28 W (pat) 28/16  - 28. Senat (Marken)
Karar Dilini Çevir:

ECLI:DE:BPatG:2018:221117B28Wpat28.16.0


BUNDESPATENTGERICHT



28 W (pat) 28/16
_______________
(Aktenzeichen)



Verkündet am
22. November 2017





B E S C H L U S S

In der Beschwerdesache









betreffend die Markenanmeldung 30 2015 052 593.6

hat der 28. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am
22. November 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters
Prof. Dr. Kortbein, des Richters Schmid und des Richters Dr. Söchtig

- 2 -
beschlossen:

Der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes, Mar-
kenstelle für Klasse 10, vom 7. März 2016 wird aufgehoben, so-
weit die Anmeldung für die nachfolgenden Waren und Dienstleis-
tungen zurückgewiesen worden ist:

Klasse 10:
Chirurgische Instrumente und Apparate für Gefäßchirurgie, Herz-
chirurgie, plastische und ästhetische Chirurgie, Thoraxchirurgie,
Viszeralchirurgie; zahnärztliche Instrumente und Apparate; chirur-
gisches Nahtmaterial für Gefäßchirurgie, Herzchirurgie, plastische
und ästhetische Chirurgie, Thoraxchirurgie, Viszeralchirurgie;

Klasse 35:
Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Einzel-
handels- und Großhandelsdienstleistungen für chirurgische In-
strumente und Apparate sowie chirurgisches Nahtmaterial jeweils
für Gefäßchirurgie, Herzchirurgie, plastische und ästhetische Chi-
rurgie, Thoraxchirurgie, Viszeralchirurgie; Einzelhandels- und
Großhandelsdienstleistungen für zahnärztliche Instrumente und
Apparate, künstliche Gliedmaßen, künstliche Augen, künstliche
Zähne, Zahnprothesen;

Klasse 42:
Wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen im Be-
reich der minimalinvasiven Chirurgie; wissenschaftliche und tech-
nologische Dienstleistungen im Bereich der Entwicklung und Op-
timierung von minimalinvasiven Operationsverfahren; industrielle
Analyse- und Forschungsdienstleistungen im Bereich der mini-
malinvasiven Chirurgie; industrielle Analyse- und Forschungs-
- 3 -
dienstleistungen im Bereich der Entwicklung und Optimierung von
minimalinvasiven Operationsverfahren; Entwurf und Entwicklung
von Computerhardware und -software im Bereich der minimalin-
vasiven Chirurgie; alle vorgenannten Dienstleistungen für Gefäß-
chirurgie, Herzchirurgie, plastische und ästhetische Chirurgie,
Thoraxchirurgie, Viszeralchirurgie.


G r ü n d e

I.

Das Wortzeichen

AMIS

ist am 10. September 2015 beim Deutschen Patent- und Markenamt zur Eintra-
gung als Marke in das dortige Register für nachfolgende Waren und Dienstleistun-
gen angemeldet worden:

„Klasse 10:
Chirurgische, ärztliche, zahn- und tierärztliche Instrumente und Apparate, künstli-
che Gliedmaßen, Augen und Zähne; orthopädische Artikel; chirurgisches Naht-
material; Implantate und Zahnprothesen und orthopädische Prothesen; Schäfte;
orthopädische Geräte zur Streckung und/oder Halterung von Körperteilen; Exten-
sionsvorrichtungen sowie deren Teile; Extensionsschuhe.

Klasse 35:
Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Büroarbeiten; Einzelhan-
dels- und Großhandelsdienstleistungen für chirurgische, ärztliche, zahn- und tier-
ärztliche Instrumente und Apparate, künstliche Gliedmaßen, Augen und Zähne,
- 4 -
orthopädische Artikel, chirurgisches Nahtmaterial, Implantate und Zahnprothesen
und orthopädische Prothesen, Schäfte, orthopädische Geräte zur Streckung
und/oder Halterung von Körperteilen, Extensionsvorrichtungen sowie deren Teile,
Extensionsschuhe.

