29 W (pat) 9/15  - 29. Senat (Marken)
Karar Dilini Çevir:

BPatG 152
08.05

BUNDESPATENTGERICHT


29 W (pat) 9/15
_______________________
Aktenzeichen


B E S C H L U S S

In der Beschwerdesache















betreffend die Marke 30 2012 061 345


hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts im
schriftlichen Verfahren am 18. Januar 2017 unter Mitwirkung der Vorsitzenden
Richterin Dr. Mittenberger-Huber, der Richterin Akintche und des Richters Dr. von
Hartz
- 2 -
beschlossen:

1. Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluss der
Markenstelle für die Klasse 35 des Deutschen Patent- und Marken-
amtes vom 18. Dezember 2014 aufgehoben, soweit dort der Wider-
spruch im Umfang der Dienstleistungen

„Einzelhandelsdienstleistungen in den Bereichen: Getränke, sons-
tige Genussmittel; Großhandelsdienstleistungen in den Bereichen:
Getränke, sonstige Genussmittel; Online- oder Katalogversand-
handelsdienstleistungen in den Bereichen: Getränke, sonstige Ge-
nussmittel“

zurückgewiesen worden war. Im vorgenannten Umfang ist die Eintra-
gung der angegriffenen Marke 30 2012 061 345 wegen des Wider-
spruchs aus der Marke 30 2011 031 639 zu löschen.

2. Im Übrigen wird die Beschwerde der Widersprechenden zurückgewie-
sen.
- 3 -
G r ü n d e

I.

Die Wort-/Bildmarke (schwarz, grün) 30 2012 061 345



des Beschwerdegegners ist am 28. November 2012 angemeldet und am
4. Juli 2013 als Marke in das beim Deutschen Patent und Markenamt (DPMA) ge-
führte Register für nachfolgende Waren und Dienstleistungen eingetragen worden:

Klasse 29: Fleisch, Fisch, Geflügel und Wild; Fleischextrakte; konserviertes,
tiefgekühltes, getrocknetes und gekochtes Obst und Gemüse; Gal-
lerten (Gelees), Konfitüren, Kompotte; Eier; Milch und Milch-
produkte; Speiseöle und -fette;

Klasse 30: Kaffee, Tee, Kakao und Kaffee-Ersatzmittel; Reis; Tapioka und
Sago; Mehle und Getreidepräparate; Brot, feine Backwaren und
Konditorwaren, Speiseeis; Zucker, Honig, Melassesirup, Hefe,
Backpulver; Salz; Senf; Essig, Soßen (Würzmittel); Gewürze; Küh-
leis;

Klasse 31: Samenkörner sowie land-, garten- und forstwirtschaftliche Erzeug-
nisse, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind; lebende
Tiere; frisches Obst und Gemüse; Sämereien, lebende Pflanzen
und natürliche Blumen; Futtermittel, Malz;
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Klasse 35: Einzelhandelsdienstleistungen in den Bereichen: Drogeriewaren,
Kosmetikwaren und Haushaltswaren, Brennstoffe und Treibstoffe,
Waren des Gesundheitssektors, Papierwaren und Schreibwaren,
Spielwaren, Lebensmittel und Getränke, landwirtschaftliche Er-
zeugnisse, gartenwirtschaftliche Erzeugnisse und forstwirtschaftli-
che Erzeugnisse, sonstige Genussmittel; Großhandelsdienstleis-
tungen in den Bereichen: Drogeriewaren, Kosmetikwaren und
Haushaltswaren, Brennstoffe und Treibstoffe, Waren des Gesund-
heitssektors, Papierwaren und Schreibwaren, Spielwaren, Le-
bensmittel und Getränke, landwirtschaftliche Erzeugnisse, garten-
wirtschaftliche Erzeugnisse und forstwirtschaftliche Erzeugnisse,
sonstige Genussmittel; Online- oder Katalogversandhandels-
dienstleistungen in den Bereichen: Drogeriewaren, Kosmetikwaren
und Haushaltswaren, Brennstoffe und Treibstoffe, Waren des Ge-
sundheitssektors, Papierwaren und Schreibwaren, Spielwaren,
Lebensmittel und Getränke, landwirtschaftliche Erzeugnisse, gar-
tenwirtschaftliche Erzeugnisse und forstwirtschaftliche Erzeug-
nisse, sonstige Genussmittel.

Gegen die Eintragung der Marke, die am 9. August 2013 veröffentlicht wurde, hat
die Beschwerdeführerin Widerspruch erhoben aus ihrer Wort-/Bildmarke
30 2011 031 639



die am 22. Juli 2011 für die Waren der

Klasse 30: Kaffee, Tee, Kakao, Zucker, Reis, Tapioka, Sago, Kaffee-Ersatz-
mittel; Mehle und Getreidepräparate; Brot, feine Backwaren und
Konditorwaren, Pralinen mit und ohne Füllung; Schokoladewaren
(soweit in Klasse 30 enthalten), Bonbons, Fruchtgummi, Kau-
gummi (nicht für medizinische Zwecke) und andere Zuckerwaren,
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Speiseeis; Honig, Melassesirup; Hefe, Backpulver; Salz, Senf, Es-
sig, Saucen (Würzmittel), Gewürze; Kühleis;

Klasse 32: Biere; Mineralwässer und kohlensäurehaltige Wässer und andere
alkoholfreie Getränke, entalkoholisierte Getränke; Fruchtgetränke
und Fruchtsäfte; Sirupe und andere Präparate für die Zubereitung
von Getränken;

Klasse 33: alkoholische Getränke (ausgenommen Biere)

eingetragen worden war.

