2 BvE 2/00 - Pofalla gegen Bundestag und Bundestagspräsident erfolglosSiehe auchPressemitteilung Nr. 119/2001 vom 17. Dezember 2001
Karar Dilini Çevir:






L e i t s a t z

zum Urteil des Zweiten Senats vom 17. Dezember
2001

- 2 BvE 2/00 -

Aus Art. 46 Abs. 2 GG können sich nicht ohne
weiteres Rechte eines einzelnen Abgeordneten gegenüber dem
Bundestag ergeben; der Genehmigungsvorbehalt für die
strafrechtliche Verfolgung von Abgeordneten dient vornehmlich
dem Parlament als Ganzes. Der einzelne Abgeordnete hat aber
aus Art. 46 Abs. 2 i.V.m. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG einen
Anspruch darauf, dass sich das Parlament bei der Entscheidung
über die Aufhebung der Immunität nicht - den repräsentativen
Status des Abgeordneten grob verkennend - von sachfremden,
willkürlichen Motiven leiten lässt.






BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvE 2/00 -


Verkündet

am 17. Dezember 2001

Ankelmann

Regierungshauptsekretär

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle











Im Namen des Volkes




In dem Verfahren

über den Antrag,





gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr.
5, 63 ff. BVerfGG festzustellen, dass




 





1.

der Deutsche Bundestag die
Rechte des Antragstellers aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 2
in Verbindung mit Artikel 46 Absatz 2 GG dadurch verletzt
hat, dass er





a)

mit dem "Beschluss
betreffend Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des
Bundestages" in der ersten Sitzung der 14. Wahlperiode am
26. Oktober 1998 seine Immunität aufgehoben hat,



b)

in der 102. Sitzung der 14.
Wahlperiode am 11. Mai 2000 die Genehmigung zum Vollzug
von Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüssen des
Amtsgerichts Kleve vom 4. Mai 2000 gegen den
Antragsteller erteilt hat,



c)

es unterlassen hat, gemäß
Artikel 46 Absatz 4 GG die Aussetzung des Strafverfahrens
gegen den Antragsteller zu verlangen;









2.

der Präsident des Deutschen
Bundestages die Rechte des Antragstellers aus Artikel 38
Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 46 Absatz 2 GG
dadurch verletzt hat, dass er es unterlassen hat, einen
Beschluss des Deutschen Bundestages herbeizuführen, der
gemäß Artikel 46 Absatz 4 GG die Aussetzung des
Strafverfahrens gegen den Antragsteller verlangt;






 




Antragsteller:
Mitglied des Deutschen Bundestages Ronald
Pofalla,

Deutscher Bundestag, Platz der Republik 1, Mauerstraße
29, Haus I, 11011 Berlin






 



- Bevollmächtigter:


Prof. Dr. Dr. h. c. Hans-Peter Schneider,

Rominteweg 1, 30559 Hannover -





 




Antragsgegner:
1.
Deutscher Bundestag, vertreten durch den
Präsidenten,

Platz der Republik 1, 11011 Berlin,


 
2.
Präsident des Deutschen
Bundestages

Platz der Republik 1, 11011 Berlin






 



- Bevollmächtigter:


Prof. Dr. Martin Morlok,

Poßbergweg 51, 40629 Düsseldorf -





 



hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter
Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter

Präsidentin Limbach,

Sommer,

Jentsch,

Hassemer,

Broß,

Osterloh,

Di Fabio,

Mellinghoff




 



aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20.
November 2001 durch




 


Urteil




 



für Recht erkannt:





Die Anträge zu 1. a) und 2. werden
verworfen.

Im Übrigen werden die Anträge
zurückgewiesen.




 


Gründe:




A.




1



Das Organstreitverfahren betrifft die
Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten.




I.




2



Der 14. Deutsche Bundestag beschloss in seiner
ersten Sitzung am 26. Oktober 1998, die Geschäftsordnung
einschließlich ihrer Anlagen, soweit sie vom Deutschen
Bundestag zu beschließen sind, in der Fassung der
Bekanntmachung vom 2. Juli 1980 (BGBl I S. 1237), zuletzt
geändert laut Bekanntmachung vom 12. Februar 1998 (BGBl I S.
428), zu übernehmen (vgl. BTDrucks 14/1; Plenarprotokoll 14/1
S. 15 D). Zu den Anlagen der Geschäftsordnung gehört seit der
5. Wahlperiode ein "Beschluss des Deutschen Bundestages betr.
Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages". In
dem Beschluss heißt es:




3



1. Der Deutsche Bundestag genehmigt bis zum
Ablauf dieser Wahlperiode die Durchführung von
Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder des Bundestages wegen
Straftaten, es sei denn, dass es sich um Beleidigungen
(§§ 185, 186, 187a Abs. 1 StGB) politischen Charakters
handelt. Das Ermittlungsverfahren darf im Einzelfall
frühestens 48 Stunden nach Zugang der Mitteilung beim
Präsidenten des Deutschen Bundestages eingeleitet werden.
...




4



2. Diese Genehmigung umfasst nicht




5



a) die Erhebung der öffentlichen Klage wegen
einer Straftat und den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls
oder einer Strafverfügung,




6



...




7



c) freiheitsentziehende und
freiheitsbeschränkende Maßnahmen im Ermittlungsverfahren.




8



...




9



5. Ist der Vollzug einer angeordneten
Durchsuchung oder Beschlagnahme gegen ein Mitglied des
Deutschen Bundestages genehmigt, ist der Präsident
beauftragt, die Genehmigung mit der Auflage zu verbinden,
dass beim Vollzug der Zwangsmaßnahme ein anderes Mitglied des
Bundestages und - falls die Vollstreckung in Räumen des
Bundestages erfolgen soll - ein zusätzlicher Vertreter des
Präsidenten anwesend sind; das Mitglied des Bundestages
benennt der Präsident im Benehmen mit dem Vorsitzenden der
Fraktion des Mitgliedes des Bundestages, gegen das der
Vollzug von Zwangsmaßnahmen genehmigt ist.




10



...




11



Die Geschäftsordnung enthält in
Immunitätsangelegenheiten folgende Verfahrensregelungen:




12



§ 107 Immunitätsangelegenheiten




13



(1) Ersuchen in Immunitätsangelegenheiten sind
vom Präsidenten unmittelbar an den Ausschuss für Wahlprüfung,
Immunität und Geschäftsordnung weiterzuleiten.




14



(2) Dieser hat Grundsätze über die Behandlung
von Ersuchen auf Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des
Bundestages aufzustellen (Anlage 6) und diese Grundsätze zum
Ausgangspunkt seiner in Einzelfällen zu erarbeitenden
Beschlussempfehlungen an den Bundestag zu machen.




15



...




16



(4) Vor der Konstituierung des Ausschusses für
Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung kann der
Präsident dem Bundestag in Immunitätsangelegenheiten
unmittelbar eine Beschlussempfehlung vorlegen.




17



Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung beschloss zu Beginn der Wahlperiode - wie in
den vorangegangenen Wahlperioden - Grundsätze in
Immunitätsangelegenheiten (Anlage 6 der Geschäftsordnung des
Deutschen Bundestages). In diesen heißt es:




18



...




19



3. Stellung der betroffenen Mitglieder des
Bundestages




20



In Immunitätsangelegenheiten soll das
betroffene Mitglied des Bundestages im Bundestag das Wort zur
Sache nicht erhalten; von ihm gestellte Anträge auf Aufhebung
seiner Immunität bleiben unberücksichtigt.




21



4. Beweiswürdigung




22



Der Bundestag darf nicht in eine
Beweiswürdigung eintreten. Das Immunitätsrecht bezweckt, die
Funktionsfähigkeit und das Ansehen des Bundestages
sicherzustellen. Die Entscheidung über die Aufrechterhaltung
oder Aufhebung der Immunität ist eine politische Entscheidung
und darf ihrem Wesen nach kein Eingriff in ein schwebendes
Verfahren sein, bei dem es um die Feststellung von Recht oder
Unrecht, Schuld oder Nichtschuld geht. Der Kern der erwähnten
politischen Entscheidung beruht auf einer Interessenabwägung
zwischen den Belangen des Parlaments und den Belangen der
anderen hoheitlichen Gewalten. Es darf somit nicht in eine
Beweiswürdigung hinsichtlich der Erfüllung eines
Unrechttatbestandes eingetreten werden.




23



...




