2. Senat - Personenbedingte Kündigung - Sonderkündigungsschutz eines Ersatzmitglieds des Betriebsrats
Karar Dilini Çevir:
2. Senat - Personenbedingte Kündigung - Sonderkündigungsschutz eines Ersatzmitglieds des Betriebsrats
- 2 - BUNDESARBEITSGERICHT 2 AZR 233/11 2 Sa 634/09 Landesarbeitsgericht München Im Namen des Volkes! Verkündet am 19. April 2012 URTEIL Schmidt, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle In Sachen Kläger, Berufungskläger, Anschlussberufungsbeklagter und Revisionskläger, pp. Beklagte, Berufungsbeklagte, Anschlussberufungsklägerin und Revisionsbeklagte, hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. April 2012 durch den Vorsitzenden Richter am Bundes-arbeitsgericht Kreft, den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Eylert, die Richte- - 2 - 2 AZR 233/11 - 3 - rin am Bundesarbeitsgericht Rachor sowie die ehrenamtlichen Richter Frey und Dr. Grimberg für Recht erkannt: Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landes-arbeitsgerichts München vom 5. August 2010 - 2 Sa 634/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen. Von Rechts wegen! Tatbestand Die Parteien streiten über den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses sowie über die Entfernung von Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers. Die Beklagte ist ein international tätiges IT-Beratungs- und Systeminte-grationsunternehmen mit ca. 2000 Mitarbeitern in Deutschland. Der Kläger ist Jurist. Von Dezember 1999 bis November 2000 nahm er erfolgreich an einem Qualifikationsprogramm „Applikationsentwickler Client-Server“ teil. Wenige Wochen vor dem Ende dieses Programms besuchte ein Bereichsleiter der Beklagten den Kurs und forderte die Teilnehmer auf, sich bei dieser zu bewer-ben. Auf seine Bewerbung hin wurde der Kläger zum 1. Dezember 2000 von der Beklagten als Organisationsprogrammierer eingestellt. Zu seinen vertragli-chen Aufgaben gehörte ua. die „Programmierung von Anwendersoftware“ und die „Beratung in Organisations- und Systemfragen“. Der Kläger wurde zunächst im B-Projekt PPC eingesetzt und mit der Konzepterstellung, einer Projektassistenz sowie dem Erstellen eines Hand-buchs beauftragt. Nach Abschluss des Projekts war er weiter für den Kunden B im Projekt „Produkt Qualitätsmanagement“ bis zu dessen Ende im Herbst 2004 tätig. Zwischenzeitlich wurde die Abteilung „TA Applications Consulting und Development“, in der der Kläger beschäftigt war, aufgelöst. Deshalb sollte er ab Mai 2005 im Bereich Programmierung eingesetzt werden. Zu diesem Zweck wurde ihm zunächst ein Skript zum Selbststudium überlassen. Eine beabsich- 1 2 3 - 3 - 2 AZR 233/11 - 4 - tigte zweimonatige Schulung in der Filiale P scheiterte. Danach sollte der Kläger sich in ein bestimmtes Securitysystem einarbeiten. Hierzu nahm er an mindestens zwei Schulungen teil. Im August 2006 wurde er im Projekt „B-Atlas“ eingesetzt. Im März 2007 sollte er im Programmierbereich tätig werden, löste aber die ihm gestellte Aufgabe nicht. Im Mai 2007 initiierte der Kläger zusammen mit Kollegen eine Betriebs-versammlung zur (erstmaligen) Wahl eines Betriebsrats. Am 20. Juni 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Par-teien außerordentlich wegen Arbeitsverweigerung. Am 10. Oktober 2007, einen Tag vor der Betriebsratswahl, schickte der Kläger eine E-Mail an 20 Mitarbeiter der Beklagten, in der er ua. ausführte: „Wie Ihr vielleicht wisst, wurde ich am 20.6. fristlos gekün-digt, es wurden zwar kein Gründe angegeben, aber es liegt natürlich auf der Hand, dass man mit dieser Maß-nahme den Betriebsrat verhindern wollte.