2 BvG 1/00 - Antrag Bayerns gegen "Moratorium Gorleben" unzulässigSiehe auchPressemitteilung Nr. 20/2002 vom 20. Februar 2002
Karar Dilini Çevir:






L e i t s a t z

zum Beschluss des Zweiten Senats vom 5.
Dezember 2001

- 2 BvG 1/00 -

Als Kompetenzausübungsschranke für den Bund
setzt der Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens wegen
seiner Akzessorietät eine korrespondierende Rechtsposition
der Länder voraus. Allein der Umstand, dass das Land für den
Vollzug bestimmter Gesetze zuständig ist, begründet noch
keine solche Rechtsposition.




 



BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvG 1/00 -










Im Namen des Volkes




In dem Verfahren





über die Anträge festzustellen,




 





1.

der Bund verstößt dadurch
gegen Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes und die
grundgesetzliche Kompetenzverteilung der Artikel
83 ff. des Grundgesetzes sowie den
verfassungsrechtlichen Grundsatz des bundesfreundlichen
Verhaltens, dass er die Erkundung des Salzstockes
Gorleben als Endlager für radioaktive Stoffe



2.

der Bund verstößt dadurch
gegen die grundgesetzliche Kompetenzverteilung und den
verfassungsrechtlichen Grundsatz des bundesfreundlichen
Verhaltens, dass er das zwischen Bund und Ländern
vereinbarte integrierte Entsorgungskonzept für
radioaktive Abfälle ohne Beteiligung der Länder
aufgibt,






 




Antragstellerin:
Staatsregierung des
Freistaates Bayern, vertreten durch den
Ministerpräsidenten,

Staatskanzlei, Franz-Josef-Strauß-Ring 1, 80593
München






 



- Bevollmächtigter:


Rechtsanwalt Professor Dr. Fritz Ossenbühl,

Im Wingert 12, 53340 Meckenheim -





 




Antragsgegnerin:
Bundesregierung, vertreten
durch den Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit,

Heinrich-von-Stephan-Straße 1, 53175 Bonn






 



- Bevollmächtigter:


Professor Dr. Georg Hermes,

Egenolffstraße 21, 60316 Frankfurt am Main -





 



hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter
Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter

Präsidentin Limbach,

Sommer,

Jentsch,

Hassemer,

Broß,

Osterloh,

Di Fabio,

Mellinghoff




 



am 5. Dezember 2001 gemäß § 24 BVerfGG
einstimmig beschlossen:




 



Die Anträge werden verworfen.




 


Gründe:




A.




1



Der Bund-Länder-Streit betrifft die Frage, ob
der Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens dem Bund
verbietet, die Erkundung des Salzstockes in Gorleben zu
unterbrechen und das so genannte integrierte
Entsorgungskonzept ohne Beteiligung der Länder
aufzugeben.




I.




2



1. Als Folge des 1974 von der Bundesregierung
vorgelegten Entsorgungskonzepts wurden mit dem 4.
Änderungsgesetz vom 30. August 1976 (BGBl I S. 2573)
§ 9a bis § 9c in das Atomgesetz (AtG) eingefügt.
§ 9a Abs. 1 AtG in seiner damaligen Fassung
verpflichtete die Betreiber von Kernkraftwerken, radioaktive
Reststoffe vorrangig schadlos zu verwerten und nur für den
Fall, dass dies nach dem Stand von Wissenschaft und Technik
nicht möglich, wirtschaftlich nicht vertretbar oder mit den
in § 1 Abs. 1 Nrn. 2 bis 4 AtG bezeichneten Zwecken
unvereinbar sein sollte, sie als radioaktive Abfälle geordnet
zu beseitigen. Inhalt des so genannten integrierten
Entsorgungskonzepts ist es danach, die abgebrannten
Brennelemente nach Zwischenlagerung wieder aufzuarbeiten und
die hierbei zurückgewonnenen Kernbrennstoffe durch
Wiedereinsatz in Kernkraftwerken zu verwerten (Rückführung);
die radioaktiven Abfälle werden nach Konditionierung und
Zwischenlagerung endgelagert (vgl. Bericht der
Bundesregierung zur Entsorgung der Kernkraftwerke und anderer
kerntechnischer Einrichtungen vom 13. Januar 1988, BTDrucks
11/1632, S. 3, 5, 6). Das integrierte Entsorgungskonzept
wurde mit Beschluss der Regierungschefs von Bund und Ländern
vom 28. September 1979 im Grundsatz bestätigt (Bulletin der
Bundesregierung vom 11. Oktober 1979, Nr. 122/S. 1133). Gemäß
Nummer 9 dieses Beschlusses wurden die am 6. Mai 1977 von den
Regierungschefs von Bund und Ländern festgelegten "Grundsätze
zur Entsorgungsvorsorge für Kernkraftwerke" neu gefasst und
am 19. März 1980 bekannt gemacht (BAnz. Nr. 58 vom 22. März
1980; Anlage 2 zu BTDrucks 11/1632).




