2. Senat - Betriebsbedingte Kündigung - Reduzierung des Arbeitsvolumens und Kurzarbeit
Karar Dilini Çevir:
2. Senat - Betriebsbedingte Kündigung - Reduzierung des Arbeitsvolumens und Kurzarbeit
- 2 - BUNDESARBEITSGERICHT 2 AZR 548/10 7 Sa 903/10 Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Im Namen des Volkes! Verkündet am 23. Februar 2012 URTEIL Schmidt, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle In Sachen Beklagte, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin, pp. Kläger, Berufungsbeklagter und Revisionsbeklagter, hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Ver-handlung vom 23. Februar 2012 durch den Vorsitzenden Richter am Bundes-arbeitsgericht Kreft, den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Eylert, die Richte-rin am Bundesarbeitsgericht Berger sowie die ehrenamtlichen Richter Claes und Wolf für Recht erkannt: - 2 - 2 AZR 548/10 - 3 - Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landes-arbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 10. August 2010 - 7 Sa 903/10 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen. Von Rechts wegen! Tatbestand Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebs-bedingten Kündigung. Der 1956 geborene und mit einem Grad von 50 schwerbehinderte Klä-ger ist bei der Beklagten, die mit mehr als 200 Arbeitnehmern Messingprodukte produziert und verarbeitet, seit dem 15. November 1982 als Arbeiter beschäf-tigt. Er war bis August 2003 als Zieher an der 20-Tonnen-Ziehbank, danach bis zum März 2004 an der 15-Tonnen-Ziehbank und zuletzt in der Funktion eines „Anfasers/Ofenbedieners/Einteilsägers“ in der „Zieherei Allgemein“ (Rohrzieh-erei) tätig. Zumindest in Vertretungsfällen arbeitete er auch als „Stößler“. Nach der Stellenbeschreibung ist die Tätigkeit eines „Anfasers/Ofenbedieners/Einteil-sägers“ in die Entgeltgruppe 2 h ERA eingruppiert. Der Kläger erhielt zuletzt eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 3 ERA. Anfang 2009 verhandelten die Beklagte und der in ihrem Betrieb gebil-dete Betriebsrat vor dem Hintergrund eines beabsichtigten Personalabbaus im Umfang von 48 Stellen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan. In einer Absichtserklärung vom 13. Februar 2009 beschrieben die Betriebspartei-en bestimmte Maßnahmen als erstrebenswerte Alternativen zu den erwogenen Entlassungen; ua. war die Einführung von Kurzarbeit mit Wirkung zum 1. März 2009 bei einer maximalen Laufzeit von 18 Monaten und verteilt auf jeweils sechs Monate vorgesehen. Am 27. Februar 2009 schlossen die Betriebsparteien mehrere Betriebs-vereinbarungen. Mit der Betriebsvereinbarung Nr. 163 wurde in den Produk-1 2 3 4 - 3 - 2 AZR 548/10 - 4 - tionsbereichen Gießerei, Rohrlinie und Indirektlinie für die Zeit vom 1. März 2009 bis zum 31. August 2009 Kurzarbeit eingeführt. Der Umfang der in der jeweiligen Abteilung verringerten Wochenarbeitszeit ergab sich aus der Anla-ge 1 zur Betriebsvereinbarung. Diese sah ua. für die „Rohrlinie und die Zieherei Allgemein“ eine Reduzierung der Arbeitszeit auf 14 Stunden/Woche vor. Mit der Betriebsvereinbarung Nr. 164 verschoben die Betriebsparteien die zweite Stufe einer Tariferhöhung. Mit der Betriebsvereinbarung Nr. 165 führten sie ein Prämienentgelt und eine außertarifliche Leistungszulage ein. Ab dem 1. Mai 2009 sollte für bestimmte Produktionsmitarbeiter, zu denen auch der Kläger gehörte, eine neue Leistungsentgeltstruktur in Form der Entgeltmethode „Prä-mie“ gelten. Durch die Absenkung der Vergütung für die betroffenen Arbeit-nehmer sollte eine Kostenersparnis im Umfang von 22 Produktionsarbeitsplät-zen eintreten. Für die bereits Beschäftigten sollte die Anwendung der neuen Entgeltstruktur durch den Abschluss von Änderungsverträgen umgesetzt werden. Ziff. 11 der Betriebsvereinbarung Nr. 165 sah weiter vor, dass die Beklagte gegenüber