23 W (pat) 34/16  - 23. Senat (Techn.Beschw.)
Karar Dilini Çevir:

BPatG 154
05.11

BUNDESPATENTGERICHT



23 W (pat) 34/16
_______________
(Aktenzeichen)



Verkündet am
27. Juni 2017





B E S C H L U S S

In der Beschwerdesache





betreffend die Patentanmeldung 10 2015 013 260.1

hat der 23. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 27. Juni 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Dr. Strößner sowie der Richter Brandt, Dr. Friedrich und Dr. Himmelmann

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

- 2 -
G r ü n d e

I.

Die vorliegende Anmeldung mit dem Aktenzeichen 10 2015 013 260.1 und der Be-
zeichnung „Vorrichtung neues Sicherheitskonzept zur Errichtung der Atomreaktor-
gebäude nach dem Prinzip einer modernen Kanone“ wurde am 6. Oktober 2015
beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht.

Die Prüfungsstelle für Klasse G21C hat im Prüfungsverfahren auf den Stand der
Technik gemäß der Druckschrift

D1 H. Alex, W. M. Kuntze: Das umgebende Gebäude des Sicherheitsbehälters
als Bestandteil des Sicherheitseinschlusses. In: Gesellschaft für Reaktorsi-
cherheit: GRS-Bericht „Sicherheitsbehälter von Kernkraftwerken“, 2.GRS-
Fachgespräch, Köln, 19.-20.Oktober 1978, GRS-13 (1979), S.51-58

verwiesen und im einzigen Prüfungsbescheid vom 16. Februar 2016 das bean-
spruchte Reaktorgebäude als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung (§ 2 PatG)
angesehen, das aus diesem Grund auch nicht patentiert werden könne, wogegen
der Anmelder in mehreren Eingaben sein Unverständnis zum Ausdruck gebracht
hat, ohne jedoch die Anmeldeunterlagen zu ändern.

Da seitens des Anmelders keine Anhörung beantragt worden war, hat der Prüfer
die Anmeldung daraufhin durch Beschluss vom 6. Mai 2016 mit der Begründung
zurückgewiesen, dass das beanspruchte Reaktorgebäude dem Patentierungsaus-
schluss nach § 2 PatG unterliege.

Gegen diesen, dem Anmelder am 12. Mai 2016 zugestellten Beschluss richtet sich
die am 7. Juni 2016 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangene Be-
schwerde des Anmelders.
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Zusammen mit der Ladung ist der Anmelder auch auf die Relevanz folgender Do-
kumente hingewiesen worden:

D2 Gefährdungsbeurteilung Explosionsschutz und Explosionsschutzdokument
entsprechend Betriebssicherheitsverordnung; In: Mitteilung Nr. 1/2003, Frei-
staat Sachsen, Landesinstitut für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2003;
D3 Technische Regeln für Acetylenanlagen und Calciumcarbidlager Anlagen zur
Herstellung und Abfüllung von unter Druck gelöstem Acetylen (Acetylen-
werke, Dissousgaswerke) (TRAC 209), Ausgabe November 1982, Abschnitt
3 TRAC 209 – Gebäude;
D4 Dr. P.-A. Wandrey; Zur Beurteilung der Explosionssicherheit von Produk-
tionsanlagen für organische Peroxide; In: schadenprisma 3/72, Zeitschrift für
Schadenverhütung und –forschung der öffentlichen Sachversicherer, S. 37
bis 40, 1972;
D5 VDRI Jahrbuch 1964, Verein Deutscher Revisions-Ingenieure e.V., Seite 79.

In der mündlichen Verhandlung am 27. Juni 2017 beantragt der Anmelder

1.
den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G21C des Deutschen
Patent- und Markenamts vom 6. Mai 2016 aufzuheben.

2.
Ein Patent zu erteilen mit der Bezeichnung „Vorrichtung neues
Sicherheitskonzept zur Errichtung der Atomreaktorgebäude nach
dem Prinzip einer modernen Kanone“, dem Anmeldetag 6.
Oktober 2015 auf der Grundlage folgender Unterlagen:
 Patentanspruch 1,
 Beschreibungsseiten 4, 5 und 6,
- 4 -
 1 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1 und 2, jeweils
eingegangen im Deutschen Patent- und Markenamt
am 5. Januar 2016.