3



Seit seiner Einführung im Jahre 1976 sieht
§ 9a Abs. 3 Satz 1 AtG vor, dass der Bund Anlagen zur
Sicherstellung und zur Endlagerung radioaktiver Abfälle und
die Länder Landessammelstellen für die Zwischenlagerung der
in ihrem Gebiet angefallenen radioaktiven Abfälle
einzurichten haben. Für radioaktive Abfälle aus
Kernkraftwerken bestimmt die Strahlenschutzverordnung
allerdings, dass sie an Landessammelstellen nur dann
abgeliefert werden dürfen, wenn die zuständige Behörde dies
zugelassen hat; anderenfalls sind die Betreiber der
Kernkraftwerke zur privaten Zwischenlagerung bis zum Abruf
für die Endlagerung verpflichtet (derzeit §§ 76 Abs. 5,
78 StrlSchV vom 20. Juli 2001, BGBl I S. 1714
; zuvor §§ 82 Abs. 2, 86 StrlSchV
vom 30. Juni 1989, BGBl I S. 1321 ).




4



Als mögliches Endlager für radioaktive Abfälle
wurde vom Bund der Salzstock in Gorleben erkundet. Gemäß
Nummer 6 des Beschlusses vom 28. September 1979 sollte die
Erkundung des Salzstockes in Gorleben auf seine Eignung als
Endlager "zügig" vorangeführt werden, "so daß die für die
notwendigen Entscheidungen erforderlichen Kenntnisse über den
Salzstock in der zweiten Hälfte der 80er Jahre vorliegen".
Gemäß Nummer 7 sollten die Anlagen des Bundes zur
Sicherstellung der Endlagerung der radioaktiven Abfälle
"spätestens zum Ende der 90er Jahre betriebsbereit" sein.




5



Nachdem bis 1998 von der grundsätzlichen
Eignung des Salzstockes in Gorleben ausgegangen worden war,
sieht die heutige Bundesregierung angesichts der
internationalen Diskussion und der Weiterentwicklung des
Stands von Wissenschaft und Technik und der allgemeinen
Risikobewertung die Notwendigkeit, die Eignungskriterien für
ein Endlager fortzuentwickeln und die Konzeption für die
Endlagerung radioaktiver Abfälle zu überarbeiten. Eine
weitere Erkundung des Salzstockes in Gorleben könne zur
Klärung der dabei aufgeworfenen Fragen nichts beitragen
(Erklärung des Bundes zur Erkundung des Salzstockes Gorleben,
Anlage 4 zur Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und
den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000,
NVwZ-Beilage IV zu Heft 10/2000). Nummer IV. 4. der am 14.
Juni 2000 paraphierten und am 11. Juni 2001 unterzeichneten
Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den
Energieversorgungsunternehmen lautet deshalb:




6



Die Erkundung des Salzstockes in Gorleben wird
bis zur Klärung konzeptioneller und sicherheitstechnischer
Fragen für mindestens 3, längstens jedoch 10 Jahre
unterbrochen.




7



Das Moratorium wird bereits umgesetzt. Nach
dem Zeitplan der Bundesregierung soll ein Endlager etwa im
Jahr 2030 zur Verfügung stehen.




8



2. Seit der Änderung des § 9a Abs. 1 AtG
durch das Gesetz vom 19. Juli 1994 (BGBl I S. 1618) steht die
Wiederaufarbeitung radioaktiver Stoffe gleichrangig neben der
direkten Endlagerung (Entsorgung ohne Wiederaufarbeitung).
Die heutige Bundesregierung sieht jedoch das Konzept der
Wiederaufarbeitung radioaktiver Stoffe als gescheitert an.
Nummer IV. 2. der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 lautet
deshalb:




9



Die Entsorgung radioaktiver Abfälle aus dem
Betrieb von KKW wird ab dem 1.7.2005 auf die direkte
Endlagerung beschränkt. ...




