29 W (pat) 536/15  - 29. Senat (Marken)
Karar Dilini Çevir:

BPatG 152
08.05

BUNDESPATENTGERICHT



29 W (pat) 536/15
_______________________
(Aktenzeichen)



B E S C H L U S S

In der Beschwerdesache



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betreffend die Marke 30 2012 006 025

hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am
13. Dezember 2017 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Mittenberger-Huber, die
Richterin Akintche und die Richterin Seyfarth

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.


G r ü n d e

I.

Die angegriffene farbige Wort-/Bildmarke



ist am 9. Juli 2012 angemeldet und am 15. Oktober 2012 in das beim Deutschen
Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register für die Dienstleistungen der

Klasse 35: Einzel- und Großhandelsdienstleistungen auch über das
Internet betreffend Kinder- und Babyartikel, Spielwaren;
Werbung; Marketing; Zusammenstellung von Waren für
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Dritte zu Präsentations- und Verkaufszwecken; Präsentation
von Waren in Kommunikations-Medien für den Einzelhandel;
Vermittlung von Verträgen für Dritte über den An- und Ver-
kauf von Waren; Vermittlung von Handels- und Wirtschafts-
kontakten, auch über das Internet; Vermittlung von Handels-
geschäften für Dritte, auch im Rahmen von e-commerce;
Online- Werbung in einem Computernetzwerk;

eingetragen worden. Die Veröffentlichung erfolgte am 16. November 2012.

Gegen die Eintragung dieser Marke hat die Beschwerdegegnerin aus der interna-
tional registrierten Wortmarke IR 1 096 531 sowie aus der Unionsmarke
UM 001 697 044 Widerspruch erhoben.

Die international registrierten Wortmarke 1 096 531

P‘TIT FILOU

ist am 16. September 2011 angemeldet worden und genießt seit dem 9. Mai 2012
Schutz für die Bundesrepublik Deutschland für folgende Waren:

Klasse 24: Textiles and textile goods, not included in other classes; bed
and table covers;

Klasse 25: Clothing, footwear, headgear for children up to 12 years;

Klasse 28: Games and playthings; gymnastic and sporting articles not
included in other classes; decorations for Christmas trees.

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Die Unionsmarke UM 001 697 044




ist am 6. Juni 2000 angemeldet und am 19. September 2000 für die Waren der

Klasse 03: Seifen, Parfümerien, ätherische Öle, Kosmetika, Haarwäs-
ser; Zahnputzmittel;

Klasse 20: Möbel, Spiegel, Rahmen; Waren, soweit sie nicht in anderen
Klassen enthalten sind, aus Holz, Kork, Rohr, Binsen, Weide,
Horn, Knochen, Elfenbein, Fischbein, Schildpatt, Bernstein,
Perlmutter, Meerschaum und deren Ersatzstoffen oder aus
Kunststoffen;

Klasse 26: Haarnadeln, Haarschmuck, Haarbänder, Haarklammern,
Spitzen und Stickereien, Bänder und Schnürbänder; Knöpfe,
Haken und Ösen;

Klasse 28: Spiele, Spielzeug;

Klasse 30: Konditorwaren; Mehle und Getreidepräparate, feine
Backwaren, Speiseeis;
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eingetragen worden.

Die Markenstelle für Klasse 35 des DPMA hat mit Beschluss vom 12. Juni 2015
auf den Widerspruch aus der international registrierten Marke IR 1 096 531 die
Eintragung der angegriffenen Marke teilweise gelöscht, und zwar für die Dienst-
leistungen der Klasse 35 „Einzel- und Großhandelsdienstleistungen auch über das
Internet betreffend Kinder- und Babyartikel, Spielwaren“.

