17 W (pat) 44/15  - 17. Senat (Techn.Beschw.)
Karar Dilini Çevir:

ECLI:DE:BPatG:2018:181218B17Wpat44.15.0


BUNDESPATENTGERICHT



17 W (pat) 44/15
_______________
(Aktenzeichen)



Verkündet am
18. Dezember 2018





B E S C H L U S S

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2008 007 579.5








hat der 17. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 18. Dezember 2018 unter Mitwirkung des
Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Morawek, der Richterin Eder, des Richters
Dipl.-Ing. Baumgardt und des Richters Dipl.-Phys. Dr. Forkel
- 2 -
beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.


G r ü n d e

I.

Die vorliegende Patentanmeldung wurde am 1. Februar 2008 beim Deutschen
Patent- und Markenamt eingereicht. Sie trägt die Bezeichnung

„Client-Vorrichtung und Server-Vorrichtung“.

Die Anmeldung wurde durch Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G06F des
Deutschen Patent- und Markenamtes in der Anhörung vom 17. September 2015
zurückgewiesen. Zur Begründung führte die Prüfungsstelle aus, dass der Gegen-
stand des (damaligen) Patentanspruchs 1 auf keiner erfinderischen Tätigkeit be-
ruhe.

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde der Anmelderin gerichtet.

Die Anmelderin stellte den Antrag,

den angegriffenen Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte
Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

gemäß Hauptantrag mit
Patentansprüchen 1–8 vom 14.12.2018
(dort bezeichnet mit „Hilfsantrag I“),
- 3 -
Beschreibung Seiten 1–11 und
4 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1, 2, 3a–c, 4, jeweils vom Anmel-
detag;

gemäß Hilfsantrag mit
Patentansprüchen 1–8 vom 14.12.2018
(dort bezeichnet mit „Hilfsantrag II“),
im Übrigen wie Hauptantrag.

Im Prüfungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt wurde auf die
Druckschriften

D1: PORTER, Adam [et al]: Techniques and processes for improving the
quality and performance of open-source software, 2006; In: Software
Process: Improvement and Practice, Vol. 11 (2) 163–176; DOI: 10.1002/
spip.260;

D2: JANG, Soobaek; GREEN, Tonja M.: Best Practices on Delivering A
Wiki Collaborative Solution for Enterprise Applications; In: Collaborative
Computing: Networking, Applications and Worksharing, 2006. Collaborate-
Com 2006. International Conference on; Seiten 1–9; 17 – 20 Nov. 2006; DOI:
10.1109/COLCOM.2006.361852;

D3: STAMEY, John; RICHARDSON, Trent: Middleware development with
AJAX; In: Journal of Computing Sciences in Colleges, Vol. 22 (2) 281–287,
Dezember 2006, ISSN: 1937–4771; [online] URL:
http://dl.acm.org/citation.cfm?id=1181948 [abgerufen: 20.09.2012];

D4: Bo LEUF; Ward CUNNINGHAM: The Wiki Way: Quick Collaboration on
the Web, Chapter 4: Using Wiki; Addison-Wesley Longman; 2001; Seiten 73–
- 4 -
120; ISBN: 020171499X; [online] http://www.foo.be/docs-free/WikiWay_04.pdf
[abgerufen am 20.09.2012];

D5: SUSSMAN, D.; WebDAV: a panacea for collaborative authoring?, 1999,
In: MultiMedia, IEEE, Vol. 6 (2) 76–79; DOI: 10.1109/93.771375;

D6: WHITEHEAD, E J JR: World Wide web distributed authoring and ver-
sioning (WebDAV): an introduction; 1997, In: ACM StandardView Magazine,
Vol. 5 (1) 3–8; DOI: 10.1145/253452.253458

und

D7: BERLIN, Daniel; ROONEY, Garrett: Practical subversion. Apress, 2006,
Seiten 1–5.
URL:
https://buildrelease.googlecode.com/hg/Trunk/BreBooks/Practical%20Sub
version%20Second%20Edition.pdf [abgerufen am 9.6.2015]

hingewiesen.

Vom Senat wurde zusätzlich die Druckschrift

D8: US 7 000 184 B2

ermittelt.