Klasse 42:
Wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen im Bereich der minimalin-
vasiven Chirurgie; wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen im Be-
reich der Entwicklung und Optimierung von minimalinvasiven Operationsverfah-
ren; industrielle Analyse- und Forschungsdienstleistungen im Bereich der mini-
malinvasiven Chirurgie; industrielle Analyse- und Forschungsdienstleistungen im
Bereich der Entwicklung und Optimierung von minimalinvasiven Operationsverfah-
ren; Entwurf und Entwicklung von Computerhardware und -software im Bereich
der minimalinvasiven Chirurgie.“.

Das Deutsche Patent- und Markenamt, Markenstelle für Klasse 10, hat die Anmel-
dung nach vorangegangener Beanstandung vom 21. September 2015 mit Be-
schluss vom 7. März 2016 für nachgenannte Waren und Dienstleistungen wegen
Fehlens der Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zurückgewie-
sen:

„Klasse 10:
Chirurgische, ärztliche, zahn- und tierärztliche Instrumente und Apparate; ortho-
pädische Artikel; chirurgisches Nahtmaterial; Schäfte

Klasse 35:
Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Einzelhandels- und
Großhandelsdienstleistungen für chirurgische, ärztliche, zahn- und tierärztliche
lnstrumente und Apparate, künstliche Gliedmaßen, künstliche Augen, künstliche
Zähne, orthopädische Artikel, chirurgisches Nahtmaterial, Implantate, Zahnprothe-
sen, orthopädische Prothesen, Schäfte, orthopädische Geräte zur Streckung
- 5 -
und/oder Halterung von Körperteilen, Extensionsvorrichtungen sowie deren Teile,
Extensionsschuhe

Klasse 42:
Wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen im Bereich der minimalin-
vasiven Chirurgie; wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen im Be-
reich der Entwicklung und Optimierung von minimalinvasiven Operationsverfah-
ren; industrielle Analyse- und Forschungsdienstleistungen im Bereich der mini-
malinvasiven Chirurgie; Industrielle Analyse- und Forschungsdienstleistungen im
Bereich der Entwicklung und Optimierung von minimalinvasiven Operationsverfah-
ren; Entwurf und Entwicklung von Computerhardware und -software im Bereich
der minimalinvasiven Chirurgie.“.

Zur Begründung hat es ausgeführt, die gegenständlichen Waren und Dienstleis-
tungen würden sich an Fachleute aus Medizin, Psychologie und Medizintechnik
richten. Diese würden das Anmeldezeichen als Abkürzung der Wortfolge „anterior
minimal invasive surgery“ verstehen. In den angesprochenen Verkehrskreisen sei
Englisch Fachsprache, so dass diese den Begriff „AMIS“ unmittelbar mit minimal-
invasiven Operationstechniken mit anteriorem Zugang in Verbindung bringen wür-
den. Alle von der Zurückweisung umfassten Waren und Dienstleistungen seien für
derartige minimalinvasive Operationstechniken bestimmt und geeignet oder wür-
den der technischen Entwicklung dieser Operationstechniken dienen. Mit dem Be-
anstandungsbescheid bzw. dem Zurückweisungsbeschluss übersandte Recher-
cheergebnisse belegten, dass das Zeichen „AMIS“ bereits als eine Art Fachabkür-
zung für „anterior minimal invasive surgery“ verwendet werde. Folglich würden die
angesprochenen Verkehrskreise nicht davon ausgehen, dass nur ein Unterneh-
men Waren und Dienstleistungen im Zusammenhang mit minimalinvasiven Ope-
rationstechniken mit anteriorem Zugang anbiete. Das Anmeldezeichen weise da-
her nicht zwingend auf die Anmelderin hin.

- 6 -
Entgegen der Auffassung der Anmelderin sei auch eine Schutz begründende
Mehrdeutigkeit nicht ersichtlich. Es reiche aus, wenn eine der denkbaren Bedeu-
tungen beschreibend sei. Fernliegende Interpretationsmöglichkeiten könnten au-
ßer Betracht bleiben. So werde vorliegend das Zeichen „AMIS“ nicht als das fran-
zösische Wort für „Freunde“ oder als die Kurzform von „Amerikaner“ verstanden.
Auch andere von der Anmelderin genannte Abkürzungen kämen auf Grund des
Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses nicht in Betracht. Schließlich sei es
unerheblich, ob sie das angemeldete Zeichen ursprünglich selbst entwickelt habe,
wenn es für die angesprochenen Verkehrskreise unmittelbar verständlich sei und
sich zu einer Fachabkürzung entwickelt habe.

