2 BvR 729/02 - Anforderungen des nemo-tenetur-Grundsatzes an Handhabung von Auskunftsverweigerungsrechten im Strafprozess (§ 55 StPO)
Karar Dilini Çevir:





 



BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 729/02 -




In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde




 



des Herrn P...




 



- Bevollmächtigter:


Rechtsanwalt Peter M. Slania,

Kaiserring 38, 68161 Mannheim -





 





gegen
a)

den Beschluss des
Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 10. April 2002 - I
Qs 111/02 -,



b)

den Beschluss des
Amtsgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 11. März 2002 - 4 b
Gs 96/02 -








und
Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung






 



hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts durch

den Vizepräsidenten Hassemer,

den Richter Sommer

und die Richterin Lübbe-Wolff




 



gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a
BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993
(BGBl I S. 1473) am 27. Juni 2002 einstimmig beschlossen:




 



Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur
Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung.




 


Gründe:




1



Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur
Entscheidung angenommen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg
hat.




2



Das Landgericht geht in seiner
Beschwerdeentscheidung verfassungsrechtlich unangreifbar
davon aus, dass dem Beschwerdeführer ein
Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO nicht
zusteht. Auf der Grundlage einer den verfassungsrechtlichen
Anforderungen entsprechenden Auslegung des § 55 StPO,
wonach ein Auskunftsverweigerungsrecht bereits für solche
Tatsachen besteht, die mittelbar einen Anfangsverdacht gegen
die Aussageperson begründen können (vgl. zuletzt Beschluss
der 3. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts vom 6. Februar 2002 - 2 BvR 1249/01
-), schließt das Landgericht hier - ebenfalls
verfassungsrechtlich unbedenklich - eine sich aus der Aussage
ergebende Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer aus.




3



Die Anordnung der Beugehaft dient - wie das
Landgericht nochmals in seinem auf die Gegenvorstellung des
Beschwerdeführers ergangenen Beschluss klargestellt hat -
allein der Erzwingung von Angaben, die sich auf die vier
bereits abgeurteilten Fälle der Einfuhr von Betäubungsmitteln
beziehen. Anders als in dem zuletzt vom
Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall (BVerfG, a.a.O.)
gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der
Beschwerdeführer sich über die abgeurteilten Fälle hinaus
strafbar gemacht haben könnte. Außerdem beschränkt sich die
mit der Beugehaft erstrebte Vernehmung auf die
Identifizierung eines bestimmten Beschuldigten, den die
Ermittlungsbehörden nach Angaben des Beschwerdeführers in
seinem abgeschlossenen Strafverfahren zu einem der dort
abgeurteilten Fälle namhaft machen konnten, und
gegebenenfalls auf die Frage, ob dieser auch Lieferant in den
anderen drei rechtskräftig abgeurteilten Fällen gewesen sei.
Unabhängig davon, wie die Antwort des Beschwerdeführers
ausfiele, ergäbe sich daraus keine Gefahr strafrechtlicher
Verfolgung.




4



Dies versteht sich von selbst, soweit der
Beschwerdeführer den jetzigen Beschuldigten nicht
identifizieren könnte und deshalb Angaben zu den übrigen
Fällen nicht mehr in Betracht kämen. Dies wäre aber auch der
Fall, wenn der Beschwerdeführer ihn belasten und als seinen
Lieferanten hinsichtlich einer oder mehrerer der
abgeurteilten Taten der Einfuhr von Betäubungsmitteln
bezeichnen würde. Wie sich dem Beschluss des Landgerichts
hinreichend entnehmen lässt, fehlen konkrete Anhaltspunkte
nicht nur für die Begehung weiterer Straftaten durch den
Beschwerdeführer, sondern auch dafür, dass der Beschuldigte
den Beschwerdeführer seinerseits zusätzlich belasten könnte.
Weder die Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer selbst
noch die gegen den niederländischen Beschuldigten geführten
Ermittlungsverfahren haben Erkenntnisse gebracht, die einen
entsprechenden Schluss zuließen. Weil sich im Zuge
voranschreitender Ermittlungen, etwa bei einer
verantwortlichen Vernehmung des Beschuldigten, nicht
ausschließen lässt, dass sich solche Umstände ergeben
könnten, ist unter Berücksichtigung der auch im
niederländischen Strafverfahren gewonnenen Erkenntnisse
ständig von Amts wegen zu prüfen, ob die Anordnung von
Beugehaft noch zu rechtfertigen ist.




5



Von einer weiteren Begründung der Entscheidung
wird abgesehen (vgl. § 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).




6



Diese Entscheidung ist unanfechtbar.




 




Hassemer
Sommer
Lübbe-Wolff







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