10



In den Entwurf eines Gesetzes zur geordneten
Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung
von Elektrizität sind das Verbot der Wiederaufarbeitung und
die Beschränkung der Entsorgung auf die direkte Endlagerung
ab 1. Juli 2005 aufgenommen worden (BTDrucks 14/6890, Art. 1,
Ziff. 9 a) bb)).




11



Die Bundesregierung hat sich vor ihrer in der
Vereinbarung zum Ausdruck gebrachten Entschließung zur
Aufgabe des integrierten Entsorgungskonzepts mit den Ländern
nicht ins Benehmen gesetzt.




12



3. Am 15. Juni 2000 hat das Bundesministerium
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit dem Bayerischen
Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen den
Text der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 übermittelt.




II.




13



1. Die Staatsregierung des Freistaates Bayern
hat mit dem beim Bundesverfassungsgericht am 13. Dezember
2000 eingegangenen Schriftsatz vom 12. Dezember 2000 die aus
dem Rubrum ersichtlichen Feststellungen beantragt. Zur
Begründung trägt sie vor:




14



a) Eine Pflicht des Bundes zur zügigen und
kontinuierlichen Erkundung eines Endlagers ergebe sich bei
sachgerechter Auslegung bereits aus § 9a Abs. 3 Satz 1
AtG, dessen Missachtung zugleich einen Verstoß gegen die in
Art. 20 Abs. 3 GG statuierte Gesetzesbindung bedeute.
Verfassungsrechtliche Grundlage für eine Pflicht zur zügigen
und kontinuierlichen Erkundung seien die aus den
Grundrechtsverbürgungen (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) folgende
Pflicht des Staates zum Schutz der Bevölkerung vor
radioaktiver Strahlung sowie die Staatszielbestimmung des
Art. 20a GG, aus der hinsichtlich des Schutzes der
natürlichen Lebensgrundlagen ein Optimierungsgebot und ein
Untermaßverbot herzuleiten seien. Die Verletzung von
Grundrechten könnten die Länder im Bund-Länder-Streit vor dem
Bundesverfassungsgericht zwar nicht geltend machen. Es könne
dahinstehen, ob dies auch für die Staatszielbestimmung des
Art. 20a GG gelte. Jedenfalls habe der Bund aber gegen den
Verfassungsgrundsatz der "Bundestreue" verstoßen. Dieser sei
zwar akzessorisch zu einem Bund und Land umschließenden
Verfassungsrechtsverhältnis, das Bundesverfassungsgericht
habe aber in seiner bisherigen Rechtsprechung den
Akzessorietätsgrundsatz zuweilen selbst durchbrochen.
Ausreichend als Verfassungsrechtsverhältnis sei im
vorliegenden Fall die Verbundverwaltung von Bund und Ländern
im Bereich der Endlagerung, nämlich die Zuständigkeit des
Bundes für die Endlagerung in bundeseigener Verwaltung und
die der Länder für die Zwischenlagerung in
Bundesauftragsverwaltung. Bund und Länder seien insoweit in
ein Verhältnis wechselseitigen Aufeinanderangewiesenseins
gedrängt. Auch wenn die Verbundverwaltung erst durch
einfach-gesetzliche Anordnung (§ 22 bis § 24 AtG)
zustande komme, begründe sie ein Verfassungsrechtsverhältnis
zwischen Bund und Ländern, weil sie auf der
verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsordnung der Art. 30,
83 ff., 87 Abs. 3 Satz 1, 87c GG basiere.