Ob an dem Anmeldezeichen darüber hinaus auch ein Freihaltebedürfnis bestehe,
hat das Deutsche Patent- und Markenamt im Ergebnis dahinstehen lassen.

Hiergegen wendet sich die Anmelderin mit ihrer Beschwerde vom 5. April 2016.

In der mündlichen Verhandlung vom 22. November 2017 hat sie die von der Zu-
rückweisung betroffenen Waren und Dienstleistungen wie folgt beschränkt:

Klasse 10:
Chirurgische Instrumente und Apparate für Gefäßchirurgie, Herzchirurgie, plasti-
sche und ästhetische Chirurgie, Thoraxchirurgie, Viszeralchirurgie; zahnärztliche
Instrumente und Apparate; chirurgisches Nahtmaterial für Gefäßchirurgie, Herzchi-
rurgie, plastische und ästhetische Chirurgie, Thoraxchirurgie, Viszeralchirurgie;

Klasse 35:
Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Einzelhandels- und
Großhandelsdienstleistungen für chirurgische Instrumente und Apparate sowie
chirurgisches Nahtmaterial jeweils für Gefäßchirurgie, Herzchirurgie, plastische
und ästhetische Chirurgie, Thoraxchirurgie, Viszeralchirurgie; Einzelhandels- und
- 7 -
Großhandelsdienstleistungen für zahnärztliche Instrumente und Apparate, künstli-
che Gliedmaßen, künstliche Augen, künstliche Zähne, Zahnprothesen;

Klasse 42:
Wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen im Bereich der minimalin-
vasiven Chirurgie; wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen im Be-
reich der Entwicklung und Optimierung von minimalinvasiven Operationsverfah-
ren; industrielle Analyse- und Forschungsdienstleistungen im Bereich der mini-
malinvasiven Chirurgie; industrielle Analyse- und Forschungsdienstleistungen im
Bereich der Entwicklung und Optimierung von minimalinvasiven Operationsverfah-
ren; Entwurf und Entwicklung von Computerhardware und -software im Bereich
der minimalinvasiven Chirurgie; alle vorgenannten Dienstleistungen für Gefäßchi-
rurgie, Herzchirurgie, plastische und ästhetische Chirurgie, Thoraxchirurgie, Vis-
zeralchirurgie.

Danach hat die Beschwerdeführerin beantragt,

den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes, Mar-
kenstelle für Klasse 10, vom 7. März 2016 aufzuheben, soweit die
Anmeldung für die nachfolgenden Waren und Dienstleistungen zu-
rückgewiesen worden ist:

Klasse 10:
Chirurgische Instrumente und Apparate für Gefäßchirurgie, Herz-
chirurgie, plastische und ästhetische Chirurgie, Thoraxchirurgie,
Viszeralchirurgie; zahnärztliche Instrumente und Apparate; chirur-
gisches Nahtmaterial für Gefäßchirurgie, Herzchirurgie, plastische
und ästhetische Chirurgie, Thoraxchirurgie, Viszeralchirurgie;

- 8 -
Klasse 35:
Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Einzel-
handels- und Großhandelsdienstleistungen für chirurgische In-
strumente und Apparate sowie chirurgisches Nahtmaterial jeweils
für Gefäßchirurgie, Herzchirurgie, plastische und ästhetische Chi-
rurgie, Thoraxchirurgie, Viszeralchirurgie; Einzelhandels- und
Großhandelsdienstleistungen für zahnärztliche Instrumente und
Apparate, künstliche Gliedmaßen, künstliche Augen, künstliche
Zähne, Zahnprothesen;

