2 BvR 613/02 -
Karar Dilini Çevir:





 



BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 613/02 -




In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde




 



des Herrn E...




 





gegen
a)

den Beschluss des
Oberlandesgerichts Koblenz vom 26. März 2002 - 2 Ws
267, 268/02 -,



b)

die Beschlüsse des
Landgerichts Koblenz vom 27. Februar 2002 - 7 StVK
2027/01 -,



c)

mittelbar § 454
Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO








und
Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung






 



hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts durch

den Vizepräsidenten Hassemer,

die Richterin Osterloh

und den Richter Mellinghoff




 



gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a
BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August
1993 (BGBl I S. 1473) am 2. Mai 2002 einstimmig
beschlossen:




 



Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur
Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung.




 


Gründe:




1



Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur
Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß
§ 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die
Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.




2



1. Die Entscheidungen über die Ablehnung der
Strafrestaussetzung zur Bewährung sind verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden.




3



a) Entgegen der Annahme des Beschwerdeführers
ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, dass Beschlüsse
im Strafvollstreckungsverfahren gleichen
Begründungsanforderungen wie ein Strafurteil (§ 267
StPO) unterliegen. Insbesondere ist dies nicht erforderlich,
um eine Rechtskontrolle wie in einem Rechtsbeschwerde- oder
Revisionsverfahren zu ermöglichen; denn das
Rechtsmittelgericht im Verfahren über die sofortige
Beschwerde gemäß § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO hat
eine eigene Sachentscheidung zu treffen (vgl. § 309
Abs. 2 StPO).




4



Bezugnahmen in einem Beschluss auf frühere
Entscheidungen zur gleichen Frage sind deshalb in den Gründen
des Beschlusses nicht ausgeschlossen. Die vom Landgericht in
Bezug genommene frühere Entscheidung hat der Beschwerdeführer
nicht mitgeteilt; der sich daraus ergebende
Substantiierungsmangel der Verfassungsbeschwerde wird nicht
dadurch geheilt, dass früher bereits Verfassungsbeschwerden
(vgl. Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts vom 20. März 2001 - 2 BvR
250/01 - und vom 9. November 2001 - 2 BvR
1700/01 -) zu den nunmehr in Bezug genommenen
Entscheidungen erhoben worden waren (vgl. für Bezugnahmen auf
Schriftsätze in anderen Verfahren BVerfGE 78, 320
).




5



Die Annahme des Beschwerdeführers, die
Strafrestaussetzung zur Bewährung sei nur deshalb abgelehnt
worden, weil er inzwischen die Tatbegehung bestreite, geht
fehl; dies belegt bereits die Bezugnahme des Landgerichts auf
weitere Ablehnungsgründe in anderen Entscheidungen. Lagen
aber auch andere entscheidungserhebliche Gründe für die
Versagung der Strafrestaussetzung als die Leugnung der
Begehung der abgeurteilten Taten vor, dann war das Gericht
von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, ausdrücklich darauf
einzugehen, dass sich der Beschwerdeführer einer zur
Beweissicherung für künftige Strafverfahren durchgeführten
molekulargenetischen Untersuchung nach § 2 DNA-IFG in
Verbindung mit § 81g StPO unterzogen hatte.




6



b) Ein Verstoß der Fachgerichte gegen die
Pflicht zur bestmöglichen Sachaufklärung (vgl. BVerfGE 70,
297 ) ist nicht substantiiert dargelegt
worden. Der zuständige Richter hat autonom zu entscheiden.
Auf die Unterstützung eines Sachverständigen ist er nach
Aufklärungsgesichtspunkten nur angewiesen, wenn konkrete
Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine ergänzende
Befunderhebung oder sachverständige wissenschaftliche
Bewertung erforderlich sein könnte, für die ihm die Sachkunde
fehlt. Dies ist mit Blick auf psychiatrische oder
psychologische Sachverständigengutachten nur dann der Fall,
wenn Anhaltspunkte für eine entscheidungserhebliche
psychische Fehlhaltung oder gar Erkrankung vorliegen (vgl.
BVerfGE 70, 297 ). Anknüpfungspunkte dafür, dass
dies bei dem Beschwerdeführer der Fall sein könnte, hat
dieser nicht dargelegt. Insbesondere sind die Feststellungen
im Urteil des Landgerichts Koblenz vom 12. August 1998
- 110 Js 14010/98 KLs -, welches die Grundlage
der Strafvollstreckung bildet, nicht mitgeteilt worden.




7



2. Die gesetzliche Regelung des § 454
Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Eine Verletzung
von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten durch diese
Bestimmung trägt der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar
vor.




