19 W (pat) 24/17  - 19. Senat (Techn.Beschw.)
Karar Dilini Çevir:

BPatG 154
05.11

BUNDESPATENTGERICHT



19 W (pat) 24/17
_______________
(Aktenzeichen)



Verkündet am
12. April 2017





B E S C H L U S S

In der Beschwerdesache





betreffend die Patentanmeldung 102 03 577.6

hat der 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 12. April 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Dipl.-Ing. Kleinschmidt, der Richterin Kirschneck sowie der Richter
Dipl.-Phys. Dipl.-Wirtsch.-Phys. Arnoldi und Dipl.-Phys. Dr. Haupt

beschlossen:

Die Beschwerde der Anmelderin wird zurückgewiesen
- 2 -
G r ü n d e

I.

Das Deutsche Patent- und Markenamt – Prüfungsstelle für Klasse G 01 R – hat
die am 30. Januar 2002 eingereichte Anmeldung mit der Bezeichnung „Verfahren
zum Prognostizieren der Lebensdauer von leistungselektronischen Bauelementen“
mit Beschluss vom 7. Juni 2011, signiert am 27. Juni 2011, zurückgewiesen. In
der Begründung ist sinngemäß ausgeführt, der Gegenstand des Patentan-
spruchs 1 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (§ 1 Abs. 1 PatG i. V. m.
§ 4 PatG). Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin
vom 15. Juli 2011.

Der Senat hat mit Schreiben vom 8. Februar 2017 folgenden Aufsatz in das Ver-
fahren eingeführt

E5: HELD, M.; JACOB, P.; NICOLETTI, G.; SCACCO, P.;
POECH, H.–P.: Fast power cycling test for insulated gate
bipolar transistor modules in traction application. In: INT.
J. ELECTRONICS, 1999, Vol. 86, No. 10, Seiten 1193 bis
1204. URL: http://dx.doi.org/10.1080/002072199132743 [ab-
gerufen am 7. Februar 2017].

In der mündlichen Verhandlung am 12. April 2017 beantragt die Anmelderin,

den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 01 R des Deut-
schen Patent- und Markenamts vom 7. Juni 2011, signiert am
27. Juni 2011, aufzuheben und das nachgesuchte Patent aufgrund
folgender Unterlagen zu erteilen:

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Patentansprüche 1 bis 9 vom 2. März 2009,
Beschreibung, Seiten 1 bis 6, vom 30. Januar 2002,
3 Blatt Zeichnungen, Figuren 1 bis 4, vom 11. Februar 2002,

hilfsweise,

Patentansprüche 1 bis 8 gemäß Hilfsantrag 1, überreicht in der
mündlichen Verhandlung,

weiter hilfsweise,

Patentansprüche 1 bis 9 gemäß Hilfsantrag 2, überreicht in der
mündlichen Verhandlung,

weiter hilfsweise,

Patentansprüche 1 bis 7 gemäß Hilfsantrag 3, überreicht in der
mündlichen Verhandlung,

die Hilfsanträge mit ggf. noch anzupassender Beschreibung,
Zeichnungen zu den Hilfsanträgen wie Hauptantrag.

Der nach Hauptantrag geltende Patentanspruch 1 vom 2. März 2009 lautet:

1. Verfahren zum Prognostizieren der Lebensdauer von leis-
tungselektronischen Bauelementen, die mit niederfrequenten Last-
wechseln beaufschlagt werden, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t ,
dass bei Betrieb eines leistungselektronischen Bauelements des-
sen Sperrschichttemperatur ermittelt und die Temperaturhübe
nach Anzahl und Höhe gespeichert werden und daraus anhand
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abgelegter Lebensdauerkurven die aktuelle Restlebensdauer be-
stimmt wird.

Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 vom 12. April 2017 lautet:

1. Verfahren zum Prognostizieren der Lebensdauer von leis-
tungselektronischen Bauelementen, die mit niederfrequenten Last-
wechseln beaufschlagt werden, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t ,
dass bei Betrieb eines leistungselektronischen Bauelements des-
sen Sperrschichttemperatur ermittelt und die Temperaturhübe
nach Anzahl und Höhe gespeichert werden und daraus anhand
abgelegter Lebensdauerkurven die aktuelle Restlebensdauer be-
stimmt wird, wobei bei Unterschreiten der aktuellen Restlebens-
dauer unter einen vorbestimmbaren Wert eine Warnmeldung aus-
gegeben wird.

Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 vom 12. April 2017 lautet:

1. Verfahren zum Prognostizieren der Lebensdauer von leis-
tungselektronischen Bauelementen, die mit niederfrequenten Last-
wechseln beaufschlagt werden, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t ,
dass bei Betrieb eines leistungselektronischen Bauelements des-
sen Sperrschichttemperatur ermittelt und die Temperaturhübe
nach Anzahl und Höhe gespeichert werden und daraus anhand
abgelegter Lebensdauerkurven die aktuelle Restlebensdauer be-
stimmt wird, wobei die aktuelle Restlebensdauer über ein Display
am Gerät und/oder einen PC angezeigt werden kann.

- 5 -
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 vom 12. April 2017 lautet:

1. Verfahren zum Prognostizieren der Lebensdauer von leis-
tungselektronischen Bauelementen, die mit niederfrequenten Last-
wechseln beaufschlagt werden, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t ,
dass bei Betrieb eines leistungselektronischen Bauelements des-
sen Sperrschichttemperatur ermittelt und die Temperaturhübe
nach Anzahl und Höhe gespeichert werden und daraus anhand
abgelegter Lebensdauerkurven die aktuelle Restlebensdauer be-
stimmt wird, wobei der Verlauf der Sperrschichttemperatur inner-
halb eines Lastwechsels anhand der Betriebsgrößen Strom, Span-
nung, Pulsfrequenz, Pulsaussteuerung und Umgebungstempera-
tur in Echtzeit online simuliert wird.

Der Erfindung liegt nach den Angaben in der Beschreibungseinleitung die Aufgabe
zugrunde, ein Verfahren anzugeben, mit dem sich die Restlebensdauer von leis-
tungselektronischen Bauelementen während des Betriebes hinreichend genau be-
stimmen lasse (Beschreibung, Seite 2, Zeilen 17 bis 20).

Wegen weiterer Einzelheiten, insbesondere wegen des Wortlauts der nebengeord-
neten Ansprüche, wird auf die Akte verwiesen.


II.

1. Die statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

2. Die Anmeldung betrifft ein Verfahren zum Prognostizieren der Lebensdauer
von leistungselektronischen Bauelementen, eine Anordnung mit einem Prozessor
und ein Computerprogramm-Erzeugnis.

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Die Erfindung geht davon aus, dass die Lebensdauer eines leistungselektroni-
schen Bauelements stark von der Höhe und Anzahl der Temperaturhübe abhän-
ge, die während der Lebensdauer eines solchen Bauelements auftreten.

Anhand der von den Bauelementherstellern bereitgestellten Datenkennlinien kön-
ne die zu erwartende Lebensdauer eines Gerätes, in das die leistungselektroni-
schen Bauelemente eingebaut sind, nur grob anhand der geschätzten Anzahl der
Lastwechsel bestimmt werden. Für hochwertige Anlagen sei eine solche Bestim-
mung zu ungenau und führe dazu, dass entweder die Geräte prophylaktisch vor-
zeitig ausgetauscht würden oder im anderen Fall ausfielen. In beiden Fällen ent-
stünden für den Betreiber hohe Kosten.

Die Anmeldung betrifft damit das technische Problem ein Verfahren anzugeben,
mit dem sich die Restlebensdauer von leistungselektronischen Bauelementen
während des Betriebes hinreichend genau bestimmen lasse.

Zur Lösung schlägt die Anmeldung nach dem Hauptantrag ein Verfahren mit fol-
genden Merkmalen vor:

Verfahren
M1 zum Prognostizieren der Lebensdauer von leistungselek-
tronischen Bauelementen, die mit niederfrequenten Last-
wechseln beaufschlagt werden,
dadurch gekennzeichnet, dass
M2 bei Betrieb eines leistungselektronischen Bauelements
dessen Sperrschichttemperatur ermittelt und
M3 die Temperaturhübe nach Anzahl und Höhe gespeichert
werden und
M4 daraus anhand abgelegter Lebensdauerkurven die aktu-
elle Restlebensdauer bestimmt wird.

