2. Senat - Personenbedingte Kündigung - mehrjährige Freiheitsstrafe
Karar Dilini Çevir:
2. Senat - Personenbedingte Kündigung - mehrjährige Freiheitsstrafe
- 2 - BUNDESARBEITSGERICHT 2 AZR 790/09 2 Sa 1261/08 Landesarbeitsgericht Niedersachsen Im Namen des Volkes! Verkündet am 24. März 2011 URTEIL Schmidt, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle In Sachen Beklagte, Berufungsbeklagte und Revisionsklägerin, pp. Kläger, Berufungskläger und Revisionsbeklagter, hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. März 2011 durch den Vorsitzenden Richter am Bundes-arbeitsgericht Kreft, die Richterinnen am Bundesarbeitsgericht Berger und - 2 - 2 AZR 790/09 - 3 - Rachor sowie die ehrenamtliche Richterin Pitsch und den ehrenamtlichen Richter Gans für Recht erkannt: 1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Lan-desarbeitsgerichts Niedersachsen vom 27. Mai 2009 - 2 Sa 1261/08 - aufgehoben. 2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeits-gerichts Braunschweig vom 24. Juni 2008 - 5 Ca 105/08 - wird zurückgewiesen. 3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revisi-on zu tragen. Von Rechts wegen! Gründe Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündi-gung. Der 1976 geborene ledige Kläger war seit 1992 bei der Beklagten als Industriemechaniker tätig. Sein monatlicher Bruttoverdienst betrug zuletzt 2.500,00 Euro. Die Beklagte ist ein Unternehmen der Automobilindustrie. Sie beschäftigt regelmäßig weit mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden. Im November 2006 wurde der Kläger in Untersuchungshaft genommen. Am 8. Mai 2007 wurde er - bei fortbestehender Inhaftierung - wegen un-erlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sieben Monaten verurteilt. Zudem erfolgte der Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung, die ihm im Hinblick auf eine frühere Ver-urteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten gewährt worden war. Die Beklagte erfuhr im Sommer 2007 von der - inzwischen rechts-kräftigen - Verurteilung des Klägers. Die Parteien verhandelten daraufhin über 1234- 3 - 2 AZR 790/09 - 4 - den Abschluss und die Modalitäten eines Aufhebungsvertrags. Im November 2007 teilte der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten mit, er strebe den offenen Vollzug an und rechne mit baldiger Arbeitsaufnahme. Mitte Januar 2008 wurde für den Kläger ein Vollzugsplan erstellt. Darin sind der „2/3-Zeitpunkt“ für den 16. Februar 2011 und das Strafende für den 7. April 2013 notiert. Die Möglichkeit eines offenen Vollzugs wurde zunächst verneint. Eine Überprüfung dieser Entscheidung war gemäß dem Plan „im Rahmen einer langfristigen vollzuglichen Perspektivplanung“ und vor dem Hintergrund einer möglichen Beschäftigung bei der Beklagten - nach erfolgter Bewährung des Klägers in Vollzugslockerungen - für Dezember 2008 „an-gedacht“. Noch im Januar 2008 lehnte der Kläger einen Aufhebungsvertrag end-gültig ab. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis - nach An-hörung des Betriebsrats - mit Schreiben vom 8. Februar 2008 ordentlich zum 30. April 2008. Den Arbeitsplatz des Klägers besetzte sie aus ihrem Personal-pool. Zu diesem gehören Mitarbeiter, deren Beschäftigungsmöglichkeit entfallen ist, die aber nicht aus dem Unternehmen ausgeschieden sind. Betriebsbedingte Kündigungen sind bei der Beklagten tarifvertraglich ausgeschlossen. Der Kläger hat Kündigungsschutzklage erhoben und geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Betriebsablaufstörungen seien nicht eingetreten. Der Beklagten sei es möglich und zumutbar gewesen, die Zeit seiner Inhaftierung bis zur Gewährung von Freigang zu überbrücken. Insbeson-dere sei ihr zumutbar gewesen, befristet Mitarbeiter einzustellen oder die Stelle intern nur vorübergehend zu besetzen. Sie sei zudem verpflichtet gewesen, ihn bei der Erlangung des Freigängerstatus zu unterstützen. Zumindest habe sie seine Aussicht hierauf nicht durch Beendigung des Arbeitsverhältnisses ver-eiteln dürfen. Schließlich fehle es an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats. Die Beklagte habe es versäumt, diesen von der für Dezember 2008 angedachten Prüfung seiner Eignung für den offenen Vollzug zu unter-richten. 