23 W (pat) 1/16  - 23. Senat (Techn.Beschw.)
Karar Dilini Çevir:

BPatG 154
05.11

BUNDESPATENTGERICHT



23 W (pat) 1/16
_______________
(Aktenzeichen)



Verkündet am
8. August 2017





B E S C H L U S S

In der Beschwerdesache









betreffend die Patentanmeldung 10 2013 021 854.3

hat der 23. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 8. August 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzen-
den Richters Dr. Strößner und der Richter Brandt, Dr. Friedrich und
Dr. Himmelmann

- 2 -
beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.


G r ü n d e

I.

Die Anmeldung 10 2013 021 854 wurde am 21. Dezember 2013 mit der Bezeich-
nung „Sicht- und Bedienvorrichtung zur Durchführung eines Verfahrens zum Er-
mitteln eines Gefahrenpotentials in einem Fahrzeug“ beim Deutschen Patent- und
Markenamt eingereicht.

Die Prüfungsstelle für Klasse GO8G hat auf den Stand der Technik gemäß den
Druckschriften

D1 DE 10 2006 029 847 A1
D2 DE 10 2013 010 818 A1 und
D3 DE 10 2008 042 397 A1

verwiesen und mangelnde Patentfähigkeit des Verfahrens nach dem mit der An-
meldung eingereichten Anspruch 1 geltend gemacht. Nachdem die Anmelderin
daraufhin die Patenterteilung gemäß Hauptantrag mit dem ursprünglichen An-
spruchssatz und gemäß Hilfsantrag mit einem modifizierten Anspruchssatz bean-
tragt hat, hat die Prüfungsstelle mit Beschluss vom 5. November 2015 den Haupt-
antrag zurückgewiesen und das Patent gemäß dem Hilfsantrag erteilt. Zur Be-
gründung hat sie dargelegt, das Verfahren nach Anspruch 1 des Hauptantrags
ergebe sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus den Druckschriften D1
und D2.

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Gegen den am 9. November 2015 zugestellten Beschluss hat die Anmelderin mit
Schriftsatz vom 8. Dezember 2015, per Fax eingegangen am 9. Dezember 2015,
Beschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 26. April 2016 begründet.

Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde die Anmelderin vom Senat
noch auf die Relevanz der in der Beschreibungseinleitung der Anmeldung ge-
nannten Druckschrift

D4 DE 10 2011 083 833 A1

hingewiesen.

In der mündlichen Verhandlung beantragt die Anmelderin,

- den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G08G des Deut-
schen Patent- und Markenamts vom 5. November 2015 auf-
zuheben und
- ein Patent zu erteilen mit der Bezeichnung „Sicht- und
Bedienvorrichtung zur Durchführung eines Verfahrens zum
Ermitteln eines Gefahrenpotentials in einem Fahrzeug“ und
dem Anmeldetag 21. Dezember 2013 auf der Grundlage fol-
gender Unterlagen:

- Patentansprüche 1 bis 15,
- 1 Blatt Zeichnungen mit einer Figur,
jeweils eingegangen im Deutschen Patent- und Markenamt
am Anmeldetag;
- Beschreibungsseiten 1 bis 11, eingegangen im Deutschen
Patent- und Markenamt am 14. November 2014.

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Der geltende Anspruchssatz umfasst einen auf ein Verfahren gerichteten An-
spruch 1 und einen auf eine Sicht- und Bedienvorrichtung für ein Fahrzeug ge-
richteten Anspruch 8. Die beiden selbständigen Ansprüche lauten:

