20 W (pat) 38/14  - 20. Senat (Techn.Beschw.)
Karar Dilini Çevir:

BPatG 154
05.11

BUNDESPATENTGERICHT



20 W (pat) 38/14
_______________
(Aktenzeichen)



Verkündet am
22. März 2017





B E S C H L U S S

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2012 219 998.5








hat der 20. Senat (Technischer Beschwerdesenat) auf die mündliche Verhandlung
vom 22. März 2017 durch den Vorsitzenden Richter Dipl.-Phys. Dr. Mayer, die
Richterin Dorn sowie die Richter Dipl.-Geophys. Dr. Wollny und
Dipl.-Phys. Bieringer

- 2 -
beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.


G r ü n d e

I.

Die Prüfungsstelle des Deutschen Patent- und Markenamtes, zuständig für die
Klasse G 01 N, hat die Patentanmeldung mit der Nummer 10 2012 219 998.5 und
der Bezeichnung

„Verfahren zur Identifikation kristalliner Phasen“,

mit Beschluss vom 6. Juni 2014 zurückgewiesen.

Die Prüfungsstelle führte in ihrem Zurückweisungsbeschluss insbesondere aus,
dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht so offenbart sei, dass dieser vom
Fachmann ausgeführt werden könne.

Während des Verfahrens vor dem Deutschen Patent- und Markenamt wurden von
der Anmelderin - vor dem Hintergrund u.a. in der Anhörung vom 21.01.2014
seitens der Prüfungsstelle geäußerter Zweifel an der Ausführbarkeit von
Merkmalen des geltenden Anspruchs 1 - mit ihrer Eingabe vom 23. Mai 2014 drei
Druckschriften (A1 bis A3) zum Stand der Technik eingeführt; eine weitere
Druckschrift (A4) nennt sie im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem
Bundespatentgericht; im Einzelnen:

A1 SCHWARZER, R.: Automated Crystal Lattice Orientation Mapping Using a
Computer-controlled SEM. In: Micron, 1997, Vol. 28, No. 3, pp. 249-265
- 3 -
A2 WRIGHT, S.I. & ADAMS, B.L.: AUTOMATED LATTICE ORIENTATION
DETERMINATION FROM ELECTRON BACKSCATTER KIKUCHI
DIFFRACTION PATTERNS. In: Textures and Microstructures, 1991, Vols.
14-18, pp. 273-278
A3 ZAEFFERER, S. & SCHWARZER, R.A.: ON-LINE INTERPRETATION OF
SPOT AND KIKUCHI PATTERNS. In: Materials Science Forum, 1994, Vols.
157-162, pp. 247-250
A4 DE 10 2004 006 431 B4

Gegen den o. g. Beschluss vom 6. Juni 2014, der Anmelderin zugestellt am
12. Juni 2014, richtet sich ihre am 11. Juli 2014 beim Deutschen Patent- und
Markenamt eingegangene Beschwerde.

Der Bevollmächtigte der Anmelderin beantragt,

den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 01 N des
Deutschen Patent- und Markenamts vom 6. Juni 2014 aufzuheben
und das nachgesuchte Patent auf der Grundlage folgender
Unterlagen zu erteilen:
Patentansprüche:
Patentansprüche 1 bis 6 vom Anmeldetag (1. November 2012)
Beschreibung:
Beschreibungsseiten 1 bis 5 vom Anmeldetag (1. November 2012)
Hilfsantrag:
Patentansprüche 1, 2 und 4 vom Anmeldetag (1. November 2012)
als Patentanspruch 1,
anzupassende übrige Ansprüche und Beschreibung.


- 4 -
Weiter hilfsweise beantragt er,

die Sache zur weiteren Prüfung an das Deutsche Patent- und
Markenamt zurückzuverweisen.