Klasse 42:
Wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen im Be-
reich der minimalinvasiven Chirurgie; wissenschaftliche und tech-
nologische Dienstleistungen im Bereich der Entwicklung und Op-
timierung von minimalinvasiven Operationsverfahren; industrielle
Analyse- und Forschungsdienstleistungen im Bereich der mini-
malinvasiven Chirurgie; industrielle Analyse- und Forschungs-
dienstleistungen im Bereich der Entwicklung und Optimierung von
minimalinvasiven Operationsverfahren; Entwurf und Entwicklung
von Computerhardware und -software im Bereich der minimalin-
vasiven Chirurgie; alle vorgenannten Dienstleistungen für Gefäß-
chirurgie, Herzchirurgie, plastische und ästhetische Chirurgie,
Thoraxchirurgie, Viszeralchirurgie.

Zur Begründung führt sie aus, das Deutsche Patent- und Markenamt habe in sei-
nem angegriffenen Beschluss verkannt, dass vorliegend ebenso auf die Auffas-
sung der allgemeinen Durchschnittsverbraucher und nicht ausschließlich auf die
der medizinischen Fachkreise abzustellen sei. Auch erstgenannte informierten
sich über ärztliche Methoden, würden von medizinischen Waren bzw. Dienstleis-
tungen angesprochen und nähmen diese in Anspruch. Bei dem Anmeldezeichen
handele es sich um einen vagen, mehrdeutigen Begriff mit unklarem Inhalt. Daher
- 9 -
stelle es auch keine sachbezogene bzw. beschreibende Angabe dar. „AMIS“
könne nämlich mehrere unterschiedliche Bedeutungen haben. Die angesproche-
nen Endverbraucher würden das Anmeldezeichen daher entweder als unbekann-
ten oder aber als mehrdeutigen (Fantasie-) Begriff auffassen.

Selbst wenn die angesprochenen Verkehrskreise „AMIS“ als Abkürzung ansehen
und versuchen würden, ihren Begriffsinhalt zu erschließen, bedeute dies nicht,
dass sie dem Anmeldezeichen die Bedeutung „anterior minimal invasiv surgery“
beimessen oder sich unter ihm etwas Konkretes vorstellen würden. Vielmehr sei
das Anmeldezeichen ausschließlich als betrieblicher Herkunftshinweis auf sie zu
verstehen, da die Buchstabenfolge immer im Zusammenhang mit ihr verwendet
werde und auch sie es gewesen sei, welche das Kürzel „AMIS“ entwickelt habe.
Hierbei sei ergänzend zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Anmeldezeichen
um eine Wortneuschöpfung handele.

Wenn die angesprochenen Verkehrskreise zu dem vom Deutschen Patent- und
Markenamt unterstellten beschreibenden Sinngehalt von „AMIS“ gelangen sollten,
müssten sie drei unterschiedliche gedankliche Schritte machen. Zunächst hätten
sie das Anmeldezeichen in einzelne Buchstaben zu zerlegen. Diese müssten dann
jeweils als Abkürzung für bestimmte Begriffe angesehen werden. Sodann wäre
jedem Begriff isoliert eine Bedeutung beizumessen, auf welche sich der angespro-
chene Verkehr danach festzulegen habe. In einem weiteren Schritt müsste er die
jeweiligen Begriffe zusammenführen, um eine verständliche Gesamtaussage zu
erhalten. Diese wäre dann in Verbindung mit den beanspruchten Waren und
Dienstleistungen zu setzen. Eine solche mehrteilige, zergliedernde und analysie-
rende Betrachtungsweise würden die angesprochenen Verkehrskreise jedoch
nicht vornehmen.

Selbst wenn man das vom Deutschen Patent- und Markenamt unterstellte Ver-
ständnis des Anmeldezeichens zugrunde legen würde, so sage dieses dennoch
- 10 -
nichts über die beanspruchten Waren und Dienstleistungen aus. Insbesondere
beschreibe es sie nicht.

Aus vorgenannten Gründen bestehe an der Buchstabenfolge „AMIS“ auch kein
Freihaltebedürfnis.