567- 4 - 2 AZR 790/09 - 5 - Der Kläger hat beantragt festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 8. Februar 2008 nicht aufgelöst worden ist. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auf-fassung vertreten, durch den haftbedingten mehrjährigen Ausfall des Klägers sei das Arbeitsverhältnis inhaltsleer geworden. Die befristete Beschäftigung eines anderen Arbeitnehmers auf dem Arbeitsplatz des Klägers habe sie wegen der langen Haftdauer nicht in Betracht ziehen müssen, zumal eine sachgrund-lose Befristung lediglich für einen Zeitraum von zwei Jahren möglich sei. Unabhängig davon benötige sie Planungssicherheit. Sie habe den Arbeitsplatz deshalb dauerhaft anderweitig besetzen dürfen. Ihre Anhörungspflicht nach § 102 BetrVG habe sie nicht verletzt. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des arbeitsgericht-lichen Urteils. Entscheidungsgründe Die Revision ist begründet. Die Kündigungsschutzklage ist unbe-gründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die ordentliche Kündigung vom 8. Februar 2008 aufgelöst worden. I. Die Kündigung ist durch Gründe in der Person des Klägers sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG. 1. Als personenbedingter Kündigungsgrund kommen solche Umstände in Betracht, die auf einer in den persönlichen Verhältnissen oder Eigenschaften des Arbeitnehmers liegenden „Störquelle“ beruhen (BAG 5. Juni 2008 - 2 AZR 984/06 - Rn. 27 mwN, AP BGB § 626 Nr. 212 = EzA KSchG § 1 Personen-bedingte Kündigung Nr. 22). Dazu zählt - anknüpfend an frühere Wertungen 8910111213- 5 - 2 AZR 790/09 - 6 - des Gesetzgebers in § 72 Abs. 1 Nr. 3 HGB (aF) - auch eine Arbeitsver-hinderung des Arbeitnehmers, die auf einer Straf- oder Untersuchungshaft beruht (st. Rspr., BAG 25. November 2010 - 2 AZR 984/08 - Rn. 12; 22. September 1994 - 2 AZR 719/93 - zu II 1 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 25 = EzA KSchG § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 11). Diese Be-trachtung lässt es zu, auf eine mögliche Resozialisierung des straffällig ge-wordenen Arbeitnehmers Bedacht zu nehmen. Nicht jede Freiheitsstrafe kann ohne Rücksicht auf ihre Dauer und ihre Auswirkungen zum Verlust des Arbeits-platzes führen (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 984/08 - aaO; 15. November 1984 - 2 AZR 613/83 - AP BGB § 626 Nr. 87 = EzA BGB § 626 nF Nr. 95). Eine Würdigung des Geschehens unter verhaltensbedingten Gesichts-punkten ist nur veranlasst, wenn die der Verurteilung zugrunde liegenden Taten einen Bezug zum Arbeitsverhältnis haben oder der Arbeitnehmer auf andere Weise arbeitsvertragliche Pflichten, insbesondere seine Pflicht zur Rücksicht-nahme (§ 241 Abs. 2 BGB) verletzt hat (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 984/08 - Rn. 13; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 19 ff., AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 60 = EzA KSchG § 1 Verhaltens-bedingte Kündigung Nr. 77). Auf einen solchen, im Verhalten des Klägers begründeten Kündigungssachverhalt beruft sich die Beklagte nicht. Sie stützt die Kündigung ausschließlich auf die haftbedingten Abwesenheitszeiten des Klägers. 2. Voraussetzung einer - ordentlichen wie außerordentlichen - Kündigung wegen haftbedingter Arbeitsverhinderung ist, dass der Arbeitnehmer für eine verhältnismäßig erhebliche Zeit nicht in der Lage sein wird, seine arbeits-vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen (BAG 20. November 1997 - 2 AZR 805/96 - zu II 3 der Gründe, RzK I 6a Nr. 154; 10. Juni 1965 - 2 AZR 339/64 - zu III der Gründe, BAGE 17, 186). Die Nichterfüllung der Arbeitspflicht muss sich außerdem nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken. Da der Arbeit-geber im Fall der haftbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers typischer-weise von der Lohnzahlungspflicht befreit ist (§ 616 Abs. 1, § 275 Abs. 1, § 326 Abs. 1 BGB), hängt es von der Dauer sowie Art und Ausmaß der betrieblichen 1415- 6 - 2 AZR 790/09 - 7 - Auswirkungen ab, ob die Inhaftierung geeignet ist, einen