1. Senat - Tariffähigkeit - Tarifzuständigkeit - Aussetzung
Karar Dilini Çevir:
1. Senat - Tariffähigkeit - Tarifzuständigkeit - Aussetzung
10:57 - 2 - BUNDESARBEITSGERICHT 1 AZB 47/11 2 Ta 44/11 Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern BESCHLUSS In Sachen Kläger, Beschwerdegegner und Rechtsbeschwerdeführer, pp. Beklagte, Beschwerdeführerin und Rechtsbeschwerdegegnerin, hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts am 24. Juli 2012 beschlossen: 1. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 17. August 2011 - 2 Ta 44/11 - aufgehoben. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Schwerin vom 16. Mai 2011 - 3 Ca 200/11 - wird zurückgewiesen. - 2 - 1 AZB 47/11 10:57 - 3 - 2. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gründe I. Der Kläger war bei der Beklagten vom 1. Juli 2007 bis zum 31. Mai 2008 als Leiharbeitnehmer beschäftigt. Im Arbeitsvertrag war die Anwendung der jeweils gültigen Tarifverträge zwischen dem Arbeitgeberverband Mittelstän-discher Personaldienstleister (AMP) und der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) verein-bart. Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger Differenzlohnansprüche gemäß § 9 Nr. 2 AÜG geltend. Die Beklagte hat beantragt, das Verfahren nach § 97 Abs. 5 ArbGG auszusetzen. Diesen Antrag hat das Arbeitsgericht abgewiesen. Auf die soforti-ge Beschwerde der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht den Rechtsstreit bis zur Klärung der Tariffähigkeit der CGZP „zum Zeitpunkt des Abschlusses der zwischen dem 01.07.2007 und 31.05.2008 einschlägigen Tarifverträge“ ausgesetzt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers. II. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Ein Grund für die Aussetzung des Verfahrens bis zu einer Entscheidung über die Tariffähigkeit der CGZP besteht nicht. Die angefochtene Entscheidung unterliegt schon deshalb der Aufhebung, weil es an einer Begründung für die Entscheidungserheblichkeit der Tariffähig-keit der CGZP fehlt und der Zeitpunkt für das Vorliegen dieser Eigenschaft nicht hinreichend bezeichnet ist. Einer darauf gestützten Zurückverweisung bedarf es indes nicht, da die fehlende Tariffähigkeit der CGZP rechtskräftig festgestellt ist. 1. Nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG hat das Gericht das Verfahren bis zur Erledigung eines Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG auszuset-zen, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits davon abhängt, ob eine Ver-einigung tariffähig ist oder ob die Tarifzuständigkeit der Vereinigung gegeben ist. Über die für die Ordnung des Arbeitslebens bedeutsame Eigenschaft der 1 2 3 4 - 3 - 1 AZB 47/11 10:57 - 4 - Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit einer Vereinigung soll in einem objektivier-ten Verfahren, in dem die jeweils beteiligten Personen und Stellen anzuhören sind (§ 97 Abs. 2 iVm. § 83 Abs. 3 ArbGG), einheitlich mit Wirkung gegenüber jedermann entschieden werden. Zu den formellen Voraussetzungen eines Aussetzungsbeschlusses, der die Grundlage für das nach § 97 Abs. 5 Satz 2 ArbGG einzuleitende Beschlussverfahren bildet, gehört die Begründung der Entscheidungserheblichkeit der vorgenannten Eigenschaften und die Angabe des Zeitpunkts, für den diese geklärt werden sollen. a) Die Entscheidungserheblichkeit iSd. § 97 Abs. 5 ArbGG liegt nur vor, wenn der prozessuale Anspruch der klagenden Partei allein von der Geltung einer bestimmten Kollektivvereinbarung als Tarifvertrag iSd. § 1 Abs. 1 TVG abhängt. Eine Aussetzung hat zu unterbleiben, wenn über den erhobenen Anspruch ohne die Klärung der in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG genannten Eigen-schaften entschieden werden kann (BAG 28. Januar 2008 - 3 AZB 30/07 - Rn. 10, AP ArbGG 1979 § 97 Nr. 17 = EzA ArbGG 1979 § 97 Nr. 9). Dies setzt eine vorherige Prüfung der Schlüssigkeit und der Erheblichkeit des Parteivor-bringens in Bezug auf die Klageforderung ebenso voraus wie die Durchführung einer ggf. notwendigen Beweisaufnahme. Die Entscheidung über den erhobe-nen Anspruch darf nur noch vom Vorliegen der Tariffähigkeit