Mit Beschluss vom 18. Dezember 2014 hat die Markenstelle für Klasse 35 des
DPMA den Widerspruch zurückgewiesen. Zwischen den Marken bestehe keine
Verwechslungsgefahr im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG. Zwar könnten sich
die Marken teilweilweise auf identischen Waren der Klasse 30 begegnen oder lä-
gen zumindest in einem sehr engen Ähnlichkeitsbereich. Die angesprochenen
breiten Verkehrskreise würden die niedrigpreisigen Waren des alltäglichen Be-
darfs eher flüchtig erwerben. Zudem müsse mangels entgegenstehender Anhalts-
punkte von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke
ausgegangen werden; eine gesteigerte Kennzeichnungskraft könne allenfalls hin-
sichtlich der Waren der Klassen 32 und 33 angenommen werden, die allerdings
nicht Gegenstand des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses der angegriffe-
nen Marke seien. Auch strahle die erhöhte Kennzeichnungskraft nicht ohne weite-
res auf andere Waren aus. Der danach erforderliche Abstand werde von der an-
gegriffenen Marke zu der Widerspruchsmarke selbst bei identischen Waren und
nur geringer Sorgfalt noch eingehalten. Der Verkehr messe bei Wort-/Bildmarken
in der Regel dem Wort als einfachster und kürzester Bezeichnungsform eine prä-
gende Bedeutung zu, so dass die angegriffene Marke mit „GRÜNKÄPPCHEN -
natürlich Bio“ und die Widerspruchsmarke mit „Rotkäppchen“ benannt werde. Die
Unterschiede seien dabei ausreichend, um den Marken ein eigenständiges Klang-
bild zu verleihen, so dass Verwechslungen in klanglicher Hinsicht ausgeschlossen
- 6 -
seien. Dies gelte selbst dann, wenn bei der angegriffenen Marke auch die Wort-
folge „-natürlich Bio“ weggelassen werde. Eine schriftbildliche Verwechslung
scheide unter anderem aufgrund der unterschiedlichen Wortlänge sowie der typi-
schen Umrisscharakteristik der Bestandteile aus. Für andere Arten der Verwechs-
lung sei nichts dargetan oder ersichtlich. Insbesondere gingen die angesproche-
nen Verkehrskreise auch nicht davon aus, dass es sich bei der jüngeren Marke
um ein weiteres Produkt der Widersprechenden handle, weil die Marken - auch
aufgrund der Grafik - unterschiedlich gebildet seien. Für einen Löschungsgrund
unter dem Aspekt des Sonderschutzes der bekannten Marke gemäß § 9 Abs. 1
Nr. 3 MarkenG seien keine Anhaltspunkte gegeben.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden, mit der sie sinn-
gemäß beantragt,

den Beschluss der Markenstelle für Klasse 35 des Deutschen Pa-
tent- und Markenamts vom 18. Dezember 2014 aufzuheben und
die Eintragung der Marke 30 2012 061 345 zu löschen.

Sie vertritt die Ansicht, dass sich die Vergleichsmarken verwechslungsfähig ähn-
lich seien. Aufgrund der gestützten Markenbekanntheit von knapp 90 % für
Schaumweine sei von einer gesteigerten Kennzeichnungskraft der Widerspruchs-
marke auszugehen, die auch auf die Waren und Dienstleistungen der angegriffe-
nen Marke ausstrahle. Der Wortbestandteil „Grünkäppchen“ sei der allein prä-
gende Bestandteil, wodurch über 70% der Buchstaben im Vergleich mit „Rotkäpp-
chen“ übereinstimmten. In jedem Fall liege aber eine assoziative Verwechslungs-
gefahr vor, da die maßgeblichen Wortbestandteile auf dem gleichen Zeichenbil-
dungsprinzip beruhten, indem dem Wort „-käppchen“ eine Farbangabe vorange-
stellt werde. Die Annahme liege daher nicht fern, dass mit „Grün-„ auf eine paral-
lele Biomarke der Widersprechenden hingewiesen werden solle. Zudem ergebe
sich aus dem Bildbestandteil der jüngeren Marke, dass es sich bei „Grünkäpp-
- 7 -
chen“ wie bei der Märchenfigur „Rotkäppchen“ ebenfalls um ein Mädchen handle,
das seinen Namen nach der Kopfbedeckung erhalten habe.

Der Beschwerdegegner hat sich im Beschwerdeverfahren weder zur Sache geäu-
ßert noch Anträge gestellt. Im Amtsverfahren hat er vorgetragen, dass die Ver-
gleichsmarken sich in keinerlei Hinsicht ähnelten. Es handle sich vor allem um
zwei völlig unterschiedliche Markenaussagen. Auf der einen Seite „Grünkäppchen
– natürlich Bio“, einem zertifizierten Unternehmen, das sich ausschließlich mit bi-
ologischen Lebensmitteln aus dem ökologischen Landbau beschäftige, und auf
der anderen Seite die „Rotkäppchen-Mumm Sektkellereien“, die sich im konventi-
onellen Getränkebereich bewegten. Eine Verwechslungsgefahr bestehe nicht.


Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.


II.

Die nach § 66 MarkenG zulässige Beschwerde der Widersprechenden hat im te-
norierten Umfang Erfolg.

Die Benutzung der angegriffenen Marke würde im vorgenannten Umfang - nämlich
soweit sich die Handelsdienstleistungen in Klasse 35 auf die Waren „Getränke;
sonstige Genussmittel“ beziehen - die Unterscheidungskraft und die Wertschät-
zung der Widerspruchsmarke im Sinne von §§ 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 3
MarkenG ausnutzen. Im Umfang der übrigen Waren und Dienstleistungen besteht
weder der Löschungsgrund der Verwechslungsgefahr im Sinne des § 9 Abs. 1
Nr. 2 MarkenG noch der des Sonderschutzes einer bekannten Marke gemäß § 9
Abs. 1 Nr. 3 MarkenG, so dass die Beschwerde im Weiteren zurückzuweisen ist.
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A) Eine Verwechslungsgefahr nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist zwischen den
Vergleichsmarken nicht zu besorgen.