„1. Verfahren zum Ermitteln eines Gefahrenpotentials in einem Fahrzeug (2)
umfassend die Schritte:
- Erfassen und Bereitstellen von Kamera-Daten mittels einer am Kopf eines
Fahrers (1) getragenen Kamera (10), die einem Blickfeld des Fahrers (1)
entsprechen,
- Erfassen und Bereitstellen von Umfeld-Daten eines Umfelds des Fahrzeugs
(2) mittels zumindest eines Umfeldsensors (9, 10) des Fahrzeugs,
wobei eine Rechen- und Speichereinheit (7) in Abhängigkeit von den bereit-
gestellten Kamera-Daten und Umfeld-Daten überprüft, ob ein vorherbe-
stimmtes Gefahrenkriterium erfüllt ist.“

„8. Sicht- und Bedienvorrichtung für ein Fahrzeug zum Ermitteln eines
Gefahrenpotentials mit:
einer in der Art einer Sehhilfe von einem Fahrer am Kopf tragbar ausgestalte-
ten Einrichtung (4), die mit einer Steuerungseinheit (5) des Fahrzeugs (2)
koppelbar ist, wobei die Einrichtung eine Kamera (6) zum Erfassen von Ka-
mera-Daten eines Blickfeldes zumindest eines Auges des Fahrers (1) auf-
weist;
einer Rechen- und Speichereinheit (7) zum Verarbeiten und Bereitstellen der
erfassten Kamera-Daten sowie Umfeld-Daten des Fahrzeugs (2) und/oder
weiterer Daten, wobei
die Rechen- und Speichereinheit (7) eingerichtet ist, durch das Verarbeiten ein
Überschreiten eines vorherbestimmten Schwellenwertes eines vorbestimmten
Gefahrenkriteriums zu überprüfen, und
einer Kommunikationseinheit, die dazu eingerichtet ist, Daten der Kamera
und/oder Rechen- und Speichereinheit (7) an eine Steuerungseinheit zu
übermitteln und/oder Umfeld-Daten der mit der Steuerungseinheit koppelbaren
- 5 -
Umfeldsensoren (9, 10) des Fahrzeugs an die Rechen- und Speichereinheit
zu übertragen.“

Hinsichtlich der Unteransprüche 2 bis 7 und 9 bis 15 wird ebenso wie hinsichtlich
der weiteren Einzelheiten auf den Akteninhalt verwiesen.


II.

Die Beschwerde ist frist- und formgerecht erhoben. Sie hat jedoch keinen Erfolg,
denn das Verfahren nach dem geltenden Anspruch 1 ist nicht patentfähig, da es
nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns beruht (§ 4 PatG).

Bei dieser Sachlage kann sowohl die Zulässigkeit der Ansprüche als
auch die Neuheit der Gegenstände dieser Ansprüche dahingestellt bleiben, vgl.
BGH GRUR 1991, 120, 121, II.1 - „Elastische Bandage“.

Als Fachmann ist ein mit der Weiterentwicklung von Fahrerassistenzsystemen
befasster berufserfahrener Diplom-Informatiker oder Diplom-Ingenieur der Elekt-
rotechnik mit Hochschul- oder Fachhochschulabschluß zu definieren.

1. Die Anmeldung betrifft ein Verfahren zum Ermitteln eines Gefahrenpotenti-
als in
einem Fahrzeug sowie eine Sicht- und Bedienvorrichtung zur Durchführung des
Verfahrens.

Um die Sicherheit und den Komfort in einem Fahrzeug bzw. beim Bedienen des
Fahrzeugs zu erhöhen, werden bei modernen Fahrzeugen zur Unterstützung des
Fahrers in bestimmten Fahrsituationen Fahrerassistenzsysteme vorgesehen.
Fahrerassistenzsysteme greifen teilautonom oder autonom in einen Antrieb bzw.
eine Steuerung oder Signalisierungseinrichtung des Fahrzeugs ein oder warnen
- 6 -
durch geeignete Mensch-Maschine-Schnittstellen den Fahrer kurz vor oder wäh-
rend kritischer Situationen. Dazu werden Parameter mittels unterschiedlicher Sen-
soren bzw. Sensorensysteme von einer Rechen- und Speichereinheit des Fahr-
zeugs ausgewertet. Ein wesentlicher Parameter zur Steigerung der Fahr- bzw.
Verkehrssicherheit ist dabei die Aufmerksamkeit des Fahrers selbst.

