17 W (pat) 45/15  - 17. Senat (Techn.Beschw.)
Karar Dilini Çevir:

BPatG 154
05.11

BUNDESPATENTGERICHT



17 W (pat) 45/15
_______________
(Aktenzeichen)



Verkündet am
1. August 2017





B E S C H L U S S

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2004 027 270.0 - 53



- 2 -
hat der 17. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 1. August 2017 unter Mitwirkung des
Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Morawek, der Richterin Eder, des Richters
Dipl.-Ing. Baumgardt und des Richters Dipl.-Phys. Dr. Forkel

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.


G r ü n d e

I.

Die Beschwerdeführerin ist zusammen mit den weiteren Verfahrensbeteiligten 1),
2) und 3) gemeinsame Anmelderin der am 3. Juni 2004 beim Deutschen Patent-
und Markenamt eingereichten Patentanmeldung mit der Bezeichnung

„System und Verfahren zur Bestimmung einer Position,
insbesondere für Augmented-Reality Anwendungen“.

Die Anmeldung wurde durch Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des
Deutschen Patent- und Markenamts in der Anhörung vom 25. September 2015 mit
der Begründung zurückgewiesen, dass der Gegenstand des Hauptanspruchs
mangels erfinderischer Tätigkeit nicht gewährbar sei, da das anspruchsgemäße
System keine technischen Merkmale aufweise, die auf einer erfinderischen Tätig-
keit beruhten; der Abstand zum Stand der Technik (gemäß der Druckschrift D3,
s. u.) ergebe sich allenfalls aus Merkmalen, die die Lösung eines technischen Pro-
blems mit technischen Mitteln nicht bestimmten oder beeinflussten (unter Bezug
auf BGH GRUR 2011, 125 – Wiedergabe topografischer Informationen).

- 3 -
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde der Siemens AG als einer der An-
melderinnen gerichtet. Sie führt aus, dass der Zurückweisungsbeschluss nicht auf
die Frage eingehe, ob und wie der Fachmann zur zugrundeliegenden Aufgabe
gelangen würde, und warum und wie er ausgehend vom Stand der Technik, ohne
erfinderisch tätig zu werden, bei deren Lösung zum Gegenstand der Patentan-
sprüche gelangen würde.

Die Beschwerdeführerin stellt den Antrag,

den angegriffenen Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte
Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

Patentansprüche 1 bis 23 vom 27. November 2014,
noch anzupassende Beschreibung Seiten 1 bis 10
vom Anmeldetag,
1 Blatt Zeichnung mit einer Figur vom 17. Juni 2004.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet (mit einer Merkmalsgliederung wie im Zu-
rückweisungsbeschluss):

(a) 1. System zur Positionsbestimmung eines Benutzers und /
oder einer beweglichen Vorrichtung mittels Trackingverfah-
ren, insbesondere für Augmented-Reality Anwendungen, mit
(b) – einer Schnittstelle (9) zur Integration von mindestens
zwei unterschiedlichen, jeweils einem Trackingverfahren zu-
geordneten Sensortypen (1, 2, 3, 4),
(c) – einer Konfigurationseinheit (20) zur Beschreibung einer
Kommunikation zwischen den Trackingverfahren und
(d) – mindestens einer Verarbeitungseinheit (5, 6, 7, 8, 10,
11, 12, 13, 16) zur Berechnung der Position des Benutzers
- 4 -
und/oder der beweglichen Vorrichtung auf Basis der von den
Trackingverfahren gelieferten Daten,
dadurch gekennzeichnet,
(e) – dass Vorverarbeitungseinheiten (10, 11) zur Berech-
nung einer Bewegung des Benutzers und/oder der bewegli-
chen Vorrichtung auf Basis von videobasierten Daten vorge-
sehen sind, wobei die Berechnung aufgrund einer Verfolgung
der Verschiebung von Merkmalen in aufeinander folgenden
Bildern erfolgt,
(f) – dass eine Direkt-Verarbeitungseinheit (12) zur Berech-
nung der Position und/oder eines Blickwinkels des Benutzers
und/oder einer Bewegungsrichtung der beweglichen Vorrich-
tung vorgesehen ist, wobei die Berechnung auf Basis der
Ergebnisse der Vorverarbeitungseinheiten (10, 11) und/oder
einer von einer zentralen Verarbeitungseinheit (13) bereitge-
stellten Position erfolgt,
(g) – dass eine Indirekt-Verarbeitungseinheit (16) zur Be-
rechnung der Position und/oder des Blickwinkels des Benut-
zers und/oder der Bewegungsrichtung der beweglichen Vor-
richtung vorgesehen ist, wobei die Berechnung auf Basis von
Algorithmen zur Fehlervermeidung erfolgt, und
(h) – dass die zentrale Verarbeitungseinheit (13) zur Zusam-
menführung der einzelnen Verarbeitungsschritte der Verar-
beitungseinheiten (7, 8, 10, 11, 16) vorgesehen ist, wobei
Mittel (22) zur Berechnung der Zuverlässigkeit der Ergeb-
nisse vorgesehen sind.

