17 W (pat) 48/15  - 17. Senat (Techn.Beschw.)
Karar Dilini Çevir:

BPatG 154
05.11

BUNDESPATENTGERICHT



17 W (pat) 48/15
_______________
(Aktenzeichen)



Verkündet am
24. Oktober 2017





B E S C H L U S S

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2011 002 835.8 - 53








hat der 17. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 24. Oktober 2017 unter Mitwirkung des
Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Morawek, der Richterin Eder, des Richters
Dipl.-Ing. Baumgardt und des Richters Dipl.-Phys. Dr. Forkel

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beschlossen:

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prü-
fungsstelle für Klasse G 06 F des Deutschen Patent- und Marken-
amts vom 16. September 2015 aufgehoben und die Sache zur
weiteren Prüfung und Entscheidung an das Deutsche Patent- und
Markenamt zurückverwiesen.


G r ü n d e

I.

Die vorliegende Patentanmeldung wurde am 18. Januar 2011 beim Deutschen
Patent- und Markenamt unter Inanspruchnahme der Priorität einer US-Voranmel-
dung vom 19. Januar 2010 in englischer Sprache eingereicht. Sie trägt in der deut-
schen Übersetzung die Bezeichnung:
„System und Verfahren zur Bildschirmmanipulation unter Verwendung
einer haptisch befähigten Steuerung“.
Die Anmeldung wurde durch Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des
Deutschen Patent- und Markenamts in der Anhörung vom 16. September 2015 mit
der Begründung zurückgewiesen, dass der Gegenstand des Hauptanspruchs des
(damals geltenden) Hauptantrags wie auch der Hilfsanträge 1 bis 4 mangels erfin-
derischer Tätigkeit nicht gewährbar sei, da er durch die Druckschrift D1 (s. u.)
nahegelegt sei. Bei den Hilfsanträgen 1 und 3 wurde unter Bezug auf die einschlä-
gige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs noch geltend gemacht, dass das
jeweilige Unterschiedsmerkmal zum übergeordneten Antrag bei der Prüfung auf
erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen sei.
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Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde der Anmelderin gerichtet. Sie führt
aus, dass die Prüfungsstelle die Auslegung des Offenbarungsgehaltes des Doku-
ments D1 mit Kenntnis der Erfindung vorgenommen habe. In der D1 werde zwar
die Möglichkeit der Detektion unterschiedlicher Intensitäten der Berührung bzw.
der Geschwindigkeit beim Streichen über die berührungsempfindliche Oberfläche
des Eingabegeräts beschrieben, jedoch sei der D1 weder explizit noch implizit
eine Mehrzahl an taktilen Rückmeldungen an den Benutzer über eine haptische
Vorrichtung zu entnehmen noch die Verwendung eines solchen Systems im Fahr-
zeugbereich. Die D1 offenbare hierzu lediglich eine Abgrenzung der einzelnen
Segmente durch eine Strukturierung beispielsweise in Form von elektrisch anreg-
baren Membranen. Damit betreffe das Dokument D1 einen entfernt liegenden
Stand der Technik, der mit dem vorliegenden Erfindungsgegenstand insgesamt
nur wenige Gemeinsamkeiten zeige. Insofern habe der Fachmann ausgehend
vom Stand der Technik, wie dieser im Dokument D1 offenbart wird, keinerlei Ver-
anlassung gehabt, zum erfindungsgemäßen Gegenstand zu gelangen.
Ferner beruhten die Ausführungen der Prüfungsstelle zur Entscheidung BGH
X ZR 121/11 (dort insbes. Absatz 28: Beispiele für die Lösung eines technischen
Problems durch Datenverarbeitungsprogramme) auf einer rechtsfehlerhaften Aus-