Der Anmeldung liegt als technisches Problem die Aufgabe zugrunde, ein Verfah-
ren zum Ermitteln eines Gefahrenpotentials in einem Fahrzeug bzw. eine Sicht-
und Bedienvorrichtung zur Durchführung eines solchen Verfahrens vorzusehen,
bei dem eine zuverlässige und zeitnahe Aussage hinsichtlich vorherbestimmter
Gefahrenkriterien getroffen werden kann und damit die Fahrsicherheit und der
Fahrkomfort erhöht wird, vgl. S. 1, 1. Abs. bis S. 3, 1. Abs. der geltenden Be-
schreibungsunterlagen.

Gemäß der Lehre des Anspruchs 1 wird diese Aufgabe durch ein Verfahren zum
Ermitteln eines Gefahrenpotentials in einem Fahrzeug gelöst, bei dem mittels ei-
ner am Kopf eines Fahrers getragenen Kamera Daten erfasst und bereitgestellt
werden, die einem Blickfeld des Fahrers entsprechen, und bei dem mittels zumin-
dest eines Umfeldsensors Umfeld-Daten des Fahrzeugs erfasst und bereitgestellt
werden. In Abhängigkeit von den bereitgestellten Kamera- und Umfeld-Daten
überprüft eine Rechen- und Speichereinheit, ob ein vorherbestimmtes Gefahren-
kriterium erfüllt ist.

Gemäß dem selbständigen Anspruch 8 wird die Aufgabe außerdem durch eine
Sicht- und Bedienvorrichtung für ein Fahrzeug zum Ermitteln eines Gefahrenpo-
tentials gelöst, das eine in der Art einer Sehhilfe von einem Fahrer am Kopf trag-
bar ausgestalteten Einrichtung aufweist, die mit einer Steuerungseinheit des Fahr-
zeugs koppelbar ist und eine Kamera zum Erfassen von Kamera-Daten eines
Blickfeldes zumindest eines Auges des Fahrers aufweist. Außerdem ist eine Re-
chen- und Speichereinheit zum Verarbeiten und Bereitstellen der erfassten Ka-
mera-Daten sowie Umfeld-Daten des Fahrzeugs und/oder weiterer Daten vorge-
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sehen, die eingerichtet ist, durch das Verarbeiten ein Überschreiten eines vorher-
bestimmten Schwellenwertes eines vorbestimmten Gefahrenkriteriums zu über-
prüfen. Dabei ist eine Kommunikationseinheit eingerichtet, Daten der Kamera
und/oder Rechen- und Speichereinheit an eine Steuerungseinheit zu übermitteln,
und/oder Umfeld-Daten der mit der Steuerungseinheit koppelbaren Umfeldsenso-
ren des Fahrzeugs an die Rechen- und Speichereinheit zu übertragen.

2. Das Verfahren zum Ermitteln eines Gefahrenpotentials in einem Fahrzeug
nach Anspruch 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns.

Die von der Anmelderin in der Beschreibungseinleitung der vorliegenden Anmel-
dung genannte und vom Senat als Druckschrift D4 in das Verfahren eingeführte
DE 10 2011 083 833 A1 offenbart in den Worten des Anspruchs 1 ein Verfahren
zum Ermitteln eines Gefahrenpotentials in einem Fahrzeug, bei dem Umfeld-Da-
ten eines Umfelds des Fahrzeugs mittels zumindest eines Umfeldsensors des
Fahrzeugs erfasst und bereitgestellt werden (Das Fahrzeug ist außerdem mit ei-
nem Assistenzsystem ausgestattet, das Gefahren und/oder mögliche Gefahren in
einer Verkehrssituation erkennt (Gefahrerkennungssystem). Gemäß einer Warn-
strategie des Assistenten wird der Fahrer durch ein geeignetes Warnsignal ge-
warnt. Die Art des Warnsignals (optisch und/oder akustisch und/oder haptisch),
die Intensität des Warnsignals (z. B. Lautstärke bei akustischem Signal) und der
Zeitpunkt des Beginns des Warnsignals vor der bevorstehenden Gefahr können
Bestandteil der Warnstrategie sein. / Abs. [0034], wobei das Erkennen von mögli-
chen Gefahren in einer Verkehrssituation zwingend die Existenz geeigneter Um-
feldsensoren am Fahrzeug voraussetzt).