Zum nebengeordneten Verfahrensanspruch 11 und zu den Unteransprüchen 2 bis
10 und 12 bis 23 wird auf die Akte verwiesen.
- 5 -
Die der Anmeldung zugrundeliegende Aufgabe sieht die Beschwerdeführerin nun-
mehr (laut Beschwerdeschriftsatz Seite 4 Absatz 2) in der Realisierung der Echt-
zeitfähigkeit eines Gesamt-Trackingsystems unter Berücksichtigung vorhandener
Ressourcen, z. B. bei einem tragbaren Computer – vgl. Offenlegungsschrift Ab-
satz [0014].

Im Laufe des Verfahrens wurden folgende Druckschriften entgegengehalten:

D1 RIBO, Miguel et al.: A new Optical Tracking System for Vir-
tual and Augmented Reality Applications. In: IEEE Instru-
mentation and Measurement Technology Conference,
Budapest, 21.–23. Mai 2001, Seiten 1932 bis 1936
D2 US 2004 / 73 360 A1
D3 REITMAYR, Gerhard; SCHMALSTIEG, Dieter: OpenTracker
– An Open Software Architecture for Reconfigurable Track-
ing based on XML. In: Technical Report TR-186-2-00-18,
September 2000, Seiten 1–5, Vienna University of Techno-
logy. Im Internet: https://www.cg.tuwien.ac.at/research/publi-
cations/2000/Schm-2000-Bri/TR-186-2-00-18Paper.pdf
D4 SATOH, K. et al.: A Hybrid Registration Method for Outdoor
Augmented Reality. In: ISAR 2001 Proceedings (IEEE and
ACM International Symposium on Augmented Reality), New
York, USA, 29.–30. Oktober 2001, Seiten 67–76
D5 US 6 148 280 A
D6 YOU, Suya; NEUMANN, Ulrich; AZUMA, Ronald: Orientation
Tracking for Outdoor Augmented Reality Registration. In:
IEEE Computer Graphics and Applications, Nov./Dez. 1999,
Seiten 36–42
- 6 -
D7 AUER, Thomas; PINZ, Axel: "The integration of optical and
magnetic tracking for multi-user augmented reality". In: Com-
puters & Graphics, Vol. 23 (1999), Elsevier Science Ltd.,
Seiten 805–808


II.

Die von einer der Anmelderinnen eingelegte, rechtzeitig eingegangene und auch
sonst zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Denn die Lehre, auf die der gel-
tende Patentanspruch 1 gerichtet ist, ist in der Anmeldung nicht so deutlich und
vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann (§ 34 Abs. 4 PatG).