Ferner beantragt er,

die Rückzahlung der Beschwerdegebühr anzuordnen.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:
- 5 -


- 6 -
Die nebengeordneten Ansprüche 5 und 6 gemäß Hauptantrag lauten:



Im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag wird der Patentanspruch 1 gemäß
Hauptantrag am Ende durch die kennzeichnenden Merkmale der ursprünglichen
Ansprüche 2 und 4 ergänzt:

„ … bei dem der Bewertungsfaktor s(i) aus Schritt e) als Kehrwert des
Abstands oder Abstandsquadrats des normierten Vektors v der chemi-
schen Zusammensetzung am Messpunkt vom jeweiligen normierten
Vektor p(i) der chemischen Zusammensetzung der vermuteten Kristall-
strukturen bestimmt wird,
bei dem im Schritt b) die Normierung derart erfolgt, dass die Summe der
Quadrate aller Elementhäufigkeiten eins ist.“

Die nebengeordneten Ansprüche 2 bis 4 gemäß Hilfsantrag entsprechen bis auf
die Nummerierung wörtlich den nebengeordneten Ansprüchen 3, 5 und 6 gemäß
Hauptantrag.

Der Bevollmächtigte der Anmelderin hält die Gegenstände der beantragten
Anspruchsfassungen für zulässig, ausführbar und patentfähig.
- 7 -
Wegen des Wortlautes der Unteransprüche und weiterer Einzelheiten wird auf den
Akteninhalt verwiesen.


II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg, da der Gegenstand des
jeweiligen Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag mangels
erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig ist (§ 1 Abs. 1 i. V. m. § 4 PatG).

1. Die Patentanmeldung betrifft laut Ursprungsunterlagen, Seite 1, Absatz 1, ein
Verfahren zur Identifikation kristalliner Phasen in einer mono- oder polykristallinen
Probe.

Die Identifikation kristallographischer Mikrostrukturen sei in vielen Bereichen der
Technik von Bedeutung, wie bei metallischen Werkstücken in der Automobil- und
Flugzeugtechnik, wo diese hohen Belastungen ausgesetzt seien. In der Regel
werde die chemische Zusammensetzung der zu untersuchenden Probe ermittelt,
z. B. mittels der energiedispersiven Röntgenspektroskopie (EDX). Zur Anregung
werde ein Elektronenstrahl einheitlicher Energie auf den jeweiligen Messpunkt der
Probe gerichtet und die resultierende Röntgenemission detektiert. Die erfasste
charakteristische Röntgenstrahlung gebe Aufschluss über die Elementzu-
sammensetzung der Probe (Ursprungsunterlagen, S. 1, Abs. 2 und 3).

Die Elektronenrückstreubeugung (EBSD; electron backscatter diffraction) sei eine
Methode der Strukturaufklärung, die zur Identifikation von Kristallen in einer Probe
diene. Bei diesem Verfahren werde die Beugung von Elektronen am Kristallgitter
zu Zwecken der Phasenanalyse bzw. Kristallstrukturanalyse ausgewertet. Ein
Beugungsbild bestehe dabei aus einer Reihe von Beugungsbändern, deren Lage
von der Kristallstruktur am Probenort und von der lokalen Orientierung des
Kristalls abhänge. Die Auswertung der Beugungsbilder erfordere daher zwingend
- 8 -
die Kenntnis der vorhandenen Kristallstruktur. Aus der Kenntnis dieser
Kristallstruktur werde vorhergesagt, wie die Beugungsbänder bei einer gegebenen
Orientierung im Beugungsbild liegen müssten (Ursprungsunterlagen, S. 1, Abs. 4).

Die zur Vorhersage der Beugungsbänder nötigen Strukturdaten vieler Tausend
bekannter Kristallstrukturen seien in Datenbanken zusammengestellt und dienten
als Referenzen zur Identifikation bisher unbekannter Phasen einer vermessenen
Probe. In der Praxis würden anhand bestimmter Auswahlkriterien, zumeist der
chemischen Zusammensetzung, Kristallstrukturen in der Datenbank vorseIektiert,
die man in der Probe vermute. Mittels geeigneter Suchverfahren werde auf
Grundlage des Beugungsbildes der unbekannten Probe die Orientierung be-
stimmt, bei der die Vorhersage am besten mit der Messung übereinstimme. Habe
man die korrekte Kristallstruktur gewählt, so erhalte man eine gute Über-
einstimmung, ansonsten sei die Übereinstimmung schlecht (Ursprungsunterlagen,
S. 1, Abs. 5 bis S. 2, Abs. 1).

