en ist, für die Zeit des haf t- bedingten Arbeitsausfalls Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen und dem Arbeitnehmer den Arbeitsplatz bis zur Rückkehr aus der Haft frei zu halten (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 1 5; 20. November 1997 - 2 AZR 805/96 - zu II 3 der Gründe ) . Jedenfalls dann, wenn im Kündigungsze itpunkt mit einer mehrjährigen haftbedingten Abwesenheit des Arbeitnehmers ge rechne t werden muss , kann dem Arbeitgeber regelmäßig nicht zugemutet werden, l e- di g lich vorläufig e Ma ßnahmen zu ergreifen und auf eine dauerhafte Neubese t- zung des Arbeitsplatzes zu verzichten ( BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 23 ) . e) Liegt eine beachtliche Störung vor, bedarf es der abschließenden, alle Umstände des Einzelfalls einbeziehenden Abwägung, ob es dem Arbeitgeber 25 26 27 - 8 - 2 AZR 120/12 - 9 - unter Berücksichtigung der Interessen beider Vertrag steile dennoch zumutbar war, das Arbeitsverhältnis bis zum Wegfall des Hinderungsgrundes fortzuse t- zen. Sowohl bei der Frage, ob von einer erheblichen Störung des Austausc h- verhältnisses auszugehen ist, als auch bei der Interessenabwägung ist zu b e- rücksichti gen, dass der Arbeitnehmer die haftbedingte Arbeitsverhinderung in aller Regel selbst zu vertreten hat ( vgl. BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 1 5 ) . f) Danach ist die Kündigung vom 15. Oktober 2010 sozial gerechtfertigt. Das Arbeitsverhältnis war im Kündigungszeitpunkt durch die zu erwartende haftbedingte Arbeitsverhinderung des Klägers erheblich belastet. Das Freiha l- ten des Arbeitsplatzes war der Beklagten nach den Umständen des Falls nicht zumutbar . aa) Im Kündigungszeitpunkt musste die Beklagte mit hoher Gewissheit d a- mit rechnen, dass der Kläger für die Dauer mehrerer Jahre an der Erbringung seiner Arbeitsleistung ver hindert wäre . (1) Der Kläger befand sich bei Zugang der Kündigung bereits seit v ier W o- chen in Untersuchungshaft. Der Beklagten war das dem Kläger vorgeworfene Delikt bekannt. Sie hat te alle ihr möglich en Maßnah men zur K lärung einer mö g- lichen Haftdauer ergriffen, insbesondere dem Kläger über seinen Prozessb e- vollmächtigten Gelegenheit g egeben , zum Tatvorwurf Stellung zu nehmen . Der Kläger hat zu keiner Zeit bestritten, die Straftat begangen zu haben. Sein Pr o- zessbevollmächtigte r hatte erklärt, ein kurzfristiges Ende der Inhaftierung sei nicht abzusehen. (2) Unter diesen Umständen und na ch den ihr vorliegenden Informationen musste die Beklagte davon ausge hen, der Kläger habe die ihm vorgeworfene Straftat tatsächlich begangen. Aus ihrer - objektiv berechtigten - Sicht stand deshalb als sicher zu erwarten, dass d er Kläger strafrechtlich ver urteilt würde. Ungewiss war allenfalls das Maß der zu erwartende n Straf e. Für der en mögl i- che Höhe gab es allerdings objektive Anhaltspunk te. D er Kläger war im Jahr 2008 wegen eines ähnlichen D elikts zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahr en 28 29 30 31 - 9 - 2 AZR 120/12 - 10 - verurteilt worden. In Anbetracht seiner erneuten Straffälligkeit noch innerhalb des Bewährungszeitraums und der ihr bekannten Tatumstände , insbesondere der Menge der aufgefundenen Cannabispflanzen und des in ihnen enthaltenen Wirkstoffs , musste die Beklagte damit rec hnen, dass das Strafmaß für die e r- neute Straftat jedenfalls nicht geringer als zuvor ausfiele und zudem die Au s- setzung der Vorstrafe zur Bewährung