Zu den Einzelheiten wird auf die Akte verwiesen.
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Der geltende Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag, hier mit einer möglichen
Gliederung versehen, lautet:

M1 Client-Vorrichtung, die ausgebildet ist, über ein Kommunikationsnetzwerk
mit einer entfernten Server-Vorrichtung, auf der ein Visualisierungspro-
gramm abläuft, zu kommunizieren, wobei die Client-Vorrichtung folgende
Merkmale umfasst:

M2 eine Empfangseinrichtung (101) zum Empfangen einer Kopie des Visualisie-
rungsprogramms über das Kommunikationsnetzwerk;

M3 eine Prozessoreinrichtung (103) zum Durchführen einer Änderung in der
Kopie des Visualisierungsprogramms; und

M4 eine Sendeeinrichtung (105) zum Aussenden der Änderung in Echtzeit über
das Kommunikationsnetzwerk zu der entfernten Server-Vorrichtung, die
dazu ausgebildet ist, Informationen über eine Mausbewegung oder über
eine Tastatureingabe als die Änderung auszusenden,

M5 wobei die Sendeeinrichtung (105) oder die Empfangseinrichtung (101) aus-
gebildet ist, eine Echtzeitverbindung über das Kommunikationsnetzwerk auf-
zubauen oder aufrechtzuerhalten.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag unterscheidet sich von Patentan-
spruch 1 gemäß Hauptantrag durch die Merkmale M6, M7 und M8, die auf die
Merkmale M1 bis M5 folgen sollen, d. i.

M6 „wobei das auf der Server-Vorrichtung ablaufende Visualisierungspro-
gramm mittels der Client-Vorrichtung geändert wird,“
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M7 „wobei die Kopie des Visualisierungsprogramms als Basis zur Durchführung
der Änderung in dem Visualisierungsprogramm dient, und“

M8 „wobei die Änderung in Echtzeit zu der Server-Vorrichtung übertragen wird,
woraufhin das auf der Server-Vorrichtung ablaufende Visualisierungspro-
gramm geändert wird.“

Zu den übrigen Patentansprüchen und den weiteren Einzelheiten wird auf die Akte
verwiesen.

Die Anmelderin trägt vor, dass gemäß dem Gegenstand der Anmeldung ein in
einer verteilten Systemumgebung tatsächlich ablaufendes Visualisierungspro-
gramm online – und zwar in Echtzeit – überarbeitet bzw. geändert werden könne.
Laut Patentanspruch 1 gemäß Haupt- bzw. Hilfsantrag werde die vom Nutzer vor-
genommene Änderung konkretisiert als Information über eine Mausbewegung
oder Tastatureingabe. Diese Information werde über ein Netzwerk in Echtzeit vom
Client an den Server übertragen.

Gegenüber dem eingeführten Stand der Technik sei der Gegenstand des jeweili-
gen Patentanspruchs 1 neu und beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit.


II.

Die Beschwerde wurde rechtzeitig eingelegt und ist auch sonst zulässig. Sie hat
jedoch keinen Erfolg, da der jeweilige Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß
Haupt- und Hilfsantrag nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht (§ 1 Abs. 1 in Ver-
bindung mit § 4 Satz 1 PatG).

1. Die vorliegende Patentanmeldung betrifft das Gebiet der Informationstech-
nologie (Offenlegungsschrift, [0001]) und bezieht sich v. a. auf das Ändern von
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Computerprogrammen, insbesondere von Visualisierungsprogrammen, im Client/
Server-Umfeld (Offenlegungsschrift, [0006]).

Laut Anmeldung bestehe die klassische Aufgabe einer Visualisierung von bei-
spielsweise internen Zuständen einer elektronischen Vorrichtung oder von Prozes-
sen darin, applikations- oder prozessspezifische Daten einer Automatisierungsan-
wendung darzustellen und dem Anwender die Möglichkeit zu geben, diese zu
beeinflussen und damit steuernd und regelnd in die Automatisierungsanwendung
einzugreifen. Dabei könne der Benutzer über eine grafische Darstellung innerhalb
der Visualisierung unterlagerte Automatisierungsprozesse beobachten oder durch
Eingabe von Werten bzw. das Betätigen von Bedienelementen diese Prozesse
beeinflussen (Offenlegungsschrift, [0002]). Die Erstellung einer Visualisierung mit
ihren Funktionalitäten erfolge heutzutage durch eine proprietäre – also hersteller-
gebundene – Entwicklungsumgebung auf einem lokalen PC oder einem Server.
Das habe den Nachteil, dass eine Veränderung oder eine Ergänzung der Visuali-
sierung nur mit der proprietären Entwicklungsumgebung möglich sei, mit der sie
erstellt worden sei. Daraus ergebe sich gleichzeitig die Festlegung auf das von der
Entwicklungsumgebung unterstützte Betriebssystem. Sei die Visualisierung auf
einem entfernten Server im Einsatz, so müsse diese nach jeder Modifikation
erneut von einem Entwicklungsrechner aus auf den Server übertragen werden.
Ferner seien die Veränderungen und Erstellungen der Visualisierung an den Ort
gebunden, wo sich der lokale PC befinde, auf dem die Entwicklungssoftware laufe
(Offenlegungsschrift, [0006]). Das geschilderte Problem gelte nicht nur für Visuali-
sierungssoftware, sondern gleichermaßen für beliebige Computerprogramme in
einem dezentralen System- bzw. Informationsszenario (Offenlegungsschrift,
[0007]).