8



Die Vorschrift geht über die genannten
Maßstäbe für die gerichtliche Aufklärungspflicht hinaus. Ein
allgemeiner Anspruch eines Verurteilten, dass bei der
Entscheidung über die Strafrestaussetzung zur Bewährung stets
ein Sachverständiger eingeschaltet wird, besteht von
Verfassungs wegen nicht. Das Grundgesetz kennt keinen
Anspruch eines Verfahrensbeteiligten auf Benutzung eines
bestimmten Beweismittels durch ein Gericht (stRspr, vgl.
BVerfGE 1, 418 ; 57, 250 ; 63, 45
). Warum vor diesem Hintergrund die Vorschrift des
§ 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO den
Beschwerdeführer in Grundrechten oder grundrechtsgleichen
Rechten verletzt haben soll, ist der
Verfassungsbeschwerde-Begründung nicht substantiiert zu
entnehmen.




9



Die mittelbare
Rechtssatz-Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers ist im
Übrigen deshalb unzulässig, weil der Grundsatz der
Subsidiarität nicht beachtet wurde (vgl. § 90
Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Der Beschwerdeführer hat
seine diesbezügliche Beanstandung im Ausgangsverfahren nicht
geltend gemacht. Dies war ihm zumutbar (vgl. § 90
Abs. 2 Satz 2 BVerfGG), zumal er zumindest bei der
Beschwerdebegründung anwaltlich beraten war.




10



3. Eine Verletzung von Grundrechten oder
grundrechtsgleichen Rechten durch die Ablehnung der
Verteidigerbestellung ist nicht substantiiert dargelegt
worden.




11



Prozessuale "Waffengleichheit" der
Verfahrensbeteiligten (vgl. BVerfGE 38, 105 ; 63,
45 ) wird im Strafprozess vor allem für die als
kontradiktorisches Verfahren ausgestaltete Hauptverhandlung
verlangt. Auch dort besteht indes kein unbedingter Anspruch
auf Mitwirkung eines Verteidigers zu Gunsten des Angeklagten
in allen Strafverfahren, sondern nur in solchen Verfahren, in
denen das Gesetz die Verteidigung wegen der Bedeutung der
Sache oder wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage
für erforderlich erachtet (vgl. § 140 StPO, Art. 6
Abs. 3 Buchstabe c MRK). Dadurch soll der
Angeklagte in der Hauptverhandlung unter anderem in Bezug auf
die für eine sachgerechte Verteidigung gegen den
Anklagevorwurf erforderliche Akten- und Rechtskenntnis der
Anklagebehörde gleichgestellt werden. Das
Vollstreckungsverfahren sieht für Entscheidungen über die
Frage der Strafrestaussetzung zur Bewährung ein
Beschlussverfahren vor (§ 454 Abs. 1 StPO), das
nicht in gleicher Weise kontradiktorisch ausgestaltet ist.
Die gerichtliche Entscheidung ergeht dort ohne mündliche
Verhandlung im Freibeweisverfahren. Die Staatsanwaltschaft
als Strafvollstreckungsbehörde wird zwar angehört; sie hat
aber keine ebenso weit reichenden prozessualen Befugnisse wie
in der Hauptverhandlung des Erkenntnisverfahrens. Geht es bei
dem Beschluss über die Strafrestaussetzung zur Bewährung um
eine Tatsachenentscheidung in Form einer Prognose gemäß
§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB, die
namentlich auf die dem Verurteilten bekannten Urteile, auf
sein Verhalten im Strafvollzug und auf seine dortige
Persönlichkeitsentwicklung gestützt ist, dann ist ein
Verteidigerbeistand zur Erlangung von Akteneinsicht und zur
Beratung über Sach- und Rechtsfragen sowie zur
schriftsätzlichen Stellungnahme gegenüber dem Gericht nicht
in gleichem Maße erforderlich wie ein Verteidigerbeistand in
der Hauptverhandlung des Erkenntnisverfahrens (§ 140
StPO). Dass nicht jedem Verurteilten im Verfahren über die
Strafrestaussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ein
Verteidiger zu bestellen ist, kann deshalb
verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden. Vielmehr ist
von Fall zu Fall zu entscheiden (vgl. BVerfGE 103, 21
). Warum die angegriffenen Entscheidungen im
konkreten Fall bei der Auslegung und entsprechenden Anwendung
des § 140 Abs. 2 StPO spezifisches Verfassungsrecht
verletzt haben sollen, trägt der Beschwerdeführer nicht unter
Berücksichtigung der Gründe der angegriffenen Entscheidungen
vor.




12



Diese Entscheidung ist unanfechtbar.




 




Hassemer
Osterloh
Mellinghoff







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