Abschließend weist die Anmelderin noch darauf hin, dass das EUIPO einer kor-
respondierenden Unionswortmarke bereits Schutz gewährt habe.

Wegen der näheren Einzelheiten wird ergänzend auf den Akteninhalt verwiesen.


II.

Die Beschwerde ist hinsichtlich der vorliegend allein noch verfahrensgegenständli-
chen Waren und Dienstleistungen begründet. Insoweit steht der Eintragung des
Anmeldezeichens weder das Schutzhindernis des Fehlens der Unterscheidungs-
kraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG noch des Bestehens eines Freihaltebedürf-
nisses gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG entgegen.

1. Laut Tenor des angegriffenen Beschlusses vom 7. März 2016 wird die
Anmeldung u. a. für „Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistungen für künstli-
che Gliedmaßen, künstliche Augen, künstliche Zähne“ in Klasse 35 zurückgewie-
sen. Angemeldet sind zwar „Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistungen für
künstliche Gliedmaßen, Augen und Zähne“. Die von der Markenstelle für
Klasse 10 eigenständig vorgenommene Einfügung des Adjektivs „künstliche“ vor
den Substantiven „Augen“ und „Zähne“ begegnet jedoch keinen rechtlichen Be-
denken, da bereits die angemeldete Fassung nicht natürliche Augen und Zähne
umfasst hat. Die Formulierung „Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistungen
für künstliche Gliedmaßen, Augen und Zähne“ lässt darauf schließen, dass sich
die Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistungen lediglich auf künstliche Kör-
- 11 -
perteile beziehen. Die drei Begriffe „Gliedmaßen“, „Augen“ und „Zähne“ sind durch
das Komma und die Konjunktion „und“ zu einer Einheit verbunden, so dass
zwecks Vermeidung von Wiederholungen von der erneuten Nennung des Adjek-
tivs „künstliche“ vor den Substantiven „Augen“ und „Zähne“ abgesehen werden
konnte. Zudem lehnt sich der angemeldete Ausdruck „Einzelhandels- und Groß-
handelsdienstleistungen für künstliche Gliedmaßen, Augen und Zähne“ an die
Formulierungen in der Internationalen Klassifikation von Waren und Dienstleistun-
gen für die Eintragung von Marken (Nizza-Klassifikation) an, in der lediglich
„künstliche Gliedmaßen“, „künstliche Augen“ und „künstliche Zähne“ genannt sind
(vgl. Nizza-Klassifikation - Alphabetische Liste der Waren, 11. Ausgabe, gültig ab
1. Januar 2017, Seiten 64 und 65).

2. Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die dem Zeichen
innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel auf-
gefasst zu werden, das die von der Anmeldung erfassten Waren und Dienstleis-
tungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und
diese somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (vgl. EuGH
GRUR 2012, 610, Rdnr. 42 - Freixenet; GRUR 2008, 608,
Rdnr. 66 f. - EUROHYPO; BGH GRUR 2014, 569, Rdnr. 10 - HOT; GRUR 2013,
731, Rdnr. 11 - Kaleido; GRUR 2012, 1143, Rdnr. 7 - Starsat; GRUR 2012, 1044,
Rdnr. 9 - Neuschwanstein; GRUR 2010, 825, Rdnr. 13 - Marlene-Dietrich-Bild-
nis II; GRUR 2010, 935, Rdnr. 8 - Die Vision; GRUR 2006, 850,
Rdnr. 18 - FUSSBALL WM 2006). Denn die Hauptfunktion einer Marke besteht
darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen
zu gewährleisten (vgl. EuGH GRUR 2006, 233, Rdnr. 45 - Standbeutel;
GRUR 2006, 229, Rdnr. 27 - BioID; GRUR 2008, 608, Rdnr. 66 - EUROHYPO;
BGH GRUR 2008, 710, Rdnr. 12 - VISAGE; GRUR 2009, 949, Rdnr. 10 -
My World). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein
Eintragungshindernis begründet, ist nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch
so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden
- 12 -
(vgl. BGH GRUR 2012, 1143, Rdnr. 7 - Starsat; GRUR 2012, 1044, Rdnr. 9 -
Neuschwanstein; GRUR 2012, 270, Rdnr. 8 - Link economy).

Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft sind einerseits die bean-
spruchten Waren und Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der betei-
ligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels
und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen
Durchschnittsverbrauchers bzw. -abnehmers der fraglichen Produkte abzustellen
ist (vgl. EuGH GRUR 2006, 411, Rdnr. 24 - Matratzen Concord/Hukla;
GRUR 2004, 943, Rdnr. 24 - SAT.2; BGH GRUR 2010, 935, Rdnr. 8 - Die Vision;
GRUR 2010, 825, Rdnr. 13 - Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2006, 850,
Rdnr. 18 - FUSSBALL WM 2006).

Hiervon ausgehend besitzen Zeichen dann keine Unterscheidungskraft, wenn
ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise im Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens
(vgl. BGH GRUR 2013, 1143, Rdnr. 15 - Aus Akten werden Fakten) lediglich einen
im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (vgl. EuGH
GRUR 2004, 674, Rdnr. 86 - Postkantoor; BGH GRUR 2012, 270, Rdnr. 11 - Link
economy; GRUR 2009, 952, Rdnr. 10 - DeutschlandCard; GRUR 2006, 850,
Rdnr. 19 - FUSSBALL WM 2006; GRUR 2005, 417 - BerlinCard; GRUR 2001,
1151 - marktfrisch; GRUR 2001, 1153 - antiKALK) oder wenn diese aus gebräuch-
lichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer geläufigen
Fremdsprache bestehen, die - etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in
der Werbung oder in den Medien - stets nur als solche und nicht als Unterschei-
dungsmittel verstanden werden (vgl. u. a. BGH GRUR 2006, 850, Rdnr. 19 -
FUSSBALL WM 2006; GRUR 2003, 1050 - Cityservice; GRUR 2001, 1143 - Gute
Zeiten - Schlechte Zeiten). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft
auch solche Zeichen, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten
Waren oder Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein
enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH GRUR 2010,
1100, Rdnr. 23 - TOOOR!; GRUR 2006, 850, Rdnr. 28 - FUSSBALL WM 2006).
- 13 -
Hiervon ausgehend kann dem Anmeldezeichen hinsichtlich der verfahrensge-
genständlichen Waren und Dienstleistungen die für eine Eintragung erforderliche
Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG nicht abgesprochen wer-
den.

a) Bei den angesprochenen Verkehrsteilnehmern handelt es sich vornehmlich
um medizinische Fachkreise. Die verfahrensgegenständlichen chirurgischen bzw.
zahnärztlichen Instrumente und Apparate sowie das chirurgische Nahtmaterial in
Klasse 10 werden im Wesentlichen von Ärzten zur Diagnose, Behandlung oder
Verbesserung der körperlichen Funktionen oder des Gesundheitszustandes von
Menschen eingesetzt. Die verfahrensgegenständlichen Dienstleistungen der Klas-
sen 35 und 42 haben vornehmlich den Handel mit entsprechenden Waren bzw.
die minimalinvasive Chirurgie zum Gegenstand. Sie werden folglich von medizi-
nisch vorgebildeten oder im Medizinhandel tätigen Fachleuten angeboten oder
nachgefragt.

b) Im Ergebnis zutreffend hat das Deutsche Patent- und Markenamt in seinem
angegriffenen Beschluss ausgeführt, dass die maßgeblichen Verkehrskreise die
Buchstabenfolge „AMIS“ naheliegend und ohne Weiteres als Abkürzung der
Wortfolge „Anterior Minimal Invasive Surgery“ auffassen werden, deren deutsche
Bedeutung „minimalinvasive Operation mit anteriorem Zugang“ sich dem des Eng-
lischen mächtigen Fachverkehr unmittelbar erschließt. Hierbei ist ergänzend zu
berücksichtigen, dass es sich - wie die eigenen, der Beschwerdeführerin mit Hin-
weis vom 7. September 2017 übermittelten Recherchen des Senats ergeben ha-
ben - bei der Buchstabenfolge „AMIS“ bereits vor dem Anmeldezeitpunkt um einen
medizinischen Fachbegriff gehandelt hat.

