2 BvR 1827/01 - Unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen Vergütungspflicht der Energieunternehmen für Stromeinspeisung nach dem Stromeinspeisungsgesetz wegen nicht fristgerechter Beschwerdeeinlegung
Karar Dilini Çevir:





 



BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1827/01 -




In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde




 



der S... AG




 



- Bevollmächtigter:


Professor Dr. Fritz Ossenbühl,

Im Wingert 12, 53340 Meckenheim -





 





gegen

§ 3 Abs. 2 des
Gesetzes über die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren
Energien in das öffentliche Netz
(Stromeinspeisungsgesetz) vom 7. Dezember 1990 (BGBl I S.
2633), geändert durch Art. 5 des Gesetzes zur Sicherung
des Einsatzes von Steinkohle in der Verstromung und zur
Änderung des Atomgesetzes und des
Stromeinspeisungsgesetzes vom 19. Juli 1994 (BGBl I S.
1618), geändert durch Art. 3 Nr. 2 des Gesetzes zur
Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 24. April
1998 (BGBl I S. 730 ), soweit danach für den
einer Abnahmepflicht unterliegenden Strom aus Windkraft
eine Vergütung vorgesehen ist, die über die vermiedenen
Kosten der Energieversorgungsunternehmen hinausgeht






 



hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts durch die Richter

Sommer,

Broß,

Mellinghoff




 



gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a
BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993
(BGBl I S. 1473) am 3. Januar 2002 einstimmig
beschlossen:




 



Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur
Entscheidung angenommen.




 


Gründe:




I.




1



Die Beschwerdeführerin ist ein
Energieversorgungsunternehmen in Schleswig-Holstein, das sich
im Wesentlichen mit der Stromverteilung befasst. Nach
Änderung des Stromeinspeisungsgesetzes vom 7. Dezember 1990
durch Art. 3 Nr. 2 des Gesetzes zur Neuregelung des
Energiewirtschaftsrechts vom 24. April 1998 begehrt sie im
Anschluss an ihre Verfassungsbeschwerde vom 25. September
1996 (2 BvR 1828/01) die Feststellung der Nichtigkeit des
§ 3 Abs. 2 Stromeinspeisungsgesetz (StrEsG) insoweit,
als er für Strom aus Windkraft eine Vergütung vorsieht, die
über die vermiedenen Kosten der Energieversorgungsunternehmen
hinausgeht. § 2 StrEsG verpflichtet die
Energieversorgungsunternehmen, den in ihrem Versorgungsgebiet
erzeugten Strom aus erneuerbaren Energien abzunehmen und den
eingespeisten Strom nach § 3 StrEsG zu vergüten. Gemäß
§ 2 Satz 2 StrEsG 1998 trifft die Abnahme- und
Vergütungspflicht für Strom aus Erzeugungsanlagen, die sich
nicht im Versorgungsgebiet eines Netzbetreibers befinden,
dasjenige Unternehmen, zu dessen für die Einspeisung
geeignetem Netz die kürzeste Entfernung vom Standort der
Anlage besteht. Gemäß § 3 Abs. 2 StrEsG beträgt die
Vergütung für Strom aus Windkraft mindestens 90 v.H. des
Durschnittserlöses je Kilowattstunde aus der Stromabgabe von
Energieversorgungsunternehmen an alle Letztverbraucher.




II.




2



1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig,
weil die Neuregelung von 1998 im Bereich der Windkraft nicht
mit einer neuen, gegenwärtigen Beschwer für die
Beschwerdeführerin verbunden war.




3



a) Ihrem Wortlaut nach ist die angegriffene
Regelung des § 3 Abs. 2 StrEsG bei der Gesetzesänderung
von 1998 unverändert geblieben. Allein die Tatsache, dass
diese Bestimmung in den Willen des Gesetzgebers aufgenommen
und bestätigt wurde, setzt die Frist des § 93 Abs. 3
BVerfGG nicht erneut in Lauf (BVerfGE 80, 137
m.w.N.; stRspr). Es kommt vielmehr darauf an, ob sich aus
dieser Regelung durch die Änderung anderer Bestimmungen des
Gesetzes für die Beschwerdeführerin eine neue belastende
Wirkung ergibt; nur dann beginnt die Frist des § 93 Abs.
3 BVerfGG neu zu laufen (BVerfGE 12, 10 ; 45, 104
; 78, 350 ). Außerdem muss es sich
dabei um eine gegenwärtige Beschwer handeln. Nicht
ausreichend ist, wenn die Beschwerdeführerin von der
Bestimmung irgendwann in der Zukunft ("virtuell") betroffen
sein könnte (BVerfGE 1, 97 ; 74, 297 ).
Gegenwärtig ist die Beschwer auch, wenn sie den
Normadressaten mit Blick auf seine künftige Wirkung zu später
nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen zwingt oder wenn
klar abzusehen ist, dass und wie der Beschwerdeführer in der
Zukunft von der Regelung betroffen sein wird (BVerfGE 74, 297
; 97, 157 ; 102, 197 ).




4



b) aa) Eine neue Beschwer für die
Beschwerdeführerin durch die Gesetzesänderung von 1998 kommt
zum einen durch die Erstreckung des Anwendungsbereichs des
Gesetzes auf Strom aus Biomasse (§ 1 Satz 1 StrEsG 1998)
in Betracht. Jedoch beschränkt sich der Antrag der
Beschwerdeführerin darauf, § 3 Abs. 2 StrEsG insoweit
für nichtig zu erklären, als er Strom aus Windkraft betrifft,
so dass die Vergütungspflicht für Strom aus Biomasse hiernach
keine in diesem Verfassungsbeschwerde-Verfahren beachtliche
Beschwer begründen kann.




