2 BvR 1624/16 - Nichtannahme einer gegen § 217 StGB gerichteten Verfassungsbeschwerde wegen Wegfalls des Rechtsschutzbedürfnisses infolge Senatsurteils vom 26. Februar 2020
Karar Dilini Çevir:












BUNDESVERFASSUNGSGERICHT









- 2 BvR 1624/16 -







In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde












des Herrn Dr. W…,












- Bevollmächtigte:




… -















gegen




§ 217 des Strafgesetzbuches in der Fassung des Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung vom 3. Dezember 2015 (Bundesgesetzblatt I Seite 2177)











hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch








den Richter Huber








und die Richterinnen Kessal-Wulf,








König








gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 27. Februar 2020 einstimmig beschlossen:








Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.









Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für die Verfassungsbeschwerde zu erstatten.









Der Gegenstandswert der Verfassungsbeschwerde wird auf 30.000 Euro (in Worten: dreißigtausend Euro) festgesetzt.










G r ü n d e :











I.







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1. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen § 217 des Strafgesetzbuches (StGB) in der Fassung des Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung vom 3. Dezember 2015 (BGBl I S. 2177). Die Vorschrift bedroht denjenigen mit Strafe, der in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt.








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2. Der Beschwerdeführer leidet infolge einer fehlerhaften orthopädischen Behandlung an schweren gesundheitlichen Schäden, insbesondere einer Querschnittslähmung, aufgrund der er bei wesentlichen Abläufen in seinem Alltag auf die Unterstützung Dritter angewiesen ist. Für den Fall einer weiteren Verschlechterung seines Gesundheitszustandes und einer Intensivierung der von ihm als persönliche Belastung empfundenen Abhängigkeit von der Hilfe Dritter war der Beschwerdeführer bestrebt, über den deutschen Ableger die Zusage des in der Schweiz ansässigen Vereins D. für eine Suizidassistenz zu erhalten. Mit Inkrafttreten des Verbots der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung in § 217 StGB haben die Vereine die Beratung des Beschwerdeführers eingestellt und von der Zusage einer Suizidassistenz abgesehen.








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Der Beschwerdeführer sieht sich deshalb durch § 217 StGB in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowie in seinem Recht auf Achtung des Privatlebens aus Art. 8 EMRK verletzt. Die von ihm in freier Verantwortung getroffene Entscheidung, Vorbereitungen für einen begleiteten Suizid zu treffen und sein Leben im Fall einer Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustands mit fremder Hilfe zu beenden, stelle eine höchstpersönliche Entscheidung dar, deren Schutz durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht garantiert werde.












II.







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1. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die hierfür nach § 93a Abs. 2 BVerfGG erforderlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Die Verfassungsbeschwerde hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers erforderlich, weil sie aufgrund entfallenen Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig ist.








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a) Das Bundesverfassungsgericht hat die mit der Verfassungsbeschwerde angestrebte verfassungsrechtliche Überprüfung des § 217 StGB mit Urteil vom 26. Februar 2020 (2 BvR 2347/15, 2 BvR 651/16, 2 BvR 1261/16, 2 BvR 1593/16, 2 BvR 2354/16, 2 BvR 2527/16) vorgenommen und die Vorschrift unter anderem deshalb für mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig erklärt, weil das darin normierte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung Menschen, die ihr Leben selbstbestimmt mit Unterstützung Dritter beenden möchten, in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verletzt. Diese Entscheidung hat Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG).








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b) Für eine auf denselben Gegenstand zielende verfassungsgerichtliche Entscheidung über die im Wesentlichen inhaltsgleichen Grundrechtsrügen besteht daher kein Rechtsschutzbedürfnis mehr (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. August 2017 - 1 BvR 571/16 -, Rn. 17 f.). Der Beschwerdeführer hat keine verfassungsrechtlichen Fragen aufgeworfen, die über die im Urteil vom 26. Februar 2020 geprüften Einwände gegen das bereits für nichtig erklärte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung in § 217 StGB hinausgehen.








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2. Die Auslagenentscheidung beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG.








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a) Die Erstattung der Auslagen an den Beschwerdeführer entspricht der Billigkeit. Die maßgeblichen Rechtsfragen waren zum Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde nicht geklärt und die Verfassungsbeschwerde hatte, wie aus dem Urteil vom 26. Februar 2020 ersichtlich ist, Aussicht auf Erfolg.








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b) Allein die Tatsache, dass bereits zum Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde weitere Verfassungsbeschwerden erhoben waren, die sich gegen § 217 StGB richteten und zur Nichtigkeitserklärung dieser Vorschrift durch Urteil vom 26. Februar 2020 führten, hat nicht die Versagung der Auslagenerstattung zur Folge.








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Zwar sind einem Betroffenen, der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz einlegt, obwohl für ihn erkennbar ist, dass bereits Verfassungsbeschwerden erhoben sind, die zur Überprüfung des Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht führen werden, in der Regel die notwendigen Auslagen auch dann nicht zu erstatten, wenn sich aufgrund einer Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergibt, dass seine Verfassungsbeschwerde begründet war (vgl. BVerfGE 85, 117 ; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 9. April 2018 - 1 BvR 790/12 -, Rn. 9 f.). Im Fall existentieller eigener Betroffenheit, wie sie von § 217 StGB für den Beschwerdeführer als aus freiem Willen zur Selbsttötung entschlossene Person ausging, ist ein Beschwerdeführer indes nicht gehalten, darauf zu vertrauen, dass andere, von der Norm in vergleichbarer Weise Betroffene die Strafvorschrift in einer den Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügenden Weise zur verfassungsrechtlichen Prüfung stellen, zumal sich diese Beurteilung hier den Erkenntnismöglichkeiten des Beschwerdeführers entzog.








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3. Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 14 Abs. 1, § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG. Unter Berücksichtigung der nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG maßgeblichen Umstände, insbesondere der subjektiven Bedeutung der Verfassungsbeschwerde, ist der Gegenstandswert nach billigem Ermessen auf 30.000 Euro festzusetzen.








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4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.








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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.











Huber



Kessal-Wulf



König
















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