1. Senat - Betriebsrat - Antragsbefugnis - Normenkontrolle
Karar Dilini Çevir:
1. Senat - Betriebsrat - Antragsbefugnis - Normenkontrolle
- 2 - BUNDESARBEITSGERICHT 1 ABR 75/11 9 TaBV 168/10 Hessisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes! Verkündet am 5. März 2013 BESCHLUSS Klapp, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle In dem Beschlussverfahren mit den Beteiligten 1. Antragsteller, Beschwerdeführer und Rechtsbeschwerdeführer, 2. 3. - 2 - 1 ABR 75/11 - 3 - 4. 5. hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der Anhörung vom 5. März 2013 durch die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts Schmidt, die Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Linck und Prof. Dr. Koch sowie die ehren-amtlichen Richter Dr. Gentz und Berg für Recht erkannt: Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Schlussbeschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 7. Juli 2011 - 9 TaBV 168/10 - wird zurückgewiesen. Von Rechts wegen! Gründe A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit von Altersgrenzenregelun-gen in Betriebsvereinbarungen. Antragsteller ist der Betriebsrat eines am Standort W bestehenden Ge-meinschaftsbetriebs. Dessen Inhaber sind seit einem am 1. Juli 2010 vollzoge-nen Betriebsinhaberwechsel die zu 2. (PGM) und zu 3. (PGS) beteiligten Arbeitgeberinnen. In dem Gemeinschaftsbetrieb finden kraft deren Tarifbindung die Tarifverträge der Chemischen Industrie Anwendung. Zu diesen gehört auch 1 2 - 3 - 1 ABR 75/11 - 4 - der im Jahr 2008 abgeschlossene Tarifvertrag „Lebensarbeitszeit und Demo-grafie“ (TVLD). Dieser enthält ua. Regelungen über die Durchführung einer Demografieanalyse in den Betrieben und die Gestaltung von Arbeitszeitmodel-len. Die PGM schloss mit ihrem zu 4. beteiligten Gesamtbetriebsrat am 24. November 2009 eine „Freiwillige Gesamtbetriebsvereinbarung Umsetzung des Demografietarifvertrags“ (GBV 2009) ab. Deren § 5 enthält eine auf das Erreichen des Regelrentenalters bezogene Altersgrenze. Eine inhaltsgleiche Altersgrenzenregelung vereinbarte auch die PGS mit ihrem zu 5. beteiligten Gesamtbetriebsrat. Im Gemeinschaftsbetrieb W bestand seit dem 12. Dezember 2008 eine zwischen den vormaligen Betriebsinhaberinnen und dem Betriebsrat vereinbar-te Betriebsordnung (BO 2008). Nach deren Nr. 11.1 endete das Arbeitsverhält-nis ohne Kündigung mit Ablauf des Kalendermonats, in dem das jeweils gültige gesetzliche Rentenalter vollendet wird. Am 23. Dezember 2009 schloss der Betriebsrat W eine „Freiwillige Betriebsvereinbarung Umsetzung des Demogra-fietarifvertrags“ (BV 2009). § 4 BV 2009 enthält eine mit § 5 GBV 2009 überein-stimmende Altersgrenzenregelung. Der Betriebsrat W hat die von ihm abgeschlossenen betrieblichen Al-tersgrenzenregelungen wie auch § 5 GBV 2009 für unwirksam gehalten. Alters-grenzenvereinbarungen in Betriebsvereinbarungen seien generell unzulässig. Jedenfalls sei ein Gesamtbetriebsrat hierfür nicht zuständig. Der Betriebsrat W hat - soweit für die Rechtsbeschwerde von Bedeu-tung - zuletzt beantragt, a) festzustellen, dass § 4 der Betriebsvereinbarung „Umsetzung des Demografietarifvertrags“ vom 23. Dezember 2009 und Ziffer 11.1 der Betriebsordnung vom 8. Dezember 2009 rechtsunwirksam sind und keine Rechtswirkung entfalten, b) … c) festzustellen, dass § 5 GBV „Umsetzung des Demo-grafietarifvertrags“ zwischen der Geschäftsleitung der Beteiligten zu 2. und dem Beteiligten zu 4. und § 5 GBV „Umsetzung des Demografietarifvertrags“ 3 4 5 6 - 4 - 1 ABR 75/11 - 5 - zwischen der Geschäftsleitung der Beteiligten zu 3. und dem Beteiligten zu 5. rechtsunwirksam sind und keine Rechtswirkung entfalten. Die Arbeitgeberinnen haben die Abweisung der Anträge beantragt. Das Arbeitsgericht hat den dort allein gestellten Antrag zu a) abgewie-sen. Dagegen hat der Betriebsrat W Beschwerde eingelegt und sein Begehren um den Antrag zu c) erweitert. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen und den Antrag zu c) abgewiesen. Es hat die Rechtsbe-schwerde nur in Bezug auf den Antrag zu c) zugelassen und darüber hinaus auf die Frage der Wirksamkeit der zwischen der PGM und ihrem Gesamtbetriebsrat in § 5 GBV 2009 vereinbarten Altersgrenzenregelung beschränkt. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat W entsprechend der zweitinstanzli-chen Zulassungsentscheidung seinen Antrag zu c) weiter. Daneben hat er den vom Landesarbeitsgericht abgewiesenen Antrag zu a) im Wege der Antragser-weiterung zur Entscheidung gestellt. B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Beide Anträge des Betriebsrats sind unzulässig. I. Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist der auf Feststellung der Unwirksamkeit von § 5 GBV 2009 gerichtete Antrag des Betriebsrats W. Für diesen hat das Landesarbeitsgericht die Rechtsbeschwerde ausdrücklich zugelassen. Daneben hat der Betriebsrat W seinen vom Beschwerdegericht abgewiesenen Antrag zur Geltung von § 4 BV 2009 sowie Nr. 11.1 BO 2008 im Wege der Antragserweiterung in das Rechtsbeschwerdeverfahren eingeführt. II. Der auf die Feststellung der Unwirksamkeit von § 4 BV 2009 und Nr. 11.1 BO 2008 gerichtete Antrag ist unzulässig. Einer erneuten Sachent-scheidung steht der Einwand der Rechtskraft (§ 322 Abs. 1 ZPO) entgegen. 1. Nach dem auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendba-ren § 322 Abs. 1 ZPO sind Beschlüsse der Rechtskraft fähig, soweit über den durch den Antrag erhobenen Anspruch entschieden ist (BAG 6. Juni 2000 7 8 9 10 11 12 - 5 - 1 ABR 75/11 - 6 - - 1 ABR 21/99 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 95, 47). Die materielle Rechts-kraftwirkung solcher Beschlüsse hindert grundsätzlich, dass bei Identität der Beteiligten und des Sachverhalts die bereits rechtskräftig entschiedene Frage den Gerichten zur erneuten Entscheidung unterbreitet werden kann. Das ist als negative Prozessvoraussetzung auch in der Rechtsbeschwerdeinstanz von Amts wegen zu beachten. Der Begriff des Anspruchs in § 322 Abs. 1 ZPO bezeichnet den prozes-sualen Anspruch im Sinne der Streitgegenstandslehre. Die objektiven Grenzen der Rechtskraft des Entscheidungsgegenstandes werden durch den Streit-gegenstand des vorangehenden Verfahrens bestimmt. Dieser richtet sich nach dem zur Entscheidung gestellten Antrag und dem zugehörigen Lebenssachver-halt, aus dem die begehrte Rechtsfolge hergeleitet wird (BAG 19. Januar 2010 - 1 ABR 55/08 - Rn. 15, BAGE 133, 75). Dabei sind Tatbestand und Entschei-dungsgründe, erforderlichenfalls auch das Parteivorbringen, ergänzend heran-zuziehen, wenn die Entscheidungsformel, wie insbesondere bei einer den Antrag abweisenden Entscheidung, den Streitgegenstand und damit den Umfang der Rechtskraft nicht erkennen lässt (BAG 19. Januar 2010 - 1 ABR 55/08 - aaO). 2. Danach ist der vom Betriebsrat in der Rechtsbeschwerdeinstanz im Wege der Antragserweiterung eingeführte Feststellungsantrag unzulässig. Über diesen hat das Beschwerdegericht bereits rechtskräftig entschieden. Das Arbeitsgericht hat den auf Feststellung der Unwirksamkeit von § 4 BV 2009 und Nr. 11.1 BO 2008 gerichteten Antrag abgewiesen. Das Landes-arbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde des Betriebsrats zurück-gewiesen und gegen diesen Teil seiner Entscheidung die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Hiergegen hat der Betriebsrat keine Nichtzulassungsbe-schwerde eingelegt. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist insoweit in Rechtskraft erwachsen. Es ist weder ersichtlich noch vom Betriebsrat geltend gemacht, dass die beschränkte Rechtsbeschwerdezulassung unbeachtlich ist und die Rechtsbeschwerde unbeschränkt eingelegt werden kann. Die Wirksam-keit der vom Gesamtbetriebsrat abgeschlossenen Altersgrenzenregelung in der 13 14 15 - 6 - 1 ABR 75/11 - 7 - GBV 2009 betrifft einen abtrennbaren selbständigen Teil des Gesamtstreit-stoffs, über den gesondert und unabhängig von dem verbleibenden Verfah-rensgegenstand entschieden werden konnte. III. Auch der auf die Feststellung der Unwirksamkeit von § 5 GBV 2009 gerichtete Antrag ist unzulässig. Dem Betriebsrat fehlt bereits die erforderliche Antragsbefugnis iSv. § 81 Abs. 1 ArbGG. 1. Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ist ein Beteiligter antragsbe-fugt, wenn er eigene Rechte geltend macht. Antragsbefugnis und die Beteilig-tenstellung fallen nicht notwendig zusammen; § 83 Abs. 3 ArbGG besagt nichts darüber, ob ein Beteiligter im Beschlussverfahren einen Antrag stellen kann. Die Antragsbefugnis ist vielmehr nach den Regeln über die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zu bestimmen (§ 81 Abs. 1 ArbGG). Regelmäßig kann nur derjenige ein gerichtliches Verfahren einleiten, der vorträgt, Träger des streitbefangenen Rechts zu sein. Ausnahmen gelten im Fall einer zulässigen Prozessstandschaft. Die Prozessführungsbefugnis im Urteilsverfahren und die Antragsbefugnis im Beschlussverfahren dienen dazu, Popularklagen auszu-schließen. Im Beschlussverfahren ist die Antragsbefugnis nur gegeben, wenn der Antragsteller durch die begehrte Entscheidung in seiner kollektivrechtlichen Rechtsposition betroffen sein kann. Das ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn er eigene Rechte geltend macht und dies nicht von vornherein als aussichtslos erscheint (BAG 17. Juni 2009 - 7 ABR 96/07 - Rn. 9). 2. Ein Betriebsrat kann die Unwirksamkeit einer von einer anderen Arbeit-nehmervertretung abgeschlossenen Betriebsvereinbarung nicht unabhängig von einem Eingriff in seine eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition geltend machen. Weder das BetrVG noch das ArbGG sehen ein inhaltliches Normenkontrollrecht der auf den unterschiedlichen Ebenen im Unternehmen und Konzern errichteten Arbeitnehmervertretungen vor. Die gerichtliche Über-prüfung einer nicht selbst abgeschlossenen Betriebsvereinbarung kann von einem antragstellenden Betriebsrat nur in Hinblick auf eine Verletzung gerade seiner Regelungsbefugnis erfolgen. Fehlt dem abschließenden Betriebsrat insoweit die Zuständigkeit, erweist sich die Betriebsvereinbarung als Eingriff in 16 17 18 - 7 - 1 ABR 75/11 - 8 - die betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition des Antragstellers. Eine von einem unzuständigen Betriebsrat getroffene Vereinbarung ist unwirksam. Nur für den Ausspruch der darauf gestützten Rechtsfolge ist der für den Abschluss der Betriebsvereinbarung tatsächlich zuständige Betriebsrat antragsbefugt. 3. Danach fehlt dem Betriebsrat W die Antragsbefugnis. Er kann die Wirksamkeit von § 5 GBV 2009 nicht zur gerichtlichen Überprüfung stellen. Ein solcher Antrag wäre nur zulässig, wenn der Betriebsrat W geltend machen könnte, dass nicht der Gesamtbetriebsrat, sondern er für den Abschluss einer Altersgrenzenregelung zuständig sei. Nur dann wäre er von der unternehmens-bezogenen Altersgrenzenregelung in einer eigenen betriebsverfassungsrechtli-chen Rechtsposition betroffen. Dies ist nicht der Fall. Der Senat hat aufgrund der mit der rechtskräftigen Abweisung des Antrags zu a) verbundenen Bin-dungswirkung von der fehlenden Zuständigkeit des Betriebsrats Weiterstadt für den Abschluss einer