2 BvL 7/95 - Unzulässige Richtervorlage zur Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung von Versorgungsbezügen (§ 19 EStG 1993) - unzureichende Auseinandersetzung mit einschlägiger Rspr des BVerfG (BVerfGE 54, 11; BVerfGE 86, 369)
Karar Dilini Çevir:





 



BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvL 7/95 -




In dem Verfahren

zur verfassungsrechtlichen Prüfung,





ob § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz
1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Jahr 1993
geltenden Fassung, soweit Ruhestandsbeamte und Richter im
Ruhestand betroffen sind, deshalb nichtig ist, weil der
Gesetzgeber der ihm vom Bundesverfassungsgericht mit
Beschlüssen vom 26. März 1980 (BVerfGE 54, 11) und vom 24.
Juni 1992 (BVerfGE 86, 369) aufgegebenen Verpflichtung zur
Neuregelung der Besteuerung der Versorgungsbezüge
pensionierter Beamter und Richter nicht innerhalb der ihm zur
Verfügung stehenden Frist nachgekommen ist,





- Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des
Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Juli 1995 (5 K
1047/95) -




 



hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts durch

den Richter Sommer,

die Richterin Osterloh

und den Richter Di Fabio




 



gemäß § 81a BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 9.
April 2002 einstimmig beschlossen:




 



Die Vorlage ist unzulässig.




 


Gründe:




A.




1



Die Vorlage betrifft die Frage, ob § 19
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 EStG im Jahr 1993 allein
deshalb verfassungswidrig war, weil eine Neuregelung der
Besteuerung der Altersbezüge bislang unterblieben war.




I.




2



1. Nach bis heute unverändertem
Einkommensteuerrecht unterliegen die Versorgungsbezüge von
Beamten, Richtern und Soldaten nach Abzug eines
Versorgungs-Freibetrages von höchstens 6.000 DM (ab 2002:
3.072 Euro) als nachträgliche Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit in vollem Umfang der
Regelbesteuerung. Dagegen sind Renten aus der gesetzlichen
Rentenversicherung sowie aus bestimmten Zusatzversorgungen an
ehemalige Angestellte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes
nur in Höhe des so genannten Ertragsanteils (z.B. 24 v.H. bei
Rentenbeginn eines 65-Jährigen im Veranlagungsjahr 1993)
einkommensteuerpflichtig.




3



2. Die einschlägigen Vorschriften des
Einkommensteuergesetzes in der für das Jahr 1993 geltenden
Fassung (BGBl I 1990, S. 1898, berichtigt 1991 S. 808,
zuletzt geändert durch das Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetz
vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2150, berichtigt 1993 S.
169) lauten wie folgt:




4



Nichtselbständige Arbeit




5



§ 19




6



(1) Zu den Einkünften aus nichtselbständiger
Arbeit gehören




7



1. (...)




8



2. Wartegelder, Ruhegelder, Witwen- und
Waisengelder und andere Bezüge und Vorteile aus früheren
Dienstleistungen.




9



Es ist gleichgültig, ob es sich um laufende
oder um einmalige Bezüge handelt und ob ein Rechtsanspruch
auf sie besteht.




10



(2) Von Versorgungsbezügen bleibt ein Betrag in
Höhe von 40 vom Hundert dieser Bezüge, höchstens jedoch
insgesamt ein Betrag von 6000 Deutsche Mark im
Veranlagungszeitraum, steuerfrei (Versorgungs-Freibetrag).
Versorgungsbezüge sind Bezüge und Vorteile aus früheren
Dienstleistungen, die




11



1. als Ruhegehalt, Witwen- oder Waisengeld,
Unterhaltsbeitrag oder als gleichartiger Bezug




12



a) auf Grund beamtenrechtlicher oder
entsprechender gesetzlicher Vorschriften,




13



b) nach beamtenrechtlichen Grundsätzen von
Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen
Rechts oder öffentlich-rechtlichen Verbänden von
Körperschaften




14



oder




15



2. in anderen Fällen wegen Erreichens einer
Altersgrenze, Berufsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit oder als
Hinterbliebenenbezüge gewährt werden (...).