In einer besonderen Ausgestaltung betrifft die Anmeldung eine Web-basierte Ent-
wicklungsplattform. Beispielhaft wird in den Absätzen [0039] und [0040] der Offen-
legungsschrift das Laden einer auf dem Server bereitliegenden Web-Seite mit
eingebetteten Script-Elementen beschrieben, wobei der Anwender mittels dieser
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Script-Elemente die auf dem Server liegenden Web-Seiten direkt auf dem Server
online, also in Echtzeit, verändern kann.

Die der Anmeldung zugrunde liegende objektive Aufgabe sieht der Senat darin,
ein Verfahren zur Entwicklung von Computerprogrammen in einer dezentralen
Systemumgebung anzugeben, mit dem ein dort ablaufendes Visualisierungspro-
gramm online, und zwar in Echtzeit, überarbeitet werden kann.

Als Fachmann, der mit der Aufgabe betraut wird, die Entwicklung von Computer-
programmen in einer verteilten Systemumgebung zu verbessern, ist ein Diplom-
Informatiker mit mehrjähriger Berufserfahrung in der Applikationsentwicklung
anzusehen, der insbesondere über fundierte Kenntnisse auf dem Gebiet der Soft-
wareentwicklung in einem verteilten Umfeld verfügt.

2. Der jeweilige Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Haupt- und Hilfs-
antrag beruht nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

2.1 Zur Lehre des Patentanspruchs 1

Zur Lösung der oben genannten Aufgabe schlägt der Patentanspruch 1 gemäß
Hilfsantrag, der sämtliche Merkmale des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag
beinhaltet, eine Client-Vorrichtung vor, die ausgebildet ist, über ein Kommunikati-
onsnetzwerk mit einer entfernten Server-Vorrichtung zu kommunizieren, auf der
ein Visualisierungsprogramm abläuft (Merkmal M1).

Die Client-Vorrichtung umfasst eine Empfangseinrichtung, mit der über das Kom-
munikationsnetzwerk eine Kopie des Visualisierungsprogramms empfangen wer-
den kann (Merkmal M2).

Weiterhin beinhaltet sie eine Prozessoreinrichtung zur Durchführung einer Ände-
rung in der Kopie des Visualisierungsprogramms (Merkmal M3).
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Ferner verfügt die beanspruchte Client-Vorrichtung über eine Sendeeinrichtung,
mit der die vorgenommene Änderung in Echtzeit über das Kommunikationsnetz-
werk zur entfernten Server-Vorrichtung übertragen werden kann. Als Änderung
werden Informationen über eine Mausbewegung oder Tastatureingabe übermittelt
(Merkmal M4). Entsprechend dem Vortrag der Anmelderin ist Merkmal M4 so zu
verstehen, dass die zur Durchführung von Änderungen am Visualisierungspro-
gramm notwendigen Mausbewegungen und Tastatureingaben vom Client entge-
gengenommen und unmittelbar über ein Netzwerk an den Server übertragen wer-
den. Insoweit ähnelt die beanspruchte Client-Vorrichtung einer textbasierenden
Konsole mit direkter, echtzeitfähiger Verbindung zum Server. Die Übertragung
irgendeiner Code-Änderung, die wie allgemein üblich zuvor mittels Mauszeiger
und/oder Tastatur lokal am Client vollzogen worden ist, ist in Merkmal M4 nicht
gemeint.

Sende- oder Empfangseinrichtung sind dazu ausgelegt, über das Kommunikati-
onsnetzwerk eine Echtzeitverbindung aufzubauen oder aufrechtzuerhalten (Merk-
mal M5).

