28 W (pat) 524/15  - 28. Senat (Marken)
Karar Dilini Çevir:

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
28 W (pat) 524/15
_______________________
(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2014 058 065.9
hat der 28. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts unter
Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Kortbein und der Richter Schmid
und Dr. Söchtig am 9. Mai 2017
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beschlossen:

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss des
Deutschen Patent- und Markenamts, Markenstelle für Klasse 14,
vom 9. Februar 2015 aufgehoben, soweit die Anmeldung für
nachfolgende Waren und Dienstleistungen zurückgewiesen wor-
den ist:

Klasse 14:
Schmuck- und Juwelierwaren, insbesondere solche aus Edel-
metallen und deren Legierungen, Mineralien, Leder, Lederimi-
tationen, Kautschuk, Kunststoff, Emaille, Glas und Beton;
Abgüsse, insbesondere solche aus Edelmetallen und deren Le-
gierungen; Schmuckverzierungen; vorstehend genannte Waren
jedoch nicht im Zusammenhang mit dem Intim- oder Erotikbereich;

Klasse 18:
Taschen; Handtaschen;

Klasse 25:
Kleidung; Gürtel; vorstehend genannte Waren jedoch nicht im
Zusammenhang mit dem Intim- oder Erotikbereich;

Klasse 26:
Haarschmuck; Knöpfe; Schnallen [Kleidungszubehör];

Klasse 28:
Spiele; Spielzeug; vorstehend genannte Waren jedoch nicht im
Zusammenhang mit dem Intim- oder Erotikbereich;

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Klasse 37:
Reparatur und Instandhaltung von Schmuck;

Klasse 40:
Metallbearbeitung und -härtung sowie -oberflächenveredelung;
Schleifen von Schmucksteinen; Gold- und Silberschmiede-
arbeiten.


G r ü n d e :

I.

Die Anmelderin hat am 21. August 2014 beim Deutschen Patent- und Markenamt
(DPMA) beantragt, die Bezeichnung

Reizrausch

als Wortmarke für die nachgenannten Waren und Dienstleistungen in das dort
geführte Markenregister einzutragen:

Klasse 14:
Schmuck- und Juwelierwaren, insbesondere solche aus Edelme-
tallen und deren Legierungen, Mineralien, Leder, Lederimitationen,
Kautschuk, Kunststoff, Emaille, Glas und Beton; Intimschmuck;
Abgüsse und Intimabgüsse, insbesondere solche aus Edelme-
tallen und deren Legierungen; Schmuckverzierungen;

Klasse 18:
Taschen; Handtaschen;

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Klasse 25:
Kleidung; Gürtel;


Klasse 26:
Haarschmuck; Knöpfe; Schnallen [Kleidungszubehör];

Klasse 28:
Spiele, Spielzeug; Erotik-Spielzeug;

Klasse 37:
Reparatur und Instandhaltung von Schmuck;

Klasse 40:
Metallbearbeitung und -härtung sowie -oberflächenveredelung;
Schleifen von Schmucksteinen; Gold- und Silberschmiede-
arbeiten.

Das Deutsche Patent- und Markenamt, Markenstelle für Klasse 14, hat die
Anmeldung nach vorheriger Beanstandung mit Beschluss vom 9. Februar 2015
zurückgewiesen, da die angemeldete Bezeichnung in Bezug auf die bean-
spruchten Waren und Dienstleistungen der erforderlichen Unterscheidungskraft
nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG entbehre. Das angemeldete Wortzeichen
„Reizrausch“ sei entsprechend gängigen Wortkombinationen wie „Geschwindig-
keitsrausch“ oder „Siegesrausch“ eine sprachübliche Wortbildung, die von den
angesprochenen Verkehrskreisen im Sinne eines ekstatischen Zustands, den
einen oder mehrere Reize hervorrufen würden, verstanden werde. Damit
erschöpfe sich das Anmeldezeichen in Bezug auf die beanspruchten Waren und
Dienstleistungen in einem Sachhinweis darauf, dass deren Verwendung bzw.
Inanspruchnahme geeignet sei, den Verbraucher in einen derartigen Zustand zu
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versetzen. Deswegen bestehe kein Anhalt dafür, dass das Publikum das Zeichen
als betrieblichen Herkunftshinweis verstehe.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin vom 9. März 2015, mit der
sie sinngemäß beantragt,

den angegriffenen Beschluss vom 9. Februar 2015 im tenorierten
Umfang aufzuheben.