denjenigen Arbeitnehmern, die das Angebot eines solchen Änderungsvertrags annähmen, bis zur vollständigen Beendigung der in der Produktion durchgeführten Kurzarbeit auf den Ausspruch von ordentlichen betriebsbedingten Kündigungen verzichte. Auf dieser Grundlage bot die Beklag-te im März 2009 den in Frage kommenden 127 Arbeitnehmern den Abschluss entsprechender Änderungsverträge an. Das Angebot nahmen 111 Arbeitneh-mer an. Der Kläger lehnte es ab. Angesichts weiter rückläufiger Aufträge entschloss sich die Beklagte am 19. Mai 2009, zahlreiche Arbeitsplätze, darunter den eines „Anfasers/Ofen-bedieners/Einteilsägers“ in der Rohrzieherei, ab 1. Oktober 2009 wegfallen zu lassen. Von der Streichung waren fast ausschließlich Arbeitsplätze von Arbeit-nehmern betroffen, die das Angebot auf Abschluss eines Änderungsvertrags abgelehnt hatten. Nach Anhörung des Betriebsrats und nach Zustimmung des Integra-tionsamts kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 7. Juli 2009 das Arbeitsver-hältnis des Klägers zum 28. Februar 2010 und stellte ihn mit Wirkung vom 1. Oktober 2009 von seiner Arbeitsleistung frei. 5 6 - 4 - 2 AZR 548/10 - 5 - Mit seiner vorliegenden Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung gewandt und seine vorläufige Weiterbeschäftigung als Arbeiter in der Rohrzieh-erei begehrt. Er hat die Auffassung vertreten, die Entscheidung der Beklagten laufe auf einen bloßen Stellenabbau verbunden mit einer Neuverteilung der bisherigen Tätigkeiten hinaus. Einen dauerhaften Rückgang der Produktion und eine Reduzierung des Arbeitsvolumens habe die Beklagte nicht hinreichend dargelegt. Ein Vergleich der Auftrags- und Arbeitsstundenzahlen von Januar bis Mai 2009 mit den gleichen Monaten des Vorjahrs reiche hierfür nicht aus; nur ein längerer Betrachtungszeitraum könne die Basis für eine nachhaltige Pro-gnose bilden. Zudem habe die Beklagte weder berücksichtigt, dass ab 1. März 2009 kurz gearbeitet worden sei, noch dass seit Oktober 2009 im Betrieb wieder samstags gearbeitet werde und Arbeitnehmer aus anderen Abteilungen in der Rohrzieherei zusätzlich eingesetzt würden. Im Übrigen belege der Um-stand, dass im Jahr 2010 - unstreitig - 35 Leiharbeitnehmer beschäftigt worden seien, die Fehlerhaftigkeit der Prognose. Ebenso wenig habe die Beklagte dargelegt, wer welche seiner bisherigen Tätigkeiten in welchem Umfang ohne eine übermäßige dauerhafte Beanspruchung übernehmen könne. Im Übrigen sei die Sozialauswahl fehlerhaft. Statt seiner hätten andere Arbeitnehmer mit deutlich schlechteren Sozialdaten gekündigt werden müssen. Sie seien mit ihm vergleichbar, selbst wenn deren Kündigung nach der Betriebsvereinbarung Nr. 165 ausgeschlossen sei. Der einzelvertraglich gewährte Sonderkündi-gungsschutz sei mit ihnen in unzulässiger Weise zu seinen Lasten vereinbart worden. Der Kläger hat beantragt 1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 7. Juli 2009 aufgelöst worden ist, 2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zur rechtskräfti-gen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag als Arbeiter in der Abteilung Rohrzieherei weiterzu-beschäftigen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, Anfang 2009 habe sie geplant, den Personalbestand zu reduzieren, da die 7 8 9 - 5 - 2 AZR 548/10 - 6 - Mitarbeiter in der Produktion schon im Jahr 2008 nicht ausgelastet gewesen seien. Zwar habe sie zur Vermeidung dieses Personalabbaus mit dem Betriebs-rat die Betriebsvereinbarungen Nr. 163 bis Nr. 165 geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Auftragsbestand aber erst um ca. 25 % geringer gewesen. Nach Einführung der Kurzarbeit habe sich die Auftrags- und Auslastungssitua-tion weitergehend verschlechtert. Ab der 14. Kalenderwoche 2009 sei die Aus-lastung auf rund 60 % der des Vorjahrs zurückgegangen, die (Grundlagen-)Pro-duktion in der