- 7 -
3. Vor diesem Hintergrund legt der Senat seiner Entscheidung als zuständigen
Fachmann einen Physiker oder Ingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik mit
Hochschul- oder Fachhochschulausbildung und besonderen Kenntnissen auf dem
Gebiet der Lebensdauerbestimmung von elektronischen Bauelementen zu Grun-
de.

4. Einige der Angaben im Anspruch 1 bedürfen der Erläuterung:

Als Beispiel für leistungselektronische Bauelemente (Merkmal M1) nennt die
Anmeldung IGBT (Insulated-Gate Bipolar Transistor)-Leistungsmodule (vgl. Be-
schreibung, Seite 1, Zeile 21).

Der Betrieb eines leistungselektronischen Bauelements (Merkmal M2) ist im Ge-
gensatz zu einem Probe- oder Testbetrieb des Bauelements unter Laborbedingun-
gen (vgl. Seite 2, Zeilen 32 bis 35) als Produktiv- oder Wirkbetrieb des Gerätes zu
verstehen, in das die leistungselektronischen Bauelemente eingebaut sind (vgl.
Seite 2, Zeilen 7 bis 20).

Die Sperrschichttemperatur eines leistungselektronischen Bauelements wird er-
mittelt (Merkmal M2) beispielsweise durch:

- direkten Abgriff einer die Temperatur der Sperrschicht reprä-
sentierenden Messgröße (Seite 2, Zeilen 36 und 37) oder
- eine Simulation online in Echtzeit aus den Betriebsgrößen
Strom, Spannung, Pulsfrequenz, Pulsaussteuerung, Umge-
bungstemperatur sowie einem thermischen Modell des Bau-
elements (Seite 3, Zeilen 10 bis 13).

Diese Beispiele beschränken den Bedeutungsinhalt des Begriffs „ermittelt“ im
Merkmal M2 des Anspruchs 1 jedoch nicht. Unter der Anweisung im Merkmal M2
subsummiert der Fachmann jede Art der messtechnischen Erfassung einer belie-
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bigen Betriebsgröße bzw. jedes theoretische Modell, mittels derer die Sperr-
schichttemperatur genauer als durch eine bloße Schätzung bestimmt werden kann
(vgl. auch Seite 2, Zeilen 7 bis 11).

Die Temperaturhübe (Merkmal M3) versteht der Fachmann als Hübe der Sperr-
schichttemperatur des leistungselektronischen Bauelements. Ein Temperaturhub
ist die Differenz unmittelbar aufeinanderfolgender Minimal- und Maximalwerte der
Temperatur (vgl. Beschreibung, Seite 6, Zeilen 12 bis 19 und Fig. 4). Die Anwei-
sungen in den Merkmalen M2 und M3 dürften somit erfordern, dass die Sperr-
schichttemperatur des leistungselektronischen Bauelements fortlaufend zu ermit-
teln ist (vgl. Beschreibung, Seite 4, Zeilen 18 bis 22, Seite 6, Zeilen 1 und 2).

Eine Lebensdauerkurve (Merkmal M4) ist beispielsweise eine Datenkennlinie, die
die maximal mögliche Anzahl der Lastwechsel eines leistungselektronischen Bau-
elements in Abhängigkeit vom Temperaturhub angibt (Seite 1, Zeilen 18 bis 21).
Der Begriff der Lebensdauerkurve ist jedoch nicht auf dieses Beispiel beschränkt.
Der Fachmann versteht hierunter jede Funktion, welche die Lebensdauer eines
leistungselektronischen Bauelements in Anhängigkeit einer oder mehrerer Be-
triebsgrößen angibt.

Der Anspruch 1 enthält keine Vorgaben, in welcher Maßeinheit die Restlebens-
dauer (Merkmal M4) zu bestimmen ist. Insbesondere ist der Begriff der Restle-
bensdauer nicht auf Maßeinheiten der Zeitdauer beschränkt. Denn auf Grund des
Beispiels in der Beschreibung kann die Lebensdauer etwa auch in Einheiten der
Anzahl von Lastwechseln angegeben werden (Seite 1, Zeilen 18 bis 21). Nichts
anderes dürfte für die Restlebensdauer gelten.

5. Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hauptantrag kann zwar als neu gel-
ten (§ 3 PatG), er beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (§ 4 PatG).

- 9 -
5.1 Der Aufsatz „Fast power cycling test for insulated gate bipolar transistor
modules in traction application“ von M. Held [u. a.] (= E5) stellt zur Überzeugung
des Senats den nächstliegenden Stand der Technik und Ausgangspunkt für wei-
tere Überlegungen des Fachmanns dar.

Diesem Aufsatz, dort insbesondere Seite 1203, Gleichung 5, entnimmt der Fach-
mann ein beschreibendes Modell für die Anzahl der Lastwechsel Nf bis zum Aus-
fall eines IGBT in Abhängigkeit u. a. des Temperaturhubs der Sperrschichttempe-
ratur ΔTj:



Bedeutung der Formelzeichen:

Nf: number of cycles to failure (vgl. Seite 1202, Bildunter-
schrift der Fig. 9);
Tj: junction temperature (Seite 1198, vorletzter Absatz);
ΔT: rise and fall of temperature (Seite 1193, letzter Absatz);
Tm: medium temperature (Seite 1202, vorletzter Absatz);
R: gas constant, A = 640,  = 5, Q = 0.8 eV (Seite 1203,
zweiter Absatz).

5.2 Der Aufsatz E5 offenbart ein Verfahren zum Prognostizieren der Lebens-
dauer von leistungselektronischen Bauelementen (vgl. Seite 1203, erster Absatz:
„… a general approach to model the number of cycles to failure is proposed in
which ΔTj and Tm are apparently the relevant parameters.“ und Titel des Aufsat-
zes: „... insulated gate bipolar transistor modules in traction application“). Insbe-
sondere werden leistungselektronische Bauelemente betrachtet, die mit Lastwech-
seln beaufschlagt werden (vgl. Seite 1193, viert- und drittletzte Zeile: „… Power
cycles impose a rise and fall of temperature (ΔT) and therefore a cyclic thermo-
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mechanical stress which can lead to a failure of the module.“). Die auf Seite 1202,
Zeilen 1 und 2, angegebenen Werte der Einschaltzeitdauer von 0,6 bis 4,8 s und
der Ausschaltzeitdauer von 0,4 bis 5 s belegen, dass niederfrequente Lastwechsel
mit einer Periode von 1 s bis 9,8 s vorgesehen sind. Der Aufsatz offenbart mithin
ein Verfahren mit dem anspruchsgemäßen Merkmal M1.

Im Rahmen des offenbarten Verfahrens wird unter Laborbedingungen die Sperr-
schichttemperatur eines leistungselektronischen Bauelements ermittelt (vgl. Sei-
te 1198, vorletzter Absatz, Zeilen 5 und 6: „… measurement of the junction tempe-
rature Tj using a temperature sensitive electrical parameter (TSEP) …“; Merk-
mal M2teilweise). Die Temperaturhübe werden nach Anzahl und Höhe gespeichert
(vgl. Seite 1202, Figur 9: „Number of cycles to failure Nf as a function of ΔTj with
Tm as parameter.“; Merkmal M3). Um die Zahl der Lastwechsel bis zum Ausfall
des IGBT (Ende der Lebensdauer) zu bestimmen, muss offensichtlich jeder Last-
wechsel gezählt, d. h. es muss die Anzahl der Temperaturhübe bestimmt werden.

Aus den so gemessenen Werten
werden Lebensdauerkurven be-
stimmt. Die nebenstehend wieder-
gegebene Figur 9 stellt eine Be-
ziehung zwischen der Lebens-
dauer des IGBT in Einheiten der
Anzahl der Lastwechsel bis zum
Ausfall Nf und den Betriebspara-
metern ΔTj und Tm graphisch dar
(vgl. Seite 1203, erster Absatz,
Zeilen 6 bis 8: „…The straight
lines in the double logarithmic
scale of Figure 9 imply a power
law for the dependence of Nf on
ΔT …“).
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Derartige Diagramme fallen für den Fachmann unter den Begriff der Lebensdauer-
kurven (Merkmal M4teilweise).