“ Wegen dieser E-Mail kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis am 23. Oktober 2007 erneut außerordentlich. Das Arbeitsgericht stellte die Unwirk-samkeit der Kündigungen vom 20. Juni und 23. Oktober 2007 rechtskräftig fest und verurteilte die Beklagte, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Organisationsprogrammierer weiterzubeschäf-tigen. Am 31. Januar 2008 mahnte die Beklagte den Kläger mit der Begrün-dung ab, er habe gegenüber einem Mitarbeiter erklärt, man müsse sie - die Beklagte - in allen Belangen „hart anfassen“. Mit einer Abmahnung vom 5. Februar 2008 wurde ihm vorgeworfen, er habe sich nicht acht Stunden täglich auf einen Arbeitseinsatz vorbereitet. Mit einer weiteren Abmahnung vom 19. Februar 2008 rügte die Beklagte die fehlende Bereitschaft des Klägers, seine Programmiererfähigkeiten gutachterlich untersuchen zu lassen. Am 4. März 2008 erstellte ein IT-Sachverständiger nach zwei Gesprä-chen mit dem Kläger ein Gutachten über dessen Qualifikations- und Kenntnis-stand im Bereich der Softwareentwicklung. Er kam zu dem Ergebnis, dass der 4 5 6 7 8 - 4 - 2 AZR 233/11 - 5 - Kläger nicht über die erforderliche fachliche Qualifikation verfüge, um eine Tätigkeit als Organisationsprogrammierer zu erbringen. Die Beklagte hörte den bei ihr bestehenden Betriebsrat am 6. März 2008 zu einer außerordentlichen fristlosen, hilfsweise außerordentlichen Kündi-gung mit Auslauffrist an. Der Personalausschuss des Betriebsrats stimmte den beabsichtigten Kündigungen zu. Mit Schreiben vom 10. März 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos, hilfsweise außeror-dentlich mit einer Auslauffrist zum 30. Juni 2008. Zugleich erteilte sie dem Kläger Hausverbot. Nach Auslaufen des nachwirkenden Kündigungsschutzes als Bewerber zur Betriebsratswahl hörte die Beklagte den Betriebsrat mit Schreiben vom 16. April 2008 zu einer ordentlichen Kündigung des Klägers aus personen- und verhaltensbedingten Gründen an. Der Vorsitzende des Personalausschusses teilte am 17. April 2008 die Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung mit. Am gleichen Tag kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. September 2008. Zum 30. April 2008 schied einer der beiden bei der Beklagten beschäf-tigten Juristen aufgrund einer Eigenkündigung vom Januar 2008 aus. Spätes-tens zum 1. Oktober 2008 stellte die Beklagte einen Juristen neu ein. Am 13. Oktober 2008 wollte der Kläger als Ersatzmitglied an einer außerhalb des Betriebs stattfindenden Sitzung des Betriebsrats teilnehmen. Der Vorsitzende verweigerte ihm dies. Da der Kläger nicht freiwillig gehen wollte, rief er die Polizei zu Hilfe. Hierzu nahm der Kläger am 7. November 2008 nach Aufforderung durch die Beklagte wie folgt Stellung: „Da Sie zweifellos nicht das Hausrecht über die Gaststätte ... ausüben, besteht kein Anlass, zu Ihrem Schreiben näher Stellung zu nehmen. Einen besseren Beweis als Ihr Schreiben, dass der m Betriebsrat unternehmensgesteuert, unternehmensdomi-niert und unternehmensbestimmt ist und dass Sie ihn lediglich als Hilfsorgan ansehen, hätten Sie gar nicht liefern können.“ 9 10 11 12 - 5 - 2 AZR 233/11 - 6 - In einem Schreiben vom 27. November 2008 wiederholte der Kläger den Vorwurf, der Betriebsrat sei von der Beklagten nicht unabhängig. Die Beklagte forderte ihn am 3. Dezember 2008 auf, diese Äußerung zurückzu-nehmen und den Betriebsfrieden zukünftig nicht mehr zu stören. Mit einem als „Abmahnung und Aufforderung zum Widerruf“ über-schriebenen Schreiben vom 23. Dezember 2008 rügte die Beklagte den Kläger wegen seiner Äußerung in der E-Mail vom 10. Oktober 2007 und forderte ihn auf, gegenüber den Empfängern dieser Mail bis 9. Januar 2009 seine Äußerung zu widerrufen, andernfalls behalte sie sich arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zum Ausspruch einer Kündigung vor. Nachdem die Beklagte den Betriebsrat zu einer weiteren außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung