1. Senat - Fortgeltung einer Betriebsvereinbarung nach Zusammenfassung von Betrieben zu neuen Organisationseinheiten
Karar Dilini Çevir:
1. Senat - Fortgeltung einer Betriebsvereinbarung nach Zusammenfassung von Betrieben zu neuen Organisationseinheiten
- 2 - BUNDESARBEITSGERICHT 1 ABR 110/09 5 TaBV 6/08 Landesarbeitsgericht München Im Namen des Volkes! Verkündet am 7. Juni 2011 BESCHLUSS Klapp, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle In dem Beschlussverfahren mit den Beteiligten 1. Antragsteller und Beschwerdeführer, 2. Arbeitgeberin und Rechtsbeschwerdeführerin, hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der Anhörung vom 7. Juni 2011 durch den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Linck als Vor-sitzenden, den Richter am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. Koch, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Spelge sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Münzer und Schuster für Recht erkannt: - 2 - 1 ABR 110/09 - 3 - 1. Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts München vom 11. März 2009 - 5 TaBV 6/08 - aufgehoben. 2. Das Verfahren wird zur neuen Anhörung und Ent-scheidung an das Landesarbeitsgericht zurückver-wiesen. Von Rechts wegen! Gründe A. Die Beteiligten streiten über die Geltung einer Betriebsvereinbarung. Die Arbeitgeberin betreibt ein Unternehmen, das Finanzprodukte der Deutschen Postbank AG und Dienstleistungen des Konzerns der Deutschen Postbank AG vermittelt und vertreibt. Zur Deutschen Post AG gehörte im Jahre 1997 ua. die Niederlassung München, für die ein eigener Betriebsrat gewählt war. Am 12. November 1997 schlossen die Deutsche Post AG, Niederlassung München, und der bei der Niederlassung Postfilialen München gebildete Betriebsrat die Betriebsverein-barung zum Jahresarbeitszeitmodell (BV JAZMO) ab, die in der Fassung vom 22. Januar 2001 bis heute ungekündigt ist. Darin ist für einzelne Filialen die Einführung von Gruppenarbeit mit einer eigenverantwortlichen Planung der Arbeitszeit durch die Arbeitnehmer geregelt (§§ 1, 3 BV JAZMO). In der Anlage 3 der BV JAZMO ist vorgesehen, dass zur Festlegung des Personalbedarfs für die Koordination innerhalb der Gruppe und für die Wahrnehmung der dem Gruppensprecher obliegenden Aufgaben Zeitzuschläge zugrunde gelegt wer-den. Die Arbeitgeberin ist nach zahlreichen Unternehmensspaltungen, Ver-schmelzungen und Umfirmierungen innerhalb des Konzerns der Deutschen Postbank AG entstanden. Mehrere vormals selbständige Betriebe einzelner konzernangehöriger Unternehmen wurden dabei durch einen Tarifvertrag nach 1234 - 3 - 1 ABR 110/09 - 4 - § 3 BetrVG zu zehn regionalen Betrieben - unter ihnen auch der Betrieb Mün-chen - zusammengefasst. Der Betriebsrat ist der Auffassung, die BV JAZMO gelte in den näher bezeichneten Filialen weiterhin normativ. Von den Umstrukturierungen sei allein die Unternehmensebene betroffen gewesen. Hingegen seien die Organisation auf betrieblicher Ebene und der Betriebszweck nicht verändert worden. Der Betriebsrat hat - soweit für die Rechtsbeschwerde noch von Be-deutung - beantragt: festzustellen, dass die Betriebsvereinbarung zum Jahres-arbeitszeitmodell vom 12. November 1997 in ihrer Fas-sung vom 22. Januar 2001 in den Filialen München 1, München 15, München 33, München 40, München 44, München 45, München 70, München 701, München 71, München 801, München 81, München 83, München 90, München 60, Bad Reichenhall, Freilassing 1, Rosen-heim 1, Füssen 1, Kaufbeuren 1 Anwendung findet. Die Arbeitgeberin hat Antragsabweisung beantragt. Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen, das Landesarbeits-gericht hat ihm entsprochen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde erstrebt die Arbeit-geberin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zu-rückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung (§ 563 Abs. 1 ZPO). Auf der Grundlage der vom Landes-arbeitsgericht getroffenen Feststellungen ist dem Senat eine eigene Sachent-scheidung nicht möglich. I. Der Antrag des Betriebsrats ist zulässig. 1. Der Antrag bedarf zunächst der Auslegung. Mit der vom Betriebsrat begehrten Feststellung, dass die BV JAZMO in den in seinem Antrag im Einzel-nen bezeichneten Filialen „Anwendung findet“ geht es dem Betriebsrat - wie er in der Anhörung vor dem Senat klargestellt hat - um die Feststellung, dass 567891011 - 4 - 1 ABR 110/09 - 5 - diese Betriebsvereinbarung auch nach den erfolgten Umstrukturierungen in den bezeichneten Filialen unmittelbar und zwingend gilt. 2. Der so verstandene Antrag ist zulässig. Er ist hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, da der Betriebsrat die Filialen, in denen die BV JAZMO normativ Anwendung finden soll, im Einzelnen konkret benannt hat. Damit bestehen keine Unklarheiten darüber, auf welche betrieblichen Strukturen sich der Antrag bezieht. Er ist auf das Bestehen eines Rechtsverhältnisses iSd. § 256 Abs. 1 ZPO gerichtet. Die von ihm begehrte Feststellung der normativen (Fort-)Geltung der BV JAZMO betrifft das betriebsverfassungsrechtliche Rechtsverhältnis der Beteiligten. Der Betriebsrat hat auch das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an der begehrten gerichtlichen Feststellung. Die Arbeitgeberin hat die unmittelbare und zwingende Geltung der BV JAZMO in den im Antrag aufgeführten Filialen in Abrede gestellt. Mit dem Feststellungsantrag ist eine umfassende Klärung des zwischen den Beteiligten bestehenden Streits über die Anwendbarkeit der Betriebsvereinbarung möglich. II. Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats zu Unrecht entsprochen. 1. Nach der Senatsrechtsprechung lässt die bloße Zusammenfassung von Betrieben mit bis dahin eigener Arbeitnehmervertretung zu einer größeren betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheit durch Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b BetrVG die betriebsverfassungsrechtliche Identität der zusammengefassten Einheiten unberührt. Tatsächliche Veränderungen der bisherigen Betriebsorganisation gehen mit einer solchen Zusammenfassung nicht notwendig einher. Dementsprechend bleiben, sofern nicht der Arbeitgeber den Abschluss des Zuordnungstarifvertrags zum Anlass nimmt, durch zusätz-liche Maßnahmen die Organisations- und Leitungsstruktur der betroffenen Betriebe auch tatsächlich zu ändern, die tariflich zusammengefassten Betriebe als organisatorisch getrennte Teileinheiten der tariflich geschaffenen größeren Organisationseinheit bestehen. Auch wenn die Betriebe nach der ersten Be-triebsratswahl in der neuen Einheit keine eigenständigen Arbeitnehmerver-tretungen mehr haben, behalten sie doch ihre Leitungs- und Organisations-121314 - 5 - 1 ABR 110/09 - 6 - struktur bei. Sie sind dann organisatorisch klar abgegrenzte Teile des nach § 3 Abs. 5 BetrVG fingierten Einheitsbetriebs. Der Fortbestand der betrieblichen Einheiten hat deshalb zur Folge, dass die in ihnen geltenden Betriebsverein-barungen im fingierten Einheitsbetrieb normativ fortwirken. Ihre Geltung ist auf den Betriebsteil des Einheitsbetriebs beschränkt, der ihrem bisherigen Geltungsbereich entspricht (BAG 18. März 2008 - 1 ABR 3/07 - Rn. 27 ff., BAGE 126, 161). 2. Das Landesarbeitsgericht hat danach zu Unrecht angenommen, die Zuordnung des vormaligen betriebsratsfähigen Betriebs zu einer neuen Organi-sationseinheit durch einen Tarifvertrag nach § 3 BetrVG habe an der normati-ven Fortgeltung der BV JAZMO nichts geändert, weil der bisherige Geltungs-bereich dieser Betriebsvereinbarung unabhängig davon, ob die Identität des ursprünglichen Betriebs „Niederlassung Postfilialen München“ erhalten ge-blieben sei, nach wie vor räumlich und organisatorisch abgegrenzt werden könne. Für die Fortgeltung der BV JAZMO kommt es hierauf nicht an. Maßgeblich ist vielmehr, ob trotz der erfolgten Zusammenfassung von Be-trieben zu neuen Organisationseinheiten die betriebsverfassungsrechtliche Identität der zusammengefassten Einheiten unberührt geblieben ist. Die räum-liche und organisatorische Abgrenzbarkeit des bisherigen Geltungsbereichs innerhalb der neuen Organisationseinheit allein ist kein taugliches Ab-grenzungskriterium. Damit wird nicht genügend beachtet, dass eine Fortgeltung der Betriebsvereinbarung in diesen Fallkonstellationen nur gerechtfertigt ist, wenn die ursprüngliche organisatorische (Teil-)Einheit als betriebsverfassungs-rechtlicher Bezugspunkt fortbesteht. Entscheidend ist daher, ob die Organisation der Arbeitsabläufe, der Betriebszweck und die Leitungsstruktur, welche die Betriebsidentität prägen, nach der erfolgten Zusammenfassung von Betrieben zu neuen Organisationseinheiten unverändert geblieben sind. 3. Auf der Grundlage des vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sach-verhalts kann der Senat nicht selbst in der Sache entscheiden. Der Rechtsstreit war deshalb nach Aufhebung des angefochtenen Beschlusses (§ 562 Abs. 1 ZPO) an das Beschwerdegericht zur neuen Anhörung und Entscheidung 1516 - 6 - 1 ABR 110/09 zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Dem bisherigen Vortrag der Be-teiligten ist nicht zu entnehmen, welche Organisations- und Leitungsstruktur in dem Betrieb der Niederlassung München beim Abschluss der BV JAZMO im Jahre 1997 bestand und welche Betriebszwecke dort verfolgt wurden. Das Landesarbeitsgericht hat zu etwaigen Veränderungen keine Feststellungen getroffen. Es hat zwar im Hinweisbeschluss vom 31. Oktober 2008 darauf hingewiesen, dass nicht nachvollzogen werden könne, aufgrund welcher organisatorischen Veränderungen auf betrieblicher Ebene die Um-strukturierungen zum 1. Januar 2005 zum Untergang des bisherigen Betriebs Deutsche Post AG, Vertriebsdirektion München, Betrieb München geführt haben. Diese Hinweise greifen jedoch zu kurz. Es hätte vielmehr weitergehend aufgeklärt werden müssen, inwieweit sich die Betriebsidentität seit dem Ab-schluss der Betriebsvereinbarung bis heute geändert hat. Der Betriebsrat hat hierzu lediglich pauschal vorgetragen, die Organisationsstruktur sei unver-ändert geblieben, an der Spitze des Betriebs habe ein Vertriebsdirektor ge-standen. Wie sich die Organisation und Leitung allerdings konkret dargestellt haben, ist vom Betriebsrat nicht näher ausgeführt worden. Linck Koch Spelge Für den aus dem Amt ausgeschiede-nen ehrenamtlichen Richter Dr. Münzer Linck N. Schuster

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