Die Frage, ob Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG vor-
liegt, ist unter Heranziehung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beur-
teilen. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen der Identität oder der Ähn-
lichkeit der Waren oder Dienstleistungen, dem Grad der Ähnlichkeit der Marken
und der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke in der Weise auszuge-
hen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen
durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine gesteigerte
Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt
(st. Rspr.; vgl. nur EuGH GRUR 2010, 1098 Rn. 44 - Calvin Klein/ HABM [CK
CREACIONES KENNYA/CK CALVIN KLEIN]; GRUR 2010, 933 Rn. 32 - Barbara
Becker; GRUR-RR 2009, 356 Rn. 45 - Éditions Albert René/HABM
[OBELIX/MOBILIX]; BGH WRP 2016, 336 Rn. 19 - BioGourmet; MarkenR 2016,
46 Rn. 7 - BSA/DSA DEUTSCHE SPORTMANAGEMENTAKADEMIE; GRUR
2015, 176 Rn. 9 - ZOOM/ZOOM; GRUR 2015, 1008 Rn. 18 - IPS/ISP). Zudem
können weitere Faktoren relevant sein, wie u. a. etwa die Art der Ware oder
Dienstleistung, die im Einzelfall angesprochenen Verkehrskreise und daraus fol-
gend die zu erwartende Aufmerksamkeit und das zu erwartende Differenzierungs-
vermögen dieser Verkehrskreise bei der Wahrnehmung der Kennzeichen. Bei die-
ser umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr ist auf den durch die Zei-
chen hervorgerufenen Gesamteindruck abzustellen, wobei insbesondere die un-
terscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind.

1. Die sich gegenüberstehenden Waren und Dienstleistungen sind teilweise iden-
tisch und teilweise ähnlich. Ein Teil der Waren und Dienstleistungen sind den
Widerspruchswaren unähnlich; eine gänzlich fehlende Waren- und Dienstleis-
tungsähnlichkeit kann nicht durch die jeweils anderen maßgeblichen Faktoren
ausgeglichen werden, so dass eine Verwechslungsgefahr insoweit schon aus
diesem Grund nicht bejaht werden kann.
- 9 -
Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen sind alle
erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen den Wa-
ren oder Dienstleistungen kennzeichnen. Hierzu gehören insbesondere die Art
der Waren und Dienstleistungen, ihr Verwendungszweck, ihre Nutzung sowie
die Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren
oder Dienstleistungen. In die Beurteilung einzubeziehen ist, ob die Waren oder
Dienstleistungen regelmäßig von denselben Unternehmen oder unter ihrer Kon-
trolle hergestellt oder erbracht werden oder ob sie beim Vertrieb Berüh-
rungspunkte aufweisen (EuGH GRUR 1998, 922 Rn. 15 – CANON; BGH
GRUR 2014, 488 Rn. 12 – DESPERADOS/DESPERADO). Soweit sich Dienst-
leistungen und Waren gegenüberstehen, ist anerkannt, dass trotz der grundle-
genden Abweichung zwischen der Erbringung einer unkörperlichen Dienstleis-
tung und der Herstellung bzw. dem Vertrieb einer körperlichen Ware grundsätz-
lich eine Ähnlichkeit in Betracht kommen kann (vgl. BGH GRUR 2004, 241 –
GeDIOS; GRUR 1999, 731 – Canon II). Dazu muss bei den beteiligten Ver-
kehrskreisen der Eindruck aufkommen, dass Ware und Dienstleistung der Kon-
trolle desselben Unternehmens unterliegen, sei es, dass das Dienstleistungs-
unternehmen sich selbständig auch mit der Herstellung oder dem Vertrieb der
Ware befasst, sei es, dass der Warenhersteller oder -vertreiber sich auch auf
dem entsprechenden Dienstleistungsgebiet betätigt (vgl. BGH GRUR 1989, 347
– MICROTRONIC). Von einer Unähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen
kann nur ausgegangen werden, wenn trotz (unterstellter) Identität der Zeichen
die Annahme einer Verwechslungsgefahr wegen des Abstandes der Waren
oder Dienstleistungen von vornherein ausgeschlossen ist (vgl. BGH a. a. O. -
DESPERADOS/DESPERADO; GRUR 2006, 941 Rn. 13 - TOSCA BLU).