Außerdem wird bei dem Verfahren nach der Druckschrift D4 beim Ermitteln des
Gefahrenpotentials auch die Aufmerksamkeit des Fahrers berücksichtigt, indem
der Blickwinkel des Fahrers zum Zeitpunkt des Erkennens der Gefahr als Ein-
gangsgröße für die Warnstrategie ermittelt wird. Ist der Blick des Fahrers bspw.
auf die im Fahrzeug angeordnete Anzeige- und Bedieneinrichtung statt auf die
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voraus liegende Fahrbahn gerichtet, bedeutet das nämlich, dass der Fahrer die
Gefahrensituatiion möglicherweise nicht oder nicht rechtzeitig wahrnimmt, so dass
eine Gefahrenwarnung früher erfolgen muss als bei einem voll umfänglich auf die
Fahrbahn gerichteten Blick (Der Blickwinkel des Fahrers zum Zeitpunkt des Er-
kennens der Gefahr durch das Gefahrerkennungssystem ist eine wichtige Ein-
gangsgröße für die Warnstrategie. Beispielsweise hat eine Warnung vor einer
Gefahr bei einem von der Fahrbahn abgewandtem Blick frühzeitiger und/oder
deutlich wahrnehmbarer zu erfolgen als bei einem voll umfänglich auf die Fahr-
bahn gerichteten Blick. Anhand der Interaktion des Fahrers mit dem Fahrzeug ist
gemäß dieses Ausführungsbeispiels schätzbar, ob der Blick des Fahrers mit hoher
Wahrscheinlichkeit auf die Anzeigeeinheit gerichtet ist. Falls der Blick des Fahrers
auf die Anzeigeeinheit gerichtet ist, ist der Blick des Fahrers zu diesem Zeitpunkt
zumindest nur eingeschränkt auf die Fahrbahn gerichtet. Falls in diesem Zeitpunkt
durch das Gefahrerkennungssystem eine Gefahr erkannt ist oder zu einem frühe-
ren Zeitpunkt eine noch bestehende Gefahr erkannt wurde, passt die Warnstrate-
gie das Warnsignal in geeigneter Weise an. Zum Beispiel kann die Warnung zu
einem früheren Zeitpunkt einsetzen. / Abs. [0035] und [0036]).