15



Der Grundsatz der "Bundestreue" setze dem
Gebrauchmachen von Zuständigkeiten eine Schranke. Wenn der
Bund als Kompetenzinhaber keine berechtigten Interessen
verfolge oder überwiegende Belange der Länder oder eines
Landes entgegenstünden und die Rechtsausübung zu einer
gravierenden Störung der bundesstaatlichen Ordnung führen
würde, sei die bundesstaatliche Treuepflicht verletzt. Die
von der Bundesregierung aufgeworfenen Fragen rechtfertigten
kein Moratorium, so dass sich der Bund nicht auf ein
berechtigtes Interesse berufen könne. Als Belang der Länder
sei durch die Unterbrechung der Erkundung und die damit
verzögerte Endlagerung die "Gewährleistungsverantwortung" der
Länder für die (von privater Seite zu erfüllende)
Zwischenlagerung betroffen. Da damit gerechnet werden müsse,
dass mit der Stilllegung und dem Abbau von Kernkraftwerken
die Ablieferungspflichtigen nicht mehr zu ermitteln seien,
könnte sich die Gewährleistungsverantwortung zu einer
Erfüllungsverantwortung verdichten. Angesichts der von der
Antragsgegnerin beabsichtigten und durch die verzögerte
Endlagerung bedingten Einführung der Pflicht der
Kernkraftwerksbetreiber zur Errichtung standortnaher
Zwischenlager seien die Länder vor allem unter
Sicherheitsaspekten verstärkt gefordert. Dem Antragsteller
falle neben der Verantwortung für die Zwischenlagerung auch
die gesamte Atomaufsicht zu. Durch das Moratorium werde somit
die durch § 9a Abs. 3 Satz 1 AtG vorgegebene
Verantwortungs- und Verwaltungslast gravierend in der Weise
verschoben, dass der Bund sich seiner
Entsorgungsverantwortung für lange Zeit entledige und diese
ohne rechtfertigenden Grund auf die Länder verlagere.




16



b) Es sei bislang einhellige Auffassung
gewesen, dass die Aufgabe der atomaren Entsorgung angesichts
des Sachzusammenhangs im Aufgabenvollzug nur im Konsens
zwischen Bund und Ländern durchgeführt werden könne. So sei
das integrierte Entsorgungskonzept der Bundesregierung am 28.
September 1979 von Bund und Ländern einstimmig bestätigt und
die Grundsätze zur Entsorgungsvorsorge für Kernkraftwerke
seien entsprechend neu gefasst worden. Aus der "Bundestreue"
ergebe sich durch den sachlich bedingten Zwang zur
Zusammenarbeit sowie durch Verhandlungen im Sinne eines
vorangegangenen Tuns die Pflicht zur Abstimmung und
Zusammenarbeit. Indem der Bund das integrierte
Entsorgungskonzept ohne Beteiligung der Länder aufgebe,
obwohl sich damit zu Lasten der Länder ein Paradigmenwechsel
in der Verantwortung für die Entsorgung ergebe, verletze er
den Grundsatz der "Bundestreue".




17



2. Die Antragsgegnerin beantragt, die Anträge
als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie als unbegründet
zurückzuweisen.




18



a) Der Beschluss vom 28. September 1979 sei
eine politische Bestätigung des Entsorgungskonzepts der
Bundesregierung gewesen. Seitdem seien durch die Aufgabe der
Projekte Schneller Brüter und Wiederaufarbeitungsanlage
Wackersdorf sowie durch die gesetzliche Gleichstellung von
Wiederaufarbeitung und direkter Endlagerung im Jahr 1994
wesentliche Änderungen eingetreten.




19



Für den Antrag zu 1. fehle es an einer
Antragsbefugnis, weil die Grundrechte und Art. 20a GG keine
Rechte der Länder begründeten. Der Grundsatz der
"Bundestreue" sei akzessorisch. Er führe nicht zu der
verfassungsrechtlichen Pflicht, einfaches Recht (§ 9a
Abs. 3 Satz 1 AtG) zu beachten. Die Verbundverwaltung sei
weder ein eigenständiger Verwaltungstyp noch begründe sie ein
Verfassungsrechtsverhältnis.




20



Abgesehen davon sei das Moratorium sachlich
gerechtfertigt. Auch fehle es an nachteiligen Folgen des
Moratoriums für die Antragstellerin. Da die Zwischenlagerung
Pflicht der Betreiber sei, treffe das Land nur die
Durchführung von Baugenehmigungs- und Aufsichtsverfahren.
Dies sei die reguläre Pflicht zum Vollzug des Atomgesetzes,
die Ausgabenlasten trage gemäß Art. 104a Abs. 2 GG der
Bund.