widerru fen würde . (3) Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger gleichwohl vorzeitig und alsbald seine Tätigkeit wieder würde aufnehmen können, waren bei Künd i- gungszugang nicht ersichtlich. Der Kläger hatte zu diesem Zeitpunkt einen A n- trag auf Durchführung einer Therapie nach § 35 BtMG noch nicht gestellt, de m- entsprechend hatte die Beklagte keine Kenntnis v on s einer späteren Einsicht und Therapieb ereitschaft. Der Kläger hat im Übrigen nicht behauptet, er sei während der Durchführung der - teilstationären - Therapie arbeitsfähig gew e- sen. Ob und ggf. wann ein Rest der zu verbüßenden Freiheitsstrafe zur Bewä h- ru ng ausgesetzt würde, war deshalb im Kündigung szeitpunkt völlig unklar. bb) Angesichts dessen war der Beklagten ein Festhalten am Arbeitsve r- hältnis über die ordentliche Kündigungsfrist hinaus nicht zu zu mut en . (1) Die Beklagte musste mit der Erklärung der Kündigung als solcher nicht noch zuwarten. Sie war nicht etwa verpflichtet, den Arbeitsplatz bis zur En t- scheidung über eine mögliche Strafaussetzung zur Bewährung frei zu halten. Zwar kann sich aus § 241 Abs. 2 BGB eine Verpflichtung des Arbeitgebers e r- geben, den Arbeitnehmer bei seinem Streben nach Vollzugslockerungen zu unterstützen (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 984/08 - Rn. 28 , BAGE 136, 213 ; 9. März 1995 - 2 AZR 497/94 - zu II 5 der Gründe) . Im Streitfall war a ber völlig ungewiss, ob und wann dem Kläger eine Aussetzung seiner Strafe g e- währt würde. Die Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer in seinem Resoz i- alisierungsbemühen zu unterstützen, geht nicht so weit, diesem auf die vage Aussicht hin, in ferner Zuku nft eine Vollzugslockerung zu erreichen, bis zum Zeitpunkt einer Klärung, dh. möglicherweise über Monate hinweg die Rückkehr auf den Arbeitsplatz zu ermöglichen . 32 33 34 - 10 - 2 AZR 120/12 - 11 - (2 ) Der Darlegung konkreter Betriebsablaufstörungen bedurfte es wegen der für den K läger zu erwartenden mehr als zwei jähr igen Freiheitsstrafe und der damit ve rbundenen hohen Wahrscheinlichkeit einer entsprechend langen A b- wesenheit nicht. (a) Der Arbeitsvertrag ist auf den ständigen Austausch von Leistung und G egenleistung gerichtet. Die Verpflichtung des Arbeitnehmers geht dahin, dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, damit dieser sie im Rahmen seiner arbeitsteiligen Betriebsorganisation sinnvoll einsetzen kann. Ist der Arbeitnehmer dazu nicht in der Lage, tritt hins ichtlich seiner Arbeitsleistung Unmöglichkeit ein, wenn - wie bei lang andauernder Arbeitsverhinderung die R egel - eine Nachleistung beiden Seiten nicht zugemutet werden kann (ErfK/Preis 13 . Aufl. § 611 BGB Rn. 676) . Zugleich ist der Arbeitgeber gehi n- dert, von seinem Weisungsrecht Gebrauch zu machen , und muss, wenn er se i- ne bisherige Arbeitsorganisation unverändert aufrechterhalten will, für eine a n- derweitige Erledigung der Arbeit sorgen. Bereits darin liegt eine Beeinträcht i- gung der betrieblichen Interesse n (BAG 24. März 2 011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 20 ) . (b) Zumindest dann, wenn im Kündigungszeitpunkt noch eine Haftstrafe von mehr als zwei Jahren zu verbüßen ist und eine Entlassung vor Ablauf von zwei Jahren nicht sicher zu erwarten steht, kann dem Arbeitgebe r regelmäßig nicht zugemutet werden, lediglich Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen und auf eine dauerhafte Neubesetzung