16



Sonstige Einkünfte




17



§ 22




18



Arten der sonstigen Einkünfte




19



Sonstige Einkünfte sind




20



1. Einkünfte aus wiederkehrenden Bezügen,
soweit sie nicht zu den in § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 6
bezeichneten Einkunftsarten gehören. (...)

Zu den in Satz 1 bezeichneten Einkünften gehören auch




21



a) Leibrenten insoweit, als in den einzelnen
Bezügen Einkünfte aus Erträgen des Rentenrechts enthalten
sind. Als Ertrag des Rentenrechts gilt für die gesamte Dauer
des Rentenbezugs der Unterschied zwischen dem Jahresbetrag
der Rente und dem Betrag, der sich bei gleichmäßiger
Verteilung des Kapitalwerts der Rente auf ihre
voraussichtliche Laufzeit ergibt; dabei ist der Kapitalwert
nach dieser Laufzeit zu berechnen. Der Ertrag des
Rentenrechts (Ertragsanteil) ist aus der nachstehenden
Tabelle zu entnehmen:




22





Bei Beginn der

Rente vollendetes

Lebensjahr des

Rentenberechtigten
Ertragsanteil

in v. H.
Bei Beginn der

Rente vollendetes

Lebensjahr des

Rentenberechtigten
Ertragsanteil

in v. H.
Bei Beginn der

Rente vollendetes

Lebensjahr des

Rentenberechtigten
Ertragsanteil

in v. H.


0 bis 2
72
42
48
67
22


3 bis 5
71
43 bis 44
47
68
21


6 bis 8
70
45
46
69
20


9 bis 10
69
46
45
70
19


11 bis 12
68
47
44
71
18


13 bis 14
67
48
43
72
17


15 bis 16
66
49
42
73
16


17 bis 18
65
50
41
74
15


19 bis 20
64
51
39
75
14


21 bis 22
63
52
38
76 bis 77
13


23 bis 24
62
53
37
78
12


25 bis 26
61
54
36
79
11


27
60
55
35
80
10


28 bis 29
59
56
34
81 bis 82
9


30
58
57
33
83
8


31 bis 32
57
58
32
84 bis 85
7


33
56
59
31
86 bis 87
6


34
55
60
29
88 bis 89
5


35
54
61
28
90 bis 91
4


36 bis 37
53
62
27
92 bis 93
3


38
52
63
26
94 bis 96
2


39
51
64
25
ab 97
1


40
50
65
24
 
 


41
49
66
23
 
 







23



(...)




24



Abgesehen von der Neufassung der
Ertragsanteilstabelle in § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a
EStG ab dem Veranlagungsjahr 1994 durch Art. 19 Nr. 2 des
Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms
vom 23. Juni 1993 (BGBl I S. 944) gelten diese Vorschriften
bis heute sachlich unverändert fort (vgl. EStG 1997 i.d.F.
der Bekanntmachung vom 16. April 1997, BGBl I S. 821, zuletzt
geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung des
Unternehmenssteuerrechts vom 20. Dezember 2001, BGBl I S.
3858).




25



3. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG war
bereits zweimal Gegenstand von Beschlüssen des Ersten Senats
des Bundesverfassungsgerichts über
Verfassungsbeschwerden.