Soweit stimmt der aus dem Aufsatz E5 entnehmbare Gegenstand mit dem Gegen-
stand des Anspruchs 1 nach Hauptantrag überein. Als Unterschied verbleibt die
Ermittlung der aktuellen Restlebensdauer (Restmerkmal M4) bei einem als Pro-
duktiv- oder Wirkbetrieb zu kennzeichnenden Betrieb des leistungselektronischen
Bauelements (Restmerkmal M2).

Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hauptantrag gilt mithin gegenüber dem
Stand der Technik nach dem Aufsatz E5 als neu.

Er gilt auch gegenüber den übrigen im Verfahren genannten Druckschriften, die
weiter ab liegen als der Aufsatz E5, als neu.

5.3 Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hauptantrag beruht allerdings nicht
auf einer erfinderischen Tätigkeit.

a) Der Aufsatz E5 betrifft die Untersuchung der Lebensdauer von IGBT-Modu-
len unter einem genau definierten Einsatzprofil, das bei einem Betrieb in einer
Straßenbahn typisch ist. Als weitere mögliche Anwendungsgebiete werden Busse,
Züge, Aufzüge und Automobile genannt (Seite 1194, vorletzter Satz: „… As an
example the number of application power cycles of a tram is projected for the
following service profile …“; Seite 1193, letzter Absatz: „The above features make
IGBT modules interesting for traction applications such as drives for buses, trams,
trains, elevators and electrical cars.“).

Ausgehend von diesen Anwendungsgebieten der IGBTs stellt sich für den Fach-
mann die Aufgabe von selbst, Vorkehrungen dafür zu treffen, dass diese Bauele-
mente rechtzeitig vor einem bevorstehenden Versagen ausgetauscht werden,
denn bei Kraftfahrzeugen oder schienengebunden Fahrzeugen war es schon
- 12 -
lange vor dem Zeitrang der Anmeldung bewährte Praxis, den bevorstehenden
Ausfall von sicherheitsrelevanten Baugruppen anzuzeigen. Typische Beispiele
sind etwa Bremsbelagsverschleißanzeigen oder Öldruckwarnleuchten, mittels de-
rer bei Erreichen oder Unterschreiten von Mindestwerten bestimmter Betriebspa-
rameter rechtzeitig vor dem Versagen von Betriebsbremse bzw. Verbrennungsmo-
tor eine Warnung ausgegeben wird.

Der Fachmann hatte daher Veranlassung, das aus der E5 bekannte beschrei-
bende Modell zur Vorhersage der Lebensdauer eines IGBT auch für die Bestim-
mung der verbleibenden Restlebensdauer (Restmerkmal M4) beim tatsächlichen
Betrieb des Bauelements (Restmerkmal M2) zu verwenden. Der Fachmann ermit-
telt die aktuelle Restlebensdauer etwa auf der Grundlage der Differenz zwischen
der Zahl der Lastwechsel bis zum Ausfall (vgl. E5, Seite 1203, Gleichung 5 und
der Anzahl bereits erfolgter Lastwechsel.

Diese Umsetzung in die Praxis erschöpft sich für den Fachmann naheliegenden
Maßnahmen.

b) Die Anmelderin trägt zur Begründung des Vorliegens einer erfinderischen
Tätigkeit sinngemäß vor: Das aus dem Aufsatz E5 bekannte Verfahren zur Be-
stimmung der Lebensdauer des leistungselektronischen Bauelements unter genau
definierten Laborbedingungen führe stets zur Zerstörung des Bauelements. Die
mit derartigen Verfahren ermittelten Lebensdauerkurven seien vor dem Zeitrang
der Anmeldung ausschließlich im Rahmen der Geräteentwicklung etwa zur Aus-
wahl und Dimensionierung des leistungselektronischen Bauelements verwendet
worden. Im Gegensatz zu dem Verfahren aus dem Aufsatz E5 zeichne sich das
beanspruchte Verfahren gerade dadurch aus, dass die Restlebensdauer des Bau-
elements während des Produktiv- oder Wirkbetriebs unter realen Betriebsbedin-
gungen und zwar noch vor der Zerstörung des Bauelements bestimmt werde. Auf
Grund des großen Aufwands der messtechnischen Erfassung der Sperrschicht-
temperatur bereits unter Laborbedingungen bzw. des Aufwands bei der software-
- 13 -
mäßigen Modellierung habe es vor dem Zeitrang der Anmeldung nicht nahe gele-
gen, die Sperrschichttemperatur des leistungselektronischen Bauelements unter
realen Betriebsbedingungen zu ermitteln.