Dabei kann der Blickwinkel des Fahrers mittels einer den Fahrer erfassenden Ka-
mera ermittelt werden. Die jeweilige Warnstrategie wird dann durch Blickwinkel
des Fahrers und die Gefahrensituation bestimmt, indem die Warnung bspw. früh-
zeitiger ausgelöst wird, wenn der Fahrer den Blick auf die Anzeigeeinheit gerichtet
hat. Die Bestimmung der jeweiligen Warnstrategie erfolgt dabei mittels einer Re-
chen- und Speichereinheit, die in Abhängigkeit von den bereitgestellten Kamera-
Daten und den Umfelddaten überprüft, ob ein vorbestimmtes Gefahrenkriterium
erfüllt ist, und in Abhängigkeit davon eine Steuereinheit zum Ausgaben einer War-
nung ansteuert (Der Wert des Aufmerksamkeitsmaßes dient als Eingangspara-
meter für das Warnsystem des Fahrzeugs. Bei einem niedrigen Wert an Aufmerk-
samkeitsmaß durch den Fahrer ist das Warnsignal oder sind die Warnsignale im
Vergleich zu einem höheren Wert des Aufmerksamkeitsmaßes bei einer bevorste-
henden Gefahr verdeutlicht. Die Lautstärke eines Warntons wird erhöht, die
- 9 -
Lichtintensität einer Warnlampe oder die Blinkfrequenz einer Warnleuchteinrich-
tung erhöht. Auch die Rüttelamplitude des Lenkrades wie nach dem Stand der
Technik von Spurwechselassistenzsystemen bekannt kann erhöht sein. Außerdem
ist es möglich, die Warnung zu einem frühzeitigeren Zeitpunkt vor Erreichen des
Gefahrenbereichs durch das Fahrzeug auszulösen. Eine frühere Warnung ist mit
einer deutlicheren Warnung kombinierbar. Dies kann auch kontinuierlich erfolgen,
wobei die Warnintensität mit dem Näherkommen der Gefahrensituation steigerbar
ist. Falls das Fahrzeug über ein den Fahrer erfassendes Kamerasystem verfügt,
kann zusätzlich der Blickwinkel des Fahrers erfasst werden. Die Warnstrategie
kann dann nicht nur an die Bedienklasse des Fahrers angepasst werden, sondern
an eine Kombination aus erfasstem Blickwinkel des Fahrers bei einer bevorste-
henden Gefahr und der Bedienklasse. Falls beispielsweise ein Kontroll-Bediener
im Moment der Detektion der Gefahr durch das Fahrzeug den Blick auf die Anzei-
geeinheit gerichtet hat, ist die Warnung frühzeitiger als bei einem Blind-Bediener
anzuzeigen, da beim zweitgenannten Bediener die Wahrscheinlichkeit höher ist,
dass der Blick rechtzeitig und ohne Warnung auf die Straße zurückgerichtet wird. /
Abs. [0085] und [0086] // Dass diese Maßnahmen von einer Rechen- und Spei-
chereinheit getroffen werden, wie sie in den Abs. [0061] und [0064] der D4 er-
wähnt ist, ist für den Fachmann selbstverständlich.).

Das Verfahren nach Anspruch 1 unterscheidet sich von dem nach der Druckschrift
D4 somit allein dadurch, dass die Kamera-Daten, die einem Blickfeld des Fahrers
entsprechen, mittels einer am Kopf des Fahrers getragenen Kamera erfasst wer-
den, denn bei dem Verfahren nach der Druckschrift D4 wird - wie die oben ge-
nannte Zitatstelle erkennen lässt - eine im Fahrzeug angebrachte Kamera zu die-
sem Zweck verwendet.

Diese Maßnahme beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des
Fachmanns.

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Denn dem Fachmann ist es bekannt, die Blickrichtung einer Person mit Hilfe einer
am Kopf der Person getragenen Kamera zu ermitteln, die an einer Head-Up-Dis-
play-Brille angebracht ist, wie sie auch im Automobilbereich zum Einsatz kommt.
Zum Beleg hierfür wird auf die Druckschrift D3 hingewiesen:

Diese Druckschrift offenbart ein Navigationssystem, das aus einem tragbaren Na-
vigationsgerät und einer am Kopf des Nutzers getragenen HUD-Brille (Head-Up-
Display) besteht, wobei die Blickrichtung des Nutzers mittels einer an der HUD-
Brille befestigten Kamera ermittelt wird. In dem in der Druckschrift D3 offenbarten
Ausführungsbeispiel handelt es sich um ein Navigationssystem für Fußgänger,
denen über das Head-Up-Display durch einen Avatar Navigationshinweise gege-
ben werden. Wie beim Anmeldungsgegenstand wird die Blickrichtung der die Ka-
mera tragenden Person dabei dadurch erfasst, dass in einer Speichereinheit Refe-
renzdaten gespeichert sind, die Bildmerkmalen von Bildern verschiedener Blick-
richtungen entsprechen, so dass das System durch einen Vergleich der Referenz-
daten mit den aktuellen Bilddaten die jeweilige Blickrichtung des Trägers der Brille
ermitteln kann (Fig. 1 zeigt eine Ausführungsform der Erfindung, bei der ein Nutzer
1 (Fußgänger), der eine auf seinem Kopf angeordnete HUD-Brille 4 trägt, in Rich-
tung einer Straße 5 blick, die eine Abzweigung nach rechts aufweist. Die Abzwei-
gung führt zum in das Navigationssystem eingegebenen Zielort / Abs. [0017] //
Dieser Avatar 3 zeigt mit Gesten an, wenn der Nutzer z. B. abbiegen soll. [...]
Damit der Avatar 3 dem Nutzer 1 an der richtigen Position in der realen Welt er-
scheint, muss bekannt sein, in welche Richtung der Nutzer 1 blickt. Diese Orientie-
rungsschätzung 18 geschieht gemäß dem hier dargestellten Ausführungsbeispiel
auf der Basis eines an sich bekannten Bilderkennungsverfahrens, das zyklisch
durchgeführt wird und mindestens eine robuste Schätzung der Blickrichtung liefert.
Aus den Bildern einer in die HUD-Brille 4 integrierten Kamera 8 werden Bildmerk-
male der Umgebung extrahiert. Geeignete Merkmale sind z. B. Ecken und Kanten
statischer Objekte wie z. B. Häuser. Diese Bildmerkmale werden mit georeferen-
zierten Merkmalen, die in einer Datenbank 13 abgelegt sind, verglichen. Werden
identische Merkmale gefunden, so kann daraus die Blickrichtung bestimmt wer-
- 11 -
den. / Abs. [0020] und [0021]) // Die Einrichtung zur Bestimmung der Blickrichtung
kann gemäß einer vorteilhaften Ausführungsform der Erfindung eine am Head-
Mounted-Display angeordnete Kamera, eine Speichereinheit, in der georeferen-
zierte Merkmale in Form von Bilddaten gespeichert sind, sowie eine Rechenein-
heit zur Orientierungsschätzung umfassen, wobei die Recheneinheit aus den Bil-
dern der Kamera Bildmerkmale extrahiert und mit den gespeicherten georeferen-
zierten Merkmalen vergleicht und daraus die Blickrichtung des Nutzers ermittelt. /
Abs. [0013].

Dabei wird in der Druckschrift D3 darauf hingewiesen, dass Head-Up-Displays,
bspw. Head-Up-Display-Brillen, insbesondere im Automobilbereich eingesetzt
werden, bspw. um dem Fahrer Navigationshinweise zu geben. Um dabei eine
ortskorrekte Darstellung der projizierten Darstellung zu ermöglichen, muss bei
Head-Up-Displays auch die Blickrichtung des Fahrers erfasst werden. Hierzu ist
es notwendig - so die D3 weiter -, auch die Blickrichtung des Fahrers zu erfassen
(Bekannt sind außerdem Head-Up-Displays (HUDs), bei denen insbesondere im
Automobilbereich Informationen (z. B. Tachometer, Navigationshinweise), über
einen geeigneten durchlässigen Spiegel (dem so genannten Combiner, das kann
z.B. auch die Windschutzscheine sein) ins Sichtfeld projiziert werden. Ein geeig-
neter Combiner kann aber auch durch das Glas einer Brille, die vom Nutzer getra-
gen wird, realisiert werden. / Abs. [0005] // Das aus der DE 101 31 720 A1 be-
kannte Navigationssystem ist in einem Fahrzeug eingebaut und blendet als Anzei-
geelemente beispielsweise eine Markierung für eine Straße, in die abgebogen
werden soll, so in die Windschutzscheibe ein, dass die Markierung ortskorrekt mit
eben der Straße überlagert wird. Als ortskorrekte Darstellung wird demnach die
korrekte Überlagerung der projizierten Objekte mit der realen Umgebung (Fahr-
zeugaußenraum) bezeichnet, d. h. die Darstellungen werden genau an den Orten
in das Blickfeld des Fahrers eingeblendet, wo das jeweilige reale Objekt zu sehen
ist. Dabei ist es auch bekannt, die jeweilige Position des Fahrers, die jeweilige
Kopfposition und/oder die Position der Augen und der Blickrichtung zu erfassen,
- 12 -
um eine ortskorrekte Darstellung auch dann liefern zu können, wenn der Fahrer
die Kopfposition ändert. / Abs. [0006].