legung der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Der Ausschlusstatbestand greife
nicht ein, wenn die beanspruchte Lehre Anweisungen enthalte, die der Lösung
eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienten. Eine sol-
che Lehre sei jedoch vorliegend gegeben, denn das Merkmal, dass die erste tak-
tile Rückmeldung einer Manipulation der Steuerung Widerstand entgegensetzt,
weise einen technischen Bezug auf.
Der Senat hat zum Stand der Technik noch auf die Druckschriften D5, D6 und D7
(s. u.) hingewiesen. Die Anmelderin hat ihr Patentbegehren daraufhin weiter ein-
geschränkt und dazu erläutert, sie sehe das wesentliche Merkmal der Erfindung
nunmehr darin, dass die haptische Vorrichtung – und damit auch der Wirkungsort
der haptischen Rückmeldung – von der Steuerung, d. h. vom Eingabe-Element
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beabstandet sein solle. Eine solche Lehre sei dem im Verfahren genannten Stand
der Technik nicht zu entnehmen.
Die Anmelderin stellt den Antrag,
den angegriffenen Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte
Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
Patentansprüche 1 bis 17, überreicht in der mündlichen Verhand-
lung,
noch anzupassende Beschreibung Seiten 1 bis 10 und
3 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1 bis 3, jeweils vom 24. Ja-
nuar 2011.
Die geltenden unabhängigen Patentansprüche 1, 8 und 15 lauten (mit Kennzeich-
nung der Unterschiede zu den ursprünglichen Patentansprüchen 1, 10 und 18,
soweit es sich nicht lediglich um hinzugefügte Bezugszeichen handelt; mit der Kor-
rektur eines offensichtlichen Fehlers im Anspruch 15 durch Ergänzung von „beab-
standet ist“; und beim Anspruch 1 mit einer Merkmalsgliederung angelehnt an die
Gliederung im Zurückweisungsbeschluss):
(a) 1. Schnittstellensystem (10), umfassend:
(b) eine Anzeige (14) mit einem Rollbereich (24) und einem Cur-
sor (26), die darauf dargestellt sind;
(c) eine Steuerung (12) zum Manipulieren einer Position des
Cursors (26) auf der Anzeige (14) und
(d) eine haptische Vorrichtung (20) zum Erzeugen einer Mehr-
zahl von taktilen Rückmeldungen an einen Benutzer durch
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die Steuerung (12), wobei die haptische Vorrichtung (20) von
der Steuerung (12) beabstandet ist,
(e) wobei eine Bewegung des Cursors (26) über eine Rand-
kante (32) des Rollbereichs (24) der Anzeige (14) dazu führt,
dass die haptische Vorrichtung (20) eine erste taktile Rück-
meldung der Mehrzahl von taktilen Rückmeldungen erzeugt,
die einen Rollmodus darstellt, und
(f) wobei eine Bewegung des Cursors (26), während der Cur-
sor (26) innerhalb des Rollbereichs (24) der Anzeige (14)
positioniert ist, dazu führt, dass die haptische Vorrich-
tung (20) eine zweite taktile Rückmeldung der Mehrzahl von
taktilen Rückmeldungen erzeugt, die eine Rollgeschwindig-
keit einer visuellen Rückmeldung darstellt, die auf der An-
zeige (14) dargestellt ist,
(g) wobei die Anzeige (14) ein vom Benutzer auswählbares Ele-
ment (22) darauf darstellt und
(h) wobei das vom Benutzer auswählbare Element (22) eine
ausführbare Funktion eines Fahrzeugsystems (19) darstellt.
8.10. Schnittstellensystem (10), umfassend:
eine Anzeige (14) mit einem Rollbereich (24), einem Cur-
sor (26) und einem vom Benutzer auswählbaren visuellen
Element (22), die darauf dargestellt sind;
eine Steuerung (12) zum Beeinflussen einer Position des
Cursors (26) auf der Anzeige (14), und