26



a) In dem Beschluss vom 26. März 1980 (BVerfGE
54, 11 ) führte das
Bundesverfassungsgericht aus, dass für eine unterschiedliche
Besteuerung von Pensionen und Renten sachliche Gründe
sprächen. Insbesondere könne der Umstand, dass die
Rentenbezieher aus ihrem Verdienst Beiträge für die
Altersvorsorge entrichteten, Differenzierungen rechtfertigen.
Die Gesamtregelung für den Veranlagungszeitraum 1969/70 und
in der Folgezeit genüge noch den Anforderungen des Art. 3
Abs. 1 GG. Indes habe die steuerliche Begünstigung der
Rentner im Verhältnis zu den Ruhestandsbeamten durch
veränderte Verhältnisse, insbesondere durch die Dynamisierung
der Renten, inzwischen ein Ausmaß erreicht, das eine
Korrektur erforderlich mache. Der Gesetzgeber sei deshalb
verpflichtet, eine Neuregelung in Angriff zu nehmen, wobei es
seine Sache sei, in welcher Weise und mit welchen
gesetzgeberischen Mitteln er die inzwischen eingetretenen
Verzerrungen nunmehr beseitigen wolle.




27



b) Mit Beschluss vom 24. Juni 1992 (BVerfGE
86, 369 ) wurde näher begründet, dass dem
Gesetzgeber nach der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 1980 zur Beseitigung
des Gleichheitsverstoßes eine erhebliche Zeitspanne zur
Verfügung stehe. Die festgestellte Ungleichheit sei weder als
verfassungswidrig noch als nur für eine bestimmte Zeit
hinnehmbar bezeichnet worden. Die Bundesregierung habe die
notwendige Neuregelung in Angriff genommen; deshalb seien die
sich auf die Veranlagungszeiträume 1983 und 1984 beziehenden
Verfassungsbeschwerden unbegründet. Im Übrigen sei auch das
spätere Zögern des Gesetzgebers "bislang" noch keine
Verletzung von Verfassungsrecht (a.a.O S. 381), da einerseits
das Jahr 1986, in dem u.a. der vom Bundesministerium der
Finanzen eingeschaltete Wissenschaftliche Beirat seine
Stellungnahme überreicht habe, am Ende einer
Legislaturperiode gelegen habe, die Lösung der Probleme aber
eine mehrjährige parlamentarische Arbeit beanspruche und
andererseits noch während der folgenden Legislaturperiode auf
Gesetzgeber und Regierung die mit der deutschen
Wiedervereinigung zusammenhängenden Probleme zugekommen
seien.




II.




28



1. Der 1921 geborene Kläger des
Ausgangsverfahrens ist Ruhestandsbeamter. Seine
Versorgungsbezüge setzte das beklagte Finanzamt Koblenz im
Einkommensteuerbescheid für 1993 als Bezüge aus früheren
Dienstleistungen nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG
unter Abzug eines Versorgungs-Freibetrages von 6.000 DM gemäß
§ 19 Abs. 2 Satz 1 EStG an. Der hiergegen eingelegte
Einspruch, den der Kläger unter Bezugnahme auf die Beschlüsse
des Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 1980 und vom 24.
Juni 1992 damit begründete, dass die Bemessung des
Versorgungs-Freibetrages nach § 19 Abs. 2 EStG zu
niedrig und damit verfassungswidrig sei, hatte keinen Erfolg.
Mit seiner daraufhin erhobenen Klage beim Finanzgericht
Rheinland-Pfalz begehrte er in erster Linie, seine Bezüge als
Ruhestandsbeamter entsprechend der Regelung bei den Renten
aus der gesetzlichen Rentenversicherung nur mit dem
Ertragsanteil und damit nur eingeschränkt der Einkommensteuer
zu unterwerfen, hilfsweise, bei der Festsetzung der
Einkommensteuer einen über 6.000 DM hinausgehenden
Versorgungs-Freibetrag zu berücksichtigen. Des Weiteren rügte
der Kläger auch die Verfassungswidrigkeit seiner Besteuerung
und beantragte insoweit, unter Aussetzung des Klageverfahrens
dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob der
Gesetzgeber durch die unzureichende Anpassung des § 19
EStG an die zwischenzeitliche Veränderung des Versorgungs-
und Rentengefüges Art. 3 Abs. 1 GG verletzt habe, und die
Aussetzung solange aufrecht zu erhalten, bis der Gesetzgeber
seiner nunmehr zeitlich zu befristenden
Anpassungsverpflichtung nachgekommen sei.