24



Nach Nr. 192a Abs. 2 der Richtlinien für das
Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) in der ab 1.
Juli 1998 geltenden Fassung (BAnz Nr. 112 vom 12. Juni 1998)
umfasst die allgemeine Genehmigung nach Nr. 1 des
Bundestagsbeschlusses nicht den Vollzug einer angeordneten
Durchsuchung oder Beschlagnahme in dem genehmigten Verfahren.
Insoweit sind die Staatsanwaltschaften angewiesen, gemäß Nr.
192 Abs. 1 RiStBV einen Beschluss des Bundestags im
Einzelfall herbeizuführen.




II.




25



Der Antragsteller ist Mitglied des 14.
Deutschen Bundestags. Er gehört der Fraktion der CDU/CSU an.
Für den Fall eines Wahlsieges der CDU bei der Landtagswahl in
Nordrhein-Westfalen am 14. Mai 2000 war er für das Amt des
nordrhein-westfälischen Justizministers vorgesehen.




26



Mit Schreiben vom 17. April 2000 teilte der
Leitende Oberstaatsanwalt in Kleve dem Antragsgegner zu 2.
mit, es sei beabsichtigt, gegen den Antragsteller ein
Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der
Steuerhinterziehung einzuleiten. Der Anfangsverdacht ergebe
sich aus einem Vergleich des von dem Antragsteller in den
Jahren 1993 bis 1997 für Immobiliengeschäfte und
Kapitalanlagen aufgewendeten Vermögens und den für diesen
Zeitraum in den Steuererklärungen angegebenen Einkünften. Der
Vergleich führe zu einem nach dem Inhalt der
Steuererklärungen nicht mehr nachzuvollziehenden und dort
nicht deklarierten Vermögenszuwachs. Es sei beabsichtigt,
richterliche Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen zu
erwirken. Er bitte, soweit erforderlich, eine Entschließung
des Bundestags über die Genehmigung des Vollzugs der
Durchsuchungen und Beschlagnahmen herbeizuführen. Vorsorglich
weise er darauf hin, dass bezüglich einer möglichen
Steuerverkürzung für 1993 mit dem 18. Mai 2000
Strafverfolgungsverjährung eintreten könnte.




27



Das Schreiben ging am 28. April 2000 beim
Antragsgegner zu 2. ein. Dieser leitete es am selben Tag an
den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
weiter. Der Sekretär des Ausschusses bestätigte dem Leitenden
Oberstaatsanwalt den Eingang des Schreibens und wies ihn
darauf hin, dass die Genehmigung des Vollzugs der
Durchsuchungen und Beschlagnahmen die Vorlage der
gerichtlichen Anordnungen erfordere.




28



Am 4. Mai 2000 ordnete das Amtsgericht Kleve
die Durchsuchung der Wohnräume des Antragstellers in Weeze
und Berlin, seiner Büroräume in Berlin und seines
Wahlkreisbüros in Kleve sowie die Durchsuchung von Wohn- und
Büroräumen seiner geschiedenen Ehefrau und in den
Geschäftsräumen verschiedener Kreditinstitute an. Mit
Schreiben vom 5. Mai 2000 bat der Leitende Oberstaatsanwalt
in Kleve den Antragsgegner zu 2. - nunmehr unter Beifügung
der Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse -, eine
Entschließung des Antragsgegners zu 1. über die Genehmigung
des Vollzugs der angeordneten Maßnahmen herbeizuführen. Auf
einstimmige Empfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung,
Immunität und Geschäftsordnung (vgl. BTDrucks 14/3338)
beschloss der Antragsgegner zu 1. am 11. Mai 2000 ohne
Aussprache und in sofortiger Abstimmung, die beantragten
Genehmigungen zu erteilen (Plenarprotokoll 14/102 S. 9541 C).
Die Durchsuchungen fanden noch am selben Tag, d.h. drei Tage
vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, statt.




29



Am 12. Mai 2000 teilte der Antragsteller auf
einer Pressekonferenz mit, dass er seine
Vermögensverhältnisse freiwillig gegenüber der
Staatsanwaltschaft offengelegt habe. Den Vorwurf der
Steuerhinterziehung wies er zurück.




30



Auf die Beschwerde des Antragstellers stellte
das Landgericht Kleve durch Beschluss vom 11. August 2000
rechtskräftig fest, dass die Durchsuchungs- und
Beschlagnahmebeschlüsse des Amtsgerichts rechtswidrig gewesen
seien. Das Amtsgericht habe zu Unrecht den Verdacht einer
Steuerhinterziehung angenommen. Die von der
Staatsanwaltschaft vorgelegten Ermittlungsergebnisse hätten
keine Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen
gerechtfertigt. Am 14. August 2000 stellte die
Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren wegen fehlenden
Tatverdachts ein. Am 19. September 2000 entschuldigte sich
der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen beim
Antragsteller für das rechtswidrige Vorgehen seiner Behörden.
Der zuständige Generalstaatsanwalt wurde in den einstweiligen
Ruhestand versetzt.




III.




31



Am 26. Oktober 2000 hat der Antragsteller das
Organstreitverfahren anhängig gemacht. Zur Begründung trägt
er vor:




32



1. Der gegen den Antragsgegner zu 1.
gerichtete Antrag sei zulässig. Zu den Statusrechten eines
Abgeordneten gehöre auch das Recht auf Immunität, das ihm
Schutz vor Behinderungen seiner parlamentarischen Tätigkeit
bieten solle. Sowohl der Beschluss über die generelle
Aufhebung der Immunität als auch die Genehmigung der
Durchsuchungen habe ihn in diesem Recht aus Art. 38 Abs. 1
Satz 2 i.V.m. Art. 46 Abs. 2 GG verletzt. Eine aktuelle, die
Antragsfrist in Lauf setzende Betroffenheit habe der
generelle Beschluss über die Aufhebung der Immunität vom 26.
Oktober 1998 erst durch die Aufnahme von Ermittlungen gegen
ihn am 30. April 2000 erlangt. Der Antragsgegner zu 1. habe
auch dadurch die Rechte des Antragstellers verletzt, dass er
es während des gesamten Zeitraums der
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen vom 30. April bis 14.
August 2000 unterlassen habe, gemäß Art. 46 Abs. 4 GG die
Aussetzung des Verfahrens zu verlangen.




33



Der gegen den Antragsgegner zu 2. gerichtete
Antrag sei ebenfalls zulässig. Der Antragsgegner zu 2. habe
es unterlassen, unmittelbar nach Eingang des Antrags des
Leitenden Oberstaatsanwalts in Kleve vom 17. April 2000 ein
Aussetzungsverlangen des Bundestags nach Art. 46 Abs. 4 GG
herbeizuführen, und dadurch den Antragsteller in seinen
Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 46 Abs. 4 GG
verletzt. Der Bundestagspräsident sei verpflichtet, Ersuchen
der Staatsanwaltschaft auf Plausibilität und Schlüssigkeit zu
prüfen. Anderenfalls würde die 48-Stunden-Frist zwischen
Mitteilung der Staatsanwaltschaft und Einleitung des
Ermittlungsverfahrens im Normalfall ungenutzt verstreichen.
Diese Prüfung habe der Antragsgegner zu 2. unterlassen.




34



2. Die Anträge seien auch begründet.




35



a) Der Beschluss des Deutschen Bundestags
betr. Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestags
vom 26. Oktober 1998 sei verfassungswidrig. Der Verzicht auf
eine Prüfung des Einzelfalls widerspreche Wortlaut sowie Sinn
und Zweck des Art. 46 Abs. 2 GG. Die Immunität diene nicht
nur der Sicherung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des
Parlaments, sondern auch dem Schutz des einzelnen
Abgeordneten vor tendenziöser Verfolgung. Wie das
Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller zeige, seien
Fälle derartiger Verfolgung selbst in einem demokratischen
Rechtsstaat nicht auszuschließen. Zudem sei jeder Abgeordnete
"Vertreter des ganzen Volkes" (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG), so
dass mit der Beeinträchtigung seiner Tätigkeit auch das
Parlament als Ganzes an Repräsentativität verliere. Das
Verfahren der Immunitätsaufhebung müsse deshalb auf den
verfassungsrechtlichen Status des Abgeordneten Rücksicht
nehmen und dürfe nicht vollständig zur Disposition des
Parlaments gestellt werden. Dies werde durch den generellen
Aufhebungsbeschluss, der die gebotene Einzelfallprüfung auf
die lediglich theoretische Möglichkeit eines
Aussetzungsverlangens nach Art. 46 Abs. 4 GG verschiebe,
nicht hinreichend gewährleistet.