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eine haptische Vorrichtung (20) zum Erzeugen einer Mehr-
zahl von taktilen Rückmeldungen an einen Benutzer durch
die Steuerung (12), wobei die haptische Vorrichtung (20) von
der Steuerung (12) beabstandet ist,
wobei eine Bewegung des Cursors (26) in den Rollbe-
reich (24) der Anzeige (14) dazu führt, dass die haptische
Vorrichtung (20) eine erste taktile Rückmeldung der Mehr-
zahl von taktilen Rückmeldungen erzeugt, die einen Eintritt in
den Rollbereich (24) darstellt,
wobei eine Bewegung des Cursors (26), während der Cur-
sor (26) innerhalb des Rollbereichs (24) der Anzeige (14)
positioniert ist, dazu führt, dass die haptische Vorrich-
tung (20) eine zweite taktile Rückmeldung der Mehrzahl von
taktilen Rückmeldungen erzeugt, die eine Rollgeschwindig-
keit einer visuellen Rückmeldung darstellt, die auf der An-
zeige (14) dargestellt ist,
und wobei eine Bewegung des Cursors (26) aus dem Rollbe-
reich (24) der Anzeige (14) dazu führt, dass die haptische
Vorrichtung (20) eine dritte taktile Rückmeldung der Mehr-
zahl von taktilen Rückmeldungen erzeugt, die einen Austritt
des Cursors (26) aus dem Rollbereich (24) darstellt
und wobei das vom Benutzer auswählbare visuelle Ele-
ment (22) eine ausführbare Funktion eines Fahrzeugsys-
tems (19) darstellt.
15.18. Verfahren zum Manipulieren einer Anzeige (14), wobei das
Verfahren die folgenden Schritte umfasst:
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Darstellen eines Rollbereichs (24), eines Cursors (26) und
eines vom Benutzer auswählbaren Elements (22) auf der An-
zeige (14), wobei das vom Benutzer auswählbare visuelle
Element (22) eine ausführbare Funktion eines Fahrzeugsys-
tems (19) darstellt;
Bereitstellen einer Steuerung (12) zum Beeinflussen einer
Position des Cursors (26) auf der Anzeige (14),
Bereitstellen einer haptischen Vorrichtung (20) zum Erzeu-
gen einer Mehrzahl von taktilen Rückmeldungen an einen
Benutzer, wobei die haptische Vorrichtung (20) von der Steu-
erung (12) beabstandet ist,
Erzeugen einer ersten taktilen Rückmeldung der Mehrzahl
von taktilen Rückmeldungen als Reaktion auf eine Bewe-
gung des Cursors (26) über eine Randkante (32) des Rollbe-
reichs (24);
Erzeugen einer zweiten taktilen Rückmeldung der Mehrzahl
von taktilen Rückmeldungen als Reaktion auf eine Bewe-
gung des Cursors (26) über das vom Benutzer auswählbare
Element (22);
Erzeugen einer dritten taktilen Rückmeldung der Mehrzahl
von taktilen Rückmeldungen als Reaktion auf eine Auswahl
des vom Benutzer auswählbaren Elements (22);
Erzeugen einer vierten taktilen Rückmeldung der Mehrzahl
von taktilen Rückmeldungen, die eine Rollgeschwindigkeit
einer visuellen Rückmeldung darstellt, die auf der An-
zeige (14) dargestellt ist.
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Zu den Unteransprüchen 2 bis 7, 9 bis 14 und 16, 17 wird auf die Akte verwiesen.
Als zugrundeliegende Aufgabenstellung ist der Anmeldung sinngemäß zu ent-
nehmen, ein Schnittstellensystem für ein Fahrzeugsystem und ein Verfahren zum
Manipulieren einer Anzeige dieses Schnittstellensystems zu entwickeln, wobei das
Schnittstellensystem eine haptisch befähigte Steuerung zum Bereitstellen einer
taktilen Rückmeldung an einen Benutzer während der Manipulation der Anzeige
umfasst, um dadurch die direkte visuelle Aufmerksamkeit zu verringern, die erfor-
derlich ist, um auf das Schnittstellensystem zuzugreifen (vgl. Offenlegungsschrift
Abs. [0003] / [0004] und Abs. [0017] / [0018]).