1. Die Anmeldung betrifft ein komplexes System zur Positionsbestimmung
eines Benutzers oder einer beweglichen Vorrichtung mittels Positionsverfolgung
(„Tracking“). Dazu sollen unterschiedliche Tracking-Verfahren herangezogen und
deren Ergebnisse geeignet überlagert werden. Grundsätzlich waren vor dem An-
meldetag verschiedene Tracking-Verfahren bekannt, wie z. B. optische Verfahren,
bei denen aus der Veränderung aufeinanderfolgender Kamera-Bilder eine Positi-
onsveränderung abgeleitet werden kann (Offenlegungsschrift Abs. [0005], [0023]);
oder inertiale, magnetische oder akustische Verfahren (Abs. [0003]). Die Anmel-
dung geht zunächst von der Erkenntnis aus, dass jedes Verfahren für sich
genommen Vorteile, aber auch spezifische Nachteile hat. Es habe daher im Stand
der Technik bereits Ansätze gegeben, mehrere Verfahren zu kombinieren (siehe
Abs. [0004], [0006]). Keiner dieser Ansätze sei aber geeignet, eine Echtzeitfähig-
keit auf mobilen Systemen bereitzustellen.

Die Anmeldung schlägt nun ein universelles „Framework“ vor, das es ermögliche,
innerhalb eines Systems durch definierte Schnittstellen unterschiedliche Tracking-
Verfahren einsetzen zu können, wobei die einzelnen Verfahren sehr leicht aus-
- 7 -
tauschbar, anpassbar und ergänzbar seien (siehe Abs. [0010], [0012] – vgl. die
Merkmale (a) bis (d)).

Das mit den Merkmalen (e), (f) und (g) näher definierte System soll mehrere Ver-
arbeitungseinheiten aufweisen, die geeignet zusammenwirken. Eine zentrale Ver-
arbeitungseinheit ist für eine „Zusammenführung der einzelnen Verarbeitungs-
schritte“ vorgesehen; dabei soll auch die Zuverlässigkeit der Ergebnisse berechnet
werden (siehe Abs. [0026] – Merkmal (h)). Wie die Beschwerdeführerin ausführt,
sei eine Positionsermittlung unter Verwendung von Algorithmen zur Fehlervermei-
dung, wie sie in der sog. „lndirekt-Verarbeitungseinheit“ (Merkmal (g)) durchge-
führt werde, insbesondere bei schwächeren (z. B. tragbaren) Computersystemen
relativ zeitaufwändig, so das mit einem solchen Verfahren zwar eine genauere,
aber keine Echtzeit-Positionsermittlung möglich sei. Erst die beanspruchte Kombi-
nation einer solchen lndirekt-Verarbeitungseinheit mit einem herkömmlichen, ein-
facheren Positionsermittlungsverfahren in der Direkt-Verarbeitungseinheit (Merk-
mal (f) i. V. m. Merkmal (e)) ermögliche eine Echtzeit-Positionsermittlung, indem
beispielsweise zwischen zwei „genaueren“ Positionen, die mit der lndirekt-Verar-
beitungseinheit ermittelt wurden, von der Direkt-Verarbeitungseinheit gelieferte
„Echtzeit-Positionsdaten“ eingefügt werden könnten (nicht spezifisch beansprucht,
„Zusammenführung“ gemäß Merkmal (h)).

Als Fachmann, der mit der Aufgabe betraut wird, ein echtzeitfähiges Tracking-
System insbesondere auf mobilen Geräten zu schaffen, das die vorhandener Res-
sourcen optimal ausnutzt, ist hier ein Entwicklungs-Ingenieur mit Master-Ab-
schluss oder ein Diplom-Physiker mit mehrjähriger Berufserfahrung im Bereich der
Positionsbestimmung und von Tracking-Verfahren anzusehen.

2. Die beanspruchte Erfindung ist in der Anmeldung nicht so deutlich und voll-
ständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Einige der im Patent-
anspruch enthaltenen Angaben erschöpfen sich in einer Umschreibung der der
- 8 -
Erfindung zugrundeliegenden Aufgabe (vgl. BGH BGHZ 92, 129 – Acrylfasern),
konkrete Angaben zur Realisierung fehlen.

2.1 Dies gilt insbesondere für die mit Merkmal (h) beanspruchte „Zusammen-
führung der einzelnen Verarbeitungsschritte der Verarbeitungseinheiten“, mit wel-
cher aus unterschiedlichen Tracking-Verfahren stammende Positionsdaten zur Be-
stimmung der aktuellen Position in Übereinstimmung gebracht werden sollen.