Gießerei habe sich im Zeitraum von Januar bis Mai 2009 um etwa 36 % reduziert. Vom Rückgang der Grundlagenproduktion seien sämtliche nachgeord-neten Bereiche betroffen gewesen. Im Bereich Rohrzieherei sei die Arbeits-menge im Zeitraum von Januar 2009 bis Mai 2009 um 34,5 % zurückgegangen, was einem verminderten Arbeitszeitbedarf von etwa 33 % entspreche. Bei einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden würden je Arbeit-nehmer im Durchschnitt 12,2 Arbeitsstunden wöchentlich nicht mehr benötigt. Zur Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und zur Steigerung der Effizienz habe sie deshalb die Stelle eines „Anfasers/Ofenbedieners/Einteilsägers“ gestrichen und dessen Arbeit auf - sieben namentlich genannte - Mitarbeiter der Rohrzieh-erei verteilt. Aufgrund des Rückgangs ihrer eigenen Tätigkeiten seien diese Mitarbeiter nicht mehr ausgelastet gewesen und hätten die Aufgabe des Klä-gers ohne Weiteres mitübernehmen können. Den Rückgang der Arbeitsmenge habe sie im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung als dauerhaft angesehen, Anhaltspunkte für eine Besserung habe es nicht gegeben. Die Sozialauswahl sei zutreffend, da die vom Kläger benannten Mit-arbeiter aufgrund ihres Sonderkündigungsschutzes nicht in die Auswahl einzu-beziehen gewesen seien. Das Arbeitsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. 10 11 12 - 6 - 2 AZR 548/10 - 7 - Entscheidungsgründe Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfeh-lerfrei entschieden, dass die Kündigung der Beklagten vom 7. Juli 2009 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet hat. I. Die Klage ist begründet. Die Kündigung vom 7. Juli 2009 ist nicht aus dringenden betrieblichen Erfordernissen iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerecht-fertigt. 1. Eine Kündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, wenn der Bedarf für eine Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers im Betrieb voraussichtlich dauerhaft entfallen ist. Auf der Grundlage der betrieb-lichen Dispositionen des Arbeitgebers müssen im Tätigkeitsbereich des Gekün-digten mehr Arbeitnehmer beschäftigt sein, als zur Erledigung der anfallenden Arbeiten benötigt werden. Dieser Überhang muss auf Dauer zu erwarten sein. Regelmäßig entsteht ein Überhang an Arbeitskräften nicht allein und unmittel-bar durch bestimmte wirtschaftliche Entwicklungen (Produktions- oder Umsatz-rückgang etc.), sondern aufgrund einer - oftmals durch diese Entwicklungen veranlassten - Organisationsentscheidung des Arbeitgebers (unternehmerische Entscheidung). a) Betriebliche Erfordernisse, die eine Kündigung bedingen, können sich aus außerbetrieblichen Umständen ergeben. Passt der Arbeitgeber im Fall eines Auftragsverlustes oder eines reduzierten Auftragsbestands die Anzahl der benötigten Arbeitnehmer unmittelbar an die verbliebene Arbeitsmenge an, kann sich daraus ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung ergeben, wenn der Arbeitsanfall - dauerhaft - so zurückgegangen ist, dass zukünftig für einen oder mehrere Arbeitnehmer kein Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung mehr besteht (BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 141/99 - BAGE 92, 71 und - 2 AZR 456/98 - BAGE 92, 79). Behauptet der Arbeitgeber, das Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung sei wegen eines solchen Auftragsrückgangs entfallen, kann das Gericht in vollem Umfang nachprüfen, ob die außerbetrieblichen 13 14 15 16 - 7 - 2 AZR 548/10 - 8 - Umstände für die Kündigung zum Zeitpunkt der Kündigung tatsächlich vorlagen und zu einem dauerhaften Rückgang des Beschäftigungsvolumens führen. Dabei reicht ein bloßer Hinweis auf auslaufende Aufträge und das Fehlen von Anschlussaufträgen regelmäßig nicht aus, um einen dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zu begründen. Der Arbeitgeber