36



b) Die Genehmigung zum Vollzug der
Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung vom 11. Mai 2000
sei bereits formell verfassungswidrig, weil weder der
Bundestag noch der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung dem Antragsteller rechtliches Gehör gewährt
hätten. Da nicht erkennbar gewesen sei, welche Steuern der
Antragsteller in welcher Höhe und in welchem Zeitraum
verkürzt haben solle, habe hier offenkundig ein
Nachfragebedarf bestanden. Außerdem sei das gesamte Verfahren
durch den irreführenden Hinweis im Schreiben des Leitenden
Oberstaatsanwalts vom 17. April 2000 auf eine drohende
Strafverfolgungsverjährung beherrscht und überschattet
gewesen. Schließlich seien bei der Beschlussfassung schon
vollendete Tatsachen geschaffen gewesen. Die
parlamentarischen Beobachter seien teilweise schon zum Ort
der Durchsuchung unterwegs gewesen.




37



Die Genehmigung sei auch materiell mit den
Rechten des Antragstellers aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 i.V.m.
Art. 46 Abs. 2 GG nicht vereinbar. Die Entscheidung über die
Aufhebung der Immunität stehe im pflichtgemäßen Ermessen des
Parlaments. Der Abgeordnete habe einen Anspruch auf
ermessensfehlerfreie Entscheidung. Der Bundestag müsse einen
Antrag auf Immunitätsaufhebung auf seine innere
Folgerichtigkeit und Vollständigkeit hin überprüfen. Außerdem
müsse er kontrollieren, ob der Antrag Grund zu der Annahme
biete, dass sich hinter ihm unsachliche (politische) Motive
verbergen. Schon bei den geringsten Zweifeln müsse das
Verfahren bis zur Klärung dieser Frage nach Art. 46 Abs. 4 GG
ausgesetzt werden.




38



Schließlich habe der Bundestag zu prüfen, ob
die Ermittlungsmaßnahme verhältnismäßig sei. Hier sei der
Anfangsverdacht der Steuerverkürzung im Antrag der
Staatsanwaltschaft schon deshalb nicht plausibel gewesen,
weil die angeblich hinterzogenen Steuern nicht bezogen auf
die einzelnen Veranlagungszeiträume ausgewiesen worden seien.
Außerdem hätte der Antragsgegner zu 1. - ähnlich wie später
das Landgericht Kleve - der Plausibilität des angeblichen
Vermögenszuwachses nachgehen müssen. Drei Tage vor der
Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen habe der Verdacht, dass
es sich um eine tendenziöse Verfolgung handele, nicht fern
gelegen. Die Durchsuchungen seien außerdem - für den
Antragsgegner zu 1. erkennbar - unverhältnismäßig gewesen.
Der Antragsteller sei bereit gewesen, alle benötigten
Unterlagen auszuhändigen. Nach einer solchen Überprüfung der
genehmigungsbedürftigen Maßnahme müsse das Parlament eine
sorgfältige Abwägung zwischen dem Strafverfolgungsinteresse
einerseits und dem Eingriff in den Abgeordnetenstatus
andererseits vornehmen, wobei die Schwere der Tat und der
Grad des Tatverdachts ebenso zu berücksichtigen seien wie die
Erfordernisse des öffentlichen Vertrauens in die Integrität
eines Abgeordneten. Das habe der Antragsgegner zu 1. nicht
getan. Den angegriffenen Entscheidungen fehle außerdem eine
Begründung, ohne die eine verfassungsgerichtliche Kontrolle
nicht möglich sei.




39



c) Aus den dargelegten Gründen hätte der
Antragsgegner zu 1. jedenfalls von seinem Reklamationsrecht
nach Art. 46 Abs. 4 GG Gebrauch machen müssen.




40



d) Auch der Antrag gegen den Antragsgegner zu
2. sei begründet. Er hätte als Erster die dargelegten Mängel
des Antrags auf Genehmigung der Durchsuchungen erkennen und
einen Aussetzungsbeschluss des Bundestags nach Art. 46 Abs. 4
GG herbeiführen müssen.




IV.




41



Die Antragsgegner halten die Anträge für
unzulässig (1.), jedenfalls aber für unbegründet (2.).




42



1. a) Die Anträge zu 1. a) und b) seien
verfristet. Der Beschluss vom 26. Oktober 1998 habe - anders
als die Vorschrift der Geschäftsordnung im Urteil des Senats
vom 13. Juni 1989 (BVerfGE 80, 188) - bereits im Zeitpunkt
der Beschlussfassung Rechtswirkungen für den Antragsteller
entfaltet; denn er sei von hier an nicht mehr durch die
Immunität vor strafrechtlichen Ermittlungsverfahren geschützt
gewesen. Der Beschluss selbst habe deshalb die 6-Monats-Frist
gemäß § 64 Abs. 3 BVerfGG in Lauf gesetzt. Die
Genehmigung der Durchsuchung durch den Beschluss des
Antragsgegners zu 1. vom 11. Mai 2000 sei eine bloße
Folgeentscheidung der mit dem Beschluss vom 26. Oktober 1998
getroffenen Verfahrensregelung.




43



b) Der Antragsteller sei für keinen der
Anträge antragsbefugt. Der Bundestag verstehe die
parlamentarische Immunität nicht als Abgeordneten-, sondern
als Parlamentsprivileg. Historisch habe sie sich als
Organrecht des Parlaments entwickelt, das dessen Existenz
gegenüber der als Willkür verstandenen Machtausübung des
Königs schützen sollte. Art. 46 Abs. 2 GG gehe davon aus,
dass der Bundestag mit der Aufhebung der Immunität auf ein
eigenes Recht verzichte. Nur so lasse sich seine
Verfügungsmacht über das Immunitätsrecht erklären. Der
Abgeordnete selbst könne nach allgemeiner Ansicht nicht auf
seine Immunität verzichten. Praktische Wirksamkeit gewinne
die Immunität dadurch, dass der Abgeordnete sie jeder
staatlichen Stelle - außer dem Bundestag selbst als dem
Rechtsinhaber - entgegenhalten könne. Die Immunität diene
nicht dem innerparlamentarischen Minderheitenschutz, weil der
Bundestag in Immunitätsfragen mit der Mehrheit seiner
Mitglieder entscheide. Sie solle die Funktionsfähigkeit eines
im Idealfall vollständig versammelten Parlaments
gewährleisten; maßgeblich sei nicht die Repräsentation durch
den einzelnen Abgeordneten, sondern die
Kollektivrepräsentation durch die Gesamtheit der
Abgeordneten. Schließlich sprächen auch der Grundsatz der
Gewaltenteilung, der Gedanke der privilegienfeindlichen
Demokratie und die zusätzliche Arbeitsbelastung des
Bundestags durch eine Individualisierung des Immunitätsrechts
gegen eine Antragsbefugnis des Antragstellers.




44



Der mit dem Antrag zu 1. b) geltend gemachte
Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die
Immunitätsaufhebung bestehe ebenfalls nicht. Eine
gerichtliche Kontrolle scheitere am Mangel rechtlicher
Überprüfungsmaßstäbe. Aus diesem Grund ergebe sich für den
Antrag zu 1. c) aus Art. 46 Abs. 4 GG ebenfalls keine
Antragsbefugnis.




45



Sie fehle auch für den Antrag zu 2.. Der
Präsident des Bundestags habe im Immunitätsverfahren keine
prozessualen oder materiellen Rechte von Verfassungsrang
inne.




46



c) Schließlich fehle für alle Anträge das
Rechtsschutzbedürfnis. Konkrete Anhaltspunkte für ein
weiteres Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller seien
weder vorgetragen noch ersichtlich.