II.

Die rechtzeitig eingegangene und auch sonst zulässige Beschwerde führt zur Auf-
hebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an
das Deutsche Patent- und Markenamt gemäß PatG § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3.
1. Die vorliegende Patentanmeldung betrifft ein Eingabe-System zur Bedie-
nung von Funktionen im Kraftfahrzeug, mit einer „haptischen Vorrichtung“ zur Er-
zeugung von „taktilen Rückmeldungen“.
Der Ausdruck „taktile Rückmeldung“ wird in der Patentliteratur unterschiedlich ver-
wendet. Gemeint ist in jedem Fall eine für den Benutzer fühlbare („haptische“,
„taktile“) Information. Im einfachsten Fall kann das bereits eine passive, statische
Information sein, wie z. B. ein fühlbarer Druckpunkt bei Eingabetasten. Im vorlie-
genden Fall ist jedoch (und bekanntlich stellt eine Anmeldung hinsichtlich der ver-
wendeten Begriffe „ihr eigenes Lexikon“ dar, vgl. BGH GRUR 1999, 909 – Spann-
schraube) unter einer „taktilen Rückmeldung“ eine fühlbare Ausgabe eines bedien-
ten Systems in spezifischer Reaktion auf eine Bedienhandlung, also eine echte
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Rückmeldung über den Empfang der Bedienhandlung zu verstehen, siehe Offen-
legungsschrift z. B. Absatz [0005], Abs. [0021] bis [0023].
Es war auch schon vor dem Prioritätstag der Anmeldung allgemein bekannt, dass
derartige „taktile Rückmeldungen“ eine üblicherweise visuell vorgenommene Be-
dienung vereinfachen können, weil sie den Grad der nötigen visuellen Aufmerk-
samkeit für das bediente System verringern oder ganz ersetzen, indem sie Reak-
tionen bzw. Rückmeldungen (wie z. B. eine Bestätigung für eine erfolgte Eingabe)
durch eine andere (nicht-visuelle) Sinneswahrnehmung übermitteln. Typische tak-
tile Reize, die als „taktile Rückmeldungen“ eingesetzt werden, sind Vibrationen,
evtl. mit unterschiedlicher Frequenz, oder kurze Stöße, aber auch Kräfte, die eine
Bewegung eines Bedien-Elementes in bestimmte Richtungen erschweren oder
erleichtern (siehe Offenlegungsschrift Abs. [0024], [0025]; vgl. auch die Entgegen-
haltung D2, dort Absätze [0161] bis [0163]).
Unter dem Begriff „haptische Vorrichtung“ versteht die Anmelderin eine steuerbare
Vorrichtung, welche Kräfte oder Einwirkungen auf den Benutzer erzeugt, die vom
Benutzer als taktile Rückmeldungen empfunden werden. Dabei soll die anmel-
dungsgemäße „haptische Vorrichtung“ mehrere unterschiedliche Arten von Rück-
meldungen erzeugen können, so dass jede der taktilen Rückmeldungen dem Be-
nutzer eine unterschiedliche Empfindung vermittelt (siehe Offenlegungsschrift Ab-
satz [0016]).
Die Anmeldung ist nunmehr mit drei unabhängigen Patentansprüchen auf unter-
schiedliche Detaillierungsstufen für taktile Rückmeldungen einer Cursor-Steuerung
zur Auswahl von Funktionen eines Fahrzeugsystems gerichtet. Als Beispiel nennt
die Anmeldung eine Textliste von Mediendateien, auf die selektiv zugegriffen wer-
den kann, um eine Medienausgabe, wie beispielsweise eine Video- oder Audio-
ausgabe, zu erzeugen (Absatz [0018]). Dazu können etwa die einzelnen Medien-
Titel als Auswahl-Felder auf einer Anzeige in der Mittelkonsole des Fahrzeugs dar-
gestellt werden, und der Benutzer steuert, zum Beispiel mit einem Joysticks, einen
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Cursor auf ein Auswahlfeld, um die Wiedergabe der zugeordneten Mediendatei zu
starten (siehe Figur 1, Figur 2 und zugehörige Beschreibung). Weil i. d. R. wesent-
lich mehr Mediendateien verfügbar sind, als auf einem Anzeige-Bildschirm darge-