5



bb) Zum anderen kommt als neue Beschwer die
Erweiterung der Abnahmepflicht auf solche Erzeugungsanlagen
in Betracht, die sich nicht im Versorgungsgebiet eines
Netzbetreibers befinden und zu denen die Beschwerdeführerin
im Vergleich zu anderen Unternehmen die kürzeste Entfernung
hat (§ 2 Satz 2 StrEsG 1998). Von § 2 StrEsG 1990
war der Fall, dass eine Erzeugungsanlage nicht im
Versorgungsgebiet eines Energieversorgungsunternehmens liegen
könnte, nicht erfasst. Die Neuregelung sollte insoweit eine
Klarstellung sein (vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs,
BTDrucks 13/5357, S. 5). Laut Stellungnahme der
Bundesregierung (BTDrucks 13/5357, S. 7) ist damit die
Abnahmepflicht für Offshore-Anlagen geregelt; so sieht es
auch die Beschwerdeführerin.




6



Bislang hat in der Bundesrepublik Deutschland
die Windkraftnutzung auf See jedoch noch nicht begonnen. Die
Windenergieprojekte auf See sind noch mit erheblichen
technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Unsicherheiten
verbunden. Die Vorbereitungsphase, in der Untersuchungen an
den möglichen geeigneten Standorten stattfinden sollen, wird
voraussichtlich noch bis zum Jahr 2003 dauern. Mit dem Bau
und Betrieb erster Pilot-Windparks auf See ist erst ab
2003/2004 zu rechnen (vgl. Tabelle 2, in: Windenergienutzung
auf See, Positionspapier des BMU, Stand: 25. Mai 2001). Die
Beschwerdeführerin kann deshalb seit der Neuregelung von 1998
durch Offshore-Anlagen nicht belastet gewesen sein.




7



Heute steht fest, dass das
Stromeinspeisungsgesetz von 1998 für Offshore-Anlagen nie
gegolten hat und auch nicht mehr gelten wird. Denn am 1.
April 2000 ist dieses Gesetz außer Kraft getreten und durch
das Gesetz für den Vorrang erneuerbarer Energien (EEG) vom
29. März 2000 (BGBl I S. 305) ersetzt worden. § 7 EEG
regelt nunmehr die Vergütungspflicht für Strom aus Windkraft,
wobei die Vergütung nicht mehr aus dem Durchschnittserlös
berechnet wird, sondern in absoluten Pfennigbeträgen
angegeben ist (zur Vergütung für Strom aus Offshore-Anlagen
vgl. § 7 Abs. 1 S. 4 EEG). Diese in ihrer Struktur
geänderte Vergütungsregelung hat die Beschwerdeführerin nicht
angegriffen.




8



Eine neue Beschwer durch das
Stromeinspeisungsgesetz von 1998, die für die
Beschwerdeführerin im Bereich der Windkraft allein in der
Erstreckung der Abnahmepflicht auf Offshore-Anlagen in
Betracht kam, hat sich im zeitlichen Geltungsbereich des
angegriffenen Gesetzes damit nicht als gegenwärtige
aktualisiert. Allein wegen einer rein "virtuellen" Beschwer
kann die Verfassungsmäßigkeit einer Regelung aus Gründen der
Rechtssicherheit nicht erneut zur Disposition gestellt
werden.




9



2. Die Verfassungsbeschwerde hat auch insoweit
keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, als die
Beschwerdeführerin rügt, die Neuregelung sei nicht im Sinne
des Art. 93 Abs. 3 EGV (a.F.) notifiziert worden. Dabei kann
offen bleiben, ob das Unterlassen der Notifizierung die
Beschwerdeführerin überhaupt in ihren Grundrechten verletzen
kann. Denn inzwischen steht durch die Entscheidung des EuGH
vom 13. März 2001 (NVwZ 2001, S. 665) fest, dass die Regelung
der Abnahme- und Vergütungspflicht keine staatliche Beihilfe
im Sinne des Art. 92 Abs. 1 Satz 1 EGV (a.F.) darstellt, so
dass eine Notifizierung nicht erforderlich ist.




10



3. Soweit die Beschwerdeführerin erstmals
unter dem Aspekt der Verletzung des Art. 14 GG die
Abnahmepflicht rügt, scheitert die Zulässigkeit der
Verfassungsbescherde auch daran, dass nach deren Begründung
nicht die Regelung selbst, sondern nur deren Auslegung durch
die Zivilgerichte, vor allem durch das Landgericht Itzehoe,
verfassungswidrig sein soll. Wenn, wie die Beschwerdeführerin
meint, § 2 StrEsG sich verfassungskonform auslegen lässt
(S. 58 f., 65 der Verfassungsbeschwerde), die
Zivilgerichte dies aber nicht tun, so ist eine
Verfassungsbeschwerde gegen die (letztinstanzliche)
Entscheidung der Zivilgerichte und nicht unmittelbar gegen
das Gesetz zu richten.




11



Diese Entscheidung ist unanfechtbar.




 




Sommer
Broß
Mellinghoff







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