Grund zur Kündigung abzugeben (BAG 20. November 1997 - 2 AZR 805/96 - zu II 3 der Gründe, aaO; 9. März 1995 - 2 AZR 497/94 - zu II 3 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 123 = EzA BGB § 626 nF Nr. 154). Liegt eine beachtliche Störung vor, bedarf es der abschließenden, alle Umstände des Einzelfalls einbeziehenden Abwägung, ob es dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar war, das Arbeitsverhältnis bis zum Wegfall des Hinderungsgrundes fortzusetzen (BAG 22. September 1994 - 2 AZR 719/93 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 25 = EzA KSchG § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 11; 15. November 1984 - 2 AZR 613/83 - zu II 2 c der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 87 = EzA BGB § 626 nF Nr. 95). Sowohl bei der Frage, ob von einer erheblichen Störung des Austauschverhältnisses auszugehen ist, als auch bei der Interessenabwägung ist im Fall einer Kündigung wegen Verbüßung einer Freiheitsstrafe zu berück-sichtigen, dass der Arbeitnehmer die Arbeitsverhinderung in aller Regel zu vertreten hat. Deshalb sind dem Arbeitgeber zur Überbrückung des Arbeitsaus-falls regelmäßig nicht die gleichen Anstrengungen und Belastungen zuzumuten wie etwa bei einer Krankheit (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 984/08 - Rn. 14, 18). 3. Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt ein Kündigungsgrund vor. Das Arbeitsverhältnis war im Kündigungszeitpunkt durch die haftbedingt zu erwartende Arbeitsverhinderung des Klägers erheblich belastet. Das Freihalten des Arbeitsplatzes war der Beklagten nach den Umständen des Falls nicht zumutbar. a) Maßgebliche Beurteilungsgrundlage für die Rechtmäßigkeit einer Kün-digung sind die objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der Kün-digungserklärung. Die tatsächliche Entwicklung nach Kündigungsausspruch kann nur in eng begrenzten Ausnahmefällen Berücksichtigung finden (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 52, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 27. No-vember 2003 - 2 AZR 48/03 - zu B I 1 a der Gründe, BAGE 109, 40). b) Im Kündigungszeitpunkt musste die Beklagte damit rechnen, dass der Kläger für die Dauer von mehr als zwei Jahren an seiner Arbeitsleistung ver-161718- 7 - 2 AZR 790/09 - 8 - hindert wäre. Der Kläger war - unter Einbeziehung der Strafe aus einer vorher-gehenden Verurteilung - zu einer Freiheitsstrafe von über sechs Jahren ver-urteilt worden, von der im Kündigungszeitpunkt noch knapp fünf Jahre zu verbüßen waren. Konkrete Anhaltspunkte für eine baldige Vollzugslockerung durch die Gewährung von Freigang (§ 11 StVollzG in der bis 31. Dezember 2009 geltenden Fassung) lagen nicht vor. Die Mitteilung des Klägers vom November 2007, er rechne mit einer baldigen Arbeitsaufnahme, beruhte auf seiner rein subjektiven Einschätzung, die durch die Feststellungen des Voll-zugsplans widerlegt ist. Das Ergebnis einer für Dezember 2008 „angedachten“ erneuten Prüfung der Möglichkeit einer Vollzugslockerung war völlig offen. Dieses hing insbesondere vom künftigen, keineswegs vorhersehbaren Ver-halten des Klägers im Vollzug ab. Als frühestmöglicher Zeitpunkt für eine Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung aufgrund von § 57 Abs. 1 StGB war im Vollzugsplan ein Termin im Februar 2011 notiert. Auch insoweit ist überdies das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug von Bedeutung und bedarf es zudem deren Einwilligung. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen kann nicht schon für Jahre im Voraus vorhergesagt werden (ähnlich BAG 25. November 2010 - 2 AZR 984/08 - Rn. 17). c) Unter diesen Umständen war der Beklagten ein Festhalten am Arbeits-verhältnis über die ordentliche Kündigungsfrist hinaus nicht zumutbar. Der Darlegung konkreter Betriebsablaufstörungen bedurfte es angesichts der vom Kläger noch zu verbüßenden, 24 Monate deutlich übersteigenden Freiheits-strafe nicht. aa) Der Arbeitsvertrag ist auf den ständigen Austausch von Leistung und Gegenleistung gerichtet. Die Verpflichtung des Arbeitnehmers geht dahin, dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, damit