Der Grad der Übereinstimmung werde primär durch die Anzahl der innerhalb einer
gewissen Toleranz erfolgreich erklärten Beugungsbänder angegeben. Man nehme
also eine gewisse Abweichung der theoretischen Beugungsbänder von den
tatsächlich gemessenen in Kauf. Der Grad dieser Abweichung - der Winkel-
fehler - sei ein sekundäres Maß der Übereinstimmung. Würden mehrere Kris-
tallstrukturen in der Probe vermutet, dann werde das Auswerteverfahren für alle
Kandidaten wiederholt. Der Kandidat mit der besten Übereinstimmung werde mit
dem Probenort identifiziert (Ursprungsunterlagen, S. 2, Abs. 2).

Zwar wird in den Ursprungsunterlagen keine explizite Aufgabe der Erfindung
benannt, jedoch könnten mehrere Nachteile des Standes der Technik behoben
oder zumindest gemindert werden (Ursprungsunterlagen, S. 2, Abs. 3). Damit
könne die Identifikation unbekannter kristalliner Phasen in einer polykristallinen
Probe erheblich beschleunigt werden (Ursprungsunterlagen, S. 3, Abs. 7).

- 9 -
2. Die Anmeldung richtet sich ihrem technischen Sachgehalt nach an einen
Diplom-Physiker mit Arbeitsschwerpunkt auf dem Gebiet der Werkstoffanalyse,
der mehrjährige Berufserfahrung in der Projektierung, Entwicklung und Aus-
wertung von elektronenmikroskopischen Analyseverfahren (insbesondere EDX
und EBSD) besitzt.


3. Der Gegenstand des enger gefassten Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag
umfasst die Merkmale des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag. Nachdem
ersterer - wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen - nicht auf einer
erfinderischen Tätigkeit beruht, ist auch der weiter gefasste Patentanspruch 1
nach Hauptantrag nicht patentfähig.


3.1 Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag kann wie folgt gegliedert werden
(wobei die gegenüber dem Hauptantrag hinzugefügten Merkmale M8 und M9
durch Unterstreichen hervorgehoben sind):

M0 Verfahren zur Identifikation kristalliner Phasen in einer polykristallinen
Probe, umfassend die Verfahrensschritte:
M1 a) Bereitstellen einer Liste von Kristallstrukturen, die in der Probe
vermutet werden,
M1.1 wobei zu jeder Kristallstruktur zumindest seine chemische
Zusammensetzung
M1.2 und ein Elektronenbeugungsbild mit einer Vielzahl von
Beugungsbändern oder zur Vorhersage der Beugungsbänder nötige
Strukturdaten hinterlegt sind;
M2 b) Für jede vermutete Kristallstruktur, Bestimmung eines
normierten Vektors p(i) für die chemische Zusammensetzung,
dessen Koordinaten proportional zu den einzelnen
Elementhäufigkeiten sind;
- 10 -
M3 c) An jedem Messpunkt der Probe,
M3.1 (i) Aufnahme eines Spektrums mittels energiedispersiver Rönt-
genspektroskopie (EDX-Spektrum) und
M3.2 Bestimmung der chemischen Zusammensetzung und
M3.3 (ii) Aufnahme eines Elektronenbeugungsbildes und
M3.4 Bestimmung der Beugungsbänder;
M4 d) Bestimmung eines normierten Vektors v für die chemische
Zusammensetzung am Messpunkt, dessen Koordinaten proportional zu
den einzelnen Elementhäufigkeiten sind;
M5 e) Vergleich des normierten Vektors v für die chemische Zusam-
mensetzung am Messpunkt mit jedem der normierten Vektoren p(i) der
vermuteten Kristallstrukturen unter Ausgabe eines Bewertungsfaktors
s(i) für die jeweilige Übereinstimmung der Vektoren;
M6 f) Vergleich der am Messpunkt bestimmten Beugungsbänder mit den
Beugungsbändern der vermuteten Kristallstrukturen unter Ausgabe
eines Bewertungsfaktors n(i) für die Übereinstimmung der Beu-
gungsbänder; und
M7 g) Bestimmung einer Gesamtgüte aus den beiden Bewertungsfaktoren
s(i) und n(i) und Zuordnung der Kristallstruktur mit der höchsten
Gesamtgüte zum Messpunkt,
M8 bei dem der Bewertungsfaktor s(i) aus Schritt e) als Kehrwert des Abstands
oder Abstandsquadrats des normierten Vektors v der chemischen
Zusammensetzung am Messpunkt vom jeweiligen normierten Vektor p(i)
der chemischen Zusammensetzung der vermuteten Kristallstrukturen
bestimmt wird,
M9 bei dem im Schritt b) die Normierung derart erfolgt, dass die Summe der
Quadrate aller Elementhäufigkeiten eins ist.