betrieblichen Altersgrenzenregelung auszugehen. a) Rechtskräftige Beschlüsse entfalten gemäß § 322 Abs. 1 ZPO Bin-dungswirkung für ein nachfolgendes Verfahren, soweit über den mit dem Antrag erhobenen Anspruch entschieden worden ist. Die Bindungswirkung beschränkt sich auf den unmittelbaren Gegenstand des Beschlusses, dh. auf die Rechts-folge, die aufgrund eines bestimmten Sachverhalts bei Schluss der mündlichen Verhandlung den Entscheidungssatz bildet. Einzelne Urteilselemente, tatsächli-che Feststellungen und rechtliche Folgerungen, auf denen die getroffene Entscheidung aufbaut, werden dagegen von der Rechtskraft nicht erfasst (BGH 26. Juni 2003 - I ZR 269/00 - zu II 1 a der Gründe, NJW 2003, 3058). Das Gericht ist an die im Vorprozess getroffene Entscheidung gebunden, wenn deren Inhalt zum Tatbestand der im neuen Verfahren geltend gemachten Rechtsfolge gehört (Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht 17. Aufl. § 154 Rn. 8). Die im ersten Verfahren rechtskräftig entschiedene Rechtsfolge ist im zweiten Verfahren zugrunde zu legen, wenn diese dort eine Vorfrage dar-stellt. Bei einer den Antrag abweisenden Entscheidung ist der aus der Begrün-dung zu ermittelnde, die Rechtsfolge bestimmende, ausschlaggebende Abwei-sungsgrund Teil des in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatzes und 19 20 - 8 - 1 ABR 75/11 - 9 - nicht allein ein Element der Entscheidungsbegründung (BAG 20. November 2012 - 1 AZR 611/11 - Rn. 89). b) Das Landesarbeitsgericht hat im Rahmen seiner Begründung zu den im Betrieb W bestehenden Regelungen entschieden, dass § 4 BV 2009 nach dem Betriebsübergang zum 1. Juli 2010 aufgrund der bei der PGM geltenden GBV 2009 unwirksam geworden ist. In seiner Begründung hat es die Rege-lungsbefugnis des Betriebsrats W für den Abschluss einer auf den Gemein-schaftsbetrieb beschränkten Altersgrenzenregelung für den Zeitraum nach Wirksamwerden des Betriebsübergangs verneint. Es hat die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats PGM nach § 50 Abs. 1 BetrVG bejaht und den Feststel-lungsantrag aus diesem Grund abgewiesen. c) Danach ist der Betriebsrat W für den Antrag zu c) nicht antragsbefugt. Er wird durch die Geltung von § 5 GBV 2009 nicht in einer eigenen betriebsver-fassungsrechtlichen Rechtsposition betroffen. Dem Betriebsrat W fehlte zum Zeitpunkt der Anhörung vor dem Beschwerdegericht die Regelungsbefugnis für den Abschluss einer Betriebsvereinbarung über eine Altersgrenze. Dies folgt aus der Bindungswirkung der abweisenden Entscheidung des Landesarbeitsge-richts. Die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats nach § 50 Abs. 1 BetrVG war für das Beschwerdegericht der tragende Abweisungsgrund und nicht allein ein Element seiner Entscheidungsbegründung. Dies steht einer erneuten Prüfung der Regelungsbefugnis des Betriebsrats W im vorliegenden Verfahren ent-gegen. d) Der Betriebsrat W ist auch nicht in Hinblick auf sein Überwachungsrecht (§ 80 Abs. 1 BetrVG) in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Position betrof-fen. Nach dieser Bestimmung kann der Betriebsrat den Arbeitgeber zur Ein-haltung der zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Schutzvorschriften auffor-dern. Das Überwachungsrecht des Betriebsrats ist darauf beschränkt, eine Nichtbeachtung oder fehlerhafte Durchführung der Vorschriften beim Arbeitge-ber zu beanstanden und auf Abhilfe zu drängen (BAG 18. Mai 2010 - 1 ABR 21 22 23 24 - 9 - 1 ABR 75/11 6/09 - Rn. 21, BAGE 134, 249). Aus der Überwachungsaufgabe des Betriebs-rats folgt indes kein Recht zur Normenkontrolle der nicht von ihm abgeschlos-senen Normen. Schmidt Linck Koch Manfred Gentz Berg

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