Ausgehend von diesen Kriterien ist eine Ähnlichkeit zwischen den angegriffe-
nen Waren der Klasse 29 „Fleischextrakte“ zu den Widerspruchswaren „Salz,
Senf, Essig, Saucen (Würzmittel), Gewürze“ gegeben, wenn auch im geringen
Bereich; ebenfalls im geringen Ähnlichkeitsbereich liegen die angegriffenen Wa-
ren der Klasse 29 „konserviertes, tiefgekühltes, getrocknetes und gekochtes
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Obst und Gemüse“ zu den in Klasse 30 fallenden Widerspruchswaren „Würz-
mittel und Soßen“, weil es sich bei diesen Widerspruchswaren um „Toma-
tensauce und Chutneys“ handeln kann. Die Waren der Klasse 29 „Gallerten
(Gelees), Konfitüren, Kompotte“ sind ähnlich zu den Widerspruchswaren „Ho-
nig, Melassesirup“, bezüglich der „Kompotte“ aber nur im Randbereich. Die Wa-
ren der Klasse 29 „Milch“ sind noch ähnlich zu den - nichtalkoholischen - Wi-
derspruchswaren der Klasse 32; ferner sind die Waren der Klasse 29 „Milch-
produkte“ in hohem Grade ähnlich zu den Widerspruchswaren „Speiseeis“. Die
Waren „Speiseöle und -fette“ der Klasse 29 sind noch ähnlich zu den Wider-
spruchswaren „Senf, Essig, Saucen (Würzmittel), Gewürze“. Alle Waren der
Klasse 30 der angegriffenen Marke sind identisch im Verzeichnis der Wider-
spruchsmarke enthalten. Die Waren der Klasse 31 „frisches Obst und Gemüse“
liegen im geringen Ähnlichkeitsbereich zu den Widerspruchswaren der Klas-
se 32 „Fruchtsäfte“ bzw. „alkoholfreie Getränke“. Die Waren der Klasse 31
„land- und gartenwirtschaftliche Erzeugnisse“ (worunter jeweils auch Kartoffeln,
Rüben bzw. rote Bete, Gurken, Gemüse, Obst zu subsumieren sind) sind - über
die Waren Säfte - noch ähnlich zu den Widerspruchswaren der Klasse 32
„Fruchtsäfte“ bzw. „alkoholfreie Getränke“ (vgl. zu Vorgenanntem Richter/Stop-
pel, Die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen, 16. Auflage, jeweils bei
den entsprechenden Warenbegriffen).

Desweiteren ist eine durchschnittliche Ähnlichkeit zu bejahen zwischen den
Dienstleistungen der Klasse 35 der angegriffenen Marke „Großhandelsdienst-
leistungen, Einzelhandelsdienstleistungen, Online- oder Katalogversandhan-
delsdienstleistungen“ im Bereich „Lebensmittel“ zu den Widerspruchswaren der
Klasse 30, bei den gehandelten Waren „Getränke“ zu den Widerspruchswaren
der Klasse 32 und 33 sowie im Warenbereich „sonstige Genussmittel“ zu den
Widerspruchswaren z. B. „Zucker“, „Schokoladenwaren“ oder „alkoholische Ge-
tränke“, weil es sich hierbei jeweils um Genussmittel handelt. Das gehandelte
Sortiment ist hier identisch zu den jeweils genannten Widerspruchswaren; fer-
ner bieten Händler in diesen Bereichen auch vielfach Eigenmarken an, so dass
- 11 -
nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (GRUR 2014, 378 Rn. 39 –
OTTO CAP) die Voraussetzungen für die Annahme einer Ähnlichkeit vorliegen
(vgl. alkoholische Getränke zu Handelsdienstleistungen mit solchen: BPatG,
Beschluss vom 01.10.2014, 29 W (pat) 86/12).

Schließlich ist eine Ähnlichkeit zwischen den Widerspruchswaren einerseits und
den angegriffenen Waren der Klasse 29 „Fleisch, Fisch, Geflügel, Wild, Eier“
sowie den Waren der Klasse 31 „Samenkörner sowie forstwirtschaftliche Er-
zeugnisse, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind; lebende Tiere;
Sämereien, lebende Pflanzen und natürliche Blumen; Futtermittel, Malz“ ande-
rerseits nicht festzustellen.

2. Die von der angegriffenen Marke und der Widerspruchsmarke beanspruchten
identischen oder ähnlichen Waren und Dienstleistungen richten sich überwie-
gend an Endverbraucher, bei denen – trotz der eher niedrigpreisigen Waren –
überwiegend von einem durchschnittlichen Aufmerksamkeitsgrad auszugehen
ist, weil der Verbraucher Lebensmitteln und Getränken durchaus mit gewisser
Sorgfalt begegnet.

3. Die Widerspruchsmarke ist von Haus aus durchschnittlich kennzeichnungskräf-
tig; Anhaltspunkte für eine verminderte Kennzeichnungskraft liegen nicht vor.
Für einen Teil der Waren verfügt die Widerspruchsmarke aber über eine erheb-
lich gesteigerte Kennzeichnungkraft.

Bei der Bestimmung der Kennzeichnungskraft sind alle relevanten Umstände zu
berücksichtigen, zu denen insbesondere die Eigenschaften, die die Marke von
Haus aus besitzt, der von der Marke gehaltene Marktanteil, die Intensität, die
geografische Verbreitung und die Dauer der Benutzung der Marke, der Werbe-
aufwand des Unternehmens für die Marke und der Teil der beteiligten Ver-
kehrskreise gehören, die die Waren oder Dienstleistungen aufgrund der Marke
als von einem bestimmten Unternehmen stammend erkennen (st. Rspr.; EuGH
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GRUR 2005, 763 Rn. 31 - Nestlé/Mars; BGH GRUR 2017, 75 Rn. 29 -
WUNDERBAUM II; GRUR 2013, 833 Rn. 41 - Culinaria/Villa Culinaria).