3.1.1 Der Fachmann versteht diese Anspruchsfassung wie folgt:

- 11 -
Das anmeldungsgemäße Verfahren zielt unter Berücksichtigung der ursprüng-
lichen Offenbarung auf eine beschleunigte Datenverarbeitung im Gefolge von
röntgenbasierten Strukturanalysen mit Hilfe von Elektronenstrahlen an
polykristallinen Werkstoffen ab. Diese polykristallinen Werkstoffproben weisen
eine Vielzahl unterschiedlicher monokristalliner Bereiche, „Phasen“ genannt, auf;
dies sind volumetrische Bereiche einer Probe, in denen physikalische Eigen-
schaften und/oder der Chemismus der Probe als weitgehend homogen anzusehen
sind; d.h. im vorliegenden Fall sind die chemische Zusammensetzung und die
Kristallstruktur in jedem dieser Bereiche homogen, können sich aber von Kristall
zu Kristall (also von Phase zu Phase) unterscheiden; eine „Identifikation“ der
unterschiedlichen kristallinen Phasen in einer Probe entspricht somit einer Analyse
der die Probe aufbauenden Substanzen sowie ihrer Struktur (Merkmal M0).

Zu diesem Zweck stellt das beanspruchte Verfahren zunächst eine „Liste von
Kristallstrukturen, die in der Probe vermutet werden“ bereit; diese „Liste“ versteht
der Fachmann zunächst als eine digital in einer Datenbank hinterlegte strukturierte
Informationsquelle, wobei dem das Verfahren Durchführenden bereits grob
bekannt ist, wonach er sucht; unter einer „Kristallstruktur“ ist die räumliche
Ausbildung eines einzelnen Kristallits zu verstehen, d. h. seine Ausprägung in
einem der 14 Bravais-Gittertypen, aus denen jeder einzelne Kristallit aufgebaut ist
(Merkmal M1). Diesen bekannten Strukturinformationen sind in der Datenbank
zusätzlich mögliche chemische Zusammensetzungen zugeordnet (Merkmal M1.1),
sowie ein Abbild einer Elektronenbeugung („Elektronenbeugungsbild“) hinterlegt,
das eine Vielzahl von „Beugungsbändern“ zeigt; letzteren Begriff setzt der
Fachmann in diesem Kontext mit dem Fachbegriff Kikuchi-Band gleich. Sollten
keine „Beugungsbänder“ angegeben sein, sind dort zumindest Strukturdaten über
einen konkreten Kristall hinterlegt, die die Erscheinungsorte (hier mit „Vorhersage“
umschrieben) der Kikuchi-Bänder in einem Elektronenbeugungsbild bezeichnen
(Merkmal M1.2).

- 12 -
Dieser inhaltlichen Charakterisierung der Daten aus der Datenbank schließen sich
Verarbeitungsvorschriften für diese an und zwar zunächst dergestalt, dass ein
„normierter Vektor p(i)“ „bestimmt“ - respektive berechnet - wird und zwar in Form
einer nicht näher beschriebenen Proportionalität seiner Koordinaten von nicht
weiter erläuterten „einzelnen“ Elementhäufigkeiten (Merkmal M2).

Die folgende Merkmalsgruppe stellt eine Verquickung aus physikalischen Mess-
vorschriften und Datenverarbeitungsmaßnahmen dar; im Einzelnen wird zunächst
an „jedem Messpunkt“ die Aufnahme eines EDX-Spektrums vorgeschrieben
(Merkmal M3, M3.1), und daran anschließend die „Bestimmung“ der chemischen
Zusammensetzung an diesem Messpunkt; dem Fachmann ist aus seiner Praxis
bekannt, dass diese Auswertung der spektroskopischen Untersuchung mittels
entsprechender Software, d. h. unter Einsatz von Rechner- und somit Daten-
verarbeitungskapazität erfolgt (Merkmal M3.2); die ebenfalls geforderte Aufnahme
eines „Elektronenbeugungsbildes“ stellt einen weiteren messtechnischen Verfah-
rensschritt dar (Merkmal M3.3), wogegen die „Bestimmung der Beugungsbänder“
(Merkmal M3.4) wiederum eine rechnergestützte Maßnahme implizieren, jedoch
auch eine händische Maßnahme seitens des Fachmanns darstellen kann.