Im Beschwerdeverfahren hat die Anmelderin mit Schriftsatz vom 18. April 2017
das Waren- und Dienstleistungsverzeichnis wie aus dem Tenor ersichtlich be-
schränkt. Sie meint, dass das angemeldete Zeichen keinem Schutzhindernis
unterliege. Das Publikum entnehme dem Wort „Reizrausch“ keine unmittelbar
verständliche Sachaussage. Vielmehr handele es sich um eine neue Begriffs-
bildung, die nicht sprachüblich gebildet sei und über keinen klaren Inhalt verfüge.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss des
Deutschen Patent- und Markenamts, das Vorbringen der Anmelderin und den
übrigen Akteninhalt verwiesen.


II.

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Der Anmeldung stehen auf der Grundlage
des im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz der Anmelderin vom 18. April 2017
eingereichten Verzeichnisses der Waren und Dienstleistungen keine Eintra-
gungshindernisse nach § 8 Abs. 2 MarkenG entgegen. Insbesondere fehlt dem
Zeichen insoweit nicht die erforderliche Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2
Nr. 1 MarkenG. Ebenso handelt es sich nicht um eine freihaltebedürftige Angabe
gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG. Der angegriffene Beschluss des Deutschen
Patent- und Markenamts vom 9. Februar 2015 war daher im tenorierten Umfang
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aufzuheben. Soweit die Beschwerdeführerin die Anmeldung nicht weiter verfolgt,
ist der angegriffene Beschluss gegenstandslos.

1. Die Anmelderin hat das Verzeichnis der beanspruchten Waren und Dienst-
leistungen rechtswirksam durch ihre Erklärung vom 18. April 2017 beschränkt.

Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Einschränkungen im Verzeichnis der
Waren und Dienstleistungen im Hinblick auf das Gebot der Rechtssicherheit un-
beachtlich, wenn sie für die Mitbewerber und andere Verkehrskreise nicht ohne
Weiteres nachvollziehbar sind. Unter diesem Gesichtspunkt können Aus-
nahmevermerke, die sich darauf beschränken, dass die fraglichen Waren und
Dienstleistungen ein bestimmtes Merkmal nicht mehr aufweisen, welches durch
die Marke selbst ausdrücklich benannt wird, unbeachtlich sein (vgl. EuGH GRUR
2004, 674, 679, Rdnr. 114 bis 117 - Postkantoor; Ströbele/Hacker, MarkenG,
11. Aufl., § 8, Rdnr. 394 ff.).

Die am Ende der Klassen 14, 25 und 28 von der Anmelderin mit Schriftsatz vom
18. April 2017 angefügten Einschränkungen „vorstehend genannte Waren jedoch
nicht im Zusammenhang mit dem Intim- oder Erotikbereich“ stellen in Bezug auf
die betroffenen Schmuck-, Bekleidungs- und Spielzeugartikel keine unzulässigen
Änderungen dar. Zum einen weisen Produkte „im Zusammenhang mit dem Intim-
oder Erotikbereich“ einen spezifischen Zweck auf. Auch werden sie angesichts
ihres höchstpersönlichen Charakters in der Regel in besonderen Geschäften
vertrieben. Es handelt sich damit um eine wirtschaftlich eigenständige Artikel-
gruppe, die in für Dritte nachvollziehbarer Weise von den übrigen Waren ab-
gegrenzt werden kann. Zum anderen enthält das angemeldete Zeichen
„Reizrausch“ angesichts seines allgemein gefassten Inhalts keinen ausdrücklichen
oder sonst hinreichend naheliegenden Hinweis auf eine Verwendung der
beanspruchten Waren der Klassen 14, 25 und 28 im Intim- oder Erotikbereich, so
dass für die beteiligten Verkehrskreise von vornherein nicht der (unzutreffende)
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Eindruck entstehen kann, dass sich der dem Zeichen zukommende Markenschutz
auf derartige Artikel bezieht.

2. Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die dem Zeichen
innewohnende konkrete Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufge-
fasst zu werden, das die von der Anmeldung erfassten Waren und Dienst-
leistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und
diese somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (vgl. EuGH
GRUR 2012, 610, Rdnr. 42 - Freixenet; GRUR 2008, 608,
Rdnr. 66 f. - EUROHYPO; BGH GRUR 2014, 569, Rdnr. 10 - HOT; GRUR 2006,
850, Rdnr. 18 - FUSSBALL WM 2006). Hiervon ausgehend besitzen Zeichen dann
keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise im
Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens (vgl. BGH GRUR 2013, 1143,
Rdnr. 15 - Aus Akten werden Fakten) ohne weiteres Nachdenken einen im
Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (vgl. EuGH
GRUR 2004, 674, Rdnr. 86 - Postkantoor; BGH GRUR 2012, 270,
Rdnr. 11 f. - Link economy) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder
Wendungen der deutschen Sprache oder einer geläufigen Fremdsprache
bestehen, die - etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung
oder in den Medien - stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel
verstanden werden (vgl. u. a. BGH GRUR 2006, 850, Rdnr. 19 - FUSSBALL WM
2006). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft auch solche Zeichen,
die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren oder Dienst-
leistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschrei-
bender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH GRUR 2010, 1100,
Rdnr. 23 - TOOOR!).