oder der Tarifzu-ständigkeit der Vereinigung abhängen. Im Aussetzungsbeschluss ist daher zu begründen, dass und in welchem Umfang die in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG genannten Eigenschaften für den erhobenen prozessualen Anspruch von Bedeutung sind. Es stünde im Widerspruch zum Beschleunigungsgrundsatz (§ 9 Abs. 1, § 61a Abs. 1 ArbGG) wie auch zu den Grundsätzen der Verfah-rensökonomie, die Parteien des Ausgangsverfahrens auf die Durchführung eines Beschlussverfahrens über die Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit einer Vereinigung zu verweisen, ohne dass zuvor feststeht, in welcher Weise das Ergebnis des auszusetzenden Verfahrens von der Durchführung eines solchen Beschlussverfahrens abhängt. 5 - 4 - 1 AZB 47/11 10:57 - 5 - b) Das Arbeitsgericht hat im Aussetzungsbeschluss nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG den Zeitpunkt, zu dem die in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG genannten Eigenschaften vorliegen müssen, anzugeben. Unzureichend ist es, wenn im Tenor oder in den Gründen nur die Dauer des Arbeitsverhältnisses angegeben wird und auf die in diesem Zeitraum geltenden Tarifverträge verwiesen wird. Vielmehr ist das Abschlussdatum des für entscheidungserheblich angesehenen Tarifvertrags konkret zu bezeichnen, da sich in den Beschlussverfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG die Antragsbefugnis der Parteien des Ausgangs-rechtsstreits für die Klärung der dort genannten Eigenschaften nach dem im Aussetzungsbeschluss angeführten Zeitpunkt bestimmt (vgl. BAG 29. Juni 2004 - 1 ABR 14/03 - zu B I 2 a der Gründe, BAGE 111, 164). 2. Die Aussetzung eines Verfahrens nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG darf nur erfolgen, wenn zumindest eine der in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG genannten Eigenschaften einer Vereinigung aufgrund vernünftiger Zweifel streitig ist, wobei im Arbeitsleben geäußerte Vorbehalte zu berücksichtigen und vom Arbeitsge-richt aufzugreifen sind (BAG 14. Dezember 2010 - 1 ABR 19/10 - Rn. 59, AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 6 = EzA TVG § 2 Nr. 31). Danach ist der Ausgangs-rechtsstreit nicht schon dann auszusetzen, wenn die Tariffähigkeit oder die Tarifzuständigkeit einer Vereinigung nur von einer Partei ohne Angabe nach-vollziehbarer Gründe in Frage gestellt wird. Eine solche Auslegung der Ausset-zungspflicht in § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG würde den sich aus dem Rechts-staatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ergebenden Anforderungen an die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes nicht genügen. a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgt für zivilrechtliche Streitigkeiten aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm. Art. 20 Abs. 3 GG) die Verpflichtung der Fachgerichte, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit abzu-schließen. Dabei ist die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Um-ständen des Einzelfalls zu bestimmen (vgl. BVerfG 1. Senat 3. Kammer 2. De-zember 2011 - 1 BvR 314/11 - zu III 1 a der Gründe, ZIP 2012, 177). Dieses Gebot hat der Gesetzgeber für die arbeitsgerichtlichen Verfahren einfach-6 7 8 - 5 - 1 AZB 47/11 10:57 - 6 - gesetzlich durch den Beschleunigungsgrundsatz normiert. Dieser Grundsatz verpflichtet die Gerichte für Arbeitssachen, die bei ihnen anhängigen Verfahren, unter Beachtung des materiellen und des Verfahrensrechts zügig zum Ab-schluss zu bringen. Der Beschleunigungsgrundsatz stellt nicht nur einen unver-bindlichen Programmsatz dar, sondern ist bei der Auslegung von Verfahrens-vorschriften zu beachten, die Einfluss auf die Dauer des Rechtsstreits haben (BAG 5. August 1982 - 2 AZR 199/80 - zu B II 4 c der Gründe, BAGE 40, 17). Zwar wird einer raschen Verfahrensbeendigung durch § 9 Abs. 1, § 61a Abs. 1 ArbGG kein absoluter Vorrang gegenüber der Verwirklichung von materieller Gerechtigkeit eingeräumt. Deren Wert kann jedoch durch eine verzögerte oder verspätete Entscheidung beeinträchtigt werden. Bei Klagen auf Arbeitsvergü-tung ist zu