2. Senat - Auflösungsantrag des Arbeitgebers - Prozessverhalten des Arbeitnehmeranwalts
Karar Dilini Çevir:
2. Senat - Auflösungsantrag des Arbeitgebers - Prozessverhalten des Arbeitnehmeranwalts
- 2 - BUNDESARBEITSGERICHT 2 AZR 297/09 3 Sa 643/08 Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Im Namen des Volkes! Verkündet am 10. Juni 2010 URTEIL Schneider, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle In Sachen Beklagte, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin, pp. Kläger, Berufungsbeklagter und Revisionsbeklagter, hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10. Juni 2010 durch den Vorsitzenden Richter am Bundes-arbeitsgericht Kreft, den Richter am Bundesarbeitsgericht Schmitz-Scholemann, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Berger sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Bartz und Falke für Recht erkannt: - 2 - 2 AZR 297/09 - 3 - Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 3. Februar 2009 - 3 Sa 643/08 - aufgehoben, soweit es den Auf-lösungsantrag der Beklagten zurückgewiesen hat. In diesem Umfang wird der Rechtsstreit zur neuen Ver-handlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Von Rechts wegen! Tatbestand Die Parteien streiten über einen von der Beklagten gestellten Auf-lösungsantrag. Dabei steht die Rechtsfrage im Vordergrund, inwieweit als Auflösungsgrund zu Lasten des Arbeitnehmers das Prozessverhalten seines Prozessbevollmächtigten berücksichtigt werden darf. Der 1961 in Nigeria geborene Kläger trat 1997 in die Dienste der US-Streitkräfte in Deutschland und arbeitete zuletzt als Ladengehilfe in einem Supermarkt der „Defense Commissary Agency“ (DCA). Diese ist eine Behörde des amerikanischen Verteidigungsministeriums, die weltweit Lebensmittel-geschäfte für US-Soldaten und deren Angehörige unterhält. Mit Schreiben vom 25. März 2008 kündigten die Streitkräfte das Arbeitsverhältnis außerordentlich und mit Schreiben vom 3. April 2008 ordent-lich zum 30. September 2008. Die Unwirksamkeit beider Kündigungen steht aufgrund des insoweit rechtskräftigen Urteils des Landesarbeitsgerichts fest. Im Streit ist noch der von der - in Prozessstandschaft handelnden - Be-klagten erstmals im Berufungsverfahren gestellte Auflösungsantrag. Zu dessen Begründung hat die Beklagte vorgetragen, der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe dem seinerzeit zuständigen Personalreferenten der US-Streitkräfte im Verlauf des Kündigungsschutzprozesses vorgeworfen, er sei ein Rassist. Er baue unter fadenscheinigen Gründen Fälle auf, um Schwarz-1234- 3 - 2 AZR 297/09 - 4 - afrikanern innerhalb der Streitkräfte kündigen zu können. Der Ausspruch der Kündigung liege allein an der „rassistischen Vorurteilsstruktur“ des Personal-referenten. Dieser Vorwurf berühre, so die Beklagte, das Selbstverständnis der US-Streitkräfte, die rassistische Verhaltensmuster von Beschäftigten mit Nach-druck verfolgten. Mit dem Kläger, der sich von den Äußerungen seines Prozessbevollmächtigten, die er durchaus habe verstehen und würdigen können, nicht distanziert habe, sei eine gedeihliche Zusammenarbeit in Zukunft nicht mehr möglich. Die Beklagte hat beantragt, das Arbeitsverhältnis des Klägers gegen Zahlung einer Abfindung, die in das Ermessen des Gerichtes gestellt werde, aber 12.000,00 Euro nicht überschreiten sollte, zum 30. September 2008 aufzulösen. Der Kläger hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen. Er hat bestritten, dass sein Prozessbevollmächtigter die fraglichen Äußerungen über den Personalreferenten abgegeben hat. Das Landesarbeitsgericht hat den Auflösungsantrag der Beklagten zu-rückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag weiter. Entscheidungsgründe Die Revision ist begründet. Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht den Auflösungsantrag nicht zurückweisen (I.). Ob der Antrag begründet ist, kann der Senat mangels entsprechender Tat-sachenfeststellungen nicht selbst entscheiden (II. und III.). I. Ein Auflösungsgrund für den Arbeitgeber nach § 9 KSchG kann auch in einem Verhalten seines Prozessbevollmächtigten liegen, das der Arbeitnehmer nicht veranlasst hat. Die gegenteilige Auffassung des Landesarbeitsgerichts findet im Gesetz keine Stütze. 