Danach ist der Widerspruchsmarke in Bezug auf die Waren der Klasse 33 „al-
koholische Getränke“, zu denen auch Sekte und Schaumweine zählen, ange-
sichts ihrer jahrzehntelangen und umfangreichen Benutzung, der vor allem im
Fernsehen sehr präsenten Werbung sowie ihrer Marktführerschaft (2013 im
Sektmarkt LEH 34,7%) auf diesem Warengebiet - auch schon zum Anmelde-
zeitpunkt der angegriffenen Marke im November 2012 - eine erheblich gestei-
gerte Kennzeichnungskraft zuzubilligen (vgl. GfK-Gutachten Markenbekanntheit
2013, Bl. 43-48 d. VA.; auch BPatG, Beschluss vom 28.09.2011,
26 W (pat) 553/10; lediglich ergänzend wird auch auf weitere Statistiken/Artikel
aus allgemein zugänglichen Medien verwiesen wie z. B. unter „de.statista.com“:
Marktanteil von Rotkäppchen-Sekt am Sektabsatz in Deutschland in den Jahren
2007 bis 2015; unter „www.wiwo.de“: Marktanteile der führenden Sektmarken in
Deutschland 2014; unter „marktforschung.de“ West-Ost-Markenstudie 2015:
„Rotkäppchen Sekt (92 Prozent) bleibt unangefochten die bekannteste Marke“;
unter „www.mafo.com“ BrandFeel.News, Umfrage über Markenstärke: „Rot-
käppchen erzielt in Puncto Tradition die höchsten Werte (7,6) der gesamten
Konkurrenz und ist darüber hinaus bei fast allen Befragten bekannt (96%)“; un-
ter „www.t-online.de“ Artikel über Sekt-Test 2009: „Rotkäppchen ist gut und
günstig“; Wikipedia Die freie Enzyklopädie, Stichwort: Rotkäppchen Sektkelle-
reien).

Eine erhöhte Kennzeichnungskraft beschränkt sich auf die Waren und Dienst-
leistungen, für die durch eine entsprechende Benutzung eine gesteigerte Ver-
kehrsgeltung anzuerkennen ist (BGH GRUR 2009, 484, 491 Rn. 38 - Metrobus;
GRUR 2004, 235, 238 - Davidoff II). Diese erhöhte Kennzeichnungskraft kann
auf eng verwandte Waren und Dienstleistungen ausstrahlen. Dabei ist auf die
Umstände des Einzelfalls abzustellen. Die Ausstrahlungswirkung erstreckt sich
aber nicht auf den gesamten Bereich der ähnlichen Waren und Dienstleistun-
- 13 -
gen und kann jedenfalls unähnliche Waren und Dienstleistungen nicht erfassen
(BPatG, Beschluss vom 02.07.2007, 30 W (pat) 67/06 – FOCUsept/FOCUS;
Beschluss vom 30.12.2005, 27 W (pat) 59/04 – ELLE/Ellee). Im vorliegenden
Fall kann nicht zuletzt angesichts des gerichtsbekannten Angebots von alko-
holfreiem Sekt unter der Widerspruchsmarke auch von einer erhöhten Kenn-
zeichnungskraft für die nichtalkoholischen Getränke in Klasse 32 ausgegangen
werden. Eine solche Ausstrahlungswirkung kommt jedoch für die weiteren Wi-
derspruchswaren, insbesondere der Klasse 30, nicht in Betracht; insoweit ver-
bleibt es bei durchschnittlicher Kennzeichnungskraft.

4. Im Bereich der identischen Waren der Klasse 30 hat – bei durchschnittlicher
Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke hierfür – die angegriffene Marke
zur Vermeidung einer markenrechtlich relevanten Verwechslungsgefahr einen
deutlichen Abstand einzuhalten. Bei den im Ähnlichkeitsbereich liegenden an-
gegriffenen Waren der Klasse 29 und 31 sind je nach Grad der Ähnlichkeit und
je nach Grad der insoweit zuzubilligenden Kennzeichnungskraft weniger stren-
ge bis strenge Anforderungen an den Markenabstand zu stellen. Im Umfang der
ähnlichen Dienstleistungen hat - soweit sich diese auf Getränke und sonstige
Genussmittel beziehen - die angegriffene Marke wegen der erheblich erhöhten
Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke für die maßgeblichen Vergleichs-
widerspruchswaren einen deutlichen Abstand einzuhalten, in Bezug auf die
Handelsdienstleistungen im Bereich Lebensmittel sind die Anforderungen wie-
derum nicht so streng. Selbst den strengen Anforderungen wird die angegrif-
fene Marke aber gerecht.

a) Eine unmittelbare Verwechslungsgefahr zwischen den Vergleichsmarken
kommt nicht in Betracht.
- 14 -
Die Marken in ihrer Gesamtheit

und

zeigen wegen der grafischen Ausgestaltung der angegriffenen Marke, insbe-
sondere im Hinblick auf das Bild eines Mädchens, sowie der zusätzlichen Wort-
bestandteile ausreichend deutliche Unterschiede.

Selbst wenn in klanglicher Hinsicht davon auszugehen ist, dass die angegrif-
fene Marke nur mit dem Wort „Grünkäppchen“ benannt wird - also die Internet-
adresse sowie der Slogan „- natürlich Bio“ mündlich nicht wiedergegeben wer-
den -, reichen die Unterschiede in den Anfangssilben bei den Vergleichswörtern
„Grünkäppchen“ und „Rotkäppchen“ aus, um eine klangliche Verwechslungs-
gefahr auszuschließen. Denn die Unterschiede befinden sich am erfahrungsge-
mäß stärker beachteten Wortbeginn. Zudem werden die Unterschiede der dem
übereinstimmenden Wortelement „-käppchen“ vorangestellten Farbangaben
„Grün“ und „Rot“ sofort wahrgenommen, so dass ein Auseinanderhalten wegen
des abweichenden Sinngehalts sicher möglich ist. Der Grad der Ähnlichkeit ist
daher nicht groß genug, um eine unmittelbare Verwechslungsgefahr zu beja-
hen.

Eine allein prägende Stellung nur des Elements „-käppchen“ in beiden Marken
scheidet jeweils wegen der Verbindung zu einer gesamtbegrifflichen Einheit der
Wörter „Grünkäppchen“ und „Rotkäppchen“ aus.
- 15 -
b) Eine Verwechslungsgefahr durch gedankliches Inverbindungbringen ist
ebenfalls zu verneinen.