21



b) Hinsichtlich des Antrags zu 2. fehle es an
einer konkreten rechtserheblichen Maßnahme, weil weder der
Beschluss vom 28. September 1979 noch der Beschluss über die
Grundsätze zur Entsorgungsvorsorge Rechtswirkungen
entfalteten. Gleiches müsse deshalb auch für die Aufgabe des
integrierten Entsorgungskonzepts gelten. Auch das Unterlassen
einer Beteiligung sei nur dann rechtlich relevant, wenn die
Beteiligung im Zusammenhang mit der Vorbereitung
rechtserheblicher Maßnahmen zu erfolgen habe, was hier nicht
der Fall sei.




22



3. Die Hessische Landesregierung teilt die
Auffassung der Antragstellerin.




B.




23



Die Anträge sind als unzulässig zu
verwerfen.




I.




24



Verfahrensgegenstand im Bund-Länder-Streit
gemäß § 69 i.V.m. § 64 Abs. 1 BVerfGG kann auch
eine Unterlassung des Antragsgegners sein. Die
Antragstellerin rügt im Schwerpunkt ein Unterlassen; denn sie
greift die Unterbrechung der Erkundung des Salzstockes in
Gorleben und die Nichtbeteiligung der Länder bei der Aufgabe
des integrierten Entsorgungskonzepts für radioaktive Abfälle
durch die Antragsgegnerin an.




25



Der Antrag ist auch fristgemäß binnen sechs
Monaten gestellt (§ 69 i.V.m. § 64 Abs. 3 BVerfGG).
Die Antragsgegnerin hat die Entschließung zum Moratorium in
Nummer IV. 4. und zur Aufgabe des Entsorgungskonzepts in
Nummer IV. 2. der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 kenntlich
gemacht; dies kann deshalb der Antragstellerin nicht vorher
bekannt geworden sein.




II.




26



Die Antragstellerin hat ihre Antragsbefugnis
nicht darzulegen vermocht. Im Verfahren des
Bund-Länder-Streits nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG, § 13
Nr. 7 BVerfGG sind als Streitgegenstand Maßnahmen oder
Unterlassungen vorausgesetzt, die innerhalb eines Bund und
Land umspannenden materiellen Verfassungsrechtsverhältnisses
eine verfassungsrechtliche Rechtsposition des Landes
verletzen oder unmittelbar gefährden können (BVerfGE 81, 310
; 92, 203 ; 95, 250 ;
stRspr). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass dem Freistaat
Bayern eine im Grundgesetz wurzelnde Rechtsposition auf
"zügige und kontinuierliche Erkundung" des Endlagers Gorleben
(Antrag zu 1.) oder auf Beteiligung bei der Änderung des
Entsorgungskonzepts (Antrag zu 2.) gegenüber dem Bund
zustehen könnte.




27



1. a) Die Antragstellerin kann sich auf die
Verletzung von Grundrechten, des Art. 20a GG und des Art. 20
Abs. 3 GG nicht berufen, weil ein Land vom Bund nur die
Achtung solcher Verfassungsnormen verlangen kann, die die
Bundesgewalt in ihrer Auswirkung auf das Verfassungsleben der
Länder beherrschen und damit eine rechtliche Beziehung
zwischen Bundesgewalt und Landesgewalten herstellen (BVerfGE
81, 310 ). Die genannten Bestimmungen des
Grundgesetzes prägen aber das föderative
Bund-Länder-Verhältnis nicht.




28



aa) Die Länder sind nicht Träger von
Grundrechten, und sie können auch nicht deshalb, weil sie
Aufgaben im Interesse der Allgemeinheit wahrnehmen,
Sachwalter des Einzelnen bei der Wahrnehmung seiner
Grundrechte sein. In der bundesstaatlichen Ordnung des
Grundgesetzes begründen die Grundrechte nicht selbständige
Kompetenzen, sondern binden nur bei der Wahrnehmung von
Kompetenzen (BVerfGE 81, 310 ). Ein Ausnahmefall,
wie er für die Rundfunkfreiheit wegen der fundamentalen
Bedeutung für das verfassungsrechtliche Leben in den Ländern
begründet wurde (BVerfGE 12, 205 ), ist
von der Antragstellerin nicht behauptet und liegt hier auch
nicht vor.




