2 BvR 2248/00 - Zur Durchsicht von Daten eines im Rahmen einer Durchsuchung sichergestellten, angeblich Verteidigungsunterlagen enthaltenden Notebooks
Karar Dilini Çevir:





 



BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 2248/00 -




In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde




 



der Frau S...




 



- Bevollmächtigter:


Rechtsanwalt Dr. Achim A. Zimmermann,

Turmstraße 16, 79098 Freiburg i.Br. -





 





gegen
a)

den Beschluss des
Landgerichts Mannheim vom 14. November 2000 - 24 Qs 10/00
-,



b)

den Beschluss des
Amtsgerichts Mannheim vom 10. Oktober 2000 - 42 Gs
2413/00 -






 



hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts durch

die Richterin Präsidentin Limbach

und die Richter Hassemer,

Mellinghoff




 



gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a
BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993
(BGBl I S. 1473) am 30. Januar 2002 einstimmig
beschlossen:




 



Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur
Entscheidung angenommen.




 


Gründe:




1



Die Verfassungsbeschwerde betrifft die
Zulässigkeit und Dauer der Durchsicht von Daten eines im
Rahmen einer Durchsuchung sichergestellten Notebooks, von dem
die Beschwerdeführerin behauptet, auf ihm seien
Verteidigungsunterlagen gespeichert.




2



Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur
Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund nach
§ 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Sie hat keine
Aussicht auf Erfolg.




3



1. Die Beschwerdeführerin wird nicht in ihrem
Recht auf eine effektive Verteidigung als Ausprägung des
Anspruchs auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art.
20 Abs. 3 GG) verletzt.




4



Aus diesem Recht ergibt sich zwar, dass - über
den Wortlaut des § 97 Abs. 1 StPO hinaus - Unterlagen,
die sich ein Beschuldigter erkennbar zu seiner Verteidigung
in dem gegen ihn laufenden Strafverfahren anfertigt, weder
beschlagnahmt noch gegen seinen Widerspruch verwertet werden
dürfen (BGH, NStZ 1998, S. 309 ff.). Das Medium, auf dem
sich diese Unterlagen befinden, ist in entsprechender
Anwendung des § 11 Abs. 3 StGB gleichgültig (vgl. auch
Nack, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 4. Aufl., § 97 Rn.
11 und 13), so dass darunter auch lesbare Aufzeichnungen von
Computerdaten fallen. Allerdings ist es einem Beschuldigten
verwehrt, die Beschlagnahme von Unterlagen schon dadurch zu
verhindern, dass er diese einfach als Verteidigungsunterlagen
bezeichnet oder mit solchen Unterlagen vermischt.
Entscheidend ist, ob ein Beschuldigter die Aufzeichnungen
erkennbar, also für einen Außenstehenden nachvollziehbar, zum
Zwecke der Verteidigung angefertigt hat (BGH a.a.O.). Ist
nicht sofort feststellbar, ob die einzelnen Aufzeichnungen,
die bei einer Durchsuchung gefunden werden, der Verteidigung
dienen, so können sie vorläufig sichergestellt werden. Eine
Pflicht zur sofortigen und ungelesenen Herausgabe besteht
nur, wenn die Eigenschaft als Verteidigungsunterlage
offensichtlich ist; andernfalls erfordern bereits die rein
tatsächlichen Umstände eine Durchsicht (vgl. Nack, in:
Karlsruher Kommentar, StPO, 4. Aufl., § 97 Rn. 25;
Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 110 Rn.
2).




5



Vorliegend ist die Durchsicht der Daten auf
dem Notebook - die der Regelung des § 110 StPO
unterliegt (BGH-Ermittlungsrichter, CR 1999, S. 292
) - noch nicht abgeschlossen. Dass es sich bei den
noch nicht entschlüsselten Daten um Verteidigungsunterlagen
handelt, ist nicht offensichtlich. Bis zu deren
Entschlüsselung besteht ohnehin keine Gefahr, dass zur
Umgehung des rechtsanwaltlichen Zeugnisverweigerungsrechts
entsprechende Dateien gelesen werden. Tragfähige Anzeichen
dafür, dass der zuständige Staatsanwalt nach der
Entschlüsselung des Passwortes sich im Falle des Auffindens
von Verteidigungsunterlagen nicht an seine oben aufgezeigte
Verpflichtung zur Herausgabe - die bei in einem Computer
gespeicherten Dateien die Anfertigung von entsprechenden
Kopien der Daten und deren anschließende Löschung auf der
Festplatte erfordert - halten werde, liegen nicht vor.
Überdies könnten Beschlagnahmeverbote auch noch im
anschließenden gerichtlichen Verfahren geltend gemacht
werden.




6



2. Die von der Beschwerdeführerin behauptete
Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 13 GG scheidet von
vorneherein aus. Gegenstand des fachgerichtlichen Verfahrens
und der Verfassungsbeschwerde ist nicht eine Durchsuchung in
dem durch Art. 13 Abs. 1 GG geschützten Bereich, sondern die
Dauer der Sichtung von Daten, die auf einem in amtlicher
Verwahrung befindlichen Notebook gespeichert sind. Die allein
fortdauernde, im Sachentzug bestehende Eingriffswirkung, die
nur mittelbar für die Beschwerdeführerin aus der Durchsuchung
der Wohn- und Geschäftsräume folgt, unterfällt nicht dem
Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG, sondern dem des Art. 14
Abs. 1 GG.