Eine mittelbare Verwechslungsgefahr unter dem Gesichtspunkt einer Serienzei-
chenbildung scheidet schon deswegen aus, weil die Widersprechende nicht
vorgetragen hat, dass sie eine Serie mehrerer Zeichen, in die die angegriffene
Marke sich einfügt, benutzt (vgl. BGH GRUR 2013, 840 Rn. 23 – PROTI II;
GRUR 2013, 1239 Rn. 48 – VOLKSWAGEN/Volksinspektion).

Auch eine Markenusurpation (sei es als mittelbare Verwechslungsgefahr oder
Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne) scheidet aus, weil nur ein Teil der Wi-
derspruchsmarke, nämlich „-käppchen“, übernommen wurde. Der vorliegende
Streifall ist nicht vergleichbar mit der Entscheidung des erkennenden Senats in
Sachen „Volksfahrrad/Volkswagen“ - Beschluss vom 06.04.2016,
29 W (pat) 73/10 -, weil dort - anders als hier - besondere Umstände festzustel-
len waren, die die Annahme einer Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne ge-
rechtfertigt hatten. Die hiesige Widerspruchsmarke „Rotkäppchen“ mag zwar
sehr bekannt sein, von ihrem Wortelement „-käppchen“ geht aber keine solche
Signalwirkung wie bei „Volks-“ aus. Zudem kann für den hier relevanten Ge-
tränkebereich, in dem die Widerspruchsmarke hohe Kennzeichnungskraft be-
sitzt, nicht festgestellt werden, dass Anbieter auf ihre Bioproduktlinien regelmä-
ßig mit „Grün-„ hinweisen. Im Zusammenhang mit alkoholischen Getränken
- insbesondere Wein und Sekt - bezieht sich die Bedeutung von „Grün“ nicht auf
ökologische Merkmale, sondern im Wesentlichen auf die Rebsorte bzw. Trau-
benart (z. B. Grüner Veltliner). Der angesprochene Verkehrskreis, der klanglich
nur mit Grünkäppchen konfrontiert wird, stellt daher keinen Bezug zu einer öko-
logischen Herstellungsweise her. Lediglich derjenige Verbraucher, der die an-
gegriffene Marke vor sich hat und den Zusatz „-natürlich Bio“ aufnimmt, kann zu
einer solchen Auffassung gelangen; hier führt dann aber die Internetadresse
derart weg von der Widersprechenden und ihrem Unternehmenskennzeichen-
Bestandteil „Rotkäppchen“, dass der Verkehr eine geschäftliche, wirtschaftliche
- 16 -
oder organisatorische Beziehung zwischen den beiden Vergleichsmarkeninha-
bern nicht vermutet und damit auch keine markenrechtlich relevante herkunfts-
mäßige Fehlzuordnung vornimmt. Eine solche mögliche Herkunftsverwirrung ist
aber für die Annahme einer Verwechslungsgefahr durch gedankliches Inverbin-
dungbringen erforderlich.

Aus vergleichbaren Erwägungen kommt auch eine sog. mittelbar begriffliche
Verwechslungsgefahr nicht in Betracht. Eine solche kann gegeben sein, wenn
trotz der erkannten begrifflichen Unterschiede wegen einer Ähnlichkeit des
Sinngehalts und einer einander entsprechenden Markenbildung auf eine Zu-
sammengehörigkeit geschlossen werden kann (vgl. hierzu Hacker in Ströbe-
le/Hacker, MarkenG, 11. Aufl., § 9 Rn. 510); die gedankliche Verbindung muss
sich hier aufdrängen. Hat der Verbraucher die angegriffene Marke vor sich, ruft
das Zeichen wegen der Angabe „Grünkäppchen“ zusammen mit dem Bild eines
Mädchens mit eng anliegender Kopfbedeckung, trotz der Farbe grün, sofort und
ungezwungen die Märchenfigur „Rotkäppchen“ und damit die Widerspruchs-
marke in Erinnerung. Allerdings ist wegen der weiteren Ausgestaltung der jün-
geren Marke nicht damit zu rechnen, dass die Durchschnittsverbraucher der
fraglichen Waren und Dienstleistungen die angegriffene Marke als solche aus
dem Geschäftsbetrieb der Inhaberin der älteren Marke ansehen könnte.

Die Ähnlichkeit der Vergleichsmarken ist nach alledem zu gering, um die Annah-
me einer Verwechslungsgefahr zu begründen. Ein Löschungsgrund nach §§ 42
Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist daher nicht gegeben.

B) Für die im Tenor aufgeführten Dienstleistungen kann die Beschwerdeführerin
ihr Löschungsbegehren aber mit Erfolg auf § 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG stützen.
Denn es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdegegner bei Benutzung der
angegriffenen Marke für die genannten Handelsdienstleistungen die Unterschei-
dungskraft und Wertschätzung der bekannten Widerspruchsmarke in unzulässiger
Weise ausnutzt.
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1. Die angegriffene Marke ist am 28. November 2012 angemeldet worden, so dass
der Bekanntheitsschutz nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG im Widerspruchsverfah-
ren geltend gemacht werden kann (§ 165 Abs. 2 MarkenG).