29



2. Mit Beschluss vom 24. Juli 1995 hat das
Finanzgericht Rheinland-Pfalz das Verfahren ausgesetzt und
dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob
§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 EStG für nichtig
zu erklären sei. Der vorlegende Senat ist davon überzeugt,
dass zwischenzeitlich schon allein das Untätigbleiben des
Gesetzgebers im Hinblick auf eine Neuregelung der Besteuerung
von Versorgungsbezügen pensionierter Beamten und Richter
einerseits und von Leibrenten aus der gesetzlichen
Rentenversicherung andererseits zur Verfassungswidrigkeit der
Besteuerung der Versorgungsbezüge geführt habe.




30



a) Die Verfassungsmäßigkeit und damit
Gültigkeit des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1
EStG sei entscheidungserheblich; denn im Falle der Gültigkeit
der Regelungen sei die Klage abzuweisen. Auch komme keine
verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift in Betracht, die
zu einer der Klage stattgebenden Entscheidung führen
könnte.




31



Hingegen müsste das Gericht bei Ungültigkeit
der zur Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht
gestellten Norm eine andere Entscheidung treffen, nämlich
entweder der Klage stattgeben, weil keine gesetzliche
Grundlage mehr für die Besteuerung der Beamten- und
Richterpensionen bestünde, oder zumindest das Verfahren nach
§ 74 FGO bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber
aussetzen.




32



b) Der Senat sei der Auffassung, dass trotz
zwischenzeitlich erfolgter Einzelregelungen im
Einkommensteuerrecht die Diskrepanz zwischen Pensions- und
Rentenbesteuerung noch größer geworden sei, so dass die
bisherigen gesetzgeberischen Maßnahmen den vom
Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgegebenen
Neuregelungsauftrag nicht habe ersetzen können. Die
Zeitspanne für eine Neuregelung sei entgegen der im Beschluss
des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juni
1992 erfolgten Bewertung spätestens 1990 abgelaufen. Der
Gesetzgeber sei vordringlich verpflichtet gewesen, einen vom
Bundesverfassungsgericht erkannten grundgesetzwidrigen
Zustand zu beseitigen. Er könne dies nicht hinter vorgeblich
wichtigeren, mit den Belastungen der deutschen
Wiedervereinigung im Zusammenhang stehenden gesetzgeberischen
Maßnahmen zurückstellen. Darüber hinaus verpflichte die
besondere Treue- und Fürsorgepflicht des Staates gegenüber
seinen Beamten den Gesetzgeber zur Eile bei der Beseitigung
eines zu deren Lasten bestehenden verfassungswidrigen
Zustandes.




III.




33



Zu der Vorlage haben für die Bundesregierung
das Bundesministerium der Finanzen, der VI. Senat des
Bundesfinanzhofs und das Finanzamt Koblenz als Beteiligter
des Ausgangsverfahrens Stellung genommen.




34



1. Nach Auffassung des Bundesministeriums der
Finanzen und des VI. Senats des Bundesfinanzhofs war die
Frist für die gebotene Neuregelung der Besteuerung von
Alterseinkünften im Jahre 1993 noch nicht abgelaufen.




35



2. Nach Ansicht des Finanzamts Koblenz ist die
Vorlage bereits unzulässig, weil es an einer differenzierten
Erörterung zum verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab fehle.
Soweit nach Auffassung des vorlegenden Gerichts allein das
Untätigbleiben des Gesetzgebers zur Verfassungswidrigkeit der
Besteuerung der Versorgungsbezüge geführt haben solle, bleibe
vollkommen offen, welcher verfassungsrechtliche Grundsatz
durch das behauptete Untätigbleiben des Gesetzgebers konkret
verletzt worden sein solle.




B.




36



Die Vorlage ist unzulässig.