Diese Argumente führen zu keiner anderen Bewertung.

Der Senat verkennt nicht, dass sich die Messung der Sperrschichttemperatur
unter realen Betriebsbedingungen von der unter Laborbedingungen grundlegend
unterscheiden kann. Dies kann im vorliegenden Fall jedoch nicht das Vorliegen
einer erfinderischen Tätigkeit begründen, denn auch die Anmeldung rechnet es
den Fähigkeiten des Durchschnittsfachmanns zu, auf welche Art und Weise bei
Betrieb des leistungselektronischen Bauelements dessen Sperrschichttemperatur
gemessen oder mittels eines Modells simuliert werden soll. Die gesamte Anmel-
dung gibt über einen Hinweis auf einen faseroptischen Temperatursensor hinaus
jedenfalls weder ein konkretes Messverfahren noch ein thermisches Modell als
Grundlage für die Simulation oder eine konkrete Berechnungsvorschrift für die
Restlebensdauer an.

6. Auch die Gegenstände der Ansprüche 1 nach den Hilfsanträgen 1 bis 3
beruhen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (§ 4 PatG).

6.1 Das Verfahren gemäß Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 umfasst neben den
Merkmalen des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag die zusätzliche Anweisung

M5 wobei bei Unterschreiten der aktuellen Restlebensdauer
unter einen vorbestimmbaren Wert eine Warnmeldung
ausgegeben wird.

Der Fachmann der vor der Aufgabe steht, Vorkehrungen dafür zu treffen, dass
leistungselektronische Bauelemente rechtzeitig vor einem bevorstehenden Versa-
gen ausgetauscht werden, hat auch Veranlassung festzulegen, welcher konkrete
- 14 -
Wert der Restlebensdauer noch als rechtzeitig für den Austausch des Bauele-
ments anzusehen ist, und Veranlassung bei Erreichen oder Unterschreiten dieses
Werts in irgendeiner Form diese verbleibende Restlebensdauer auszugeben
(Merkmal M5).

6.2 Das Verfahren gemäß Anspruch 1 nach Hilfsantrag 2 umfasst neben den
Merkmalen des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag die zusätzliche Anweisung

M6 wobei die aktuelle Restlebensdauer über ein Display am
Gerät und/oder einen PC angezeigt werden kann.

Die vorstehenden Überlegungen zum Hilfsantrag 1 gelten in Bezug auf den Hilfs-
antrag 2 gleichermaßen.

6.3 Das Verfahren gemäß Anspruch 1 nach Hilfsantrag 3 umfasst neben den
Merkmalen des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag die zusätzliche Anweisung

M7 wobei der Verlauf der Sperrschichttemperatur innerhalb
eines Lastwechsels anhand der Betriebsgrößen Strom,
Spannung, Pulsfrequenz, Pulsaussteuerung und Umge-
bungstemperatur in Echtzeit online simuliert wird.

Der Aufsatz E5 offenbart neben den zum An-
spruch 1 gemäß Hauptantrag erläuterten
Merkmalen auch, dass der Verlauf der Sperr-
schichttemperatur innerhalb eines Lastwech-
sels, wie er beispielsweise in der nebenste-
henden Figur 6 als Kurve Tj wiedergegeben
ist, anhand der Betriebsgrößen Strom (Iload),
Spannung (VGE), Pulsfrequenz, Pulsaussteue-
rung (auf Grund der Ein- und Ausschaltzeit-
- 15 -
dauern ton, toff) und Umgebungstemperatur („externally heated and cooled“) simu-
liert wird.