Sämtliche daran anschließenden Verfahrensschritte stellen rechnertechnisch
umzusetzende Datenverarbeitungsmaßnahmen dar, die in ihrer konkreten
Umsetzung nicht weiter beschrieben werden, und zwar
 die Bestimmung eines normierten Vektors, der die chemische Zusam-
mensetzung am Messpunkt repräsentiert (Merkmal M4);
 den Vergleich dieses Vektors mit jedem normierten Vektor der vermuteten
Kristallstrukturen unter Ausgabe einer die Übereinstimmung bewertenden
Größe (Merkmal M5);
 den Vergleich der Beugungsbänder am Messpunkt mit Beugungsbändern der
vermuteten Kristallstrukturen unter Ausgabe einer die Übereinstimmung
bewertenden Größe (Merkmal M6);

- 13 -
 die Bestimmung der Gesamtgüte aus den beiden Größen und Zuordnung der
Kristallstruktur höchster Gesamtgüte zum Messpunkt (Merkmal M7);
 die Bestimmung des Bewertungsfaktors s(i) als Kehrwert des Abstands oder
Abstandsquadrats des normierten Vektors v der chemischen Zusammen-
setzung am Messpunkt vom jeweiligen normierten Vektor p(i) der chemischen
Zusammensetzung der vermuteten Kristallstrukturen (Merkmal M8);
 die Normierung des Vektors p(i) dadurch, dass die Summe der Quadrate aller
Elementhäufigkeiten eins ist (Merkmal M9).

3.1.2 Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag beruht nicht auf einer
erfinderischen Tätigkeit (§ 4 PatG).
Der Fachmann entnimmt der Druckschrift SCHWARZER (1997) [A1] in Über-
einstimmung mit dem Anspruchsgegenstand ein Verfahren zur Identifikation
kristalliner Phasen in einer polykristallinen Probe, die zur strukturanalytischen
Untersuchung derselben den Einsatz einer Elektronenbeugungsbilder liefernden
und verarbeitenden Apparatur („computer-controlled SEM“) lehrt (A1, z.B. Figuren
1, 3, 4 und 5). In dieser Apparatur werden beschleunigte Elektronen, die auf ein zu
untersuchendes Objekt treffen (A1, Figur 5: „accelerating voltage U“, „SEM“,
„specimen“), am Objekt am Auftreffpunkt - dem Messpunkt im Sinne des
Patentanspruchs 1 - aufgrund der Kristallstruktur desselben gestreut und im
Anschluss daran mittels einer Sensorik registriert, was u. a. zu einem Elek-
tronenbeugungsbild im Sinne des Patentanspruchs 1 führt (A1, Figur 4: Kikuchi-
Bänder auf dem „screen“ und Figur 5: z. B. „phosphor screen“, „BSE-detector“,
„intensified CCD video camera“). Aus diesem Beugungsbild lassen sich mit der
hier beschriebenen Apparatur über den Einsatz von Rechenkapazität (A1, z.B.
Figur 5: „digital signal processor, „computer“) Strukturinformationen über den
Kristall („specimen“) am Messpunkt sammeln und bezüglich der Orientierung
einzelner Gitterebenen des Kristalls am Messort auswerten; die Zusammenschau
der Ergebnisse an mehreren Messorten führt letztlich zu einer Art Karte der mittels
der Apparatur untersuchten Kristallprobe (A1, z.B. „VIII. AUTOMATED CRYSTAL
LATTICE ORIENTATION MAPPING (ACOM)”; Merkmale M0, M3.3, M3.4).
- 14 -
Um die Aussagekraft der auf diese Weise gewonnenen Information über die
einzelne Kristallprobe weiter zu verbessern - aus der Kristallstruktur kann nicht auf
die exakte chemische Zusammensetzung geschlossen werden -, liegt es in der
Natur alltäglicher fachmännischer Arbeit, ein entsprechendes weiteres - dem
Fachmann aus seiner Praxis bekanntes - Verfahren zu nutzen, das ihm die
zusätzlich benötigten Daten zu liefern vermag, um die bisher gewonnenen
Ergebnisse zu ergänzen. Aus der Praxis ist dem Fachmann zur Bestimmung der
chemischen Zusammensetzung einer einzelnen Phase im Rahmen der elek-
tronenmikroskopischen Analysemethoden das EDX-Verfahren bekannt, wie es
auch die Anmelderin in der Anmeldungsbeschreibung einleitend ausgeführt hat.
Eine Untersuchung der Kristallstruktur und der chemischen Zusammensetzung am
gleichen Messpunkt ist hierbei für den Fachmann selbstverständlich, da sich diese
von Kristall zu Kristall in der polykristallinen Probe ändern können. In diesem
Zusammenhang sind keine besonderen Umstände feststellbar, die eine Anwen-
dung des EDX-Verfahrens an jedem Messpunkt der Probe, an dem ein
Elektronenbeugungsbild aufgenommen wurde, aus fachlicher Sicht als nicht
möglich, mit Schwierigkeiten verbunden oder sonst untunlich erscheinen lassen
(BGH, Urteil vom 11. März 2014 - X ZR 139/10 -; GRUR 2014,
647 - Farbversorgungssystem) (Merkmale M3.1, M3.2).

Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag weist im Übrigen mehrere Merkmale auf,
die gemäß ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung bei der Prüfung einer
Erfindung auf erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen sind, da sie keine
Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln bestimmen oder
zumindest beeinflussen (BGH, Urteil vom 26. Oktober 2010 - X ZR 47/07 -; GRUR
2011, 125 - Wiedergabe topographischer Informationen).

Im Einzelnen betrifft dies die Merkmale M1 bis M2 und M4 bis M9, die nach dem
Wortlaut des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag eine letztlich rein rechnerisch
durchzuführende „Bestimmung“ (Merkmale M2, M4, M7, M8) bzw. einen
„Vergleich“ (Merkmale M1 bis M1.2, M5, M6) von Daten oder eine
- 15 -
Rechenvorschrift (Merkmale M8, M9) beinhalten, da aus diesen keine konkrete
technische Wirkung erwächst. Dies betrifft auch eine beschleunigte Bestimmung
der Kristallstruktur und -zusammensetzung durch die Verringerung der erfor-
derlichen Rechen- bzw. Vergleichsschritte, wie vom Vertreter der Anmelderin vor-
getragen. (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 - X ZR 3/12 -, GRUR 2013,
275 - Routenplanung). Die Merkmale M1 bis M2 und M4 bis M9 können jedenfalls
bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht berücksichtigt werden (BGH
a. a. O.). Dies betrifft auch eine beschleunigte Bestimmung der Kristallstruktur und
-zusammensetzung durch die Verringerung der erforderlichen Rechen- bzw.
Vergleichsschritte, wie vom Vertreter der Anmelderin vorgetragen.

Somit ergibt sich der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag in nahe-
liegender Weise aus der Kenntnis der Druckschrift A1 und dem allgemeinen
Fachwissen des Fachmanns, so dass er auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruht
und folglich nicht patentfähig ist.

3.2 Mit dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag sind im Einzelnen auch der
abhängige Patentanspruch 2 und die nebengeordneten, aber abhängigen, Patent-
ansprüche 3 und 4 nicht gewährbar, da ein Patent nur so erteilt werden kann, wie
es beantragt ist (BGH, Beschluss vom 26. September 1996 - X ZB 18/95 , GRUR
1997, 120 m. w. N. - elektrisches Speicherheizgerät).

3.3 Aus o. g. Gründen ist auch der weiter gefasste Patentanspruch 1 gemäß
Hauptantrag nicht patentfähig. Damit fallen gleichfalls die Unteransprüche 2 bis 6.

4. Eine Zurückverweisung der Sache an das DPMA, wie von der Anmelderin
weiter hilfsweise beantragt, kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht.