ange-hört und der Personalausschuss mitgeteilt hatte, dass dagegen keine Einwände bestünden, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis am 21. Januar 2009 außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Mit Schreiben vom 11. Februar 2009 kündigte sie das Arbeitsverhältnis ein weiteres Mal außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin, nachdem der Personalausschuss auch dagegen keine Einwände erhoben hatte. Mit Schreiben vom 7. April 2009 erklärte die Beklagte die Anfechtung des Arbeitsverhältnisses, weil der Kläger nicht programmieren könne und ihm diese Fähigkeit bereits bei Abschluss des Vertrags gefehlt habe. Der Kläger hat mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage geltend gemacht, sämtliche Kündigungen seien unwirksam. Er habe zu keiner Zeit die Arbeit verweigert. Die ihm gestellten Aufgaben seien jedoch zu schwierig und die angebotenen Schulungen für ihn als Anfänger nicht geeignet gewesen. Ein Fachfremder könne in einer einjährigen Schulung das Programmieren nicht lernen. Die Beklagte habe bei seiner Einstellung gewusst, dass er lediglich eine Qualifizierungsmaßnahme von einem Jahr absolviert habe. Trotz seiner unzu-reichenden Kenntnisse habe sie ihn eingestellt und fünf Jahre lang ohne Pro-grammiertätigkeiten beschäftigt. Nach Ablauf der Probezeit könne sie sich deshalb nicht mehr auf unzulängliche Kenntnisse berufen. Er könne weiterhin in einem der Tätigkeitsbereiche eingesetzt werden, in dem er jahrelang gearbeitet 13 14 15 16 - 6 - 2 AZR 233/11 - 7 - habe. Auch sei während der Kündigungsfrist die Stelle eines Juristen zur Nachbesetzung frei gewesen, die ihm habe übertragen werden können. Im Übrigen sei er ordentlich unkündbar gewesen. Bei Ausspruch der Kündigung vom 17. April 2008 habe ihm der nachwirkende Kündigungsschutz als Ersatzmitglied zugestanden. In den Betriebsratssitzungen am 28. oder 29. Februar, 29. März und 28. April 2008 seien ordentliche Betriebsratsmitglie-der verhindert gewesen. Gleichwohl sei er nicht geladen worden. Die Abmahnungen vom 31. Januar, 5. Februar, 26. Februar und 23. Dezember 2008 seien unwirksam und deshalb zurückzunehmen und aus der Personalakte zu entfernen. Der Kläger hat - soweit für die Revision von Bedeutung - beantragt 1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 10. März 2008 nicht beendet worden ist; 2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 17. April 2008 nicht zum 30. September 2008 beendet worden ist; 3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung vom 21. Januar 2009 noch durch die hilfsweise ausgesprochene Kündigung von diesem Tage zum 30. Juni 2009 beendet worden ist; 4. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung vom 11. Februar 2009 noch durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung von diesem Tage zum 30. Juni 2009 beendet worden ist; 5. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräfti-gen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäf-tigen; 6. die Beklagte zu verurteilen, die ihm mit Schreiben vom 31. Januar 2008, 5. Februar 2008, 26. Februar 2008 und 23. Dezember 2008 erteilten Abmahnun-gen zurückzunehmen und aus der Personalakte zu entfernen. 17 18 19 - 7 - 2 AZR 233/11 - 8 - Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise für den Fall der Unwirksamkeit der Kündigungen vom 10. März und 17. April 2008 das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2, § 10 Abs. 1 KSchG gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, die jedoch 8.042,28 Euro brutto nicht übersteigen sollte, zum 30. September 2008 aufzulösen. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Kündigung vom 17. April 2008 sei aus verhaltensbedingten und personenbedingten Gründen gerechtfer-tigt. Entweder habe der Kläger trotz Abmahnungen die Arbeit verweigert oder er sei nicht in der Lage, zu programmieren. Seine ursprüngliche Tätigkeit könne er nicht mehr ausüben, seine Abteilung sei bereits 2005 aufgelöst worden. Eine Weiterbeschäftigung im Rahmen von Projekten sei nicht möglich. Sämtliche Projekte seien abgeschlossen, es gebe nur noch freie Stellen als Programmie-rer. Für eine Tätigkeit im Bereich Business fehle dem Kläger die notwendige Qualifikation. Sie sei nicht verpflichtet gewesen, den Kläger auf der frei gewor-denen Juristenstelle, einer Beförderungsstelle, weiterzubeschäftigen. Die Position habe zunächst nicht nachbesetzt werden sollen. Erst Anfang Juli 2008 habe sie entschieden, wieder einen Juristen einzustellen. Die Kündigung vom 21. Januar 2009 sei begründet, weil der Kläger trotz Abmahnung und Aufforde-rung mit Fristsetzung die beleidigenden Äußerungen in seiner E-Mail vom 10. Oktober 2007 nicht widerrufen habe. Die Kündigung vom 11. Februar 2009 beruhe auf dem Vorwurf, der Betriebsrat sei unternehmensgesteuert. Die Anfechtung sei wirksam. Bei der Fähigkeit zu programmieren handele es sich um eine verkehrswesentliche Eigenschaft. In jedem Fall sei das Arbeitsverhält-nis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Es sei zerrüttet. Der Kläger habe sie anlässlich der letzten Betriebsratswahl erheblich diskreditiert. Der Kläger hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen. Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 10. März 2008 weder fristlos noch mit einer sozialen Auslauf-20 21 22 23 - 8 - 2 AZR 233/11 - 9 - frist aufgelöst worden ist. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Lan-desarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine noch rechtshängigen Klageanträge weiter. Entscheidungsgründe Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zu Recht zurückgewiesen. Die Kündigung vom 17. April 2008 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. September 2008 aus personenbedingten Gründen iSd. § 1 Abs. 2 KSchG rechtswirksam been-det. I. Die Kündigung vom 17. April 2008 ist aus Gründen in der Person des Klägers iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. 1. Zum Zeitpunkt der Kündigung vom 17. April 2008 bestand zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis. a) Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist, wie das Landesarbeitsgericht mangels Revision der Beklagten rechtskräftig festgestellt hat, durch die Kündi-gung vom 10. März 2008 nicht aufgelöst worden. b) Das Arbeitsverhältnis ist von der Beklagten mit ihrem Schreiben vom 7. April 2009 nicht wirksam - und dann rückwirkend zum März 2008 - angefoch-ten worden. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht das Vorliegen eines Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft nach § 119 Abs. 2 BGB verneint. aa) Fehlt einem Vertragspartner die fachliche Qualifikation, die dem Vertrag von den Parteien ersichtlich zugrunde gelegt worden ist, kann dies zu einer Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB berechtigen. 24 25 26 27 28 29 - 9 - 2 AZR 233/11 - 10 - bb) Der Beklagten war bei der Einstellung des Klägers bekannt, dass dieser nur für ein Jahr an dem Qualifizierungsprogramm „Applikationsentwickler Client-Server“ teilgenommen hatte. Es fehlt deshalb an einem schlüssigen Vortrag dahin, dass sie die Kenntnisse, die sie mittlerweile beim Kläger als erforderlich ansieht, schon bei Vertragsschluss gefordert und zur Voraussetzung des Arbeitsvertrags gemacht hat. cc) Auf die Frage, ob die Beklagte die Anfechtung unverzüglich iSd. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB erklärt hat, kommt es nicht mehr an. 2. Die Kündigung vom 17. April 2008 ist durch Gründe in der Person des Klägers bedingt. a) Das Landesarbeitsgericht hat mit Bezug auf das Gutachten des IT-Sachverständigen zum Qualifikations- und Kenntnisstand des Klägers im Bereich der Softwareentwicklung angenommen, dass diesem die wesentlichen Grundlagen des Programmierens fehlten und er sich die notwendigen Kennt-nisse nur durch eine zweijährige Ausbildung hätte aneignen können. Diese Feststellungen greift die Revision nicht an. b) Aufgrund dieses in einem vertretbaren Zeitraum nicht zu behebenden Mangels an Programmierkenntnissen des Klägers lag zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung eine erhebliche Störung des Arbeitsverhältnisses der Parteien vor (vgl. dazu BAG 16. Februar 1989 - 2 AZR 299/88 - zu B der Grün-de, BAGE 61, 131; KR/Griebeling 9. Aufl. § 1 KSchG Rn. 271 ff.). Der Umstand, dass dieser Mangel in den ersten Jahren des Bestehens des Arbeitsverhältnis-ses nicht zum Tragen kam, weil der Kläger zunächst vertragsgemäß anderwei-tig beschäftigt worden war, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Das Fehlen von Kenntnissen für die vertraglich gleichermaßen geschuldete Tätigkeit als Organisationsprogrammierer hat die Beklagte mit dem mehrjährigen anderwei-tigen Einsatz nicht „gebilligt“. 30 31 32 33 34 - 10 - 2 AZR 233/11 - 11 - c) Die weitere Feststellung des Landesarbeitsgerichts, die Störung des Arbeitsverhältnisses könne nicht durch eine anderweitige Beschäftigung des Klägers beseitigt werden, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. aa) Zwar bestand die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit des Klägers nicht allein im Programmieren, sondern auch in der Beratung. Auch wurde er jahrelang nicht als Programmierer beschäftigt. Ein Mangel von Programmier-kenntnissen des Klägers rechtfertigt deshalb für sich allein noch nicht die Annahme, die Beklagte könne ihn nicht mehr vertragsgerecht beschäftigen. Das Landesarbeitsgericht ist jedoch nach Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, der Kläger habe nicht mehr wie zuvor in Projekten ohne Programmier-tätigkeit beschäftigt werden können. Die bisherigen Projekte seien ausgelaufen. Künftig werde es solche nicht mehr in gleicher Weise wie bisher geben. Tätig-keiten wie die Administration von Hard- und Software und die Durchführung von Schulungsveranstaltungen würden von den Programmierern miterledigt. Eine Umorganisation von Arbeitsplätzen sei nicht möglich, weil mittlerweile alle Mitarbeiter Programmierkenntnisse haben müssten. Weiterbeschäftigungsmög-lichkeiten wie bisher gebe es für den Kläger nicht. Freie Arbeitsplätze gebe es nur noch im Bereich Programmierung. Der Kläger hat sich gegen diese Be-weiswürdigung nicht gewandt. bb) Die Beklagte musste den Kläger auch nicht auf der Stelle des ausge-schiedenen Juristen weiterbeschäftigen. Das Landesarbeitsgericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon ausgegangen, zum Zeitpunkt der Kündi-gung habe für die Beklagte nicht festgestanden, dass die Stelle eines Juristen zum Ablauf der Kündigungsfrist zur Verfügung stehen würde. Nach den glaub-haften Aussagen der Zeugen B und R sei eine Nachbesetzung der frei gewor-denen Stelle zunächst nicht vorgesehen gewesen. Erst nach Ausspruch der Kündigung im Juli 2008 habe sich die Situation geändert. d) Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene abschließende Interes-senabwägung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Revision zeigt nicht auf, dass dieses wesentliche Umstände oder erhebliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen hätte. 