Denn bei der Bestimmung der Sperrschichttemperatur Tj wird der Fachmann alle
Betriebsgrößen einbeziehen, die die Höhe der Sperrschichttemperatur bestimmen,
und die in der E5, auf den Seiten 1201, 1202, seitenübergreifender Absatz ge-
nannt sind: „The following conditions have to be set in order to achieve the above
cycles: VGE = 15 V, current Iload between 240 and 300 A, ton = 0.6 to 4.8 s, toff
between 0.4 and 5 s, watercooled heat sinks.“ (vgl. auch Seite 1194, dritter Ab-
satz: „(b) passive temperature cycles, e.g. the module is externally heated and
cooled in order to achieve the desired ΔT.“; sowie die nachfolgend wiedergegebe-
ne Figur 8).



Der Aufsatz E5 offenbart insbesondere auch die Möglichkeit einer Simulation zur
Bestimmung der Sperrschichttemperatur (vgl. Seite 1198, Kapitel 5, zweiter Ab-
satz, Zeilen 7 bis 12: „Another possibility is the calculation of Tj based on thermal
impedance curves or a Zthjc-model representing the thermal behaviour by a series
connection of thermal resistances Rthi and their respective time constants i given
in the data sheet of some manufacturers (Semikron 1996).“).

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Der Aufsatz E5 offenbart zwar nicht, dass die Simulation in Echtzeit online erfolgt,
nach den Überlegungen zum Hauptantrag hat der Fachmann aber Veranlassung,
die Sperrschichttemperatur während des Betriebs zu ermitteln und damit auch
Veranlassung, das aus der E5 bekannte Simulationsmodell für einen Einsatz in
Echtzeit online in Betracht zu ziehen.

7. In Bezug auf die nebengeordneten Ansprüche nach dem Hauptantrag und
den Hilfsanträgen 1 bis 3 gelten die vorstehend genannten Gründe sinngemäß.

8. Die Beschwerde der Anmelderin war daher zurückzuweisen.


Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss steht den an dem Beschwerdeverfahren Beteiligten das Rechts-
mittel der Rechtsbeschwerde zu (§ 99 Abs. 2, § 100 Abs. 1, § 101 Abs. 1 PatG).

Nachdem der Beschwerdesenat in dem Beschluss die Einlegung der Rechtsbeschwerde
nicht zugelassen hat, ist die Rechtsbeschwerde nur statthaft, wenn einer der nachfolgen-
den Verfahrensmängel durch substanziierten Vortrag gerügt wird (§ 100 Abs. 3 PatG):

1. Das beschließende Gericht war nicht vorschriftsmäßig besetzt.
2. Bei dem Beschluss hat ein Richter mitgewirkt, der von der Ausübung
des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorg-
nis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war.
3. Einem Beteiligten war das rechtliche Gehör versagt.
4. Ein Beteiligter war im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes
vertreten, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich
oder stillschweigend zugestimmt hat.

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5. Der Beschluss ist aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen,
bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt
worden sind.
6. Der Beschluss ist nicht mit Gründen versehen.

Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim
Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe, schriftlich einzulegen (§ 102
Abs. 1 PatG).

Die Rechtsbeschwerde kann auch als elektronisches Dokument, das mit einer qualifizier-
ten oder fortgeschrittenen elektronischen Signatur zu versehen ist, durch Übertragung in
die elektronische Poststelle des Bundesgerichtshofes eingelegt werden (§ 125a Abs. 3
Nr. 1 PatG i. V. m. § 1, § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, Abs. 2a, Anlage (zu § 1) Nr. 6 der Ver-
ordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesgerichtshof und Bundespa-
tentgericht (BGH/BPatGERVV)). Die elektronische Poststelle ist über die auf der Internet-
seite des Bundesgerichtshofes www.bundesgerichtshof.de/erv.html bezeichneten Kom-
munikationswege erreichbar (§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGH/BPatGERVV). Dort sind auch
die Einzelheiten zu den Betriebsvoraussetzungen bekanntgegeben (§ 3 BGH/
BPatGERVV).

Die Rechtsbeschwerde muss durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechts-
anwalt als Bevollmächtigten des Rechtsbeschwerdeführers eingelegt werden (§ 102
Abs. 5 Satz 1 PatG).


Kleinschmidt Kirschneck Arnoldi Dr. Haupt


Fa


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