Zur Begründung führt sie aus, zwischen der angegriffenen Marke und der Wider-
spruchsmarke „P‘TIT FILOU“ bestehe bezüglich der genannten Dienstleistungen
eine unmittelbare klangliche Verwechslungsgefahr. Nach der hier maßgeblichen
Registerlage seien die Waren der Widerspruchsmarke in den Klassen 25 und 28,
die Kinderbekleidung bzw. Spielzeug betreffen, ähnlich zu den Dienstleistungen
der angegriffenen Marke, insbesondere zu Einzel- und Großhandelsdienstleistun-
gen betreffend Kinder- und Babyartikel, Spielwaren. Die Widerspruchsmarke ver-
füge mangels entgegenstehender Anhaltspunkte über eine durchschnittliche
Kennzeichnungskraft und damit sei von einem normalen Schutzumfang auszuge-
hen. Den vor diesem Hintergrund einzuhaltenden deutlichen Abstand zu der Wi-
derspruchsmarke halte die jüngere Marke nicht ein. In ihrer Gesamtheit unter-
schieden sich die Vergleichszeichen durch die grafische Ausgestaltung der ange-
griffenen Marke in Form einer stilisierten Abbildung zweier sich an den Händen
haltender Kinder. Der Gesamteindruck der jüngeren Marke werde jedoch, auch
unter Berücksichtigung des Erfahrungssatzes, dass der Verkehr bei Kombinati-
onszeichen dem Wort als einfachster und kürzester Bezeichnungsform die prä-
gende Bedeutung zumisst, durch den Wortbestandteil „Petit Filou“ dominiert. Es
stünden sich somit „Petit Filou“ und „P‘TIT FILOU“ gegenüber. Da die Aussprache
trotz unterschiedlicher Schreibweise gleich sei, seien die Wortbestandteile klang-
lich identisch. Im Hinblick auf die übrigen für die angegriffene Marke eingetrage-
nen Dienstleistungen bestehe mangels Waren- und Dienstleistungsähnlichkeit
keine Verwechslungsgefahr.

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Den Widerspruch aus der Unionsmarke UM 001 697 044 hat die Markenstelle zu-
rückgewiesen, da auf die zulässig erhobene Einrede der Nichtbenutzung eine
rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke für die in Rede stehenden
Waren nicht glaubhaft gemacht worden sei.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke.

Sie ist der Auffassung, dem Wortbestandteil der Widerspruchsmarke könne keine
durchschnittliche Kennzeichnungskraft zuerkannt werden, da es sich um einen
beschreibenden Begriff handele. Ein großer Teil des angesprochenen Verkehrs-
kreises sei der französischen Sprache insoweit mächtig, dass er die Bedeutung
von „Petit Filou“, nämlich „kleiner Schlingel“, „kleiner Spitzbub“, verstehe, zumin-
dest sei der Ausdruck im deutschsprachigen Raum bekannt. Die Bezeichnung sei
schutzunfähig i. S. d. § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG, da sie einen bestimmten Adres-
satenkreis, nämlich Kinder, die als „Schlingel“ bezeichnet werden könnten, cha-
rakterisiere, für den die gegenständlichen Waren gedacht seien. Da glatt be-
schreibende Bestandteile nicht prägend sein könnten, sei für den Zeichenvergleich
auf die konkrete grafische Gestaltung abzustellen, die ausreiche, um den erforder-
lichen Abstand einzuhalten.

Die Beschwerdeführerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss der Markenstelle für Klasse 35 des Deutschen
Patent- und Markenamts vom 12. Juni 2015 insoweit aufzuheben,
als die Löschung der angegriffenen Marke angeordnet worden ist.

Die Widersprechende hat sich zu der Beschwerde nicht geäußert.
Im Widerspruchsverfahren vor dem DPMA hat sie vorgetragen, die sich gegen-
über stehenden Wortbestandteile „petit filou“ und „p‘tit filou“ seien nahezu iden-
tisch. Da sich auch korrespondierende Waren und Dienstleistungen gegenüber
stünden, bestehe eine hochgradige Verwechslungsgefahr.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.


II.

Die nach §§ 64 Abs. 6, 66 MarkenG zulässige Beschwerde der Inhaberin der an-
gegriffenen Marke hat in der Sache keinen Erfolg. Nachdem die Markenstelle für
Klasse 35 des DPMA den Widerspruch aus der Marke UM 001 697 044 vollstän-
dig und aus der Marke IR 1 096 531 teilweise zurückgewiesen hat, ist nur noch
der Widerspruch aus der Marke IR 1 096 531 „P‘TIT FILOU“ im Umfang der „Ein-
zel- und Großhandelsdienstleistungen auch über das Internet betreffend Kinder-
und Babyartikel, Spielwaren“ verfahrensgegenständlich.

Zwischen den Vergleichsmarken besteht im vorgenannten Umfang Verwechs-
lungsgefahr gemäß §§ 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2, 119 Abs. 1, 116 MarkenG,
so dass die Markenstelle zu Recht insoweit die Löschung der angegriffenen Marke
angeordnet hat.