35 36 37 38 - 11 - 2 AZR 233/11 - 12 - II. Die Kündigung vom 17. April 2008 ist nicht wegen fehlerhafter Anhö-rung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Das Landesarbeitsgericht hat die ausführliche Unterrichtung des Betriebsrats vom 16. April 2008 zu Recht als hinreichend angesehen. Die Revision rügt auch das nicht. III. Die Kündigung vom 17. April 2008 verstößt nicht gegen § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG. Der Kläger genoss keinen besonderen Kündigungsschutz. 1. Der besondere Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG besteht für Ersatzmitglieder des Betriebsrats solange, wie sie ein zeitweilig verhindertes ordentliches Mitglied vertreten. Der besondere Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG besteht für die Dauer eines Jahres nach dem Ende ihrer Tätigkeit als Ersatzmitglied (vgl. BAG 5. November 2009 - 2 AZR 487/08 - Rn. 26, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 65 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 64; 18. Mai 2006 - 6 AZR 627/05 - Rn. 23, AP KSchG 1969 § 15 Ersatzmitglied Nr. 2 = EzA ArbGG 1979 § 69 Nr. 5). Dieser nachwirkende Kündigungsschutz tritt allerdings nur ein, wenn das Ersatzmitglied in der Vertretungszeit konkrete Betriebsratsaufgaben tatsächlich wahrgenommen hat. Der nachwirkende Schutz soll die unabhängige, pflichtgemäße Ausübung des Betriebsratsamts dadurch gewährleisten, dass er den Arbeitgeber nach dem Amtsende ein Jahr lang hindert, eine Kündigung des früheren Betriebsratsmitglieds ohne wichtigen Grund auszusprechen. Das Gesetz setzt darauf, dass sich in dieser Zeit eine mögliche Verärgerung des Arbeitgebers über die Amtsgeschäfte des Betriebs-ratsmitglieds deutlich legt und dieses deshalb während seiner aktiven Zeit unbefangen agieren lässt. Einer solchen „Abkühlungsphase“ bedarf es nicht, wenn das Ersatzmitglied während der Zeit, in der es vertretungshalber nachge-rückt war, weder an Sitzungen des Betriebsrats teilgenommen noch sonstige Betriebsratstätigkeiten ausgeübt hat. Es hat dann dem Arbeitgeber keinen Anlass zu möglichen negativen Reaktionen auf seine Amtsausübung gegeben und bedarf deshalb keines besonderen Schutzes (BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 40, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 39 40 41 - 12 - 2 AZR 233/11 - 13 - Nr. 3; 5. November 2009 - 2 AZR 487/08 - Rn. 16, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 65 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 64). 2. Hiernach stand dem Kläger zum Zeitpunkt der Kündigung ein besonde-rer Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 KSchG nicht zu. a) Ein Fall des § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG liegt nicht vor. Der Kläger war bei Kündigungsausspruch am 17. April 2008 nicht in den Betriebsrat nachge-rückt. b) Ebenso wenig sind die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG gegeben. Zwar war der Kläger als erstes Ersatzmitglied für ein verhindertes reguläres Mitglied Ende Februar und Ende März 2008 in den Betriebsrat nach-gerückt, soweit er nicht seinerseits wegen des Ausspruchs der Kündigung vom 10. März 2008 objektiv verhindert war. Ist ein ordentliches Mitglied verhindert, rückt das betreffende Ersatzmitglied in den Betriebsrat „automatisch“ nach, unabhängig davon, ob es selbst oder etwa der Betriebsratsvorsitzende vom Verhinderungsfall Kenntnis hat (BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 34, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3). Der Kläger hat jedoch auch als nachgerücktes Ersatzmitglied keinerlei Betriebsratstätigkeit erbracht. An den Ende Februar und Ende März 2008 durchgeführten Betriebs-ratssitzungen hat er schon deshalb nicht teilgenommen, weil er nicht geladen worden war. Selbst wenn dies darauf beruht haben sollte, dass der Betriebs-ratsvorsitzende die Nachrückregelung des § 25 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG bewusst ignoriert hat, ändert das nichts daran, dass