Die Zurückverweisung steht nach § 79 Abs. 3 S. 1 PatG im Ermessen des
Gerichts. Der Ermessensspielraum reduziert sich in dem Maße, in dem die Sache
bereits geklärt ist (vgl. Benkard, PatG, 11. Auflage, § 79 Rn. 41; Schulte, PatG,
- 16 -
9. Auflage, § 79 Rn. 17 und 18). Ist die Sache entscheidungsreif, kommt eine
Zurückverweisung regelmäßig nicht in Betracht (vgl. ebenda). So liegt der Fall
hier, da die Sache gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag, wie oben ausgeführt,
entscheidungsreif ist. Es kann deshalb in diesem Zusammenhang dahingestellt
bleiben, ob die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 79 Abs. 3 S. 1
PatG vorliegen.

5. Billigkeitsgründe, die eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach § 80
Abs. 3 PatG rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich, insbesondere weist der
Zurückweisungsbeschluss entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin
keinen Begründungsmangel auf, auch eine Verletzung des Anspruchs auf
rechtliches Gehör liegt nicht vor.

5.1 Keine ausreichende Begründung i. S. d. § 47 Abs. 1 PatG liegt vor, wenn aus
dem Beschluss nicht zu erkennen ist, welche tatsächlichen Feststellungen und
welche rechtlichen Erwägungen für die getroffene Entscheidung maßgebend
waren, etwa weil eine Begründung gänzlich fehlt oder sie widersprüchlich,
verworren oder sachlich inhaltslos ist (BGHZ 39, 333 m. w. N. - Warmpressen;
Schulte, a. a. O., § 73 Rn. 143 und § 47 Rn. 24 f. m. w. N.).

Die Prüfungsstelle hat sich im angefochtenen Beschluss mit einem der
gesetzlichen Zurückweisungsgründe nachvollziehbar und ohne logische Brüche
auseinandergesetzt. So hat sie zunächst festgestellt, dass die mit dem Anspruch 1
beanspruchten Verfahrensschritte a), c) und f) auch aus ihrer Sicht der allgemein
üblichen und dem Fachmann bekannten Vorgehensweise nach dem Stand der
Technik entsprächen, wohingegen die Verfahrensschritte b), d) und e), die dies
nicht täten, nicht so detailliert ausgeführt seien, dass diese vom Fachmann
nachvollzogen und ohne Weiteres ausgeführt werden könnten. Sie hat hierzu
ausreichend Bezug genommen auf konkrete Passagen in den Ursprungs-
unterlagen und ihre Sichtweise auch entsprechend begründet.

- 17 -
Die maßgeblichen Gründe für die Entscheidung sind somit erkennbar, weshalb
kein Verstoß gegen die Begründungspflicht vorliegt.

5.2 Soweit die Beschwerdeführerin ferner eine Überraschungsentscheidung der
Prüfungsstelle und damit eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör
gerügt hat, da der Zurückweisungsbeschluss einzig auf den Aspekt der
mangelnden Ausführbarkeit der Verfahrensschritte b), d) und e) abstellt, womit die
Anmelderin nicht habe rechnen müssen, kann dem nicht gefolgt werden. Die
Ausführungen der Beschwerdeführerin hierzu, dass die im Bescheid der
Prüfungsstelle vom 26. November 2012 geäußerten Bedenken hinsichtlich der
Ausführbarkeit u.a. der Verfahrensschritte b), d) und e) (vgl. dort, S. 1, Abs. 1-
3) - nach der erfolgten Reaktion der Anmelderin hierauf mit Eingabe vom
24.05.2013 – in der mündlichen Anhörung am 21. Januar 2014 eingehend
diskutiert und „weitestgehend ausgeräumt“ worden seien bzw. „über diesen Punkt
spätestens in der Anhörung bereits Einvernehmen bestand“, finden in der
Niederschrift über die Anhörung so keine Stütze. Dort ist vielmehr dokumentiert:

„Die Bedenken der Prüfungsstelle bezüglich der im Erstbescheid
angesprochenen Ausführbarkeit der Erfindung bestehen weiter.
Zur Ausräumung der Bedenken wird vorgeschlagen druckschriftlichen
Stand der Technik einzureichen, der geeignet ist diese Bedenken
auszuräumen (z. B. bezüglich der eingesetzten Suchverfahren zur Sub-
stanzbestimmung anhand der aufgenommenen Beugungsmuster in ent-
sprechenden Datenbanken). …“