1. Die Frage der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG
ist unter Heranziehung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen.
Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen der Identität oder der Ähnlichkeit
der Waren oder Dienstleistungen, dem Grad der Ähnlichkeit der Marken und der
Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke in der Weise auszugehen, dass
ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen
höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine gesteigerte Kennzeich-
nungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.;
vgl. EuGH MarkenR 2014, 245 ff. – Bimbo/HABM [BIMBO DOUGHNUTS/
DOGHNUTS]; GRUR Int. 2012, 754 Rn. 63 – XXXLutz Marken GmbH./.HABM
[Linea Natura Natur hat immer Stil]; GRUR 2010, 1098 Rn. 44 – Calvin Klein/
HABM [CK CREATIONES KENNYA/CK CAKVIN KLEIN]; GRUR-RR 2009, 356
Rn. 45 f. – Éditions Albert René/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH GRUR 2016,
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382 Rn. 19 – BioGourmet m. w. N.). Darüber hinaus können für die Beurteilung
der Verwechslungsgefahr weitere Faktoren relevant sein, wie unter anderem etwa
die Art der Ware, die im Einzelfall angesprochenen Verkehrskreise und daraus
folgend die zu erwartende Aufmerksamkeit und das zu erwartende
Differenzierungsvermögen dieser Verkehrskreise bei der Wahrnehmung der
Kennzeichen.

a) Ausgehend von der allein maßgeblichen Registerlage besteht durchschnittli-
che Ähnlichkeit zwischen den verfahrensgegenständlichen Dienstleistungen
„Einzel- und Großhandelsdienstleistungen auch über das Internet betreffend
Kinder- und Babyartikel, Spielwaren“ und den für die Widersprechende einge-
tragenen Waren der Klasse 25 „Clothing, footwear, headgear for children up to
12 years“ und der Klasse 28 „Games and playthings“.

Eine Ähnlichkeit von beiderseitigen Waren oder Dienstleistungen ist grund-
sätzlich anzunehmen, wenn diese unter Berücksichtigung aller erheblichen
Faktoren, die ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen, insbesondere ihrer Be-
schaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen
Vertriebs- oder Erbringungsart, ihrem Verwendungszweck und ihrer Nutzung,
ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende
oder einander ergänzende Produkte oder Leistungen oder anderer für die
Frage der Verwechslungsgefahr wesentlichen Gründe so enge Berührungs-
punkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein
könnten, sie stammten aus demselben oder ggf. wirtschaftlich verbundenen
Unternehmen (EuGH GRUR Int. 2009, 397 Rn. 65 – P Les Éditions Albert
René Sàrl/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH, Beschluss vom 09.11.2017,
I ZB 45/16 Rn. 11 – OXFORD/Oxford Club; MarkenR 2016, 157 Rn. 21 – Bio-
Gourmet; GRUR 2015, 176 Rn. 16 – ZOOM/ ZOOM; GRUR 2004, 601 – d-c-
fix/CD-FIX; GRUR 2001, 507, 508 – EVIAN/ REVIAN). Soweit sich Dienst-
leistungen und Waren gegenüber stehen, ist anerkannt, dass trotz der grund-
legenden Abweichung zwischen der Erbringung einer unkörperlichen Dienst-
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leistung und der Herstellung bzw. dem Vertrieb einer körperlichen Ware
grundsätzlich eine Ähnlichkeit in Betracht kommt (BGH GRUR 2004, 241 – Ge
DIOS; GRUR 1999, 731 – CANON). Maßgeblich ist insoweit die Verkehrs-
anschauung. Es ist also zu fragen, ob bei den beteiligten Verkehrskreisen der
Eindruck aufkommen kann, Ware und Dienstleistung unterlägen der Kontrolle
desselben Unternehmens, sei es, dass das Dienstleistungsunternehmen sich
selbständig auch mit der Herstellung bzw. dem Vertrieb der Waren befasst, sei
es, dass der Warenhersteller oder –vertreiber sich auch auf dem entspre-
chenden Dienstleistungsbereich selbständig gewerblich betätigt (Ströbele/
Hacker, MarkenG, 11. Auflage, § 9 Rn. 115; BGH GRUR 2012, 1145, 1148
Rn. 35 – Pelikan).