dieser sie im Rahmen seiner arbeitsteiligen Betriebsorganisation sinnvoll einsetzen kann. Ist der Arbeitnehmer dazu nicht in der Lage, tritt hinsichtlich seiner Arbeitsleistung Unmöglichkeit ein, wenn - wie bei lang andauernder Arbeitsverhinderung die Regel - eine Nachleistung beiden Seiten nicht zugemutet werden kann (ErfK/Preis 11. Aufl. § 611 Rn. 676). Zugleich ist der Arbeitgeber gehindert, von 1920- 8 - 2 AZR 790/09 - 9 - seinem Weisungsrecht Gebrauch zu machen und muss, wenn er seine bis-herige Arbeitsorganisation unverändert aufrechterhalten will, für eine ander-weitige Erledigung der Arbeit sorgen. Bereits darin liegt eine Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 984/08 - Rn. 22). bb) Der Beklagten war es nicht zumutbar, zur Beseitigung der langfristigen Störung bloße Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen und dem Kläger den Arbeitsplatz bis zur Rückkehr aus der Haft freizuhalten. (1) Angesichts der in der Regel vom Arbeitnehmer selbst verschuldeten Arbeitsverhinderung ist fraglich, ob dem Arbeitgeber bei rechtskräftig ver-hängter Freiheitsstrafe überhaupt zugemutet werden kann, für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen, wenn eine Wiederaufnahme der Arbeit nicht kurzfristig zu erwarten steht (vgl. Münch-KommBGB/Henssler 5. Aufl. § 626 BGB Rn. 204). Auch bei befristeter Ein-stellung läuft er immerhin Gefahr, auf den unbefristeten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses in Anspruch genommen zu werden. Hält er eine Personal-reserve vor, dient diese üblicherweise nicht dem Zweck, haftbedingte Ausfälle zu überbrücken. Auch mögen zwar die Folgen langer Strafhaft für den Arbeit-geber besser zu kalkulieren sein als die einer Untersuchungshaft von unabseh-barer Dauer. Dennoch besteht die Unsicherheit, ob nicht der Arbeitnehmer gerade vorzeitig aus der Haft entlassen oder ihm eine Vollzugslockerung gewährt wird. Erlangt der Arbeitgeber davon nicht rechtzeitig Kenntnis, kann dies dazu führen, dass er sowohl von der Ersatzkraft als auch von dem aus der Haft entlassenen Arbeitnehmer auf Lohnzahlung in Anspruch genommen wird (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 984/08 - Rn. 24; Franzen Anm. zu Senat 9. März 1995 - 2 AZR 497/94 - SAE 1996, 37, 38). (2) Zumindest dann, wenn im Kündigungszeitpunkt noch eine Haftstrafe von mehr als zwei Jahren zu verbüßen ist und eine Entlassung vor Ablauf von zwei Jahren nicht sicher zu erwarten steht, kann dem Arbeitgeber regelmäßig nicht zugemutet werden, lediglich Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen und auf eine dauerhafte Neubesetzung des Arbeitsplatzes zu verzichten. Dabei ist 212223- 9 - 2 AZR 790/09 - 10 - neben den bereits angesprochenen Unwägbarkeiten zu berücksichtigen, dass dem Arbeitgeber die Möglichkeit zur Beschäftigung einer Aushilfskraft im sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnis lediglich für einen Zeitraum von 24 Monaten eröffnet ist. Er kann deshalb bei längerer Haftzeit nicht damit rechnen, die Abwesenheit des Arbeitnehmers einigermaßen problemlos über-brücken zu können. Hinzu kommt, dass mit zunehmender Haftdauer die Ver-wirklichung des Vertragszwecks in Frage gestellt wird. Eine mehrjährige Ab-wesenheit des Arbeitnehmers geht typischerweise mit einer Lockerung seiner Bindungen an den Betrieb und die Belegschaft sowie dem Verlust von Er-fahrungswissen einher, das aus der täglichen Routine resultiert. Dement-sprechend muss der Arbeitgeber bei der Rückkehr eines langjährig inhaftierten Arbeitnehmers mit Einarbeitungsaufwand rechnen (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 984/08 - Rn. 25). Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, selbst bei mehrjähriger Haftstrafe bloße Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen, besteht auch nicht aus Grün-den der Resozialisierung. Zwar ist bei kurzzeitigen Inhaftierungen oder in Fällen, in denen nach Ablauf der Kündigungsfrist zeitnah eine Weiter-beschäftigung im offenen Vollzug möglich ist, auf die entsprechenden Belange des Arbeitnehmers angemessen Rücksicht zu nehmen. Dies rechtfertigt es aber nicht, vom Arbeitgeber zu verlangen, den Arbeitsplatz für den inhaftierten Arbeitnehmer für voraussichtlich mehr als zwei Jahre frei zu halten und ihm die damit verbundenen Lasten aufzuerlegen. Dies gilt insbesondere angesichts des Umstands, dass der Gesetzgeber für Fälle, in denen er es für erforderlich erachtet, dem Arbeitnehmer den Arbeitsplatz bei persönlicher Leistungsver-hinderung mit Rücksicht auf übergeordnete Interessen (Schutz von Ehe und Familie; Erfüllung staatsbürgerschaftlicher Pflichten) zu sichern, ausdrückliche, eigenständige Regelungen (bspw. §§ 15, 16 BEEG; §§ 3, 4 PflegeZG; § 1 ArbPlSchG) getroffen hat. Die durchaus strengeren Anforderungen an eine Kündigung wegen lang anhaltender Erkrankung (bspw. BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 27 mwN, BAGE 123, 234; 29. April 1999 - 2 AZR 431/98 - zu II 3 a der Gründe, BAGE 91, 271) rechtfertigen sich daraus, dass eine 24- 10 - 2 AZR 790/09 - 11 - schwere Krankheit - anders als eine Freiheitsstrafe - für den Betroffenen in der Regel unvermeidbar war (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 984/08 - Rn. 26). cc) Die Besonderheiten des vorliegenden Falls verlangen keine andere Beurteilung. (1) Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger alsbald den Freigänger-status erlangen würde, waren bei Kündigungsausspruch nicht ersichtlich. Es bestand auch keine Verpflichtung der Beklagten, den Arbeitsplatz zumindest bis zur Entscheidung über eine etwaige Vollzugslockerung im Dezember 2008 freizuhalten. Zwar kann sich aus § 241 Abs. 2 BGB eine Verpflichtung des Ar-beitgebers ergeben, bei der Erlangung des Freigängerstatus des Arbeitnehmers mitzuwirken, wenn dies für den Arbeitgeber nicht risikobehaftet ist (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 984/08 - Rn. 28; 9. März 1995 - 2 AZR 497/94 - zu II 5 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 123 = EzA BGB § 626 nF Nr. 154). Im Streitfall war aber völlig ungewiss, ob dem Kläger eine so weitreichende Voll-zugslockerung gewährt würde. Die Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer in seinem Resozialisierungsbemühen zu unterstützen, geht nicht so weit, diesem auf die vage Aussicht hin, in ferner Zukunft eine Vollzugslockerung zu erreichen, den Arbeitsplatz bis zu einer Klärung, ggf. über Monate hinweg freizuhalten. Ob die Beklagte davon auszugehen hatte, eine Beschäftigung des Klägers im Rahmen eines offenen Vollzugs wäre für sie risikofrei, kann unter diesen Umständen dahinstehen. (2) Unerheblich ist, dass die Beklagte den Arbeitsausfall des Klägers durch eine interne Umbesetzung ausgeglichen hat. Damit hat sie nicht zugleich gezeigt, dass ihr eine Überbrückung des Arbeitsausfalls zumutbar war. Um eine in diesem Sinne vorläufige Maßnahme handelte es sich nicht. Vielmehr hat die Beklagte den Arbeitsplatz des Klägers dauerhaft mit einem Arbeitnehmer aus dem Personalpool besetzt. (3) Ebenso wenig kommt es darauf an, dass die Beklagte nach der In-haftierung des Klägers für eine nicht unerhebliche Zeit mit der Besetzung des Arbeitsplatzes zugewartet hat. Die damit verbundene Rücksichtnahme auf die 25262728- 11 - 2 AZR 790/09 - 12 - Interessen des Klägers belegt - zumal angesichts laufender Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags - nicht, dass es ihr zumutbar gewesen wäre, den Arbeitsplatz des Klägers auch angesichts der Verurteilung des Klägers zu einer mehr als zweijährigen Freiheitsstrafe frei zu halten. Dass die Beklagte in anderen Arbeitsbereichen des Unternehmens einen Personal-abbau betrieben haben mag, ist für die Besetzung der Stelle des Klägers nicht relevant. Der Kläger stellt nicht in Abrede, dass bei Ausspruch der Kündigung in seinem Tätigkeitsbereich Beschäftigungsbedarf bestand. 