Von einer Ausräumung der Bedenken der Prüfungsstelle hinsichtlich der
Ausführbarkeit bzw. einem Einvernehmen über diesen Punkt kann nach den
protokollierten Feststellungen in der Niederschrift daher keine Rede sein.
Anhaltspunkte, an der Richtigkeit des Inhalts der Niederschrift zu zweifeln, sind für
den Senat nicht ersichtlich. Die Anmelderin hat auch keine Berichtigung der
Niederschrift, die jederzeit (auch nach der Beschwerde) zulässig ist (vgl. Schulte
- 18 -
a. a. O., § 47 Rn. 53), beantragt. Somit ist davon auszugehen, dass die
Prüfungsstelle auch im Rahmen der Anhörung weiterhin die - bereits im Bescheid
vom 26. November 2012 angesprochenen - Bedenken hinsichtlich der Aus-
führbarkeit der fraglichen Verfahrensschritte geäußert und zu deren Ausräumung
die Beibringung von druckschriftlichem Stand der Technik angeregt hat. Sie hat in
diesem Zusammenhang auch lediglich beispielhaft (und nicht ausschließlich, wie
von der Anmelderin vorgetragen) die beanspruchten „eingesetzten Suchverfahren
zur Substanzbestimmung“ als nicht nachbearbeitbar genannt. Diese Bedenken
bezüglich der Ausführbarkeit der fraglichen Verfahrensschritte wurden aus Sicht
der Prüfungsstelle durch den mit der Eingabe der Anmelderin vom 23.05.2014
beigebrachten Stand der Technik in Form der Druckschriften A1 bis A3 nicht
beseitigt, weshalb die Zurückweisung auch ausschließlich auf diesen Grund
gestützt werden konnte, ohne dass es eines weiteren Hinweises hierzu gegenüber
der Anmelderin bedurft hätte. Vor dem o. g. Hintergrund musste diese vielmehr
damit rechnen, dass ihre Anmeldung wegen mangelnder Ausführbarkeit der
Schritte b), d) und e) zurückgewiesen wird. Eine Überraschungsentscheidung liegt
damit nicht vor.


Rechtsbehelfsbelehrung

Gegen diesen Beschluss des Beschwerdesenats steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten
die Rechtsbeschwerde zu (§ 99 Absatz 2, § 100 Absatz 1, § 101 Absatz 1 des Patentgesetzes).
Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird,
dass
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes
kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg
abgelehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er
nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
- 19 -
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die
Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist
(§ 100 Absatz 3 des Patentgesetzes).
Die Rechtsbeschwerde ist beim Bundesgerichtshof einzulegen (§ 100 Absatz 1 des
Patentgesetzes). Sitz des Bundesgerichtshofes ist Karlsruhe (§ 123 GVG).
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim
Bundesgerichtshof schriftlich einzulegen (§ 102 Absatz 1 des Patentgesetzes). Die Postanschrift
lautet: Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, 76133 Karlsruhe.
Sie kann auch als elektronisches Dokument eingereicht werden (§ 125a Absatz 2 des
Patentgesetzes in Verbindung mit der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim
Bundesgerichtshof und Bundespatentgericht (BGH/BPatGERVV) vom 24. August 2007 (BGBl. I
S. 2130)). In diesem Fall muss die Einreichung durch die Übertragung des elektronischen
Dokuments in die elektronische Poststelle des Bundesgerichtshofes erfolgen (§ 2 Absatz 2
BGH/BPatGERVV).
Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass der Beschluss auf einer Verletzung
des Rechts beruht (§ 101 Absatz 2 des Patentgesetzes). Die Rechtsbeschwerde ist zu begründen.
Die Frist für die Begründung beträgt einen Monat; sie beginnt mit der Einlegung der
Rechtsbeschwerde und kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden (§ 102 Absatz 3
des Patentgesetzes). Die Begründung muss enthalten:
1. die Erklärung, inwieweit der Beschluss angefochten und seine Abänderung oder
Aufhebung beantragt wird;
2. die Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm;
3. insoweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das
Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben
(§ 102 Absatz 4 des Patentgesetzes).

Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen beim Bundesgerichtshof
zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten vertreten lassen (§ 102 Absatz 5 des
Patentgesetzes).

Dr. Mayer Dorn Dr. Wollny Bieringer


Me



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