Angesichts dieser Hinweise in der Beschreibungseinleitung der D3 ist es für den
Fachmann selbstverständlich, die in der D3 gegebene und oben erläuterte allge-
meine Lehre zur Ausgestaltung eines Systems zur Blickrichtungserfassung bei
einer Head-Up-Display-Brille auch bei den im Automobilbereich eingesetzten
Head-Up-Display-Brillen anzuwenden.

Angesichts dessen bedarf es für den Fachmann keiner erfinderischen Tätigkeit,
dementsprechende Maßnahmen auch bei dem Verfahren nach der Druckschrift
D4 anzuwenden, um bei dem dort offenbarten Verfahren zum Ermitteln eines Ge-
fahrenpotentials in einem Fahrzeug das Blickfeld des Fahrers mit verbesserter
Zuverlässigkeit zu erfassen. Dabei wird mit dem Blickwinkel auch das Blickfeld
des Fahrers ermittelt.

Das Argument der Anmelderin, die Druckschrift D3 sei gattungsfremd und werde
vom Fachmann daher nicht berücksichtigt, konnte den Senat angesichts der oben
erläuterten Hinweise der Druckschrift D3 zum Einsatz von Head-Up-Display im
Automobilbereich nicht überzeugen.

Das Verfahren nach Anspruch 1 ist somit nicht patentfähig.

3. Abgesehen davon, dass auch die Sicht- und Bedienvorrichtung für ein Fahr-
zeug nach Anspruch 8 im Hinblick auf die vorangehenden Darlegungen zu den
Druckschriften D4 und D3 nicht patentfähig ist, fällt dieser Anspruch ebenso wie
auch die Unteransprüche wegen der Antragsbindung mit dem Anspruch 1, vgl.
BGH GRUR 2007, 862, Tz. 22 - „Informationsübermittlungsverfahren II“.

4. Bei dieser Sachlage war die Beschwerde zurückzuweisen.

- 13 -
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diesen Beschluss steht der Beschwerdeführerin - vorbehaltlich des Vorlie-
gens der weiteren Rechtsmittelvoraussetzungen, insbesondere einer Beschwer -
das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde
nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn einer der nachfolgenden Verfah-
rensmängel gerügt wird, nämlich

1. dass das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. dass bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung
des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis
der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3. dass einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. dass ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertre-
ten war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder still-
schweigend zugestimmt hat,
5. dass der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist,
bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt wor-
den sind, oder
6. dass der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.

Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlus-
ses schriftlich durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt
als Bevollmächtigten beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe,
einzureichen oder durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsan-
walt als Bevollmächtigten in elektronischer Form bei der elektronischen Poststelle
des BGH, www.bundesgerichtshof.de/erv.html. Das elektronische Dokument ist
mit einer prüfbaren qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturge-
setz oder mit einer prüfbaren fortgeschrittenen elektronischen Signatur zu verse-
hen. Die Eignungsvoraussetzungen für eine Prüfung und für die Formate des
- 14 -
elektronischen Dokuments werden auf der Internetseite des Bundesgerichtshofs
www.bundesgerichtshof.de/erv.html bekannt gegeben.


Dr. Strößner Brandt Dr. Friedrich Dr. Himmelmann

prö


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