4. Die Interessenabwägung führt nicht zu einem Überwiegen der Belange des Klägers. Zwar ist zu seinen Gunsten eine mehr als fünfzehnjährige Dauer der Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen, deren beanstandungsfreier Verlauf unterstellt werden kann. Gleichwohl geht das Beendigungsinteresse der Beklagten vor. Der Kläger hat seinen langen Ausfall selbst verschuldet. Dabei wiegt besonders schwer, dass er während einer laufenden Bewährungsphase erneut straffällig geworden ist. Hinzu kommt, dass die Beklagte nach der In-haftierung des Klägers mit der Kündigung über ein Jahr zugewartet und bereits dadurch in erheblichem Umfang auf dessen Interessen Rücksicht genommen hat. Außerdem war sie, wie die Neubesetzung des Arbeitsplatzes indiziert, auf die Erledigung der dem Kläger übertragenen Arbeit angewiesen. II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus ande-ren Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). 1. Die Kündigung ist nicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam. Insbe-sondere hat die Beklagte den Personalausschuss des Betriebsrats, dem die Wahrnehmung der Beteiligungsrechte in personellen Angelegenheiten über-tragen ist, ordnungsgemäß über die Gründe der Kündigung unterrichtet. Dies vermag der Senat auf der Grundlage des im Wesentlichen unstreitigen Vortrags der Beklagten selbst zu entscheiden. a) Nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG muss der Arbeitgeber dem Betriebs-rat diejenigen Gründe mitteilen, die aus seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und für seinen Kündigungsentschluss maßgebend sind. Diesen 29303132- 12 - 2 AZR 790/09 - 13 - Sachverhalt muss er unter Angabe von Tatsachen, aus denen der Kündigungs-entschluss hergeleitet wird, so beschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätz-liche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe prüfen kann. Teilt der Arbeitgeber objektiv erhebliche Tatsachen dem Betriebsrat deshalb nicht mit, weil er darauf die Kündigung nicht oder zunächst nicht stüt-zen will, dann ist die Anhörung ordnungsgemäß, weil eine nur bei objektiver Würdigung unvollständige Mitteilung der Kündigungsgründe nicht zur Fehler-haftigkeit der Anhörung und Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 BetrVG führt. Eine objektiv unvollständige Anhörung verwehrt es dem Arbeitgeber allerdings, im Kündigungsschutzprozess Gründe nachzuschieben, die über die Erläuterung des mitgeteilten Sachverhalts hinausgehen (BAG 5. November 2009 - 2 AZR 676/08 - Rn. 40, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündi-gung Nr. 183 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 20; 11. Dezember 2003 - 2 AZR 536/02 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 65 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 5). b) Hiervon ausgehend ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte dem Be-triebsrat - wie der Kläger gemeint hat - Tatsachen vorenthalten hätte, die aus ihrer Sicht für den Kündigungsentschluss maßgebend waren. Unstrittig lag dem zuständigen Personalausschuss die vollständige Personalakte des Klägers vor, aus der sich dessen Sozialdaten ergaben. Darüber hinaus hatte die Beklagte mitgeteilt, der Kläger sei seit November 2006 haftbedingt der Arbeit fern ge-blieben und sie beabsichtigte, das Arbeitsverhältnis aus personenbedingten Gründen „wegen unzumutbarer langer Abwesenheit auf nicht absehbare bzw. nicht weiter zumutbare längere Dauer“ fristgemäß zu kündigen. Auch der Behauptung der Beklagten, sie habe den Personalausschuss im Zusammen-hang mit der Einleitung des Anhörungsverfahrens am 25. Januar 2008 überdies mündlich über die Verurteilung des Klägers und die Dauer der zu verbüßenden Strafhaft unterrichtet, ist der Kläger nicht entgegen getreten. Damit war der Personalausschuss in die Lage versetzt, den Entschluss der Beklagten zur Kündigung nachzuvollziehen und sich über dessen Berechtigung klar zu werden. Auf die für Dezember 2008 „angedachte“ Prüfung der Möglichkeit eines offenen Vollzugs brauchte die Beklagte nicht hinzuweisen. Dies war schon 33- 13 - 2 AZR 790/09 mangels Kenntnis für ihren Kündigungsentschluss nicht bestimmend. Den Vollzugsplan vom Januar 2008 hat der Kläger erst im Verlauf des Kündigungs-schutzprozesses vorgelegt. 2. Sonstige Mängel der Kündigung hat der Kläger nicht geltend gemacht. III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Kreft Rachor Berger Th. Gans Pitsch 3435

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