Für die Annahme einer Ähnlichkeit zwischen Einzelhandelsdienstleistungen
und den auf sie bezogenen Waren reicht es ferner aus, dass sich die Dienst-
leistungen auf die entsprechenden Waren beziehen und die angesprochenen
Verkehrskreise aufgrund dieses Verhältnisses annehmen, die Waren und
Dienstleistungen stammten aus denselben Unternehmen (BGH GRUR 2014,
378 Rn. 39 OTTO CAP; GRUR 2012, 1145 Rn. 35 – Pelikan; Hacker in
Ströbele/Hacker, MarkenG, 11. Auflage, § 9 Rn. 115). Davon ist für das Ver-
hältnis zwischen den Waren „Clothing, footwear, headgear for children up to
12 years“ und „Games and playthings“ und den hierauf bezogenen Einzelhan-
delsdienstleistungen auszugehen, weil große Handelshäuser in diesem Wa-
rensektor häufig neben dem Verkauf fremder Waren auch Waren mit eigenen
Handelsmarken anbieten (vgl. BGH GRUR 2014, 378 Rn. 39 – OTTO CAP;
GRUR 2011, 623 Rn. 24 – Peek & Cloppenburg II).

b) Die hier relevanten Vergleichswaren und -dienstleistungen richten sich an
breite Verkehrskreise. Die Aufmerksamkeit bei der Auswahl von Waren der
Klasse 25 und 28 wird abhängig von der Preisklasse und dem Qualitätsniveau
entweder bei einfachen Artikeln im niedrigen Preissegment gering oder bei
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Luxusartikeln erhöht sein. Es kann daher insgesamt jedenfalls von einer nor-
malen Aufmerksamkeit ausgegangen werden.

c) Die Widerspruchsmarke verfügt über eine durchschnittliche Kennzeichnungs-
kraft. Eine von der Inhaberin der angegriffenen Marke behauptete Kennzeich-
nungsschwäche des Begriffs „P‘TIT FILOU“ für den Bereich der im vorliegen-
den Fall maßgeblichen Widerspruchwaren ist nicht festzustellen. Der inländi-
sche Verbraucher dürfte die Bedeutung des Begriffs „filou“ kennen, da es im
Deutschen für jemanden steht, der „andere mit Schläue, Raffinesse [in harm-
loser Weise] zu übervorteilen versteht“ (https://www.duden.de/
rechtschreibung/Filou) Selbst wenn der inländische Verkehr den französischen
Begriff „P‘TIT FILOU“ daher mit „kleiner Schlingel/Schelm/Schlawiner/Gauner“
übersetzen sollte, fehlt es an der beschreibenden Bedeutung in Bezug auf die
damit gekennzeichneten Waren. Denn zum einen können auch die Worte
„Schlingel/Schelm/Schlawiner“ einen Erwachsenen bezeichnen, ebenso wie
das Wort „klein“ nicht zwingend auf ein Kind hinweist. Zum anderen erschließt
sich nicht, inwiefern Bekleidung, Schuhe, Kopfbedeckungen für Kinder und
Spiele durch den Markenbegriff besonders charakterisiert werden. Weder in
der Bedeutung „Schlingel/Schelm/Schlawiner“ noch in der von „Gauner“
handelt es sich – entgegen der Auffassung der Markeninhaberin um eine
spezielle Zielgruppe. Dass möglicherweise über „Schlingel“ eine Assoziation
zu Kindern erweckt wird, ist für die Annahme einer beschreibenden Angabe
nicht ausreichend und führt für sich genommen nicht zu einer Kenn-
zeichnungsschwäche des Zeichens (vgl. BGH GRUR 2013, 731 Rn. 22 – Ka-
leido; GRUR 1999, 988, 990 – House of Blues; Ingerl/Rohnke, Markengesetz,
3. Aufl., § 14 Rn. 563).

d) Bei dieser Ausgangslage hat die angegriffene Marke zum sicheren Ausschluss
einer Verwechslungsgefahr im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG einen
deutlichen Abstand zur Widerspruchsmarke einzuhalten. Diesen Anforderun-
gen wird die angegriffene Marke in Bezug auf die beschwerdegegenständli-
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chen Dienstleistungen in klanglicher Hinsicht nicht mehr gerecht, da eine hohe
Zeichenähnlichkeit besteht; die Vergleichsmarken werden klanglich unmittel-
bar verwechselt.