des Arbeitsplatzes zu verzichten. Dabei ist neben den bereits angesprochenen Unwägbarkeiten zu berücksichtigen, dass dem Arbeitgeber die Möglichkeit zur Beschäftigung einer Aushilfskraft im sac h- grundlos befristeten Arbeitsverhältnis lediglich für einen Zeitraum von 24 Monaten eröffnet ist. Er kann deshalb bei längerer Haftzeit nicht damit rec h- nen, die Abwesenheit des Arbeitnehmers einigermaßen problemlos überbr ü- cken zu können. Hinzu kommt, dass mit zunehmender Haftdauer die Verwirkl i- chung des Vertragszwecks in Frage gestellt wird. Eine mehrjährige Abwese n- heit des Arbeitnehmers geht typischerweise mit einer Lockerung seiner Bindu n- gen an den Betrieb und die Belegschaft sowie dem Verlust von Erfahrungswi s- 35 36 37 - 11 - 2 AZR 120/12 - 12 - sen einher, das aus der täglichen Routine resultiert. Dementsprechend muss der Arbeitgeber bei der Rückkehr eines langjährig inhaftierten Arbeitnehmers mit Einarbeitungsaufwand rechnen (BAG 24. März 2 011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 23) . (c) Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, selbst bei mehrjähriger Haftstrafe bloße Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen, besteht auch nicht aus Grü n- den der Resozialisierung. Zwar hat er bei kurzzeitigen Inhaftier ungen oder in Fällen, in denen nach Ablauf der Kündigungsfrist zeitnah eine Weiterbeschäft i- gung im offenen Vollzug möglich ist, auf die entsprechenden Belange des A r- beitnehmers angemessen Rücksicht zu nehmen. Dies rechtfertigt es aber nicht, vom Arbeitgebe r zu verlangen, den Arbeitsplatz für den inhaftierten Arbeitne h- mer für voraussichtlich mehr als zwei Jahre frei zu halten und ihm die damit verbundenen Lasten aufzuerlegen (BAG 24. März 20 11 - 2 AZR 790/09 - Rn. 24) . Die durchaus strengeren Anforderungen a n eine Kündigung wegen lang anhaltender Erkrankung (vgl. BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 27 mwN, BAGE 123, 234; 29. April 1999 - 2 AZR 431/98 - zu II 3 a der Gründe, BAGE 91, 271) beruhen darauf, dass eine schwere Krankheit - anders als eine Freiheitsstrafe - für den Betroffenen in der Regel unvermeidbar war (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 984/08 - Rn. 26, BAGE 136, 213 ) . ( 3 ) Die Interessenabwägung führt nicht zu einem Überwiegen der Belange des Klägers. Zwar ist zu seinen Gunsten eine fast d reizehnjährige Dauer der Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen. Gleichwohl geht das Beendigungsi n- teresse der Beklagten vor. Im Jahr 2008 befand sich der Kläger schon einmal für die Dauer von v ier Wochen in Untersuchungshaft. Seinen neu erlich en, aller Vo raussicht nach lang dauernd en Ausfall hat der Kläger selbst verschuldet. D a- bei wiegt besonders schwer, dass er während einer laufenden Bewährung s- phase erneut straffällig geworden ist. Im Rahmen der Interessenabwägung e r- hebliche, ihn entlastende besondere Um stände hat der Kläger nicht vorgetr a- gen. Von der Beklagten kann deshalb nicht verlangt werden, das Arbeitsve r- hältnis mit ihm fortzusetzen . 38 39 - 12 - 2 AZR 120/12 2. Andere Gründe , aus denen d ie Kündigung vom 15. Oktober 2010 u n- wirksam sein könnte, sind nicht ersichtlich. Den Betriebsrat hat die Beklagte ordnungsgemäß nach § 102 Abs. 1 BetrVG angehört. III. Die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO der Kläger zu tragen. Kreft Berger Rinck Beckerle Torsten Falke 40 41

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