stellt werden können, ist ein „Rollbereich“ 24 vorgesehen; dort kann der Positions-
indikator 28 auf einem Rollbalken 30 mittels des Cursors in an sich bekannter
Weise verschoben werden, um den dargestellten Bereich von Medien-Titeln zu
verschieben (Absatz [0019] / Figur 2).
In der geltenden Anspruchsfassung ist den drei unabhängigen Patentansprü-
chen 1, 10 und 15 das Merkmal gemeinsam, dass „die haptische Vorrichtung (20)
von der [Cursor-] Steuerung (12) beabstandet ist“. Wie die Anmelderin in der
mündlichen Verhandlung erläutert hat, geht dieses Merkmal über die Festlegung
einer rein räumlichen Positionierung allein noch hinaus: denn aus dem räumlichen
Abstand zum Eingabeelement (d. h. zur Cursor-Steuerung 12) resultiert auch,
dass die fühlbare Rückmeldung nicht auf das Eingabeelement wirkt bzw. nicht
über dieses wahrgenommen wird, sondern an einer andren Stelle auf den Benut-
zer einwirkt.
Als Fachmann, der mit der Aufgabe betraut wird, für eine Steuerung von Fahr-
zeugfunktionen mittels Joystick und auf einem Fahrzeugbildschirm dargestellten
Cursor-Auswahlfeldern ein System für mehrere taktile Rückmeldungen zu schaf-
fen, sieht der Senat einen Entwicklungs-Ingenieur mit Master-Abschluss oder
einen Diplom-Physiker mit mehrjähriger Berufserfahrung im Bereich von Eingabe-
schnittstellen mit taktilen Rückmeldungen an.
2. Der Zurückweisungsbeschluss war aufzuheben, weil die von der Prüfungs-
stelle vorgebrachten Argumente eine Zurückweisung nicht begründen können.
2.1 Die Druckschrift D1 (DE 11 2007 003 600 T5), auf die allein der Zurückwei-
sungsbeschluss sich stützt, ist am 17. Juni 2010 und somit nach dem Prioritätstag
der vorliegenden Anmeldung veröffentlicht. Sie ist allerdings eine Übersetzung der
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WO 2009 / 14 521 A1, welche am 29. Januar 2009 und somit vorveröffentlicht ist;
eigentlich dürfte nur diese letztere Druckschrift für eine Prüfung auf erfinderische
Tätigkeit herangezogen werden.
D1 beschreibt ein Eingabegerät (z. B. Abs. [0039]: Maus, Abs. [0047]: Tastatur)
mit einer berührungsempfindlichen Oberfläche, wobei diese Oberfläche in mehrere
Teilflächen aufgeteilt sein kann, und jeder Teilfläche eine Funktion zugeordnet ist
(siehe etwa Figur 7, Figur 8 und zugeh. Beschreibung). Gemäß Absatz [0044]
können die Teilflächen („Segmente“) durch eine erfühlbare Strukturierung vonei-
nander abgegrenzt werden. Gemäß Absatz [0051] kann diese Strukturierung
durch eine elektronisch anregbare Membran 90 erfolgen (Figur 13), d. h. die Struk-
turierung kann elektrisch eingestellt werden.
Dies entspricht aber nicht einer „taktilen Rückmeldung“ i. S. d. Lehre der Anmel-
dung (s. o. Abschnitt 1., Absatz 2). Die elektrische Einstellung der Strukturierung
ist statisch, sie bewirkt erfühlbare Formen. Unter „taktiler Rückmeldung“ versteht
die Anmeldung aber eine unmittelbare Reaktion der Schnittstelle auf Benutzer-
handlungen. Eine solche Lehre gibt die D1 nicht. Insbesondere ist auch keine
Rede von einem „Rollbereich“ (Bildlaufleiste) und von einer speziellen fühlbaren
Rückmeldung, wenn der Cursor in den Rollbereich hineinbewegt wird oder wieder
heraus. Auch hinsichtlich einer Auslegung speziell für den Einsatz in einem Kraft-
fahrzeug findet sich in D1 nichts.
Insoweit zusammenfassend ist der Anmelderin zuzustimmen, dass D1 einen ent-
fernt liegenden Stand der Technik zeigt, der mit dem Gegenstand der vorliegen-
den Anmeldung kaum Gemeinsamkeiten hat. Ausgehend von D1 ist kein Weg
ersichtlich, wie der Fachmann zu den beanspruchten Gegenständen hätte gelan-
gen können.