Mit den Merkmalen M6, M7 und M8 wird im Wesentlichen klargestellt, dass das
auf der Server-Vorrichtung ablaufende Visualisierungsprogramm mittels der
Client-Vorrichtung geändert wird, wenn Änderungen in Echtzeit zur Server-Vor-
richtung übertragen werden. Dabei soll die Kopie des Visualisierungsprogramms
die Grundlage für die Durchführung der Änderung in dem Visualisierungspro-
gramm bilden.

2.2 Zur Beurteilung der beanspruchten Lehren ist die Druckschrift D8 von
besonderer Bedeutung.

Die Druckschrift D8 befasst sich mit einem Verfahren bzw. System zum clientseiti-
gen, visuellen Editieren von Webseiten in einer verteilten Systemumgebung wie
dem World Wide Web. Das offenbarte Verfahren ist im Wesentlichen als Web-
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bzw. WYSIWYG-Editor („what you see is what you get“-Editor) implementiert, der
in einer Browser-Anwendung abläuft, ohne dass zusätzliche Software installiert
werden muss (Spalte 1, Zeilen 17 bis 23). Das Verfahren beruht auf der Erstellung
editierbarer Webseiten („editable web pages“), die z. B. aus dem Internet in den
Browser eines Client-Rechners geladen und dort bearbeitet werden können. Zur
Durchführung des Verfahrens sind weder besondere Plug-Ins noch Applets not-
wendig (Spalte 2, Zeilen 57 bis 65).

Damit führt die Druckschrift D8, die als nächstliegender Stand der Technik anzu-
sehen ist, den Fachmann zu einer Systemanordnung, die einen Mechanismus zur
Erstellung von Webseiten, basierend auf einem Web-Editor bereitstellt (Abstract;
Spalte 4, Zeilen 48 bis 54, siehe „… application server 102 provides web site cre-
ation …“; „The invention can be used, however for user editing of any web page
…“ u. a.). Die Webseiten der Druckschrift D8 entsprechen den anspruchsge-
mäßen Visualisierungsprogrammen, d. h. Computerprogrammen zur optischen
Veranschaulichung bzw. grafischen Darstellung von Informationen. Die bekannte
Systemanordnung umfasst eine Mehrzahl von Client-Rechnern (Fig. 1; siehe
„User“ 120, 122; „Customer Handheld“ 134; „Customer“ 130, 132), die mit einem
entfernten Applikationsserver 102 über ein Netzwerk 100 (Spalte 4, Zeilen 36 bis
41; siehe LAN, WAN oder Internet) kommunizieren. Applikationsserver 102 stellt
Dienste zur Erstellung, Wartung und Unterbringung von Websites bereit, zu denen
die Webseiten einzelner Anbieter 110, 112 („business entity groups“) gehören
(Spalte 4, Zeilen 48 bis 50). Damit offenbart die Druckschrift D8 auch Visualisie-
rungsprogramme (nämlich in Gestalt von Webseiten), die auf einem Server abge-
legt sind und dort „ablaufen“. Merkmal M1 ist sonach erfüllt.

Applikationsserver 102 beherbergt eine Web Site Manager-Anwendung, über die
ein Nutzer eines Client-Rechners in den Modus zum Editieren diverser Websites
gelangt. Die editierbaren Websites mit den zugehörigen Webseiten sind Kopien
der jeweiligen „live“ Websites, die der Öffentlichkeit zugänglich sind. Editierbare
und „live“ Websites sind auf dem Applikationsserver 102 getrennt voneinander
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gespeichert. Um Veränderungen an den Webseiten einer Website vornehmen zu
können, kann der Nutzer des Client-Rechners eine Kopie der ausgewählten Web-
seite per Mausklick auf eine Menüschaltfläche des Web Site Managers zur Vor-
schau in seinen Browser herunterladen (Fig. 3; Fig. 4; Spalte 5, Zeile 60 bis
Spalte 6, Zeile 8). Der Fachmann wird in der Druckschrift D8 mitlesen, dass der
Client-Rechner des Nutzers zur Durchführung der genannten Verfahrensschritte,
insbesondere für den Download von Webseiten über eine geeignete Empfangsein-
richtung, z. B. eine Netzwerkkarte, einen WLAN-Adapter o. ä. verfügen muss.
Merkmal M2 geht damit aus der Druckschrift D8 hervor.