37



1. Ein Gericht kann die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit einer
gesetzlichen Vorschrift nach Art. 100 Abs. 1 GG nur einholen,
wenn es zuvor sowohl die Entscheidungserheblichkeit der
Vorschrift als auch ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig
geprüft hat. Dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 2
Satz 1 BVerfGG genügt ein Vorlagebeschluss daher nur dann,
wenn die Ausführungen des Gerichts erkennen lassen, dass es
eine solche Prüfung vorgenommen hat (vgl. BVerfGE 86, 71
). Das Gericht muss nicht nur darlegen,
dass seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung
gestellten Norm abhängt (vgl. BVerfGE 97, 49 ),
sondern auch die für seine Überzeugung von der
Verfassungswidrigkeit dieser Norm maßgebenden Erwägungen
nachvollziehbar aufzeigen und sich dabei mit naheliegenden
tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten
auseinandersetzen (vgl. BVerfGE 86, 52 ). Der
Vorlagebeschluss muss auf die einschlägige Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts eingehen und die in Literatur und
Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen
berücksichtigen, die für die Auslegung der zur Prüfung
vorgelegten Norm von Bedeutung sind (vgl. BVerfGE 79, 240
; 86, 71 ; 97, 49
; stRspr).




38



2. Diesen Anforderungen wird die Vorlage nicht
gerecht.




39



a) Das vorlegende Gericht hat die
Verfassungsnorm, mit der § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs.
2 Satz 1 EStG kollidieren soll, entgegen der ausdrücklichen
Regelung in § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG weder im Tenor
noch in den Gründen benannt, sondern nur allgemein von
"Nichtigkeit" und "Verfassungswidrigkeit" wegen Ablaufs der
gesetzlichen Frist sowie von "verfassungswidriger
Besteuerung" der Beamtenpensionen und Diskrepanz zwischen
Pensions- und Rentenbesteuerung gesprochen. Dieser Mangel der
fehlenden Bezeichnung der Verfassungsnormen, gegen die die
zur Prüfung gestellte Vorschrift des § 19 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 EStG verstoßen soll, führt bereits zur
Unzulässigkeit der Vorlage (vgl. BVerfGE 65, 265
). Dem steht auch nicht entgegen, dass das
Bundesverfassungsgericht in den beiden früheren
Entscheidungen die Norm am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG
geprüft hat. Denn das vorlegende Gericht hat ausdrücklich die
Vorlagefrage trotz entsprechenden Antrags des Klägers (vgl.
S. 3 unter Ziff. 3 des Vorlagebeschlusses) nicht als Frage
nach der Vereinbarkeit von § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2,
Abs. 2 Satz 1 EStG mit Art. 3 Abs. 1 GG formuliert.
Angesichts der klaren und eindeutigen Formulierung im
Vorlagebeschluss ist eine mögliche Umdeutung oder Auslegung
des Antrags ausgeschlossen.




40



b) Die Vorlagefrage lässt auch nicht erkennen,
welcher Prüfungsmaßstab in Betracht kommen könnte. Zwar hat
das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit einer
Norm insoweit, als sie zulässigerweise zur Prüfung gestellt
wird, nicht nur unter dem Blickwinkel des vorlegenden
Gerichts, sondern unter allen denkbaren
verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen (BVerfGE 67,
1 ). Die Norm ist hier aber bereits wegen der
fehlenden Benennung des Verfassungsmaßstabes (vgl. § 80
Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) nicht zulässig zur Prüfung gestellt
worden. Die Vorlagefrage bringt in ihrer einer Auslegung
nicht zugänglichen Klarheit in Verbindung mit den Gründen die
Überzeugung zum Ausdruck, dass die vom
Bundesverfassungsgericht gesetzte Frist "spätestens 1990"
abgelaufen und die Norm daher nichtig sei. Für diese
Vorlagefrage ist jedoch ein konkreter Verfassungsmaßstab
weder dargetan und begründet noch ersichtlich.