29



bb) Die von der Antragstellerin ebenfalls
angeführte Bestimmung des Art. 20a GG prägt das föderative
Bund-Länder-Verhältnis nicht. Der Umstand, dass auch der Bund
bei der Wahrnehmung seiner Zuständigkeiten
Staatszielbestimmungen ebenso wie Grundrechte zu beachten
hat, begründet keine verfassungsrechtliche Rechtsposition,
auf die sich ein Land gegenüber dem Bund berufen kann. Im
Hinblick darauf kann offen bleiben, ob sich aus Art. 20a GG
überhaupt ein Gebot zur zügigen und kontinuierlichen
Erkundung eines Endlagers ableiten ließe.




30



cc) Die in Art. 20 Abs. 3 GG statuierte
Bindung der vollziehenden Gewalt an Gesetz und Recht ist eine
Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips, das dem Land
ebenfalls keine Rechtsposition gegenüber dem Bund verleiht.
Vor allem kann die einfach-gesetzliche Pflicht des Bundes zur
Einrichtung eines Endlagers aus § 9a Abs. 3 Satz 1 2.
Halbsatz AtG nicht über Art. 20 Abs. 3 GG zu einer
verfassungsrechtlichen Pflicht gegenüber dem Land erhöht
werden.




31



b) Den Ländern kommt nach der
Zuständigkeitsverteilung der Art. 83 ff. GG keine
verfassungsrechtliche Position bei der Regelung der
Endlagerung zu.




32



aa) Endlagerstätten werden auf der Grundlage
des Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG in bundeseigener Verwaltung
erkundet. Dem Bund steht für die Erzeugung und Nutzung der
Kernenergie zu friedlichen Zwecken einschließlich der
Beseitigung radioaktiver Stoffe die konkurrierende
Gesetzgebungskompetenz gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 11a GG zu. Er
ist deshalb gemäß Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG berechtigt, für
diese Angelegenheiten selbständige Bundesoberbehörden durch
Bundesgesetz zu errichten. Es handelt sich dabei um einen
Fall der fakultativen Bundesverwaltung. Der Bund kann durch
die Errichtung der Bundesoberbehörde, der er bestimmte
Aufgaben zuweist, die Verwaltungszuständigkeit an sich ziehen
und gleichzeitig insoweit die Verwaltungshoheit der Länder
nach Art. 83 GG beenden. Es ist nicht erforderlich, dass die
Verwaltungszuständigkeit des Bundes im Grundgesetz schon
anderweitig begründet oder zugelassen ist (BVerfGE 14, 197
). Der Bund hat von seinen Kompetenzen durch
§ 23 Abs. 1 Nr. 2 AtG Gebrauch gemacht und durch Gesetz
vom 9. Oktober 1989 (BGBl I S. 1830) das Bundesamt für
Strahlenschutz errichtet (zuvor war die
Physikalisch-Technische Bundesanstalt zuständig).




33



bb) Die Antragstellerin hat auch nicht
darzulegen vermocht, dass die von ihr behauptete
"Verbundverwaltung" zwischen Bund und Land ihr eine
verfassungsrechtliche Position gegenüber dem Bund vermittle.
Sie übersieht, dass ein wie auch immer geartetes
Zusammenwirken von Bund und Land nach Maßgabe der §§ 22,
23 und 24 AtG und speziell im Bereich der Entsorgung nach
§ 9a Abs. 3 AtG ausschließlich durch ein einfaches
Bundesgesetz und nicht durch die Verfassung begründet
wäre.




34



c) Schließlich kann sich die Antragstellerin
auch nicht auf eine allgemeine Rücksichtnahmepflicht des
Bundes auf die Länder, die von diesen im Bund-Länder-Streit
eingeklagt werden könnte, berufen.