Nach diesen Grundsätzen verfügt das angemeldete Wortzeichen „Reizrausch“ in
Bezug auf die Waren und Dienstleistungen, die die Anmelderin nach Be-
schränkung ihres Verzeichnisses noch beansprucht, über die erforderliche
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Unterscheidungskraft. Es weist insoweit keine ohne analysierende Betrachtung
erkennbare produkt- oder tätigkeitsbeschreibende Bedeutung auf.

Unter dem Zeichenbestandteil „Reiz“ wird in erster Linie eine „Einwirkung auf den
Organismus, Verlockung, Anregung“ verstanden; ferner kann er „Anmut, Schön-
heit“ bedeuten (vgl. Duden Online: Reiz). Der Kernbestandteil „Rausch“
bezeichnet einen „durch Genuss u. a. von Alkohol oder Drogen hervorgerufenen
Zustand, in dem eine mehr oder weniger starke Verwirrung der Gedanken und
Gefühle eintritt“, oder allgemein einen „übersteigerten ekstatischen Zustand“ (vgl.
Duden Online: Rausch). Die angemeldete Wortkombination „Reizrausch“ ist
hingegen lexikalisch nicht nachweisbar und wird ausweislich der Recherchen des
Senats im Verkehr nur selten verwendet. Insofern muss ihre Bedeutung durch die
Zusammenführung des Sinngehalts der Einzelbegriffe erst erschlossen werden.
Allgemein kann sie folglich einen durch äußere Einflüsse oder Verlockungen
hervorgerufenen ekstatischen Zustand bezeichnen. Hierbei bleibt jedoch unklar,
was konkret damit gemeint ist, da die Kombination der beiden Elemente „Reiz“
und „Rausch“ - je nachdem, von welchem Verständnis des Einzelbegriffs
ausgegangen wird - in unterschiedlicher Weise interpretierbar ist. So kann es sich
um Reize handeln, die auf einem schönen Anblick, auf einer angenehmen
Berührung oder auf Tabletten beruhen. Sie können wiederum verschiedene
Rauschzustände - wie Gefühlsausbrüche, Bewusstseinsstörungen oder Wahn-
vorstellungen - zur Folge. Zudem ist es möglich, „Reizrausch“ als Synonym für
„Reizüberflutung“ anzusehen und damit dahingehend zu verstehen, dass zu viele
Reize den Wahrnehmenden quasi benebeln. Das angemeldete Zeichen regt damit
zum Nachdenken an und erfordert mehrere Gedankenschritte, um eine ver-
ständliche Gesamtaussage zu erhalten.

Dies gilt erst recht im Hinblick auf die beschwerdegegenständlichen Waren und
Dienstleistungen. Sie selbst bzw. ihre Arbeitsergebnisse wirken durch ihr Er-
scheinungsbild, ihre Handhabung oder ihr Gefühl auf der Haut des Benutzers. Sie
lösen damit zwar optische oder haptische Reize aus. Auch führen diese nicht
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selten zu einem guten Gemütszustand. Es ist jedoch unter normalen Umständen
nicht zu erwarten, dass Schmuck, Bekleidung oder Spiele ihn so erhöhen, dass
von einem Rausch gesprochen werden kann. Selbst unter Berücksichtigung der in
der Werbesprache üblichen Übertreibungen liegt es fern, die von vorstehend
genannten Waren hervorgerufenen Reize als Ursache eines Rausches anzu-
sehen. Zu einem derartigen Verständnis wird das Publikum allenfalls nach
weiteren Überlegungen gelangen, die auch andere Verständnismöglichkeiten des
Wortbestandteils „Reiz“ in Betracht ziehen. Insofern vermittelt die in Rede
stehende Wortfolge „Reizrausch“ keine deutliche Sach- oder Werbeaussage.


3. Das Anmeldezeichen erschöpft sich auch nicht in einer freihaltebedürftigen
Angabe gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG. Die Begriffskombination „Reizrausch“
verfügt in Bezug auf die noch beanspruchten Waren und Dienstleistungen
allenfalls über einen unklaren, lediglich andeutenden Sachbezug, so dass sie sich
nicht zur Beschreibung ihrer Wirkung oder anderer Merkmale eignet (vgl. mit
Nachweisen Ströbele/Hacker, MarkenG, 11. Aufl., § 8, Rdnr. 374).

Nachdem auch für das Vorliegen anderer Schutzhindernisse keine Anhaltspunkte
ersichtlich sind, war der Beschwerde im noch anhängigen Umfang stattzugeben.


Dr. Kortbein Dr. Söchtig Richter Schmid ist wegen
Krankheit an der Unter-
schrift verhindert.

Dr. Kortbein



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