muss vielmehr anhand seiner Auftrags- und Personalplanung im Einzelnen darstellen, warum nicht nur eine - kurzfristige - Auftragsschwankung vorliegt, sondern ein dauer-hafter Auftragsrückgang zu erwarten ist (BAG 18. Mai 2006 - 2 AZR 412/05 - Rn. 18, AP AÜG § 9 Nr. 7 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 146). b) Ein Rückgang des Arbeitskräftebedarfs kann sich auch daraus ergeben, dass sich eine im Betrieb tatsächlich umgesetzte unternehmerische Organisa-tionsentscheidung auf die Anzahl der verbliebenen Arbeitsplätze auswirkt. Eine unternehmerische Organisationsentscheidung kann etwa in der Bestimmung der Zahl der Belegschaftsmitglieder liegen, mit denen die im Betrieb anfallende Arbeitsmenge erledigt werden soll (vgl. BAG 2. Juni 2005 - 2 AZR 480/04 - mwN, BAGE 115, 92). Unternehmerische Entscheidungen sind von den Gerich-ten nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder Zweckmäßigkeit hin zu überprü-fen, sondern nur darauf, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sind (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 13, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 186 = EzA KSchG § 1 Betriebsbe-dingte Kündigung Nr. 165; 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 24, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbe-dingte Kündigung Nr. 163). Nachzuprüfen ist aber, ob die fragliche Entschei-dung tatsächlich umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 13, aaO; 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 24, aaO). c) Führen die außer- oder innerbetrieblichen Umstände nicht zu einer dauerhaften Reduzierung des Arbeitskräftebedarfs im Betrieb, so besteht kein dringendes betriebliches Erfordernis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnis-ses. Erschöpft sich die unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers im 17 18 - 8 - 2 AZR 548/10 - 9 - Wesentlichen darin, Personal einzusparen, so ist sie vom Kündigungsent-schluss selbst kaum zu unterscheiden. Da die Kündigung nach dem Gesetz an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, die außerhalb ihrer selbst liegen, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen. Nur so kann das Gericht prüfen, ob sie missbräuchlich ausgesprochen worden ist (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 14, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 186 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündi-gung Nr. 165; 17. Juni 1999 - 2 AZR 522/98 - BAGE 92, 61). Das wäre der Fall, wenn die Kündigung zu einer rechtswidrigen Überforderung oder Benachteili-gung des im Betrieb verbleibenden Personals führte (Rost Jahrbuch des Arbeitsrechts Bd. 39 S. 83) oder die zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung lediglich Vorwand dafür wäre, bestimmte Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglich-keiten objektiv fortbestehen und etwa nur der Inhalt des Arbeitsvertrags als zu belastend angesehen wird (BAG 22. Mai 2003 - 2 AZR 326/02 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 128 = EzA KSchG § 1 Betriebsbe-dingte Kündigung Nr. 126). Der Arbeitgeber muss deshalb konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündig-ten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Er muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose konkret darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Perso-nal ohne überobligationsmäßige Leistungen, dh. im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit, erledigt werden können (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 15, aaO; 13. Februar 2008 - 2 AZR 1041/06 - Rn. 16, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 174 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 158). d) Wird die Kündigung auf eine zu erwartende künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, braucht