Maßgeblich für die Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist der Gesamteindruck
der Vergleichsmarken unter Berücksichtigung der unterscheidungskräftigen
und dominierenden Elemente (EuGH GRUR 2013, 922 Rn. 35 – Specsavers/
Asda; BGH, Beschluss vom 23.10.2014, I ZR 38/14 Rn. 10 – TNT Post;
GRUR 2013, 833 Rn. 30 – Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2012, 930
Rn. 22 - Bogner B/Barbie B; GRUR 2012, 64 Rn. 15 – Maalox/Melox-GRY;
GRUR 2010, 729 Rn. 23 – MIXI; GRUR 2009, 672 Rn. 33 – OSTSEE-POST;
BPatG, Beschluss vom 18.04.2011, 26 W (pat) 30/07 – CITIPOST), wobei von
dem allgemeinen Erfahrungsgrundsatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine
Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden
Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. u. a. EuGH GRUR 2004, 428, Rn. 53
– Henkel; BGH GRUR 2001, 1151, 1152 – marktfrisch). Das schließt nicht
aus, dass unter Umständen ein oder mehrere Bestandteile einer komplexen
Marke für den durch die Marke im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrs-
kreise hervorgerufenen Gesamteindruck prägend sein können (EuGH
GRUR 2005, 1042 Rn. 28 f. – THOMSON LIFE; BGH GRUR 2012, 64 Rn. 14
– Maalox/Melox-GRY; GRUR 2009, 487 Rn. 32 – Metrobus; GRUR 2009, 672
Rn. 33 – OSTSEE-POST). Voraussetzung hierfür ist, dass die anderen Be-
standteile weitgehend in den Hintergrund treten und den Gesamteindruck der
Marke nicht mitbestimmen. Der Grad der Ähnlichkeit der sich gegenüberste-
henden Zeichen ist im Klang, im (Schrift)Bild und im Bedeutungs-(Sinn)Gehalt
zu ermitteln. Für die Annahme einer Verwechslungsgefahr reicht dabei regel-
mäßig bereits die hinreichende Übereinstimmung in einem der Wahrneh-
mungsbereiche aus (BGH GRUR 2017, 1104 Rn. 27 – Medicon-Apo-
theke/Medico Apotheke; GRUR 2015, 114 Rn. 23 – Springender Pudel;
GRUR 2015, 1009 Rn. 24 – BMW-Emblem; GRUR 2009, 1055 Rn. 26 – airdsl;
BGHZ 139, 340, 347 – Lions; MarkenR 2008, 393, Rn. 21 – HEITEC).
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Die sich gegenüberstehenden Marken zeigen insgesamt wegen des in der an-
gegriffenen Marke zusätzlich enthaltenen Bildbestandteils ausreichende Un-
terschiede. Eine schriftbildliche Verwechslungsgefahr ist daher nicht zu besor-
gen.

Die Vergleichsmarken sind jedoch klanglich verwechselbar. Die Markenstelle
hat zutreffend eine klangliche Prägung der angegriffenen Marke durch den
Bestandteil „Petit Filou“ bejaht. Bei der Feststellung des klanglichen Gesamt-
eindrucks einer Wort-/Bildmarke ist von dem in ständiger Rechtsprechung
anerkannten Erfahrungssatz auszugehen, dass der Wortbestandteil – sofern
er kennzeichnungskräftig ist – den Gesamteindruck prägt, weil er die ein-
fachste Möglichkeit bietet, die Marke zu benennen (vgl. BGH GRUR 2014, 378
Rn. 39 – OTTO CAP). Zudem ist für den phonetischen Zeichenvergleich maß-
geblich, wie die Marken von den angesprochenen Verkehrskreisen mündlich
wiedergegeben werden, wenn sie die Marke in ihrer registrierten Form vor sich
haben. Die klangliche Wiedergabe kann dabei auch durch die grafische Ge-
staltung der Marke beeinflusst werden. Schließlich kann sich eine Ausnahme
von dem Grundsatz „Wort vor Bild“ ergeben, soweit die grafische Ausgestal-
tung durch ihren Umfang und ihre kennzeichnende Wirkung die Marke derart
beherrscht, dass das Wort kaum mehr beachtet wird; in diesem Fall kann es
gerechtfertigt sein, dem Bild auch bei der mündlichen Benennung der Marke
den Vorrang einzuräumen (vgl. BGH GRUR 1959, 599 – Teekanne; BPatG
GRUR 1994, 124 – Billy the Kid; BPatG, Beschl. v. 10.12.2009,
30 W (pat) 77/09 – Chinese/Mädchen). Von einer solchen Ausnahme ist
vorliegend jedoch nicht auszugehen.