2. Die Eintragung einer Marke ist auf den Widerspruch nach §§ 42 Abs. 2 Nr. 1,
§ 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG zu löschen, wenn sie mit einer prioritätsälteren, im In-
land bekannten Marke identisch oder ähnlich ist und ihre Benutzung geeignet
ist, die Unterscheidungskraft oder Wertschätzung der Widerspruchsmarke ohne
rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise auszunutzen oder zu beeinträchti-
gen. Diese Voraussetzungen sind bei – im Rahmen von § 9 Abs. 1 Nr. 3 Mar-
kenG zu unterstellender – marken- bzw. funktionsgemäßer Benutzung der jün-
geren Marke für die Dienstleistungen „Einzelhandelsdienstleistungen in den Be-
reichen: Getränke, sonstige Genussmittel; Großhandelsdienstleistungen in den
Bereichen: Getränke, sonstige Genussmittel; Online- oder Katalogversandhan-
delsdienstleistungen in den Bereichen: Getränke, sonstige Genussmittel“ gege-
ben.

a) Die Widerspruchsmarke ist eine bekannte Marke im Sinne des § 9 Abs. 1
Nr. 3 MarkenG. Voraussetzung für das Vorliegen einer bekannten Marke ist,
dass das jeweilige Zeichen als Marke einem bedeutenden Teil des Publikums
bekannt ist, welches von den durch die Marke erfassten Waren oder Dienst-
leistungen betroffen ist, ohne dass bestimmte Prozentsätze des Bekanntheits-
grades zu fordern sind. Erforderlich ist eine Bekanntheit als Kennzeichnungs-
mittel für bestimmte Waren oder Dienstleistungen (BGH GRUR 2004, 235, 238
– Davidoff II). Bei der Prüfung, ob eine Marke bekannt ist, sind alle relevanten
Umstände des Falles zu berücksichtigen. Zu den maßgeblichen Bekanntheits-
faktoren zählen dabei neben der Bekanntheit im demoskopischen Sinne der
Marktanteil der Marke, die Intensität ihrer Benutzung (Umsatzstärke), die geo-
grafische Ausdehnung und die Dauer ihrer Benutzung sowie der Umfang der In-
vestitionen, die das Unternehmen zu ihrer Förderung getätigt hat, wie z. B.
Werbeaufwendungen (vgl. EuGH GRUR 2009, 1158 Rn. 25 - PAGO/Tirolmilch;
- 18 -
BGH GRUR 2017, 75 Rn. 37 - WUNDERBAUM II; GRUR 2015, 1214 Rn. 20 -
Goldbären; GRUR 2015, 1114 Rn. 10 - Springender Pudel).

Tatsachen, aus denen sich die Bekanntheit einer Marke ergibt, können allge-
mein geläufig und deshalb offenkundig im Sinne des § 291 ZPO sein. Dazu
rechnet auch, dass die Marke während eines längeren Zeitraums in weitem
Umfang auf dem Markt erscheint und jedermann gegenübertritt (vgl. BGH
GRUR 2011, 1043 Rn. 49 - TÜV II; GRUR 2014, 378 Rn. 27 - OTTO Cap).
Dass der Widerspruchsmarke nach diesen Kriterien – wie oben bereits bei der
Kennzeichnungskraft ausgeführt – eine entsprechende Bekanntheit im Inland
zum Anmeldezeitpunkt der angegriffenen Marke zukam und weiterhin zukommt,
ist gerichtsbekannt und wird vom Inhaber der jüngeren Marke im Übrigen auch
nicht in Abrede gestellt. Darüberhinaus verfügt die Widerspruchsmarke über ei-
ne besondere Wertschätzung beim Verbraucher in Bezug auf Tradition und
Qualität („gut und günstig“).

b) Die Klägerin kann sich auf den Bekanntheitsschutz in entsprechender An-
wendung von § 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG auch im Bereich identischer oder ähnli-
cher Waren und Dienstleistungen berufen (vgl. BGH a. a. O. Rn. 37 - WUN-
DERBAUM II; a. a. O. Rn. 24 - Goldbären; a. a. O. Rn. 14 - Springender Pudel).

c) Die Vergleichsmarken sind in für die Anwendung von § 9 Abs. 1 Nr. 3 Mar-
kenG hinreichender Weise ähnlich. Diese Markenähnlichkeit ist im Ausgangs-
punkt nach den auch für § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG geltenden Grundsätzen zu
beurteilen, mithin kann sie sich gleichermaßen aus Übereinstimmungen im
Klang, im (Schrift)bild oder in der Bedeutung ergeben (vgl. BGH a. a. O. Rn. 34
– Goldbären; a. a. O. Rn. 23 – Springender Pudel), wobei es auch hier auf den
jeweiligen Gesamteindruck der einander gegenüberstehenden Marken an-
kommt. Besteht keine Markenähnlichkeit, scheidet der Bekanntheitsschutz aus
(EuGH GRUR 2010, 1098 Rn. 68 – CK Calvin Klein; BGH GRUR 2009, 672
Rn. 49 – OSTSEE-POST). Angesichts des Umstands, dass beide Marken den
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Bestandteil bzw. das Element „-käppchen“ aufweisen, auch wenn er jeweils
nicht im markenrechtlichen Sinne prägender Einzelbestandteil ist, sowie der
Wiedergabe eines Mädchens mit eng anliegender Kappe sind klangliche, bildli-
che und begriffliche Annäherungen bzw. Übereinstimmungen gegeben, die zu
einer Ähnlichkeit der Vergleichsmarken führen. Diese ist im vorliegenden Fall
zwar zu gering, um die Annahme einer Verwechslungsgefahr zu begründen.
Für die Anwendung von § 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG liegt aber eine ausreichende
Markenähnlichkeit vor.

Nicht Voraussetzung für den Bekanntheitsschutz ist nämlich - sowohl nach der
Rechtsprechung des EuGH wie auch der des BGH -, dass eine Verwechs-
lungsgefahr oder eine Herkunftstäuschung besteht (vgl. EuGH GRUR 2009, 56
Rn. 58 - Intel/CPM; BGH a. a. O. Rn. 29 und 36 - Springender Pudel). Es ge-
nügt vielmehr, dass der Grad der Ähnlichkeit zwischen der bekannten Marke
und dem jüngeren Zeichen bewirkt, dass die beteiligten Verkehrskreise das
Zeichen und die Marke gedanklich miteinander verknüpfen (EuGH GRUR 2009,
56 Rn. 30 - Intel/CPM; GRUR 2004, 58 Rn. 29 und 31 - Adidas/Fitnessworld;
GRUR 2008, 503 Rn. 41 - adidas/Marca; BGH a. a. O. Rn. 29).