diese bei Kündigungsausspruch noch nicht tatsächlich eingetreten zu sein. Es genügt, dass sie sich konkret und greifbar abzeichnet (vgl. BAG 9. September 2010 - 2 AZR 493/09 - AP KSchG 19 - 9 - 2 AZR 548/10 - 10 - 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 185 = EzA KSchG § 1 Betriebsbe-dingte Kündigung Nr. 164; 13. Februar 2008 - 2 AZR 79/06 - Rn. 21, 22; 26. Mai 2011 - 8 AZR 37/10 - Rn. 27, EzA BGB 2002 § 613a Nr. 125). Das ist der Fall, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die auf Tatsachen gestützte, vernünftige betriebswirtschaftliche Prognose gerechtfertigt ist, mit Ablauf der Kündigungsfrist werde mit einiger Sicherheit ein die Entlassung erforderlich machender betrieblicher Grund vorliegen (BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 268/08 - Rn. 18, BAGE 133, 240; 27. November 2003 - 2 AZR 48/03 - BAGE 109, 40; 12. April 2002 - 2 AZR 256/01 - zu II 2 a der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 120 = EzA KSchG § 1 Betriebsbe-dingte Kündigung Nr. 118). Dabei muss eine der entsprechenden Prognose zugrunde liegende eigene unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers aber bereits im Kündigungszeitpunkt endgültig getroffen worden sein. Andern-falls kann eine zum Wegfall des Arbeitsplatzes führende Entscheidung nicht sicher prognostiziert werden. aa) Der Arbeitgeber hat die Tatsachen näher darzulegen, aus denen sich ergeben soll, dass zukünftig auf Dauer mit einem reduzierten Arbeitsvolumen und Beschäftigungsbedarf zu rechnen ist. Das Vorliegen von möglicherweise nur kurzfristigen Produktions- oder Auftragsschwankungen muss ausgeschlos-sen sein (BAG 18. Mai 2006 - 2 AZR 412/05 - Rn. 18, AP AÜG § 9 Nr. 7 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 146). Dem muss der Inhalt und die Substanz des Sachvortrags Rechnung tragen. Der Arbeitgeber hat den dauer-haften Rückgang des Arbeitsvolumens nachvollziehbar darzustellen, indem er die einschlägigen Daten aus repräsentativen Referenzperioden miteinander vergleicht (BAG 18. Mai 2006 - 2 AZR 412/05 - Rn. 17, aaO). bb) Für die Zukunftsprognose ist auch von Bedeutung, ob die Kündigung im zeitlichen Zusammenhang mit einer vereinbarten oder prognostizierten Kurz-arbeit erfolgt. Wird Kurzarbeit geleistet, so spricht dies dafür, dass die Betriebs-parteien nur von einem vorübergehenden Arbeitsmangel und nicht von einem dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf ausgehen. Ein nur vorübergehen-der Arbeitsmangel wiederum kann eine betriebsbedingte Kündigung nicht 20 21 - 10 - 2 AZR 548/10 - 11 - rechtfertigen. Dieses aus der Kurzarbeit folgende Indiz kann der Arbeitgeber durch konkreten Sachvortrag entkräften (BAG 26. Juni 1997 - 2 AZR 494/96 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 86 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 93). Entfällt die Beschäftigungsmöglichkeit für einzelne von der Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmer aufgrund später eingetre-tener weiterer Umstände oder veränderter wirtschaftlicher und/oder organisato-rischer Rahmenbedingungen auf Dauer, so kann trotz der Kurzarbeit ein drin-gendes betriebliches Erfordernis für eine Kündigung bestehen (BAG 26. Juni 1997 - 2 AZR 494/96 - aaO). Da die betrieblichen Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers entgegenstehen, dringend sein müssen, die Kündi-gung im Interesse des Betriebs also unvermeidbar sein muss, hat der Arbeitge-ber zuvor alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die mit dem Ziel geschaffen worden sind und bestehen, durch eine Flexibilisierung der Arbeitszeit betriebs-bedingte Kündigungen in Zeiten geringeren Arbeitsanfalls zu vermeiden (BAG 8. November 2007 - 2 AZR 418/06 - Rn. 16, EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 157, zur Inanspruchnahme von Arbeitszeitkonten). Haben die Betriebsparteien durch die Einführung von Kurzarbeit den Umfang der vertrag-lich geschuldeten Arbeitszeit auf ein Niveau abgesenkt, dass den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen gerade überflüssig macht, so kann ein dringen-des betriebliches Kündigungserfordernis regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn der Arbeitgeber die Möglichkeit zur Arbeitszeitreduzierung voll ausgeschöpft hat und gleichwohl noch ein Beschäftigungsüberhang besteht (vgl. BAG 8. November 2007 - 2 AZR 418/06 - aaO). 2. Unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe für die Zeit nach Ablauf der Kündi-gungsfrist keine dringenden betrieblichen Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 KSchG dargelegt, der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Bei Ausspruch der Kündigung war die Prognose nicht gerechtfertigt, der Bedarf für eine Weiterbe-schäftigung des Klägers sei zum 1. März 2010 auf Dauer entfallen. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt. Einen revisionsrechtlich relevanten 22 23 - 11 - 2 AZR 548/10 - 12 - Fehler im Zusammenhang mit dieser Würdigung hat die Beklagte nicht aufge-zeigt. a) Aus dem Vortrag der Beklagten lässt sich - auch unter Berücksichtigung ihres Vorbringens in der Revisionsbegründung - nicht hinreichend konkret entnehmen, dass ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung des Klägers vorgelegen hat. Ihr Entschluss, die Stelle eines „Anfasers/Ofenbe-dieners/Einteilsägers“ zu streichen und dessen Tätigkeiten auf insgesamt sieben Mitarbeiter der Rohrzieherei zu verteilen, lag nahe an der Kündigungs-entscheidung. Die Beklagte musste demnach die Möglichkeit, ihre Organisa-tionsentscheidung tatsächlich umzusetzen, näher erläutern. b) Die Beklagte hat nicht dargetan, dass zum Zeitpunkt der Kündigung die Prognose gerechtfertigt war, die bisher vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten könnten von den verbliebenen Mitarbeitern ab dem 1. März 2010 im Rahmen ihrer normalen Verpflichtungen (mit-)übernommen werden. Sie hat zwar das vom Kläger und den fraglichen sieben Mitarbeitern zum Kündigungszeitpunkt zu erledigende Arbeitsvolumen dargestellt. Danach waren sie sämtlich nicht voll ausgelastet. Sie hat auch dargetan, dass durch die Neuorganisation und Um-verteilung der Arbeit eine Übernahme der Tätigkeiten des Klägers durch die anderen Arbeitnehmer möglich erscheint. Soweit die Beklagte aber dafür auf den 1. Oktober 2009 abstellt, hat sie den Zeitpunkt verkannt, zu welchem die dringenden betrieblichen Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 KSchG vorliegen müs-sen. Eine entsprechende Prognose war nicht für den 30. September 2009, sondern für den beabsichtigten Beendigungszeitpunkt, den 28. Februar 2010, zu erstellen. Die Beklagte konnte für ihre Prognose nicht auf einen beliebigen Zeitpunkt zwischen Ausspruch der Kündigung und Ablauf der Kündigungsfrist abstellen. Maßgeblich ist vielmehr ausschließlich letzterer. Erst bei Ablauf der Kündigungsfrist, aber zugleich auch dann noch müssen dringende betriebliche Erfordernisse gegeben sein, die einer Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers entgegenstehen. In den Fällen, in denen längere Kündigungs-fristen zu beachten sind, kann der Prognosezeitpunkt nicht etwa vorgezogen werden. Bei der Kündigung länger beschäftigter Arbeitnehmer würden sonst 24 25 - 12 - 2 AZR 548/10 - 13 - unter Umständen geringere Anforderungen an eine Prognose und damit an den Kündigungsgrund gestellt als bei weniger lang beschäftigten Arbeitnehmern (vgl. BAG 12. April 2002 - 2 AZR 256/01 - zu II 2 c der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 120 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 118). c) Das Landesarbeitsgericht hat ferner zu Recht darauf hingewiesen, dass die Beklagte zur Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit eines nur geringen - und damit auf andere Arbeitnehmer aufteilbaren - Arbeitsvolumens des Klägers nicht hinreichend vorgetragen hat. Sie hat sich auf den pauschalen Vortrag beschränkt, das Volumen habe sich zum 30. September 2009 dauerhaft redu-ziert, Anhaltspunkte für eine Besserung habe sie zum Zeitpunkt der Kündigung nicht gehabt, auch seien keine Überstunden geleistet worden. Damit hat sie ihrer Darlegungslast nicht genügt. Bestimmte Tatsachen, aus denen zu schlie-ßen wäre, dass der mögliche Rückgang der Arbeitsmenge im Kündigungszeit-punkt als dauerhaft anzusehen war, hat sie auf diese Weise nicht behauptet. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei diesem Rückgang nur um einen kurzzeitigen, nicht nachhaltigen Trend gehandelt hat. Aus dem Rückgang der Produktion in den ersten Monaten des Jahres 2009 im Vergleich zum selben Zeitraum im Jahr 2008 lässt sich nicht hinreichend sicher folgern, diese Entwicklung werde sich auch im weiteren Verlauf des Jahres fortsetzen. Hierzu hätte es eines stärker substantiierten, detaillierten Vortrags bedurft, dem bei-spielsweise die üblichen Auftragseingangszahlen und Bearbeitungsabläufe aus den Vorjahren zu entnehmen gewesen wären. So kann sich die Situation bei kurzfristig erfolgenden Auftragsabrufen anders darstellen als bei langfristigen und planbaren Auftragserteilungen. d) Zudem bleibt unklar, ob sich selbst bei Ausschöpfung der vereinbarten Optionen für Kurzarbeit das Arbeitsvolumen so verringert hat, dass ein dringen-des Erfordernis für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger bestand. Immerhin erlaubte es die Betriebsvereinbarung Nr. 163 der Beklagten, die wöchentlich geschuldete Arbeitszeit der Mitarbeiter auf 14 Stunden abzu-senken. Im Streitfall geht es deshalb nicht darum, ob der Arbeitgeber rechtlich 26 27 - 13 - 2 AZR 548/10 - 14 - gezwungen sein kann, vor dem Ausspruch der Kündigung die Einführung von Kurzarbeit zu betreiben. Hier besaß die Beklagte vielmehr bei Ausspruch der Kündigung bereits die Möglichkeit, die Arbeitszeit der Mitarbeiter rechtswirksam bis auf 14 Wochenstunden zu reduzieren. Von ihr hatte sie wegen des Verhält-nismäßigkeitsgrundsatzes Gebrauch zu machen. Dass auch dann noch ein Arbeitskräfteüberhang bestanden hätte, hat sie nicht dargelegt. Auch hat sie nicht dargelegt, dass die fraglichen sieben Arbeitnehmer ausgehend von einem durch Kurzarbeit absenkbaren Arbeitszeitumfang überhaupt in der Lage gewe-sen wären, die verbliebenen Tätigkeiten des Klägers ohne Überschreitung dieses Zeitumfangs mitzuerledigen. e) Schließlich ist offen, ob im umgekehrten Fall - bei Aufhebung der Kurzarbeit - die fraglichen sieben Mitarbeiter die Arbeiten des Klägers weiterhin ohne überobligationsmäßige Zusatzleistungen würden übernehmen können. Die Betriebsparteien gingen, wie die Betriebsvereinbarung Nr. 163 und ihre Ergänzungen zeigen, von einer vorübergehenden, 18-monatigen Reduzierung des Beschäftigungsbedarfs aus. Dies spricht dafür, dass sie erwarteten, das frühere oder zumindest ein deutlich höheres Arbeitsvolumen als in den ersten Monaten des Jahres 2009 würde in absehbarer Zeit wieder erreicht. II. Da die Kündigung vom 7. Juli 2009 das Arbeitsverhältnis des Klägers wegen Fehlens dringender betrieblicher Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 KSchG nicht rechtswirksam beendet hat, bedurfte es keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Sozialauswahl fehlerhaft iSv. § 1 Abs. 3 KSchG war. III. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entschei-dung über das Feststellungsbegehren ist dem Senat nicht mehr angefallen. Der Kündigungsrechtsstreit ist rechtskräftig entschieden. 28 29 30 - 14 - 2 AZR 548/10 IV. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen. Kreft Berger Eylert A. Claes Wolf 31

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