Anspruch 1 – so wie er sich aus den ursprünglichen Unterlagen und dem Verlauf
der mündlichen Verhandlung ergibt – lautet folgendermaßen:

Reaktorgebäude um einen Atomreaktor, welches
 den Atomreaktor unten und seitlich wie ein Kanonenrohr
umgibt,
 nach oben offen oder nur von einem Leichtdach bedeckt in die
Atmosphäre mündet, und
 ausgelegt ist, um im Falle einer Explosion des Reaktors die
Explosionstrümmer und -gase sowie den Explosionsdruck ohne
Zerstörung des Reaktorgebäudes durch die obere Öffnung in
die Atmosphäre abzuführen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.


II.

1. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Anmelders ist
zulässig. Sie erweist sich aber als nicht begründet, da sich das Reaktorgebäude
nach Anspruch 1 für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der
Technik gemäß einer der Druckschriften D2 bis D4 ergibt, so dass dieses gemäß
§ 4 PatG wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig ist.

Bei dieser Sachlage kann die Erörterung der Frage eines Patentierungsaus-
schlusses nach § 2 PatG dahingestellt bleiben (vgl. BGH GRUR 1991, 120-122,
insbesondere 121, II.1 - Elastische Bandage).
- 5 -

Der zuständige Fachmann ist hier als ein berufserfahrener Bauingenieur mit
Fachhochschulabschluss zu definieren, der mit der Entwicklung explosionssiche-
rer Gebäude, insbesondere Reaktorgebäude betraut ist.

2. Die Anmeldung betrifft ein Reaktorgebäude um einen Atomreaktor.

Nach den Ausführungen in der Beschreibungseinleitung sind Reaktorgebäude
zum Schutz der Umgebung üblicherweise rundum geschlossen und bestehen aus
dicken Wänden und einer meterdicken Stahlbetondecke. Im Fall einer nicht aus-
zuschließenden Explosion innerhalb des Gebäudes kann sich jedoch im Reaktor-
gebäude ein derart hoher Druck aufbauen, dass das Gebäude zerstört wird und
vergleichbar einer Bombe mit großem Schaden für die Umgebung explodiert.

Vor diesem Hintergrund liegt der Anmeldung als technisches Problem sinngemäß
die Aufgabe zugrunde, die Schäden und Zerstörungen in der Umgebung des Re-
aktorgebäudes im Explosionsfall zu begrenzen.

Diese Aufgabe soll durch das Reaktorgebäude nach Anspruch 1 gelöst werden.

Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass es den Atomreaktor unten und seitlich wie
ein Kanonenrohr umgibt, nach oben offen oder nur von einem Leichtdach bedeckt
in die Atmosphäre mündet, und ausgelegt ist, um im Falle einer Explosion des
Reaktors die Explosionstrümmer und -gase sowie den Explosionsdruck ohne Zer-
störung des Reaktorgebäudes durch die obere Öffnung in die Atmosphäre abzu-
führen.

Die grundsätzliche Idee der vorliegenden Patentanmeldung besteht demnach da-
rin, im Rahmen des vorbeugenden Explosionsschutzes das Dach eines eine ex-
plosionsgefährdete Anlage in Form eines Atomreaktors aufweisenden Gebäudes
so auszubilden, dass es im Explosionsfall die Funktion eines Überdruckventils
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übernimmt und die Überdruckwelle ohne Zerstörung der Gehäusewände kontrol-
liert in die Atmosphäre abgeführt wird.

Eine solche Vorgehensweise ist dem Fachmann jedoch aus zahlreichen Publikati-
onen bekannt.

So empfiehlt die Druckschrift D2 auf Seite 20 unter dem Kapitel 4.6 bei explosi-
onsgefährdeten Gebäuden zur Verringerung des Restrisikos als zusätzliche Maß-
nahme, das Dach als Leichtdach mit einer leicht nachgiebigen Fläche auszubil-
den.