Die Frage, ob eine gedankliche Verknüpfung zwischen zwei Marken stattfindet,
ist unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des konkreten Falles zu
beurteilen, zu denen der Grad der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehen-
den Marken, die Art der fraglichen Waren und Dienstleistungen einschließlich
des Grades ihrer Nähe, das Ausmaß der Bekanntheit der älteren Marke, ihre
originäre oder durch Benutzung erworbene Unterscheidungskraft und (ohne
dass dies erforderlich wäre) das Bestehen von Verwechslungsgefahr zählen
(vgl. EuGH GRUR Int. 2011, 500 Rn. 56 - TiMi KINDERJOGHURT/KINDER;
GRUR 2009, 56 Rn. 41 f. - Intel/CPM). Ob mit dieser “gedanklichen Verknüp-
fung” gemeint ist, dass auch jene Zeichenassoziationen erfasst werden, die die
bekannte Marke in Erinnerung rufen oder bloße Assoziationen gerade nicht
ausreichen - was durchaus in Rechtsprechung und Literatur kontrovers disku-
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tiert wird - muss hier nicht abschließend beurteilt werden. Denn im vorliegenden
Fall stellt die angegriffene Marke jedenfalls nicht lediglich allgemeine Assoziati-
onen zur bekannten Widerspruchsmarke her.

Unter Berücksichtigung der hohen Bekanntheit der Widerspruchsmarke sowie
ihrer stark erhöhten Kennzeichnungskraft für die Ware Sekt werden die ange-
sprochenen Verkehrskreise die jüngere Marke – sofern ihnen diese im Rahmen
von Handelsdienstleistungen mit Sekt begegnet – gedanklich mit der bekannten
älteren Sektmarke verknüpfen. Dabei handelt es sich nicht um eine bloße As-
soziation, die aufgrund einer geschickt gewählten begrifflichen Annäherung be-
stehende Zeichenunterschiede überwindet (z. B. über einen den beiden Marken
gemeinsamen Oberbegriff oder ein beiden Marken zugrunde liegendes Zei-
chenbildungsprinzip), vielmehr ruft der Wortbestandteil „Grünkäppchen“ sowie
dessen schriftbildliche und klangliche Teilübereinstimmung in „-käppchen“ im
Zusammenhang mit dem Bild eines Mädchens mit (grünem) Käppchen beim
Verbraucher sofort und unmittelbar die Widerspruchsmarke „Rotkäppchen“ in
Erinnerung; das angegriffene Zeichen erreicht durch diese Annäherungen/Über-
einstimmungen die Aufmerksamkeit des angesprochenen Verkehrs. Dies gilt
aber nur im Getränkebereich, nicht hingegen im Bereich der hier sogar identi-
schen Waren der Klasse 30, weil hierfür keinerlei erhöhte Kennzeichnungskraft
oder Bekanntheit festzustellen ist und bei einem solchen Handelssortiment der
Verbraucher die Widerspruchsmarke gar nicht assoziiert.

d) Die angegriffene Marke nutzt die Wertschätzung und Unterscheidungskraft
der älteren Marke ohne rechtfertigenden Grund aus. Von der Ausnutzung der
Unterscheidungskraft einer bekannten Marke ist auszugehen, wenn ein Dritter
durch Verwendung eines Zeichens, das einer bekannten Marke ähnlich ist, ver-
sucht, sich in den Bereich der Sogwirkung dieser Marke zu begeben, um von ih-
rer Anziehungskraft, ihrem Ruf und ihrem Ansehen ohne jede finanzielle Ge-
genleistung und ohne eigene Anstrengungen zu profitieren oder auf andere
Weise an der Aufmerksamkeit teilzuhaben, die mit der Verwendung eines der
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bekannten Marke ähnlichen Zeichens verbunden ist (vgl. EuGH GRUR 2009,
756 Rn. 49 - L'Oréal/Bellure; BGH GRUR 2013, 1239 Rn. 54 – VOLKSWA-
GEN/Volks.Inspektion; GRUR 2014, 378 Rn. 33 - OTTO Cap). Mit der Annähe-
rung an die Widerspruchsmarke „Rotkäppchen“ macht sich der Beschwerdege-
gner deren Bekanntheit und Gütevorstellungen zunutze, die der Verkehr mit
den unter der Marke vertriebenen Erzeugnissen „Sekt“ verbindet; er begibt sich
insoweit in deren Sogwirkung. Einen rechtfertigenden Grund dafür hat der Be-
schwerdegegner weder vorgetragen, noch ist ein solcher ersichtlich.


Auf die Beschwerde der Widersprechenden war der Beschluss der Markenstelle
daher teilweise aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke in dem
aus dem Tenor ersichtlichen Umfang anzuordnen. Im Übrigen war die Be-
schwerde zurückzuweisen.


C) Für eine Auferlegung der Kosten auf einen Beteiligten aus Billigkeitsgründen
gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG besteht kein Anlass.
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Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das Rechtsmittel der
Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist sie nur statt-
haft, wenn gerügt wird, dass

1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,

2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes
kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abge-
lehnt war,

3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,

4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er
nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,

5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschrif-
ten über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder

6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.

Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Bun-
desgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe, durch eine beim Bundesgerichtshof zugelas-
sene Rechtsanwältin oder durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt
schriftlich einzulegen.


Dr. Mittenberger-Huber Akintche Dr. von Hartz

Hu


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