der Kläger an den Sitzungen des Gremiums tatsächlich nicht teilgenommen und auch sonstige Betriebsratsauf-gaben nicht wahrgenommen hat. Bloß fiktive, in Wirklichkeit aber unterbliebene Tätigkeiten des Ersatzmitglieds lösen den nachwirkenden Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht aus. Etwas anderes käme allenfalls dann in Betracht, wenn die Beklagte den Fehler in der Amtsführung des Betriebsratsvorsitzenden bewusst veranlasst oder mit diesem kollusiv zusammengewirkt hätte (vgl. BAG 4. August 1975 42 43 44 45 - 13 - 2 AZR 233/11 - 14 - - 2 AZR 266/74 - zu III 6 der Gründe, BAGE 27, 209). Dafür fehlt es an Anhalts-punkten. IV. Die Kündigung vom 17. April 2008 ist nicht wegen eines Verstoßes gegen § 612a BGB iVm. § 134 BGB unwirksam. 1. Nach § 612a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Maßnahme nicht deshalb benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Als „Maßnahme“ im Sinne des Gesetzes kommt auch eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht. Sie kann sich als eine Benach-teiligung wegen einer zulässigen Rechtsausübung des Arbeitnehmers darstel-len. Das Maßregelungsverbot ist aber nur dann verletzt, wenn zwischen der Benachteiligung und der Rechtsausübung ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Die zulässige Rechtsausübung muss der tragende Grund, dh. das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme gewesen sein. Es reicht nicht aus, dass die Rechtsausübung nur der äußere Anlass für die Maßnahme war (BAG 12. Mai 2011 - 2 AZR 384/10 - Rn. 38, EzA BEEG § 18 Nr. 1). 2. Nach diesen Grundsätzen kann hier ein Verstoß gegen das Benachtei-ligungsverbot nicht festgestellt werden. Es ist nicht erkennbar, dass etwa die Inanspruchnahme betriebsverfassungsrechtlicher Rechte durch den Kläger der tragende Grund für die Kündigung vom 17. April 2008 war. Bereits ab dem Jahr 2005, also längere Zeit vor der Initiierung der Betriebsversammlung, wurden Schulungsmaßnahmen durchgeführt, um den Kläger mit Programmierungsauf-gaben beschäftigen zu können. Längere Zeit nach der Betriebsversammlung, Ende Februar 2008, erstellte der IT-Sachverständige das Gutachten, das dem Kläger einen nicht ausreichenden Qualifikations- und Kenntnisstand in der Softwareentwicklung bescheinigt und inhaltlich von ihm selbst nicht für falsch gehalten wird. Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, die Aktivitäten des Klägers im Zusammenhang mit dem Anstoß zu einer Be-triebsversammlung und Betriebsratswahl seien der tragende Grund für die Kündigung vom 17. April 2008. 46 47 48 - 14 - 2 AZR 233/11 V. Die weiteren Feststellungsanträge sind unbegründet. Sie setzen sämt-lich das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses über den 30. September 2008 hinaus voraus. VI. Der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens ist dem Senat nicht zur Entschei-dung angefallen. Das Kündigungsschutzverfahren ist rechtskräftig beendet. VII. Der Antrag des Klägers, die vier näher bezeichneten Abmahnungen zurückzunehmen und aus seiner Personalakte zu entfernen, ist unbegründet. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat ein Arbeitnehmer regelmäßig keinen Anspruch mehr auf Entfernung selbst einer zu Unrecht erteilten Abmah-nung aus der Personalakte. Ein solcher Anspruch kann nur ausnahmsweise gegeben sein, wenn objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, eine Abmahnung könne dem Arbeitnehmer auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schaden. Entsprechende Gründe hat der Kläger nicht dargelegt. VIII. Der Kläger hat die Kosten der erfolglosen Revision gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen. Kreft Rachor Eylert Frey Grimberg 49 50 51 52

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