7



3. Die Beschwerdeführerin ist jedoch auch
nicht in ihrem Eigentumsgrundrecht verletzt. § 110 StPO
schränkt insoweit das Recht auf jederzeitige Nutzung des
Notebooks und ungehinderten Zugriff auf die darauf
gespeicherten Daten ein.




8



Die Vorschrift gibt der Staatsanwaltschaft
Gelegenheit zur Klärung und Entscheidung, ob sichergestellte
Unterlagen, wozu auch lesbare Aufzeichnungen von Daten aus
der Software von EDV-Anlagen gehören (BGH, CR 1999, S. 292
), zurückzugeben sind oder ob die richterliche
Beschlagnahme zu erwirken ist. Diese Phase ist noch zum
Vollzug der Durchsuchungsanordnung zu rechnen (BGH, NJW 1995,
S. 3397). In welchem Umfang die inhaltliche Durchsicht des u.
U. umfangreichen und komplexen Materials notwendig ist, wie
sie im Rahmen von § 110 StPO im Einzelnen zu gestalten
und wann sie zu beenden ist, unterliegt der Entscheidung der
Staatsanwaltschaft (BGH, NJW 1995, S. 3397).




9



Die Prüfung der Einhaltung dieser
Entscheidungsgrenzen obliegt in erster Linie den dafür
allgemein zuständigen Fachgerichten. Insoweit steht dem
Betroffenen der - auch von der Beschwerdeführerin gewählte -
Antrag nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO analog offen (BGH,
CR 1999, S. 292 , LG Frankfurt, NStZ 1997, S.
564 f.). Die fachgerichtlichen Entscheidungen
unterliegen jedoch keiner allgemeinen Rechtskontrolle durch
das Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht
kann hier nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist;
dies ist der Fall, wenn die angegriffene Entscheidung
willkürlich erscheint (vgl. BVerfGE 18, 85 ) oder
auf Auslegungsfehlern beruht, die eine grundsätzlich
unrichtige Anschauung von der Bedeutung und Reichweite eines
Grundrechts erkennen lassen (vgl. BVerfGE 18, 85
). Beides liegt hier nicht vor.




10



a) Entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführerin sind die vom Bundesverfassungsgericht in
seinem Beschluss vom 27. Mai 1997 zur zeitlichen Geltung von
Durchsuchungsbeschlüssen aufgestellten Grundsätze (BVerfGE
96, 44 ) auf die Phase der Durchsicht von
Unterlagen nach § 110 StPO nicht anzuwenden (a.A.
Hoffmann/Wißmann, NStZ 1998, S. 443 ). In jener
Entscheidung ging es um die Frage, ob die Staatsanwaltschaft
eine Wohnungsdurchsuchung auf Grund einer richterlichen
Durchsuchungsgestattung durchführen darf, die schon längere
Zeit zurück liegt. Das Bundesverfassungsgericht hat im
Hinblick auf den Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG
insoweit die Regel aufgestellt, dass spätestens nach Ablauf
eines halben Jahres der Durchsuchungsbeschluss seine
rechtfertigende Kraft verliert, weil nach diesem Zeitraum
durch den weiteren Gang der Ermittlungen sich regelmäßig die
tatsächliche Entscheidungsgrundlage zu weit von dem
Entscheidungsinhalt entfernt hat. Diese Grundsätze sind auf
die vorliegende Fallkonstellation nicht übertragbar. In der
Phase der Durchsicht nach § 110 StPO kommt es zu keinem
Eingriff in den Schutzbereich des Art. 13 GG. Die
Eingriffswirkung beschränkt sich vielmehr auf die Fortdauer
des Sachentzugs. Eine Gefahr, dass der Richtervorbehalt nach
Art. 13 Abs. 2 GG in Folge Zeitablaufs leer läuft, besteht
mithin nicht.




11



b) Die Fachgerichte haben sich auch damit
auseinander gesetzt, ob die Durchsicht nach § 110 StPO
unzumutbar lange andauert oder ob der damit verbundene
Eingriff noch als verhältnismäßig anzusehen ist. Sie haben
den Grund für die lange Dauer der Maßnahme, den Grad des
Eingriffs in Grundrechte der Beschwerdeführerin und das
Gewicht der zugrundeliegenden Tatvorwürfe gegeneinander
abgewogen. Sie sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die
Grenzen der Verhältnismäßigkeit gewahrt sind. Gemessen an den
oben dargelegten Kriterien zur Überprüfung fachgerichtlicher
Entscheidungen (vgl. BVerfGE 18, 85 )
hält sich die Abwägung im Rahmen des verfassungsrechtlich
Zulässigen und Gebotenen. Deren Ergebnis entzieht sich einer
Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht, denn es hat
nicht seine eigene Wertung nach Art eines
Rechtsmittelgerichts an die Stelle derjenigen des zuständigen
Richters zu setzen. Ob die entscheidungserheblichen
Gesichtspunkte in jeder Hinsicht zutreffend gewichtet worden
sind oder ob eine andere Beurteilung näher gelegen hätte,
unterfällt daher nicht seiner Entscheidung (vgl. BVerfGE 95,
96 ).




12



Von einer weiteren Begründung wird gemäß
§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.




13



Diese Entscheidung ist unanfechtbar.




 




Limbach
Hassemer
Mellinghoff







Full & Egal Universal Law Academy