In gleicher Weise wird eine solche Bauweise auch in den Druckschriften D3 bis D5
erläutert:
D3: vgl. Unterkapitel 3.22: „Die Dächer müssen so beschaffen sein, daß sie bei
Überdruck in den Räumen leicht abheben.“;
D4: vgl. Seite 40, Unterkapitel 4.1: „Die verbleibende Möglichkeit ist daher, die
Beschäftigten und die Umgebung der Anlage mit hohem baulichen Aufwand
vor den Folgen einer Explosion zu schützen, worunter der Einbau der Anla-
gen in massive Betonbauten, vorzugsweise mit Ausblasewand und/oder
Ausblasedach zu verstehen ist.“;
D5: vgl. Seite 79, Unterpunkt 6: „Die Gebäude sollten so gebaut werden, daß
nicht alle Wände massiv sind, sondern Leichtdächer und Leichtbauwände
vorsehen. Lichtbänder sollten schon bei geringen Überdrücken zerstörbar
sein und damit der Explosionsdruckwelle Gelegenheit zum Ausblasen ge-
ben.“.

Da Reaktorgebäude ebenfalls explosionsgefährdete Gebäude sind, stellt es für
den Fachmann eine naheliegende Maßnahme dar, auch diese mit Leichtdächern
auszubilden. Dabei ist bei dieser Gebäudekonstruktion die Ableitung der Druck-
welle nach oben in die Atmosphäre nur möglich, wenn das Reaktorgebäude den
Atomreaktor unten und seitlich mit „einer massiven Konstruktion nach Art einer
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Kanone“ umgibt, so dass der beanspruchte Gegenstand nicht auf einer erfinderi-
schen Tätigkeit beruht, sondern dem Fachmann durch die Druckschriften D2 bis
D5 jeweils nahegelegt wird.

Dass Reaktorgebäude in der Praxis trotzdem massive Dächer aufweisen, ist ins-
besondere dem Umstand geschuldet, dass Reaktorgebäude zum einen entspre-
chend den Regeln der Strahlenschutzverordnung die Freisetzung von radioaktiver
Strahlung verhindern sollen und zum anderen dem Schutz gegenüber Einwirkun-
gen von außen, bspw. Flugzeugabstürzen oder externen Druckwellen, dienen, vgl.
in Druckschrift D1, Seite 52, rechte Spalte unter Punkt „Aufgaben des umgeben-
den Gebäudes bei Druckwasserreaktoren. Diese gesetzlichen Vorschriften können
aber nur mit massiven Dächern eingehalten werden.

Das beanspruchte Reaktorgebäude ergibt sich somit für den Fachmann in nahe-
liegender Weise aus dem Stand der Technik nach einer der Druckschriften D2 bis
D4 und ist daher gemäß § 4 PatG wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit nicht
patentfähig.

3. Bei dieser Sachlage war die Beschwerde des Anmelders zurückzuweisen.


R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diesen Beschluss steht dem Anmelder – vorbehaltlich des Vorliegens der
weiteren Rechtsmittelvoraussetzungen, insbesondere des Vorliegens einer Be-
schwer – das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechts-
beschwerde nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn einer der nachfolgen-
den Verfahrensmängel gerügt wird, nämlich
1. dass das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt
war,
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2. dass bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der
Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder
wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3. dass einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. dass ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Geset-
zes vertreten war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens
ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5. dass der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung
ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des
Verfahrens verletzt worden sind, oder
6. dass der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.

Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Be-
schlusses
schriftlich durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als
Bevollmächtigten beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, ein-
zureichen oder
durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmäch-
tigten in elektronischer Form bei der elektronischen Poststelle des BGH,
www.bundesgerichtshof.de/erv.html. Das elektronische Dokument ist mit einer
prüfbaren qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz oder mit
einer prüfbaren fortgeschrittenen elektronischen Signatur zu versehen. Die Eig-
nungsvoraussetzungen für eine Prüfung und für die Formate des elektronischen
Dokuments werden auf der Internetseite des Bundesgerichtshofs
www.bundesgerichtshof.de/erv.html bekannt gegeben.


Dr. Strößner Brandt Dr. Friedrich Dr. Himmelmann

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