47



2. Die Anträge seien zudem unbegründet.




48



a) Der Beschluss vom 26. Oktober 1998 sei
verfassungsgemäß. Das vom Bundestag in langer Praxis
entwickelte Immunitätsverfahren sei Ausdruck
parlamentarischer Ermessensausübung im Rahmen seiner
Geschäftsordnungsautonomie. Der Bundestag habe bei der
antizipierten Ermessensausübung die repräsentative
Zusammensetzung des Parlaments, seine Arbeitsfähigkeit, sein
Ansehen, die Gleichmäßigkeit der Strafrechtspflege, aber auch
die Interessen des betroffenen Abgeordneten zu
berücksichtigen. Er differenziere nach der Schwere des
Tatvorwurfs, der Eilbedürftigkeit freiheitsbeschränkender
Maßnahmen und vor allem der beeinträchtigenden Wirkung der
Ermittlungsmaßnahmen auf die parlamentarische Arbeit des
Abgeordneten. Die allgemeine Aufhebung der Immunität zu
Beginn einer Legislaturperiode offenbare sich bei näherer
Betrachtung als überschaubare, zeitlich und sachlich
limitierte Freigabe dieses Rechts, die jederzeit rückholbar
sei.




49



b) Auch der Beschluss vom 11. Mai 2000 zur
Genehmigung der Durchsuchungen sei verfassungsgemäß. Ein
Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs
liege nicht vor. Da es sich bei der Immunität um ein
Parlamentsprivileg handele, fehle es in der Person des
Antragstellers bereits an einer rechtlichen Betroffenheit.
Eine Anhörung führe im Übrigen zur Notwendigkeit, sich mit
den vorgebrachten Gründen bewertend auseinander zu setzen.
Damit würde aber in eine Beweiswürdigung eingetreten werden,
was der Bundestag nach Nr. 4 der Grundsätze in
Immunitätsangelegenheiten ausdrücklich vermeiden wolle. Eine
Durchsuchung müsse zudem überraschend erfolgen.




50



Als materiellrechtlicher Prüfungsmaßstab für
parlamentarische Ermessensentscheidungen kämen lediglich
solche Richtlinien in Betracht, die sich das Parlament selbst
auferlegt habe. Der Geschäftsordnung, dem generellen
Immunitätsaufhebungsbeschluss und den Grundsätzen in
Immunitätsangelegenheiten entspreche der Beschluss vom 11.
Mai 2000. Nachweislich hätten weder die zu diesem Zeitpunkt
von der Staatsanwaltschaft bereits korrigierten Angaben
bezüglich der Verjährung noch die Landtagswahl eine Rolle
gespielt. Das allgemeine Bestreben des Bundestags, nicht in
laufende staatsanwaltliche oder gerichtliche Verfahren
einzugreifen, stelle keinen Ermessensfehler dar. Von dieser
Regel im Fall des Antragstellers abzuweichen, habe es zum
Zeitpunkt der Entscheidung keinen Anlass gegeben. Das zeige
sich auch daran, dass die Entscheidung sowohl im Ausschuss
als auch im Plenum einstimmig getroffen worden sei. Ob der
Bundestag eine allgemeine Verhältnismäßigkeitsprüfung
vorzunehmen habe, sei an sich schon fraglich. Die Aussicht,
möglicherweise Mitglied einer Landesregierung zu werden,
schütze der Abgeordnetenstatus jedenfalls nicht. Im Übrigen
sei ein milderes Mittel zur Ermöglichung ordnungsgemäßer
Ermittlungen nicht ersichtlich.




51



c) Der Antrag zu 1. c) sei ebenfalls
unbegründet. Eine Pflicht, gemäß Art. 46 Abs. 4 GG die
Aussetzung des Strafverfahrens zu verlangen, könne nur durch
Umstände ausgelöst werden, die bereits eine Aufhebung der
Immunität rechtswidrig gemacht hätten. Dass dem Antragsgegner
zu 1. bis zur Einstellung des Verfahrens am 14. August 2000
neue Umstände zur Kenntnis gelangt seien, sei weder
ersichtlich noch vom Antragsteller behauptet.




52



d) Prüfungspflichten des Bundestagspräsidenten
bestünden nur sehr eingeschränkt: Er sei im Wesentlichen vor
Konstituierung des Immunitätsausschusses zuständig und müsse
Bundestagsabgeordnete bestimmen, die im Fall einer
Durchsuchung oder Beschlagnahme das Verfahren vor Ort
begleiten. Die Herleitung weiterer Pflichten sei
verfassungsrechtlich unzulässig; sie würde gegen das
parlamentarische Selbstverwaltungsrecht verstoßen. Der
Antragsgegner zu 2. habe mithin keine Pflichten verletzt.




V.




53



Die Landtage von Baden-Württemberg und von
Thüringen haben zum Verfahren Stellung genommen.




54



Der Präsident des Landtags von
Baden-Württemberg hat mitgeteilt, der Landtag fasse zu Beginn
der Wahlperiode einen generellen
Immunitätsaufhebungsbeschluss, der im Wesentlichen dem des
Bundestags entspreche. Der Landtag von Thüringen hat nach
Auskunft seiner Präsidentin Ermittlungsverfahren gegen
Abgeordnete nur insoweit generell genehmigt, als es um
Verkehrsdelikte geht. Im Übrigen hat er die Entscheidungen in
Immunitätsangelegenheiten auf einen Justizausschuss
übertragen.




VI.




55



In der mündlichen Verhandlung sind die
Vorsitzende des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung, die Abgeordnete Erika Simm, der Abgeordnete
Eckart von Klaeden, Mitglied des Ausschusses, und der
Sekretär des Ausschusses, Ministerialrat Dr. Helmut
Winkelmann, gehört worden.




B.




I.




56



Die Anträge zu 1. a) und zu 2. sind
unzulässig.




57



1. Der Antrag zu 1. a) ist verfristet. Gemäß
§ 64 Abs. 3 BVerfGG muss der Antrag binnen sechs
Monaten, nachdem die beanstandete Maßnahme dem Antragsteller
bekannt geworden ist, gestellt werden. Der Beschluss des
Deutschen Bundestags betr. Aufhebung der Immunität von
Mitgliedern des Bundestags wurde in der ersten Sitzung des
14. Deutschen Bundestags am 26. Oktober 1998 gefasst und in
diesem Zeitpunkt dem Antragsteller in seiner Eigenschaft als
Abgeordneter bekannt. Die Frist für einen gegen diesen
Beschluss gerichteten Antrag lief deshalb am 26. April 1999
ab. Die Antragsschrift ist aber erst am 26. Oktober 2000 beim
Bundesverfassungsgericht eingegangen.




58



Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht in
seinem Urteil vom 13. Juni 1989 (BVerfGE 80, 188
) eine Vorschrift der Geschäftsordnung
des Bundestags erst von dem Zeitpunkt an als Maßnahme im
Sinne von § 64 Abs. 1 BVerfGG gewertet, in dem sie bei
dem Antragsteller eine aktuelle rechtliche Betroffenheit
auszulösen vermag. Dieser Zeitpunkt könne mit dem Erlass der
Vorschrift zusammenfallen. Er könne aber auch erst danach
liegen. Das sei dann der Fall, wenn die Bestimmung an
rechtliche Voraussetzungen anknüpfe, die sich in der Person
des Antragstellers erst später verwirklichten. Von da an
laufe auch die Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG (vgl.
BVerfGE 92, 80 ).




59



Auch nach diesen Grundsätzen ist nicht - wie
der Antragsteller meint - die Einleitung des gegen ihn
gerichteten Ermittlungsverfahrens als Zeitpunkt für den
Fristbeginn anzusetzen. Denn nicht erst die Einleitung eines
Ermittlungsverfahrens führt zu einer aktuellen rechtlichen
Betroffenheit des Abgeordneten. Unmittelbar rechtlich
betroffen wird er in seinem Status schon durch den zu Beginn
der Wahlperiode gefassten Beschluss über die generelle
Aufhebung der Immunität selbst. Sieht sich ein Abgeordneter
durch die generelle Freigabe der Ermittlungstätigkeit in
seinen Rechten als Abgeordneter verletzt, etwa weil die
Genehmigung ohne Prüfung des Einzelfalls erteilt werde oder
weil die Frist zwischen Zugang der Mitteilung der
Staatsanwaltschaft und Einleitung des Ermittlungsverfahrens
mit 48 Stunden zu kurz bemessen sei, kann er dies im
Organstreitverfahren geltend machen, ohne dass es eines
konkreten Zusammenhangs mit einem bestimmten
Ermittlungsverfahren bedarf (vgl. BVerfGE 92, 80 ;
Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts
vom 8. März 2001 - 2 BvK 1/97 - S. 9). Hat der Bundestag die
Genehmigung allgemein im Vorhinein erteilt, ist schon damit
das sich aus Art. 46 Abs. 2 GG ergebende Verfahrenshindernis
beseitigt. Die spätere Einleitung des Ermittlungsverfahrens
berührt den Status des Abgeordneten nicht, sie bringt
lediglich die vorweggenommene Genehmigung zur Wirkung. Der
Bundestag kann zwar gemäß Art. 46 Abs. 4 GG noch verlangen,
das Strafverfahren gegen den Abgeordneten auszusetzen. Bei
einem hierauf gerichteten Antrag wäre Maßnahme im Sinne von
§ 64 Abs. 1 und 3 BVerfGG jedoch nicht mehr der
generelle Immunitätsaufhebungsbeschluss, sondern das
Unterlassen des Bundestags, die Aussetzung des Verfahrens zu
verlangen.