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2.2 Auch die Argumentation der Prüfungsstelle zur Nicht-Berücksichtigung der
(damals geltenden) Merkmale, dass „die erste taktile Rückmeldung einer Manipu-
lation der Steuerung ein entgegengesetzter Widerstand“ sein soll, bzw. dass „eine
Intensität der zweiten taktilen Rückmeldung mit zunehmender Rollgeschwindigkeit
zunimmt“, „im Hinblick auf das Anliegen des Ausschlusstatbestands gemäß Art. 52
Abs. 2 Buchstabe c, Abs. 3 EPÜ“ (siehe Zurückweisungsbeschluss insbesondere
Seite 9 / Seite 10) vermag nicht zu überzeugen.
2.2.1 Dabei ist bereits nicht klar, warum der Prüfer sich auf das „Europäische Pa-
tentübereinkommen“ beruft. Die vorliegende Anmeldung ist eine deutsche Patent-
anmeldung, die nach deutschem Patentgesetz zu prüfen ist. Angesichts der
gleichlautenden Bestimmungen in PatG § 1 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 PatG kann dieser
Einwand aber dahinstehen.
2.2.2 Auch von der Sache her ist nicht einsichtig, warum eine Anweisung, dass
eine taktile Rückmeldung als ein Widerstand gegen eine Betätigungskraft ausge-
bildet sein soll, oder dass die Intensität einer taktilen Rückmeldung mit zuneh-
mender Rollgeschwindigkeit zunehmen soll, zu einer technischen Problemlösung
nichts beitragen könnte.
Denn die Frage, welche Arten oder Ausbildungsformen von taktilen Rückmeldun-
gen bei bestimmten Anordnungen von Bedien-Elementen möglich sind, richtet sich
zunächst an den technischen Fachmann, der geeignete Bauelemente auswählen
und Einsatzmöglichkeiten abwägen muss. Ein „konkretes technisches Problem“
könnte bereits darin liegen, mehrere unterscheidbare Arten von taktilen Rückmel-
dungen für den Nutzer bereitzustellen, welche zudem besonders geeignet sind,
auf die jeweils zugeordneten Bedien-Zustände hinzuweisen.
2.2.3 Der Prüfer hat argumentiert, die beiden genannten Maßnahmen entlasteten
den Benutzer von der Mühe, die Eingabe noch verifizieren zu müssen; damit dien-
ten sie ausschließlich der Erhöhung des Komforts für den Benutzer bei der Hand-
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habung des Geräts. Das gelöste Problem sei damit nicht ein technisches, sondern
eine Adaption des Programms an die menschlichen Möglichkeiten für eine schnel-
lere Verifikation der Eingabe.
Dies allein stellt aber keinen Ausschlusstatbestand dar. Viele anerkannte techni-
sche Erfindungen „dienen ausschließlich der Erhöhung des Komforts für den Be-
nutzer bei der Handhabung“ eines Geräts. Entscheidend ist vielmehr, ob die bean-
spruchten Maßnahmen die Lösung irgendeines (!) technischen Problems bestim-
men oder zumindest beeinflussen. Das ist, wie im vorherigen Abschnitt erläutert,
hier aber der Fall. Nur wenn ein Merkmal überhaupt nichts zu irgendeiner techni-
schen Problemlösung beiträgt, ist eine Nicht-Berücksichtigung angemessen.
3. Die geltenden unabhängigen Patentansprüche 1, 10 und 15 sind zulässig.
Das für alle drei Ansprüche gegenüber der ursprünglichen Fassung hinzukom-
mende Merkmal, dass „die haptische Vorrichtung (20) von der Steuerung (12)
beabstandet ist“, stellt eine der am Ende von Absatz [0016] skizzierten Alternati-
ven dar. Eine Beschränkung darauf trifft auf keine Einwände.
Die zusätzlichen Merkmale (g) und (h) des Patentanspruchs 1 gehen auf die
ursprünglichen Unteransprüche 2 und 3 zurück. Die Einfügung in den Ansprü-
chen 10 und 15, dass „das vom Benutzer auswählbare visuelle Element (22) eine
ausführbare Funktion eines Fahrzeugsystems (19) darstellt“, entspricht der Lehre
der Absätze [0018] bzw. [0022] und des ursprünglichen Unteranspruchs 11.
Auch die übrigen grundsätzlichen Voraussetzungen für eine Gewährbarkeit, ins-
besondere die Ausführbarkeit der beanspruchten Lehre sieht der Senat als gege-
ben an.