Entsprechend den Figuren 5A, 5B, 6 und 7 kann der Nutzer die herunter geladene
Kopie der Webseite editieren und Veränderungen insbesondere am Layout Design
und an den jeweils dargestellten Inhalten durchführen (Spalte 6, Zeile 21 bis
Spalte 7, Zeile 5). Dass die Edit-Funktion nur dann erfolgreich ausgeführt werden
kann, wenn der verwendete Client-Rechner mit entsprechenden Datenverarbei-
tungsmitteln, z. B. einem Prozessor ausgestattet ist, ist trivial (Merkmal M3).

Die einzelnen Editier-Schritte, z. B. die Texteingabe mittels Tastatur (Spalte 7,
Zeilen 6 bis 11) oder die Auswahl eines Layout Designs (Spalte 6, Zeilen 21 bis
26) in den jeweiligen Ansichten des Web Site Managers werden per Mausklick auf
„OK“ Schaltflächen abgeschlossen, wodurch die gewünschten Änderungen zu-
sammen mit weiteren Informationen (z. B. Kennzeichner von Webseite und Web-
site) über das Netzwerk 100 zum entfernten Applikationsserver 102 übertragen
werden (Spalte 7, Zeilen 40 bis 50; Spalte 3, Zeilen 45 bis 49). Java Server
Pages, DHTML (d. i. dynamisches HTML) und JavaScript bilden hierbei die
Grundlage für die Auswertung von Benutzerinteraktionen (z. B. Mausklicks) und
ein WYSIWYG Feedback in nahezu Echtzeit (Spalte 7, Zeile 64 bis Spalte 8,
Zeile 14; siehe „in essentially real time“; Spalte 18, Zeilen 39 bis 41; Spalte 19,
Zeile 16 bis Spalte 20, Zeile 9). Im Übrigen können im Editier-Modus auch hori-
zontale Mausbewegungen („mouse-in and mouse-out“) erkannt und verarbeitet
werden, wodurch weitere Aktionen ausgelöst werden (Spalte 18, Zeilen 42 bis 44).
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Dass clientseitig noch eine geeignete Netzwerkschnittstelle als „Sendeeinrichtung“
vorgesehen ist, ist mithin selbstverständlich.

Zwar geht somit aus der Druckschrift D8 das Aussenden von Änderungen an einer
Webseite und deren Wiedergabe in Echtzeit durchaus hervor, wobei die Ände-
rungsinformationen mittels Tastatureingaben erzeugt worden sind (z. B. an editier-
baren Textfeldern, den „editable cells“), jedoch werden die am Client vorgenom-
menen (einzelnen) Tastatureingaben nicht direkt und in Echtzeit an den entfernten
Server übertragen, sondern die Übertragung der Änderungsinformationen muss
benutzerseitig erst durch eine Aktion bestätigt und ausgelöst werden (Spalte 7,
Zeilen 40 bis 50; Mausklick auf „OK“ Button). Merkmal M4 ist damit nur teilweise in
der Lehre der Druckschrift D8 verwirklicht.

Aus der Tatsache, dass die in der Druckschrift D8 an einer Webseite vorgenom-
menen Änderungen dem Nutzer in nahezu Echtzeit wiedergegeben werden kön-
nen (Spalte 8, Zeilen 9 bis 14; Spalte 3, Zeilen 53 bis 57: „… to show her
immediately the effect of the edit submitted.“) wird klar, dass zwischen Client-
Rechnern und Applikationsserver 102 echtzeitfähige Kommunikationsverbindun-
gen aufgebaut und aufrechterhalten werden müssen (Merkmal M5).

Weiterhin werden im System der Druckschrift D8 Web- bzw. Visualisierungsseiten
clientseitig im Browser verändert (Spalte 3, Zeilen 27 bis 34 u. a.), wobei die Än-
derungen aber nicht an den „live“ Webseiten, sondern an deren Kopien vorge-
nommen werden (Spalte 5, Zeile 60 bis Spalte 6, Zeile 8). Die Merkmale M6 und
M7 sind somit erfüllt.

Ferner wird in der Druckschrift D8 darauf hingewiesen, dass der beschriebene
WYSIWYG-Editor in Echtzeit Feedback geben kann (Spalte 8, Zeilen 9 bis 14),
was eine Übertragung der gewünschten Änderungen an den Applikationsser-
ver 102 und deren Durchführung an den Webseiten in Echtzeit voraussetzt (Merk-
mal M8).
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2.3 Die Würdigung dieses Materials aus dem Stand der Technik ergibt, dass
der mit dem jeweiligen Patentanspruch 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag bean-
spruchte Gegenstand mit all seinen Merkmalen für den Fachmann nahegelegen
hat.