Bei dem in der jüngeren Marke enthaltenen Wortbestandteil „Petit Filou“ han-
delt es sich – wie schon bei der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke
dargestellt – um eine schutzfähige, normal kennzeichnungskräftige Angabe,
so dass dem Wort die Eignung zur Prägung nicht aus normativen Gründen
abgesprochen werden kann. Der Bildbestandteil ist die cartoonmäßig darge-
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stellte Zeichnung eines Jungen und eines Mädchens, die sich an den Händen
halten. Mit ihnen wird angedeutet, dass sich die angebotenen Einzel- und
Großhandelsdienstleistungen auf Waren für Kinder beziehen. Derart kenn-
zeichnungsschwache Elemente können nur im Ausnahmefall zur Prägung der
Marke beitragen, wenn Grund zu der Annahme besteht, der Verkehr werde
diese Elemente als Herkunftshinweis auffassen. Für eine solche Ausnahme
gibt es vorliegend jedoch keine Anhaltspunkte. Auch wenn der Wortbestandteil
größenmäßig gegenüber dem Bildbestandteil nicht hervortritt, beherrscht der
Bildbestandteil die angegriffene Marke nicht derart (mit), dass die Wörter nicht
mehr beachtet werden. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die ange-
sprochenen Verkehrskreise dem Wortbestandteil bei der mündlichen Benen-
nung den Vorrang geben und die jüngere Marke nur mit „Petit Filou“ wieder-
geben werden.

Danach stehen sich kollisionsbegründend nur die Wortbestandteile „Petit
FILOU“ und „P‘TIT FILOU“ gegenüber.

Beide Bezeichnungen stimmen bis auf den an der Stelle des Buchstaben „e“
in der jüngeren Marke gesetzten Apostroph identisch überein. Das Wort „Fi-
lou“ ist ein auch im Deutschen bekannter Begriff (s. o.), der sowohl im Franzö-
sischen als auch in der deutschen Sprache („du bist vielleicht ein Filou!“) „fi:lu“
ausgesprochen wird. Bei dem Wort „P‘tit“ in der Widerspruchsmarke handelt
es sich um eine Verkürzung des in der angegriffenen Marke enthaltenen
Wortes „Petit“. Auch der nicht französisch sprechende Teil der angesproche-
nen Verkehrskreise wird dies ohne weiteres erkennen, da derartige Verkür-
zungen, insbesondere das Ersetzen des Buchstabens „e“ durch einen Apo-
stroph auch im deutschen Sprachgebrauch üblich sind (z. B. „ein ein‘zger Au-
genblick“, vgl. www.duden.de/sprachwissen/rechtschreibregeln/apostroph).
Die französische Aussprache von „petit“ („pöti“) und p‘tit“ („pti“) ist beinahe
identisch, zumal „petit“ insbesondere in der Umgangssprache häufig „pti“ aus-
gesprochen wird (vgl. https:/fr.wiktionary.org/wiki/p%E2%80%99tit). Bei deut-
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scher Aussprache wiederum ist davon auszugehen, dass das ausgelassene
„e“ in „p‘tit“ mitgesprochen wird, so dass sich klanglich identisch „petit“ und
„petit“ gegenüber stehen. Angesichts dieser klanglichen Übereinstimmung
liegt eine markenrechtlich relevante Verwechslungsgefahr vor.

Die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke war daher zurückzu-
weisen.

2. Für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen nach § 71 Abs. 1 Satz 1
MarkenG besteht kein Anlass.


Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das Rechtsmittel der
Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist sie nur statt-
haft, wenn gerügt wird, dass

1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes
kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg
abgelehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er
nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die
Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.

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Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim
Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe durch eine beim Bundesgerichtshof zuge
lassene Rechtsanwältin oder durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt
schriftlich einzulegen.


Dr. Mittenberger-Huber Akintche Seyfarth

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