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4. Den unabhängigen Patentansprüchen 1, 10 und 15 in der geltenden Fas-
sung steht der bisher bekannt gewordene Stand der Technik nicht entgegen.
4.1 Folgende Druckschriften wurden bisher ermittelt:
D1 DE 11 2007 003 600 T5
D2 DE 20 2006 020 369 U1
D3 DE 201 15 882 U1
D4 DE 10 2007 057 924 B4
D5 DE 101 26 421 A1
D6 US 5 999 168 A
D7 US 6 219 034 B1
Wie bereits erläutert (s. o. Abschnitt 2.1), beschreibt die Druckschrift D1 keine
Maßnahmen für eine „taktile Rückmeldung“ in Reaktion auf Bedienhandlungen.
Eine Relevanz für die Anmeldung ist nicht ersichtlich.
Die Druckschrift D2 betrifft Aspekte einer universellen Eingabe-Schnittstelle für ein
handgehaltenes Mobilgerät. Lediglich in den Absätzen [0160] bis [0163] wird eine
„Rückmeldung“ an den Benutzer beschrieben, wobei die Ausführungen zu „hapti-
schem“ bzw. „taktilem“ Feedback sehr allgemein gehalten sind. Weder wird der
Einsatz in Fahrzeugen erwähnt, noch findet sich irgendein Hinweis, der zu fühlba-
ren Begrenzungen beim Wechsel auf einen Scrollbalken führen könnte. In Rich-
tung auf die genannten drei unabhängigen Patentansprüche kann der Fachmann
der D2 nicht mehr als die allgemeine Idee einer taktilen Rückmeldung entnehmen.
Die Druckschrift D3 beschreibt ein Web-Terminal, bei welchem in einem Fenster 5
sog. „Linkkategorien“ 14 als auswählbare Elemente dargestellt sind, wobei ein
Scrollbalken 15 vorgesehen ist, um mittels einer „Taste“ 9 durch die Liste der Ele-
mente zu scrollen (siehe Figur 1 / Beschreibung Seite 3). Eine in vier Richtungen
auslenkbare „Taste“ 11 dient zur Bewegung („Manipulation“ i. S. d. vorliegenden
Anmeldung) eines Cursors 13, 13‘ (Figur 4 / 5). Eine darüber hinausgehende Ähn-
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lichkeit zur Anmeldung ist nicht ersichtlich, insbesondere ist keinerlei „taktile Rück-
meldung“ erkennbar.
Auch die Druckschrift D4 ist nach dem Prioritätstag der vorliegenden Anmeldung
veröffentlicht; doch gibt es zu ihr eine vorveröffentlichte Offenlegungsschrift. Da-
rauf dürfte es aber nicht mehr ankommen: Die D4 beschreibt eine besonders für
Blinde ausgelegte Benutzerschnittstelle für Computer, wobei die optische Naviga-
tion mit Maus und Cursor durch eine fühlbare Rückkoppelung über Force-Feed-
back-Geräte ersetzt und zusätzlich durch 3D-Sound über Kopfhörer unterstützt
wird (siehe Absatz [0002]). Wesentliches Element der Lehre der D4 ist ein Einga-
begerät, das „Force-Feedback-Technologie unterstützt“ (Absatz [0030]); eine fühl-
bare Rückmeldung beabstandet vom Eingabegerät wird nicht beschrieben. Es
erscheint auch nur wenig überzeugend, dass der Fachmann zur Lösung der Auf-
gabe, für eine Steuerung von Fahrzeugfunktionen ein System für taktile Rückmel-
dungen zu schaffen, ausgerechnet die Druckschrift D4 herangezogen hätte.
Als bisher nächstkommenden Stand der Technik sieht der Senat die Druck-
schrift D5 an. Sie beschreibt ein Fahrzeugrechner-System mit einem Bildschirm,
auf welchem eine Landkarte für Navigationszwecke (Figur 2, 3a, 3b) oder eine In-
ternetseite mit Hyperlinks 82 und Auswahlmenüpunkten 66 (Figur 4a, 4b; Absatz
[0058]) dargestellt sein kann, wobei die Auswahl mittels Bewegung eines Cur-
sors 62 durch ein Bedienelement 22 erfolgt; ein „Rollbereich“ ist jedoch nicht
beschrieben (Merkmale (a), (c), (g), (h), sowie teilweise Merkmal (b)). Ferner ist
noch eine Vorrichtung 30 zur Erzeugung unterschiedlicher Kraft-Rückkoppelungen
vorgesehen, welche taktile Rückmeldungen in Form von fühlbaren Rasterungen
oder Gegenkräften auf das Bedienelement 22 erzeugt (Absatz [0039]). Dass die
Vorrichtung 30 „von der Steuerung beabstandet“ sein könnte, ist nicht angegeben
(Merkmal (d) nur teilweise entnehmbar). In Richtung auf Merkmal (e) ist noch von
Interesse, dass die D5 für Bewegung des Cursors in bestimmte Bereiche der An-
zeige (Abs. [0045] / [0046]: Randbereich 60 einer Straße auf einer Navigations-
karte; Absatz [0062]: Randbereich 60 eines Hyperlinks 82; Absatz [0064]: Randbe-
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reich des Bildschirms) die Erzeugung einer speziellen fühlbaren Gegenkraft lehrt,
die den Cursor in die Straße oder das Menüelement „hineinzieht“ oder vom Bild-
schirmrand wegzieht.
Die Druckschrift D6 war mit der Lehre, dass eine erzeugte Gegenkraft eine Funk-
tion der Position, Geschwindigkeit oder Beschleunigung des Steuerhebels sein
kann (vgl. Figur 14 / Spalte 23 Zeile 15 ff.: Kraft proportional zur Auslenkung), nur
für eine nicht mehr aktuelle Anspruchsfassung von Bedeutung.
Die Druckschrift D7 beschreibt ein Schnittstellensystem für ein Zeigegerät (poin-
ting device) mit einem Aktuator zur Erzeugung einer Mehrzahl von taktilen Rück-
meldungen, abhängig von der Cursorbewegung bzw. -position (siehe z. B. Tabelle
Spalte 5: beim Überqueren einer Schaltfläche („button boundary event“) ein „me-
dium intensity pulse“, beim Betätigen der Schaltfläche („button click“) ein „extra
high intensity pulse“). eine generelle Anregung, den Aktuator „von der Steuerung
beabstandet“ vorzusehen, kann der D7 nicht entnommen werden.
4.2 Keine dieser Druckschriften gibt eine Anregung, eine haptische Vorrichtung
vorzusehen, welche eine Mehrzahl von taktilen Rückmeldungen erzeugen kann
und „beabstandet von der Steuerung“ angeordnet sein soll (Teil-Aspekt von Merk-
mal (d)).
Wie die Anmelderin erläutert hat, ist dieses Merkmal so zu verstehen, dass nicht
nur die Vorrichtung selbst, welche die Kraft für taktile Rückmeldungen erzeugt,
sondern mit ihr auch der Ort der Einwirkung auf den Nutzer beabstandet sein soll
von der „Steuerung (12)“, d. h. dem Eingabegerät für die Steuerung des Cursors.
Üblich und aus dem zitierten Stand der Technik bekannt ist jedoch lediglich, dass
die taktile Rückmeldung unmittelbar am Eingabegerät erfolgt.