Von der Lehre der Druckschrift D8 unterscheidet sich die jeweilige Lehre nach
dem Patentanspruch 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag im Wesentlichen nur noch
dadurch, dass nicht die durch eine Benutzerinteraktion per Mausklick abgeschlos-
senen Texteingaben als Änderungsinformationen an die Anwendung auf dem Ser-
ver geschickt werden, sondern jede einzelne Tastatureingabe an einem editierba-
ren Textfeld („editable cell“) direkt an den Server übertragen und dort an Skripten
übergeben wird, welche serverseitig mit Hilfe einer geeigneten Skriptsprache aus-
geführt werden (restlicher Teil von Merkmal M4).

Es liegt jedoch im Bereich des Wissens des Fachmanns, dass in Webseiten ein-
gebundene dynamische Inhalte, wozu auch editierbare Felder zur Texteingabe
gehören, lediglich mit Hilfe von Skripten funktionieren, die mit der entsprechenden
Skriptsprache ausgeführt und interpretiert werden, was einerseits (wie in der D8)
auf Seiten des Clients und andererseits (alternativ zur D8) auf Seiten des Servers
geschehen kann. Denn es gehört zum Grundwissen des Fachmanns, dass bei
Techniken zur Anwendung von Skripten in einem verteilten System Alternativen
zur Verfügung stehen, die jeweils bekannte Vor- und Nachteile aufweisen.

Der Fachmann kann die per Tastatur eingegebenen Änderungsinformationen zum
einen (wie in der D8) an JavaScript Elemente übergeben (vgl. D8 Spalte 18, Zei-
len 38 bis 41), damit die Textfelder clientseitig geändert und validiert werden (z. B.
in Hinblick auf Beschränkungen in der Schriftformatierung und im Textumfang; vgl.
D8 Spalte 6, Zeilen 64 bis 67; Fig. 7 siehe „Warning“). Die Serverressourcen wer-
den so entlastet, es kann aber zu Performance-Einbußen beim zugreifenden Nut-
zer kommen. Zum anderen können die einzelnen Tastatureingaben unmittelbar an
den Server geschickt werden, wo dann auch die Überprüfung der Textfelder statt-
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finden muss, wodurch zwar Clientressourcen geschont werden, was aber gleich-
zeitig eine stärkere Auslastung der Server-Kapazitäten bedeutet.

Für die Auswahl einer der beiden ihm bekannten Möglichkeiten unter Abwägen
der jeweiligen Vor- und Nachteile und unter Inkaufnahme der entsprechenden
Nachteile ist kein erfinderisches Zutun erforderlich (restlicher Teil von Merk-
mal M4; BGH GRUR 2006, 930 – Mikrotom, BGH GRUR 2015, 356 – Repaglinid).

Zwar ist der Anmelderin darin zuzustimmen, dass Merkmal M4 der Druckschrift D8
nicht vollständig zu entnehmen ist; denn unter Bezugnahme auf die Beschreibung
der Anmeldung nehmen die in der Edit-Seite eingebetteten Script-Elemente kon-
textbezogene Mausbewegungen und Tastatureingaben entgegen und leiten diese
(unmittelbar) an den Server weiter, der dann selbst die betreffenden Inhalte der
Visualisierungsseite anpasst (Offenlegungsschrift, Absatz [0040]). Nach Auffas-
sung des Senats besteht aber demnach der einzige Unterschied zwischen der aus
der Druckschrift D8 bekannten Lehre und der jeweiligen Lehre des Patentan-
spruchs 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag darin, Teile der Verarbeitung von Text-
eingaben vom Client auf den Server zu verlagern, was allein das Vorliegen einer
erfinderischen Tätigkeit nicht begründen kann (siehe oben).

Nach allem waren für den Fachmann lediglich fachgemäße Überlegungen erfor-
derlich, um in Kenntnis der Druckschrift D8 zu einem Gegenstand mit sämtlichen
Merkmalen des Patentanspruchs 1 gemäß Haupt- bzw. Hilfsantrag zu gelangen.

3. Mit dem jeweiligen Patentanspruch 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag fallen
auch die jeweiligen übrigen Patentansprüche, da über einen Antrag nur einheitlich
entschieden werden kann (BGH GRUR 1997, 120 – Elektrisches Speicherheiz-
gerät).
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Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das
Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht
zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass

1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes
kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abge-
lehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er
nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschrif-
ten über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.

Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlus-
ses beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim
Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich
einzulegen.


Dr. Morawek Eder Baumgardt Dr. Forkel


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