60



2. Der gegen den Präsidenten des Deutschen
Bundestags gerichtete Antrag zu 2. ist mangels eines
zulässigen Angriffsgegenstandes unzulässig.




61



Das Unterlassen einer Maßnahme ist im
Organstreit nur dann rechtserheblich, wenn eine
verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Vornahme der
unterlassenen Maßnahme nicht ausgeschlossen werden kann.
Fehlt es hieran, so ist der Antrag auf Feststellung der
Verfassungswidrigkeit des Unterlassens mangels eines
zulässigen Angriffsgegenstandes unzulässig (vgl. BVerfGE 96,
264 ; Beschluss des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts vom 24. Januar 2001 - 2 BvE 1/00 -
S. 8).




62



So liegt es beim Antrag zu 2.. Eine Grundlage
für die behauptete verfassungsrechtliche Verpflichtung des
Antragsgegners zu 2., einen Beschluss des Bundestags
herbeizuführen, der die Aussetzung des Strafverfahrens gegen
den Antragsteller verlangt, ist nicht ersichtlich. Art. 46
Abs. 4 GG berechtigt nur den Bundestag. Gemäß § 107 Abs.
4 GOBT kann der Bundestagspräsident dem Bundestag in
Immunitätsangelegenheiten nur vor der Konstituierung des
Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
unmittelbar eine Beschlussempfehlung vorlegen. Nach der
Konstituierung des Ausschusses liegt dieses Recht
ausschließlich bei dem Ausschuss selbst; der
Bundestagspräsident fungiert dann nur noch als "Poststelle"
(vgl. § 107 Abs. 1 GOBT). Sollte in Nr. 1 des
Bundestagsbeschlusses vom 26. Oktober 1998 die
48-Stunden-Frist zwischen Zugang der Mitteilung beim
Bundestagspräsidenten und Einleitung des
Ermittlungsverfahrens bei bloßer Weiterleitung des Ersuchens
an den Ausschuss zu kurz bemessen sein, wäre dies eine Frage
der Verfassungsmäßigkeit des Beschlusses des Bundestags. Eine
Pflicht des Bundestagspräsidenten, das Ersuchen der
Staatsanwaltschaft eigenständig zu prüfen und gegebenenfalls
auf einen entsprechenden Bundestagsbeschluss hinzuwirken,
ergäbe sich aber auch hieraus nicht.




II.




63



Die Anträge zu 1. b) und c) sind zulässig.




64



1. Insoweit hat der Antragsteller mit seiner
am 26. Oktober 2000 eingegangenen Antragsschrift die
Antragsfrist des § 64 Abs. 3 BVerfGG gewahrt. Die Frist
für den Antrag zu 1. b) begann mit Kenntnis des
Antragstellers von der Genehmigung vom 11. Mai 2000 zum
Vollzug der Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen zu
laufen. Die mit dem Antrag zu 1. c) begehrte Aussetzung des
Strafverfahrens hätte der Antragsgegner zu 1. frühestens nach
Einleitung des Ermittlungsverfahrens, also nach dem 30. April
2000, verlangen können, so dass auch die Frist frühestens
dann zu laufen begann.




65



2. Der Antragsteller ist auch
antragsbefugt.




66



Im Organstreit kann der einzelne Abgeordnete
die behauptete Verletzung oder Gefährdung jedes Rechts, das
mit seinem Status verfassungsrechtlich verbunden ist, geltend
machen. Sein Antrag ist zulässig, wenn nicht von vornherein
ausgeschlossen werden kann, dass der Antragsgegner Rechte des
Antragstellers, die aus dem verfassungsrechtlichen
Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten erwachsen, durch
die beanstandete rechtserhebliche Maßnahme verletzt oder
unmittelbar gefährdet hat (§ 64 Abs. 1 BVerfGG; vgl.
BVerfGE 94, 351 ; 99, 19 ).




67



a) Der Antragsteller rügt eine Verletzung von
Art. 38 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 46 Abs. 2 GG. Diese Rüge
ist zulässig. Zwar können sich aus Art. 46 Abs. 2 GG nicht
ohne weiteres Rechte eines einzelnen Abgeordneten gegenüber
dem Bundestag ergeben. Denn der Genehmigungsvorbehalt für die
strafrechtliche Verfolgung von Abgeordneten dient vornehmlich
dem Parlament als Ganzes. Der einzelne Abgeordnete hat aber
aus Art. 46 Abs. 2 i.V.m. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG einen
Anspruch darauf, dass sich das Parlament bei der Entscheidung
über die Aufhebung der Immunität nicht - den repräsentativen
Status des Abgeordneten grob verkennend - von sachfremden,
willkürlichen Motiven leiten lässt.




68



aa) Gemäß Art. 46 Abs. 2 GG darf ein
Abgeordneter wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung
grundsätzlich nur mit Genehmigung des Bundestags zur
Verantwortung gezogen oder verhaftet werden. Aus diesem
Wortlaut allein lässt sich ein subjektives Recht des
Abgeordneten gegenüber dem Bundestag auf den Fortbestand oder
die Aufhebung der Immunität nicht herleiten. Allerdings
begründet der Genehmigungsvorbehalt ein Verfahrenshindernis
zu Gunsten des Abgeordneten (vgl. Magiera, in: Sachs, GG, 2.
Aufl. 1999, Art. 46 Rn. 12; Klein, in: Schneider/Zeh,
Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik
Deutschland, 1989, § 17 Rn. 38). Gegenüber Maßnahmen der
Strafverfolgungsorgane kann er sich auf das Fehlen der
erforderlichen Genehmigung berufen.




69



bb) Auch aus der Geschichte des
Immunitätsrechts lässt sich ein Recht des Abgeordneten
gegenüber dem Parlament auf Aufrechterhaltung oder Aufhebung
seiner Immunität nicht herleiten. Historisch wurzelt die
Immunität in der Tradition des englischen Parlamentarismus.
Als Schutzvorkehrung gegen Übergriffe der Exekutive und
Judikative fand sie auf dem europäischen Kontinent ihren
ersten Niederschlag in den Verfassungsdokumenten der
Französischen Revolution. Der deutsche
Frühkonstitutionalismus knüpfte an diesen ausländischen
Vorbildern an (vgl. Klein, a.a.O., § 17 Rn. 9-14).
Sowohl die bayerische als auch die badische Verfassung von
1818, später auch die Paulskirchenverfassung, die
Reichsverfassung von 1871 und die Weimarer Verfassung
normierten ein Immunitätsrecht (vgl. Klein, a.a.O., § 17
Rn. 9 ff.; Butzer, Immunität im demokratischen
Rechtsstaat, 1991, S. 30 ff.). Der Wortlaut der
Immunitätsvorschriften ist seit mehr als einem Jahrhundert
nahezu unverändert (vgl. Butzer, a.a.O., S. 66).




70



In der Zeit des Frühkonstitutionalismus sollte
der Genehmigungsvorbehalt die monarchische Exekutive daran
hindern, unliebsame Abgeordnete durch die willkürliche
Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen in ihrer
parlamentarischen Tätigkeit zu behindern. Dieser Schutz des
einzelnen Abgeordneten diente zugleich der Erhaltung der
Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Gesamtparlaments (vgl.
Butzer, a.a.O., S. 75). Da die Entscheidung über die
Genehmigung der Strafverfolgung dem Parlament als Ganzem
übertragen war, wurde der Genehmigungsvorbehalt in der
parlamentarischen Praxis nicht als Vorrecht des einzelnen
Abgeordneten, sondern als "Schutzrecht des Hauses" angesehen
(vgl. Graf zu Dohna, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des
Deutschen Staatsrechts, 1. Band, 1930, S. 445).