Solches ist jedoch ein sehr schwieriger Prozess, der Algorithmen zur Bewertung
der (momentanen) Qualität der Einzelergebnisse und Regeln zur Rangfolge oder
zur Einflussgröße bei der Bestimmung des Gesamt-Ergebnisses erfordert (vgl.
etwa D6 Seite 39 rechte Spalte unten / Seite 40 linke Spalte; D7 Abschnitt 2.4).
Die Anmeldung gibt hierzu keine nähere Anleitung (vgl. Absatz [0026], [0033]), sie
geht inhaltlich nicht über die Forderung hinaus, „dass“ die Ergebnisse zusammen-
geführt werden müssten. Die Beschwerdeführerin hat (zur Frage einer erfinderi-
schen Tätigkeit) vorgetragen, der Stand der Technik beschreibe zwar Teil-Aspekte
der vorliegenden Anmeldung, aber gerade nicht die beanspruchte ökonomische
Kombination von Ergebnissen unterschiedlicher Verarbeitungseinheiten. Wie dies
konkret geschehen soll, lehrt aber auch die Anmeldung nicht.

Diese „Zusammenführung der einzelnen Verarbeitungsschritte der Verarbeitungs-
einheiten“ stellt sich somit lediglich als Aufgabe dar, die der Fachmann erst noch
durch umfangreiche Versuche und Entwicklung neuer Algorithmen lösen muss.
Ein solcher Vorschlag, den ein Durchschnittsfachmann nur mit großen Schwierig-
keiten und nicht oder nur durch Zufall ohne vorherige Misserfolge praktisch ver-
wirklichen kann, ist keine ausreichend offenbarte technische Lehre (BGH GRUR
1980, 166 – Doppelachsaggregat).

Mit dieser Beurteilung sieht sich der Senat auch in Übereinstimmung mit dem Zu-
rückweisungsbeschluss einer Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts für
eine Nachanmeldung der hier vorliegenden Anmeldung (Beschluss vom
- 9 -
22. Dezember 2016 betreffend die europäische Patentanmeldung
Nr. 05 104 782.7, dort insbesondere Abschnitte 12 und 14).

2.2 Darüber hinaus sind der Anmeldung auch keine näheren Anleitungen ent-
nehmbar, wie etwa gemäß Merkmal (g) eine Berechnung „auf Basis von Algorith-
men zur Fehlervermeidung“ erfolgen sollte, oder wie und inwieweit die gemäß
Merkmal (h) durchgeführte „Berechnung der Zuverlässigkeit der Ergebnisse“ in die
Positionsbestimmung eingeht.

So wird bereits im o. g. Zurückweisungsbeschluss des Europäischen Patentamts
auf die Unmöglichkeit hingewiesen, im gegebenen Zusammenhang Fehler bei der
Positionsbestimmung zu vermeiden (siehe dort Abschnitt 14.4). Unabhängig
davon stellt dieser Teil des Merkmals (g) ebenfalls nur eine Aufgabe dar, die für
den Fachmann allein aufgrund der Angaben in der Anmeldung unter Zuhilfenahme
seines Fachwissens nicht lösbar ist. Dasselbe gilt für die Berücksichtigung der Zu-
verlässigkeit aus Merkmal (h).

3. Dies allein führt bereits dazu, dass der Patentanspruch 1 nicht gewährt wer-
den kann. Dass außerdem der Gegenstand dieses Patentanspruchs 1 gegenüber
dem zitierten Stand der Technik auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beru-
hen dürfte, braucht daher nicht weiter erörtert zu werden.

Mit dem Patentanspruch 1 fallen die übrigen Ansprüche, da über einen Antrag nur
einheitlich entschieden werden kann.


Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das
Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht
zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass

- 10 -
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten
war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder still-
schweigend zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei
der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden
sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.

Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlus-
ses beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim
Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich
einzulegen.



Dr. Morawek Eder Baumgardt Dr. Forkel


Fa


Full & Egal Universal Law Academy