Das Kürzel „AMIS“ ist ein medizinischer Fachterminus und bezeichnet eine Ope-
rationstechnik zum Einbringen von Hüftprothesen“ (vgl. unter www.wikipedia.org -
„AMIS“). Sie zeichnet sich dadurch aus, dass der Zugang zum Hüftgelenk von
vorne durch das sogenannte Hueter-Intervall erfolgt und spezielle Instrumente so-
- 14 -
wie ein besonderer Operationstisch verwendet werden, um eine möglichst sichere
und schonende Operation zu ermöglichen (vgl. unter www.wikipedia.org – „AMIS-
Technik“). Hiervon ausgehend werden die angesprochenen Fachkreise unter dem
Anmeldezeichen eine spezielle Operationstechnik verstehen, welche die Einbrin-
gung von Hüftprothesen zum Gegenstand hat.

c) Die Unterscheidungskraft ist grundsätzlich in Verbindung mit den jeweils
beanspruchten Waren und Dienstleistungen zu beurteilen. Demzufolge vermag ein
Anmeldezeichen für bestimmte Waren und Dienstleistungen unterscheidungskräf-
tig zu sein, während ihm für andere die Unterscheidungskraft fehlt (vgl. Strö-
bele/Hacker, Markengesetz, 11. Auflage, 2015, § 8, Rdnr. 92).

Alle nunmehr noch verfahrensgegenständlichen Waren und Dienstleistungen wei-
sen keinen Sachbezug zu vorgenannter AMIS-Operationstechnik auf. Weder sind
die Waren für Hüftoperationen geeignet oder bestimmt, noch bilden diese den
maßgeblichen Gegenstand der in Rede stehenden Dienstleistungen:

Die Waren der Klasse 10 kommen nicht nur im zahnärztlichen Bereich, sondern
auch in der Gefäß-, Herz-, Thorax-, Viszeral- sowie in der plastischen als auch
ästhetischen Chirurgie zum Einsatz. Auf diesen chirurgischen Gebieten werden
auch die Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistungen der Klasse 35 sowie
die Dienstleistungen der Klasse 42 erbracht. Die in Klasse 35 weiterhin enthalte-
nen „Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistungen für zahnärztliche Instru-
mente und Apparate, künstliche Gliedmaßen, künstliche Augen, künstliche Zähne,
Zahnprothesen“ stehen ebenfalls mit Hüftoperationen in keinem sachlichen Zu-
sammenhang.

Das gleiche gilt für die Dienstleistungen „Werbung; Geschäftsführung; Unterneh-
mensverwaltung“ der Klasse 35. Allein der Umstand, dass die AMIS-Operations-
technik auch Gegenstand dieser Tätigkeiten sein kann, lässt die Unterscheidungs-
kraft des angemeldeten Zeichens insoweit nicht entfallen (vgl. BPatG
- 15 -
28 W (pat) 33/15 - Traumtomaten). Die Kennzeichnungsgewohnheiten lassen
nämlich darauf schließen, dass mit Hilfe eines Zeichens nicht auf das Thema der
Werbung, Geschäftsführung oder Unternehmensverwaltung hingewiesen wird, da
eine solche Festlegung auf einen bestimmten Inhalt eine nicht gewollte Beschrän-
kung bedeuten würde. Insofern kommt dem Kürzel „AMIS“ im Verkehr nicht die
Bedeutung einer thematischen Sachangabe, sondern eines betrieblichen Her-
kunftshinweises zu (vgl. BPatG GRUR 2010, 336, Rdnr. 20 - My World).

3. Aus vorstehend Gesagtem folgt im Ergebnis weiter, dass der Eintragung
des Anmeldezeichens hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Waren und
Dienstleistungen auch kein Freihaltebedürfnis gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG
entgegensteht.

Weitere Eintragungshindernisse sind nicht ersichtlich, so dass der Beschwerde
stattzugeben war.


Prof. Dr. Kortbein Schmid Dr. Söchtig

prö


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