71



Diese Auffassung war auch im Parlamentarischen
Rat vorherrschend. Der Abgeordnete Dr. de Chapeaurouge (CDU)
stellte in der zweiten Sitzung des Hauptausschusses vom 11.
November 1948 (S. 21 f. des Sitzungsprotokolls) den
Antrag, einem Abgeordneten, gegen dessen Willen die Aufhebung
seiner Immunität abgelehnt worden ist, das Recht der
Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht einzuräumen. Zur
Begründung verwies er auf einen Fall, in dem ein Abgeordneter
selbst um Aufhebung seiner Immunität gebeten hatte. Die
Abgeordneten Dr. Greve (SPD), Dr. Menzel (SPD), Walter (CDU)
und Dr. von Brentano (CDU) sprachen sich gegen den Antrag
aus. Es sei nicht möglich, ein Bundesverfassungsgericht in
eine Prüfung darüber eintreten zu lassen, ob das Parlament -
aus Gründen, die lediglich in seiner Institution liegen - die
Aufhebung der Immunität zu Recht abgelehnt habe oder nicht.
Zudem enthalte die Regelung in erster Linie ein Recht des
Parlaments und nicht des einzelnen Abgeordneten. Der
Abgeordnete Dr. de Chapeaurouge zog daraufhin seinen Antrag
zurück.




72



Auch die Anerkennung eines Anspruchs des
Abgeordneten darauf, dass sich das Parlament bei seiner
Immunitätsentscheidung nicht von sachfremden, willkürlichen
Motiven leiten lässt, wird zwar durch die historische
Entwicklung des Immunitätsrechts und die
Entstehungsgeschichte des Art. 46 Abs. 2 GG nicht gestützt;
sie stehen einem solchen Anspruch aber auch nicht entgegen.
Ein Schutz des einzelnen Abgeordneten gegenüber dem
Gesamtparlament ist erst unter Geltung des Grundgesetzes
durch die Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit und des
Organstreitverfahrens möglich geworden.




73



Im Parlamentarischen Rat ging es zudem um eine
besondere Konstellation, nämlich um Rechtsschutz gegen die
Aufrechterhaltung der Immunität. Dass der Abgeordnete über
die Immunität nicht disponieren, insbesondere nicht auf sie
verzichten kann, ist unbestritten (vgl. Schulze-Fielitz, in:
Dreier, GG, Bd. II, 1998, Art. 46 Rn. 23; Magiera, in: Sachs,
GG, 2. Aufl. 1999, Art. 46 Rn. 12; Trute, in: von
Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 5. Aufl. 2001, Art. 46 Rn. 23).




74



cc) Sinn und Zweck der Immunität bestätigen
ebenfalls, dass die Immunität dem Schutz des Parlaments
dient. Der den Genehmigungsvorbehalt des Art. 46 Abs. 2 GG
rechtfertigende und in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG zum Ausdruck
kommende Gedanke der Repräsentation begründet jedoch auch
einen Anspruch des Abgeordneten: Das Parlament muss die
Entscheidung über die Aufhebung der Immunität im Hinblick auf
den repräsentativen Status des Abgeordneten frei von Willkür
treffen.




75



Spätestens seit der Weimarer Republik wird
geltend gemacht, dass die Immunität ein Anachronismus und ihr
geschichtlicher Zweck seit dem Übergang von der
konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Demokratie
entfallen sei. Angesichts der Tatsache, dass die Regierung -
einschließlich des Justiz- und des Innenministers - vom
Vertrauen des Parlaments abhängig sei, könne die Gefahr
"tendenziöser Verfolgung" von Abgeordneten durch die
Exekutive kaum mehr praktisch werden (Bockelmann, Die
Unverfolgbarkeit der deutschen Abgeordneten nach deutschem
Immunitätsrecht, 1951, S. 11).




76



Die Ansicht, dass die Immunität im
demokratischen Rechtsstaat überholt und überflüssig sei,
unterstellt ein ideales Verhältnis von geschriebenem Recht
und Verfassungswirklichkeit. Die Gefahr willkürlicher
Verfolgung von Abgeordneten mag in einem funktionierenden
Rechtsstaat wenig wahrscheinlich sein. Gänzlich
auszuschließen ist sie nicht. Die Geschichte lehrt, wie
bereits der Bayerische Verfassungsgerichtshof zutreffend
festgestellt hat (Entscheidung vom 24. Oktober 1958,
BayVerfGH NF 11, 146 ), dass in Zeiten politischer
Spannungen keine sichere Gewähr dafür besteht, dass das
Parlament frei von Übergriffen der Behörden seinen Aufgaben
nachkommen kann. Die Schutzvorkehrung der Immunität soll
gerade dazu beitragen, dass das Parlament in kritischen
Situationen handlungsfähig bleibt.




77



Im Übrigen sind selbst korrekte, nicht in
politischer Absicht veranlasste behördliche Maßnahmen
geeignet, die Arbeit des Parlaments zu beeinträchtigen. Das
gilt gleichermaßen für jene Ermittlungen, die entweder durch
Anzeigen, die Streitlust Privater oder durch Verdächtigungen
seitens der Medien ausgelöst worden sind (vgl. BayVerfGH NF
11, 146 ; Klein, a.a.O., § 17 Rn. 68). Art.
46 Abs. 2 GG macht den Genehmigungsvorbehalt nicht davon
abhängig, ob die behördliche Maßnahme korrekt oder
rechtswidrig ist. Selbst die rechtlich einwandfreie
Strafverfolgungsmaßnahme gegen einen Abgeordneten setzt die
vorherige Genehmigung des Parlaments voraus. Auch in diesem
Falle kann das Parlament mit Rücksicht auf seine Belange die
Genehmigung verweigern.




78



Die Immunität findet heute ihre Rechtfertigung
vor allem im Repräsentationsprinzip. Auch wenn das
Grundgesetz den einzelnen Abgeordneten als "Vertreter des
ganzen Volkes" bezeichnet, so kann er dieses doch nur
gemeinsam mit den anderen Parlamentsmitgliedern
repräsentieren. Wird das Volk bei parlamentarischen
Entscheidungen nur durch das Parlament als Ganzes, d.h. durch
die Gesamtheit seiner Mitglieder, angemessen repräsentiert,
so muss die Mitwirkung aller Abgeordneten bei derartigen
Entscheidungen nach Möglichkeit und im Rahmen des im
demokratisch-parlamentarischen System des Grundgesetzes
Vertretbaren sichergestellt sein (vgl. BVerfGE 44, 308
; BVerfGE 80, 188 ; 84, 304
; vgl. auch Klein, a.a.O., § 17 Rn. 68;
Magiera, in: Bonner Kommentar, Art. 46 Rn. 15). Durch eine
Behinderung der parlamentarischen Arbeit des einzelnen
Abgeordneten werden nicht nur die vom Volke festgelegten
Mehrheitsverhältnisse verändert. Der
Strafverfolgungsmaßnahmen ausgesetzte Abgeordnete wird
möglicherweise auch gehindert, seine Sachkompetenz, seine
Erfahrungen, seine Überzeugungen und die Interessen seiner
Wähler in die parlamentarische Arbeit einzubringen. Auch
dadurch wird die parlamentarische Willensbildung, die auf
einen Ausgleich sozialer Gegensätze zielt, beeinträchtigt
(vgl. Wurbs, Regelungsprobleme der Immunität und der
Indemnität in der parlamentarischen Praxis, 1988, S. 24 -
27).




79



Nach wie vor soll die Immunität auch davor
schützen, dass missliebige Abgeordnete durch Eingriffe der
anderen Gewalten in ihrer parlamentarischen Arbeit behindert
werden (vgl. Wurbs, a.a.O., S. 23). Der durch Art. 38 Abs. 1
Satz 2 GG gewährleistete repräsentative verfassungsrechtliche
Status des Abgeordneten ist zugleich die Grundlage für die
repräsentative Stellung des Bundestags. Zwar übt dieser die
vom Volke ausgehende Staatsgewalt als "besonderes Organ" aus.
Doch nimmt der Bundestag seine Aufgaben und Befugnisse nicht
losgelöst von seinen Mitgliedern, sondern in der Gesamtheit
seiner Mitglieder wahr. Demgemäss ist jeder Abgeordnete
berufen, an der Arbeit des Bundestags, seinen Verhandlungen
und Entscheidungen teilzunehmen (vgl. BVerfGE 80, 188
; 102, 224 ). Durch
strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen wird der Abgeordnete in
der ungestörten Wahrnehmung seiner Aufgaben behindert. Daraus
folgt, dass der Bundestag bei der Freigabe der Ermittlungen
auch auf die aus dem Mandat folgenden Mitwirkungsrechte des
betroffenen Abgeordneten Bedacht nehmen muss. So darf er sich
über evident sachfremde behördliche Maßnahmen, die
offensichtlich die parlamentarische Arbeit eines missliebigen
Abgeordneten erschweren sollen, nicht hinwegsetzen. Jeder
einzelne Abgeordnete zählt und ist ein unentbehrliches
Element der Gesamtheit.