berücksichtigen, dass die Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis für den Arbeitnehmer vielfach seine alleinige wirtschaftliche Lebensgrundlage darstel-len. Eine Aussetzung des Ausgangsrechtsstreits hat zur Folge, dass die kla-gende Partei ihr Recht auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht innerhalb angemessener Zeit durchsetzen kann und überdies mit dem Insol-venzrisiko der beklagten Partei belastet wird. Ein Verfahrensstillstand durch eine nicht gebotene Aussetzung des Rechtsstreits stellt eine nachhaltige Ver-letzung des Beschleunigungsgebots dar. Darüber hinaus ist die Durchführung eines nach § 97 Abs. 5 Satz 2 ArbGG eingeleiteten Beschlussverfahrens über die in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG genannten Eigenschaften für alle anzuhörenden Beteiligten regelmäßig mit einem hohen finanziellen und organisatorischen Aufwand verbunden. b) Die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Beschleunigungsgrund-satz ergebenden Vorgaben dürfen daher bei der Auslegung der Anforderungen für die Aussetzungsentscheidung nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG nicht unbe-rücksichtigt bleiben. Eine Aussetzung des Ausgangsrechtsstreits ist auch unter Berücksichtigung des Normzwecks des § 97 Abs. 5 ArbGG nicht geboten, wenn die Beurteilung der Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit einer Vereinigung ein Verfahren nach § 97 ArbGG nicht erfordert. Eines solchen Verfahrens bedarf es nicht, wenn über die Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit einer Vereinigung 9 - 6 - 1 AZB 47/11 10:57 - 7 - für den entscheidungserheblichen Zeitpunkt bereits rechtskräftig entschieden ist. Gleiches gilt, wenn am Vorliegen der in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG genannten Eigenschaften keine vernünftigen Zweifel bestehen. Nur ein solches Verständ-nis trägt einerseits den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewäh-rung von effektivem Rechtsschutz Rechnung und berücksichtigt den Norm-zweck des § 97 ArbGG. 3. Danach liegt ein Grund für die Aussetzung des Rechtsstreits nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG zur Einleitung eines Beschlussverfahrens über die Tarif-fähigkeit der CGZP nicht vor. a) Die angefochtene Entscheidung ist schon deshalb aufzuheben, weil das Landesarbeitsgericht die Entscheidungserheblichkeit der Tariffähigkeit der CGZP nicht begründet hat. Es hat in seinem Aussetzungsbeschluss weder die Schlüssigkeit der Klageforderung festgestellt noch ist es auf die von der Beklag-ten dagegen erhobenen Einwendungen eingegangen. Ebenso kann der ange-fochtenen Entscheidung nicht entnommen werden, von welchen Tarifverträgen aus Sicht des Landesarbeitsgerichts die Beurteilung der Klageforderung ab-hängt. Diese werden weder in den Gründen aufgeführt noch ist dort oder im Tenor ein Zeitpunkt angegeben, für den in einem nachfolgenden Beschlussver-fahren die Tariffähigkeit der CGZP beurteilt werden soll. b) Der Senat kann von einer hierauf gestützten Zurückverweisung abse-hen. Dabei kann offen bleiben, ob das Beschwerdegericht das Verfahren wegen der aus seiner Sicht klärungsbedürftigen Frage der Tariffähigkeit der CGZP nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG zu Recht ausgesetzt hat. Nach dem Senatsbe-schluss vom 14. Dezember 2010 (- 1 ABR 19/10 - Rn. 59, AP TVG § 2 Tariffä-higkeit Nr. 6 = EzA TVG § 2 Nr. 31) und der in Rechtskraft erwachsenen Ent-scheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Januar 2012 (- 24 TaBV 1285/11 ua. - DB 2012, 693) steht fest, dass die CGZP im zeitlichen Geltungsbereich ihrer Satzungen vom 11. Dezember 2002, 5. Dezember 2005 sowie vom 8. Oktober 2009 weder als Gewerkschaft nach § 2 Abs. 1 TVG noch als Spitzenorganisation nach § 2 Abs. 3 TVG tariffähig ist (BAG 23. Mai 2012 10 11 12 - 7 - 1 AZB 47/11 10:57 - 1 AZB 67/11 - Rn. 5, NZA 2012, 625; 23. Mai 2012 - 1 AZB 58/11 - Rn. 12, NZA 2012, 623). Eines erneuten Verfahrens nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG bedarf es danach nicht mehr. Schmidt Linck Koch

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