56789- 4 - 2 AZR 297/09 - 5 - 1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG hat das Gericht nach erfolgreicher Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebs-zwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeit-nehmer nicht erwarten lassen. Die nach Auffassung des Arbeitgebers maßgeb-lichen Gründe sind von ihm im Prozess vorzutragen und - falls bestritten - zu beweisen. Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses kommt nach der Konzeption des Gesetzgebers nur ausnahmsweise in Betracht. Dass allerdings auch die während des Kündigungsschutzprozesses auftretenden Spannungen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sinnlos erscheinen lassen können, ist dem Gesetz nicht fremd (Senat 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 42 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163). a) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erwarten ist, ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Ver-handlung in der Tatsacheninstanz (Senat 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 23 mwN, EzA KSchG § 9 nF Nr. 58; 7. März 2002 - 2 AZR 158/01 - AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 45). Der Auflösungsantrag ist trotz seiner nach § 9 Abs. 2 KSchG gesetzlich angeordneten Rückwirkung auf den Kündigungszeitpunkt in die Zukunft gerichtet. Das Gericht hat eine Voraus-schau anzustellen. b) Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommen solche Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht er-warten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Es kommt darauf an, ob die objektive Lage beim Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz die Be-101112- 5 - 2 AZR 297/09 - 6 - sorgnis rechtfertigt, dass die weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist (Senat 8. Oktober 2009 - 2 AZR 682/08 - Rn. 15 mwN, EzA KSchG § 9 nF Nr. 57; 7. März 2002 - 2 AZR 158/01 - AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 45). Als Auflösungsgrund geeignet sind danach etwa Beleidigungen, sonstige ehrverletzende Äußerungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen. Auch das Verhalten des Prozessbevollmächtigten des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Dies gilt für vom Arbeitnehmer nicht veranlasste Erklärungen des Prozessbevollmächtigten jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer sich diese zu eigen macht und sich auch nachträglich nicht von ihnen distanziert (Senat 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 45 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbe-dingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 9 Rn. 73; Lö-wisch/Spinner KSchG 9. Aufl. § 9 Rn. 59; HWK/Thies 3. Aufl. § 9 KSchG Rn. 21; HaKo/Fiebig Kündigungsschutzrecht 3. Aufl. § 9 Rn. 68; TLL/Arnold KSchG § 9 Rn. 37; ErfK/Kiel 10. Aufl. § 9 KSchG Rn. 14). Zu berücksichtigen ist allerdings, dass gerade Erklärungen im laufenden Kündigungsschutzverfahren durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können (Senat 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 31 mwN, EzA KSchG § 9 nF Nr. 58; 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 45 mwN, aaO). c) Die vom Landesarbeitsgericht vertretene und auch in der arbeitsrecht-lichen Literatur gelegentlich geäußerte Auffassung, nur ein vom Arbeitnehmer veranlasstes Verhalten seines Prozessbevollmächtigten könne als Auflösungs-grund herangezogen werden (vgl. APS/Biebl 3. Aufl. § 9 KSchG Rn. 66; KR/Spilger 9. Aufl. § 9 KSchG Rn. 56; KDZ/Zwanziger 7. Aufl. § 9 KSchG Rn. 21; wohl auch MünchKommBGB/Hergenröder 5. Aufl. § 9 KSchG Rn. 51), stimmt nicht ausreichend mit den gesetzlichen Vorgaben überein. aa) Die Auffassung beruht offenbar auf dem Gedanken, den Arbeitnehmer dürfe ein Rechtsnachteil - Verlust des Arbeitsplatzes - grundsätzlich nur dann treffen, wenn er selbst hierzu bewusst eine Ursache gesetzt habe. Das trifft 131415- 6 - 2 AZR 297/09 - 7 - jedoch schon für die Regelung des Gesetzes über die Kündigungsgründe nicht zu. Bei