41



c) Das vorlegende Gericht hat auch nicht
dargelegt, wann die zur Prüfung gestellte Norm nach seiner
Ansicht verfassungswidrig wurde bzw. wann die Frist
abgelaufen war. Soweit das Gericht einzig ausführt, die Frist
sei "spätestens 1990" abgelaufen, wird dies nicht
weitergehend begründet. Zudem hat das
Bundesverfassungsgericht noch in seinem Beschluss vom 24.
Juni 1992 (BVerfGE 86, 369 ) davon gesprochen,
dass die fehlende Inanspruchnahme einer Neuregelung "bislang"
- somit auch 1990 - noch keine Verletzung von
Verfassungsrecht dargestellt habe. Hierbei hat es sich auch
um tragende Gründe des Beschlusses und nicht nur um ein
bloßes obiter dictum gehandelt. Denn das
Bundesverfassungsgericht hat seine Auffassung zur Frage der
Verfassungsmäßigkeit auch für das Jahr 1992 eingehend
begründet und zudem in seinem Leitsatz festgestellt, dass die
dem Gesetzgeber zur Verfügung stehende Zeit noch nicht
abgelaufen sei.




42



d) Soweit das Finanzgericht Rheinland-Pfalz in
seinem Vorlagebeschluss unter Bezugnahme auf lediglich zwei
Meinungen aus dem Schrifttum (Schröder, Die Diskrepanz
zwischen Renten- und Pensionsbesteuerung wird immer größer,
DStZ 1995, S. 231; v.Zezschwitz, Sozialrenten und
Beamtenpensionen im Vergleich der letzten 20 Jahre, ZBR 1995,
S. 157) ausführt, dass die Gründe im Beschluss vom 24. Juni
1992 nicht überzeugten und bestimmte Aspekte nicht
berücksichtigt worden seien, genügt dies offensichtlich nicht
den erhöhten Begründungsanforderungen, die an einen
Vorlagebeschluss zu stellen sind, wenn sich das
Bundesverfassungsgericht bereits mit der Regelung befasst und
die Verfassungsmäßigkeit auch für das Jahr 1990 in den
tragenden Erwägungen mit Bindungswirkung auch gegenüber den
Gerichten (§ 31 Abs. 1 BVerfGG) bejaht hat (vgl. BVerfGE
79, 240 ). So hätte es hier der Darlegung bedurft,
welche neuen rechtserheblichen Tatsachen gegenüber den
tragenden Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts den
Eintritt der Verfassungswidrigkeit im Jahre 1990 belegen
sollen (vgl. BVerfGE 78, 38 ; 87, 341 ).
Auch wird den Darlegungsanforderungen nicht bereits dadurch
genügt, dass vom vorlegenden Gericht lediglich behauptet
wird, dass ein bestimmter verfassungsrechtlicher
Gesichtspunkt in einer früheren Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts nicht erörtert worden sei.




43



e) Darüber hinaus hat sich das Finanzgericht
Rheinland-Pfalz in seinem Vorlagebeschluss auch nur
unzureichend mit den in Rechtsprechung und Literatur zur
Frage einer möglicherweise eingetretenen
Verfassungswidrigkeit der unterschiedlichen
Besteuerungsregelungen kontrovers diskutierten Ansichten
auseinandergesetzt. Die Bezugnahme auf lediglich zwei
Beiträge aus der Literatur, mit denen das Gericht seine
Rechtsansicht zu untermauern versucht, genügte insoweit
nicht, zumal § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1
EStG bisher nicht ausdrücklich für verfassungswidrig erklärt
worden ist. Zwar räumt das Gericht selbst ein, dass andere
Finanzgerichte zur Frage des Ablaufs der dem Gesetzgeber
gewährten Frist einen anderen Standpunkt vertreten haben,
lässt jedoch hierzu eine inhaltliche Auseinandersetzung
vermissen.




44



Diese Entscheidung ist unanfechtbar.




 




Sommer
Osterloh
Di Fabio







Full & Egal Universal Law Academy