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Da jede Anregung in Richtung auf diesen Aspekt des Merkmals (d) bzw. die ent-
sprechenden Merkmale der Nebenansprüche fehlt, sind die jeweiligen Gegen-
stände der drei unabhängigen Ansprüche gegenüber dem bisher ermittelten Stand
der Technik neu und können nicht als für den Fachmann naheliegend beurteilt
werden.
5. Die Anmeldung ist jedoch – auch um der Anmelderin keine Tatsachenin-
stanz zu nehmen – an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen
(§ 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 PatG; Schulte, PatG, 10. Auflage (2017), § 79 Rdnr. 26).
Einer Patenterteilung steht entgegen, dass das Deutsche Patent- und Markenamt
die geltende Anspruchsfassung, insbesondere das geänderte Merkmal (d) noch
nicht geprüft hat. Denn der besondere Aspekt, dass die taktile Rückmeldung auf
den Nutzer beabstandet vom Eingabegerät erfolgen soll, ist aus der Beschreibung
abgeleitet und war bisher nicht Gegenstand des Prüfungsverfahrens. Eine dieses
berücksichtigende, umfassende Recherche steht noch aus.
6. Da noch nicht abschließend beurteilt werden kann, ob der bisher nicht
berücksichtigte Stand der Technik auch das Merkmal (d) vorwegnimmt oder nahe-
legt, hat sich der Senat mit den geltenden Unteransprüchen und einer erforderli-
chen Beschreibungsanpassung nicht befasst.


Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das
Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht
zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass

1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
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4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten
war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder still-
schweigend zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei
der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden
sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.

Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlus-
ses beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim
Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich
einzulegen.



Dr. Morawek Eder Baumgardt Dr. Forkel


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