betriebsbedingten Kündigungen liegt der Kündigungsgrund in aller Regel außerhalb des Einflussbereichs des Arbeitnehmers. Dasselbe kann auch bei personenbedingten Kündigungen der Fall sein. Damit kann es auch bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht entscheidend darauf ankommen, ob der Arbeitnehmer den Fortfall der Vertrauensgrundlage selbst verursacht hat. bb) Allerdings ist sorgfältig zu prüfen, ob das jeweils konkrete Verhalten Dritter geeignet ist, die Vertrauensgrundlage für weitere Zusammenarbeit der Vertragsparteien entfallen zu lassen. Das ist im Allgemeinen nur dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer dieses Verhalten entscheidend veranlasst hat (Senat 14. Mai 1987 - 2 AZR 294/86 - AP KSchG 1969 § 9 Nr. 18 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 20). Beim Verhalten des Prozessbevollmächtigten des Arbeitnehmers ist dies deshalb anders, weil der Arbeitnehmer sich seiner im Verhältnis zum Arbeitgeber bewusst bedient und Prozessverhalten des Bevollmächtigten dem Arbeitnehmer schon wegen des § 85 ZPO zugerechnet wird. Prozessvortrag des Bevollmächtigten gilt von vornherein als Vortrag der Partei. Tatsächliche Erklärungen des Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung sind für die miterschienene Partei „verpflichtend“, wenn sie die Erklärungen nicht sofort widerruft oder berichtigt (§ 85 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Diese gesetzliche Regelung steht der Annahme entgegen, Prozessvortrag des Arbeitnehmers könne nur dann als Auflösungsgrund berücksichtigt werden, wenn der Arbeit-geber nachweise, dass ein bestimmter - etwa beleidigender - Teil des Prozess-vortrags vom Arbeitnehmer entscheidend veranlasst worden sei. Da es um das persönliche Verhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber geht, kann dies auch dadurch belastet werden, dass ein Arbeitnehmer sich seines Bevoll-mächtigten im Prozess bedient, um den Arbeitgeber durch unfaire und herab-setzende Erklärungen anzugreifen und sich gleichzeitig hinter ihm zu ver-stecken. Es kommt deshalb darauf an, ob der Arbeitnehmer sich die be-treffenden Äußerungen seines Prozessbevollmächtigten zu eigen gemacht und sich auch nachträglich nicht von ihnen distanziert hat. 16- 7 - 2 AZR 297/09 2. An diesen Vorgaben gemessen trägt die vom Landesarbeitsgericht gegebene Begründung nicht das von ihm gefundene rechtliche Ergebnis, es fehle an einem Auflösungsgrund. Das Landesarbeitsgericht hat sich mit der Feststellung begnügt, der Kläger habe die Äußerungen seines Prozessbevoll-mächtigten nicht veranlasst. Dies entspricht nicht dem gesetzlichen Maßstab. II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich bei An-wendung der oben genannten Grundsätze auf den Sachverhalt nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Die von der Beklagten behaupteten Tatsachen scheiden nicht von vornherein als Auflösungsgründe aus. Der Vorwurf, die Kündigungsentscheidung beruhe auf rassistischen Motiven und es sei dem Personalreferenten nur darum gegangen, Schwarzafrikanern kündigen zu können, kann als beleidigend und gerade angesichts der Personalstruktur bei den US-Streitkräften als schwere Beeinträchtigung der Vertrauensgrundlage angesehen werden. Es steht freilich nicht fest, dass der Kläger sich die Äuße-rung zu eigen gemacht und sich von ihr nicht distanziert hätte. III. Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers die von der Beklagten behaupteten Äußerungen getan hat. Ebenso ist streitig, ob der Kläger die Äußerungen überhaupt verstanden hat. Keinerlei Fest-stellungen sind zu der Frage getroffen, wie sich der Kläger, wenn er die Äußerungen verstand, hierzu verhalten hat. Ebenso kommt in Betracht, dassdurch die zwischenzeitlich erfolgte Versetzung des Personalreferenten die etwa beeinträchtigte Vertrauensgrundlage wieder hergestellt ist. Zu beachten sein wird auch, ob und inwieweit die Erschütterung der Vertrauensgrundlage sich auf das Austauschverhältnis auswirkt oder auszuwirken droht. Kreft Berger Schmitz-Scholemann Torsten Falke Bartz 171819

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