80



Bei der Entscheidung über die Genehmigung der
Strafverfolgung sind die Interessen des Parlaments und die
des betroffenen Abgeordneten gegenüber den anderen
Staatsgewalten nicht in jedem Falle gleichgerichtet. Der
Abgeordnete kann je nach dem parlamentarischen
Kräfteverhältnis auch gegenüber dem Parlament schutzbedürftig
sein. Parlament und Regierung stehen heute nicht in
Frontstellung einander gegenüber. Vielmehr verläuft die
Grenze quer durch das Plenum: Regierung und die sie
unterstützende Parlamentsmehrheit bilden gegenüber der
Opposition politisch eine Einheit (BVerfGE 102, 224
). Es kann deshalb nicht von vornherein
ausgeschlossen werden, dass die Parlamentsmehrheit sich bei
der Entscheidung über die Genehmigung des Strafverfahrens
sachfremde Erwägungen der Strafverfolgungsorgane zu Eigen
macht. In einem solchen Fall bedarf der Abgeordnete eines
verfassungsgerichtlich durchsetzbaren Schutzes. Um diesen
Schutz zu gewährleisten, hat der einzelne Abgeordnete aus
Art. 46 Abs. 2 i.V.m. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG einen Anspruch
darauf, dass der Bundestag die Entscheidung über die
Genehmigung von gegen ihn gerichteten
Strafverfolgungsmaßnahmen frei von Willkür trifft.




81



dd) Dass der Antragsgegner zu 1. diesen
Anspruch durch die Erteilung der Genehmigung vom 11. Mai 2000
zum Vollzug der Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen
verletzt hat, kann jedenfalls nicht von vornherein
ausgeschlossen werden.




82



b) Antragsbefugt ist der Antragsteller auch,
soweit er eine Verletzung von Art. 38 Abs. 1 Satz 2 i.V.m.
Art. 46 Abs. 4 GG geltend macht. Das Recht, die Aussetzung
des Strafverfahrens zu verlangen, steht nach Art. 46 Abs. 4
GG allein dem Bundestag zu. Ebenso wie der
Genehmigungsvorbehalt für die Einleitung eines
Strafverfahrens dient dieses Recht jedoch nicht nur dem
Bundestag selbst, sondern auch seinen Mitgliedern, durch
deren Gesamtheit der Bundestag seine Aufgaben wahrnimmt. Art.
46 Abs. 4 gewährt i.V.m. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG dem
Abgeordneten dementsprechend ein Recht gegenüber dem
Bundestag auf willkürfreie Entscheidung über das Verlangen,
das Strafverfahren auszusetzen. Dass der Antragsgegner zu 1.
dieses Recht verletzt hat, indem er in Kenntnis der gegen den
Antragsteller gerichteten strafprozessualen Maßnahmen von
einem solchen Aussetzungsverlangen abgesehen hat, ist
jedenfalls nicht ausgeschlossen.




83



3. Das im Organstreitverfahren auf Seiten des
Antragstellers erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (stRspr;
vgl. BVerfGE 87, 207 ) ist gegeben. Dass die
angegriffenen Maßnahmen inzwischen keine Wirkungen mehr
entfalten, schadet nicht (vgl. BVerfGE 10, 4 ; 41,
291 ; 49, 70 ). Der Streit zwischen den
Beteiligten über die Genehmigung von
Strafverfolgungsmaßnahmen kann sich jederzeit wiederholen.
Konkrete Anhaltspunkte für ein weiteres gegen den
Antragsteller gerichtetes Ermittlungsverfahren sind insoweit
nicht erforderlich.




C.




84



Die Anträge sind, soweit zulässig, nicht
begründet.




I.




85



Der Bundestag hat durch die Erteilung der
Genehmigung vom 11. Mai 2000 zum Vollzug der Durchsuchungs-
und Beschlagnahmeanordnungen den Anspruch des Antragstellers
aus Art. 46 Abs. 2 i.V.m. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG auf
willkürfreie Entscheidung nicht verletzt.




86



1. Die Aufhebung der Immunität eines
Abgeordneten ist eine Maßnahme im Rahmen der
Parlamentsautonomie, die der Bundestag grundsätzlich in
eigener Verantwortung trifft (vgl. BVerfGE 102, 224
). Die dem Parlament zustehende Autonomie
erstreckt sich nicht nur auf Angelegenheiten der
Geschäftsordnung. Autonomie bezeichnet die allgemeine
Befugnis des Parlaments, seine eigenen Angelegenheiten selbst
zu regeln (BVerfGE 102, 224 ). Die Genehmigung der
Durchführung von Strafverfahren gegen seine Mitglieder ist
eine eigene Angelegenheit des Parlaments; der
Genehmigungsvorbehalt dient vornehmlich dazu, die Arbeits-
und Funktionsfähigkeit des Parlaments zu erhalten. Daher
entscheidet das Parlament grundsätzlich in eigener
Verantwortung, ob es die Genehmigung erteilt oder
versagt.




87



Nach Nr. 4 Satz 2 der vom Ausschuss für
Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung beschlossenen
Grundsätze ist die Entscheidung über die Aufrechterhaltung
oder Aufhebung der Immunität eine "politische Entscheidung".
Der Kern dieser Entscheidung beruht auf einer
Interessenabwägung zwischen den Belangen des Parlaments und
den Belangen der anderen hoheitlichen Gewalten (Nr. 4 Satz 3
der Grundsätze). Bei dieser Abwägung kommt dem Bundestag ein
weiter Entscheidungsspielraum zu (vgl. BVerfGE 80, 188
; 84, 304 ). Der Abgeordnete hat keinen
Anspruch darauf, dass im Rahmen der Abwägung eine Überprüfung
stattfindet, die seine Interessen in den Vordergrund rückt.
Denn in erster Linie dient der Genehmigungsvorbehalt für die
strafrechtliche Verfolgung eines Abgeordneten dem Schutz des
Parlaments als Ganzes. Der Anspruch des Abgeordneten auf eine
willkürfreie Entscheidung über die Genehmigung der gegen ihn
gerichteten Strafverfolgungsmaßnahmen ist erst dann verletzt,
wenn das Parlament bei der erforderlichen Interessenabwägung
den verfassungsrechtlichen Status des betroffenen
Abgeordneten in grundlegender Weise verkannt hat.




88



Bereits das Prinzip der Repräsentation fordert
die Prüfung, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass versucht
wird, durch bewusst sachfremde Eingriffe die vom Wähler
gewollte Zusammensetzung des Parlaments zu verändern.
Jedenfalls wenn dies eindeutig und offensichtlich der Fall
ist, darf der Bundestag die Genehmigung nicht erteilen.




89



Das Interesse des Abgeordneten an einem Schutz
seiner Mandatsausübung erfordert jedoch keine darüber
hinausgehende Prüfung und Abwägung. Der Bundestag ist
insbesondere nicht verpflichtet, die nachteiligen Folgen zu
überdenken, die sich aus der Genehmigung der Strafverfolgung
für einen Landtagswahlkampf des Abgeordneten und für die
Übernahme weiterer politischer Ämter ergeben können. Art. 38
Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 46 Abs. 2 GG schützt den
Abgeordneten nur bei der Wahrnehmung der sich aus seinem
verfassungsrechtlichen Status als Mitglied des Bundestags
ergebenden Rechte und Pflichten.




90



Der Bundestag ist auch nicht verpflichtet, im
Rahmen der Abwägung die Schlüssigkeit des gegen den
Abgeordneten erhobenen Tatvorwurfs und die
Verhältnismäßigkeit der Ermittlungsmaßnahme zu prüfen. Die
Haltlosigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs und die
Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen können allerdings -
zusammen mit weiteren Indizien - auf ein politisches Motiv
für die Strafverfolgung hinweisen. Der Bundestag ist deshalb
nicht gehindert, die Schlüssigkeit des erhobenen Vorwurfs
über eine Evidenzkontrolle hinaus zu prüfen; verpflichtet ist
er hierzu nicht.