35



Der Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens
ist nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts akzessorischer Natur und kann
deshalb nur innerhalb eines anderweitig begründeten
Rechtsverhältnisses oder einer anderweitig begründeten
Rechtspflicht Bedeutung gewinnen (BVerfGE 42, 103
m.w.N.; 103, 81 ). Er konstituiert oder begrenzt
Rechte innerhalb eines bestehenden Rechtsverhältnisses,
begründet aber nicht selbständig ein Rechtsverhältnis
zwischen Bund und Ländern (BVerfGE 13, 54 ). In
einem Bund-Länder-Streit kann wegen des Erfordernisses eines
Bund und Länder umschließenden Verfassungsrechtsverhältnisses
der Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens nur innerhalb
eines anderweitig begründeten Verfassungsrechtsverhältnisses
zur Geltung kommen (BVerfGE 103, 81 ). Ein im
Bund-Länder-Streit geltend zu machender Anspruch der Länder
gegen den Bund aus dem Grundsatz bundesfreundlichen
Verhaltens setzt als Anknüpfungspunkt eine
verfassungsrechtliche Rechtsposition der Länder voraus
(BVerfGE 95, 250 ).




36



Hinsichtlich der Endlagerung liegt zwar
insoweit ein Verfassungsrechtsverhältnis zwischen Bund und
Ländern vor, als auf diesem Gebiet dem Bund gemäß Art. 87
Abs. 3 Satz 1 GG, § 23 Abs. 1 Nr. 2 AtG die
Verwaltungszuständigkeit zukommt. Die Antragstellerin kann
hierauf aber ihre Antragsbefugnis nicht stützen, weil die
Länder die Verwaltungszuständigkeit des Bundes zu achten
haben. Auch als Kompetenzausübungsschranke für den Bund setzt
der Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens wegen seiner
Akzessorietät eine korrespondierende Rechtsposition der
Länder voraus. Allein der Umstand, dass das Land für den
Vollzug bestimmter Gesetze zuständig ist, begründet noch
keine solche Rechtsposition. Das Land hat zwar schon kraft
der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung einen Anspruch
auf Achtung seiner Zuständigkeit. Ein Anspruch darauf, vom
Vollzug von Gesetzen, soweit dieser Landesaufgabe ist,
verschont zu bleiben, besteht hingegen nicht.




37



d) Schließlich hat die Antragstellerin auch
keine verfassungsrechtliche Position, die Gegenstand eines
Bund-Länder-Streits sein könnte, in Bezug auf den Beschluss
vom 28. September 1979 darzulegen vermocht. Es ist vor allem
nichts dafür ersichtlich, dass diesem mehr als politische
Bedeutung zukommen könnte.




38



2. Die Antragstellerin hat auch bezüglich des
Antrags zu 2. nicht vermocht, ihre Antragsbefugnis
darzulegen. Sie hat keine stichhaltigen Gesichtspunkte dafür
vorgetragen und solche sind auch nicht ersichtlich, dass ihr
eine im Wege des Bund-Länder-Streits durchsetzbare
verfassungsrechtliche Position gegen den Bund des Inhalts
zustehen könnte, dass dieser das integrierte
Entsorgungskonzept nicht ohne Beteiligung der Länder aufgeben
dürfte. Der Bund, dem für die Änderung des
Entsorgungskonzepts gemäß Art. 72, 74 Abs. 1 Nr. 11a GG die
konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zusteht, hat weder
gegen die grundgesetzliche Kompetenzverteilung noch den
Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens verstoßen. Eine
angesichts der Akzessorietät des Grundsatzes des
bundesfreundlichen Verhaltens erforderliche
verfassungsrechtliche Rechtsposition der Antragstellerin
(BVerfGE 95, 250 ) kann weder aus deren
Zuständigkeit für den mit der (privaten) Zwischenlagerung
zusammenhängenden Gesetzesvollzug (dazu oben 1 c) noch aus
vorangegangenem Zusammenwirken hergeleitet werden. Der
Beschluss vom 28. September 1979 bestätigte lediglich
nachträglich aus Gründen politischer Opportunität ein bereits
verankertes gesetzliches Entsorgungskonzept. Die davon zu
unterscheidenden Grundsätze zur Entsorgungsvorsorge für
Kernkraftwerke dienen dem einheitlichen Vollzug eines
gesetzlichen Entsorgungskonzepts (vgl. Nummer I. 3. der
Grundsätze, Anlage 2 zu BTDrucks 11/1632) und legen dieses
nicht fest; auch sie scheiden deshalb als Grund für ein vom
Land zu beanspruchendes Zusammenwirken bei der Entschließung
für ein neues Entsorgungskonzept aus.




 




Limbach
Sommer
Jentsch


Hassemer
Broß
Osterloh


Di Fabio

Mellinghoff







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