91



Er darf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der
Ermittlungsmaßnahmen den hierfür zuständigen Gerichten
überlassen. Das gilt selbst dann, wenn sich Anhaltspunkte für
eine politische Motivierung des Strafverfahrens nicht
ausschließen lassen. In einer solchen Situation kann es im
Interesse sowohl des Bundestags als auch des betroffenen
Abgeordneten liegen, zunächst den Ausgang des
Ermittlungsverfahrens abzuwarten und eine gerichtliche
Kontrolle der Ermittlungsmaßnahmen zu ermöglichen. Das Recht
und gegebenenfalls die Pflicht, gemäß Art. 46 Abs. 4 GG die
Aussetzung des Strafverfahrens zu verlangen, wenn sich im
Laufe des Verfahrens die Anhaltspunkte für eine politische
Motivierung der Strafverfolgung verdichten, bleibt
unberührt.




92



Etwas anderes gilt erst dann, wenn
vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann, dass das
Strafverfahren gegen den Abgeordneten aus sachfremden,
insbesondere politischen Motiven durchgeführt wird. Würde der
Bundestag auch in einem solchen Fall die strafprozessualen
Maßnahmen gestatten, so würde er sich die sachfremden
Erwägungen der Strafverfolgungsorgane zu Eigen machen und
dadurch selbst willkürlich handeln.




93



2. Nach diesem Maßstab ist die Erteilung der
Genehmigung vom 11. Mai 2000 zum Vollzug der Durchsuchungs-
und Beschlagnahmeanordnungen nicht zu beanstanden. Für den
Verdacht, diese Maßnahmen könnten politisch motiviert sein,
gab es im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundestags keine
augenfälligen Anhaltspunkte.




94



Der Antrag der Staatsanwaltschaft vom 5. Mai
2000 auf Erteilung der Genehmigung zum Vollzug der
Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen war nicht
offensichtlich unschlüssig. Die Staatsanwaltschaft stützte
den Verdacht einer Steuerhinterziehung auf einen nach den
Steuerklärungen 1993 bis 1997 nicht nachvollziehbaren
Vermögenszuwachs. Sie verglich die Aufwendungen des
Antragstellers und seiner damaligen Ehefrau für den Kauf - in
zwei Fällen auch den anschließenden Verkauf - von insgesamt
drei Immobilien und die Aufwendungen im Zusammenhang mit
Kapitalanlagen einerseits mit den in den Steuererklärungen
angegebenen Einkünften andererseits. Das Landgericht Kleve
hat insoweit keine Einwendungen erhoben. Ob die in die
Vergleichsrechnung eingestellten Einzelpositionen tragfähig
begründet waren, ließ sich - wie die 15 Seiten umfassende
Begründung des Beschlusses des Landgerichts Kleve zeigt - nur
aufgrund einer vertieften Auseinandersetzung in tatsächlicher
und rechtlicher Hinsicht mit den einzelnen Zahlungsvorgängen
feststellen. Eine solche Prüfung ist nicht Aufgabe des
Bundestags bei seiner Entscheidung über die Aufhebung der
Immunität. Ob bereits bei der Begründung des Anfangsverdachts
einer Hinterziehung von Einkommensteuer die angeblich
hinterzogenen Steuern den einzelnen Veranlagungszeiträumen
zugeordnet werden müssen oder ob in diesem Verfahrensstadium
noch eine zusammengefasste Betrachtung mehrerer Jahre genügt,
ist eine nicht vom Bundestag zu beurteilende strafrechtliche
Frage.




95



Die angeordneten Durchsuchungen beim
Antragsteller waren auch nicht evident unverhältnismäßig.
Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts durch Rückfrage beim
Antragsteller, die insoweit allein in Betracht gekommen wäre,
hätte den Erfolg der Durchsuchungen gefährdet. Aus diesem
Grund brauchten auch der Bundestag und der Ausschuss für
Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung dem Antragsteller
vor der Erteilung der Genehmigung kein rechtliches Gehör zu
gewähren (vgl. BVerfGE 9, 89 ; 57, 346
; 83, 24 ). Ob und unter
welchen Voraussetzungen eine solche Verpflichtung in
Immunitätsangelegenheiten überhaupt bestehen kann, braucht
hier nicht entschieden zu werden.




96



Die zeitliche Nähe zur Landtagswahl in
Nordrhein-Westfalen und die Benennung des Antragstellers als
Kandidat für das Amt des nordrhein-westfälischen
Justizministers für den Fall eines Wahlsiegs der CDU waren
zwar Umstände, die eine besondere Aufmerksamkeit für eine
etwaige politisch motivierte Einflussnahme auf das gegen den
Antragsteller gerichtete Strafverfahren verlangten. Für sich
allein genügten diese Umstände aber nicht, um die
strafrechtliche Verfolgung des Antragstellers als willkürlich
erscheinen zu lassen. Weitere greifbare Anhaltspunkte für
eine politische Einflussnahme auf das Strafverfahren gab es
nicht. Der möglicherweise irreführende Hinweis im ersten
Schreiben des Leitenden Oberstaatsanwalts vom 17. April 2000
auf eine drohende Verfolgungsverjährung war, nachdem die
Verjährung jedenfalls durch die richterlichen Durchsuchungs-
und Beschlagnahmeanordnungen vom 4. Mai 2000 unterbrochen war
(vgl. § 78c Abs. 1 Nr. 4 StGB), im zweiten Schreiben des
Leitenden Oberstaatsanwalts vom 5. Mai 2000 nicht mehr
enthalten. Die Frage der Verjährung hat deshalb, wie die
Vorsitzende des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung, Abgeordnete Erika Simm, und das der
CDU-Fraktion angehörende Mitglied des Ausschusses, MdB Eckart
von Klaeden, in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend
erklärt haben, für den Zeitpunkt der Genehmigung keine Rolle
gespielt. Die zeitliche Nähe der Ermittlungsmaßnahmen zur
Landtagswahl und die exponierte Stellung des Antragstellers
im dortigen Wahlkampf waren im Übrigen allgemein bekannt.




II.




97



Der Bundestag hat auch nicht den Anspruch des
Antragstellers aus Art. 46 Abs. 4 i.V.m. Art. 38 Abs. 1 Satz
2 GG auf eine willkürfreie Entscheidung über das Verlangen,
das gegen ihn gerichtete Strafverfahren auszusetzen,
verletzt. Denn auch nach Erteilung der Genehmigung zum
Vollzug der Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen gab
es keine augenfälligen Anhaltspunkte dafür, dass das gegen
den Antragsteller gerichtete Strafverfahren sachfremden
Zwecken diente und ihn in seiner parlamentarischen Arbeit
behindern sollte.




98



Am Tag nach den Durchsuchungen teilte der
Antragsteller auf einer Pressekonferenz zwar mit, er habe
seine Vermögensverhältnisse gegenüber der Staatsanwaltschaft
offengelegt und dadurch die gegen ihn erhobenen Vorwürfe
ausgeräumt. Die Auswertung der beschlagnahmten und der vom
Antragsteller vorgelegten Unterlagen durfte der Bundestag
aber weiterhin der zuständigen Staatsanwaltschaft, die
rechtliche Überprüfung der Durchsuchungs- und
Beschlagnahmeanordnungen den Gerichten überlassen. Eine
Anhörung durch den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung hat der Antragsteller nach den
Durchsuchungen selbst nicht beantragt und im Übrigen dem
Ausschuss auch keine neuen Tatsachen unterbreitet. Die
Erforderlichkeit einer solchen Anhörung musste sich dem
Ausschuss auch nicht aufdrängen. Es war nicht Aufgabe des
Bundestags, ein etwaiges Fehlverhalten der Justizbehörden des
Landes Nordrhein-Westfalen aufzuklären und den Antragsteller
gegebenenfalls hierfür zu rehabilitieren. Neue Erkenntnisse,
die hätten Anlass geben können, die erteilte Genehmigung zu
überprüfen, hätten sich allenfalls aus dem Beschluss des
Landgerichts Kleve vom 11. August 2000 ergeben können. Dieser
wurde dem Bundestag aber erst bekannt, nachdem die
Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren bereits von sich
aus eingestellt hatte.




 




Limbach
Sommer
Jentsch


Hassemer
Broß
Osterloh


Di Fabio

Mellinghoff







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